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Bäng! Bumm! Krawumm!

Seit ein paar Wochen hatte ich meine erste eigene WG, zum ersten Mal war ich in einer fremden Stadt gelandet, hatte mich losgerissen aus meinem Heimatdorf Loppersum, um in der Großstadt Oldenburg mein Glück zu suchen. Und wir reden hier von Oldenburg in Oldenburg, nicht von Oldenburg im Kreis Ostholstein!

Noch ahnte ich nicht, welche Gefahren eine Metropole dieses Ausmaßes in sich birgt, voller Zuversicht schlenderte ich mit meiner Mitbewohnerin Katrin und jugendlicher Dorfnaivität durch die Straßen der Stadt. In Loppersum gab es sehr wenig zu Schlendern, Loppersum hatte zu seinen Glanzzeiten eine Post, einen Edekaladen und den kulturellen Treff "bei Enno", von denen nur noch die wichtigste Institution übrig gebelieben ist - Enno's abgeranzter Generationentreff.

Hier konnte man auch 20 Jahre später so feiern wie früher, natürlich wechselte die Häkelgardine ihre Farbe von strahlend weiß zu popelgelb und der Linoleumfußboden verschwand an einigen oft betretenen Stelle, gerade zum Eingangsbereich der Raucher- und Hartschnapsabteilung, aber ansonsten konnte man hier die Utopie widerlegen, dass früher alles besser war. Die perfekt in Szene gesetzte Inszenierung des Stillstandes anhand der verstaubten Inneneinrichtung ließ dem Betrachter keine Zweifel, dass früher alles genauso scheiße war wie jetzt. Oldenburg dagegen stellte sich sehr modern dar, es gab einen Mc Donalds und ein H&M, mittlerweile auch sogar Burger King! Hamma!

Nach stundenlangem Geschlendere begaben wir uns also zur Hauptbushalte "am Lappan". Die war zwar ein wenig größer als die in Loppersum, allerdings hingen hier auch eine ganze Menge Fast-Jugendliche rum. Das kannte ich aus meiner Heimat, wo sich die Jugend rebellisch den Dorfregeln entzog, indem sie nicht "bei Enno" einkehrte, sondern ihren Jägermeister schön an der Bushalte leerte. Es gab mir ein heimeliges Gefühl.

Aber nicht lange. Ein kleines zartes blondes Mädchen mit Pferdeschwanz und rosa Hello-Kitty-Haarspange gesellte sich zu uns. Ihr fragendes Gesicht zeigte an, dass sie an einem Gespräch mit mir interessiert war. Vielleicht hatte es ihre Mutter verloren oder es wusste nicht, in welche Buslinie es einsteigen sollte. Sie fing an zu sprechen: "Ey, Alte, willste was auf die Fresse?!"

Ich musste ganz schön lange überlegen, um diese Frage beantworten zu können. Eins auf die Fresse oder nicht....eine schwierige Entscheidung. Nachdem ich in mich gegangen war, merkte ich doch, dass ich lieber nichts auf die Fresse wollte. Dennoch es war trotzdem nett von ihr, sich anzubieten und da ich nicht unhöflich sein wollte erwiderte ich: "Willst du was auf die Fresse?"

Sie wollte nicht, das merkte ich daran, dass sie einfach ging. Schade. Aber sie war nicht das einzige Mädel, was Interesse an uns zeigte. Ein dunkelhaariges, etwas größeres Modell trat hervor und verpasste meiner Mitbewohnerin, übrigens im ersten Semester interkulturelle Pädagogik, einen freundschaftlichen Kick in den Hintern.

Katrin hatte schon sehr viel in ihrem ersten Semester interkulturelle Pädagogik gelernt und so nahm sie die freundschaftliche Geste dankend an. Sie hatte jedoch nicht die restlichen sieben Zwerge wahrgenommen, die in den Tiefen der plastikverkleideten Bushaltekoje kauerten. Nun aber sprangen sie erfreut geburtstagstortengleich hervor, um Katrin eine Art körperkontaktreiches Geschenk zu überbringen.

Ich war außen vor. Wie früher, als ich nicht mit Gummitwist spielen durfte. Aber jetzt war ich groß. Ich wollte mitmachen, sofort, also ab ins Getümmel. Es war so ein bisschen wie das Pogen auf meinem ersten Punkkonzert. Was aber eine völlig neue Erfahrung war, war das Anspucken. So was machen Punks nicht! Jedenfalls nicht der in Loppersum!

Es wurde gekämpft, Tritte, Stöße, Haareziehen, Spucken, der Himmel zog sich zu, Wind setzte ein als wenn die Götter die passende Kulisse für den dramatischen Höhepunkt liefern wollten, denn Katrin ergriff das Wort: "Sagt mal, könnt ihr eigentlich gar nicht reden?!"

Stille. So plötzlich, wie alles angefangen hatte, war auch wieder alles vorbei. Der Wind flaute ab, die Wolkendecke öffnete sich. Ratlose, fragende, leere Gesichter, nur ein Vogel wagte es in der Ferne zu zwitschern. Selbst der gaffende Mob regte sich nicht mehr, stellte die Konversation ein und vergrub die 10 Mark-Scheine wieder in die Tiefen der Taschen und entfernte sich. Ein Bus näherte sich langsam der Kulisse, brummend kam er näher, öffnete seine Türen. Da erwachte ich aus meiner Starre, ergriff Katrin an ihrem Palituch und zog sie mit mir, aus der Ferne hörte ich noch: "Ey, du Fotze, du hast meine Schwester getreten!", aber es war zu spät. Wir wollten nicht mehr reden, wir waren gerettet, interkultureller Pädagogik sei Dank!

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