Читать книгу Das kundenzentrierte Unternehmen - Werner Katzengruber - Страница 9
Am Anfang war die IP-Adresse …
ОглавлениеAm Beginn der Digitalökonomie bildeten IP-Adressen, die den Kunden und seine Bewegungen im Netz abbildeten, den Grundstein, um mit ihm in Kontakt zu treten. Schnell wurde klar, dass die IP-Adresse allein überhaupt keinen Wert darstellt, wenn sie nicht personalisiert wird. Also wurden Technologien entwickelt, die diese Adressen mit Profildaten hinterlegten. Der dadurch ausgelöste Datenhunger wurde durch immer komplexere Software gestillt und neue Geschäftsmodelle bahnten sich ihren Weg. Gleichzeitig mit tausenden von Kunden in einen vertrauensvollen, digitalen Dialog zu treten, war eine neue Herausforderung und viele Unternehmen scheuten sich davor. Gefordert wurden neue Kompetenzen, die in den wenigsten Unternehmen verfügbar waren. Die digitalen Verkaufskanäle eroberten zuerst den B2C-Markt und disruptierten den klassischen Handel, indem sie einfach den Verkaufsprozess unterbrachen. Das Motto dieser neuen Unternehmen, allen voran Amazon, war: »Kill the middleman«, also die Eliminierung des Zwischenhandels. Direkt vom Erzeuger zum Endverbraucher und die damit einhergehenden Preisvorteile wurden gleich mitverkauft. Je höher die Personalisierung der IP-Adressen wurde, umso schneller wurden Algorithmen entwickelt, um die Kundenprofile mit vorausschauenden Prognosen zu füttern. Wenn also jemand Öko-Windeln in der Größe Small online bestellt, ist offensichtlich ein zwei- bis dreijähriges Kind im Haushalt. Für den Algorithmus bedeutet diese Information, den Datensatz mit neuen Informationen anzureichern. Gleichzeitig kennt der Datensatz die Adresse, leitet davon das Haushaltsnettoeinkommen, die Bildung der Bewohner, die präferierten Nahrungsprodukte etc. ab und testet diese durch personalisierte Angebote, die auf unterschiedlichen Websites ausgespielt werden. Daraufhin wird beobachtet, welche Customer Journey die IP-Adresse nimmt, an welchen Touchpoints sie sich länger aufhält, wo sie den Prozess abbricht, welche verlinkten Websites oder Landing Pages aufgerufen werden und wie häufig welche Keywords in Suchmaschinen eingegeben werden. Wenn Sie glauben, dies beschreibt einen komplexen Prozess, dann muss ich Sie enttäuschen. Das Beschriebene ist noch nicht einmal ein Prozent dessen, was in Millisekunden durch Ihre Bewegungen im Netz an analytischer Arbeit ausgelöst wird. Die digitalen Unternehmen haben verstanden: Wer die Daten besitzt, hat die Macht. Auf diese Weise wurden Geschäftsmodelle in einer Geschwindigkeit disruptiert bzw. eliminiert, die atemberaubend war. Wer hätte gedacht, dass sich Taxiunternehmen durch ein Unternehmen disruptieren lassen, das noch nicht einmal ein einziges Auto besitzt? Als Uber seinen Siegeszug begann, wurde die Idee von den meisten Taxiunternehmen belächelt. Heute ist ihnen das Lachen vergangen und nur gesetzliche Regularien führen dazu, dass diese Branche noch einigermaßen überlebensfähig ist. Wie Pilze schossen Unternehmen auf den Markt, die nur einen einzigen Zweck verfolgten, bestehende Geschäftsmodelle ins Internet zu verlagern und damit den Kunden auf ihre Seite zu ziehen. Vielen ist das gelungen und es werden jeden Tag mehr. Der führende Immobilienmakler hat keine einzige Immobilie, die führenden Banken besitzen keine Filialen, der weltweit größte Flohmarkt passt in Ihre Hosentasche und wenn Sie einen neuen Partner oder Freunde suchen, müssen Sie keinen Abend mehr in einer Bar verbringen. Wir tragen alle riesige Shopping Malls in unseren mobilen Devices spazieren und können 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag unserer Kauflust frönen. Der Psychologe, der diese Zeilen gerade schreibt, würde sagen: direkt vom limbischen System an die Kasse. Impulskäufe sind unbewusst gesteuert und die Digitalökonomie lässt uns keine Zeit, Kaufentscheidungen zu überdenken oder sich alternative Angebote beim lokalen Händler zu beschaffen. Geschwindigkeit ist ein neuer USP in der Digitalökonomie und gepaart mit Bequemlichkeit ein unschlagbares Argument für unser mentales Betriebssystem.
E-Commerce blühte auf und nun ging es darum, möglichst viele Menschen zu erreichen. Der Begriff des Multichannel war geboren und löste eine kleine Revolution aus. Die Vernetzung aller Endgeräte, die Zugang in das Word Wide Web haben, ermöglichte in kürzester Zeit unglaubliche Reichweiten zu erlangen. Barrierefreie Kommunikation über alle Endgeräte bedeutete auch, keine Sekunde offline zu sein. Jeder hat mittlerweile eine Unzahl an Shopping-Malls in seinem Device und kann weltweit rund um die Uhr einkaufen. Gleichzeitig fingen die ersten Plattformen an, Services anzubieten, die dem kaufwilligen Konsumenten eine Entscheidungshilfe lieferten. Diese Plattformen brauchen keine physischen Produkte und sie sind weder objektiv noch in irgendeiner Weise reguliert, sie erhalten sogar Provisionen für den Verkauf der Produkte, die sie empfehlen, und sind enorm erfolgreich. Sie bieten Preisvergleiche an, machen Tests zu allerlei Produkten und Dienstleistungen. Statt eines Produkts verkaufen sie Datensätze von kaufwilligen Interessenten. Natürlich könnte man diese Datensätze auch als Produkte verstehen, da es sie in unterschiedlicher Qualität gibt, angereichert mit Annahmen über das Kaufverhalten, das Haushaltsnettoeinkommen, die politische und religiöse Ausrichtung und vielem mehr. Der Interessent geht ein Tauschgeschäft ein, von dem er selbst kaum etwas weiß. Der Deal ist persönliche Daten gegen Informationen. Am Ende des Prozesses geistert eine IP-Adresse im System des Käufers herum, die bestmöglich mit Produkten und Dienstleistungen versorgt wird. Die neuen Kennzahlen waren Reichweite, Zielgruppenaffinitätsindex, Lead Generation, CPO (Cost per Order), CPX (Cost per Click), CPL (Cost per Lead) etc. und läuteten eine Zeitenwende ein, die speziell die Medienlandschaft stark beeinflusste. Zeitungen, lineares Fernsehen, Zeitschriften, viele der klassischen Medien konnten mit den neuen Technologien nicht mithalten. Mit der Zeit bildeten sich Oligopole, die den Werbemarkt unter sich aufteilten. Facebook und Google dominieren den digitalen Werbemarkt und teilen 65 Prozent dieses Marktes unter sich auf. Zwar liegen TV und Zeitungen bei den Bruttowerbeerlösen noch vor Online, aber auch dieses Bild wird sich ändern. Auch wenn die Medienindustrie ein besonders tragisches Beispiel ist, ist sie nur eine von vielen Industrien, die sich zu spät an die neue Umwelt der Digitalökonomie angepasst hat.