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Gespräch über die Herkunft

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Geboren als Schneyder mit Ypsilon. Hat dich das Ypsilon eher gestört oder hast du es als originelle Bereicherung empfunden?

Weder noch. Gestört hat mich nur, dass die richtige Schreibweise meines Namens nicht immer leicht durchsetzbar war.

Du hast Briefe, wo »Schneider« draufstand, immer weggeschmissen.

Vor allem Autogrammanfragen. Ich war nicht bereit hinzunehmen, dass Menschen ein Autogramm von jemandem haben wollen, dessen Namen sie nicht wirklich kennen.

Besonders heiß bist du gelaufen, wenn die Schreibweise der Adresse und die des Brieftextes differierten.

Da habe ich kurz den Intelligenzgrad der Schreibkraft bestimmen wollen.

Eine Zeit lang mochtest du deinen Vornamen nicht.

Das gilt angeblich für die meisten jungen Menschen. Aber da auch Herbert im Gespräch war, bin ich nicht unzufrieden. Das Ypsilon war übrigens sechs Generationen zurück nachweisbar. Der Vater hat Ahnenforschung betrieben.

Ich glaube kein Wort.

Der Vater hat erzählt, er wäre bis zu einem »Anton Schneyder, k. u. k. Straßenpfleger von Österreich« gekommen. Straßenpfleger, glaube ich, im Sinne von Straßenkehrer.

Übertreib nicht.

Das Ypsilon hat irgendein Pfarrer einmal hineingeschrieben, weil er schon zu viele I-Schneiders in der Gemeinde hatte. Oder ein geltungssüchtiger Ahne hat darum ersucht.

Es kann auch von einem eingedeutschten tschechischen Wort übriggeblieben sein.

Das ist naheliegend, wenn man das Geburtsjahr 1937 bedenkt.

Der Vater hat nie davon gesprochen, seinem Führer absichtsvoll einen männlichen Nachkommen gezeugt zu haben.

Die Absicht hätte sich die Mutter auch nicht bieten lassen.

Du bezeichnest dich als Klagenfurter.

Bin ich ja. Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen und zur Schule gegangen. Bis zur Matura.

Du bist in Graz geboren.

Aber, in einem Anfall von Frühintelligenz, als Zweijähriger gesiedelt.

Da hört man einen Unterton gegen Graz heraus.

Dafür gibt’s keinen Grund. Außer, dass ich mich immer geärgert habe, eine Stadt als Geburtsstadt angeben zu müssen, mit der mich nichts verbindet.

Du weißt doch längst, dass sie wunderschön ist.

Das wiegt drei Kontaktversuche nicht auf.

Die Lesung im »Forum Stadtpark«. Damals das Zentrum der österreichischen Literatur.

Bei der waren sieben Leute. Man hat mich erfahren lassen, dass ich keine Sau interessiere.

Du hattest eine sehr gute Kritik.

Von dem Mann, der mich zur Lesung eingeladen, der sie veranlasst hatte. Einmal, ein einziges Mal, war ich länger in Graz.

Da hast du an der Oper eine Operette inszeniert. Die Presse war kein Grund zum Verzagen.

Eher im Gegenteil. Gewettet hätte ich, dass man mich wieder holt. Man hat aber nicht.

Das stimmt nicht. Du hast für die darauffolgende Saison das nächste Angebot gehabt.

Das war mir zu knapp danach.

Da wunderst du dich.

Ich wundere mich nicht. Ich trauere nur der Mittagszeit am Marktplatz nahe der Oper nach, wo man nach der Probe wunderbare Nudeln essen und sich mit südsteirischen Spitzenweinen in den Nachmittagsschlaf saufen konnte.

Also doch eine starke Beziehung zur Geburtsstadt.

Ja, aber die wurde ruiniert durch ein Engagement als Frosch in der »Fledermaus«.

Das du selbst verschuldest hast.

Was heißt »verschuldet«? Die wollten mich haben.

Aber nein. Die haben angerufen und gesagt, sie hätten im Vorjahr eine »Fledermaus« produziert und da wäre der Darsteller des Frosch – ein sehr renommierter Schauspieler übrigens – ein bisschen abgestunken, weil der Text so schwach war. Und sie wollten von dir einen neuen Text.

Ja. Und?

Und du hast dann gesagt: Wenn ich schon einen Text für den Frosch schreibe, dann möchte ich ihn auch selber spielen.

Von der Idee waren die ganz begeistert.

Sie wollten nur das Problem gelöst wissen.

Kann sein. Ich war damals auf Kabarett-Tournee. Ich habe zugesagt und gebeten, mir ein Video der Vorstellung nach Wien zu schicken, damit ich, wenn ich in ein paar Tagen nach Hause komme, meine Texte unter Wahrung der Stellungen und Stichworte für die Partner schreiben kann.

Die haben das Video geschickt.

Mit dem Ergebnis, dass meine Frau mich angerufen hat und mir sagte: »Da spielst du nicht mit.«

Das hast du nicht ernst genommen.

Natürlich nicht. Ich habe mir erzählen lassen, warum sie die Produktion so schauerlich findet und dann gesagt, ich werde mir das anschauen und selbst urteilen.

Du hast dir viele blutige Nasen geholt in deinem Leben, weil du Warnungen nicht geglaubt hast.

Musst du immer so grundsätzlich werden? Zum Kotzen! Ich gebe zu, ich habe dann einen Fehler gemacht.

Du hast dir das in der Tat armselige Video angesehen und zu deiner Frau gesagt: »Schatzi, das ist eine Probe! Die sind eine Probe mitgefahren! Das ist nicht die Vorstellung!« Du hast ihr auch genau erklärt, woran man das erkennt.

Es war die Vorstellung. Eine Wiederaufnahme auf einer sehr schönen Freiluftbühne. Eine grottenschlechte Produktion. Bei jedem Gang vom Hotel zum Schlossberg habe ich mich geniert.

Das reicht nicht. Du hast dir gewünscht, dass die Vorstellung wegen einer Feuer- und anderen Katastrophe abgesagt wird.

Ja. Das hat mein Verhältnis zu meiner Geburtsstadt nicht intensiviert.

Man kann sich Geburtsstädte nicht aussuchen.

Eltern übrigens auch nicht. Eltern im Sinne von Zeugen und Gebären.

Du meinst, wegen der Gene.

Natürlich. Wie kommt man dazu, sich ein Leben lang mit Eigenschaften, Anlagen, Defekten herumzuschlagen, die man geerbt hat.

Ich widerspreche nicht. Es ist von der Schöpfung so vorgesehen, aber unzumutbar.

Im Moment arbeitet man ja mit großen Erfolgen daran, dass sich die Eltern ihre Kinder in der Retorte zusammenstellen können. Umgekehrt wäre das sinnvoller.

Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Wir waren bei Klagenfurt.

Ich liebe diese Stadt.

Vielleicht auch deshalb, weil wir nicht direkt in der Stadt gewohnt haben, am Rand, vor waldreichen Hügeln.

Ja, wir haben auf die Stadt hinuntergeschaut. Nicht so sehr in ihr gewohnt. Die Straßenbahnstation, von der aus der Volksschüler drei Minuten nach Hause hatte, war eine Endstation.

Endstationen haben etwas Magisches. Man kommt an.

Wir wohnten leicht erhöht im zweiten Stock einer Villa.

Die hieltest du damals für schön.

Heute noch, wenn ich mir ansehe, was sie daraus gemacht haben.

Die Wohnung hatte fünf Balkone, zwei davon gegen Süden. Mit einem schönen Blick auf die Stadt.

Und die habe ich von Anfang an geliebt.

Du hattest keine Vergleichsmöglichkeiten.

Die vielen Vergleichsmöglichkeiten, die danach kamen, haben meine Grundeinstellung nicht verändert.

Da war natürlich von Anfang an Trotz dabei, denn die Mutter hielt Klagenfurt, gemessen an Graz, für ein »Nest«, der Vater, gemessen an Wien, für »tiefste Provinz«.

Mein Widerstand gegen diese Urteile war instinktiv. Ich habe keine Ahnung mehr, ab wann ich mich zu fragen begann, warum sie irgendwo lebten oder leben mussten, wo es ihnen so gar nicht genügte.

Du hast den hinter dem Haus bald beginnenden Wald genossen, die drei Teiche, die für Fußball geeignete Wiese beim zweiten Teich …

… und den Garten vor dem Haus. Der war für Wildwestfantasien hinreichend.

Du warst immer ein Träumer.

Ich lehnte stundenlang an der Steinmauer des Balkons …

… der »Loggia«, bring die Eltern nicht um ihr Vokabular …

… und träumte den Traum der letzten Nacht weiter: über die Stadt zu fliegen, abzustürzen und sich nicht weh zu tun.

Der Traum kam später. Als sich die Fluchtgründe häuften.

Ich kann in meine Bilder keine Reihenfolge mehr bringen.

Um das Haus herum war reichlich Grün. Man konnte sich in Büschen verstecken, Schnecken quälen, Obst oder Flieder stehlen.

Es gab auch eine Sickergrube.

So ein etwa eineinhalb Meter abgesenkter Teil des Gartens zum Straßenrand hin. Wusstest du, was das war?

Konnte ich nicht wissen. Es war feucht und merkwürdig. Das Spielen in dieser Sickergrube war jedenfalls nicht empfohlen.

Könnte es damit Zusammenhängen, dass es als unfein angesehen wurde, dem Kind etwas über den Lauf der Exkremente zu erzählen?

Worin die kleinen als große Schiffe angesehenen Holzstücke im Rinnsal der Straße schwammen, und zwar immer zwei um die Wette, wurde mir erst später klar.

Als der Kanal gebaut wurde.

Da war es unvermeidlich, auf die Frage, wozu man einen Kanal baut, eine Antwort zu geben.

Ich weiß immer noch nicht, was dir an Klagenfurt so liebenswert war.

Ich sage dir, was mir in den verschiedenen Phasen bis zur Matura die Idee, auch einmal woanders zu leben, als unsinnig erscheinen ließ. Mein Schulweg ins Realgymnasium …

… damit willst du sagen, dass es zwei Gymnasien gab …

… führte durch die Stadt. Als ich ihn schon per Fahrrad absolvierte, konnte ich variieren. Ich habe die Stadt also mindestens zwei Mal am Tag eingeatmet. Klagenfurt hatte, und hat wohl noch, mehrere Fußballplätze, ein Drei-Sparten-Stadttheater, ein Künstlerhaus, damals drei Zeitungen und ein …

… jetzt sind wir beim alles entscheidenden Pluspunkt …

… ein Strandbad an einem herrlichen See. Wie hätte ich je auf die Idee kommen können, dass es woanders auch schön sein kann?

Wieso erwähnst du nicht, dass es auch eine Tanzschule gab?

Zwei bis drei. Aber für mich, der aus einem besseren Haus zu sein hatte, kam nur eine infrage.

In die war schon deine Schwester gegangen.

Ja. Was ich nicht vergessen darf: Künstlerhaus und Stadttheater lagen am Schulweg, der Fußballplatz, der später meiner wurde, nicht weit davon.

Und die Wohnung war schön.

Es gab ein Schlafzimmer der Eltern, daneben ein Speisezimmer, daneben ein Wohnzimmer mit angebauter Holzveranda, um die Ecke ein Kinderzimmer, zwischen dem und der Küche und dem Bad ein längliches Vorzimmer, die Küche hatte einen Balkon und dahinter eine – na ja – Kammer und eine »Speis«.

Der kühle Vorratsraum, ohne Sonne, mit Steinboden.

Der erste Eisschrank kam viel später. Ich denke an eine Zeit, die man heute keinem jungen Menschen mehr erklären kann.

Krieg, Kriegsende, Wiederaufbau.

In diese Zeit fiel meine Bewusstseinsbildung.

Das hast du beschrieben. In »Von einem, der auszog, politisch zu werden«.

So ist es. Über die Keime des politischen Erwachsenwerdens brauchen wir nicht mehr zu reden.

Über die soziologischen schon. Denn in dieser Wohnung wohnten ja fünf Personen: die Eltern, zwei Kinder und eine Großmutter. Du hast die Raumaufteilung genannt. Wo wohnte die Großmutter?

In der Kammer hinter der Küche.

Ärmlich.

Arm. Zu Zeiten, als es eine Hausgehilfin gab, wohnte die in der Kammer.

Und wo die Großmutter?

Ich kann mich erinnern, dass sie auch bei uns im Kinderzimmer geschlafen hat.

Es kristallisiert sich heraus, dass deine Eltern sich zur Großmutter mütterlicherseits benommen haben wie die …

Sprich’s nicht aus.

Speisezimmer und Wohnzimmer, oft Wochen nicht genützt, dienten der Repräsentation. Die Großmutter, die du in deinem Bekanntenkreis berühmt gemacht hast …

… ja, den Namen Anna Berzkowitsch kennt man bis in die Kreise der Meisterköche …

… der Haushaltsvorstand, die wichtigste Person dieser Familie, wurde gehalten wie eine Magd, eine Magd in den Zeiten, als die noch keine Ansprüche zu stellen hatte. Warum hast du dich nie vor deine Eltern hingestellt und gesagt: Das geht nicht, die Oma braucht ein Zimmer!?

Das frage ich mich heute noch in Träumen. Das lastet auf mir, da machst du dir keine Vorstellung.

Die Eltern hatten für Statussymbole, für später einmal übereinanderliegende »Perserteppiche«, die Würde einer sehr früh alten Frau geopfert.

Die musste auch noch zittern, ob der Vater, der was vom Essen verstand, das immer meisterlich Gekochte auch goutierte.

Sie waren Kleinbürger, die Großbürger mimten. Koste es, wen es wolle.

Das gehört zum Wesen des Bürgertums …

… so wie es die Eltern verstanden haben. Es könnte ja auch ein anderes geben …

Ich habe nur das eine kennengelernt, und das definierte sich durch einen Satz: »Was werden die Leute sagen?«

Und wenn du rückgefragt hast: » Welche Leute?«

Haben sie die Frage nicht begriffen.

Entscheidend in diesem Zusammenhang war ja auch die immer wiederkehrende Frage, mit wem man verkehren kann und mit wem nicht.

Da waren die Eltern flexibel. Die hatten die Gewohnheit, sich zyklisch mit den Hausbesitzern, Hausbesorgern und Mitmietern zu zerstreiten. Ich habe nie begriffen, warum.

Aber du durftest eine Zeit lang den oder die nicht grüßen. Nicht einmal den Sohn der Klavierlehrerin über uns.

Deshalb war ich sehr oft allein.

Zu oft, wie man heute weiß.

Gespräch unter zwei Augen

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