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Begegnungen im Jenseits
ОглавлениеJede Sekunde – das Wort ist natürlich falsch, weil es keine Zeiteinteilung gibt – bringt eine solche Fülle von Überraschungen… Man weiß gar nicht, wie man die alle verarbeiten soll.
Wieder eine Neuigkeit
Gestern traf ich einen Bekannten, den ich hier nie erwartet hätte. „Was, Sie sind hier?“, rief ich aus, „man hat Sie hier hereingelassen? Sie hätte ich am allerwenigsten hier erwartet. Pardon: Ich freue mich natürlich, dass Sie hier sind, aber ich bin doch etwas überrascht. Hatten Sie keine Wartezeit? Hatten Sie einen Fürsprecher? Sie waren, soweit ich weiß, kein Kirchgänger und Ihre Lebensweise war doch nicht sehr christlich.“ Weil mich einige, die meinem Eindruck nach auch unverdient hereingelassen worden waren, wütend anschauten, sprach ich nicht mehr weiter. Aber die Erfahrung, dass man hier so leicht hereinkommt, weckt bei mir Zweifel an der himmlischen Gerechtigkeit. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass man bei der Aufnahme strenger vorgeht und nicht Hinz und Kunz hereinlässt. Der Himmel soll doch – so hat man uns das jedenfalls im Katechismus-Unterricht beigebracht - eine besondere Belohnung für die Wenigen sein, die sich um ein gutes Leben mühten.
Ich treffe hier lauter Leute, die meiner Überzeugung nach die für den Himmel erforderlichen Kriterien nicht erfüllten: einen jungen Mann, der keiner geregelten Arbeit nachging; eine junge Frau, die nicht ordentlich verheiratet war; einen Lehrer, der wegen seiner Strenge bei seinen Schülern nicht beliebt war; und einen Unternehmer, der sich trotz seines Reichtums und nur weil er einen Teil seines Vermögens verschenkte, Zutritt in den Himmel verschaffte. Es geht also doch ein Reicher leichter ins Himmelreich ein als ein Kamel durch ein Nadelöhr. Dafür hätte ich kein Verständnis, wenn er sich den Zutritt in den Himmel mit seinem Geld erkauft hätte. Ich habe auch Mühe zur verstehen, dass ein Politiker, der in eine Korruptionsaffäre verwickelt gewesen sein soll, und dessen Unschuld nicht eindeutig erwiesen werden konnte, aufgenommen wurde. Gut, es konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob an den Gerüchten etwas dran war. An Gerüchten ist immer etwas dran. Ich frage mich: Ist man hier wirklich so naiv und glaubt an seine Unschuld? Hat er überhaupt bereut? Wenn sich das drunten herumspricht, denke ich manchmal, dass solche Typen am Ende doch aufgenommen werden, braucht man sich nicht wundern, wenn sich die Leute an überhaupt keine Gebote mehr halten.
Ich dachte immer, dass die Barmherzigkeit Gottes doch auch Grenzen hat und dass es hier halbwegs gerecht zugeht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich mich umsonst angestrengt und umsonst Schätze im Himmel gesammelt habe. Als ich sie bei meinem Eintreffen hier sehen wollte, hat man mir gesagt, es habe sich nicht gelohnt, sie aufzubewahren, und mir vorgehalten, dass ich gegenüber Leuten, die nun wirklich lästig waren, meine Abneigung zeigte und ihnen sagte, was ich von ihnen halte. Aber das waren doch alles, im Vergleich zu dem, was sich andere erlaubten, Petitessen. Statt großzügig darüber hinwegzusehen, schickte man mich mit allerlei zwielichtigen Gestalten an einen recht unbequemen Ort. Wir wurden zwar nicht schikaniert und mit Marterwerkzeugen gequält. Aber dieses Warten, bei dem man zum Nachdenken gezwungen war, war unangenehm.
Ehrlich gestanden, ich kann eine gewisse Enttäuschung nicht verbergen. Ich hatte mir vorgestellt, dass sich im Himmel eben doch nur eine Elite befindet und wir besseren Menschen unter uns sein dürfen. Uns hat man damals im Religionsunterricht erklärt, dass die Guten bevorzugt behandelt werden. Dass man hier mit Leuten zusammen sein muss, denen man schon auf Erden aus dem Weg ging, weil man das Gefühl hatte, dass sie nicht gut sind, empfinde ich als Zumutung. Sobald ich herausgefunden habe, wer da zuständig ist, werde ich mich beschweren. Ich werde auch den Vorschlag unterbreiten, die Menschheit nicht in einer großen Gemeinschaft zusammenzufassen, sondern in kleinen, überschaubaren Gruppen, wie sich das bei unseren psychotherapeutischen Gesprächskreisen auf Erden bewährt hat. Denn Problemfälle können eine ganze Gruppe sprengen. Ich halte es für wichtig, dass der Aufenthalt im Himmel, gerade weil er eine Ewigkeit dauert und so viele verschiedene und schwierige Charaktere miteinander auskommen müssen, so geordnet sein sollte, dass Reibungsflächen vermieden werden. Aber leider hat man es noch nicht für nötig gefunden, meinen Antrag zu beantworten.