Читать книгу Todgeweiht im Odenwald - Werner Kellner - Страница 5
ОглавлениеProlog: Eine traurige Osterbotschaft
Der 4. April 2021 war ein warmer Frühlingstag, ein Ostersonntag wie er im Buche steht.
Ein lauer Frühling hatte die Kirschblütenzeit eröffnet.
Die Straßen waren menschenleer und auf Abstand bedachte Gemeindemitglieder hatten sich in den Kirchen versammelt. Die dritte Coronawelle war im Abklingen begriffen und die Menschen schöpften Hoffnung.
Für den Fahrer des nagelneuen Hybrid-SUV war es hingegen der schwärzeste Tag im Leben des bis zu diesem Zeitpunkt glücklichen Familienvaters. Er war fünfzehn Minuten vorher mit seiner Frau und den beiden Kindern aufgebrochen, um sich mit seinen Eltern zum Osteressen im Familienkreis zu treffen.
Eine halbe Stunde nach dem Unfall saß er im Bus der Polizeidirektion Erbach und schaute auf die leere Parkbank gegenüber.
Die Vorgeschichte der mondän gekleideten Dame, die er soeben überfahren hatte, kannte er nicht. Und er wusste ebenso wenig, dass sie sich auf dieser Bank von den Aufregungen der vergangenen Tage ausgeruht und einen Kinderwagen geschaukelt hatte. Dieselbe Dame, deren geschundene Leiche jetzt zugedeckt auf dem Fußgängerübergang der Ampelkreuzung ruhte.
Ein Seelsorger kümmerte sich um seine Frau und die beiden kleinen Kinder, die den Aufprall im Unfallwagen hautnah miterlebt hatten.
Das Auto des Familienvaters war mit nur geringfügig überhöhter Geschwindigkeit auf der L 3120 in Richtung Kreidacher Höhe unterwegs, aber die Wucht des Zusammenpralls war tödlich.
Wie die Dashcam des Unfallfahrers zeigte, hatte die Frau die Straße eindeutig bei Rot überquert. Ohne nach rechts oder links zu blicken, hielt sie Kopf und Hände im Lauf nach vorne auf die andere Straßenseite gestreckt.
Als ob sie etwas ergreifen wollte.
Sie bewegte sich im Laufschritt, aber sie war nicht schnell genug, um dem drohenden Zusammenstoß zu entkommen. Das Auto, das dank eines modernen Elektroantriebes nahezu lautlos die Landesstraße entlang fuhr, stieß sie an der Kreuzung Ludwigstraße und Adam-Karrillon-Straße zu Boden und tötete sie auf der Stelle.
Der Unfallfahrer wurde vor seiner Befragung durch die Polizei von demselben Seelsorger betreut, der sich jetzt um seine Familie kümmerte. Er hatte, aufgeschreckt durch das Sirenengeheul vor der Kirche, kurzentschlossen den Ostergottesdienst des nahegelegenen Gotteshauses unterbrochen. Das schrille Geräusch der Sirenen hatte die Osterbotschaft von der Auferstehung von den Toten gestört, und der Klang der Martinshörner ließ den Ton der Orgelpfeifen ebenso wie den Gesang der Gemeinde verstummen.
Vor der Kirche herrschte ein aufgeregtes Durcheinander, was angesichts des tragischen Zwischenfalls nicht verwunderlich war, aber von den Rettungskräften eher störend empfunden wurde.
Der Fahrer wurde von der Polizei, nachdem die Dash-Cam ausgewertet worden war, zum Unfallhergang befragt, aber er saß wie in Schockstarre da und wiederholte immer nur einen Satz.
„Wieso ist sie bloß bei Rot über die Straße gelaufen?“
Der junge Beamte, der die Aussage aufnahm, war nicht in der Lage diese Frage präzise zu beantworten.
Der leere Kinderwagen an der Parkbank hätte, wenn er gefragt worden wäre, einen Beitrag zur Vorgeschichte leisten können.
Aber dazu kam es nicht.