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Erst in den frühesten Morgenstunden dieser feuchtkalten Dezembernacht des Jahres 2008 gelangte ich in meine Stadtwohnung am Märkischen Ufer zurück. Das war nach einem Konzert im Kesselhaus der Berliner Kulturbrauerei. Standing room only, und keiner der jungen Leute trat den Heimweg an, ehe das letzte von Hans-Eckardt Wenzels aufwiegelnden Liedern aus Zorn und Liebe verklungen war. Es war gut, dabei gewesen zu sein, und ich schlief fest in der Nacht bis in den Morgen – da aber überfiel mich ein Albtraum: Ich starrte dem Strudel der Schraube hinterm Heck des australischen Frachters Aeon nach, sah, wie sich das Schiff weiter und weiter entfernte. Panik überkam mich, ich schrie und meine Schreie verhallten überm Wasser, und dann sackte ich auf dem Kai zusammen und verstummte – wo war ich, in welchem Hafen? Im Albtraum hatte mir Alan Oliver, der baumlange Bootsmann, von achtern her eine Leine zuwerfen wollen, der Wurf verfehlte mich um viele Meter, war eher Hohn als Hilfe. In Australien war Alan Oliver nie einer meiner Schiffsgefährten gewesen, erst Jahre später, in Rostock, heuerten wir auf dem gleichen Schiff an … Ich zwang mich aufzuwachen, riss mich aus dem Schlaf, jetzt mit allen Sinnen wach, musste ich an jene Willensübertragung denken, die mir den Posten auf der Fiona eingebracht hatte – bei der Musterung hatte ich den Schiffsoffizier so intensiv ins Visier genommen, dass er stutzte, vor mir anhielt und keinen der anderen zwölf Bewerber in Betracht zog. Und tatsächlich, die Reise auf der Fiona zu den Fidschiinseln war für mich die Erfüllung eines Traums. Gauguin, Jack London – und was ich damals an Bord in die schwarze Kladde schrieb, die mein Talisman war, hat bis heute Bedeutung für mich:

Der Mond schwamm hinter Wolken, unendlich fern glitzerten Sterne, im Mangohain aber war es dunkel, der feuchte Boden dämpfte meine Schritte, Frösche quakten, mal schrie schrill ein Vogel, und als ich das Rauschen des Meeres nicht mehr hörte, kehrte ich um und – fand den Weg nicht wieder. Ich hielt inne, wagte weder die eine noch die andere Richtung einzuschlagen, Panik kam in mir auf und die legte sich erst, als ich eine Gestalt wahrnahm, die sich mir näherte. »Talo«, rief ich, »talo, talo.« Es war ein junger Fidschi, der nach meiner Hand griff. Er lachte. Weiß im dunklen Gesicht zeigten sich die Zähne. Willig ließ ich mich führen. Als wir aus dem Mangohain traten, glitt zwischen den Wolken der Mond hervor und warf Licht auf den noch fernen Strand, wo sich die Palmen im Wind wiegten. Laut rauschte die Brandung und bald gelangten wir zu dem Feuer, das ich verlassen hatte. Der junge Fidschi verschwand in der Nacht. Vom Feuer her winkten mir die Männer zu, der Schein des Feuers lag auf ihren Gesichtern. Ich setzte mich wieder zu ihnen, lauschte den Klängen einer Gitarre, die einer anschlug, hörte die Männer und die Frauen singen. Wolken verdeckten wieder den Mond, Schatten fielen, fernab am sichelförmigen Strand leuchteten Feuerzungen auf. Es war angenehm, wo ich saß, die Meereswinde lau. Sie ließen mich teilhaben an ihrem Mahl – geröstete Bananen, frischen Fisch, das Quellwasser, das sie mir reichten, war wie Wein. Dann trank ich von ihrem Kawa, das Getränk berauschte und schärfte zugleich meine Sinne. Es fiel mir jetzt leicht, ihre Gesten, ihr Mienenspiel, ihre Blicke zu deuten, das Lächeln des Mädchens, das Bambusröhrchen mit Garnelen und aus Blättern geformte Kügelchen füllte, die Röhrchen auf die Glut legte und mit einem Stöckchen hin und her bewegte. Sie richtete die Garnelen und Blätter auf einer Holzplatte aus und bot mir davon an. Der alte Mann, der gerade Kawa durch Farnblätter in eine Schale filterte, hielt mir die Schale hin. Und wieder trank ich davon, spürte meine Arme und Beine erschlaffen, ermüdete aber auch jetzt nicht. Überdeutlich sah ich alles um mich her, die Frauen und Männer beim Tanz, auch den jungen Fidschi, der mich aus dem Mangohain gerettet hatte. Er kam auf mich zu, berührte meine Schulter und gab mir einen Walzahn. Den ließ ich in meine Tasche gleiten. Er lachte. »Talo, talo – du mein Freund!« Im Mondlicht sah ich die Fußspuren der Tänzer in der Brandung zerfließen. Neue Spuren formten sich und vergingen. Die Fidschi tanzten bis in die Dämmerung … wer war sie, wie hieß sie, die mir mit hellem Lachen Worte zurief, die ich nicht verstand und doch verstanden habe? Das Mädchen wies auf eine Grashütte, wo wir uns auf einem Lager von Farnen betteten. Sie schlief noch, als ich sie verließ. Das Dorf schlief noch. Ich ging über den Strand zum Meer und schwamm durch die heranrollenden Wellen der Sonne entgegen. Die Brandung trug mich zurück ans Ufer. Weit hinter dem Mangohain hob sich grün die Kette der Hügel gegen den klaren Morgenhimmel ab. Vögel kreisten über dem Hain und der Wind trug mir den Ruf des Hirtenstars zu … 2

Der Traum ist nicht verblasst – aber auch die Erinnerung an ein Hindumädchen nicht, zwölf Jahre jung, das sich in einer Hafenkneipe an einen feisten Schiffskoch verkaufte. Unvergessen auch, dass ein Fidschi über die Reling eines Frachters ins Meer sprang, um sein Dorf zu erreichen, das er aus der Ferne sah, und wie er dann von einem Hai in die Tiefe gerissen wurde … und dass die Inder auf Fidschi für wenig Geld hart schuften mussten und die Polizei mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln anrückte, als sie in den Fabriken und auf den Zuckerrohrplantagen zu streiken wagten …

Doch all dem zum Trotz, die Tage und Nächte in den Dörfern der Fidschis, jene kurze Spanne Zeit, die ich zur Crew der Fiona gehörte, wird mir für immer als eine gute Zeit in Erinnerung bleiben. Und weil sie Vertrauen in Mick Moran, ihren Obmann hatten, Vertrauen auch in Männer wie Bill Bird, wuchs auch ihr Vertrauen in mich, den Bücherschreiber, der an Bord aufgetaucht war und dort seine Arbeit wie jeder andere tat und bei Lagebesprechungen Sinnvolles beizutragen wusste – was schließlich bewirkte, dass sie mich gegen Ende der Fidschi-Reise nach Warschau zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten delegierten, wo ich sie vertreten und Berichte für ihre Zeitung Seamen’s Union Journal schreiben sollte. Und das wiederum war mir schon deswegen recht, weil ich nie hatte verwinden können, bei Kriegsende den Dolmetscherposten in einer australischen Armeeeinheit ausgeschlagen zu haben, die auf dem Weg nach Europa gewesen war. Europe, here I come at last

Im Fluss der Zeit

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