Читать книгу Gewalt des Glaubens Teil 2: Blut für die Kirche - Werner Diefenthal - Страница 17
ОглавлениеUmgebung von Augsburg, Mai 1530
»Was für ein Wahnsinn! Wo kommen nur all diese Leute her?«
Anna wurde es angesichts der Menschenmassen, die mit ihnen zusammen in Richtung Augsburg zogen, immer unbehaglicher zumute.
Seit sie München verlassen hatten, waren sie nicht mehr allein gereist. An jeder Straßenkreuzung kamen mehr Menschen dazu, und mittlerweile waren sie von einem wahren Heer umgeben. Zuerst war Anna fasziniert gewesen. Die Menschen waren so verschieden! Sie sah Bettler, fahrende Händler, fremde Gaukler, Handwerker, die hofften, beim Reichstag in Augsburg Arbeit zu finden, sogar Adelige mit Wachmännern und Gefolge. Einige von ihnen waren mit Silvanus' Gruppe aus München aufgebrochen. Sie hatten sich dort länger aufgehalten als geplant, da sich in der Stadt schnell herumgesprochen hatte, dass sich die Ankunft des Kaisers in Augsburg und damit der Reichstag verschieben würde. Das Geschäft in München war für die Gaukler ausgesprochen gut gewesen! Es waren kaum Händler in der Stadt gewesen, die meisten waren schon nach Augsburg weitergezogen. So hatten sie die Gelegenheit genutzt und sämtliche Waren, die sie aus Steyr mitgebracht hatten, zu Wucherpreisen verkauft und billig neue von den Münchner Krämern einkaufen können. Die Vorstellungen waren jeden Abend ausverkauft. Vor allem ihre Geschichten aus Wien, die man zum Besten gab, waren in der zum Kurfürstentum Bayern gehörenden Stadt mehr als nur beliebt gewesen. Bevor sie weiterzogen, hatte Silvanus in einem Anfall von Großzügigkeit die gesamte Truppe neu einkleiden lassen. Angst vor einem Überfall hatten sie auf dem Weg nicht haben müssen, denn die nächtlichen Zeltlager wurden jeden Tag größer. Letzte Nacht hatten sie in einer regelrechten Zeltstadt geschlafen und sich am Morgen gewaschen, geputzt und die neuen Kleider angezogen. Sie wollten einen gewissen Wohlstand ausstrahlen, wenn sie in der Reichsstadt ankamen, zeigen, dass sie keine heruntergekommenen Gauner waren. Von denen gab es in der Masse, die gen Augsburg zog, wahrlich schon genug! Jetzt, keine Stunde von der Stadt entfernt, ging es mit den Fuhrwerken kaum noch vorwärts. Eine schier endlose Kolonne erstreckte sich von den Toren bis weit ins Hinterland, ein Fuhrwerk hinter dem anderen. Daneben drückten sich Menschen zu Fuß und zu Pferd vorbei, die schneller vorankommen wollten, was den Fuhrleuten deftige Flüche entlockte. Gelegentlich kam es zu Handgreiflichkeiten, die manchmal nur durch das Eingreifen der Soldaten, die Patrouille gingen, beendet werden konnten.
»Ist es das? Augsburg?« Antonia stand schon seit geraumer Zeit neben Anna auf dem Kutschbock und reckte den Hals. Endlich konnte sie vor ihnen etwas entdecken. Anna erhob sich nun ebenfalls, und auch sie konnte Kirchtürme und Dachgiebel erkennen. Erleichtert stieß sie den Atem aus. »Ja. Das ist Augsburg!«
Im selben Moment fiel sie fast vornüber von der Kutsche, weil Silvanus gezwungen war, die Pferde abrupt zum Stehen zu bringen. Der Zug vor ihnen bewegte sich nicht und daran änderte sich minutenlang auch nichts mehr. Unmut breitete sich aus, die Menschen vor ihnen drängelten, schimpften und riefen, aber es ging nicht voran.
»Donnerschlag nochmal«, fluchte Silvanus, um dann zu brüllen: »FRITZ! RUNTER MIT DIR! SCHAU NACH, WAS DA LOS IST!«
Der kleine blonde Fritz, das Kind der Dirne Maria und – wahrscheinlich – dem Puppenspieler Sebastian, sprang von der Kutsche und huschte wie ein Wiesel zwischen Beinen und Hufen der Ansammlung vor ihnen davon. Zufrieden sah Silvanus ihm nach.
»Der taugt was. Das wird mal ein ganz Großer bei uns!«
Anna verzog das Gesicht; das struppige, dürre Kerlchen lief Silvanus nach wie ein Hund und tat klaglos alles, was von ihm verlangt wurde. Fritz war ein äußerst geschickter Taschendieb und so flink, dass die meisten ihn nicht einmal bemerkten. Der Zug bewegte sich gerade wieder schrittchenweise nach vorne, als Fritz wiederkam, eine Brezel in der Hand und vergnügt kauend.
»Die Stadtwachen lassen die Leute nicht durchs Tor hinein«, verkündete er. »Nur Reiche und den Adel. Alle anderen müssen außerhalb der Stadt lagern.«
Silvanus brummte. Er wusste noch nicht recht ob ihm das gefiel. Als die Menschenmassen sich langsam weiter nach vorn schoben, entschied er sich, dass es ihm egal sein konnte. In der Stadt oder außerhalb – es spielte keine Rolle! Bei so unglaublich vielen Menschen würden sie so oder so gute Geschäfte machen. Allein durch Taschendiebstähle konnten sie ein Vermögen verdienen! Nach einer schier endlosen Weile kamen sie endlich am Schwibbogentor an. Die Stadtwachen standen schon vor der Brücke, die über den Stadtgraben führte und sorgten mit den Lanzen im Anschlag dafür, dass niemand einfach durchs Tor spazierte. Ihr Anführer verzog das Gesicht, als Silvanus vor ihm anhielt, den Hut zog und dazu ansetzte, sein übliches Sprüchlein von Wundern und schönen Frauen aufzusagen.
»Spar dir den Atem, Gaukler! Ihr kommt genauso wenig in die Stadt hinein wie die anderen!« Er sah, dass Silvanus' Augen aufblitzten, als er hörte, dass noch mehr Gauklergruppen zur Stadt gekommen waren, und schüttelte eilig den Kopf. »Und dass eins gleich klar ist – es wird keinen Gauklerwettstreit geben! Wir werden euch schon einen Platz zuweisen!«
Silvanus knurrte unwillig. Gauklerwettstreite waren seine Leidenschaft! Sie wurden geführt, wenn mehrere Gauklertrupps zu einer Veranstaltung in dieselbe Stadt kamen, um zu klären, wer den vermeintlich besten Standplatz bekam. Die Wettstreite konnten auf verschiedene Weisen ausgetragen werden, vom Bardenwettkampf bis hin zum Schwertkampf und waren so beliebt, dass die wetteifernden Gauklergruppen meist schon dadurch mehr verdienten als in der gesamten Veranstaltungszeit. Dass ihm das durch die Lappen gehen würde, passte Silvanus gar nicht, aber der Stadtsoldat war nicht zur Diskussion bereit.
»Wie viele Huren habt ihr bei euch?«
»Neun«, knurrte der Anführer ungehalten und nahm von dem Soldaten neun Schleier mit einem grünen Streifen in der Mitte entgegen.
»Die haben die Frauen zu jeder Zeit zu tragen«, wies der Soldat ihn an. »Egal, ob sie gerade auf Freiersuche sind oder nicht.« Dann wies er nach Westen. »Zieht weiter um die Stadt herum bis ihr ans Gögginger Tor kommt. Die Wachen dort werden euch euren Platz zeigen!«