Читать книгу Das kundenzentrierte Unternehmen - Werner Katzengruber - Страница 11
Von der produktorientierten zur kundenzentrierten Organisation
ОглавлениеWorin besteht der Unterschied von einem produktorientierten und einem kundenzentrierten Unternehmen? Die meisten produktorientierten Unternehmen bezeichnen sich in der Regel als kundenorientiert und in ihrer Selbstwahrnehmung sind sie schwer vom Gegenteil zu überzeugen. Daher wollen wir Ihnen in Abbildung 1.1 den Unterschied zwischen einem produktorientierten und einem kundenzentrierten Unternehmen aufzeigen.
Abb. 1.1: Der Unterschied zwischen einem produktorientierten und einem kundenzentrierten Unternehmen
Ein produktorientiertes Unternehmen versucht den Kunden mit exzellenten Produkten und Services zu überzeugen. Daher sind die Kennzahlen auch auf die rein betriebswirtschaftlichen Ergebnisse beschränkt. Eine kundenzentrierte Organisation wird selbstverständlich auch die betriebswirtschaftlichen KPIs als Parameter für den wirtschaftlichen Erfolg definieren, der Unterschied zu einer kundenzentrierten Organisation ist, dass der wirtschaftliche Erfolg durch eine exzellente Customer Experience berechenbarer wird. Je besser die Experience umso höher der betriebswirtschaftliche Erfolg. Diese Korrelation ist logisch und messbar, sie benötigt aber ein entsprechendes Setup an prognostischen Kennzahlen und die Erfahrung, wie sich Aktivitäten in der Customer Experience auf den Umsatz auswirken.
Die Prozesse eines produktorientierten Unternehmens sind auf den Sales und die Produkte ausgerichtet, also »Inside-Out«. Je besser die Marktbearbeitung und die Produkte, umso größer der Erfolg. Diese Prozessorientierung ist für die Kundenzentrierung hinderlich, da sie lediglich auf Absatz ausgerichtet ist und nicht auf den Erfolg des Kunden. Wer immer Waren oder Dienstleistungen erzeugt, ist gut beraten, die Kunden des Kunden im Blick zu haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kunde ein Zwischenhändler oder ein Anwender ist. Daher stehen bei einer kundenzentrierten Organisation die Unternehmensprozesse im Dienste der Kunden. Deren Ausrichtung ist eine »Outside-In«-Perspektive, was voraussetzt, die Bedarfe, die Gewohnheiten etc. auf Kundenseite nicht nur besser zu verstehen, sondern sie auch zum Vorteil der Kunden zu optimieren und für sie Wert zu schaffen.
Unterschiedliche Vertriebskanäle auf Seiten des Lieferanten können auf Basis vorhandener Daten auch die Verkaufsprozesse beim Kunden beschleunigen. Außerdem wird die prognostische Fähigkeit des Lieferanten mit jedem Kauf besser. Auf diese Weise können sich schnelle und schlanke Verkaufsprozesse etablieren, die dem Kunden einen Wettbewerbsvorteil ermöglichen. Hinzu kommt die Minimierung der Kosten für die Kundenbindung, da sich durch digitale Vertriebskanäle Ressourcen im Vertrieb einsparen oder auf neue Kunden allokieren lassen (zu all dem siehe das Kapitel Prozessmanagement).
Während die Organisation eines produktorientierten Unternehmens die Schnittstellen zum Kunden in der Regel über Vertrieb, Marketing und Service definiert, ist ein kundenzentriertes Unternehmen für den Kunden in allen Bereichen transparent und zugänglich. Was bedeutet dies in der Praxis? Produktorientierte Unternehmen sind meist divisional in ihrer Organisationsstruktur. Das bedeutet, jeder Bereich hat seine individuelle Verantwortung und seine ebenso individuellen Ziele. Die wenigsten Mitarbeiter in diesen Divisionen kennen ihre Kunden, geschweige denn den Wertbeitrag, den sie für den Kunden leisten. Fachkompetenzen werden gebündelt und auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet, welches nicht unbedingt mit der Customer Experience zu tun hat (vgl. dazu ausführlich Kapitel Aufbauorganisation). Ein kundenzentriertes Unternehmen bietet dem Kunden dezidierte Schnittstellen mit speziellen Services nach entsprechendem Kundencluster an. Soweit ist das noch nichts Aufregendes, aber besonders wird es durch den Fokus der Customer Experience. Denn wann immer ein Kunde ein Anliegen hat, wird das Unternehmen darauf reagieren. Gibt es ein Problem mit dem Produkt, ist ein Experte aus der Produktentwicklung dafür zuständig, dieses zu lösen. Gleiches gilt bei Problemen in der Logistik, der Buchhaltung oder der Wartung. Was ist der Unterschied zur Produktorientierung? In produktorientierten Unternehmen ist es meist der Vertrieb, der vom Kunden angesprochen wird und der dann das Problem lösen soll. Unter der Philosophie »One Face to the Customer« werden auf diese Weise Entscheidungsprozesse verlangsamt, die Customer Experience verschlechtert und die Verantwortung für den Kunden eliminiert. Es macht einen Unterschied, ob ein Produktentwickler oder Experte sich mit einem aufgeregten Kunden unterhält, oder ob er von seinem Vertriebskollegen hört, wie ungehalten der Kunde ist. Direkte Kommunikation mit dem Kunden erzeugt ein besseres Verständnis und eine höhere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ist »One Face to the Customer« also nicht kundenzentriert und damit schlecht? Nein, auf keinen Fall, die Verantwortung für den Kunden muss klar sein. Der Unterschied ist, dass in einem kundenzentrierten Unternehmen der Kunde sich seinen Ansprechpartner, soweit es ihm angeboten wird, selbst aussucht. Ich vergleiche ein kundenzentriertes Unternehmen mit einem gut geführten Prozess im Gesundheitswesen, das sich per se der Kundenzentrierung verschreiben sollte. Der Hausarzt hat im Ausschlussverfahren seine Anamnese durchgeführt und uns in ein Krankenhaus überwiesen. Dort kümmern sich kompetente Mediziner um unser spezielles Anliegen und halten den Hausarzt informiert. In Echtzeit kann der Hausarzt sich auf einer digitalen Plattform über den Verlauf der Krankheit informieren und bereits Nachsorgeaktivitäten planen. Nach überstandener Krankheit sind wir wieder zu Hause und erholen uns. Der Hausarzt übernimmt nun wieder und begleitet uns im Heilungsprozess. Das wäre der Idealfall.
Ein weiterer Unterschied ist das Verständnis von Hierarchie. Kundenorientierte Unternehmen sind auf Grund der divisionalen Struktur stark an Hierarchie gebunden. Kundenzentrierte Unternehmen agieren in ihrer Organisation als Netzwerk. Wir werden im Kapitel Aufbauorganisation noch näher darauf eingehen. Bedeutet das eine hierarchielose Organisation? Keinesfalls, Hierarchie ist notwendig und wichtig, sie muss aber auf den ursprünglichen Zweck reduziert werden und dieser besteht darin, Komplexität zu reduzieren und Entscheidungen zu treffen. Was bleibt dann noch von der Autorität des Titels der Führungskräfte übrig, wenn die einzige Autorität der Kunde ist? Das wird den meisten Führungskräften nicht gefallen, aber wenn sie sich nicht von ihrer alten Rolle des »Command and Control« lösen, sind sie für eine kundenzentrierte Organisation unbrauchbar.
Womit wir bei der Unternehmenskultur angelangt wären, die bekanntlich von Führungskräften geprägt werden sollte. Warum schreibe ich im Konjunktiv? Weil Führungskräfte keine Kultur befehlen können, sondern sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern entwickeln müssen. Jedes Unternehmen hat geheime Regeln, die eher von Mitarbeiter denn von Führungskräften definiert werden. In der Kantine, mit Schulterblick, wird über die Entscheidung des Managements hergezogen und die gesamte Führungsmannschaft als unfähige Idioten gebrandmarkt. Dieselben Mitarbeiter sitzen kurz darauf in einem Workshop und nicken fleißig zu den Ausführungen, die eben diese Idioten präsentieren. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Kundenzentrierung bedeutet Mitarbeiterzentrierung, auch dazu später mehr. Nur zufriedene und begeisterte Mitarbeiter werden gut mit dem Kunden umgehen. Von dieser Seite betrachtet, sind die Mitarbeiter die Kunden der Führungskraft. Klingt nach Feelgood-Manager? Zum Teil trifft das tatsächlich zu, auch wenn es sich erstmal seltsam anhört. Was für Führungskräfte gilt, gilt auch für Mitarbeiter. Wenn sich Mitarbeiter auf eine kundenzentrierte Organisation einlassen, hat das Verhalten der Mitarbeiter einen neuen Fokus. Der Kunde wird zum Chef und wird seine Erfahrung mit dem Unternehmen in erster Linie vom Verhalten der Mitarbeiter abhängig machen. Führungskräfte und Mitarbeiter haben dasselbe Ziel und die gleiche Blickrichtung. Wozu braucht es dann noch Führungskräfte? Sie sind in einer kundenzentrierten Organisation enorm wichtig, um den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass sie wichtig sind. Sie setzen nach wie vor Ziele und geben Orientierung, treffen Entscheidungen und stehen dafür ein. Sie bleiben die Multiplikatoren einer Vision und tragen damit zur Entwicklung des Unternehmens bei. Ohne Führung funktioniert Customer Centricity nicht – es müssen nur die richtigen Führungskräfte sein.