Читать книгу ¡PARAGUAY, MI AMOR! - Wiebke Groth - Страница 13
VALESKA
ОглавлениеNach einem dreistündigen Spaziergang mit einer kleinen Rast durch die wunderschöne grüne und blütenreiche Landschaft rund um die Estancia kehre ich wieder zurück. Als das Wohnhaus in Sicht kommt, zögere ich. Ich möchte Jost und Isa nicht schon jetzt begegnen.
Tatsächlich hat mich der lange Spaziergang in der Ruhe der Natur wieder etwas beruhigt. Auch wenn ich zuerst tränenblind und schluchzend loslief. Da mir aber niemand begegnete und ich auch niemanden hier kenne, ist es mir echt egal.
Als mein Blick auf den Pferdestall fällt, beschließe ich spontan, dort reinzugehen und mich in den weichen Heuhaufen zu setzen. Ich habe ein Buch mit und möchte endlich die SMS an meine Freundinnen und Freunde schreiben.
Bei Jola und Hugo habe ich mich heute Morgen gemeldet.
Zufrieden lasse ich mich in den Heuhaufen plumpsen, dessen komfortable Eigenschaften ich schon am Vorabend unfreiwillig testen durfte.
Die SMS sind schnell verfasst, obwohl ich es immer noch etwas mühselig finde, so eine Textnachricht zu tippen.
Sie ähneln sich im Großen und Ganzen und haben diesen Text: „Ich bin gut am Ende der Welt angekommen. Hier ist ein warmer Winter – ca. 20°C.
Gestern habe ich meinen biologischen Papa kennengelernt. Dabei auch erfahren, dass ich neben den zwei Halbgeschwistern auch einen Stiefbruder habe, mit dem ich zum Glück nicht verwandt bin!
Heute emotionaler Tag – die Sache nimmt mich schon noch mit. Bis bald in DE! Val“
Anschließend lese ich meinen neuen Krimi von John Grisham.
Hufgetrappel und lachende Männerstimmen schrecken mich eine Stunde später aus meiner Lektüre auf.
Ehe ich noch mein Buch zur Seite legen kann, kommen Ramón und drei der „Gauchos“ in den Stall.
„¡Dios mío, Valeska! Was machst du hier?“, fragt Ramón überrascht.
Ich stehe schnell auf und zupfe mir etwas Heu aus meinen Klamotten.
„Ich wollte das gemütliche Heuhotel ausprobieren“, versuche ich zu scherzen.
Ramón übergeht diesen hilflosen Versuch meinerseits, meine Peinlichkeit zu überspielen und stellt in einer Mischung aus Spanisch und Englisch seine Begleiter vor.
„Das sind Luis, Sebastiano und Matteo, hervorragende Männer, die viel von ihrer Arbeit verstehen.
- Compañeros, esta es la hija alemana de José, Valeska.“
Alle drei geben mir höflich die Hand. Luis ist wohl um die 40, hager, mit freundlichen runden braunen Augen. Sebastiano schätze ich auf Mitte 30, er trägt einen Dreitagebart und eine verschmitzte Miene zur Schau. Matteo ist mit seinen ca. 25 Jahren der Jüngste. Sein jungenhaftes Gesicht wird von neugierig schauenden grünen Augen und einer markanten Nase dominiert.
Alle drei tragen die typischen Lederhosen der Viehhirten, mit denen man einen Tag auf dem Pferd ohne große Blessuren überstehen kann. Dazu haben sie T-Shirts und leichte Jacken an.
Ramón hat sich dieser Arbeitskleidung angepasst, wirkt aber mit seiner olivfarbenen Haut fast blass gegen die wettergegerbten Gesichter der Männer.
Die „compañeros“ mustern mich neugierig und Sebastiano sagt etwas zu Ramón, das großes Gelächter auslöst. Ramón hat die Neckerei, die sich eindeutig auf ihn und mich bezog, gutmütig aufgenommen und verabschiedet sie mit einem freundlichen
„¡Adiós, hasta mañana!“.
Dann wendet er sich mir zu, während sein Blick mich genauer erfasst: „¿Por qué has llorado?“, erschrocken beugt er sich zu mir herunter und streicht mir über die Wangen.
Dann nimmt er mich in den Arm und sagt auf Deutsch: „Du sollst nicht weinen, Liebes.“
Ich lasse mich von ihm trösten, es tut gut, denn trotz allem ist er die neutralste Person in dieser Geschichte.
Ich drücke noch ein paar Tränchen heraus, als ich Ramón den Grund meines Kummers erzähle.
„Du musst dir mehr Zeit geben, das ist alles zu viel für dich“, meint er freundlich.
„Ich verstehe nur nicht, warum Jost mich nie kontaktiert hat, als ich etwas älter war. Warum hat keiner den Mut aufgebracht, mir etwas zu sagen; hätte Jost sich nicht auch früher schon zu mir bekennen können, anstatt nach Paraguay abzuhauen?“
Ich schluchze noch mal wild auf.
„Sch, sch, du siehst schlimm aus, wenn du weinst. Dein hübsches Gesicht verzieht sich zu einer Fratze und deine wundervollen blauen Augen sind total angeschwollen.“
Ich lehne mich an seine Schulter, was mir unendlich guttut.
„Lloro siempre mucho. I‘m sorry Ramón. I don‘t want to bother you.“
„You see, I always wished my father would come back one day and it would come out that there was a terrible misunderstanding in the former days and that they made a mistake.
Even when I was 14 I sometimes imagined he would appear one day at the Estancia and would say: „Hola Ramón, mi hijo. Soy aqui ahora y me encargo de tí desde ahora en adelante.“
Ich habe nicht alles verstanden, was er auf Spanisch gesagt hat, aber Ramón übersetzt mir, dass er geglaubt habe, Enrique würde ihm eines Tages sagen, dass er jetzt hier sei und sich von nun an um ihn kümmern würde.
„Du siehst, ich habe damals tatsächlich noch an Märchen geglaubt.“
„Ramón, es tut mir leid! Ich bin so eine dumme Kuh! Du hast deinen Vater für immer verloren, als du ganz klein warst, und ich heule, weil ich meinen echten Vater gefunden habe!“
Ich nehme seine Hand und drücke sie kurz.
„Gracias, Valeska. Jost hat dir also meine Familiengeschichte schon erzählt.“
„Nur ganz kurz. Entschuldige, es muss furchtbar für Euch gewesen sein“, sage ich schnell.
Er blinzelt kurz, aber dann sagt er höflich:
„Ja, schon, aber dann kam Jost in unser Leben und gab Mama so viel Lebenskraft und Freude zurück.
Für mich ist er wie ein zweiter Vater, er war immer gut zu mir und ich liebe und achte ihn. Ich habe noch ein paar wenige, schöne Erinnerungen an meinen Vater und auf den Fotos, die wir von ihm und mir haben, schaut er mich an, als ob ich für ihn das größte Glück der Erde sei und das Wertvollste bin, was er je besaß. In jedem dieser Bilder liegt eine vollkommene, bedingungslose Liebe.“
„Es tut mir leid, dass ich so dumm bin!“, flüstere ich.
„Nein, du bist nicht dumm! Du bist nur durcheinander, und das ist völlig normal. Du fragst dich, warum Jost sich nie bemüht hat, mit dir Kontakt aufzunehmen? Nun, ich denke, er hatte damals keine Chance, als du geboren wurdest. Er wollte auch um nichts in der Welt die Ehe von Onkel Hugo und Tante Jola zerstören. Das wäre passiert, wenn er sich zur Vaterrolle bekannt und auf einem teilweisen Sorgerecht bestanden hätte.
Außerdem hatte er damals Probleme, Verantwortung zu übernehmen. Seit er aber Mama kennengelernt hat, hat sich das geändert. Natürlich hat er Fehler gemacht und hätte dir irgendwann selbst die Wahrheit sagen müssen. Aber gib ihm bitte eine Chance – das hat er verdient!
So, aber jetzt lächelst du bitte einmal!“, befiehlt er bestimmt und streicht noch mal zart über mein Gesicht. Ich gebe mir Mühe und schenke ihm mein bezauberndstes Lächeln.
Das Lächeln, mit dem er mir antwortet, ist atemberaubend.
Die Zeit dehnt sich und lässt die zehn Sekunden, in denen wir uns intensiv mustern, auf das Zehnfache anschwellen. Sein kurzgeschorenes Haar umrahmt vorteilhaft sein ovales Gesicht mit den tiefbraunen, runden Augen, den langen Wimpern und einer hübschen, römisch anmutenden Nase. Diese sitzt über herzförmig geformten, vollen Lippen, auf den Wangen deuten sich neue dunkle Bartstoppeln an.
Seine nackten Oberarme und auch der Rest seines Körpers erscheinen sehnig und muskulös, aber nicht aufgepumpt, sondern geschmeidig und durch viel Bewegung an der frischen Luft erzielt.
An seinem linken Arm bemerke ich eine fingerdicke und mehrere Zentimeter lange weiße Narbe.
Er ist kein klassischer Beau, aber ein attraktiver Junge mit einer Ausstrahlung und einer Selbstsicherheit, die mich beeindrucken.
Sein Blick, der meinen kreuzt, ist feurig.
Seine Augen versinken in meinen blauen Augen und für einen Moment nehmen wir nur uns beide wahr.
Ein vorwurfsvolles Wiehern holt uns in die Realität zurück.
„Oh, Black Lightning ist nicht versorgt!“, rufe ich mit schlechtem Gewissen aus. Resolut trete ich zu dem Hengst hin, nehme ihn am Zügel und führe ihn zu seiner Box.
Ramón schaut mir verdattert nach. Dann besinnt er sich und sagt: „Warte! Ich nehme ihm noch seinen Sattel und das Zaumzeug ab!“ Nachdem er das erledigt hat, streift er dem Hengst ein Halfter über und bringt Sattel und Zaumzeug weg, dabei sagt er: „Halte ihn bitte noch kurz.“
Ich bleibe gehorsam stehen und streiche dem wunderschönen Tier über den Hals.
„Na, er scheint dich zu mögen. Willst du mir weiterhelfen?“
„¡Sí claro!“, rufe ich begeistert aus
Ramón reibt ihn trocken und putzt ihn. Dann darf ich seine Hufe auskratzen.
Da ich drei Jahre geritten bin, greife ich ungezwungen den Hufauskratzer und nehme den linken Vorderhuf in die Hand, den Black Lightning mir willig überlässt.
Angetan beobachtet Ramón meine Arbeit, dann füllt er Wasser in die Tränke und Kraftfutter sowie eine große Portion Heu in den Futtertrog der Pferdebox.
„So, du kannst ihm seinen Halfter abnehmen. Er läuft dann allein in seine Box.“
„Okay“, sage ich und er verabschiedet sich von seinem Pferd, dass fröhlich in seinen Stall gelaufen ist und jetzt eifrig trinkt.
Dann tritt er zu mir und sagt beeindruckt: „¡Muy bien! Du kennst dich mit Pferden aus.“
„Ich liebe Pferde und Ausritte, bin aber keine besonders gute Reiterin. Aber ich halte mich oben!“
„Juanita hat für euch einen Ausritt geplant, du wirst es mögen! Aber bitte sag ihr, dass du Rubia nehmen sollst. Sie ist gutmütig und ein Anfängerpferd. Wenn du möchtest“, dabei schaut er mich wieder mit diesem Blick an, der ein heftiges Kribbeln in meinem Unterleib auslöst, „können wir in den nächsten Tagen einen Ausritt auf Black Lightning machen.
Du sitzt vor mir und ich halte dich fest, so dass du nicht runterfällst.
Ich kann dir wunderschöne Plätze zeigen.“
„Ja, warum nicht?“
„So, nun sollten wir aber ins Haus gehen, ich will mich noch duschen und dann gibt es Abendbrot. ¡Vamos, Valeska! Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus! Ihr geht shoppen!
Das wird dich auf andere Gedanken bringen.“
Wir sind mittlerweile aus dem Stall herausgetreten. Die Luft ist mild und die Sonne steht schon tief im Westen, im Begriff unterzugehen.
„In ein paar Wochen werde ich dich und Juna für ein Wochenende nach Asunción mitnehmen.
Tagsüber machen wir Sightseeing und abends die Klubs in der Umgebung unsicher!
Wir werden zusammen tanzen und dann wirst du wieder fröhlich sein!“
Unvermittelt nimmt er mich in den Arm und beginnt, mit mir zu tanzen, dabei singt er einen spanischen Tanzhit des letzten Jahres, der auch in Deutschland rauf- und runtergespielt wurde.
Ich lache und sage, dass ich nicht so gut tanzen kann. „Entspann dich und lass mich machen!“
Dann fasst er mich unvermittelt an der Taille, in diesem Moment macht sich ein Megaschwarm Schmetterlinge in meinem Bauch auf den Weg.
Ich atme so scharf ein, dass Ramón es bemerkt und mich entsetzt anschaut. Gleichzeitig lösen wir uns voneinander - ich verschämt ob meiner heftigen körperlichen Reaktion.
„Entschuldige bitte!“, sage ich zerknirscht.
„Was entschuldigst du dich? Mir tut es leid!“, ruft er aus.
Dann hat er es plötzlich sehr eilig, ins Haus zu kommen.
„Wir sehen uns gleich beim Essen“, sagt er und eilt voraus.
Ich folge verdattert und peinlich berührt. Was denkt mein Stiefbruder nun von mir?
Ich habe immer noch rote Wangen, als ich das Haus betrete.
Jost kommt mir entgegen. „Valeska, Liebes! Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Komm rein!“
„Jost entschuldige bitte! Ich habe mich wie ein schmollender Teenager benommen!“
„Nein, hast du nicht, Valeska. Es tut mir leid, es scheint, das alles hier ist ein bisschen viel für den ersten Tag.“
„Ja, aber morgen gehen wir ja shoppen!“
„Ja, das wird dir Spaß machen. Schau, Valeska, nur eine kleine Sache. Pass ein bisschen auf Juanita auf, ja? Es wäre mir lieb, wenn du das Geld nimmst und bezahlst.“
Er reicht mir einen Umschlag. „Damit könnt ihr euch einen schönen Tag machen“, sagt er fröhlich.
Ich umarme ihn und er erwidert gerührt meine Umarmung, ehe wir uns zufrieden plaudernd ins Wohnzimmer zum Rest der Familie begeben.