Читать книгу Rollen- und Verhaltensprofile: Konflikte konstruktiv lösen - Werner Fleischer - Страница 11
3.2 Das Johari-Fenster aus der Perspektive der Verhaltensprofile
ОглавлениеEin bedeutender Aspekt in Bezug auf Verhaltensprofile ist das Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung einer Person. Das Modell des Johari-Fensters (siehe auch Band 2), 1955 entwickelt von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham, veranschaulicht deutlich die Selbst- und Fremdwahrnehmung bekannter und unbekannter Eigenschaften und Verhaltensmerkmale und lässt sich in seiner Ausgestaltung auf unterschiedliche soziale Rollen einer Person im Alltag übertragen.
Der Begriff »Rolle« ist abgeleitet vom altgriechischen Schauspiel, in dem ein Akteur ein von Thema und Inhalt vorgeschriebenes Verhalten zeigt. In der Sozialpsychologie wird unter Rolle die Summe erwarteter Verhaltensweisen verstanden, die an den Inhaber einer bestimmten sozialen Position gerichtet sind. In erster Linie wird in sozialen Systemen die Rolle anhand des Berufs bzw. der ausgeübten Tätigkeiten festgelegt (Nerdinger, 2013).
Das Johari-Modell kann auch genutzt werden, um die Selbstmit der Fremdwahrnehmung abzugleichen, Zusammenhänge zu erkennen und Ausgangspunkt zur Reflexion über die eigene Außenwirkung zu sein.
Abb. 2: Das Johari-Fenster: Wissen um meine Verhaltensweisen
Das Johari-Fenster ist ein in vier Teile gegliedertes Quadrat und setzt die ihr bewussten und unbewussten Eigenschaften und Verhaltensmerkmale einer Person ins Verhältnis zur Fremdwahrnehmung dieser Merkmale durch andere. Die vier Bereiche stehen für:
• Die Arena: Der öffentliche Bereich, unser »Schaufenster«. Diese Verhaltensmuster sind uns und anderen bekannt, wir fühlen uns sicher, senden diese Merkmale bewusst aus und geben sie in sozialen Situationen ein. Beispiel: Einer Führungskraft ist Genauigkeit eine hohe Priorität. Der Mensch selbst und alle Kolleg*innen wissen um diese Eigenart und haben gelernt, damit umzugehen und diese Priorität zu bedienen.
• Die Maske: Der geheime Bereich. Verhaltensmerkmale, die andere nicht kennen und die bewusst privat und verborgen gehalten werden. Beispiel: Unerträgliches Lampenfieber vor großen Herausforderungen, das man zu überspielen versucht, wie beispielsweise in einem Bewerbungsgespräch.
• Nicht ausgeschöpfte Potenziale: Diese Bereiche sind weder mir noch anderen bekannt. Beispiel: »Wenn wir uns austauschen, könnten wir miteinander entdecken, was wir noch gemeinsam bewegen könnten.«
• Der blinde Fleck: Andere wissen etwas über mich, was mir selbst unbekannt bzw. nicht bewusst ist. Beispiel: ich habe in bestimmten Gesprächssituationen eine überaus dominante Art. Dieses Verhalten ist mir nicht bewusst, aber wirkt auf andere einschüchternd.
Auch wenn Themen wie Selbstreflexion und Selbsterkenntnis für das Gelingen in Teams, Systemen oder gar gesellschaftlichen Ebenen ohne Frage eine hohe Bedeutung zukommt, ist es schwer bis unmöglich, alles über sich selbst zu wissen, seine Verhaltensweisen oder die Wirkung auf andere zu kennen. Viele Verhaltensmuster laufen unbewusst und in Routinen ab, liegen also unter der Wahrnehmungsschwelle. Daher kann es für eine gelungene Kommunikation hilfreich sein, diese Lücken ein Stück weit zu schließen. Bei der Betrachtung der eigenen Person über ein Verhaltensprofil ist es möglich, den Blick auf sich selbst mithilfe eines objektivierten Selbstbildes zu schärfen und insbesondere den eigenen blinden Fleck zu minimieren, also die Verhaltensweisen, die andere durchaus wahrnehmen, das eigene Ich aber nicht wahrnimmt bzw. nicht sehen will. Gerade als Führungskraft ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen blinden Fleck enorm wichtig, da sie sich selbst mit unbewussten Verhaltensweisen mühsam erarbeitetes Vertrauen und Bindung durch Unachtsamkeit wieder einreißen kann.
Durch Übungen, Gespräche und Feedbackrunden kann das Johari-Fenster genutzt werden, um die Zusammenarbeit einer Gruppe zu erleichtern und das Verständnis für sich und andere zu erhöhen. Im Grunde geht es darum, die individuellen Größenverhältnisse zu verändern. Denn auch wer seinen blinden Fleck beleuchtet, indem er andere um Feedback bittet, und diesen dadurch kennenlernt, verkleinert ihn. Das kann Auswirkungen haben auf Arena und Maske – so es gewollt ist. Erfährt die im oberen Beispiel genannte Person von Dritten, dass ihre dominante Art andere einschüchtert und hemmt, kann sie mit einer entsprechenden Motivation dieses Verhalten bewusst ändern und dadurch beispielsweise die Offenheit der Gruppe erhöhen. Dazu muss allerdings jemand zunächst auch die Zivilcourage an den Tag legen, dieses Thema mit der betroffenen Person unter vier Augen anzusprechen.
Natürlich ist es nie einfach, sich der Kritik anderer auszusetzen. Aber eine Veränderung der Verhaltensmuster bedeutet zwangsläufig, sich diesen Situationen stellen zu müssen, um daraus zu lernen. Bitten Sie regelmäßig Freunde oder Kolleg*innen, denen Sie vertrauen, zu Feedbackrunden, die erläutern, wie Sie auf andere wirken. Hier kann auch die Hilfe eines professionellen Coachs nützlich sein. Vertrauen Sie auf sich. Niemand wird als Leitungskraft geboren. Es ist ein Prozess, der Sie wachsen lässt, wenn Sie an sich arbeiten.
Um ein Gefühl für das eigene Johari-Fenster im eigenen Verantwortungsbereich zu bekommen, kann es hilfreich sein, dieses für sich zu visualisieren. Nehmen Sie dazu ein Blatt Papier und zeichnen Sie Ihr Fenster als festes Quadrat und die entsprechenden Quadranten in den Größenverhältnissen ein, wie Sie sie bei sich selbst einschätzen. Natürlich unterliegt die Fremdwahrnehmung nur Ihrer Mutmaßung, aber zumindest über Arena und Maske können Sie im Hinblick auf Ihre Selbstwahrnehmung deutliche Aussagen treffen. Davon ausgehend lassen sich vielleicht auch erste Rückschlüsse auf die anderen Quadranten ziehen. Holen Sie sich anschließend Feedback ein; am besten von allen Seiten (360-Grad-Feedback), das heißt von der eigenen Führungskraft, von Kolleg*innen und von Mitarbeitenden, zu denen Sie eine enge Bindung und Vertrauen haben.