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VORWORT

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Wird es sie je geben?

„Ich schreibe ein Buch über den Krieg. Ich, die ich keine Kriegsbücher mochte, obwohl sie in meiner Kindheit und Jugend bei all meinen Altersgenossen die gängige Lieblingslektüre waren. Das ist nicht weiter erstaunlich – wir waren Kinder des Sieges. Kinder der Sieger. Was erinnere ich noch vom Krieg? Mein kindliches Unbehagen vor unbekannten und furchteinflößenden Worten. Über den Krieg wurde unentwegt gesprochen: in der Schule, zu Hause, bei Hochzeiten und Taufen, an Feiertagen und auf dem Friedhof. Sogar unter Kindern. Der Krieg blieb auch nach dem Krieg die Heimstatt unserer Seele. Alle lebten dort, alles hatte seinen Ursprung in dieser schrecklichen Zeit, auch in unserer Familie: Mein ukrainischer Großvater, der Vater meiner Mutter, ist an der Front gefallen, meine weißrussische Großmutter, die Mutter meines Vaters, ist bei den Partisanen an Typhus gestorben, zwei ihrer Söhne sind verschollen, von den dreien, die sie an die Front geschickt hatte, kam nur einer zurück – mein Vater. Schon als Kinder kannten wir keine Welt ohne Krieg, die Welt des Krieges war die einzige Welt, und die Menschen des Kriegs die einzigen Menschen, denen wir begegneten. Ich kenne auch heute keine andere Welt und keine anderen Menschen. Hat es sie je gegeben?“

Swetlana Alexijewitsch im Jahre 2003*

Als 1990 die Sonne über dem kommunistischen Osten unterzugehen begann, endete eine Epoche der Konfrontation zwischen kapitalistischen und sozialistisch-kommunistischen Staaten, die sich nach dem Ende des II. Weltkrieges in Blöcken gegeneinander verbunden hatte. Als nach der russischen Oktoberrevolution die Sowjetunion geschaffen wurde, nahm diese Konfrontation ihren Anfang, denn die Staaten Europas, dazu noch Japan, mobilisierten noch während des I. Weltkrieges ihre Kräfte, um der russische Konterrevolution zum Siege zu verhelfen. 1920 war dieser Versuch gescheitert. Mit äußerster Härte wurde dagegen die Ausweitung auf Europa, insbesondere auf Deutschland verhindert.

Sechs Jahre kämpften ab 1939 Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und schließlich auch die USA in Europa und in Ostasien gegen den faschistischen Verbund von Deutschland, Italien und Japan. Ungeheure Opfer und Anstrengungen waren notwendig, um einen weltbeherrschenden Sieg des Faschismus zu verhindern. Mit den nach dem Krieg geschaffenen Machblöcken brach die Zeit des „Kalten Krieges“ an, die sich auf Europa beschränkte. Denn Kriege gab es außerhalb Europas permanent. Vor allem war es die USA, die mit ihrem antikommunistischen Feldzug, immer wieder zu den Waffen griff.

Die kommunistische Welt hatte gerade 72 Jahre Bestand. Es war ein globales Scheitern eines großen Gesellschaftsentwurfs, der in der Realität kommunistischer Herrschaft sehr schnell und radikal zur Legitimation der Herrschaft Partei-Eliten verkam, die sich auf Karl Marx berufend, weder willens waren, in dessen Sinne eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, noch bereit waren, ihre Herrschaft durch demokratische Entscheidungen zu legitimieren.

Der „Kalte Krieg“ war nur eine Dominante in der Systemauseinandersetzung. Die andere war der dauerhafte und in gewisser Weise gnadenlose ökonomische und politisch-ideologische Wettbewerb. Auf diesem Feld fiel schließlich die Entscheidung.

Das Lager des Kapitalismus entwickelte nach 1945 eine Art Doppel-Strategie, die zum einen auf der Einsicht aufbaute, dass es im Zeichen dieser Konfrontation notwendig war, sich der Mehrheit der Bevölkerung zu versichern. Dazu diente nicht nur die soziale Marktwirtschaft. Mit außerordentlich suggestiver Wirkung wurden die Inhalte von Demokratie und Freiheit besetzt und zum Argument gegen den Sozialismus, dessen Herrschaftssystem auf der „Diktatur des Proletariats“ basierte. Da es dem sozialistischen Wirtschaftssystem zu keiner Zeit gelang, den Vorsprung an Produktivität und Technologie zu verringern und letztlich durch den „Rüstungswettlauf“ seine Volkswirtschaft zusätzlich überforderte, musste der einzig ernsthafte Reformversuch mit dem Jahr 1985 erfolglos bleiben.

Nach vierzig Jahren kam es zur radikalsten globalen Wandlung nach dem Ende der Kolonialherrschaft und der chinesischen Revolution von 1949. Nun gab es nur noch den einen Machtblock, der militärisch und wirtschaftlich die Welt dominieren konnte.

Auch wenn ein Zusammenhang nicht nachweisbar ist: Mit der Transformation eines regulierten Kapitalismus zu einem Kapitalismus des „freien Marktes“ ohne Regulierungsmöglichkeiten durch die demokratisch legitimierten Parlamente bzw. Regierungen, wurde bereits in den 80er Jahren die Grundlagen für eine Rückkehr zu einem imperialen Kapitalismus geschaffen.

Geht man davon aus, dass die politische, wirtschaftliche und militärische Stärke der westlichen Demokratien sowohl Dominanz als auch eine globale Verantwortung bedeuten – wer sonst hätte 1990 diese Aufgabe übernehmen sollen –, dann ist es an der Zeit zu fragen, wie der westliche Staatenbund in seinem auf Demokratie, Freiheit und Menschenrechte basierenden Selbstverständnis, seinen Möglichkeiten und seiner Verantwortung in den zurückliegenden 25 Jahren gerecht geworden ist.

Abenddämmerung im Westen

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