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Februar 2317

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Knapp eine Stunde später – die Sonne hatte gerade die Hälfte ihres Weges zum Zenit zurückgelegt – ließ ein durchdringender Schrei die übliche Geräuschkulisse des Dschungels verstummen. Ein paar Sambolli-Wärter ruckten aus ihrem Dämmerzustand auf und blickten sich um. In nur dreißig Schritten Entfernung zum Lager, gerade noch am Rand der mühsam von den Gefangenen gerodeten Freifläche, stand der Mann, den seine Verfolger vor einigen Tagen angeblich nicht gefunden hatten. Seltsamerweise schien niemand bei den Sambolli darüber verwundert zu sein, dass auch der Suchtrupp bislang noch nicht wieder aufgetaucht war. Doch das halbe Dutzend Wärter und fast fünfzig der Gefangenen, die sich gerade außerhalb ihrer Hütten aufhielten, ahnten, was mit den Jägern geschehen sein könnte, als sie die Gestalt näher in Augenschein nahmen.

Spacetrooper Laurent Girard stand hoch aufgerichtet da, vier Sambolli-Hellebarden lässig auf der linken Schulter als Bündel balancierend und eine fünfte in der rechten Faust haltend. Er trug wieder seine Fetzen. Die einzigen, die von seiner Gefangenenkluft übriggeblieben waren. Sein Haar hing wirr um den Kopf und sein ganzer Körper war bedeckt von Schweiß, Pflanzenresten und Dreck. Selbst auf seine Kameraden, die sich binnen Augenblicken zu einer großen Menge zusammenfanden, wirkte er wie ein prähistorischer Krieger, der seine Gegner herausforderte. Keinem fiel auf, dass sein Bart seltsam gepflegt rasiert war. Der Rest seiner Erscheinung verwischte diese einzige Spur, die hätte verraten können, dass er nicht direkt aus der grünen Hölle hinter ihm kam.

Auch die Sambolli wurden zahlreicher, als das insektoide Getacker der ersten Wächter die übrigen erreichte. Binnen einer Minute versammelten sich alle Wärter des Lagers und starrten auf den einzelnen Mann. Allein die Waffen  besser das, was der Besitz in den Händen eines Menschen bedeutete  hielt sie vorläufig davon ab, den Mann einfach anzugreifen und niederzumetzeln.

Die Sambolli achteten alles hoch, was massiver als ein Chitinpanzer oder das härteste Edelholz ihres Planeten war. Erzabbau, dessen Verhüttung, geschweige denn Verarbeitung, war ihnen so fremd, wie es der fernste Stern am Himmel über Samboll nur sein konnte. Dieser Umstand hatte es den ersten Maz-zar-Kontaktern erleichtert, die Insektenabkömmlinge als Vasallenvolk anzuwerben und als willige Erfüllungsgehilfen für Arbeiten auszunutzen, die sie selbst nur ungern erledigt hätten. Geschmiedete Klingen standen daher bei allen Sambolli-Fürsten hoch im Kurs. Im Grunde Glasperlen gegen harte Arbeit. Nur verdiente Krieger erhielten von den Mazzar eine dieser hellebardenähnlichen Waffen. Und keiner, der so eine Klinge besaß, würde sie freiwillig aus seiner Hand geben. Ergo mussten die ehemaligen Besitzer der Hellebarden allesamt tot sein. Womöglich umgebracht von diesem einen Mann, der sich seiner Wirkung auf seine ehemaligen Wärter nur zu genau bewusst war.

Bevor sich die Sambolli eines Besseren besinnen konnten, stieß Girard einen neuen Ruf aus.

»Black Ice!«

Dann rammte er die Waffe in seiner Rechten in den Boden, packte eine der Klingen von seiner linken Schulter und warf sie vor sich auf die Erde. Die mittlerweile vollzählige Menge der Gefangenen riss ihre Augen auf und schien ihren Ohren nicht glauben zu wollen. Jeder von ihnen kannte den Kampfnamen ihrer Trooperkollegin, von der sie natürlich annahmen, sie sei längst dem Dschungel zum Opfer gefallen. Doch die Gestalt und sein Ruf verkündeten eine andere Botschaft. Die Sambolli kannten weder den Namen noch dessen Bedeutung. Aber als Herausforderung verstanden sie ihn sehr wohl.

»Black Ice!«, schrie Girard und donnerte die zweite Waffe den Sambolli vor die Füße.

Aus mehr als einhundert Kehlen brandete der Ruf wie ein Echo zurück und trieb die Sambolli-Wärter einen Schritt nach hinten. So etwas hatten sie noch nie erlebt.

Noch zwei Mal wiederholte sich der zum Schlachtruf mutierte Name der Trooperin. Bereits nach dem zweiten war auch Lagerkommandant Saddis-til-saddis aufgetaucht und hatte mit deutlichem Entsetzen die Waffen betrachtet. Er hatte sofort verstanden, dass seine fünf Jäger nie wiederkehren würden.

Die letzte Hellebarde nahm Laurent Girard wieder in seine rechte Faust. Und so, wie er sie hielt, konnte man ihm zutrauen, mit ihr auch umgehen zu können.

Eine zentnerschwere Stille senkte sich über das Lager, nur untermalt vom aufgeregten Atmen der Gefangenen. Als die Spannung kaum noch zu ertragen war, traten Bérénice und Naya leise aus ihrer Deckung im Rücken der Sambolli und Gefangenen hervor. Dann sprach Bérénice mit glasklarer Stimme in die Stille hinein: »Wer ruft mich hier?«

Alle wirbelten zu ihnen herum und glotzten sie wie eine Erscheinung an. Und genau das waren die beiden Frauen auch: eine Erscheinung in Form gesunder, durchtrainierter Trooperinnen, angetan in die üblichen nachtblauen leichten Kampfsuits des Terranischen Spacetrooper-Korps. Selbst Saddis-til-saddis blieb der Mund offen stehen. Die Gefangenen jedoch brachen in ein Jubelgeschrei aus, das Hunderte Vögel aus den Wipfeln der Umgebung vertrieb.

Bérénice öffnete das Visier ihres Helmes und winkte lässig nach hinten. Gleichzeitig traten die beiden Mazzar und Freitag hervor. Beiden Seiten, also den Wärtern und Gefangenen, fielen fast die Augen aus dem Kopf. Zwei der Herren der Sambolli, zwei Todfeinde der Menschheit, im Verbund mit einem BEHEMOTH, einem der modernsten Kampfrobotermodelle der Terraner. Das war zu viel für sie. Fast alle Sambolli ließen ihre Waffen fallen, nur sehr wenige zeigten sich störrisch.

Erneut machte Bérénice eine leichte Bewegung und Freitag aktivierte den Translator.

»Saddis-til-saddis«, erklang ihre Stimme gleichzeitig auf Terranisch und Samboll. »Der Krieg zwischen den Mazzar, Ihren Verbündeten, und der Menschheit ist beendet. Ich habe ihn beendet.« Bérénice hatte mit dieser Formulierung gerungen, schließlich war sie keine Angeberin. Doch alle waren sich einig gewesen, Saddis-til-saddis nur so beeindrucken zu können. »Wenn Sie auch nur eine Hand gegen uns erheben, werde ich Sie und alle anderen Sambolli hier ohne zu zögern töten.« Um ihre Worte zu unterstreichen, zog sie mit der Rechten langsam ihr Katana aus der Rückenscheide. In ihrer linken Hand hielt sie ihren Nadler, den Lauf lässig nach unten gerichtet. »Sie haben den Tod mehrfach verdient. Aber ich will von Ihnen noch einige Fragen beantwortet haben.«

Saddis-til-saddis antwortete nicht. Sein Blick war starr auf das japanische Schwert gerichtet. Bérénice sah seinen Blick, interpretierte ihn aber als allgemeine Faszination der Sambolli für jegliche Klingen.

»Haben Sie mich verstanden?«, fuhr sie fort. »Die beiden Mazzar hier sind meine Freunde.« Der letzte Satz war auch an die Gefangenen gerichtet. Doch niemand sagte etwas. Erst langsam kam Gemurmel auf.

»Wir kommen nach Hause.«

»Der Krieg ist vorbei.«

»Wer hat ihn gewonnen?«

Und dergleichen mehr.

Ganz allmählich wurde den über zweihundert Gefangenen bewusst, dass ihre Wächter die Waffen gestreckt hatten und sie eindeutig in der Überzahl waren. Dazu die beiden Trooperinnen, ihr Kamerad und nicht zuletzt ein offensichtlich voll funktionsfähiger Kampfroboter. Das freudige Gemurmel wandelte sich zu deutlichen Rufen, zwischen denen Worte und Sätze wie »Greifen wir sie an!«, »Rache für Jorge.« und »Tötet sie!« immer häufiger auftauchten. Auch die Sambolli vernahmen die rasch ansteigende Unruhe und sie wandten sich nervös zu ihrem Kommandanten um, der immer noch bewegungslos vor seiner Hütte stand und zu keiner Tat oder Worten in der Lage zu sein schien. Wie gebannt glotzte er auf das Schwert in der Hand der schwarzen Trooperin.

Schließlich fing die Menge an, sich zu bewegen, und Bérénice spürte, dass sich die Wut der Gefangenen jeden Augenblick entladen würde.

»Hört auf damit, Kameraden!«, rief sie und gleichzeitig übersetzte der Translator ihre Worte in das insektenhafte Tackern der Sambolli-Sprache. Aber das schien Saddis-til-saddis wenig zu beeindrucken. Allein sein kurzer Blick auf den BEHEMOTH verriet, dass er instinktiv erkannt hatte, von welchem Gegner die größte Gefahr drohte. Wahrscheinlich hatte er noch nie einen irdischen Kampfroboter der Klasse III in Aktion gesehen. Denn sein ohrenbetäubendes Tackern durchschnitt die Rufe der Menge mit Leichtigkeit.

»Krieger! Tötet die Menschen und die beiden Verräter!«

Entweder war es blinder Gehorsam, die schiere Angst oder einfach der sprichwörtliche Kampfeswille der Sambolli, vielleicht auch ein Mix aus all dem. Sie zögerten keine Sekunde, dem Befehl ihres Kommandanten Folge zu leisten. Sie packten die vor ihnen liegenden Hellebarden und wirbelten zu den immer näher drängenden Menschen herum. Die Sambolli zögerten keine Sekunde und gingen rücksichtslos zum Angriff über. Im Reflex erhobene Arme fielen den niedersausenden Klingen zum Opfer und fast ein halbes Dutzend Männer warf sich vor Schmerz brüllend zu Boden, stoßweise Blut aus den Stümpfen verlierend.

Bérénice, Naya und Girard überwanden ihr Entsetzen über den unvermittelten Gewaltausbruch und warfen sich in das Getümmel. Das Katana, eine Lasersichel und eine Hellebarde brachten innerhalb von Augenblicken mehr als acht Sambolli-Krieger zu Fall. Doch noch kämpften etwa dreißig von ihnen mit aller Macht gegen die Menschen.

Freitag hatte sich mit rasenden Schritten durch die Menge der Gefangenen geschoben, sorgsam darauf achtend, nicht einen der Männer und Frauen aus Versehen mit seinem Gewicht niederzutrampeln. Jetzt hatte er die Reihen durchschritten und freies Schussfeld. Ohne noch länger zu zögern, jagte er Schuss um Schuss aus seinen Unterarmläufen ab. Die Projektile fanden mit maschinenhafter Präzision ihre Ziele und mähten die Sambolli-Reihen regelrecht nieder. Ein Regen aus nougatbraunem Sambolli-Blut spritzte über den Kampfplatz, gefolgt von zerfetztem Gewebe und zu Hunderten Splittern zerborstenen Chitinpanzern. Es ging so schnell, dass von einem Augenblick zum nächsten der meiste Kampflärm erstarb und nur noch drei, vier Kontrahenten miteinander rangen; unter ihnen die rasenden Amazonen in ihren nachtblauen Kampfmonturen.

Als der letzte Sambolli-Wärter tot zu Füßen Girards lag, brüllten die Sieger auf und gaben ihrer Anspannung mit wilden, heiseren Schreien ein vielstimmiges Ventil. Bérénice beobachtete befremdet, dass der Franco-Kanadier einen fanatischen Ausdruck in den Augen trug, als er auf die entstellte Leiche eines Sambolli-Wärters vor sich starrte. Nur mit Mühe schien sich Girard wieder unter Kontrolle bringen zu können. Doch dann brachte das Stöhnen der Verletzten und Sterbenden ihn und die anderen Gefangenen wieder zur Besinnung und sie knieten nieder, um den Strömen roten Blutes Einhalt zu gebieten. Die Hellebarden hatten ganze Arbeit geleistet. Binnen weniger Minuten verbluteten alle, die von den Klingen malträtiert worden waren. Viele der Überlebenden sanken zu Boden, manche schluchzten oder weinten still mit bebenden Oberkörpern.

Und doch war es noch nicht vorbei.

Saddis-til-saddis hatte den Kampf mit eiskalten Blicken verfolgt und zückte nun eine Waffe, mit der nicht einmal Bérénice gerechnet hatte. Der Lagerkommandant richtete einen Mazzar-Blitzer auf sie, mühte sich aber einige Sekunden mit der Zielerfassung ab. Siyoss hatte mehr zufällig in seine Richtung gesehen und die Waffe sofort erkannt. Als sie sich duckte und zum Sprung in die Luft schleuderte, hatte Saddis-til-saddis den richtigen Schalter gefunden und erneut sein Ziel anvisiert. Dann drückte er ab …

Bérénice sah einen großen Schatten vor sich in der Luft und warf sich automatisch zu Boden. Sie hörte ein seltsam künstlich klingendes Fauchen. Noch während sie sich abrollte, erfasste sie aus den Augenwinkeln die Mazzarfrau, die gerade getroffen wurde. Mit einer Wucht, die einer gewaltigen Dampframme alle Ehre gemacht hätte, erfasste die Energie aus der Mazzar-Waffe die Pazifistin. Es zerriss ihr förmlich die Brust, ließ für einen Moment einen Blick in das Innere ihres massigen Körpers zu … dann verschlang ein rasender Brand den Rest der Außerirdischen und ließ nur feinste Aschepartikel übrig, die wie ein finsteres Totentuch auf die Trooperin herabfielen.

Naya, Girard und Bozadd hatten – wie die Masse der Gefangenen – von dem Schuss nur das bösartige Fauchen vernommen. Als jetzt der BEHEMOTH eine Minirakete abfeuerte, glaubten sie an neu aufgetauchte Gegner und warfen sich sämtlich zu Boden. Der unmittelbar auf den Abschuss erfolgte Einschlag und die Druckwelle drückten sie noch tiefer nieder. Saddis-til-saddis verging in einem Feuerball, der auch die Baracke dahinter in Zehntausende zerberstende Partikel aus Asche und kleinen Kohlestückchen verwandelte. Nur ein kümmerlicher Rest im hintersten Bereich der Kommandantenbaracke blieb stehen und schwelte langsam vor sich hin, als die Flammen sich verzehrt hatten.

Bozadd kam näher und blickte unverwandt auf den schwarzen Fleck, der Bérénice umgab und eine vage menschliche Kontur am hellen Boden freigab, als sich die Trooperin erhob.

»Ich hätte nicht gedacht, dass es etwas gibt, was Sie noch schwärzer erscheinen lassen könnte«, begann er leise. Bérénice war sich nicht sicher, ob er damit nur ihr optisches Bild meinte, und nickte tief betroffen.

»Ich dachte, ich bringe diesem Lager den Frieden. Für beide Seiten. Stattdessen habe ich nur Leid und Tod verbreitet.«

»Sie haben es versucht.«

»Und versagt! Vielleicht hätten wir doch einen anderen Weg gefunden, das Lager aufzulösen … Menschen und Sambolli vom Ende des Krieges überzeugen zu können. Die Zahl meiner Freunde nimmt in erschreckendem Tempo ab.«

Bozadd ließ seine Zunge mehrmals von links nach rechts über die wulstigen Lippen gleiten, der mazzarischen Gebärde für Unsicherheit. Bérénice kannte die Geste mittlerweile. Aber jetzt schien sie in einem anderen Kontext zu stehen. Sie interpretierte sie nun als einen Ausdruck von Trauer. Bevor sie etwas Entsprechendes äußern konnte, fuhr sich Bozadd mit einer Klaue über die geschlossenen Augen. Als er sie wieder offen hatte, sah er das Unverständnis in ihrem Gesicht.

»Es ist erstaunlich, wie schnell wir voneinander lernen, trotz solcher Vorkommnisse. Noch vor wenigen Ihrer Monate wäre mir der Verlust einer Gefährtin nicht so nahe gegangen. Siyoss war zwar nicht meine Nestpartnerin, sondern Gesinnungsgenossin, eben eine Pazifistin. Der Verlust eines oder mehrerer Mitglieder unserer Rasse hat uns über Jahrhunderte wenig gekümmert … wir waren und sind einfach immer noch zu zahlreich.« Er blinzelte sie seltsam an und bewegte sich so, als würde er sich von einer Last befreien. »Ihr Menschen seht ein Individuum viel wertvoller an als wir Mazzar. Und dass Sie so um Siyoss trauern, lässt in mir die Hoffnung keimen, dass Sie irgendwann wirklich den Frieden erringen werden, den wir alle ersehnen, Menschenfrau.« Dann wandte er sich ab und begann zur Sonne gerichtet den summenden Trauergesang, den Bérénice schon einmal auf L28 vernommen hatte.

Aevum

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