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Kuchen- und Brunnenfest, Pfingstsonntag
ОглавлениеDie Sonne lachte von einem wolkenlosen Hohenloher Himmel. Es war sommerlich warm, ach was, geradezu heiß. Die Siedersknechte auf dem Kuchen- und Brunnenfest in Schwäbisch Hall hatten den ganzen Tag in ihren roten Wämsern und den Kniebundhosen über grünen Kniestrümpfen geschwitzt. Manchen war der Schweiß in Bächen in die weißen Krägen gelaufen. Die Frauen hatten es nicht viel besser, über ihren hochgeschlossenen weißen Blusen trugen sie ein schwarzes Leible, an das ein roter Rock mit zwei schwarzen Streifen angenäht war, darüber eine weiße Schürze. Die Kleidung war Tradition, so wie auch der Rest des Haller Kuchen- und Brunnenfestes. Nach dem Böllerschießen frühmorgens waren die Sieder durch die Stadt gezogen. Dann hatte es einen Gottesdienst in der Michaelskirche gegeben. Ab drei viertel elf war der Siederskuchen präsentiert worden, die Sieder hatten getanzt und ein historisches Programm abgehalten, zur Unterhaltung des großen, durchaus interessierten Publikums. Der Tag war lang und ereignisreich gewesen, und Bernd Seiler wischte sich über die Stirn, um wenigstens ein bisschen von dem Schweiß loszuwerden. Auch jetzt, um halb acht Uhr abends, als sich die Leute auf dem Unterwöhrd zur gänzlich unmittelalterlichen Rockmusik-Party einfanden, trugen fast alle Sieder noch ihre Kluft. Wenige hatten sich entnervt umgezogen, aber was ein rechter Sieder war, der hielt es aus. Schließlich ging es um die Tradition der Stadt, und so was war wichtig. Bernd sah sich um, er war eigentlich mit ein paar Freunden verabredet gewesen, unter ihnen war eine, die ihn ziemlich interessierte – Tina. Er glaubte zwar nicht, dass sie auch an ihm Interesse hatte, aber was hatte er zu verlieren? Er war schon viel zu lange Single. Gut, womöglich war er nicht grade der Hauptgewinn mit seinen doch deutlich zu vielen Kilos auf den Rippen und der beginnenden Stirnglatze. Immerhin war er ein guter Kerl, und das musste doch auch etwas gelten. Außerdem waren noch bedeutend Dickere bei den »Siedern« als er. Er hatte das Herz am rechten Fleck, gab es denn gar keine Frauen mehr, die das …
»Wen haben wir denn da!«, tönte es hinter ihm, und eine Hand landete unsanft auf seiner rechten Schulter.
Bernd drehte sich um und erblickte zwei Kompaniemitglieder der Bürgerwache Crailsheim. Was die blöden Horaffen-Deppen jedes Jahr auf dem Kuchen- und Brunnenfest sollten, verstand er ja so gar nicht, aber die Kompaniechefs aller Bürgerwachen der Gegend schickten eifrig Delegationen auf den Festen hin und her, anscheinend fanden die das ganz toll, von wegen Städtefreundschaft und so. Dabei würde es nie eine echte Freundschaft zwischen Crailsheim und Hall geben. Und den Horaffen war die gute Haller Tradition sowieso egal, die nutzten das Fest maximal zum Besäufnis. Dabei hatten die selber gar keine richtige Traditionsveranstaltung, nicht mal die Sage mit der fetten Bürgermeisterin stellten sie nach – die wäre ja eigentlich prädestiniert! Nein, die machten einfach nur ein Fest in einem Park, das sie dann »Parkfest« nannten. Wie überaus originell! Kein Sieder wollte da hin, das war langweilig bis zum Gehtnichtmehr. Den ganzen Tag nur Blasmusik und Saufen. Und auch noch das falsche Bier, kein Haller Löwenbräu.
»Kenne ich euch?«, fragte Bernd und ärgerte sich, dass seine Stimme dabei nicht so volltönend klang, wie er geplant hatte. Er musterte die beiden feixenden Horaffen, die schon leicht angetrunken wirkten und sich aneinander festhielten – wohl, um nicht umzufallen.
»Wir kennen dich! Den dicken Bernie kennt doch jeder«, begann ein Blonder und grinste. »Ein Haller Doofele, wie es im Buche steht, und noch dazu der beste Siederskuchen-Esser von ganz Hall!«
»Tobi, sei net sou gemein«, murmelte der andere, ein kleinerer Dunkelhaariger, und hängte sich schwerer an den Arm seines Kameraden.
Tobi schüttelte ihn unwirsch ab und stellte sich aufrecht hin, dabei schwankte er leicht.
»Aber weißt du was, Bernie, schick schaust du aus mit dem weißen Krägelchen zum roten Pulli. Hat das deine Mami gebügelt? Bei der wohnst du doch sicher noch, oder? Du bist ja erst 40!«
Bernd spürte die Wut in sich aufsteigen, er sah sich um, ob irgendwo andere Sieder waren, die ihm vielleicht beistehen könnten, zumindest verbal. Aber der nächste stand etwa 20 Meter entfernt und bekam nichts mit, weil er gerade mit einer üppigen Blondine im kurzen Kleid flirtete. »Besser als eure Filzhüte mit Faschings-Hühner-Bastelfedern«, gab er zurück.
»Ououou, jetzt hast du’s mir aber gezeigt!«, lachte Tobi. »Aber hey, ich sag dir was: Unsere Klamotten sind wenigstens männlich. Und die Kleidle passen eigentlich ganz gut zu eurem ›Wir tragen einen riiiiiiiesigen Kuchen durch die Gegend!‹«
»Hör auf jetzt … Tobi!«, forderte Bernd.
»Hey, Bernd«, kam es plötzlich von hinten, und seine Kumpels Timo und Frank sowie Tina standen neben ihm.
Bernd schluckte schwer, als er Tinas blaues Sommerkleidchen sah, das unterhalb der schmalen Taille ihre Hüften umspielte.
»Na, alles klar?«, begrüßte sie ihn und lächelte mit ihren schönen vollen Lippen.
»Vorsicht, Hallerin, ich glaub nicht, dass der beim Schießen trifft!«, geiferte Tobi. »So, wie die Doofele ihre Salutschüsse abfeuern und ihren … Kuchen rumtragen.« Ein glucksendes Lachen entfuhr seiner Kehle, er kriegte sich gar nicht mehr ein.
»Jetzt reicht’s, Tobi«, versuchte es der andere noch mal.
Aber Tobi machte weiter: »Such dir lieber einen Horaffen, einen echten Stecher, so einen wie mich oder wie den da, und nicht so eine Haller Pussy.«
Bernd sah zu Tina hin und entdeckte ein kleines, amüsiertes Lächeln. Er fühlte, wie ihm schwarz vor Augen wurde, er würde nicht umkippen, nein, er würde ruhig atmen und er würde die Situation anders lösen, ganz anders. Er schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Zählte innerlich langsam bis drei. Dann holte er aus und haute dem verdammten Horaffen so eine in die Fresse, dass der einfach nach hinten umfiel.