Читать книгу Das Gebet - "die Intimität der Transzendenz" - Johannes Schelhas, Werner Schüßler - Страница 8
1. Hilft beten? – Eine Hinführung
Оглавление„Hilft beten?“ – so lautet der Titel eines Sammelbandes, der jüngst in der Reihe „Theologie Kontrovers“ im Herder-Verlag erschienen ist und in dem fünf Theologen sich zu den „Schwierigkeiten mit dem Bittgebet“ – so der Untertitel – äußern.2 Der Titel „Hilft beten?“ ist wohl bewusst etwas provokant formuliert und spaltet sicherlich die Gemüter, denn der eine wird vielleicht aufgrund einer schrecklichen Leidsituation oder im Angesichts einer tödlichen Krankheit auf diese Frage antworten: „Jetzt habe ich so viel gebetet, und es hat doch nicht geholfen“, während ein anderer vielleicht sagen wird: „Das Beten hat geholfen.“ Votivtafeln an Wallfahrtsorten oder auch Gebetserhörungen im Zusammenhang mit Verfahren von Selig- oder Heiligsprechungen legen hierfür reichlich Zeugnis ab. Das einfach als Volksfrömmigkeit abzutun, wird diesem Phänomen sicherlich nicht gerecht, scheinen sich hier doch authentische religiöse Erfahrungen auszusprechen.
Und doch scheinen diese Antworten – auf der einen Seite ein klares Nein, auf der anderen ein klares Ja – auf den ersten Blick vielleicht doch etwas zu einfach zu sein; und damit sind wir auch schon mitten im Thema. Denn was heißt in diesem Zusammenhang überhaupt „helfen“, oder theologisch ausgedrückt: „erhören“ – im Sinne von: Hat Gott das Gebet erhört bzw. nicht erhört? Daran schließt sich sogleich die weitere Frage an: Lässt sich dieses Helfen bzw. Erhören oder dieses Nicht-Helfen bzw. Nicht-Erhören überhaupt „objektiv“ feststellen? Und wenn ja, was heißt dann in diesem Zusammenhang „objektiv“? Anders formuliert: Geht es in religiösen Dingen überhaupt um „Objektivitäten“? Damit soll nicht gemeint sein, dass religiöse Dinge rein subjektiv, d.h. letztlich eine Projektion oder Illusion wären, sondern dass diese einen ganz anderen Charakter haben wie das, was wir gewöhnlich mit dem Begriff „objektiv“ verbinden.
Gott „gibt“ es eben nicht in dem Sinne, wie es diesen Stein, diese Pflanze oder diesen Menschen „gibt“. Und doch scheint Gott für den religiösen Menschen ohne Zweifel Wirklichkeitscharakter zu haben, ja, er ist die entscheidende Wirklichkeit in seinem Leben. Ludwig Wittgenstein (1889-1951) hat in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen, dass Glaubenssätze nicht wie historische oder empirische Sätze zu behandeln sind.3 Das heißt, religiöse Dinge sind nicht einfach einzuordnen in unser Raum-Zeit-Schema; sie liegen vielmehr „quer“ dazu. Und doch kommen sie in diesem Raum-Zeit-Schema „zur Erscheinung“.
Nun könnte man aber mit Hans Schaller fragen: „Weshalb das Gebet, das im eigenen Vertrauen schwingt und davon getragen ist, mit metaphysischen und theologischen Gedanken belasten? Ist das damit gewagte Risiko überdies nicht zu groß, daß mit solchem Hinterfragen die vertrauende Unmittelbarkeit geschmälert wird oder gar verschwindet?“4 Um es mit einem Satz zu sagen: Ist Reflexion für den Gebetsvollzug überhaupt förderlich? Natürlich gibt es immer auch das schlichte Gebet, „das auf eine unreflektierte Weise mit seinen eigenen Gebetserfahrungen zurecht kommt“5 – wie es immer auch den schlichten Glauben gibt. Zum Problem werden Glaube und Gebet erst dann, wenn der naive, ungebrochene Glaube im wahrsten Sinne des Wortes „frag-würdig“ geworden ist. In der Theologie aber müssen Glaube und Gebet hinterfragt werden, denn sonst wäre sie nicht das, was der Name besagt, nämlich logos von theos: „Rede von Gott“.6
Was für den Glauben insgesamt gilt, hat auch sein ungeteiltes Recht für das Gebet, das religiöse Grundereignis schlechthin7: Hier wie dort wäre es falsch, eine einfache Entgegensetzung von Philosophie und Theologie bzw. Religion zu statuieren, Reflexion in Gegensatz zu Erfahrung zu denken. Das käme einer Verkürzung der Wirklichkeit gleich, wenn auch ein solches vereinfachendes Denken in reinen Alternativen durch seine logische Konsequenz einen gewissen Reiz ausübt. Aber am Maßstab der dem Menschen gestellten Aufgabe bedeutete dies ein Ausweichen; immer sind die fixierten Einseitigkeiten ein Versagen.
Rechtes Beten kommt nicht ohne philosophische Einsichten aus, seien sie nun expliziter oder auch bloß impliziter Natur, wobei letzteres zumeist der Fall ist. Alfred de Quervain wehrt sich in diesem Zusammenhang zu Recht gegen eine Entgegensetzung zwischen einer „Laienfrömmigkeit“ auf der einen Seite und dem „Wissen des Theologen“ auf der anderen: „Es ist ein gefährlicher Irrtum, zu meinen, daß das, was der theologisch ungeschulte Christ im Gebet vollzieht und was er über das Gebet denkt, ohne weiteres aus Gott ist, während das Nachdenken des Theologen gott-lose Wissenschaft sei.“8 Der Philosoph bringt dem Beter nicht etwas bei, was diesem unbekannt wäre; „er macht ihm nur etwas bewußt, was im Vollzug seines Betens, vor allem des Bittgebets, immer schon impliziert war“.9
Dass philosophisches und theologisches Denken über das Gebet dem Lebensvollzug gegenüber immer nur eine sekundäre Aufgabe sein kann, steht außer Frage. Und doch entbindet das Beten nicht davon, sich über das Gebet Gedanken zu machen. Denn „das Beten wurde nicht zuletzt deshalb dem Denken fremd und das Denken dem Beten feind“, schreibt Gerhard Ebeling, „weil über das Beten – nicht etwa zu viel, sondern – zu wenig gedacht worden ist.“10
Allerdings ist es heute – entgegen früheren Zeiten – kaum noch üblich, das Gebet zum Thema philosophischer Überlegungen zu machen.11 Dass das so ist, hat mit dem Namen des großen deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) zu tun. Es scheint fast, als ob sich in Bezug auf die Gebetsproblematik – wie im Bereich der klassischen natürlichen Theologie insgesamt – das Kantische Erbe immer noch negativ bemerkbar macht, können wir doch in Kants Religionsphilosophie, der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ von 1793 lesen: „Das Beten [...] ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloßes erklärtes Wünschen, gegen ein Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird.“12 „Dieser Satz Immanuel Kants“, schreibt Wilhelm Weischedel, „drückt aufs schroffste die Bedenken aus, die die Philosophen gegen das Gebet erheben.“13 Das abergläubische Wesen des Gebets sieht Kant in dem Versuch des Menschen, „auf Gott zu wirken“. Es ist für ihn „ein ungereimter und zugleich vermessener Wahn, durch die pochende Zudringlichkeit des Bittens zu versuchen, ob Gott nicht von dem Plane seiner Weisheit (zum gegenwärtigen Vorteil für uns) abgebracht werden könne“.14 Verstände sich das Gebet wirklich nur als eine Möglichkeit, auf Gott zu wirken, so hätte Kant recht; in diesem Punkt, also der Einordnung des Gebets in das mechanistisch verstandene Kausalschema, treffen sich sowohl theologische Kritik als auch allgemeine Religionskritik a- oder antitheologischer Art. Doch macht dies gerade nicht das Wesen des Betens aus, es ist dies vielmehr eine Zerrform. Aber hier gilt wie überall: Abusus non tollit usum; der Missbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf. „Das Faktum einer weit verbreiteten pervertierten Form des Bittgebetes ist noch keine Norm dafür, was das Bittgebet ist und sein kann.“15
Damit ist auch schon der zentrale Rahmen abgesteckt, in dem die Philosophie das Gebet normalerweise behandelt – nämlich kritisch. Mit der „philosophischen Gebetskritik“ ist zumeist ein weiterer Gesichtspunkt verbunden: nämlich die Ausbildung eines „philosophischen Gebetsideals“, sei dies nun ethischer Natur, wie das bei Kant der Fall ist, oder metaphysischer, wie bei dem Existenzphilosophen Karl Jaspers (1883-1969), wenn dieser das Gebet nur noch „als Besinnung in philosophischer Meditation“ gelten lassen möchte.16 Friedrich Heiler schreibt hierzu mit Recht: „Das positive Gebetsideal, das die philosophische Kritik dem lebendigen Beten gegenüberstellt, erscheint dem religiösen Menschen [...] als ein kahles Abstraktionsprodukt, ein kümmerliches Surrogat [...]. Das Gebet des Philosophen ist kein realer, dramatischer Verkehr, kein Umgang mit Gott, kein persönliches Verhältnis, keine lebendige Gemeinschaft mit ihm.“17
Es hat aber letztlich desaströse Konsequenzen, wenn das personale Element ausgeklammert wird, scheint es dem Gebet doch gerade wesentlich um ein Ich-Du-Verhältnis zu gehen, in dem die religiöse Erfahrung sich ausdrückt – und nicht um ein „betendes Denken“18. Doch keine Gebetskritik des philosophischen Denkens war in der Lage, das Gebet, dieses „zentrale Phänomen der Religion“19, aus der Welt zu schaffen. Und auch kein Gebetsideal des philosophischen Denkens konnte das religiöse Gebet ersetzen. Denn das Gebet ist – wie Karl Heim es einmal treffend formuliert hat – „die Urfunktion unseres Geistes“.20
An der philosophischen Gebetskritik Kants wird noch ein weiterer Punkt deutlich: Dass nämlich im Bittgebet geradezu sämtliche Probleme des Gebetes kulminieren.21 Man macht es sich nämlich zu einfach, wenn man aus diesem Grunde gerade auf diese Form des Gebetes verzichten möchte,22 erweisen sich doch, wie Carl Heinz Ratschow zu Recht meint, die verschiedenen Weisen des Betens – Dank, Fürbitte, Anbetung – immer wieder als Bittgebet.23 Mit Recht wurde das Bittgebet deswegen – ähnlich wie auch das Theodizeeproblem – als „Ernstfall“24, „Testfall“25 oder „Probe des Glaubens“26 bezeichnet.
Im Folgenden werde ich zuerst nach den tragenden Pfeilern der Möglichkeit und Sinnhaftigkeit des Gebets fragen, wobei hier zwei Aspekte zu berücksichtigen sind: einmal ein metaphysischer bzw. ontologischer (2), sodann ein erkenntnistheoretischer (3). Danach werde ich mich dem Gebet unter einem religionsphilosophischen Aspekt zuwenden, nämlich der grundsätzlichen Spannung zwischen Konkretheit und Unbedingtheit des religiösen Anliegens (4), bevor ich auf die Möglichkeit einer mystischen Überhöhung des Gebets zu sprechen kommen werde (5), um dann in einem abschließenden Resümee noch einmal auf die zu Anfang formulierte Frage: „Hilft beten?“ zurückzukommen (6).27