Читать книгу Die Liebe, die uns rettet - Walther von Hollander - Страница 4

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Fräulein von Brettwitz, Professor Schreiners Hausdame, sitzt am Bett der Köchin Rosa und klagt. Der Schlachter wird bestimmt den Hochzeitsbraten nicht gross genug und nicht zart genug liefern. Ob das Gemüse reicht? Erbsen schnurren mehr ein, als man denkt. Der Konditor wollte das Eis schon um elf, zwei Stunden vor der Trauung, liefern. Da hätte man Eissuppe mit Sahneklümpchen reichen müssen. Und das kleine Gebäck ist lange nicht so gut geraten wie zu Weihnachten, wo der Professor gesagt hat: „Brettwitz ... das Gebäck ... grossartig.“

Die Köchin Rosa liegt behaglich, die Arme unter dem Kopf, und sieht die Brettwitz mit einem vor Schläfrigkeit starren Blick an. „Na, na“, sagt sie ein paarmal beruhigend, „na, na, wird schon werden.“

Dann fallen ihr die Augendeckel wieder zu. Mit ein paar eiligen Atemzügen versucht sie sich noch ein bisschen Schlaf einzupumpen.

Die Brettwitz schüttelt den Kopf. Natürlich: alles bleibt wieder an ihr hängen! Während sie seit Wochen schlecht schläft, schweissgebadet und mit Herzklopfen aufwacht, weil sie auch im Schlaf immer an diese Hochzeit denken muss, während sie jede Kleinigkeit besorgt und bedenkt, geht der Professor gedankenlos seiner Arbeit nach, macht Barbara, die Braut, Besuche, Besorgungen, Ausflüge. Und die Köchin Rosa, auf die schliesslich einiges ankommt, schlummert wie ein Kind. Sie alle wissen zu genau: die gute, gute Brettwitz wird zur rechten Zeit alles fertig haben. Jawohl, die andern haben es gut. Sie haben ihre Brettwitz. Und wen hat sie?

Sie blickt hilfesuchend umher. Niemand ist da. Niemand. Oder? Drüben in dem Spiegel sitzt eine, auf die man sich verlassen kann. Straff in der Haltung, zwei starke Zöpfe um den runden Kopf geflochten, mit gütigem Lächeln, unsere Brettwitz, eine ansehnliche Fünfzigerin mit viertausend Mark Eigenkapital. Man kann sich nur auf sich selbst verlassen – das ist der Grundsatz des Chirurgen Professor Schreiner. Er hat ja so recht! Fräulein von Brettwitz kann sich nur auf Fräulein von Brettwitz verlassen.

Sie legt ihre Hand auf die Schulter der Köchin. „Rosa“, flüstert sie eindringlich. „Rosa, Sie werden nun aufstehen müssen.“ Rosa schlägt die Augen auf, nickt wohlwollend und seufzt: „Wir werden noch dicke fertig, Fräulein von Brettwitz. Vierundzwanzig Stunden! Da kann man ein Regiment bekochen.“ Und indem sie sich langsam aufrichtet: „Nur Ruhe ... sonst brennt es an.“

„Was brennt an?“ fragt die Brettwitz entsetzt.

Rosa schüttelt mitleidig den Strumpf, den sie gerade anziehen wollte, unterdrückt ein Gähnen und sagt: „Anbrennen? Ich lasse doch nichts anbrennen. Das hat doch bloss der dicke Komiker gesagt ... Na, wie heisst er denn ... Na, Sie wissen ja ... Na, doch der im Atlantikkino ... Nee ... Ich komme nicht drauf ...“

Die Brettwitz kennt das Atlantikkino nicht. Sie verachtet solche Volksbelustigungsstätten, und dicke Komiker kann sie nicht leiden. Sie geht schnell aus dem Zimmer. Sie will noch zwei Sekunden zu Barbara hineinschauen, zur Braut. Es ist noch einiges zu besprechen. Sie schleicht auf Morgenschuhen aus der Mansarde in die erste Etage hinunter. Sie steht mit nachsichtigem Lächeln vor dem Zimmer Barbaras und klopft. Keine Antwort. Sie klopft ein zweites Mal. Von drinnen kommt ein ärgerliches Räuspern. Jetzt entdeckt die Brettwitz erst das Schild. „Nicht zu sprechen. Anreden – auch durch die Tür – höflichst verbeten.“

Die Brettwitz seufzt. So sind die Schreiners! Anreden höflichst verbeten! „Wenn du jemanden brauchst, dem du dein Herz ausschütten möchtest“, hat sie vor einer Woche zu Barbara gesagt. Und Barbara hat ihr auf die Schulter geklopft und geantwortet: „Sollte ich wirklich mal jemanden brauchen (erwartungsvolle Pause) ... dann erschiesse ich mich.“ So ist das Kind. Heftig wie ihre verstorbene Mutter, verschlossen wie der Vater.

Das „Kind“, Barbara Schreiner, sitzt in ihrem hellblauen neuen Hausrock am Schreibtisch und liest. Sie hat drei Nummern der Zeitschrift „Medizinische Klinik“ für ihren Vater durchgearbeitet. Zwei Nummern liegen noch auf dem Bett. Sie streicht das Unwesentliche durch, das Wichtige umrahmt sie rot, das ganz Wichtige grün. Sie arbeitet mit einer gewissen Erbitterung. Bis um sieben wollte sie es schaffen. Aber sie wird es nicht schaffen. Wann soll sie das fertigmachen? Und wer wird das fertigmachen, wenn sie es nicht fertigmacht? In den fünf klinischen Jahren, als Operationsschwester ihres Vaters, hat sie langsam alle Arbeiten einer Sekretärin für ihn übernommen. Sie ist nun ein halber, nein ein ganzer Mediziner. Eine glänzend eingearbeitete Kraft. Nahezu unersetzbar, nicht wahr? Musste diese Liebesgeschichte dazwischenkommen? Ja, sie musste.

Barbara streift seufzend das Haar zurück, das ihr in die Stirn gefallen ist. Sie holt sich das Telephon heran. Wählt. B5 5370 ... „Ja ... hallo. Ja ... Barbara ... Guten Morgen ... Nein ... Grimmig ... Werde nicht fertig. Zwei Hefte Medizinische Klinik ... Vier Münchener Wochenschrift und weiss der Teufel was noch. Was sagst du? Einpacken ... Einpacken ...?“ Der Mund bleibt ihr offen stehen. „Einfach mitnehmen, sagst du? Medizinische Zeitschriften auf die Hochzeitsreise?“

Rechtsanwalt Alfred Meimberg, der in seinem Zimmer in der Kurfürstenstrasse vor seinen Akten gesessen hat, Alfred Meimberg, der Bräutigam, lacht. „Ganz einfach, Barbi“, sagt er, „ich nehme ein paar Akten mit und du ein paar Zeitschriften, und wenn wir irgendwo gelandet sind, dann holen wir sie ’raus und machen unsere Arbeit fertig. Wird uns guttun. Wie?“

„Na, grossartig“, lacht Barbara, „und du meinst nicht, dass man sich schämen muss, wenn man auf der Hochzeitsreise arbeitet? Es gehört sich bestimmt nicht, das ist klar.“

„Also werden wir unsere Schande tief unten in einem Koffer verbergen“, antwortet Meimberg, „und oben drüber legen wir einen Roman oder eine Bonbonniere oder was man sonst Süsses auf eine Hochzeitsreise mitzunehmen hat. Du wirst das schon wissen.“

Barbara schüttelt den Kopf. Sie weiss es nicht. Sie hat nicht die geringste Erfahrung in Hochzeitsreisen. Aber ein Mann wie Alfred muss es wissen. „Nein, ich weiss es nicht“, lacht Meimberg, „und da gibt es nur einen Ausweg: wir machen es, wie wir wollen. Man nehme einen Koffer oder auch drei, schnalle sie hinten auf den Wagen und fahre los. Ganz einfach.“

Barbara schweigt. Sie sieht in den kleinen Garten hinaus. Sie blinzelt in die Sonne hinein, die jetzt gerade über den Pappeln des Nachbargartens herausgekommen ist. Sie sieht den Vater die Stufen der Glasveranda hinuntergehen, den weisshaarigen Vater, mit dem hellen, jungen Gesicht. Sie winkt ihm zu, und er winkt zurück, verschwindet hinter der Wildrosenhecke, will sie sicher nicht stören.

„Oder siehst du irgendwas Schwieriges?“ fängt Meimberg wieder an. „Man geht sich drei Jahre lang mehr oder weniger aus dem Weg. Man sieht schliesslich ein, dass man sich doch nicht aus dem Weg gehen kann. Also heiratet man, und schon ist die Sache in Ordnung. Hallo ... Bist du noch da?“

„In Ordnung“, wiederholt Barbara Schreiner, und leise setzt sie hinzu: „Du, Alfred, du musst mal einen Augenblick ehrlich sein, nein, noch ehrlicher. So wie du zu einem Mann bist, zu einem Freunde, zu Weppen zum Beispiel oder zu Doktor Kleesand. So ehrlich.“

„Donnerwetter“, sagt Alfred, „das ist ja allerhand.“

„Du liebst mich doch, Alfred. Sag mal ruhig: ja. Gut also. Und du weisst auch, dass ich dich liebe? Nein, es ist mir ganz ernst. Also: ja. Und nun sag mal: Du hast also gar keine Angst, mit einem anderen Menschen, einem fremden Wesen zusammenzuziehen, nur weil du dieses Wesen zufällig liebst.“

„Komische Ideen hast du, Barbi“, wehrt Meimberg ab. „Man weiss doch, wen man heiratet, und man weiss, es ist ganz einfach.“

„Gar nichts weiss man“, fällt Barbara ein, „und niemand weiss etwas. Sie tun nur alle so. Es ist nicht einfach.“

„Liebe Barbi“, setzt Meimberg wieder an, „liebe Barbi ...“

Aber man kann Barbara Schreiner nicht trösten. Sie ist kein kleines Mädchen. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt, fünf Jahre Operationsschwester bei ihrem Vater gewesen. Sie hat an die zweitausend Operationen mitgemacht, zweitausend Schicksale miterlebt, komische und traurige, glänzende und armselige. „Liebe Barbi ...“ damit ist es nicht zu machen. Also wird Meimbergs Jungensgesicht nachdenklich. Er fährt sich mit dem Zeigefinger der linken Hand, wie immer, wenn er nachdenkt, durch den Scheitel des scharf an den Schädel gebürsteten hellen Haares und sagt schliesslich: „Also, wenn wir hier schon vor dem Richterstuhl stehen: Natürlich, Barbi, jeder Mensch hat ein bisschen Angst vor dem Heiraten. Vor allem jeder Mann. Deshalb heiratet man zehnmal nicht. Weil es nicht ganz notwendig ist, oder weil die Frau ein Tyrann ist oder ein Frauenzimmer oder eine Dame oder darum oder darum. Aber bei dir ist das alles eben nicht. Darum muss ich dich notwendigerweise heiraten und deshalb: Kopfsprung, los! Und ein bisschen Herzklopfen hat man vor jedem Kopfsprung, ob man ihn auch tadellos macht. Aber Angst ... Nee, Angst nicht.“

„Wenn du Herzklopfen hast“, schliesst Barbara, „dann ist es gut. Dann wirst du es schon tadellos machen und ich auch. Wenn nur erst diese Heiraterei vorbei wäre.“

„Ja, da habe ich dich auch noch allerlei zu fragen“, lacht Meimberg. „Hat aber nichts mehr mit Liebe zu tun, sondern nur noch mit Heiraten.“

Und so sprechen sie denn über den Brautstrauss und welche der Brautjungfern Dr. Weppen, der eine Sozius, haben soll, und welche Dr. Kleesand, der andere Sozius, und wie man verhindern kann, dass die Tante Anna Schreiner, geborene Löpel von Löffelholz, mit Fräulein von Brettwitz über die Ahnen in Streit gerät, und wie man die alte Frau Meimberg recht gut setzt, damit sie trotz ihrer Schwerhörigkeit alles mithören kann, und wie ... und wie ... Es ist alles wirklich einfach. Sie werden den Tag über noch arbeiten oder Besorgungen machen. Und sie werden sich zum Abendessen bei Schreiners treffen, zum Polterabend, zu dem niemand eingeladen wurde, der nicht das Poltern abgeschworen hat, einschliesslich Brautkranzversen und Scherzaufführungen. Man wird mit ein paar Freunden und den notwendigsten Verwandten eine gewaltige Bowle leeren, ein kaltes Büfett aufessen, und um elf oder zwölf wird man alle hinauswerfen. Dann ist nur noch der Hochzeitstag zu überstehen, und dann kann man wieder machen, was man will. Sie hängen beide ganz getröstet ein, und während Dr. Meimberg sich vor dem Spiegel einseift und einen Filmschlager pfeift aus „Die Nacht zweier Herzen“ oder „Die Nacht der Liebe“ oder „Eine Nacht mit dir“ oder „Nachts mit dir allein“ oder „Nachts, nur nachts, mein Herz“ oder „Eine Nacht in Budapest mit dir“ oder „Pusstanacht ... Zigeunernacht“ oder „Schenk mir dein Herz in Wien bei Nacht“ (in Filmen gibt es einen Tag nicht mehr), währenddessen ist Barbara zu ihrem Vater in den Garten hinuntergegangen.

Sie hat ihn am Moosrosenbeet gefunden, wo er einen kleinen Strauss von halberblühten Knospen abschneidet. Sie hat ihm ein paar besonders schöne Knospen entgegengebogen, und er hat mit einem kurzen Kopfnicken, einem Augenzwinkern gedankt, wie er bei den Operationen zu danken pflegte, wenn sie ihm die Messer, die Tupfer, die Nadeln entgegenreichte, wenn sie auch in ganz schwierigen Fällen gleich das richtige Instrument bei der Hand hatte. Vater und Tochter sind so in ihre Gedanken vertieft und in die gleichen, etwas wehmütigen Erinnerungen, dass der Moosrosenstrauch in der Hand des Professors immer grösser wird. Aber endlich ist es doch genug. Schreiner hat ein Stückchen Bast aus der Tasche gezogen, hat den Strauss zusammengebunden, und nun gibt er ihn mit einer kleinen Verbeugung an Barbara, seine Tochter. Die aber nimmt die Rosen mit einem befangenen Kopfnicken, die ersten Blumen, die der Vater ihr schenkt.

Sie weiss, wieviel Liebe, wieviel Trauer, wieviel Gedanken und wieviel Wünsche mit diesem kleinen Geschenk verbunden sind. Das Moosrosenbeet hat die Mutter vor fünfunddreissig Jahren angelegt, gleich, als sie mit dem jungen Privatdozenten Schreiner in das kleine Haus in Lichterfelde einzog. Und seit sie tot ist, seit fünfzehn Jahren also, darf niemand an dem Beet irgend etwas arbeiten oder eine Rose abschneiden. Das macht der Professor alles selbst, und er hat bisher alle Blüten am Strauche aufblühen und welken lassen. Was Barbara in der Hand hält, ist also ein Gruss der Mutter, ihr Geschenk und ihr Segenswunsch. So meint es der Vater, und so nimmt sie es auf.

Sie gehen schweigend ein paarmal um die Rasenplätze, sie stehen zwischen den Stangen des Teppichklopfers, sie beschauen sich ernst die verrosteten Schrauben der Kinderschaukel, das vermorschte Holz des Sandkastens. Mit einemmal steckt Abschied in jeder Ecke, Wehmut in jedem Winkel, ganz zu schweigen davon, dass man nicht nur zusammen gelebt hat, sondern auch zusammen gearbeitet, und dass der Vater deshalb jetzt nicht in seiner Arbeit den Verlust seines Zuhause wird vergessen können.

Darüber schweigen sie nun miteinander, indem ihre Schritte gleichzeitig vor der Linde zögern, aus deren Wipfel die zornige Mutter ihre ungehorsame Barbara heruntergeschüttelt hat wie einen Apfel (es war ihr gar nichts geschehen, aber die Mutter war tagelang verstört, dass der Zorn sie immer noch besinnungslos machen konnte), indem sie an der „schlimmen“ Laube vorübergehen, der ganz zugewachsenen, verwucherten Laube, in die hinein Barbara den amtlichen Brief gebracht hat, dass der Bruder gefallen war, 1918, am 28. Oktober. Zwei ... drei Minuten, dann ist die Gedenkfeier vorüber. Man braucht nicht viel Zeit, sich zu erinnern.

Dann stehen sie schon an den Stufen, die zur Glasveranda führen. Oben am gedeckten Frühstückstisch ist die Göttin des Alltags erschienen, Fräulein von Brettwitz, in einem schwarzseidenen Kleid von betonter Einfachheit, und ruft nach den beiden. „Na, also“, sagt der Professor, „dann mach das man auch so gut, wie du bisher alles gemacht hast. So ordentlich, so exakt, so sauber. Bist ein grossartiger Kerl.“

Barbara nickt und springt die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sie ist puterrot geworden wie ein kleines Mädchen, und ihre Augen glänzen wie die einer Klassenersten. Der Vater hat sie gelobt! Zum erstenmal. Er ist einverstanden mit ihr. Dann muss wirklich was an ihr dran sein. Denn er findet sonst das Aussergewöhnliche gerade ausreichend und das durchschnittlich Gute nicht weiter erwähnenswert. Wenn aber etwas an ihr dran ist, dann wird sie auch die Ehe, diese Ehe mit Alfred Meimberg, gut und richtig führen, nein, sehr gut. Denn auch sie findet, dass das Durchschnittliche nicht genügt, dass die durchschnittlichen Ehen zum Beispiel keine Anstrengung und kein Opfer wert sind.

Noch ein Telephongespräch mit Alfred Meimberg. Sie möchte ihn gern am Kurfürstendamm treffen. Sie möchte wenigstens die paar Reisesachen mit ihm zusammen kaufen. Aber Alfred hat wirklich keine Zeit. Steht gerade und wartet auf seinen Wagen. Muss zum Termin, studiert noch am letzten Aktenzipfel und hat am Vormittag ausserdem drei Konferenzen und eine notarielle Verhandlung. Barbara muss also allein kaufen.

Gut, gut! Oder vielmehr schlecht, schlecht. Barbara hat das Gefühl, dass man sich zur Herzstärkung vor dem Auftreten als Brautpaar noch einmal sehen sollte. Ihr ist, als wäre das nötig. Aber wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht. Sie hat genug Einblick in wirkliche Arbeit und genug Achtung vor Arbeit. Sie wird also allein einkaufen. Wird um halb zwölf die Tante Anna Schreiner, geborene Löpel von Löffelholz, von der Bahn abholen, um vier einen Besuch bei Mutter Meimberg machen, um fünf bei Sophie Wahnke zum Mädchenabschiedskaffee sein, und um sechs wird sie zu Hause eintreffen, wo um sieben der offizielle Teil der Festlichkeiten beginnt. Man braucht also nichts zu tun zu haben, um den ganzen Tag bis zur Atemlosigkeit besetzt zu sein. Adieu ... adieu ... Adieu, adieu ...

Um acht Uhr dreissig verlässt der Professor Schreiner mit seiner Tochter die Villa in Lichterfelde. „Machen Sie es nur, wie Sie es für richtig halten, Brettwitz“ ruft er zurück, „ein Blankoscheck liegt auf dem Schreibtisch, und die Schlüssel haben Sie ja alle. Nein, ich weiss nicht, wieviel eine Hochzeit kosten muss. Seien Sie aber bitte barmherzig. Sehr grossartig sind wir es ja nicht gewöhnt.“

Die Brettwitz zuckt ergeben die Achseln. Sie geht langsam ins kühle, dämmrige Haus zurück, setzt sich ans Telephon und bestellt, bestellt ...

Der Professor aber und Barbara gehen, wie sie immer gegangen sind, ein Stück die „Eichen“ hinunter, unter den hohen Bäumen der Strasse und der Gärten, in einem angenehmen Laubschatten. Sie grüssen viel in die Gärten hinein. Sie kennen beinahe jeden Menschen dieser Berliner Kleinstadt, und sie kennen auch jeden Chauffeur an der Ecke. „Heute ist Böckau dran“, sagt der Professor, und da steht auch schon der Chauffeur Böckau ein wenig abseits von den andern Wagen mit seinem Wagen, hat den Wagenschlag geöffnet und die Mütze abgenommen. Es sind vier Mark achtzig bis zur Klinik zu verdienen und zwanzig Pfennig Trinkgeld. Eine gute Sache, in die sich wechselnd vier Chauffeure teilen.

„Morgen, Böckau“, sagt der Professor und nimmt aufseufzend Platz, und Barbara setzt sich rechts neben ihn. Es ist alles wie immer. Die Strassen, der Sommer, die Menschen, die Schweigsamkeit des Vaters. Wie er halb im Auto liegt, die eine Hand an der Quaste des Halteriemens, den Kopf mit den ziemlich kurz geschnittenen weissen Haaren hinten übergelehnt, die Augen halb geschlossen. Heute endlich begreift Barbara, dass der Vater sich jetzt entspannt, dass er jetzt Kraft sammelt, dass hier das Geheimnis seiner Leistungsfähigkeit liegt, der Grund, warum er so frisch in der Klinik ankommt und so frisch zu Hause. Komisch ... Sie hat das fünf Jahre gesehen, und am letzten Tag begreift sie es. Wie schwer lernt man von seinen Eltern!

Die Liebe, die uns rettet

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