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Erst vor wenigen Minuten war der große schwarze Vogel auf den knorrigen Ast der Schwarz-Erle geflogen, der weit über die Wasseroberfläche des Tiefweihers hinausragte. Der alte Baum, mit seiner tiefrissigen, grauschwarzen Borke, war direkt am nährstoffarmen Ufer des Fischteiches gewachsen und hatte schon viele Karpfengenerationen erlebt, welche sich im Laufe der Jahre in dem trüben, schlammigen Gewässer tummelten.

Der Vogel äugte auf die heranwachsenden Spiegelkarpfen hinab, die dicht unter der Wasseroberfläche im Schein der warmen, sommerlichen Frühabendsonne dahinzogen. Sie interessierten ihn im Moment nicht. Er war bereits satt und zufrieden. In der letzen halben Stunde hatte er sie während seiner Unterwasserjagd schon gewaltig dezimiert. Nun ruhte er sich aus, blinzelte in die tiefstehende Sonne und streckte seine gewaltigen Schwingen zum Trocknen weit von sich, bevor er sich bald wieder auf den Heimflug machen würde. So verharrte er still und ruhig auf seinem Ast und genoss die idyllische Ruhe, die nur vom Gequake der fetten Wasserfrösche unter ihm unterbrochen wurde. Von der ernsthaften Bedrohung, die sein Leben bald beenden würde, hatte der Vogel keine Ahnung.

Keine fünfzig Meter von ihm entfernt ragte aus dem Rande eines hochstehenden Maisfeldes der Lauf eines Haenel Repetier-Jagdgewehres. Der Schütze, der die aus bestem Stahl und feinstem Holz gefertigte Waffe ruhig in Händen hielt, blickte mit dem rechten Auge durch das Zielfernrohr. Er hatte den Kormoran genau im Visier. Der Mann atmete ruhig ein und aus. Er wollte sein Ziel nicht verfehlen und suchte den Druckpunkt seines Gewehres. Noch immer saß der Vogel ruhig auf seinem Ast. Johann Hammer, Teichwirt und Jäger zugleich, hasste die gefräßigen Fischräuber bis aufs Blut, welche seit einigen Jahren seine Fischernten deutlich dezimierten. Der Mann kannte den Vogel, der dort auf dem Ast saß. Er nannte ihn den Einsamen Jäger und hatte auf ihn gewartet. Der stattliche Kormoran – es handelte sich um ein männliches Exemplar – gehörte nicht hierher. Er lebte drüben in Neuhaus in einer kleineren Kormorankolonie, aber seit einem viertel Jahr kam er immer wieder hierher und labte sich an Johann Hammers zweijährigen Karpfen, die im Tiefweiher ausgesetzt waren.

Wie ein scharfer Peitschenknall zerriss der Schuss die Ruhe über dem Gewässer und hallte von den umstehenden Waldrändern zurück. Selbst die Frösche verstummten augenblicklich. Ein Bussard schreckte aus dem Wipfel einer hohen Buche hoch und schwang sich davon. Nur ein Eichelhäher scheckerte, ärgerlich über die Ruhestörung, aus einem nahestehenden Gebüsch.

Die Metallkugeln der Schrotladung aus Hartblei schlugen mit brachialer Gewalt in den Hals und die Brust des Fischräubers ein. Sein zerfetzter Körper verlor den Halt auf dem Ast und trudelte, sich zweimal überschlagend, der Wasseroberfläche des Tiefweihers entgegen. Es gab nur ein sanftes, kurzes Aufklatschen, als der tote Kormoran auf dem Wasser aufschlug. Die wenigen Wellenbewegungen, die sein Sturz auslöste, verliefen sich rasch. Dann stimmten die Frösche wieder in ihr Konzert ein.

Johann Hammer verließ sein Versteck im Maisfeld, in dem er sich seit mehr als einer Stunde auf die Lauer gelegt hatte. Er sah sich um. Niemand war zu sehen. Dann stapfte er die kurze Strecke auf den Fischweiher zu. Ein langer, dürrer Stecken lag neben der Schwarz-Erle. Er hob ihn auf und lehnte sein Gewehr gegen den Stamm des Baumes. Vorsichtig betrat er den abschüssigen Uferbereich des Weihers. Der tote Vogel trieb leicht schaukelnd auf den sanften Wellen des Fischgewässers, keine zwei Meter von ihm entfernt. Sein Körper war merkwürdig verrenkt. Den getroffenen Hals nach hinten gebogen, einen Flügel weit abgespreizt, bot er einen mitleidserregenden Anblick. Nicht für Johann Hammer. Johann Hammer, oder Hanni der Hammer, wie ihn seine wenigen Freunde nannten, kannte kein Mitleid. Schon gar nicht, wenn es sich um einen toten Kormoran handelte. Vorsichtig stieg er mit seinen hohen Gummistiefeln ins flache Wasser des Uferbereiches. Dunkler Schlamm wirbelte an die Wasseroberfläche. Es stank nach Moder. Hanni der Hammer nahm seinen Stecken in die rechte Hand und beugte sich weit vor. Es reichte. Mit Geduld trieb er den schwimmenden Vogelkadaver näher und näher ans Ufer. Dann packte er ihn an den mit Schwimmhäuten versehenen Füßen und warf ihn respektlos auf die Uferböschung. Der Jäger wusste genau, dass er, gemäß den Bestimmungen der Kormoranverordnung, den Abschuss des Vogels an die zuständige Jagdbehörde melden müsste. Doch darum kümmerte sich Johann Hammer schon lange nicht mehr. Ob es Jagdzeit oder Schonzeit war, auch das interessierte ihn längst nicht mehr. Keuchend überwand er den buckeligen Uferbereich, nahm sein Gewehr wieder auf, packte den Tierkadaver erneut bei den Füßen, und steuerte auf ein dichtes Gebüsch am Waldrand zu. Füchse, Raben und selbst Ameisen sollten auch leben. Sie fraßen ihm keine Karpfen weg, aber einen toten Kormoran verschmähten sie sicherlich nicht. Erneut sah Hammer um sich und lauschte. Dann warf er den Kadaver achtlos in das Gebüsch und deckte ihn notdürftig mit herumliegendem trockenen Laub zu. Die beiden Krähen, die über ihm im Geäst des Baumes saßen, sahen ihm mit Interesse zu.

Die Sonne war zwischenzeitlich vom Himmel verschwunden. Lediglich ein glutroter Feuerball schickte hinter dem westlichen Horizont noch Lebenszeichen von ihr und setzte den Waldwipfeln eine riesige, leuchtende Mütze auf. Während im Osten ein blasser, dünner Sichelmond die nahende Nacht ankündigte, marschierte Hanni der Hammer, laut über seine beschissene Situation nörgelnd, auf dem engen Flurweg zwischen dem Breitweiher und dem Mittweiher dahin. Dann meldete sich sein Mobiltelefon. Er erkannte die Nummer auf dem Display. „Ja, Bertl, was is los?“, meldete er sich.

„Hanni, seit einer Stund versuch ich dich am Telefon zu erwischen“, blaffte ihn sein Gesprächspartner, Gisbert Holzmichl, unfreundlich an.

„Habs ausgschalt ghabt, war auf Kormoranjagd“, erklärte Hanni der Hammer.

„Hast des damische Viech wenigstens derwischt?“

„Und wie, schaut aus wie durchn Fleischwolf dreht.“

„Horch Hanni, es gibt was Wichtiges zu beredn. Der Horst is auch grad da. Kannst schnell mal vorbeikommen?“

„Eigentlich wollt ich etz zur Sissi fahrn. Hab so einen unheimlichen Druck in den Lenden. Weißt schon. Was gibts denn so Dringendes?“

„Du mit deiner Rumvögelei. Wart nur, bis dir eines Tages deine Alte dahinterkommt. Zur Sissi kannst später auch noch fahrn. Es gibt Neuigkeiten von dieser vermaledeiten Genossenschaft. Mir brennt der Buckel, und dir wirds genauso gehn, wenn mer net schnell eine Lösung findn. Unsere Existenz steht auf dem Spiel.“

„Also gut, komm ich halt schnell vorbei“, antwortet Hanni der Hammer widerwillig. „Aber bloß a Stund.“ Der Druck in seinen Lenden hatte sich verflüchtigt. Sissi musste sich noch etwas gedulden. Noch fünf Minuten Fußweg bis zu seinem Jeep Wrangler TJ.

*

„Etz trink erst mal was“, forderte Gisbert Holzmichl den Ankömmling auf, als der sich an den Küchentisch setzte, und reichte ihm eine geöffnete Flasche Alt-Bamberg Zwickl Kellerbier. Auch Horst Jäschke, Teichwirt aus Neuhaus und der Dritte im Bunde, prostete ihm zu. „Hau nei“, forderte er den Hanni auf.

„Also, was gibts denn so Dramatisches?“, wollte der ungeduldig wissen.

„Horch zu, was ich heut erfahren hab“, begann Bertl Holzmichl. „Der Antrag dieser Wichser von der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen auf eine geschützte geografische Angabe is genehmigt worn.“

„Hör auf“, entglitt es Johann Hammer ungläubig.

„Gell, da staunst“, fuhr der Hausherr in seinen Erläuterungen fort. „Spiegelkarpfen a Punkt d Punkt A Punkt lautet die offizielle Bezeichnung.“

„Und was soll des Gschmarri haßn“, wollte Hanni der Hammer wissen.

„Spiegelkarpfen aus dem Aischgrund“, mischte sich nun auch Horst Jäschke aus Neuhaus in das Gespräch ein.

„Aber das würde ja bedeuten …“, überlegte Johann Hammer laut.

„Ja, ganz genau“, unterbrach ihn der Bertl, „das würde bedeuten, dass das Konzept der Genossenschaft, der Teifl soll sie holen, aufgeht: Nur die Mitglieder der Genossenschaft, und das sind immerhin schon mehr als zweihundert von uns Fischbauern, dürfen dieses Gütesiegel für ihre Fisch verwenden.“

„Dafür“, fuhr nun wieder Horst Jäschke fort, „müssen sie aber die Auflagen für eine artgerechte Zucht akzeptiern, welche die Deppen von der Karpfenteichwirtschaft vorschreiben und die die Genossenschaft veröffentlicht hat.“

„Und wie lauten die?“

„Kannst du dir aus dem Internet runterladen und ausdrucken“, klärte ihn Bertl Holzmichl auf, „aber grob gsacht: Auf einen Hektar Teichfläche dürfen maximal 1,3 Tonnen Karpfen abgfischt werdn. Die Fütterung der Fische muss mer hauptsächlich auf Naturbasis umstellen. Mais derf net zugfüttert werdn. Der Fettgehalt der Fische muss unter zehn Prozent liegn. Die Qualitätsvorgaben für Wasser und Hygiene sind streng und müssen ständig kontrolliert und lückenlos dokumentiert werdn, und die sogenannte Besatzdichte für zweijährige Karpfen derf net größer sein als maximal achthundert Fisch je Hektar. Das ist das, was ich mir gmerkt hab.“

„Des kannst ja vergessen“, entfuhr es Johann Hammer, „die paar Fisch, die dann noch in dem Weiher drin sind, frisst ja scho alla der Kormoran.“

„Genau“, hakte der Teichwirt aus Neuhaus wieder ein und trank seine Bierflasche leer. „Geh zu Bertl, bring mer noch a Zwickl. Aber ihr habts es ja noch besser als ich. Ihr könnt die Scheißvögel vom 16. August bis zum 30. April abknalln, aber meine Weiher liegen im Naturschutzgebiet, des heißt, ich derf die Viecher nur vom 1. September bis zum 15. Januar jagn.“

„Und was mach mer etz?“, wollte Johann Hammer wissen.

„Des weiß ich auch noch net“, zeigte sich Gisbert Holzmichl ziemlich ratlos. „Ich waß bloß, dass die Gastwirte bevorzugt den Spiegelkarpfen a. d. A. kaufen werdn, weil sie ihren Gästen ein biologisch besonders wertvolles Produkt auf den Teller bringa wolln.“

„Aber des is doch Quatsch“, widersprach Hanni der Hammer, „die Fisch brauchn länger, bis sie ihr ideales Schlachtgewicht erreichen und damit werdns automatisch teurer. Die Gastwirt wolln doch mittlere Karpfen, net so klane Hundskrüppl.“

„Des brauchst du uns net zu erzähln“, stimmte ihm Horst Jäschke zu. „Aber des is net des Problem der Gastwirte. Die gebn die Mehrkosten an ihre Gäste weiter, weil die sen bled gnuch und mehr als bereit, dafür an höhern Preis zu bezahlen, weil sie nämlich einen Karpfen a. d. A. dafür kriegn.“

„Leut, so kommer net weiter“, schlug Johann Hammer vor, „die Situation muss gründlich überdacht werdn, und des machen wir auch. Heut is Montag, der 11. August 2014. Habt ihr am kommenden Samstag, am 16., scho was vor?“

Horst Jäschke und Gisbert Holzmichl schüttelten nach einem kurzen Nachdenken die Köpfe.

„Dann kommt ihr am Samstag so gegen siema zu mir nach Röttenbach. Grill mer a weng. Bis dorthin kann sich jeder von uns überlegn, was wir unternehma. Is des was?“

„So mach mers“, stimmte der Bertl zu.

„Genau, so mach mers“, wiederholte Horst Jäschke aus Neuhaus.

„Und etz fahr ich zur Sissi“, verkündete Hanni der Hammer und griff sich in den Schritt seiner Hose, „ich spür ihn scho wieder, diesen Druck …“

Karpfenkrieg

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