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Gerald Fuchs, der Kommissar der Erlanger Mordkommission, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger standen am Ende der geteerten Schulstraße – dort, wo diese in einen Feldweg übergeht. Wie oft waren sie hier schon vorbeigekommen, auf dem Weg zum Neuhauser Bierkeller! Das Neubaugebiet Am Sonnenhang, hinter ihnen, lag noch im Schatten der dahin schleichenden Nacht. Drüben im Osten, über den Bäumen am Horizont, erstrahlte ein gelb-orangefarbenes Lichtband, welches von Minute zu Minute anwuchs. Der Kommissar sah auf seine Armbanduhr. Der kleine Zeiger stand genau auf der Sechs. Normalerweise lag er um diese Zeit noch im Bett und schlief. Am Sonntag sowieso. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war er noch immer Single, dabei sah er blendend aus. Seine sportliche Figur streckte sich auf stattliche einen Meter dreiundachtzig. Sein ovales Gesicht mit dem männlich kantigen Kinn hatte schon so manches Frauenherz erwärmt, ebenso wie seine hellgrünen Augen mit den langen, gebogenen Augenwimpern unter den buschigen Augenbrauen. Er war nach seinem verstorbenen Vater, Hans Fuchs, dem Bruder seiner Tante Kunigunde Holzmann geraten. Die war ja lieb und nett, aber eine furchtbar rechthaberische und besserwisserische Furie. Er ging ihr und ihrer Freundin Retta – auch so ein tratschsüchtiges Exemplar – lieber aus dem Weg. Die beiden Besserwisser hatten ihn in der Vergangenheit schon genug geärgert. Rechts des Weges waren noch immer die Kollegen von der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung tätig. Unter ihnen tummelte sich auch Dr. Thomas Rusche, forensischer Anthropologe und Rechtsmediziner. Ein exzellenter Mann. Er hatte gerade seine Arbeit beendet und kam auf die beiden Beamten zu. „Morgen, hübsche Frau. Morgen, Herr Kollege“, begrüßte er die beiden Ermittler von der Kripo. „Kein schöner Anblick“, fuhr er ohne Umschweife fort. „Da ist nicht mehr so viel übrig geblieben.“

„Verbrannt?“, vergewisserte sich Sandra Millberger.

„Verbrannt“, bestätigte der Rechtsmediziner, „aber das ist sicherlich nicht die Todesursache.“

„Sondern?“, fragte der Kommissar.

„Kann ich noch nicht beantworten. Dazu müssen wir erst die Ergebnisse der Leichenschau abwarten.“

„Todeszeitpunkt?“, ließ Gerald Fuchs nicht locker.

„Vorsichtig geschätzt, vor zwei bis drei Stunden, aber auch dazu Genaueres nach der Autopsie. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Da wurde nachgeholfen. Brandbeschleuniger. Wahrscheinlich Benzin.“

„Wissen Sie, wer die Leiche gefunden hat? Und handelt es sich bei dem Brandopfer um eine Frau oder einen Mann?“, wollte die Beamtin wissen.

„Also erstens, es handelt sich um die Überreste eines Mannes, und zweitens, eine Frau ging heute am frühen Morgen mit ihrem Hund spazieren. Das Tier hat die Leiche entdeckt. Die Frau können sie im Moment leider nicht befragen. Die hat einen Schock abbekommen. Kollegen von Ihnen haben sie zu Dr. Habicht, einem Arzt hier vor Ort, gebracht.“

„Wann können wir uns den Toten ansehen?“, wollte die Assistentin des Kommissars noch wissen.

„Hübsche Frau, ich weiß wirklich nicht, ob Sie sich diesen Anblick nicht besser ersparen sollten. Ach noch eins: Das Opfer trug eine beige Jeansjacke mit für ihn viel zu langen Ärmeln. Ich bezweifle, dass dies seine Jacke war. Auch die Stelle hier, an der er verbrannt wurde, ist nicht identisch mit dem Tatort. Der oder die Täter haben ihn vom Feldweg, auf dem wir gerade stehen, auf das offene Feld gezogen. Hier, sehen Sie die Schleifspuren?“ Thomas Rusche zeigte auf eine Stelle des Weges, die von Männern der KTU umlagert war. „Und dort im Graben“, fuhr er fort, „neben dem Stamm der Eiche, fanden wir einen unversehrten, grünen Filzhut, wie ihn auch Jäger gerne tragen, sowie eine Taschenlampe. Nun aber genug der Rede, ich muss in die Rechtsmedizin und mir vom Gericht oder von Oberstaatsanwalt Dr. Brockmeyer die Genehmigung für die Leichenschau holen.“

„Letzte Frage: Wer wird bei der Autopsie mit dabei sein, Herr Rusche?“

„Ich werde den Niethammer vorschlagen. Der hat eine Menge Erfahrung mit Verbrannten.“

*

Das Lebendgewicht des Aischgründer Spiegelkarpfens betrug beinahe zwei Kilogramm. Ein stattlicher Brocken. Fein säuberlich ausgenommen, längsseitig in zwei Hälften geteilt, gewürzt und paniert lagen die beiden Teile auf einem mächtigen Küchenbrett der Fischküche Fuchs. Dann ließ der Herr des Hauses eine Hälfte in das in der riesigen Karpfenpfanne brutzelnde Butterschmalz gleiten. Schnalzend und zischend nahm die brodelnde Flüssigkeit die Fischhälfte auf, welche nach ihrem Tauchgang sofort wieder an der Oberfläche des kochenden Schmalzes erschien, sich appetitlich krümmte und eine goldbraune Farbe annahm. Neben dem Herd stand ein überdimensionaler Teller, zur Hälfte mit zwei Bergen von Endivien- und Kartoffelsalat gefüllt. Kunni Holzmann war in goldenen Lettern in die Glasur des Porzellans eingelassen. Kunigunde Holzmann stand ebenfalls gleich neben dem Herd und sah zu, wie ihr Karpfen in dem brodelnden Butterschmalz dahinschwamm, und hörte mit wachsendem Appetit dem Blubbern und Brutzeln der kochenden Flüssigkeit zu. Plötzlich war da so ein leises Knistern. Nein, es war eher ein leichtes Trippeln, welches immer lauter wurde. Tripp, tripp. Wie leichte Schritte kleiner Füße auf Metall, hörte es sich an. Dann drang das durchdringende Ruhgu-gu an Kunnis Ohr. Ruhgu-gu. Kunni Holzmann wälzte sich in ihrem Bett. Das Bild des brutzelnden Karpfens wurde blass und blässer und löste sich gänzlich in Nichts auf. Die Ruhgu-gu-Rufe dagegen wurden immer lauter, begleitet vom dem Tänzeln winziger Krallen auf dem kupfernen Fenstersims. Kunnis Traum war wie weggeblasen. Sie war mit einem Mal glockenwach. „Scheiß-Taubn“, fluchte sie und vertrieb mit ihrem Erscheinen am Schlafzimmerfenster die beiden Ringeltauben auf dem Fenstersims. Weit flogen die beiden nicht, nur bis zu einer Astgabel des nahestehenden Walnussbaumes, und schickten ein wütendes Ruhgu-gu herüber. Dann klingelte auch noch das Telefon.

„Gutn Morgen, Kunni, bist scho wach?“, flüsterte die Retta pietätvoll in den Telefonhörer.

„Na, ich schlaf no und telefonier mit dir im Tiefschlaf.“

„Hast scho ghört, drobn Am Sonnenhang hams an verbrennten Totn gfunna.“

„Kannst net a wenig lauter redn“, belferte die Kunni zurück, „hab kein Wort verstandn, mit deim Genuschel.“

„A verbrennte Leich hams gfunna“, schrie die Retta nochmals ins Telefon.

„Wer? Übrigens, schreia brauchst fei a net. Bin doch net gochhehret.“

„Des waß ich doch net, alte Doldn.“

„Etz werd fei net beleidigend, am frühn Morgen“, schrie die Kunni aufgebracht zurück. „Was waßdn überhaupt? Wen hams denn verbrennt?“

Retta stöhnte auf. „Wenns die Polizei nu net amol waß, woher solls dann ich wissen? Des Feier muss die Leich jedenfalls gscheit hergricht ham, haßts. Dei Gerald und die Sandra warn scho am Tatort.“

„Der Depp, der kricht doch sowieso nix backn. Do ruf ich besser morgen die Sandra an. Vielleicht wissns bis dahin a weng mehr. Sen die Polizistn scho weg, vom Tatort?“

„Ich glaub scho“, meinte die Retta.

„Dann schau mer uns des amol o“, schlug die Kunni vor, „Wies der Leitmayr a immer macht. Kummst bei mir vorbei?“

„Der Kaschper scho widder“, murmelte die Retta vor sich hin. „Ja, ich kumm bei dir vorbei. Mach mi gleich aufn Wech.“

„Aber erscht trink ich an Kaffee, und waschn und oziehgn muss ich mich a noch. Kannst der ruhig Zeit lassn.“

„Übrigens, bald gehts widder los“, merkte die Retta noch an.

„Wer is los?“

„Es geht widder los“, wiederholte die Retta etwas lauter. „Die Karpfenzeit geht bald widder los. Sollt mer uns beim Fuchsn-Wirt a Plätzla reserviern lassen. Ich frei mich scho aufs erschte Kärpfla.“

„Ich hätt heit frieh fast scho an gessn, im Bett“, antwortete die Kunni, „aber dann sen die Scheiß-Taubn dazwischn kumma mit ihrm bledn Ruhgu-gu, Ruhgu-gu.“

„Hast du heit morgn scho was trunkn?“, wollte die Retta wissen. „Also dann reservier ich uns demnächst scho amol für den siebtn September a Plätzla beim Fuchsn-Wirt“, schlug sie vor bevor sie auflegte.

*

Dass Ulrich Fürmann vom anerkannten Frauenarzt zum Obdachlosen und Landstreicher abgestiegen war, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Warum musste er auch seine Patientinnen in verfänglichen Situationen, gerade wenn sie auf diesem unbequemen Stuhl lagen, mit einer versteckten Kamera fotografieren? Das macht ein Arzt nicht, dem man Vertrauen entgegenbringen soll. Und dann war dieser Bursche auch noch so blöd, einige der Fotos im Netz zu veröffentlichen. Das konnte ja nicht gut gehen. Er war geständig. Mit viel Glück hatte er nur eine Bewährungsstrafe bekommen, was dem Geschick seines Verteidigers zuzurechnen war, damals, vor zwei Jahren. Seine Zulassung, weiterhin als Arzt zu praktizieren, war aber dahin. Da ließ die Ärztekammer nicht mit sich reden. Der Abstieg ging schnell. Seine Frau, die frigide, fette Kuh, so sah er das, hatte nur darauf gewartet die Scheidung einreichen zu können. Zeitgleich folgten die Klagen von sechsunddreißig seiner ehemaligen Patientinnen. Sie klagten auf Schmerzensgeld, weil er mit den Fotos – angeblich, wie sie meinten – ihre Würde als Frauen verletzt habe. Der Richter gab ihnen recht. Das Haus, das Barvermögen, das Aktienpaket, wurden von den Scheidungsfolgen, den Unterhaltskosten für Frau und Kinder, den Geldstrafen, welche das Gericht verhängt hatte, ratzfatz aufgefressen. Nun war er zweiundvierzig Jahre alt, schien aber in den beiden letzten Jahren um mindestens zehn Jahre gealtert zu sein. Sein Haar war fransig und ungepflegt. Er verströmte einen eigenartigen, unangenehmen Körpergeruch, den er selbst schon gar nicht mehr wahrnahm. Es wäre ihm auch egal gewesen. Mit den anderen Obdachlosen in Erlangen konnte er es nicht. Sie waren ihm zu primitiv. Nicht sein Niveau. Mit denen konnte man nur übers Saufen reden, nicht über Politik, Sport oder wirtschaftliche Themen. Das war es, was ihm am meisten fehlte, eine gepflegte Kommunikation, die Teilnahme am aktuellen Geschehen dieser Welt. Geld für Zeitungen hatte er zwischenzeitlich aber auch nicht mehr. Mit der Zeit ging ihm die Stadt auf den Sack. Er verzog sich aufs Land. Hier waren die Menschen freundlicher, großzügiger und verständnisvoller gegenüber einem Obdachlosen. Ihre Scheunen boten oftmals Platz für die eine oder andere Übernachtung. Vor allem während der kalten Jahreszeit. Die Fallobstwiesen, Erdbeerfelder, Kirschbäume, Schrebergärten und Bierkeller boten ausreichende Angebote für Essbares – man musste sie nur zu nutzen wissen. So zog Ulrich Fürmann durch den ganzen Landkreis. Als er, von Neuhaus kommend, vor sich Röttenbach im Tal der sanften Hügel liegen sah, glaubte er, ein neues Schlaraffenland entdeckt zu haben. Er war sensibilisiert und hatte den rechten Blick für die Obst- und Schrebergärten und sonstigen natürlichen Nahrungsquellen. Es gefiel ihm, was er sah. Auch die kleine Gartenlaube auf dem Grundstück hinter der Jahnstraße, gleich an den winzigen Bachlauf angrenzend, registrierte er mit Wohlwollen und Vorfreude. Sein Hochgefühl hätte sich wahrscheinlich augenblicklich in Luft aufgelöst, hätte er gewusst, dass das Anwesen Hanni dem Hammer gehörte.

*

„Ja, Horst, ich bins, der Hanni. Bist heit Nacht gut hamkumma?“ Johann Hammer hatte die Telefonnummer auf dem Display erkannt.

„Nein, hier ist nicht der Horst. Ich bins, die Hanna, seine Frau. Wo ist er denn, der alte Gauner? Habt ihr wieder ordentlich gesoffen und er schläft noch seinen Rausch aus?“

„Hallo, Hanna, grüß dich“, antwortete Hanni der Hammer. „Dei Mo is net da. Der hat sich heut früh aufn Wech nach Neuhaus gmacht. Ich hab ihm noch mei Jeansjackn und mein Jägerhut mit aufm Weg geben, weil des hat ganz schee abgekühlt gestern Abend, damit er uns net a nu krank wird. Is er net daham?“

„Nein, er ist nicht nach Hause gekommen.“

„Leck mich am Arsch, der wird doch net nu irgendwo im Wald liegn und sein Rausch ausschlafn? Waßt was? Ich schwing mich mal aufs Fahrrad und fahr den Weg ab. Vielleicht find ich ihn. Dann ruf ich dich gleich an, gell. Sollte er zwischenzeitlich daham auftauchn, dann sei so gut und sag mir auf meim Handy Bescheid. Okay?“

„Okay. Schau mal, dass du ihn findest.“

Johannes Hammer hatte während des Telefonats ständig hinaus auf seinen Garten gesehen. Eine eigentümliche Gestalt trieb sich draußen auf der Jahnstraße herum. Er sah aus wie ein Obdachloser. Wie ein Landstreicher. Ein Röttenbacher war er jedenfalls nicht, und er glotzte so was von auffällig in den Garten und auf das Haus. Der Mann hatte einen irren, strengen Blick und sah zum Fürchten aus. Lange, ungepflegte, widerspenstige Haare standen von seinem Kopf ab. Seine Kleidung war abgerissen und schmuddelig. Auf seinem Rücken trug er einen abgewetzten Rucksack, und sein Blick war irre und furchteinflößend. Hanni der Hammer hatte das Telefonat mit Hanna Jäschke beendet und beobachtete nun die ungepflegte Gestalt. Die bewegte sich nicht von der Stelle. Als wäre sie festgewachsen. Dem Hausherrn wurde es zu bunt. Er musste weg, Knöllchen-Horst suchen. Wutentbrannt riss er das Fenster auf. „Heh, du Struwwelpeter“, rief er hinaus, „was willstdn du hier? Warum starrstdn du dauernd auf unsern Gartn und unser Haus? Bei uns gibts fei nix zu Bettln. Des socher der gleich! Schau dassd verschwindst, sonst macher der Ba!“

Ulrich Fürmann starrte immer noch auf die herrlich roten Eiertomaten, die ihm von vier Tomatenstöcken entgegenlachten. Er fühlte, wie der Hunger in seinem Magen rumorte. Dann besann er sich und ging weiter. Ein unfreundlicher Zeitgenosse, der da zum Fenster herausplärrte. Er nahm sich vor, das Grundstück in der Nacht näher zu inspizieren.

*

Johannes Hammer schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte die Schulstraße hinauf. Es ging bereits auf elf Uhr zu. Wo kamen denn die ganzen Polizeifahrzeuge her, welche ihm entgegenfuhren? Das sah ja fast wie ein Betriebsausflug aus. Machten die Bullen vielleicht eine Sternfahrt? Er trat in die Pedale und machte sich Sorgen um Knöllchen-Horst. Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen. Mit fast dreiundsechzig Jahren konnte spontan alles passieren. Herzinfarkt, Schlaganfall, Kreislaufzusammenbruch. Besonders nach so einer durchzechten Nacht. Er sah sich ringsherum um. „Horst?“, brüllte er von Zeit zu Zeit in die offene Natur. Die Sonne lachte wieder von einem wolkenlosen Himmel und die Kühle der Nacht hatte sich längst verzogen. Lediglich über dem nahen Wald stiegen noch kleine Dunstwölkchen auf, die sich aber sofort verflüchtigten. Das Getreide links und rechts des Weges stand schon hoch. Bald würden die Mähdrescher mit ihren gierigen Mäulern kommen und nur noch Stoppeln hinterlassen, erste Boten des nahenden Herbstes. „Horst, hörst du mich?“, rief er erneut über die Getreidefelder. „Horst, ich bin’s, der Hanni.“ Keine Antwort. Hanna rief auch nicht an. Bertl Holzmichl ratzte bestimmt noch immer in der Gartenlaube vor sich hin und schlief seinen Rausch aus, aber Knöllchen-Horst war immer noch verschwunden. „Und wenn er in an Weiher neigfalln ist?“, ging es ihm durch den Kopf. „Das wärs ja noch gwesen.“ Sein Mobiltelefon vibrierte. Es war Hanna. „Hast du ihn schon gefunden?“, fragte sie.

„Na, ich bin etz grad an der Stell, wos im Wald ständich den Berch nach Neuhaus runter geht“, antwortete er. „Wie gsacht, ich ruf di scho an, wenn ich fündich worn bin.“

Fünfzehn Minuten später war Hanni der Hammer bei Hanna angekommen – ohne ihren Mann. Sie berieten, was zu tun sei. „Ruf bei der Polizei an“, forderte er sie auf.

„Aber heute ist doch Sonntag!“

„Na und? Die sen doch immer besetzt“, argumentierte er. „Wenn der Horst in seim Rausch in die Schwarzbeersträucher neigfalln is, finna wir den nie. Der wacht höchstens auf, wenn der vo die Ameisn odder die Schnagn zerstochen wird.“

„Was soll ich der Polizei sagen? Dass der säuft wie ein Besenbinder und sich wahrscheinlich im Vollrausch nur verlaufen hat?“

„Bloß net“, riet ihr Johann Hammer, „da sens zu empfindlich, die Bulln. Die fühln sich immer gleich verarscht. Da tätn die gor net mit dem Suchn anfanga.“

„Warum müsst ihr Mannsbilder nur immer so viel trinken?“, beschwerte sich Hanna Jäschke.

„Is halt ab und zu a schee“, antwortete er.

„Ab und zu, bei euch ist das doch ein Dauerzustand.“

„Na ja, so schlimm is a net. Und sonst? Machst immer noch dei Kräuterführunga?“

„Hhm, macht immer noch Spaß.“

„Immer nu ums Schloss rum?“

„Ja, ich treffe mich mit meinen Teilnehmern immer in der Schlossstraße, beim alten Brunnen, und dann laufen wir meistens um das Schloss herum.“

„Und da wächst was?“

„Und wie! Im Frühjahr wächst dort sogar der Gundermann, das ist eine Zauberpflanze, die verrät in der Walburgisnacht die Hexen. Dort findest du auch Liebeskräuter mit aphrodisierender Wirkung.“

„Du manst, die machn geil?“

„Ihr Mannsbilder habt auch nur immer das Eine im Kopf. Bald wird es die Herbstkräuter geben und im Oktober die Wurzelkräuter. Geh doch einmal mit, dann lernst du noch etwas.“

„Na, Gundermann, Wurzlkräuter, des is nix für mich. Ich foahr etz widder ham. Helfen kann ich dir etz ja eh net.. Wenn er auftaucht, der Horst, rufst mich an. Ich schau hamwärts a numal, ob ich ihn find.“ Johann Hammer verabschiedete sich, und schwang sich draußen wieder auf den Fahrradsattel.

Als er nach knapp zwei Kilometern wieder aus dem Wald hinausfuhr und es nach Röttenbach nur noch bergab ging, erkannte er nach einer Weile die beiden Tratschtanten Kunni und Retta. Sie standen etwas abseits des Weges, ein Stück feldeinwärts, und gestikulierten heftig.

„Hallo, ihr zwei Hübschen, Ostern is fei scho vorbei. Der Osterhos kummt erscht nächstes Joahr widder.“

„Ja, do schau her“, rief die Kunni ihm entgegen, „Hanni der Hammer. Wu kummstn scho widder her, du alter Gauner? Hast dei Karpfen zählt, ob der Kormoran nu welche übrig glassn hat?“

„Kennt scho sei, kennt scho sei“, antwortete er und stieg vom Fahrrad. „Und ihr, was machtn ihr da auf dem Feld?“

„Wir schaua uns den Tatort an“, klärte ihn die Kunni auf.

„Tatort? Was mantn ihr damit?“

„Des waßt du nunni? Heit früh hams doch an Totn gfunna. Den hat sei Mörder anzundn, sacht mer. Da, wo des Gras so versengt is, muss er glegn sei.“

„Anzundn? Ermordet, sacht ihr?“ Hanni der Hammer bekam einen Riesenschreck. „Wer isn dann der Tote?“

„Des wissen wir a nu net. Des muss die Polizei ja erscht nu feststelln. Jedenfalls wars a Mo. An grüna Jägerhut aus Filz hams gfunna. Gleich da am Wech. Net weit davon entfernt, wu dei Fahrrad steht. Und a Taschnlampn.“

Johann Hammer entwich augenblicklich die Gesichtsfarbe. Er sah auf einmal leichenblass aus. „Mein Gott“, entfuhr es ihm, „des werd doch net der Horst sei.“

„Is der schlecht, Hanni?“, wollte nun die Kunni wissen. „Schaust auf amol su käsweiß aus. Was hast du grad von einem Horst gsacht?“

„Der Horst“, stammelte der Angesprochene, „der Knöllchen-Horst, der Holzmichls Bertl und ich ham gestern a weng gfeiert – grillt.“

„Und dabei gscheit gsuffn“, steuerte die Retta bei, doch ihr Kommentar verbuffte in der warmen Sommerluft.

„Jedenfalls hat sich der Horst heut früh, so umera dreia werds gwen sei, zu Fuß aufn Hamwech nach Neuhaus gmacht. Durchn finstern Wald?, ham wir, der Bertl und ich, nu gsacht. Des macht nix, mant der Horst drauf, ich hab mei Taschnlampn dabei, und außerdem, bis ich daham bin, bin ich widder nüchtern. Mei beige Jeansjackn habbin nu aufdrängt, dem Horst, weils ganz sche frisch war, heit Nacht, und mein grüna Filz … Mein Gott, wenn des der Jäschkes Horst is, … ich werd mir doch mei Leben lang Vorwürf machen, dass ichn geh hab lassen, den Horst.“

Karpfenkrieg

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