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Universitätsphysik
Оглавление1850 wurde der gebürtige Salzburger Christian Doppler auf den Lehrstuhl für Physik berufen. Seine wichtigste Entdeckung ist nach ihm benannt: der Doppler-Effekt. Er stellte fest, dass sich bei einer sich relativ zum Betrachter bewegenden Lichtquelle die beobachtete Frequenz ändert. Ein vergleichbarer akustischer Effekt ist jedem bekannt, der schon einmal dem schwermütigen Gesang einer vorbeirauschenden Lokomotive Gehör geschenkt hat. Schrödinger, im Zusammenhang mit der Wiener Physik immer an allem interessiert, veröffentlichte viele Jahre später einen Artikel über den Doppler-Effekt. Als Doppler 1853 in den Ruhestand ging, wurde erneut Andreas Ettinghausen berufen. Er hatte das Amt erstmals in den Jahren 1835–1848 bekleidet. Unter seiner Leitung erfolgte der Umzug des Instituts für Physik in neue Räume, in ein unzulängliches Gebäude in der Erdbergstraße 15 im 3. Wiener Bezirk, nicht weit entfernt von Erwins Geburtsort.
1884 zog der größte Teil der Universität in ein prachtvolles Gebäude an der Ringstraße, aber die Physiker blieben in ihrem Exil in Erdberg. 1875 wurden ihnen Laborräume in einem maroden provisorischen Bau in der Türkenstraße eingerichtet, etwas näher an dem neuen Universitätsgelände gelegen. Als Nachfolger Ettinghausens wurde Josef Stefan auf den Lehrstuhl für Physik berufen. Seine bekannteste Entdeckung beschäftigte sich mit den Eigenschaften der Strahlung schwarzer Körper (schwarze Strahlung): Alle Körper absorbieren und emittieren ständig Strahlung. Im Gleichgewicht mit der Umgebung muss die emittierte Strahlung – hinsichtlich Wellenlänge und Energie – äquivalent zur absorbierten Strahlung sein. Es ist möglich, sich einen Körper vorzustellen, der alle auf ihn einfallende Strahlung absorbiert. Solch ein Körper wird als „idealer schwarzer Körper“ bezeichnet. 1879 entdeckte Stefan auf experimentellem Weg, dass die Strahlungsenergie eines solchen Körpers von der vierten Potenz der absoluten Temperatur abhängig ist. Einige Jahre später leitete Stefans ehemaliger Schüler Ludwig Boltzmann diesen Zusammenhang theoretisch her. Das Gesetz wurde zu einem der Eckpfeiler der Strahlungsphysik und die Interpretation der Wellenlängenverteilung der schwarzen Strahlung durch Max Planck führte schließlich auf direktem Weg zur Quantentheorie.
Josef Loschmidt war in jenen Tagen ein weiterer wichtiger Wissenschaftler an der Universität. Während seiner Assistentenzeit bei Stefan lieferte er einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag. Es bedurfte hierbei weniger experimentellen oder mathematischen Geschicks als einfach der Fähigkeit, Zusammenhänge, die andere übersahen, zu erkennen. Als ein Ergebnis der Arbeiten von James Clerk Maxwell und Rudolf Clausius war die kinetische Gastheorie mittlerweile akzeptiert: Ein Gas besteht größtenteils aus einem leeren Raum, in welchem sich verschwindend kleine Moleküle mit hohen Geschwindigkeiten bewegen. Sie kollidieren miteinander und mit den Wänden des Behälters. Dabei wird die von dem Gas auf die Wand ausgeübte Kraft auf die Stöße der Moleküle gegen die Wand zurückgeführt. Die Betrachtung des Impulsübertrages auf die Wand führt anschließend zu dem Druck, der vom Gas auf die Wand des Behälters ausgeübt wird. Eine Schwierigkeit hierbei war, dass die Anzahl der Moleküle in einem gegebenen Gefäß und auch die Größe der Moleküle eines bestimmten Gases unbekannt waren. Loschmidt führte die notwendigen Berechnungen hierzu durch und stellte die Ergebnisse auf einer Sitzung der Wiener Akademie vor. Das war die aufregendste Sache, die jemals mit Molekülen passierte – für viele Physiker hörten sie auf, nur eine Hypothese zu sein, sie wurden zur Realität.
Auch ein Wissenschaftler kann aus biologischer Sicht nur einen Vater haben, aber dass er „wissenschaftlicherseits“ mehrere Väter vorweisen kann, ist durchaus möglich. Deren Einflüsse auf sein Leben können sogar von größerer Bedeutung sein. Demnach geht diese Geschichte der Wiener Physik auch den wissenschaftlichen Ahnen Schrödingers nach. Hier wären zwei zu nennen: vonseiten der Experimentalphysik Franz S. Exner und seitens der theoretischen Physik Friedrich (Fritz) Hasenöhrl. Loschmidt und Stefan wären hiernach die wissenschaftlichen Großväter der Exner-Seite.
Als Loschmidt in den Ruhestand ging, wurde 1891 Exner berufen. Zu dieser Zeit hatte er Angebote aus Graz, Innsbruck und Wien. Er entschied sich, in Wien zu bleiben, und war zuversichtlich, dass bald ein neues Physikgebäude die maroden Bauten in Erdberg ersetzen würde. Diese Hoffnung sollte in den nächsten zwanzig Jahren nicht erfüllt werden. Exner beschäftigte sich mit vielen verschiedenen physikalischen Fragestellungen und weckte bei den Studenten Begeisterung für diese Probleme. Die als Exnerkreis bezeichnete Gruppe wies letztendlich nicht nur einen gemeinsamen universitären Hintergrund auf, sondern die Mitglieder verbanden auch gemeinsame Interessen in Bezug auf ihre Forschungsaktivitäten. Diese Interessen umfassten die Elektrochemie, atmosphärische Elektrizität, Radioaktivität, Kristallphysik, Spektroskopie und die Farbenlehre. Schrödinger lieferte zu allen Schwerpunkten Beiträge, mit Ausnahme der Elektrochemie. Gewöhnlich setzte er sich mit den dazugehörigen theoretischen Problemen auseinander, die mit Papier und Bleistift anzugehen waren.
Abbildung 5: Professor Franz Exner
Auf Empfehlung von Exner veranlasste die Wiener Akademie 1898 die Übergabe von 100 kg Pechblende aus den St. Joachimstaler Uranminen an Marie und Pierre Curie. Aus diesem Material isolierten die Curies erstmalig reines Radium. Exner erhielt eine kleine Menge des hoch angereicherten Materials und führte hiermit einige bemerkenswerte Experimente durch. Daraufhin kaufte die Akademie 10 t des Materials auf, woraus 4 g reines Radiumchlorid gewonnen wurden. 1907 schickte die Akademie an Rutherford und Ramsay in Manchester 400 mg Radiumbromid – somit machten sie alle ihre großen Entdeckungen mithilfe des Wiener Radiums. 1908 wurde schließlich in Wien ein Institut für Radiumforschung gegründet, und viele Physiker beschäftigten sich mit Fragestellungen der Radioaktivität oder verwandten Gebieten.