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VORWORT

1798–1848 ist die Zeit des Umbruchs von der Alten Eidgenossenschaft zur Gründung des Schweizerischen Bundesstaats. Sie führte von der Helvetik über die Mediationszeit, Restauration, Regeneration und den Sonderbundskrieg bis zur ersten Bundesverfassung der modernen Schweiz.

Der aus Magdeburg stammende Schriftsteller und Privatdozent für Theologie und Philosophie Heinrich Zschokke (1771–1848) hat dieses halbe Jahrhundert als Politiker und Staatsbeamter, als Schriftsteller und Erzieher, als Unternehmer und Briefeschreiber wie nur wenige andere beobachtet, interpretiert und mitgestaltet. Er wurde so zu einem Wegbereiter der modernen Schweiz. Drei Jahre vor der französischen Besetzung von 1798 kam er, 24 Jahre alt, in die Schweiz, stellte sich in den Dienst der jungen Helvetischen Republik, später des Kantons Aargau und des Aufbaus der künftigen, freiheitlichen und demokratischen Schweiz. Er erhielt zuerst das Bündner, dann das Schweizer Bürgerrecht in den fünf Gemeinden Malans, Aarau, Lausen (Ehrenbürger), Ueken und Beromünster; später wurde er zudem Ehrenbürger von Magdeburg. Gestorben ist er am 27. Juni 1848, am Tag an dem die eidgenössische Tagsatzung die Bundesverfassung beschlossen hat. Zur Zeit seines Todes war er im deutschen Sprachraum – und darüber hinaus – einer der meistgelesenen Autoren.

DER WEG ZUR BIOGRAFIE

Zur 150. Wiederkehr des Todestags von Heinrich Zschokke versammelten sich in seinem ehemaligen Wohnsitz, der «Blumenhalde» in Aarau, zahlreiche Familienangehörige sowie an seinem Werk Interessierte. Unter der Führung von Markus Kutter und Andres Zschokke entsprang aus den Folgearbeiten zuerst die Idee einer Zschokke-Gesellschaft und später diejenige einer Zschokke-Biografie. Bis dahin lag die Zschokke-Forschung hauptsächlich in den Händen der Schweizer Germanisten Rémy Charbon (Genf und Freiburg) und Robert Hinderling (Bayreuth). Sie schien mit dem Ende der Nationalfonds-Finanzierung 2005 zu stagnieren. Es galt, den damaligen Projektleiter Dr. Werner Ort für eine Fortsetzung zu gewinnen.

Dieselben Kreise haben deshalb am 10. März 2000 in der «Blumenhalde» die Heinrich-Zschokke-Gesellschaft (HZG) gegründet. Sie hat mit einem Mitgliederbestand von nun über 100 Personen sowie einem engagierten Vorstand zusammen mit Werner Ort die Zschokke-Forschung und das «Unternehmen Biografie» über mehr als ein Dutzend Jahre vorangetrieben. Zunächst galt es, Tritt zu fassen. Mit den «Zschokke-Briefen» und den Berichterstattungen von Werner Ort vorab an den Generalversammlungen wurden die Mitglieder und weitere besonders Interessierte regelmässig in die Arbeiten miteinbezogen. Aus den sehr zahlreichen Briefen Zschokkes gab Werner Ort 2001 das Werk «‹Guten Morgen Lieber!› Der Briefwechsel Heinrich Zschokkes mit seinem Verleger Sauerländer» heraus. Zum Jubiläum «200 Jahre Kanton Aargau in der Eidgenossenschaft» wagte die HZG eine weitere Etappe auf dem Weg zur Biografie und gab das von Werner Ort verfasste Buch «Der modernen Schweiz entgegen – Heinrich Zschokke prägt den Aargau» heraus.

Die Generalversammlung der HZG beauftragte am 21. Juni 2003 den Vorstand, das Projekt einer Biografie Heinrich Zschokkes an die Hand zu nehmen, das heisst, die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ziel war es, ein möglichst umfassendes, gründliches, quellenbasiertes und gut lesbares Werk zu präsentieren. Der Historiker und Ökonom Werner Ort übernahm diese Aufgabe. In engem und regelmässigem Kontakt mit dem Vorstand widmete er sich den inhaltlichen Vorbereitungen. Dazu gehörten Vorträge und Publikationen, Archivstudien und Reisen an die entsprechenden Orte in Deutschland und in der Schweiz. Die HZG traf sich mehrfach mit Partnerorganisationen aus Zschokkes Herkunftsstadt Magdeburg. Je einmal nahmen die Stadtoberhäupter Dr. Marcel Guignard, Aarau, und Dr. Lutz Trümper, Magdeburg, an solchen Begegnungen teil. Besondere Höhepunkte bildeten die Zschokke-Symposien in Aarau und Magdeburg. Sie führten Zschokke-Forscher und -Interessierte aus der Schweiz und Deutschland zusammen. Werner Ort hat eine reiche Sammlung von Quellen zusammengetragen; die HZG hat mit ihm vereinbart, diese im aargauischen Staatsarchiv zu hinterlegen, damit sie der künftigen Zschokke-Forschung dienen.

Eine zentrale Herausforderung war es für die HZG, die Finanzierung und Herausgabe der Biografie sicherzustellen. Wir danken den Mitgliedern und Freunden der HZG für die zahlreichen finanziellen Zuwendungen. Ohne sie wäre dieses Werk nicht möglich gewesen. Zahlreiche Private haben sich am Projekt beteiligt, ebenso die Kantone Aargau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Graubünden und Tessin sowie die Stadt Aarau, zudem erfreulich viele Firmen und Stiftungen. Die Sponsoren sind im Anhang verzeichnet. Ausserordentlich viel – geistig und finanziell – trug unser Vorstandsmitglied Andres Zschokke bei. Für alle Beiträge sei herzlich gedankt.

Zu danken ist ebenso dem Verleger Bruno Meier für die qualifizierte, freundschaftliche Begleitung! Und Dank gebührt allen voran Werner Ort für seine aussergewöhnliche wissenschaftliche und schriftstellerische Leistung.

FASZINATION ZSCHOKKE

Die Freiheit und Eigenverantwortung des Autors waren das Fundament der Zusammenarbeit, daraus entwickelten sich Gespräche und Diskussionen zwischen dem Autor und der HZG. Sie entsprangen dem Spannungsfeld zwischen den Quellen, der Stofffülle und der schier unermesslichen Vielfalt von Zschokkes Schaffen einerseits sowie dem Realisierungsauftrag der HZG und den beschränkten Mitteln andererseits. Immer wieder tauchten neue Aspekte, neue Fragen auf. Werner Ort stellte sich dieser Auseinandersetzung geduldig, gesprächsbereit, aber doch beharrlich.

Immer wieder faszinierten Zschokkes Persönlichkeit und Wirken. Vorweg beeindruckt haben natürlich einmal mehr die Schilderungen über die seltene Schaffenskraft und die Breite seines Engagements, kurz die Lebensleistung von Heinrich Zschokke. Naturgemäss musste sich der Autor beschränken. Beabsichtigt war nie eine blosse Lebenschronologie; die Biografie sollte Zschokkes Leben in seinem zeitgenössischen Umfeld darstellen. Seine Zeit war eine Zeit des Umbruchs wie wohl die unsrige auch. Die Anstrengung zur Biografie sollte sich gerade dadurch lohnen, dass sie zum Nachdenken über unsere Zeit und ihre Chancen anregt.

Zu den bekannten Aspekten aus Zschokkes Leben traten neue Erkenntnisse hinzu, vor allem für die Zeit der Helvetischen Republik. Diese kurze, in der Öffentlichkeit noch immer kontrovers diskutierte Ära eines zentralistischen Staats ist eine zentrale Kraftquelle der modernen Schweiz. Zschokke diente der Helvetischen Republik ab Mai 1799 als Regierungskommissär in der Innerschweiz, im Tessin und in Basel. Mit und nach dem Kriegsende im Oktober 1799 schildert die Biografie einen «Wendepunkt von Zschokkes Position zum Volk», eine «Umkehr oder Läuterung Zschokkes». Seine Traumbilder von der Schweiz als glückseligem Land der Freiheit waren längst verflogen. Jetzt musste er sich in der bitteren Realität möglichst «den Opfern widmen», «den Wiederaufbau besorgen», um «das Herz und das Zutrauen der Bergvölker» in den Waldstätten zu gewinnen. Die ohnmächtige helvetische Regierung vermochte nur wenig beizusteuern. Zschokke suchte in intensiver, praktischer Kleinarbeit die Bevölkerung trotz der Widerwärtigkeiten ihrer Zeit des Umbruchs zu – liberaler – Hilfe zur Selbsthilfe zu bewegen. Den Staat beschränkte er auf die Funktionen, die anders nicht zu erbringen waren, zum Beispiel für die Schule. Werner Ort arbeitete Zschokke als typisch schweizerischen Aufklärer heraus. Zschokke begnügte sich nicht wie andere Aufklärer gemeinhin damit, die Menschen moralisch zu veredeln: Sein Ziel war es, die Menschen zu politischer Reife, zur Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und zur Demokratie zu führen. Dieses Anliegen ist zeitlos.

Thomas Pfisterer,

Präsident der Heinrich-Zschokke-Gesellschaft

Heinrich Zschokke 1771-1848

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