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Alfred Meimberg kommt mit dem Kollegen und Sozius Dr. Weppen aus der letzten Konferenz. Die Sonne brennt, als wollte sie die Steine kochen. Aber es gelingt ihr nur, den Asphalt zu schmelzen. Der Spitzstock, den Dr. Weppen stets bei sich trägt – als sei der Gang auf die Gerichte ein Spaziergang – sticht kleine Löcher ins Pflaster.

„Es ist eine Schweinerei“, seufzt Dr. Weppen, indem er in Meimbergs Auto einsteigt, „dass Sie nun mit Ihrem Auto einfach davonfahren. Jetzt kann man sich wieder in die Taxis setzen. Jeden Tag einen andern Chauffeur.“

„Entschuldigen Sie nur, dass ich heirate ...“, lacht Meimberg, „es tut mir aufrichtig leid ...“

„Natürlich tut es Ihnen leid“, murrt Weppen, indes der Wagen langsam anfährt, „selbstverständlich ist Ihnen jetzt kolossal mulmig zumut’. Trotzdem werden Sie heiraten und werden Kleesand und mich als ein geköpftes Trio, als verlassene Junggesellen in Berlin zurücklassen ...“

„Sie können ja auch heiraten“, antwortet Meimberg, „ich sage Ihnen, es ist überraschend einfach.“

Der Wagen hält mit einem Ruck. Denn das rote Licht sperrt die Durchfahrt. Weppen sieht missmutig zum Bürgersteig hinüber, über den die einkaufenden Frauen scharenweise flanieren, elegante und halbelegante, eilige und langsame, hübsche und hässliche Frauen. „Bitte“, sagt Weppen und zeigt auf die Frauen, „da ist so eine Auswahl. So etwas soll man heiraten. Natürlich: Sie haben Ihre Barbara Schreiner. Das ist etwas anderes. Sagen Sie selbst ...“

Der Wagen fährt von neuem an. „Ich sage es selbst“, antwortet Meimberg. „Ich bin auch in meinem ganzen Leben nie auf die Idee gekommen zu heiraten, bis ich eben Barbara Schreiner kennengelernt habe ... das ist Tatsache ...“

Der Wagen biegt nun in eine stillere Seitenstrasse ein. Meimberg prescht los. Der Fahrwind beginnt zu heulen. Weppen muss seinen Hut festhalten, und die Worte werden ihm vom Munde gerissen. Trotzdem spricht er weiter, etwas bellend wie immer und ein bisschen anklagend: „Ist das wirklich wahr? Nie auf die Idee gekommen, eine andere zu heiraten? Wie ist das nur möglich! Ich komme jeden Monat einmal auf die Idee zu heiraten. Aber dann packt mich immer rechtzeitig der natürliche Schreck. Immer eine Frau in der Wohnung. Wenn man nach Hause kommt. Wenn man von Hause weggeht ... immer eine Frau. Vielleicht mag sie auch nicht, dass ich Zigarren rauche, oder ist böse, wenn ich einen Kognak trinke – das bekommt dir nicht, mein Lieber – weiss ich doch allein – oder sie mag nicht, wenn ich arbeite, oder sie findet es nicht richtig, wenn ich mal nicht arbeite. Vielleicht liebt sie Konzerte. Mit Symphonien von Brahms ... denken Sie, wie entsetzlich! Oder gar mit Liedern von Grieg ... noch schrecklicher! Oder ...“

„Sie nehmen immer gleich das Schlimmste an“, tröstet Meimberg, „manche lieben ja auch Mozart. Oder einen Jazz oder einen Zigeunergeiger ...“

„Zigeunergeiger“, nickt Weppen, „da haben wir es. Nein, nein, man kann nicht heiraten. Jawohl, manche lieben die Zigeunergeiger. Zu sehr sogar. Viel zu sehr ...“

Der Wagen hält. Denn dies moderne Apartmenthaus mit glatter Front und hohen Fenstern, dieser appetitliche, langweilige Bau enthält auch Weppens appetitliche, langweilige, winzige Junggesellenwohnung mit allem Komfort.

„Mein Himmel“, fragt Meimberg, „was regt Sie denn der Zigeunergeiger so auf? ... Ich habe das nur so hin gesagt ...“

Weppen holt sich umständlich eine grosse Zigarre aus der Tasche, schneidet sie ab und brennt sie an. Alfred Meimberg sieht der heiligen Handlung etwas ungeduldig zu. Eigentlich hat er ja anderes zu tun, als mit Weppen über die Ehe zu philosophieren. Aber er kennt Weppens Hartnäckigkeit, er liebt sie bei der Arbeit, also muss er sie auch im übrigen Leben ertragen.

„Der Zigeunergeiger hat mir die Augen endgültig geöffnet“, sagt Weppen und schwingt drohend seine Zigarre, „eine Ehe ist entweder Brahms und Grieg und Langeweile oder aber Mozart und Zigeunergeiger und ... na das Übrige ist ja ganz klar ...“

Meimberg schüttelt den Kopf. Ihm ist es durchaus nicht klar.

„Entweder also würde ich mich langweilen“, fährt Weppen fort, „und dazu brauchte ich ja nicht erst zu heiraten. Das kann man allein billiger und kürzer haben. Oder aber ich würde mich nicht langweilen. Ich würde im Gegenteil die Frau ganz famos finden. Aber dann ... ja dann würde eben der Zigeunergeiger auftauchen. Sowas Flottes, Abenteuerliches, sowas Dunkles, sowas – wie sagen die Damen in solchen Fällen – sowas Elementares, Leidenschaftliches. Kurzum, irgendwas Unzuverlässiges, Unerwartetes von Mann würde kommen und mir die Frau stehlen. Jawohl, ich sage es offen. Ich bin nicht sehr schön und nicht sehr besonders, also muss ich sehr ängstlich und sehr eifersüchtig sein ...“

Er sieht den Kollegen erwartungsvoll von der Seite an. „Na, denn auf Wiedersehen“, sagt Meimberg, „heute abend. Smoking. Zehn, höchstens zwanzig Leute ...“

„Nein!“ ruft Weppen, während er aus dem Auto klettert. „So entkommen Sie mir nicht. Ich halte Ihren Wagen fest, bis Sie mir geantwortet haben. Waren Sie nie eifersüchtig? Und wenn nein, werden Sie nie eifersüchtig sein?“

Meimberg fährt langsam an. Er schüttelt den Kopf. „Ich käme nicht auf die Idee. Eifersucht ist was für Kinder, die nicht wissen, wen sie heiraten.“

„Halt, halt“, sagt Weppen, „das müssen Sie noch zu Ende sagen.“ Er ist auf das Trittbrett gestiegen. Er fährt auf dem langsam rollenden Wagen ein Stück mit ... „Zu Ende sagen ... Interessiert mich. Wenn Sie zum Beispiel eine weniger erwachsene Frau heiraten würden. Sowas kann ja passieren, nicht wahr ... so eine Art von Kind ... sowas schrecklich Weibliches und Unverantwortliches ... gibt es ja schliesslich auch ...“

Meimberg hält scharf an.

„Da Sie mich fragen, Weppen“, sagt er ziemlich ernst, „will ich Ihnen auch antworten. Sie sollten die kleine Vittius auf keinen Fall heiraten. Das ist wenigstens meine Meinung. Entschuldigen Sie ...“

Weppen winkt ab. „Direkt“, brummt er, ärgerlich, dass er sich verraten hat, „direkt habe ich Sie ja nicht gefragt. Ich wollte etwas ganz Allgemeines wissen. Wenn Sie mal Grund hätten zur Eifersucht ... aber ich bitte Sie ... Sie werden vielleicht doch soviel Phantasie aufbringen, um sich das vorstellen zu können, was also würden Sie tun?“

Meimberg nickt. „Das kann ich mir ausgezeichnet vorstellen. Und was ich tun würde, kann ich Ihnen genau sagen. Ich würde hingehen und dem Herrn Zigeuner den Kragen umdrehen. Klar? Was?“

Weppen nickt. „Erfreulich klar. Und es würde Ihnen nichts ausmachen, dass schliesslich in den meisten Fällen doch die Frau auch in irgendeiner Weise mit schuld sein kann. Sie würden nur dem Mann den Kragen umdrehen. Komisch.“

„Das ist vielleicht komisch“, schliesst Meimberg und sieht ungeduldig auf seine Uhr – Himmel, halb sechs! – „das ist vielleicht auch nicht gerecht. Aber um die Gerechtigkeit können sich dann andere kümmern. Ich bin ja nur Jurist.“

„Aber die Frau lebt doch dann weiter“, sagt Weppen eifrig.

Meimberg nickt. „Hauptsache ist aber, der Zigeuner ist tot ... nicht wahr. Ausrottung aller Zigeuner ... na, ja ...“

Damit macht er aber wirklich Schluss, wirft den Dr. Weppen mit einem kleinen Stoss vor den Magen vom Auto und jagt davon. Eine Ecke, zwei Ecken. Da ist er eigentlich zu Hause. Aber er hat im Motor etwas schnarren gehört. Da ist was Heiseres drin – stimmt was nicht. Er fährt noch einmal ums Häuserviereck. Horcht, probiert. Irgendeine Kleinigkeit. Dumm. Man muss noch einmal zur Garage. Mit einem solchen Wagen kann man nicht losreisen ...

Er fährt also zu Garage. Monteur Krause II, der den Wagen kennt und die Sache gleich heraus hätte, ist nicht da. Monteur Horn ist kein Kirchenlicht. Dafür hat er einen grossen Schnurrbart, den er in Augenblicken der Ratlosigkeit an beiden Enden streicht. Horn streicht sich also den Schnurrbart. Meimberg zieht sich den Overall über und beginnt zu suchen. Der Motor schnurrt weich und sanft. Wenn man aber denkt, es ist alles in Ordnung, bockt er und klopft wie ein Hammerwerk. Es wird sechs, viertel sieben. Immer noch streicht Horn seinen Schnurrbart. Immer noch probiert Meimberg. Endlich kommt Krause II. Horcht. Schüttelt den Kopf. Fasst einmal mit dem Schraubenschlüssel in die Haube, zieht. Der Motor schnurrt, schnurrt wie eine Katze.

„Man hat Verstand“, seufzt Krause II und blinzelt in die Abendsonne, „oder man hat keinen. Das ist es.“

Meimberg nickt. Er gibt Krause zwei Mark, eine Art Hochzeitsgeschenk.

„Bin ja nun fast vier Wochen weg“, sagt er. „Nee, wohin wir fahren, weiss ich noch nicht. Immer dem Kühler nach. Ist das einfachste.“

„Und das gemütlichste“, sagt Krause, „der Kühler weiss schon, wohin er will.“

Halb sieben ist es unterdes geworden. Also schnell nach Hause. Müsste man sich zum zweitenmal rasieren? Eigentlich ... Oben an den Backen und unten am Halse stoppelt es schon. Der Herr sind wohl Selbstrasierer? Jawohl ... der Herr rasieren sich selbst. Der Herr zerwürgt einen Kragen zu einem Waschlappen. Dann bekommt der zweite Kragen Fettflecke. Dann ist ein Hemd zerknittert. Meimberg krümmt sich, dreht sich. Aber er ärgert sich nicht. Denkt gar nicht dran. Denn schliesslich hat man es ja doch geschafft und steht mit glattem Hemd, mit blütenweissem Kragen vor dem Spiegel und gefällt sich gut.

Also, Schlips gebunden. Weisse Weste. Haare mit zwei ausgezeichneten Pferdestriegeln an den schmalen Schädel gestriegelt. Sehr gut. Er bürstet sich auch die Augenbrauen glatt. Eine dumme Angewohnheit. Aber es sieht ganz gut aus. Das werde ich wohl in Zukunft lassen, denkt er. Wenn Barbara ins Zimmer kommt und ich striegle gerade meine Augenbrauen, zu albern!

Also Smoking. Brieftasche. Uhr. Geld. Hausschlüssel. Taschentuch. Eau de Cologne. Noch einen Blick in den Spiegel. Jetzt erst fällt ihm so richtig ein, wohin er geht. Auf sein Fest, auf seinen eigenen Polterabend. Merkwürdig. Dass er nun wirklich Barbara Schreiner heiraten wird. Höchst märchenhaft. Er winkt sich zu. Guten Abend! Man braucht dir kein Glück zu wünschen, lieber Alfred. Hast ein kolossales Glück. Das richtige Sonntagskinderglück wieder einmal. Man will eine Frau heiraten, jahrelang nimmt man sich das vor. Und mit einemmal kann man sie heiraten. Könnte einem bange werden. Aber es ist alles vollkommen richtig. Ganz ohne Schwierigkeit. Verstehen sich, ohne viel über Verstehen zu reden. Wir haben das ja in den drei Monaten Verlobungszeit feststellen können. Wir passen nahtlos, bruchlos zusammen. Wie durch ein Wunder extra füreinander angefertigt. Und dabei ganz verschieden. Grossartig. Nun aber Adieu, Herr Meimberg ... es ist, wie Sie bitte sehen wollen, fünf Minuten vor sieben. Um aller Heiligen willen, die Mama wartet ja. Die Generalmajorin.

Er sitzt unten im Auto, den steifen Hut hat er in den Nacken geschoben, ein weisses Halstuch sieht unter dem schwarzen leichten Mantel hervor. Er ist viel zu warm angezogen für diesen heissen Abend, aber wenigstens korrekt. Er geht gern korrekt, genau nach Vorschrift, wie sein Vater gegangen ist.

Als er sich dem Hause seiner Mutter nähert, beginnt er, der allein im Auto sitzt, zu lachen. Er lacht, lacht, leise, schütternd. Unwiderstehlich. Er hält. Er springt immer noch lachend die Treppen hinauf. Er findet die Generalmajorin sehr böse, sehr aufgeregt, wie zu allen Festen in Spitzen und schwarzem Taft.

„Ich bin es nicht gewöhnt“, sagt die kleine Generalmajorin streng, „dass man mich warten lässt. Dein Vater hat mich nie warten lassen. Jetzt müssen wieder die Schreiners warten, und die Gäste werden dasein, bevor ein Bräutigam vorhanden ist. Sehr peinlich.“

Aber der Sohn Meimberg lässt sich diesmal nicht wie sonst geduldig ausschimpfen. Er muss erst mal seine unbändige Heiterkeit loswerden. „Ich habe schon die ganze Kaiserallee herunter gelacht“, lacht er. „Ich erkläre dir das ein andermal ganz genau. Es hängt mit einem Gespräch zusammen, das ich mit Doktor Weppen gehabt habe. Aber du musst mir mal ganz ehrlich was verraten. Ehrlich, ja? Also, war Vater jemals auf dich eifersüchtig? Hat er irgendwann mal den leisesten Grund einer Ahnung zur Eifersucht gehabt? Nein, bitte, antworte mal. Ich muss das wirklich wissen.“

Die Mutter schüttelt unwillig den Kopf und fängt schon an, die Treppe hinunterzugehen.

„Mutter“, sagt Meimberg ernst, „es ist eine ganz wichtige Geschichte. Aber ich weiss schon Bescheid. Wenn diese ganzen Mätzchen der Liebe, wie Eifersucht und so, anfangen, dann – nicht wahr – dann soll man doch gleich Schluss machen. Findest du nicht?“

Die Generalmajorin sieht ungeduldig zu, wie Meimberg das Patentschloss der Wohnungstür schliesst.

„Komm jetzt“, sagt sie leise aus dem dämmrigen Flur. „Komm jetzt endlich. Ausserdem steht man hier in halber Öffentlichkeit.“

„Gut“, sagt Meimberg und hakt sie unter, „aber wenn wir mal allein sind, musst du es mir ganz genau erzählen.“

Die Mutter schüttelt den Kopf. Natürlich wird sie niemals mit ihrem Sohn über solche Dinge sprechen.

Aber Meimberg ist noch nicht ganz fertig. Unten im Auto, nachdem er sorglich eine Decke über die Knie der alten Dame gebreitet hat, fängt er wieder an: „Nicht wahr, Eifersucht, das gibt es doch nicht. Dann doch lieber gleich Schluss. Gleich. Sofort. Kurzschluss.“

Die Mutter sieht den Jungen prüfend von der Seite an. Steckt da etwa eine wirkliche Angst dahinter? Nein, die Stirn ist klar, die Augen sind hell und scharf. Die Lippen, wie immer, ein wenig geöffnet. (Das war das einzige, was ihr Sorge gemacht hat. Es sah immer so aus, als wollte er von allem und jedem trinken). Nein, nein, es ist nichts.

„Sag mir lieber“, flüstert sie, „was du deiner Braut heute mitbringst. Ich sehe nichts. Keine Blumen, gar nichts.“

Aber Meimberg ist nicht aus seiner Fröhlichkeit herauszukriegen. Er weist auf sich. „Mitbringen?“ sagt er. „Einen schönen blonden jungen Mann bringe ich mit. Rechtsanwalt, unvermögend, aber mit guter Praxis, viel Spass am Leben. Könnte gescheiter sein, mehr Tiefgang haben, wie seine Mutter sagt. Kommt aber noch. Kommt Zeit, kommt Malheur. Und Malheur macht tiefsinnig ... Wünschen wir dem jungen Mann ein kleines Unglück.“

Er sieht seine Mutter herausfordernd an. Er legt ihr den rechten Arm um die Schulter. „Na, Frau General“, lacht er, „nu sag auch du mal was.“

„Dummer Junge“, ruft die Generalmajorin, „pass gefälligst auf dein Auto auf.“

„Zu Befehl, Frau General“, schliesst Meimberg, „das werden wir schon richtig hinkriegen.“

Die Liebe, die uns rettet

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