Читать книгу Von Heimspielen und Ponyhöfen - Wiebke Saathoff - Страница 5
ОглавлениеWartesaal
Die Frau am Fenster ist auf eine besondere Art angsteinflößend - creepy könnte man behaupten, irgendwie. Sie wohnt im 3. Stock und hat einen guten Überblick. So langsam ist es zu kalt für ihr Kissen, aber ich weiß, dass sie da ist, sie starrt durch das Glas des Fensters hindurch und ihr entgeht nichts - und doch alles.
Als ich hier herzog hatte ich mir die Wohnung gegenüber angeschaut. Die Frau lehnte gegen die Fensterbank und starrte den Haufen Menschen an, der wartete, so wie sie. Ich habe die Wohnung nicht genommen.
Während der Menschenhaufen längst verschwunden ist, ist sie immer noch da. Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre. Und jeden Abend, wenn ich wiederkomme. Auf dem Weg sehe ich nicht nur sie warten. Kurz vor der Becks Brauerei steht der Mann. Er hat seinen Rollator neben sich geparkt, meist lehnt er sich dort an. Er blickt in die Weser. Er ist schon früh morgens da und nachmittags ist er auch oft noch dort. Er kommt keinen Meter weiter.
Sie sind beide alt. Sie müssen schon eine lange Zeit gelebt haben. Sie müssen irgendetwas getan haben. Sie müssen harte Zeiten miterlebt haben und schöne. Sie müssen gelebt haben.
Ich fahre weiter. Der Wind bläst mir in das Gesicht und durch den Regen nehme ich sie nur verschwommen wahr, aber sie sind da, wie immer. Mein Blick schweift in die Ferne. Ich nähere mich der Brücke, auf ihr donnern die Autos und LKWs und lassen sie erschüttern. Sie klingen dumpf. Ich trete in die Pedale. Ich rase über die Brücke und doch komme ich keinen Meter voran.