Читать книгу Rollen- und Verhaltensprofile: Konflikte konstruktiv lösen - Werner Fleischer - Страница 10
3 Theoretische Grundlagen des Führens mit Verhaltensprofilen 3.1 Erfolgreiche Gesprächsführung als Anpassungsleistung
ОглавлениеErfolgreiche Gespräche sind das Ergebnis einer Anpassungsleistung an den Verhaltensstil des Gegenübers. Das beginnt bereits mit einer entsprechenden Gesprächsatmosphäre, der Umgebung, in der das Gespräch stattfindet, sowie dem gesamten Rahmen.
Wenn eine Leitungskraft eine Pflegekraft zum Gespräch bittet oder zitiert, fühlt der oder die Gerufene unter Umständen Stress: »Was will meine Leitung von mir? Habe ich einen Fehler gemacht? Hoffentlich droht keine Veränderung! Bekomme ich jetzt noch mehr Arbeit?«
Das alles und noch viel mehr könnte dem Mitarbeitenden durch den Kopf gehen, gerade, wenn das Gespräch unerwartet kommt. Je nach Verhaltensprofil und Grundbeziehung ist der Stresslevel größer oder geringer. Die Leistung der Führungskraft sollte jetzt darin bestehen – unter Aufrechterhaltung der eigenen Werte, der angestrebten Ziele und Standards –, sich dem Verhaltensstil der Mitarbeitenden anzupassen und so den Stresslevel zu senken. Denn bleibt das Stressgefühl hoch, verharren die Mitarbeitenden unter Umständen in einer Abwehrzone, hören nicht zu, fühlen sich unwohl und könnten das Gespräch als Belastung empfinden. In der Komfortzone werden sie das Gespräch und die Inhalte dagegen als eher angenehm empfinden und sich mit den Botschaften und Ideen der Inhalte konstruktiv auseinandersetzen können.
Die Führungskraft tut daher gut daran, sich vorab mit dem Verhaltensprofil des Gegenübers auseinanderzusetzen: Spricht die Person eher laut oder leise, agiert sie schnell oder langsam, gibt sie sich offen und locker oder ist sie eher zurückhaltend und vorsichtig? Ist sie mehr an der Sache oder am Miteinander interessiert? Hinterfragt sie kritisch oder verhält sie sich eher annehmend und akzeptierend?
Darauf ausgerichtet werden die Anliegen und zentralen Aussagen des Gesprächs abgestimmt: Besser kurz, knapp und präzise oder eher ausführlicher, in ruhiger und möglichst angenehmer Atmosphäre mit etwas Smalltalk zu Beginn? Eine Einschätzung des Gegenübers im Hinblick auf das jeweilige Verhaltensprofil kann in der Vorbereitung sehr hilfreich sein. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass bei Gesprächen mit selbem Inhalt über mehrere Mitarbeitenden hinweg die Kernbotschaften natürlich die gleichen sein müssen. Was sich jedoch ändert, ist die Art und Weise, wie sie verpackt und kommuniziert werden.
Um ein anderes Bild zu verwenden: Führungskraft und Mitarbeitende verhalten sich im Gespräch wie zwei Pendel, die mit unterschiedlich starker Schwingung, Energie und Tempo in das Gespräch einsteigen. Ziel der Führungskraft sollte es dabei sein, die Gesprächsführung auf das Schwingungsniveau des Gegenübers anzupassen, sodass sich beide Pendel im Laufe des Gesprächs aufeinander einstellen und das gleiche Schwingungsniveau erreichen, damit beide am Ende im Gleichklang miteinander schwingen. Passiert dies nicht, kann sich ein eher stetiger, nachdenklicher, bewusst abwägender Typ von einer schnellen, dynamischen Führungskraft, die auf Entscheidungen drängt, überrollt fühlen, während sich initiative und lebhafte Mitarbeitende, die Wert auf Begeisterung, Zusammenarbeit, Intuition und das große Ganze legen, von einer detailverliebten, rein faktentorientierten, eher unterkühlten und kritischen Führungskraft in die Ecke getrieben fühlen.
Durch diese Anpassungsleistung fühlt sich das Gegenüber wohl und befinden sich bestenfalls in einer emotionellen Komfortzone, in der der Stresspegel abfällt und die Anspannung gesenkt und gleichzeitig die Zufriedenheit im besten Falle maximiert werden können. Auch die Sitzordnung kann dafür sorgen, Gesprächskomfortzonen und damit ein zugewandtes Gegenüber zu schaffen. Je nachdem, um welche Art von Gespräch es sich handelt, macht allein die Anordnung der Stühle deutlich, wie ernst eine Situation ist. Eine bestimmte Sitzweise kann ein kollegiales Miteinander oder ein klares hierarchisches Gefälle betonen. So sorgt ein runder Tisch in der Regel für mehr Wohlgefühl als ein eckiger. Wer zu zweit sitzt, schafft mit einer Übereck-Anordnung mehr Nähe als mit dem sachlichen, aber distanzierterem vis-à-vis. Je entspannter, angepasster und abgestimmter die Atmosphäre, desto größer die Aussicht auf Erfolg. Wer es gern klar strukturiert mag, braucht keine übermäßige Kuschelatmosphäre. Manche Menschen dagegen benötigen eine Aufwärmphase und lieben es, Gespräche mit – gern auch privatem – Smalltalk zu beginnen. Wieder andere brauchen Zahlen, Daten und Fakten bis in kleinste Details, um sich sicher zu fühlen. Diese Bedürfnisse zu bedienen, sich darauf einzustellen, vorzubereiten und im Gespräch darauf einzuschwingen, bedeutet, dem Verhaltensstil des Gegenübers gerecht zu werden. Die Führungskraft sollte in der Lage sein, ihre Mitarbeitenden dahingehend einzuschätzen.
Abb. 1: Erfolgreiche Gespräche führen
Gerade wenn der oder die Mitarbeitende keine Zeit hatte, sich auf ein Gespräch vorzubereiten, kann es hilfreich sein, vor Beginn des Gesprächs Ängsten und Sorgen den Wind aus den Segeln zu nehmen: man sagt offen, dass man auf einen konstruktiven Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden Wert legt und es ganz normal ist, dass Themen gemeinsam besprochen werden. Kritik darf keine Bedrohung oder Abwertung darstellen, sondern unterstützt beispielsweise eine strukturiertere Zusammenarbeit und die Verbesserung der Prozesse. Das alles ist zu Beginn einer Gesprächseinladung förderlicher als ein schnelles »Kommst du mal, wir müssen reden«, um anschließend mit der »Tür ins Haus« zu fallen.
• Bei eigener geringer Anpassungsleistung und hohem Stresslevel beim Gegenüber befindet sich der oder die Gesprächspartner*in in der sogenannten Problemzone. Etwaige Differenzen und Konflikte treten offen zutage. Er bzw. sie reagiert abwehrend und abweisend. Es kann laut und emotional werden. Für rationale Argumente ist kaum noch Platz oder ein Durchkommen. Eine konstruktive Lösung gerät vollständig aus dem Fokus.
• Bei geringer Anpassungsleistung der Führungskraft und einem gewissen Stressempfinden bei dem oder der Mitarbeitenden befindet sich diese*r eher in der Diskomfortzone. Er oder sie ist verunsichert, macht sich Sorgen, weiß nicht, was ihn oder sie erwartet. Spannungen brodeln vielleicht unter der Oberfläche, an eine konstruktive Lösung wird eher nicht gedacht.
• Bei mäßiger Anpassungsleistung und Absenkung des Stresses, den das Gegenüber empfindet, erreicht das Gegenüber die neutrale Zone. Hier ist das Verhalten eher abwartend.
• Erst wenn die Anpassungsleistung durch die Führungskraft maximiert wird und Stress und Ängste des Gegenübers in hohem Maße aufgefangen werden können, fühlt sich der oder die Gesprächspartner*in wohl. Erst dann befindet er oder sie sich in der Komfortzone – das Gespräch ist angenehm und führt zu dem gewünschten Ergebnis.
Allen Bemühungen zum Trotz kann es zu Situationen und Konflikten kommen, für die es einfach keine Lösung gibt. Führungskräfte müssen lernen zu erkennen, wann Schluss ist. Ist das Ende erreicht und keine Einigung in Sicht, helfen zunächst weitere Gespräche, später das Hinzuziehen von Dritten, z. B. von nächsthöheren Vorgesetzten. Wenn nichts mehr geht, kann eine Mediation versucht werden oder im äußersten Fall eine Trennung oder eventuell sogar eine gerichtliche Lösung.
Senken Sie den Stresslevel Ihres bzw. Ihrer Gesprächspartner*in, indem Sie ihn oder sie dort abholen, wo er bzw. sie steht. Halten Sie dennoch Ihre Ziele, Standards und Werte stets aufrecht. Sie können beispielsweise einem Mitarbeitenden zugestehen, sich einen neuen Pflegestandard in Etappen zu erarbeiten, machen Sie aber immer klar, was der Anspruch Ihrerseits an seine/ihre Arbeit ist, der langfristig erreicht werden soll. Auch hier gilt es, Führungsprinzipien, Führungskreislauf und Reifegrade zu berücksichtigen (siehe Band 1, Fleischer et al. 2020).