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2 DISC-Verhaltensprofile – Ein Kompass zur Verhaltensnavigation

Fragen Sie sich auch manchmal, warum die Zusammenarbeit mit manchen Menschen reibungslos klappt und mit anderen nie? Warum Sie eher die Meinung der Kollegin Y akzeptieren als die Aussagen von Kollege Z? Warum Sie sich von dem einen Menschen verstanden fühlen; und von dem anderen nicht? Der Grund dafür könnte in den ganz unterschiedlichen Verhaltensstilen liegen und den damit verbundenen Prioritäten, Vorlieben, Ablehnungen, dem allgemeinen Lebenstempo und den ganz persönlichen Bedürfnissen.

Denn wer die eigenen Bedürfnisse kennt und die Bedürfnisse anderer besser erkennt, schafft es leichter, die Mitmenschen zu positiverem und konstruktiverem Verhalten zu motivieren.

DISC zeigt auf, welche Prioritäten und Bedürfnisse (Motive) die vier Verhaltensdimensionen antreiben, und hilft, die Mitarbeitenden zu erkennen und am Ende zu verstehen, warum manche Menschen auf den ersten Blick wunderbar zueinander passen und es bei anderen scheinbar ständig kracht oder sie sich im gegenseitigen Desinteresse am liebsten aus dem Weg gehen. Damit stellt es einen Kompass zur Verhaltensnavigation dar.

Die Basis aller Erkenntnisse ist: Keines der beschriebenen Merkmale ist besser oder schlechter und niemand trägt ausschließlich die Züge eines einzigen Merkmals in sich. Es gibt unterschiedlichste Ausprägungen und Möglichkeiten der Mischung. Bevor wir ins Detail gehen, daher einige grundsätzliche Gedanken:

• Alle Stile, Prioritäten und Bedürfnisse sind gleichermaßen wertvoll.

• Menschen und ihre Arbeitsstile werden auch von Faktoren wie Lebenserfahrung, Werdegang, Sozialisation, kultureller Prägung und persönlicher Reife beeinflusst.

• Wer sich selbst besser versteht, kann auch andere besser verstehen und deshalb auch besser mit ihnen zusammenarbeiten.

• DISC hilft zu erkennen, wo es Schnittmengen zu anderen gibt und wo die größten Unterschiede liegen.

• Mit Hilfe von DISC können bessere Beziehungen aufgebaut, die Arbeitsleistung erhöht und die Zusammenarbeit effektiver gestaltet werden.

• Prioritäten und Vorlieben anderer können analysiert werden.

• Die Art der Kommunikation wird verbessert, wenn klar ist, was das Gegenüber braucht, um sich wohler zu fühlen.

Im Kontext von DISC wird in diesem Buch konstant von Verhalten, Verhaltensstilen, Verhaltensmustern und Verhaltensprofilen gesprochen und nicht von Persönlichkeit oder Charakter. Das hat den bereits genannten Grund, dass wir es uns, gerade im Kontext von Arbeit und Arbeitswelt, nicht anmaßen wollen und können, mit einem einzigen psychologischen Profil die gesamte Komplexität einer menschlichen Persönlichkeit zu beschreiben bzw. zu erklären. Das, worauf wir als Führungskräfte aber Einfluss nehmen können, sollen und dürfen, ist das Verhalten einer Person.

Persönlichkeit ist ein langfristig sehr stabiles und robustes Konstrukt. Gerade als Führungskräfte können und wollen wir auch gar dafür verantwortlich sein, die Persönlichkeit der Mitarbeitenden zu verändern bzw. zu verlangen, dass jemand die eigene Persönlichkeit von Grund auf verändert. In einem bestimmten Rahmen bedeutet das auch, die Größe zu haben, Eigenarten und »Macken« unserer Kolleg*innen und Mitarbeitenden zu akzeptieren, sofern sie nicht den Arbeitsablauf und das Teamgefüge stören, andere verletzen oder jemanden selbst in der eigenen Entwicklung und täglichen Arbeit behindern.

Verhalten hingegen ist variabel, beeinflussbar, steuerbar und beobachtbar. Man kann es mit einem Handschuh vergleichen, in den man hineinschlüpft – der Handschuh folgt den Bewegungen unserer Finger. Wir sind nicht unser Verhalten, sondern wir steuern es. Und auf dieser Basis können Sie als Führungskraft erwarten, dass jemand am eigenen Verhalten arbeitet. Dies bedeutet aber auch, verhaltens- und handlungsorientiert zu führen.

Ein kurzes Beispiel: Anstatt einem Mitarbeiter eine bestimmte Eigenschaft zu attestieren und ihn so auf sein Verhalten festzuschreiben und bei der Art und Weise der gewünschten Veränderung ggf. noch unspezifisch zu bleiben (»Sie sind zu ungenau und oberflächlich bei ihrer Dokumentation. Das muss sich ändern!«), formulieren Sie Ihren Änderungswunsch über beobachtbare Verhaltensweisen und Handlungsoptionen: »Mir ist aufgefallen, dass Ihre momentane Arbeitsweise bei der Dokumentation zu unverhältnismäßig vielen Fehlern führt. Häufig fehlt der Eintrag des Fingertests bei der Dekubitusprophylaxe sowie die Menge an Flüssigkeit bei der Medikamentengabe und bisweilen fehlt es auch an Konsequenz beim Führen des Wundprotokolls beim Verbandswechsel. Ich möchte, dass Sie ab jetzt IMMER, bevor Sie die Dokumentation beiseite legen, selbst noch einmal fünf Minuten einplanen, um Ihre Ergebnisse genau zu prüfen. Achten Sie dabei bitte auf eine ruhige Umgebung, um nicht abgelenkt zu werden. Um noch einmal Sicherheit zu gewinnen, möchte ich, dass Sie kommende Woche die nächsten fünf Dokumentationen noch einmal mit einer Kollegin gemeinsam fertigstellen und mir diese Ergebnisse dann vorzeigen.«

Merken sie den Unterschied? Diese Form des Feedbacks zielt nicht auf die Person/die Persönlichkeit ab (»sie SIND so«), sondern verbleibt auf der Verhaltensebene und gibt hier konstruktive, zielorientierte und vor allem konkrete handlungsbasierte Maßnahmen als Anleitung an die Hand, die beobachtbar und damit auch für Sie als Führungskraft erst messbar bzw. überprüfbar werden.

Dies erleichtert gleichzeitig auch Ihre anschließende Überprüfung Ihrer Maßnahmen und ist für die Mitarbeitenden wesentlich leichter umzusetzen.

2.1 Geschichte der Verhaltensprofile

Andere Menschen zu verstehen und zu begreifen, warum sie wie handeln und entscheiden, interessiert und fasziniert die meisten Menschen. Bereits der Philosoph Hippokrates von Kos († um 370 v. Chr.) beschäftigte sich damit. Er erdachte die Temperamentenlehre, wonach von der Mischung der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle die körperliche und gesundheitliche Konstitution einen Menschen abhängt. Diese Theorie wurde später in die noch heute bekannten Temperamentstypen klassifiziert: Melancholiker (schwermütig, zurückhaltend), Sanguiniker (heiter, beweglich), Phlegmatiker (ausgeglichen, wenig beweglich) und Choleriker (emotional aufbrausend, unbeständig). Das Riemann-Thomann-Modell orientiert sich gleichfalls an vier Elementen und basiert auf den Erkenntnissen der Psychologen Fritz Riemann und Christoph Thomann. Bereits Anfang der 1960er Jahre entwickelte Riemann vier gegensätzliche Pole, die die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen sollten. Diesen Ansatz nahm Thomann mehr als ein Jahrzehnt später als Vorlage, überarbeitete und erweiterte ihn und schuf dabei die vier Grundbedürfnisse bzw. Grundbestrebungen: Nähe, Distanz, Dauer und Wechsel.

Jeder Mensch trägt von jedem der vier Grundbedürfnisse ein gewisses Maß in sich, die Unterschiede liegen jedoch in den Ausprägungen und Kombinationen. Daraus lassen sich Rückschlüsse über das Verhalten, die Reaktionen, die Kommunikation, die Ängste und Wünsche einen Menschen ziehen. Wie eine Person reagiert, kommuniziert und fühlt, kann zum Teil aus dem Riemann-Thomann-Modell abgeleitet und besser verstanden werden.

Persönlichkeitsanalysen gehörten zunächst ausschließlich zur Arbeit von Psychiatern und Therapeuten. Schon früh wurden von diesen Fachleuten unterschiedlichste Tests entwickelt, um das Verhalten von Menschen zu entschlüsseln und letztendlich auch Therapien zu entwickeln, die Menschen auf unterschiedliche Art und Weise helfen können.

Erst über die Öffnung der Psychiatrie in den 1970/1980er Jahren wurde das Handwerkszeug alltagstauglich und über diese Berufsgruppe hinaus in die Bevölkerung getragen. Die Erkenntnis, dass dieses wertvolle Wissen nicht ausschließlich in die »Nähkästchen« von Psychiatern und Therapeuten gehört, sondern eingesetzt werden sollte, damit Menschen besser miteinander leben und arbeiten können, führte zur Entwicklung unterschiedlichster Analysetools von Verhaltensmodellen von Menschen ohne psychische Auffälligkeiten. Allein in Deutschland sind mehr als 20 solcher Verfahren bekannt und in regelmäßigem Gebrauch. Viele von ihnen sind reliabel, valide, wiederholbar, anwendbar, auch wenn sie unterschiedliche Ansätze haben.

Vergleichbare psychologische Testverfahren sind beispielsweise der ViQ (Visual Questionnaire), der 16 PF Questionnaire (Sixteen Personality Factor Questionnaire) oder das NEO-PI-R (NEO-Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung), wobei die Konstruktion und Validierung von DISC (auf Basis von Everything DISC nach John Wiley & Sons 2015) mit Hilfe der letzten beiden Verfahren vorgenommen wurden. Werden diese psychologischen Testverfahren miteinander verglichen, lassen sich vergleichbare Ergebnisse ermitteln. Allerdings ist das DISC-Modell einfacher in der praktischen Anwendung und deshalb auch hilfreich für die Arbeit als Führungskraft. Wir sprechen hier in diesem Zusammenhang ausschließlich von differenzieller Psychologie, die sich allgemein mit den individuellen Unterschieden in einzelnen psychologischen Merkmalen und in den relativ überdauernden Persönlichkeitseigenschaften auseinandersetzt. Stark von der Norm abweichende Persönlichkeitstypen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen fallen eher in die klinische Psychologie, die sich mit dem Erleben und Verhalten von Menschen auseinandersetzt, die im weitesten Sinne ein krankhaftes, zwanghaftes oder abnormes Verhaltensmuster zeigen. Diese spielen in diesem Buch keine Rolle, auch wenn die Übergänge bisweilen fließend sein können.

Der größte Fehler, den eine Führungskraft machen kann, ist es, Mitarbeitende zu pathologisieren. Sie stempeln ihn oder sie damit als krankhaft ab und verlieren die subjektive Sicht auf die betroffene Person. Benutzen Sie niemals Worte wie hysterisch, cholerisch, paranoid, manisch oder bipolar, um einen anderen Menschen in Ihrem Arbeitsumfeld zu beschreiben. Indirekt schreiben Sie damit ihr Gegenüber ab und gleichzeitig auf ein bestimmtes Verhaltensmuster fest. Sie nehmen sich selbst damit die Möglichkeit, ihn oder sie mit einem differenzierten Blick zu betrachten, und zeigen damit bereits auch gleichzeitig eine Vorverurteilung und Abwertung seines oder ihres Verhaltens, was wiederum einen Distanzverlust zum Gegenüber als Folge haben kann. Gleichzeitig nehmen Sie Ihrem Gegenüber unbewusst die Möglichkeit, auch noch andere Verhaltensweisen entwickeln zu können.

Sollte der oder die andere eine Struktur haben, die Sie nicht verstehen oder die Sie vor unlösbare Aufgaben stellt, suchen Sie das Gespräch mit der oder dem Betroffenen oder holen sich professionelle Unterstützung. Ihre Aufgabe ist es nicht, ernste Krankheitsbilder zu diagnostizieren. Sie sind nicht der oder die Therapeut*in Ihres Gegenübers, Sie sind die Führungskraft.

Rollen- und Verhaltensprofile: Konflikte konstruktiv lösen

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