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1 Einleitung

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»Der liebe Gott hat einen großen Garten und da gibt es auch seltsame Lebewesen.«

(frei nach einem hessischen Sprichwort)

Es gab schon immer die Sehnsucht im Menschen, andere zu analysieren und dadurch besser zu verstehen. Das Einschätzen anderer Lebewesen ist ein uralter Instinkt, der die Menschen seit jeher begleitet. Schon in der Urzeit war es (überlebens-)wichtig, eine Gefahr möglichst schnell und präzise einzuschätzen und zu entscheiden: Feind oder Freund? Bereits der Urmensch konnte beim Anblick eines bewaffneten Kriegers oder eines bedrohlichen Tieres in Bruchteilen von Sekunden instinktiv beurteilen, ob Gefahr drohte und Flucht, Angriff oder Erstarren unter Umständen das eigene Leben retten könnte. Und auch, wenn es als Führungskraft heute keines solchen martialischen Vorgehens mehr bedarf, ist es entscheidend, sich mit den Menschen auseinanderzusetzen, die einem anvertraut sind bzw. im Klinikalltag begegnen.

Im ersten Band dieser Reihe sprachen wir bereits über das Modell der Reifegerade. Hierbei wird – vereinfacht formuliert – der Zusammenhang zwischen Kompetenz (Wissen und Erfahrung) und Engagement (Motivation und Selbstvertrauen) hergestellt, denen wiederum mit bestimmten Ausprägungen von kooperativem und direktivem Führungsverhalten begegnet wird. Das allerdings ist eine eher zweidimensionale Betrachtung. Was fehlt, sind das Wesen, das Temperament und der Charakter, die sich auch über das individuelle Verhalten ausdrücken, die jeden Menschen einzigartig machen und die in sozialen Situationen auf die Persönlichkeit des Gegenübers treffen.

Menschen sind viel zu komplex für eine zweidimensionale Betrachtung. Wer als pflegerische Führungskraft neue Auszubildende in der eigenen Station begrüßt, stellt fest: Viele von ihnen sind »begeisterte Anfänger*innen« bezogen auf spezifische Aufgaben (siehe Band 1, Fleischer 2020). Sie sind zwar unerfahren, aber interessiert, motiviert und enthusiastisch. Alles ist neu und spannend. Dennoch unterscheiden sich die Menschen: Manche sind detailverliebt, andere sprudeln über vor Ideen und Visionen, die dritten sind eher zurückhaltend und streben nach einem harmonischen Umfeld, andere wiederum übernehmen sofort das Ruder und sehen sich schon früh in anführenden Rollen. Auch wenn sie alle eint, neu im Job zu sein, ist jede*r Einzelne unterschiedlich in Verhalten, den Bedürfnissen, Ansprüchen und Prioritäten.

Für die Führungskraft ist es nun wichtig zu differenzieren, welches individuelle Verhaltensprofil hinter jedem einzelnen Menschen steckt. Wer versteht, wie das Gegenüber tickt, kann die Zusammenarbeit effektiver gestalten. Eine Führungskraft kann die Mitarbeitenden dort abholen, wo sie stehen, und ihnen das geben, was sie brauchen. Das bedeutet im Alltag weniger Stress, da Konflikte umschifft oder, im Fall der Fälle, besser gelöst werden können. Proaktiv können Konflikte sogar vermieden werden, da die Führungskraft das Konfliktpotenzial kennt und es so bereits im Vorfeld minimieren kann, sodass es gar nicht erst zu Spannungen kommen muss.

Wer in die Gesprächsführung geht, erleichtert sich die Kommunikation, wenn er oder sie sich vorbereitet. Wer sitzt mir gegenüber? Wie steht es um Erfahrung, Motivation, Wissen, Selbstvertrauen? Was ist das für ein Typ? Was zeichnet ihn oder sie menschlich aus, jenseits aller beruflicher Kompetenz? Ist er oder sie dominant, schnell, entscheidungsfreudig? Oder doch eher zurückhaltend, vorsichtig, überlegt? Nimmt sich die Person gerne viel Zeit? Oder ist das augenscheinliche Verhalten eher geprägt von Schnelligkeit und intuitivem Vorgehen? Was braucht der oder die andere, um sich wohl, verstanden und angenommen zu fühlen und sich dann leistungsfähig und -bereit geben.

Das alles sind Punkte, die es zu berücksichtigen gilt. Es hilft, die zu vermittelnden Botschaften für die jeweiligen Verhaltensprofile entsprechend zu verpacken – auch wenn die Inhalte für alle Mitarbeitenden gleich sind. Eine Differenzierung, abgestimmt auf die Verhaltensprofile, kann in allen Lebenslagen von Nutzen sein: In der strategischen Vorbereitung, im täglichen Umgang, bei Konflikten und der Gesprächsführung sind sie ein wertvoller Schatz.

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Botschaft, die für alle Mitarbeitenden gilt – verpacken sie allerdings in ganz unterschiedliche Päckchen, angepasst an die Verhaltensprofile des Gegenübers. So braucht ein dominanter Mensch eine deutlich andere Informationsübermittlung als ein stetiger Typ; eine initiative Person ist begeisterungsfähiger als beispielsweise jemand mit einer sachlichen Prägung. Jede*r bekommt die gleiche Botschaft, allerdings so angepasst, dass das Verhaltensprofil berücksichtigt und dadurch die Kommunikation deutlich vereinfacht wird, sodass die Botschaft genau so ankommt, wie es gewünscht und nötig ist.

Auf den folgenden Seiten werden Sie DISC kennenlernen. DISC steht für (D)ominance, (I)nfluence, (S)teadiness and (C)onscientiousness oder auf Deutsch: Dominant, Initiativ, Stetig, Gewissenhaft, und ist ein einfaches Modell, das Menschen bereits seit mehr als dreißig Jahren hilft, sich selbst und andere besser zu verstehen. Das wiederum verbessert deutlich die Zusammenarbeit, die Kommunikation und das grundsätzliche Miteinander.

Für die Führungsposition ist es wichtig, zu differenzieren, welches Verhaltensprofil hinter jedem einzelnen Menschen steckt. Doch davor steht die Selbsterkenntnis. »Erkenne Dich selbst« ist eine von drei apollonischen Weisheiten aus dem antiken Heiligtum von Delphi. Der Philosoph Sokrates (469–399 v. Chr.) entwickelte daraus das Prinzip der Selbsterkenntnis als Vorbedingung philosophischer Erkenntnis und Weisheit. Denn: Der Weg zum anderen geht über einen selbst. Und um zu verstehen, wie andere (re-)agieren und handeln, sollte man zunächst auch verstehen, welche Verhaltensmuster man selbst an den Tag legt, die man dann auch – bewusst und unbewusst – in soziale Situationen einbringt und mit denen man wiederum ein bestimmtes Verhalten vom Gegenüber auslösen kann.

Mit DISC bekommen Sie ein gutes Hilfsmittel an die Hand, um nicht nur mehr über sich selbst zu erfahren, sondern auch über die Menschen, mit denen Sie sich täglich umgeben. Wir koppeln die Theorie eng an die Praxis und geben Tipps und Hilfestellungen bei der Analyse der unterschiedlichen Verhaltensprofile. Sie erfahren mit praktischen Alltagsbeispielen, wie Sie sich mit dem Einsatz von DISC die Arbeit sehr viel leichter machen können; nachvollziehbar, einsetzbar, realitätsnah.

Ganz wichtig: Sicherlich lassen sich auch mit DISC nicht alle Probleme lösen oder alle Fragen des Alltags beantworten. Aber es ist ein weiteres Mittel, das Ihnen als Führungskraft helfen wird, Ihren »Werkzeugkasten« zu erweitern. Durch den hohen Praxisbezug zeigen wir, dass DISC anwendbar und viel mehr ist als langweilige Theorie zwischen zwei Buchdeckeln. Sie können lernen, DISC geradezu spielerisch in Ihren Arbeitslalltag zu integrieren – vor allem dann, wenn es schwierig wird.

Der österreichisch-britische Philosoph Karl Raimund Popper (1902–1994) formulierte es sinngemäß so: Theorie ist ein Netz, das ich über die Welt werfe, um die Wirklichkeit zu begreifen. Ähnlich verhält es sich mit DISC:

Es deckt nicht alles ab, macht das Leben aber in vielen Situationen einfacher.

Rollen- und Verhaltensprofile: Konflikte konstruktiv lösen

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