Читать книгу Gewalt des Glaubens Teil 2: Blut für die Kirche - Werner Diefenthal - Страница 16

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Augsburg, März 1530

Von Waldow starrte dem davonstürzenden Max entsetzt hinterher. Er war von ihm einiges gewöhnt, aber eine solche Reaktion hatte er bisher noch nicht erlebt.

Markus, der mit so etwas schon gerechnet hatte, stöhnte kurz auf, sah zu seinem Hauptmann, der ihm leicht zunickte, und eilte hinter seinem Freund her.

»Das hat ja hervorragend geklappt«, murmelte er, während er sich einen Weg durch die zahlreichen Menschen bahnte, die die engen Straßen der Jakobervorstadt verstopften. Es war nicht schwer, seinem Freund zu folgen, denn in seiner Eile hatte er zahlreiche Menschen einfach über den Haufen gerannt, die sich nun wieder aufrappelten, schimpften wie Rohrspatzen und ihre Habseligkeiten wieder einsammelten.

Markus war klar, er musste Max einholen, bevor er in seiner Verzweiflung das Weite suchte. Von Ravensburg hatte dem Hünen, der damals noch Mitglied der Rothenburger Stadtgarde gewesen war, übel mitgespielt. Zunächst hatte er ihn mit Schmeicheleien und geschickter Manipulation dazu gebracht, den Rothenburger Henker auszupeitschen, der sich zuvor geweigert hatte, ein Kind zu foltern. Später, als Markus mit Hilfe von Marie den Henker befreit hatte, war Max für den Großinquisitor der Sündenbock gewesen und nun seinerseits mit der Peitsche bestraft worden. Kurz danach hatte er Markus getroffen. Schon bald waren sie die dicksten Freunde geworden, auch Matthias Wolf hatte ihm verziehen. Max würde, da war sich der junge Soldat sicher, alles tun, um seine Freunde zu schützen, und wenn es ihn selbst das Leben kosten würde.

Mit dem Erscheinen des Mannes, den Max zutiefst fürchtete, hatte sich alles verändert. Markus hatte die Befürchtung, dass sein Freund jetzt auch ihn als Feind ansehen könnte, da er von Ravensburg mitgebracht hatte.

Er sah sich um. Wohin konnte Max gelaufen sein? Mittlerweile war er schon fast wieder an der Stadtmauer angekommen. Die engen, verwinkelten Straßen waren ein unübersichtliches Labyrinth, hierher verirrten sich kaum noch Menschen, und Markus kannte sich nicht aus. Seinen engsten Freund jedoch, den kannte er! Es kam nur ein einziger Ort infrage. Er wandte sich an einen der Soldaten in einer für ihn fremden Uniform.

»Entschuldigt, aber könnt Ihr mir sagen, wo die Pferde untergebracht sind?«

Der Mann sah ihn spöttisch an, grinste und zeigte in die Richtung, in der Markus einen roh zusammengezimmerten Stall erkennen konnte.

»Dort, neben dem Vogeltor.«

Er bedankte sich und eilte zu dem Gebäude.

»Max?«, rief er in das Halbdunkel hinein. »Max, bist du hier?«

»Geh weg! Du nicht mehr Freund!«

»Hör auf mit dem Blödsinn. Lass es mich erklären.«

»Erklären, immer erklären. Macht Max dusselig in Kopf. Hab gesehen bösen Hexenjägermann. Hat sich Max verprügeln lassen! Wollte Henkersmann und Vogtschwester verbrennen. Und Markus bringt Teufel mit!«

Das würde schwierig werden, erkannte Markus. Sein Freund war völlig verwirrt. Langsam näherte er sich der Ecke, in der sich Max zusammengekauert hatte. Er kniete sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Max, komm, es ist alles in Ordnung. Er wird dir nichts tun.«

»Nicht glauben kann Max. Mann böse! Hat Menschen verbrannt! Sieht überall Teufel, dabei ist er einer!«

Der Hüne sah Markus mit tränenverschleiertem Blick an. Markus empfand eine plötzliche Welle des Mitleids für den kindlichen Riesen und legte ihm eine Hand auf die Wange.

»Max, wir sind schon lange Jahre zusammen. Haben alles gemeinsam durchgestanden. Weißt du noch, damals in Bamberg, als wir gerade zu den Soldaten gekommen waren? Als das Pferd durchgegangen ist?«

Max nickte.

»Ja, weiß noch. Damals Hauptemann gesagt, Max soll auf Pferd aufpassen. Hab ich gmacht!«

»Ja, das hast du sehr gut gemacht. Und letztes Jahr, in Wien? Da haben wir aufeinander aufgepasst. Und keinem von uns ist was passiert.«

Max schluchzte.

»Ja, böse Ossemannen. Aber haben aufeinander aufgepasst.«

»Und, was lernst du daraus?«

Max hörte auf zu weinen, sah auf seine riesigen Hände.

»Wenn aufeinander achten, nix passiert.«

»Genau, Max. Ich achte auf dich. Du auf mich. Wir haben einen Auftrag, du weißt, was das ist.«

»Ja!« Max nickte stolz. »Auftrag wie damals von Hauptemann auf Pferd aufpassen.«

»Genau. Und wir müssen auf den Teufelsjäger achten. Nicht auf ihn aufpassen. Wir müssen darauf achten, dass er nicht wieder jemandem was tut. Ihn im Auge behalten. Dafür sorgen, dass er nicht wieder unschuldige Menschen in Gefahr bringt.«

Max sah ihn erstaunt an.

»Dann Teufelsjägermann nicht hier, um Hexen zu suchen?«

»Nein, er ist hier, um …«, verzweifelt suchte Markus nach Worten, um seinem Freund zu erklären, warum von Ravensburg hier war, wobei ihm das allerdings selber nicht ganz klar war.

»… aufzupassen, dass andere nicht Hexen verbrennen?«, vollendete sein Freund den Satz.

»Ja, Max.«

Erleichtert nahm Markus die Erklärung seines Kameraden an. Er verstand zwar nicht, wie der Hüne gerade auf diese Idee kam, aber so musste er ihn nicht anlügen.

»Gut. Aber wenn Teufelsjägermann Markus anfasst, Max ihm den Hals umdreht!«

»Vertraust du mir, Max? Sind wir noch Freunde?«

»Max Markus immer vertraut! Und immer Freund ist!«

Markus stand auf und zog Max auf die Füße, umarmte ihn.

»Ich hab dich schrecklich vermisst.«

Vorsichtig erwiderte der Riese die Umarmung und drückte ihn an sich.

»Max Freund auch vermisst.«

Da erklang ein Fiepen und Max ließ seinen Freund los.

»BANDIT!«, rief er und kniete sich auf den Boden, umarmte den Wolf, der dort saß.

Die Pferde der Kompanie waren an das Tier gewöhnt, sodass sie nicht unruhig geworden waren, als er hereingekommen war. Jetzt schleckte er Max über das ganze Gesicht, der ihm einen Kuss auf die feuchte Nase gab.

»Endlich, Familie wieder zusammen!«, brabbelte er, dann sah er zu Markus hoch. »Aber eine fehlt …«

Bischof Christoph von Stadion sah von dem Schriftstück auf, das ihm Stadtpfleger Georg Vetter überbracht hatte, dann blickte er dem Mann in die Augen.

»Verschoben«, murmelte er.

Der Stadtpfleger nickte.

Neben Hieronymus Imhof war er für die Geschäfte und alle Angelegenheiten der Stadt Augsburg verantwortlich. Gemeinsam führten sie die Amtsgeschäfte, waren jeweils für ein Jahr gewählt worden. Während Imhof als Vertreter der Zünfte sich hauptsächlich um alles kümmerte, was mit Warenverkehr und Zöllen zu tun hatte, oblagen Vetter als Vertreter der Patrizier die Sicherheit und der Schutz der Stadt und ihrer Bewohner.

»Ja, Eure Eminenz. Das macht die Sache nicht besser.«

Der Bischof sah aus dem Fenster, zeigte mit einer Hand nach draußen in die Stadt.

»Dort versammeln sich langsam immer mehr Menschen. Neben all den Vertretern, die sich durch diesen Reichstag Gehör bei Karl verschaffen wollen, tummeln sich dort bereits Händler, die sich Profit erhoffen. Daneben Vertreter der Kirche, hochgestellte Persönlichkeiten werden bald eintreffen, dazu noch allerlei zwielichtige Gestalten. Und, so wie ich das sehe, wird diese Verzögerung dazu führen, dass noch mehr Menschen in die Stadt kommen.« Er machte eine kurze Pause. »Und natürlich auch Lutheraner.«

Vetter seufzte.

»Ja, Eure Eminenz, das ist uns allen bewusst. Die Stadtgarde ist bereits am Rande der Erschöpfung. Auch die zusätzlich eingetroffenen Kräfte reichen bei Weitem nicht mehr aus. Erst letzte Nacht mussten mehrere Menschen eingekerkert werden. Und überall die Dirnen …«

Der Bischof fiel ihm ins Wort.

»Davon will ich nichts hören.« Er setzte sich an seinen Schreibtisch. »Aber, wie ich hörte, gibt es weitere Unterstützung.«

»Weitere Unterstützung?«, echote der Stadtpfleger.

»Ja. Es ist ein Mann eingetroffen, der uns helfen kann und wohl auch wird. Ferdinand von Ravensburg.«

Vetter erbleichte.

»Ferdinand …«, ächzte er. »Warum weiß ich nichts davon?«

»Ich habe es Stadtpfleger Imhof mitgeteilt, er hat ihn heute in Augsburg empfangen. Hat er Euch nicht unterrichtet?«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf.

»Ich habe Hieronymus seit drei Tagen nicht gesprochen, es war zu viel zu tun. Aber warum ausgerechnet von Ravensburg?« Wie vielen im Reich war auch Georg Vetter der Name mehr als nur bekannt, galt von Ravensburg doch als einer der unbarmherzigsten Inquisitoren, die man jemals erlebt hatte. »Ich habe gehört, er wäre in Ungnade gefallen und in ein Kloster gebracht worden.«

Der Bischof hob die Arme.

»Nun, wie es scheint, hat er sich rehabilitiert. Und in Zeiten wie diesen brauchen wir jeden Mann, der uns beim Kampf unterstützt.«

Vetter war bestürzt, wanderte hin und her.

»Vor vier Jahren soll er in Rothenburg gewütet haben. Es ist die Rede von vielen Toten, von Irrsinn.« Er blieb stehen, sah von Stadion in die Augen. »Heißt das, wir müssen uns zusätzlich auf Hexenprozesse einstellen? Wie soll uns das helfen?«

»Oh, Ihr verkennt die Lage. Aber das liegt, vermute ich, daran, dass Ihr nicht alles wisst. Ich werde Euch ins Bild setzen. Von Ravensburg gilt immer noch, trotz so mancher Kritik, als der Experte schlechthin, wenn es darum geht, Dämonen oder Ketzer oder auch Menschen, die unter dem Einfluss des Bösen stehen, zu erkennen. Und genau das ist seine Funktion. Er wird weder die Gerichtsbarkeit innehaben noch Prozesse führen. Doch auch Ihr werdet eingestehen müssen, dass eine solche Flut an Menschen«, er wies wieder aus dem Fenster, »auch das Böse anzieht. Und hinter manch scheinbar profanem Verbrechen kann jederzeit der Antichrist stecken. In jeder Dirne kann ein Dämon wohnen.«

»Eure Eminenz, seid Ihr sicher, dass es nicht wieder zu … Pogromen kommt? Von Ravensburg hat den Ruf, nicht zimperlich zu sein.«

»In der Tat, das ist er nicht, und das ist genau das, was wir brauchen. Dennoch, um Euch zu beruhigen, der Bischof von Würzburg hat Vorkehrungen getroffen. Er wird selber keine Urteile alleine fällen. Er wird Empfehlungen aussprechen, er wird bei Verhören anwesend sein, aber nicht alleine. Ihm werden zwei Beisitzer zur Seite stehen, einer aus der Kurie, einer vertritt den weltlichen Arm. Sie werden ihn beobachten und über ihn Bericht erstatten. Seid also unbesorgt.« Er rieb sich die Augen. »Ich gebe zu, mir ist selber auch nicht ganz wohl, doch wir müssen uns der Wahrheit stellen.« Dieser Satz diente einzig und allein dazu, Vetter zu beruhigen. Er sollte das Gefühl haben, dass von Stadion ihn verstand und auch seine Bedenken teilte. »Stellt Euch vor, was geschieht, wenn sich während des Reichstages herausstellt, dass wir Dämonen oder Teufel in der Stadt beherbergen und im Vorfeld nichts dagegen getan haben.«

Vetter nickte.

»Ich verstehe, Eure Eminenz. Und gewiss habt Ihr Recht. Die Sicherheit der Gläubigen geht vor. Nun denn, dann lasst uns in den sauren Apfel beißen. Ich werde sehen, ob ich die Wachmannschaften verstärken kann. Zusätzlich werde ich dafür sorgen, dass ab sofort nur noch Personen in die Stadt gelangen, deren Leumund einwandfrei ist. Alle anderen werden in Zelten vor den Toren untergebracht, vor allen Dingen die Händler und Gaukler.«

»Da werden Eure Männer an den Toren aber viel Arbeit haben«, warf der Bischof ein.

»Das werden sie, aber dort haben wir die Kontrolle über die Menschen, die hindurch wollen.«

»Nun, dann gehet hin und tut Euer Werk mit Gottes Segen«, beendete von Stadion das Gespräch.

Als der Stadtpfleger gegangen war, rief er einen seiner Sekretäre zu sich.

»Ich möchte, dass Ihr in die Jakobervorstadt geht und mir Ferdinand von Ravensburg bringt. Seid höflich und richtet ihm aus, es tue mir Leid, dass er warten musste, aber ich hätte nun Zeit für ihn.«

Der Sekretär verbeugte sich und begab sich auf den Weg, um den Inquisitor zu holen.

Der hatte inzwischen sein Quartier in einem der Patrizierhäuser bezogen. Strenggläubige Menschen, wie er schnell hatte feststellen können, die ihn förmlich anhimmelten. Das gefiel ihm.

Sein Zimmer war recht einfach, aber gegen die Zelle, in der er in Antonigartzem gewohnt hatte, ein Palast. Von Ravensburg hatte jedoch für solchen Luxus kein Auge. Er liebte das Einfache, die Schlichtheit. Ein weiches Bett war für ihn nicht wichtig, ein Strohlager reichte ihm.

Er zog sich aus und legte sich bäuchlings auf den nackten Fußboden, die Arme weit zur Seite gestreckt. Die Augen geschlossen sinnierte er darüber, was vor einer knappen Stunde geschehen war.

»Max«, murmelte er.

Er hatte den Hünen natürlich sofort erkannt. Und da war ihm klar geworden, wer der blonde Soldat mit dem Wolf war. Das musste der frühere Lehrjunge des Henkers von Rothenburg gewesen sein. Er hatte ihn seinerzeit nur kurz gesehen, als er in die Stadt eingezogen war. Von Ravensburg war allerdings intelligent genug, um alles in die richtige Ordnung zu bringen.

Max, der Wolf, der ihn angeknurrt hatte, der Soldat, in dessen Augen er so etwas wie Abscheu, aber auch Angst, gelesen hatte. Wenn er nun die Ereignisse, die sich vor vier Jahren in Rothenburg zugetragen hatten, mit einbezog, ergab alles ein Bild.

»So sieht man sich wieder«, murmelte er.

Er musste sich überlegen, wie er weiter vorgehen konnte. Immerhin war der Bursche der ehemalige Lehrjunge eines Mannes, den er hatte verbrennen wollen. Außerdem war dessen Frau der Hexerei bezichtigt worden. Diese Problematik galt es zu berücksichtigen und von Ravensburg musste alles sorgfältig abwägen.

Er richtete sich auf, kniete sich hin und konnte endlich das tun, was ihm während seiner gesamten Reise nach Augsburg verwehrt geblieben war. Er nahm die Lederschnüre, die er zusammengebunden hatte und hieb sie sich abwechselnd über die rechte, dann über die linke Schulter auf den Rücken. Der Schmerz durchzuckte ihn, doch er spürte dabei eher süße Lust und schlug kräftiger zu, um sie wieder zu vertreiben. Mit jedem Schlag, begleitet von Gebeten, spürte er, wie die Kraft in ihn zurückkehrte. Das Blut tropfte auf den Boden und er schlug stärker zu. Das Leder klatschte immer wieder auf die Haut, brach die Narben auf, die er in all den Jahren angesammelt hatte.

Mit geschlossenen Augen gab er sich der Qual hin, die ihn daran erinnern sollte, dass auch er ein Sterblicher war und die all jene Gedanken aus ihm vertreiben sollte, die ihn des Nachts heimsuchten. Gedanken an einen Menschen, den er vor Jahren auf den Scheiterhaufen geschickt hatte.

Gewalt des Glaubens Teil 2: Blut für die Kirche

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