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Gespräch über die Oper

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Ich sage es ungern. Aber die Oper ist tot.

Das meinst du nicht im Ernst.

Aber ja. Es gibt mehrere Ursachen. Zunächst einmal: Der Spagat zwischen konventionellen und experimentellen Inszenierungen ist nicht mehr möglich.

Warum? Man muss nur zwischen guten und schlechten unterscheiden.

Das geschieht ja nicht. Wie auch immer so eine Inszenierung ist, ist sie konventionell – ob gut, ob schlecht – buhen die Progressiven, ist sie modernistisch, dekonstruierend, konzeptionell – welches Idiotenwort man auch immer einsetzen mag –, buhen die Konservativen. Über Stimmigkeit und Qualität wird nicht geurteilt. Da fehlen die Voraussetzungen. Da ist man entwöhnt.

Das ist mir zu generalisierend. Ich kann mit traditionellen Inszenierungen leben, wenn die Stimmen schön sind und die Menschen den Menschen wenigstens ähnlich sehen, die sie da darzustellen haben. Also Manon mit 100 Kilo geht nicht mehr …

Florestan, bei Wasser und Brot, mit 150 Kilo immer noch.

Das sind Ausnahmen, der Stimme geschuldet.

Aber ich muss aus dem Theater rennen.

Geh nicht hinein, wenn du es schon vorher weißt.

Und wenn in traditionellen Inszenierungen die Sänger dem Publikum die Liebe gestehen statt dem Gegenüber, das stört dich nicht?

Man kann sich aufs Zuhören beschränken.

Das ist mir nicht möglich. Und wenn ein Regisseur dem Publikum einreden möchte, die Oper spielt heute …

… dann ist der Versuch, den Staub wegzublasen, zunächst einmal ehrbar.

Und dann erschießen sich Menschen auf der Bühne, während sie von Messer und Degen singen.

Da kann ich leider nicht widersprechen. Das ist ja noch das Harmloseste. Aber es wäre leicht änderbar, ohne die Oper totsagen zu müssen.

Indem man nur mehr werktreu inszeniert?

Nein, indem man den Text ändert.

Du Naivling! Erstens kann das keiner, denn so begabte Menschen befassen sich nicht mehr mit dem Genre, zweitens, du weißt doch, dass ab der zweiten bis fünften Vorstellung die Leute, die vier Wochen geprobt haben, nicht mehr singen, und die Gäste froh sind, dass sie wissen, wo sie stehen.

Da ohnehin in Originalsprache gesungen wird, verspielt sich die Sache. Wer bemerkt schon in der Eile, dass der Degen schießt? Um bei deinem Beispiel zu bleiben.

Sie ändern ja nicht einmal den Lauftext oben.

Warum sollten sie, wenn die Schützen ohnehin von Degen singen?

Du kannst noch so blödeln, die Oper ist tot.

Dafür ist sie zu schön.

Sie machen nicht einmal in der Deutschen Oper das, was sie singen.

Wenn du Richard Wagner meinst, ist es müßig. Da kann dem Publikum völlig egal sein, was die Leute machen. Es ist immer sinnlos.

Du verwechselst den »Holländer« oder den »Tannhäuser« mit dem »Ring«.

Das kann sein. Pardon!

Die Oper ist schon wegen des Originalsprechwahnsinns tot.

Entschuldige, der ist nun wirklich künstlerisch zu begründen.

Es ist aber Barbarei. Der Versuch, das Publikum nicht ganz ahnungslos dasitzen zu lassen, führt zu dieser Bahnsteigästhetik mit dem Lauftext. Das ist das Widerwärtigste, was man der Oper antun kann.

Es hat sich eingebürgert. Man empfindet das nicht mehr als störend.

Man gewöhnt sich auch an Liftmusik, wenn man nicht rechtzeitig wahnsinnig wird. Wenn wir jetzt einmal davon absehen, dass es komisch ist, wenn oben steht »Erhebe dich!« und auf der Bühne sitzt schon wieder keiner, die Sprache dieser Schriften ist unerträglich, weil sie mit der Musik nicht synchron ist.

Es geht auf Deutsch nicht. Jedenfalls nicht immer.

Red nicht einen derartigen Stuss! Es gibt nichts, was die deutsche Sprache nicht leistet. Hans Weigel hat bewiesen, man kann sogar Molière übersetzen, ohne den Alexandriner zu verraten.

Wir reden von Sangbarkeit …

Du hast recht. Die vorliegenden deutschen Übersetzungen sind nicht sangbar. Die Voraussetzung für die Sangbarkeit wäre, dass die Übersetzer zwei Sprachen können müssen, Deutsch und Musik. Sie können aber allenfalls immer nur eine.

Das kennen deine Freunde schon auswendig. Das steht schon in Büchern, wie du diese oder jene berühmte Stelle auf Deutsch machen würdest.

Tut dir das nicht weh, wenn einer statt »lucevan« »es blitzten« singt?

Hast du noch immer nicht verstanden, dass ich »lucevan« hören möchte. Das muss man nicht einmal übersetzen. Ich weiß, was das heißt.

Diese elitäre Arroganz. Das normale Publikum darf nicht die Oper miterleben. Die Scherze im 1. Akt der »Bohème«, den Dialog von Carmen und José, bevor sie stirbt.

Weil sie auf Deutsch nicht auszuhalten sind.

Das behauptet die Mafia. Das Syndikat.

Bitte?

Schau, ich bin ein großer Freund von Verschwörungstheorien. Warum fahren die Züge nicht pünktlich? Warum ist die Eisenbahn nicht das Transportmittel der Ökonomie?

Wir reden über Oper.

Weil die Autoindustrie das verhindert.

Wir reden über Oper.

So ist es. Der wahre Grund für die Originalsprachen-Tyrannei ist kein künstlerischer, sondern ein ökonomisch-organisatorischer. Die Firma Oper ist globalisiert. Die Globaloper ist ein Ensemble. Die Agentenmafia mit der ihr angehörenden Kritik. Die diktiert die Qualitätsnormen und damit die Gagen. So kann sich kein noch so großes Haus ein Ensemble mit ersten oder zweiten Stimmen für Doppelbesetzungen leisten. Ich meine, in der jeweiligen Landessprache. In unserem Falle in Deutsch.

Kein Mensch diktiert Qualitätsnormen. Die gibt es nun einmal. Eine Weltklassestimme ist eine Weltklassestimme.

Aber muss die überall singen? Wir leben im Katastrophenzeitalter des Wachstums. Das gilt auch für das Wachstum des künstlerischen Anspruchs. Man hat den Menschen ihr Urteil geraubt. Warum soll es in Kaiserslautern, in Klagenfurt oder Kiel nicht einen Tenor geben, der das erste Fach singen kann, einen jungen, zweiten, der als Cover genügt und einen Chorsänger mit Soloverpflichtung, der einen Abend retten kann.

Weil das Publikum schon den ersten schwach findet.

Das hat man ihm eingebläut. Ich erinnere mich. Wir hatten in Salzburg in der Saison 1963/64 »Hoffmanns Erzählungen«. Unser Hoffmann war krank. Wo machen sie im Moment »Hoffmann« auf Deutsch? Der Agent sagt in Darmstadt. Wir rufen an. Sie hätten drei Hoffmanns, hören wir, der dritte hätte Zeit. Der Mann kam.

Und war schlecht.

Ja, war er. Aber die Vorstellung fand statt. Und die Abonnenten waren nicht ungehalten.

Du plädierst für längst nicht mehr mögliche Provinz.

Ich plädiere für die deutsche Sprache und eine lebende Oper. Und sie kann nur in der Sprache des Publikums leben. Der Rest ist Museum, das Regie führende Pseudokünstler dieser Erde entweder mit Gold oder mit Scheiße dekorieren, je nach Mutwillen und Quantität der Blödheit.

Du verrennst dich.

Nein. Die Heutigkeit, die von den Regisseuren übergestülpt wird, wäre durch Übersetzungen herstellbar. In allen Sprachen. Ich meine Nachdichtungen. Die könnten viel, viel besser sein als die italienischen, französischen, russischen Originale.

Könnten. Und du hättest sie alle machen wollen.

Alle nicht. Ein paar.

Damit wäre nichts gewonnen. Die Oper ist, was sie ist. Und keinesfalls tot.

Für mich schon.

Dein Privatvergnügen.

Sei genauer. Missvergnügen.

Jetzt schlage ich dich mit deinem eigenen Geständnis. Fritz Wunderlich singt den grausigen deutschen Text von »E lucevan le stelle« so schön, dass du ihn nicht mehr hörst, das Gleiche gilt für die Lenski-Arie.

Du kannst von einem Menschen der Sprache nicht verlangen, dass der in ihrem Namen resigniert. Die Oper ist tot.

Gut. Und jetzt sagst du mir noch, warum Verdis »Falstaff« deine Lieblingsoper ist.

Erstens, weil das eine unfassbare Musik ist. Zweitens, ein grandioses Libretto. Drittens, weil sie ein 80-Jähriger komponiert hat. Noch Fragen?

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