Читать книгу Das Gebet - "die Intimität der Transzendenz" - Johannes Schelhas, Werner Schüßler - Страница 11

4. Das Gebet in der Spannung zwischen Konkretheit und Unbedingtheit des religiösen Anliegens

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Dass Gott über-personal zu denken ist, impliziert nach Tillich zwei Momente: „Er ist das, was unsere Erfahrung des Person-Seins unendlich transzendiert, und zugleich das, was unserm Person-Sein so adäquat ist, daß wir ‚DU‘ zu ihm sagen und zu ihm beten können.“75 Beide Elemente müssen nach Tillich erhalten bleiben. „Haben wir nur das Element des Unbedingten, so ist keine Beziehung zu Gott möglich. Bleibt nur die Ich-Du-Beziehung, wie wir heute sagen, so verlieren wir das Element des Göttlichen, des Unbedingten, das Subjekt und Objekt und alle anderen Polaritäten transzendiert.“76

Der Psychiater, Psychotherapeut und Philosoph Viktor E. Frankl (1905-1997), der Begründer der sog. Logotherapie und Existenzanalyse, betont in ganz besonderem Maße den personalen Aspekt, wenn er schreibt: „Was das Gebet leistet, das ist die Intimität der Transzendenz.“77 Von daher wird auch verständlich, wenn er Gott als „Personalissimum“ bezeichnet.78 Demgegenüber stammt von dem protestantischen Theologen, Religionsgeschichtler und Religionsphilosophen Rudolf Otto (1869-1937) der Satz: „In der Tat, man kann das Höchste nicht immer duzen.“79 Und in diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Hl. Teresa von Avila, die zu Gott „Ew. Majestät“ gesagt haben soll. Beide Sätze haben ihre Wahrheit, und in ihnen tritt eine Spannung zutage, die größer nicht sein könnte.

Unter der Überschrift „Gott als Idee. Eine phänomenologische Beschreibung“ kommt Tillich in seiner „Systematischen Theologie“ auf diese Spannung näher zu sprechen, wenn es dort heißt: „Gott ist die Antwort auf die Frage, die in der Endlichkeit des Menschen liegt, er ist der Name für das, was den Menschen unbedingt angeht. [...] Es heißt, daß das, was einen Menschen unbedingt angeht, für ihn zum Gott (oder Götzen) wird, und es heißt, daß nur das ihn unbedingt angehen kann, was für ihn Gott (oder Götze) ist. Der Ausdruck: ‚das, was unbedingt angeht‘, weist auf eine Spannung in der menschlichen Erfahrung hin. Auf der einen Seite ist es unmöglich, daß uns etwas angeht, dem nicht konkret begegnet werden kann, sei es im Bereich der Wirklichkeit, sei es im Bereich der Einbildung. [...] Andererseits muß das, was unbedingt angeht, alles, was uns vorläufig und konkret angeht, transzendieren. Es muß den ganzen Bereich des Endlichen transzendieren, um die Antwort auf die Frage zu sein, die in der Endlichkeit liegt. Aber indem das religiöse Anliegen das Endliche transzendiert, verliert es die Konkretheit einer Beziehung zwischen endlichen Wesen. Es hat die Tendenz, nicht nur absolut, sondern auch abstrakt zu werden und damit Reaktionen des konkreten Elements hervorzurufen. Das ist die unausweichliche Spannung in der Gottesidee. Der Konflikt zwischen Konkretheit und Unbedingtheit des religiösen Anliegens ist aktuell, wo immer Gott erfahren und diese Erfahrung ausgedrückt wird, vom primitiven Gebet bis zum kompliziertesten theologischen System. Er ist der Schlüssel zum Verständnis der Dynamik der Religionsgeschichte, und er ist das Grundproblem jeder Lehre von Gott.“80

Wird die Konkretheit Gottes einseitig überbetont, so steht das Gebet in der Gefahr, magische Züge zu bekommen, indem es „in eine Person-Ding-Beziehung“ verwandelt wird, „die aus dem göttlichen ‚Du‘ ein Mittel für eigene Zwecke macht“ im Sinne der bekannten „do-ut-des“-Formel81: Ich gebe, damit du gibst. Damit wären wir bei dem von Kant angesprochenen Problem. Wird auf der anderen Seite die Unbedingtheit Gottes einseitig überbetont, so entweicht uns das Göttliche im Sinne einer absoluten Transzendenz, zu der keine Beziehung mehr möglich ist. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Position von Karl Jaspers in dieser Frage. Das heißt, das Gebet bewegt sich ständig zwischen den beiden Gefahrenpunkten der Dämonisierung oder Vergötzung einerseits und der Profanisierung andererseits.82 Hierin kommt eine Spannung zum Ausdruck, unter der jede konkrete Religion und auch der persönliche Glaube unausweichlich steht und die in der Realität unüberwindlich ist.

Das führt auch noch einmal auf die eingangs aufgeworfene Frage zurück, was es heißt, dass ein Gebet „erhört“ ist. Wenn wir diese Überlegungen ernst nehmen, dann müssen wir uns hier von jeder eindimensionalen Sichtweise verabschieden, die meint, ein Gebet sei dann – und nur dann – erhört, wenn die an Gott herangetragene Bitte in Erfüllung geht. Der letzte Sinn des Bittgebets besteht demgegenüber nach Tillich vielmehr darin zu sehen, dass man Gott bittet, die gegebene Situation in Richtung ihrer Erfüllung zu lenken.83 Letztlich entscheidend ist darum allein „die Hingabe an Gott“.84 Der ernsthafte Beter sieht alles „unter dem Einfluß des göttlichen Geistes und im Lichte der göttlichen Vorsehung“.85 „Das Neue, das im Bitt-Gebet geschaffen wird,“ schreibt Tillich, „ist der Geist-gewirkte Akt, in dem der Inhalt unserer Wünsche und Hoffnungen in die Gegenwart des göttlichen Geistes erhoben wird. Ein Gebet, in dem das geschieht, ist ‚erhört‘, selbst wenn ihm Ereignisse folgen, die dem konkreten Inhalt des Gebets widersprechen.“86

Ähnlich drückt es auch der christliche Existenzphilosoph Gabriel Marcel (1889-1973) aus: „Selbst angenommen also, das, worum ich betete, habe sich nicht verwirklicht, könnte ich doch nicht sagen, mein Gebet sei nicht erhört worden (oder wenn ich es sagte, hörte ich damit auf, mir dessen bewußt zu sein, daß ich es an Gott richtete: ich verfiele in Abgötterei). Mein Groll fände in einer allzu menschlichen Es-Formel Ausdruck. Soll das bedeuten, daß ich mich in jeder Weise dem göttlichen Ratschluß zu fügen hätte und daß es völlig nutzlos sei zu beten? Das hieße aber doch Gott (die göttliche Realität) in eine abstrakte Ordnung, in ein reines Es verwandeln: hieße in eine andere Art Abgötterei verfallen, in die der Notwendigkeit. Zwischen beiden Abgöttereien liegt bloß eine schmale Landenge, wohl der Ort des religiösen Denkens. [...] Mein Gebet kann nicht als für Gott belanglos, als nicht zu ihm durchdringend gedacht werden: in diesem Sinne ist mein Beten sicherlich wirksam. Man mag allerdings einwenden, die göttlichen Entscheide müßten von aller Ewigkeit her getroffen sein. Doch bin ich davon überzeugt: Wenn von aller Ewigkeit her bedeuten soll ‚eine unmeßbare Zeit‘, dann stehen wir mitten in einer Irrlehre (und vielleicht im Herzen des Sinnwidrigen). [...] Beten heißt, tätig ablehnen, Gott als Ordnung zu denken, heißt, ihn wahrhaftig als Gott denken – als reines Du.“87

In diesem längeren Zitat von Marcel wird auch noch einmal die Verbindung zu Meister Eckhart deutlich. Eckhart hat die Ewigkeit ja gerade nicht im Sinne einer „schlechten Unendlichkeit“, d.h. als nicht endende Zeitlichkeit verstanden, sondern, wie schon Boethius in seiner „Consolatio philosophiae“ deutlich gemacht hat, als nicht endende Gegenwart.88 Und es wird ebenso die Verbindung zu Tillich und Frankl deutlich.

Das bedeutet: Erfolg oder Misserfolg sind keine letzten Indikatoren dafür, dass Gott unser Gebet erhört oder nicht erhört hat. Der Erfolg birgt somit nicht unmittelbar und ohne weiteres eine Rechtfertigung in sich, so wenig wie der Misserfolg ein Zeugnis für Gottes Missfallen wäre. Das führt uns auch das Beispiel Hiobs klar vor Augen. Urteile, die aus Erfolg oder Misserfolg gewonnen sind, sind höchst problematisch.89 Solche Überlegungen stehen natürlich in einer gewissen Spannung zur volkstümlichen Gebetspraxis, wie sie sich z.B. auf Votivtafeln dokumentiert. Diese Spannung ist aber, wie schon angedeutet, nicht aufzulösen, drückt sich doch darin immer auch das grundsätzliche menschliche Bedürfnis aus, das Heilige an bestimmten Handlungen quasi „festzumachen“, d.h. zu konkretisieren, zu materialisieren. Aber selbst der einfache Gläubige wird sich der Paradoxie der Erhörungsproblematik bewusst sein, wenn er den Satz im Vater-unser „Dein Wille geschehe“ ernst nimmt. Diese Einsicht leitet auch schon zu meinem letzten Aspekt über.

Das Gebet -

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