Читать книгу Karpfenkrieg - Werner Rosenzweig - Страница 13
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Оглавление„Sandra, ich bins, die Kunni“, meldete sich Kunigunde Holzmann am Telefon.
„Ja hallo, Tante Kunni, wie geht’s dir denn? So eine Überraschung. Willst du deinen Neffen sprechen? Der ist gerade beim Chef. Du hast bestimmt mitbekommen, was bei euch am Wochenende passiert ist. Der Gerald und unser Chef beraten gerade, wie wir am schnellsten die Identität des Toten herausfinden können.“
„Deswegn ruf ich ja o, Sandra. Mitn Gerald wollt ich net sprechen, aber mit dir. Was hatn der Tote oghabt? Waßt du des?“
„Eine beige Jeansjacke, ein hellbraunes, kurzärmliges T-Shirt und eine normale Jeans“, antwortete die Polizistin. „Außerdem haben unsere Kollegen noch einen grünen Filzhut und eine Taschenlampe in einem Graben gefunden.“
„Dann gehst hie zu eiern Chef und zum Gerald und sagst den beiden an schena Gruß vo mir. Sagst bei dem Totn handelt es sich um den Horst Jäschke. Ich tät euch raten nach Neuhaus zu fahrn und die Hanna Jäschke zu besuchn, die vermisst nämli seit gestern ihrn Mo. Ob die den bei der Polizei scho als abgängich gmeldet hat, waß ich net. Solltet ihr da hinfahrn und der Hanna ihr Mo des Mordopfer sei, könnt ihr ja gleich a DNA-Probn mitnehma. Ich man a Zahnberschtla wird er wohl ham, der Horst. Und noch was: die Jackn und den Hut, welche der Tote tragn hat, die ghörn dem Johann Hammer in Röttenbach, in der Jahnstraß. Ich denk die Informationa sparn eich an Haufen Ärwert ei. Im Gegenzug – wenn die Ergebnisse vo der Leichenschau vorliegen – möchte ich gern wissen, wie der Horst Jäschke umkumma is. Kannst ja dem Gerald ausrichten, dass er sich net widder so bled anstellen soll wie beim letztn Mal und mana, er könnt den Fall alla lösn. Es wär besser, wir würdn desmal von vornherein zammärwern.“
„Tante Kunni, du bist wie immer, ein Schatz. Woher weißt du denn das alles?“
„Des kann ich eich später a nu erzähln. Machs gut, Sandra. Und der Gerald soll sich des gut überlegn, gell.“
*
Margot Segmeier, Vereinspräsidentin des Vereins Ferienregion Aischgrund e. V., geht in einer wahren Begeisterung in ihrem Job auf. Schlechte Nachrichten aus der lokalen Presse gefallen ihr gar nicht, besonders wenn das Zugpferd der Region, der Aischgründer Spiegelkarpfen für solche Negativmeldungen sorgt. In den letzten Tagen gab es zu viele schlechte Meldungen. Zuerst fuhr dieser Idiot von einem Genossenschaftspräsidenten besoffen Amok und hätte fast einen Polizeibeamten über den Haufen gefahren, und dann auch noch ein Mord an einem Neuhauser Teichwirt. Das Schicksal des toten Karpfenzüchters war ihr persönlich egal, aber was der Mord für die Sicherheit der Region bedeutete … Wenn sich das bei potentiellen Feriengästen herumspricht. Eine Katastrophe. Der Aischgrund, eine unsichere Region! Nicht auszudenken. Margot Segmeier war vor zehn Jahren aus Paderborn ins Fränkische zugezogen. Sie hatte sich in einen Franken verliebt und ihn schließlich auch geheiratet. Zuerst dachte sie, sie könnte ihren Mann Peter dazu bewegen sich in ihrer Heimatstadt niederzulassen, aber da biss sie sich die Zähne aus. „Ja glabst du denn, ich zieh zu euch Preißn?“, hatte er immer wieder gesagt. „Wisst ihr überhaupt, was a Schäuferla oder a backener Karpfn sen? Habt ihr scho mal was davo ghert? Oder vo Blaue Zipfl?“ Schließlich gab sie nach und folgte ihm nach Adelsdorf. Dort ansässig geworden, wähnte sie sich in einem fremden Land, dessen Sprache sie weder verstand, noch daran glaubte, diese jemals erlernen zu können. Aber es war nicht nur die Sprache. Es war eine andere Welt. Was diese Franken zu gewissen Anlässen trieben, verstand sie nicht. Eine Kirmes war bei ihnen eine Kerwa. Ein furchtbares Wort. Kerwa! Bam aufstelln, Betzn raustanzn, Geger rausschlogn. Warum diese Einheimischen mit verbundenen Augen, eine lange Holzrute in der Hand, auf eine leere Heringsbüchse einschlagen, würde für sie immer ein Geheimnis bleiben. Ab und zu liefen ihr andere traumatisierte Leidensgenossen aus Wolfenbüttel, Lüdenscheid oder Norderstedt über den Weg, welche von ähnlichen Verständnisschwierigkeiten berichteten. Auch im Hause Segmeier gab es diese anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten. Sie musste sich sehr anstrengen, ihren Peter zu verstehen. Zudem er auch noch maulfaul war. Das jung vermählte Ehepaar füllte die Kommunikationslücke durch häufigen Sex aus. Dabei musste man wenigstens nicht reden. Dachte sie. Bei Peter war das anders. „Schneggerla, ich kumm“, „Hast a schens fests Ärschla“, „Passt, wacklt und hat Luft“ und auch noch andere seltsame Sätze gab er von sich, und wieder stand Margot vor ungelösten Rätseln. Nach ungefähr drei Jahren konnte Margot unterscheiden, wo welches Wort endete und das nächste begann. Verstehen konnte sie aber immer noch nichts. Sie gab nicht auf, und langsam verbuchte sie wider Erwarten die ersten Erfolge. Sie konzentrierte sich auf sogenannte Schlüsselwörter, die sie immer wieder hörte, wie Gschmarri, Allmächd, gaddzn, Schleppern, Hundskrübbl, Brunzkartler, Gwaaf oder Waggerla. Das musste offenbar ihr Vorname auf fränkisch sein. Dann kamen ihr aber doch Zweifel, als ihr Mann sie plötzlich auch als Schneggerla betitelte. Sie schloss daraus, dass es im Fränkischen immer eine Doppelbezeichnung gibt. Die Schlüsselwörter schrieb sie sich fleißig auf. Ihre Liste war bereits ellenlang. Sie machte erhebliche Fortschritte. Mit der Zeit gelang es ihr – nur mittels der Schlüsselwörter – den Inhalt einer fränkischen Unterhaltung zu fünfzig Prozent richtig abzuleiten. Natürlich erlitt sie manchmal auch gehörigen Schiffbruch. Das gehörte dazu. Wenn ihr Mann Peter zum Beispiel von seinen Gaggerli sprach, musste das doch etwas anderes sein, als wenn die Einheimischen frische Eier im Supermarkt kauften. Die Einwohner von Paderborn, ihrer Heimatstadt, mussten auf Fränkisch jedenfalls Gschwerdl heißen. Da war sie sich ziemlich sicher. Ihr Vater namens Friederich war der Fregger, und ihre Mutter, die Doris, die Dolln. Das hatte sie irgendwie von Peter gelernt, wenn er von Paderborn oder ihren Eltern sprach.
Es war eine harte Zeit des Lernens, aber heute liebt Margot Segmeier das Frankenland und ihre Arbeit abgöttisch. Vor drei Jahren wurde sie zur Vereinspräsidentin der Ferienregion Aischgrund e. V. gewählt. Ihr Mann Peter habe da mit seinen weitreichenden lokalen Beziehungen zu einflussreichen Politikern des Landkreises gewaltig mitgewirkt, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die Aufgaben seiner Frau bestehen darin, das Karpfenland Aischgrund zu einer attraktiven Urlaubsregion aufzubauen – im Mittelpunkt der Aischgründer Spiegelkarpfen, kulinarische Spezialität und Zugpferd im Land der tausend Teiche. Böse Zungen behaupten allerdings, dass Margot nur deshalb zur Präsidentin gewählt wurde, weil sie selbst einem Aischgründer Spiegelkarpfen zum Verwechseln ähnlich sieht. „Sie hat ein Maul wie ein Karpfen“, sagen viele. „Und an Buckl hats a“. Kurz nach ihrer Wahl zur Vereinspräsidentin versuchte ein einheimischer Karpfenzüchter ihr zu erklären, dass der Aischgründer Spiegelkarpfen nur ganz wenige Schuppen habe. Als sie daraufhin antwortete: „Ach wie niedlich, ich habe gar nicht gewusst, dass der Fisch auch Haare hat“, galt sie auch als brunzdumm. Natürlich hat Margot auch Neider. „Eine Preußin als Vereinspräsidentin, des geht doch net gut.“ Doch mit neununddreißig Jahren und ihrer preußischen Hartnäckigkeit steht Margot Segmeier über den Dingen, und gute Marketing-Ideen hat sie tatsächlich.
*
Die komplette Familie saß im Wohnzimmer versammelt: Hanni der Hammer, seine Frau Jana und Tochter Chantal. Kommissar Fuchs hatte darauf bestanden. Er und Sandra Millberger wollten sich ein Gesamtbild machen. Vielleicht hatte ja doch eines der Familienmitglieder eine wichtige Beobachtung in der besagten Nacht gemacht, als Horst Jäschke erstochen wurde. „Wenn wir die Situation richtig verstehen, Frau Hammer, haben Sie letzten Samstag Ihren Mann dabei unterstützt, das Grillfest zu organisieren, beziehungsweise ihm bei der Speisenzubereitung geholfen. Kann man das so sagen?“
Ein zustimmendes „Hm“ war alles, was ihr der Kommissar entlocken konnte.
„Haben Sie an dem Abendessen teilgenommen?“
„Mhmh“, und ein dazugehöriges Kopfschütteln sollten eine Verneinung bedeuten.
„Etz Kreiz nochamol, Jana“ fuhr ihr Mann dazwischen, „etz mach halt amol dei Schleppern auf! Was solln der Kommissar mit Hm und Mhmh ofanga?“ Jana Hammer zuckte bei den scharfen Worten ihres Mannes zusammen.
„Schrei doch die Mama nicht so an“, ging Chantal Hammer dazwischen und sah ihren Vater mit wütenden Augen an.
Sandra Millberger erkannte sofort, dass in dieser Familie jegliche Harmonie fehlte. „Das ist eine, am täglichen Leben zerbrochene Frau. Kein Wunder, bei der Ehe mit diesem Mann, und die Tochter hasst ihren Vater“, ging es ihr durch den Kopf. Jana Hammer saß mit auf den Oberschenkeln aufgelegten Armen auf dem Sofa, die Blicke auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden gerichtet. Die Augen der Polizistin wanderten durchs Zimmer. Ein riesiges Holzkreuz mit dem gekreuzigten Jesus hing an der Wand. In einem kleinen Porzellanschälchen lag ein wertvoller Rosenkranz aus Jade, gleich daneben ein Gebetbuch in einem weißen, ledernen Umschlag. „Sie ist bestimmt eine überzeugte Katholikin“, war sich Sandra Millberger sicher.
„Haben Sie irgendetwas Auffälliges bemerkt?“, bohrte ihr Chef weiter.
Jana Hammer hatte die Frage gar nicht richtig registriert. Erst als ihr Mann sie anstieß, besann sie sich. „Na“, antwortete sie mit feiner, brüchiger Stimme, „ich bin um halba neina vo die Fürbitten ham kumma. Dann hab ich den Fernseher eigschaltn. Wenn Sie mich aber fragn, welche Sendung ich angschaut hab, dann kann ich Ihna des gar net amol sagn. Mei Mann und seine Gschäftsfreund warn da am Feiern. Jedenfalls hab ich ihre Stimmen ausm Gartn ghört. So ummera dreiundzwanzig Uhr bin ich dann ins Bett ganga. Wie lang die Männer zamm warn, waß ich net. Da hab ich schon längst gschlafn. Am nächstn Morgen ham mich dann Martinshörner gweckt. Der Lärm muss vo der Schulstraß kumma sei. Ich hab aber ka Ahnung ghabt, was da gschehn is.“
„Wann haben Sie Ihren Mann tags zuvor das letzte Mal gesehen?“, wollte Sandra Millberger wissen.
„Am Samstag?“
„Genau.“
„Des war, als seine Gäst kumma sen. Jedenfalls, als mei Mann den grüna Salat aus der Küchn gholt hat, war ich schon weg. Der Gottesdienst is ja a um viertl achta anganga. Wir ham es ja net weit, zum Gotteshaus von St. Mauritius. Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben. Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun. Des is der Sonnengesang des heiligen Franziskus“, murmelte sie noch, dann klinkte sie sich aus dem Gespräch aus und starrte wieder auf den nicht vorhandenen Punkt auf dem Fußboden.
„Hm“, murmelte Gerald Fuchs, „interessant“, und richtete seinen Blick auf die Tochter des Hauses. „Und Sie, was haben Sie am Samstagabend gemacht?“
Chantal Hammer biss sich auf die Unterlippe und sah ihren Vater ganz kurz von der Seite an. „Ich war mit meinem Freund weg.“
„Ich hab dir doch scho so oft gsacht“, brach es aus Johann Hammer heraus, „dass du mit dem Kümmltürkn …“
„Herr Hammer!“, unterbrach ihn der Kommissar scharf und wandte sich wieder an Chantal. „Dürfen wir fragen, wie Ihr Freund heißt, und wo und von wann bis wann Sie mit ihm unterwegs waren?“
Wieder dieser kurze Blick zu ihrem Vater. „Mein Freund heißt Jlkan Hawleri und studiert an der Uni in Erlangen Medizin. Jlkan hat mich Punkt siebzehn Uhr an der Bushaltestelle, gleich um die Ecke, abgeholt.“
„Macht er das immer so?“, fragte die Polizistin nach. „An der Bushaltestelle?“
„Na ja“, druckste Chantal Hammer herum, „mein Vater …“, und erntete einen wütenden Blick.
„Verstehe“, bestätigte die Beamtin. „Und dann?“
„Dann sind wir nach Erlangen gefahren und ins Kino gegangen.“
„Aha, welcher Film lief denn?“
„Monsieur Claude und seine Töchter, im Cine-Star“, kam die Antwort, kurz und präzise.
„Und dann? Am besten erzählen Sie, was Sie mit Ihrem Freund den Abend über gemacht haben. Dann brauchen wir nicht ständig nachzufragen“, schlug Sandra Millberger vor.
„Also“, überlegte Chantal und kratzte sich an ihrer kleinen Stubsnase, „der Film war so circa um zwanzig Uhr zu Ende. Dann hat mich Jlkan zum Sushi-Essen nach Nürnberg eingeladen. Danach, es war gerade halb elf vorbei, sind wir zu seiner Schwester und ihrem Mann nach Fürth gefahren und haben uns dort verquatscht Wir waren so gut drauf und haben gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Als Jlkan auf die Uhr gesehen hat, rief er auf einmal: Schon gleich halb drei! Jedenfalls sind wir dann kurz danach aufgebrochen und Jlkan hat mich nach Hause gefahren.“
„Zur Bushaltestelle?“
Chantal nickte.
„Wie spät war es, als Sie das Haus betreten haben, und was ist Ihnen dabei möglicherweise aufgefallen“, übernahm nun der Kommissar wieder das Gespräch.
„Es war viertel nach drei“, antwortete Chantal Hammer ohne zu zögern.
„Haben Sie auf die Uhr geguckt?“
„Das nicht“, antwortete sie, „aber als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, hat die Kirchenglocke viertel nach geschlagen.“
„Haben Sie Horst Jäschke noch gesehen?“
„Nein, der muss schon weg gewesen sein. Jedenfalls haben Papa und der Bertl, der Gisbert Holzmichl, lautstark in unserer Gartenlaube gesungen. Ich müsste eher sagen, gegrölt. Atemlos durch die Nacht, aber mit einem anderen Text. Die zwei müssen ganz schön besoffen gewesen sein. Ich bin dann jedenfalls gleich ins Bett.“
„Was machen Sie eigentlich so?“, wollte die Polizistin noch wissen.
„So?“
„Na ja, ich meine, gehen Sie noch zur Schule, arbeiten Sie schon? Sie sind jetzt neunzehn, richtig?“
„Ach so, das wollen Sie wissen. Genau. Ich bin neunzehn und habe im Juni dieses Jahres mein Abi abgeschlossen. Im Moment genieße ich noch den Abstand von der Schule, ich meine die freie Zeit, denn im Oktober beginne ich mit meinem Studium an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.“
„Fein, und was werden Sie studieren?“
„Sinologie“
„Pah“, staunte die Beamtin, „da haben Sie sich aber was vorgenommen. Waren Sie schon mal in China?“
„Das nicht, aber mich interessiert alles, was mit China zu tun hat. Die Leute, das Land, die Kultur, eben alles.“
„Na gut“, unterbrach Kommissar Fuchs die Unterhaltung. „Wir wollen Sie nicht länger stören. Wir“, und dabei sah er Johann Hammer an, „haben uns ja schon ausgiebig unterhalten. Dennoch gehe ich davon aus, dass es nicht das letzte Mal war. Sind Sie die nächste Zeit im Lande?“
„Ganz sicher, was glaubn denn Sie? Die Karpfensaison geht bald los. Was mana Sie, was des für Ärwert is. Do haßts zupackn.“
*
„Eine pfiffige junge Frau, die Chantal“, meinte Sandra Millberger, als die beiden Polizisten wieder im Auto saßen.
„Aber ihre Mutter …“, entgegnete ihr Chef, „ein lebendes Wrack.“
„Schau dir doch ihren Mann an“, warf Sandra ärgerlich ein, „gefühllos, aufbrausend, selbstherrlich und ein Fremdenhasser. Verbietet seiner neunzehnjährigen Tochter den Umgang mit einem in Deutschland geborenen Türken. Mittelalter. Apropos Türke“, sinnierte die Beamtin, „wollen wir diesen Jlkan auch befragen, ob die Angaben, die Chantal gemacht hat, stimmen?“
„Können wir später noch nachholen“, meinte ihr Chef, „oder glaubst du, dass die den Horst Jäschke umgebracht hat? Fragen wir zuerst Thomas Rusche. Vielleicht hat der schon ein Ergebnis und kennt zwischenzeitlich die genaue Todesursache des Opfers. Kann ja sein, dass es sich bei der Leiche gar nicht um den Teichwirt aus Neuhaus handelt.“
„Wenn du meinst.“
*
„Es war ein direkter Stich ins Herz, von hinten ausgeführt“, erklärte ihnen der Rechtsmediziner. „Übrigens, bei dem Toten handelt es sich tatsächlich um Horst Jäschke. Die Überprüfung der DNA ist eindeutig.“
„Und das Feuer?“
„Wurde anschließend gelegt. Das Opfer wurde mit Benzin übergossen und angezündet.“
„Was macht das für einen Sinn?“, überlegte Sandra laut.
„Keine Ahnung, liebe Kollegin“, zuckte Thomas Rusche mit den Schulterblättern, „das müssen Sie beide herausfinden. Sie sind die Ermittler. Ich kann mir nur vorstellen, dass der Täter die Identität des Toten vertuschen wollte. Aber fragen Sie mich nicht warum.“
„So ein Stich direkt ins Herz, führt der eigentlich einen schnellen Tod herbei, Herr Rusche?“, wollte der Kommissar wissen.
„Schon“, bestätigte der Forensiker. „Sehen Sie, bei der Tatwaffe muss es sich um eine zweiseitig geschliffene Stichwaffe handeln, mit einer Klinge von mindestens fünfzehn Zentimetern. Die Dinger sind übrigens in Deutschland verboten. Wenn nun so ein scharfer und spitziger Gegenstand ins Herz eindringt und wieder herausgezogen wird, dann kommt es zu einem Druckausgleich mit der Außenluft, woraufhin die Lungenflügel zusammenfallen. Bei unserem Opfer spricht man von einem Tod durch eine Herzbeuteltamponade. Ich erkläre es Ihnen. Durch die Verletzung entsteht eine Flüssigkeitsansammlung im Herzbeutel. Bereits geringe Mengen von Blut können zu einer Behinderung der Ventrikelfüllung führen, das heißt, zu einem verminderten Schlagvolumen und somit zu einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Herzens. Der Blutfluss in den Koronararterien wird vermindert und der Herzmuskel wird nur noch ungenügend mit Sauerstoff versorgt. Eine Herzinsuffienz entsteht. Das Herz ist nicht mehr in der Lage, die vom Körper benötigte Blutmenge ohne Druckanstieg in den Herzvorhöfen zu fördern. Es kommt zum Pumpversagen. Aus. Exitus.“
„Na, Prost Mahlzeit“, kommentierte der Kommissar, griff in seine Jackentasche und zog einen kleinen Plastikbeutel heraus. „Wir kommen gerade aus Röttenbach und haben eine Zahnbürste von Johann Hammer mitgebracht. Das ist der Mann, dessen beige Jeansjacke und Hut das Mordopfer vermutlich trug. Ich lasse Ihnen für den DNA-Abgleich den Beutel samt Inhalt hier. Wie Sie sicherlich bereits vermuten, wäre es mal wieder sehr eilig zu wissen, ob die Jacke und der Hut des Toten tatsächlich Johann Hammer gehörten.“
„Wie haben Sie denn den Mann so schnell gefunden?“
„Wir haben eben auch unsere Agenten an allen Stellen“, antwortete Sandra Millberger mit einem spitzbübischen Lächeln. „Vor allem in Röttenbach.“
Ihr Chef konnte darüber gar nicht lachen.
Am Abend rief Sandra Millberger Kunigunde Holzmann an, und erzählte ihr von den Gesprächen mit der Familie Hammer. „Die Jana is a arme Sau“, kommentierte die Kunni, „ihr Mo, der Hundsfregger, besucht scho seit Jahrn a Nuttn in Büchenbach. Die Jana rennt bloß nu in die Kergn und betet zum Heiland. Ich glab, ich hätt den Kreizdunnerwetterhund scho längst umbracht. Aber Sandra, bevor ich des vergess, da fällt mer nu was andres ei. Sacht dir der Knöllchen-Horst was?“
„Der wer? Knöllchen-Horst?“
„Genau.“
„Nein, keinen blassen Schimmer, wer oder was das sein soll.“
„Pass auf, besorg dir amol einen Zeitungsbericht vom 16. August, vo die Nordbayrischn Nachrichtn. Ihr junga Leit find doch sowas ganz bestimmt im Internet.“
„Und was für einen?“
„Schwere Alkoholfahrt – Ampel umgefahren.“
„Und was soll da drinstehen?“
„Da liest du vo an Unfall und aner Autofahrt im Vollrausch, und dass die Polizei an anonyma Anruf kricht hat, bevor sie den Bsoffnen gestellt hat. Der Anrufer war der Knöllchen-Horst, und der Knöllchen-Horst war der Horst Jäschke aus Neuhaus, die verbrennte Leich aus Röttenbach.“