Читать книгу Gewalt des Glaubens Teil 2: Blut für die Kirche - Werner Diefenthal - Страница 15
ОглавлениеSteyr, März 1530
»Gut, Anna! Sehr gut! Und jetzt hoch mit dem Bein. Ganz ruhig bleiben!«
Angespannt blickten Caspar und Moritz, der jüngste und der älteste der Akrobatenbrüder Meisner, zu Anna hinauf. Sie stand auf den Schultern Valentins, dem mittleren Bruder, und presste konzentriert die Lippen zusammen.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals und wieder einmal fragte sie sich, was zum Teufel sie sich dabei gedacht hatte, sich darauf einzulassen!
In den Wintermonaten in Steyr, in denen es so leicht gewesen war, Geld zu verdienen, hatten die Gaukler Zeit gehabt, zusammen zu sitzen und die Zukunft zu planen.
Ein bisschen zu viel Zeit, wie Anna jetzt fand, denn die Meisners waren auf die Idee gekommen, ihre Akrobatennummer mit einer Frau aufzupolieren. Alle hatten sich an die Stirn getippt und abgelehnt. Nur Anna, zu dem Zeitpunkt mutig und von süßem Wein beschwipst, verkündete großspurig, diese Herausforderung sei genau das Richtige für sie.
Schon nach den ersten Trainingsstunden war mehr als nur klar gewesen, dass die gestellte Aufgabe nicht gerade ein Zuckerschlecken war. Anna war flexibel und gelenkig, aber die Balanceakte erforderten eine enorme Muskelkraft, die das zierliche Mädchen erst aufbauen musste. Regelmäßig konnte sie sich nach den Übungen kaum bewegen, aber um einen Rückzieher zu machen war Anna viel zu stolz, zumal die Akrobatenbrüder von ihrer Leistung, die sie selbst als mäßig empfand, restlos begeistert waren.
»Na los, Anna! Hoch mit dem Bein!«
Etwas beklommen blickte Anna auf Caspar und Moritz hinab. Es ging recht tief da hinunter! Wie immer hatte sie ein unangenehmes Gefühl im Magen, obwohl sie wusste, dass ihr ziemlich sicher nichts passieren würde. Sie war schon mehrfach abgestürzt und immer sicher von einem der drei Meisners aufgefangen worden.
Sie gab sich einen Ruck und verlagerte vorsichtig ihr Gewicht auf das rechte Bein, spürte, wie Valentin unter ihr sich leicht bewegte und sie im Gleichgewicht hielt. Anna konzentrierte sich, vergaß die Umgebung, hörte die zeternde Agnes nicht, die ein paar kichernde Gauklerkinder ausschimpfte, spürte die langsam wärmer werdende Märzsonne nicht mehr auf der Haut. Sie war ganz auf ihren Körper, auf den Bewegungsablauf fokussiert und starrte blicklos auf den Steyrer Kirchturm.
Langsam und graziös spreizte sie das linke Bein zur Seite ab, bis sie den Knöchel fassen konnte. Danach war es kein großes Problem mehr, den Fuß bis hinauf zum Kopf zu ziehen und das Bein zu strecken. Die Rothaarige hielt die Pose ein paar Augenblicke lang, dann senkte sie das Bein ebenso langsam wieder ab.
Moritz, Caspar und einige andere Gaukler, die zugesehen hatten, applaudierten enthusiastisch, und die blonden Brüder positionierten sich vor Valentin und reichten sich die Hände.
»Sehr gut, und jetzt Abgang«, kommandierte Moritz. Anna ging in die Knie, holte Schwung und mit einem Stoß nach oben von Valentin sprang sie einen Salto und fiel in das Netz aus Armen, das die beiden anderen Akrobaten ihr boten.
»Du wirst jeden Tag besser, Anna!«, lobte Moritz, als die beiden Männer die Rothaarige absetzten. »Du wirst der Höhepunkt unserer Nummer!«
»Kommt ihr mit, ihr Todesmutigen?« Die fröhliche Stimme der blonden Emilia schallte zu ihnen herüber. Die Gauklerin trug ein rotes Kleid mit bunten Bändern und hatte ihre Flöte in der Hand. »Es ist Markttag. Wir wollten ein wenig musizieren und tanzen!«
Das ließ Anna sich nicht zweimal sagen. »Ich bin dabei!«
»Ich auch«, schloss sich Caspar an, und die beiden jungen Leute liefen hinter der Gruppe, bestehend aus ein paar Frauen und den Musikanten, her, die schon den Weg in die Innenstadt hinunter eilte.
Als sie die ersten Häuser erreicht hatten, legte Caspar Anna einen Arm um die Schultern. Ärgerlich schüttelte sie ihn ab und ging schneller.
»Lass das sein!«
»Warum? Bin ich dir nicht gut genug?«
Überrascht drehte Anna sich um. Caspar war stehengeblieben und stemmte die Hände auf die Hüften. Wut und Enttäuschung standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Rothaarige wusste, dass der junge Akrobat es nicht gewohnt war von Frauen abgewiesen zu werden. Er war groß und schön, hatte einen schlanken, durchtrainierten Körper, sanfte grüne Augen, einen sinnlichen Mund und lange, blonde Haare, auf die so manche Frau neidisch gewesen wäre.
Die Frauen in den Städten lagen ihm reihenweise zu Füßen. Er musste nur wählen, welche er haben wollte. Manchmal ließ er sich sogar von Frauen, die seinem Geschmack nicht entsprachen, für eine Nacht bezahlen, und verdiente dabei mehr als Anna selbst!
Die Gauklerin verschränkte die Arme und reckte das Kinn vor.
»Ich fange nichts mit einem Kameraden an!«
»Und warum nicht?« Caspar kam die wenigen Schritte auf sie zu und runzelte die Stirn. »Die meisten anderen Frauen im Trupp haben eine Beziehung. Du gefällst mir. Warum können wir nicht zusammen sein?«
»Ich bin nicht in dich verliebt, Caspar!« Anna nahm kein Blatt vor den Mund. »Und ich werde niemals eine Beziehung mit einem Mann aus unserer Truppe anfangen. Wenn ich mich einem Mann überlasse, dann ganz und gar. Nicht mein Herz dem einen und meinen Körper jeden Tag fünf anderen. Wenn ich einen Mann zu meinem Partner wähle, dann richtig. Dann mit Ehe, mit Kindern, und dann arbeite ich nicht weiter als Dirne!«
Der blonde Akrobat lachte spöttisch.
»Du bist eine Träumerin, Anna! Es ist wegen dieses Soldaten, nicht wahr? Er hat dir den Kopf verdreht mit seinen schönen Worten und Versprechen! Ich dachte, du bist schon lange genug dabei, um zu wissen, wie das läuft. Aus den Augen, aus dem Sinn. Der vögelt schon längst eine andere und erinnert sich nicht einmal mehr an deinen Namen! Den siehst du nie wieder, und falls doch, hat er bis dahin längst eine ehrbare Frau geheiratet! Was soll einer wie der mit einer Hure?«
Anna hatte nicht übel Lust, Caspar das selbstgefällige Grinsen aus der Visage zu kratzen. Ihre Augen sprühten Funken, aber sie beherrschte sich. Sie wollte nicht, dass er wusste, wie sehr sie seine Worte trafen. Sie drehte sich um und ließ ihn einfach stehen.
»Du solltest dir das überlegen, Anna«, rief er ihr nach. »Wenn du irgendwann zur Besinnung kommst, will ich dich vielleicht auch nicht mehr!«
Anna drehte sich um, ohne stehenzubleiben, und hob mit theatralischer Geste die Hand gegen die Stirn, als sei sie kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.
»Oh, welch überwältigender Verlust das wäre!«
Dann lief sie davon, schloss zu Emilia auf und hakte sich bei ihr unter. Sie war froh, als sie wenige Augenblicke später auf dem Marktplatz ankamen. Es herrschte rege Betriebsamkeit, die Zahl an auswärtigen Händlern hatte deutlich zugenommen. Ein Zeichen, dass der Schnee auf den Reisewegen zumindest so weit schmolz, dass ein Durchkommen wieder möglich war. Anna war erleichtert. Das bedeutete, dass sie bald weiterziehen konnten.
Die Einheimischen grüßten die Gaukler freundlich, manche sprachen sie sogar mit Namen an. Vielleicht würde Anna diese Atmosphäre, das Gefühl, dazu zu gehören, sogar ein wenig vermissen!
Vor dem Rathaus hatte sich eine Menschentraube gebildet. Ein Mann in einer Uniform, die nicht zur Stadtgarde gehörte, war dabei eine Ankündigung dort anzunageln, und die Menschen reckten die Hälse, um zu lesen, was es für Neuigkeiten gab.
Anna packte Emilia bei der Hand und zog sie hinter sich her.
»Komm, ich will wissen, was los ist!«
Die Blonde knurrte unwillig, hätte lieber schon musiziert, aber Anna setzte sich durch und die beiden Mädchen drängelten sich geschickt durch die Gruppe nach vorne. Als sie direkt vor dem Aushang standen, erkannte Anna den Bierbrauer Hartwig. Im Gegensatz zu den Gauklerinnen konnte er lesen.
Neugierig stieß Anna ihn in die Seite.
»Ist etwas passiert?«
Der Brauer wirkte gleichermaßen aufgeregt wie besorgt. »Das kann man so sagen. Der Kaiser hat zum 8. April einen Reichstag in Augsburg angesetzt!«
Anna und Emilia sahen sich an. Der 8. April war nicht mehr lange hin. Sie wussten, was das bedeutete. Niemals würde Silvanus sich einen Reichstag entgehen lassen!