Читать книгу Ich möchte freundlich behandelt werden - Wilfried Kochhäuser - Страница 3
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Verteidigung ist nicht alles, aber ohne Verteidigung ist alles nichts
Menschen machen ständig etwas mit uns, das entspricht unserer Biologie. Unser Gehirn ist seit Millionen von Jahren darauf trainiert, das Zusammenleben mit unseren Artgenossen zu verhandeln und zu regulieren. Die Regulation sozialer Interaktionen ist für den Erfolg unserer Spezies verantwortlich. Nicht individuelle Intelligenz oder persönliches Streben haben den Menschen auf diesem Planeten so erfolgreich gemacht, sondern unsere Fähigkeit zu kooperativem und sozialem Handeln. Und unsere Biologie ist wohl am Stärksten auf das Überleben unserer Art und weniger auf unser individuelles Überleben ausgerichtet, wie Richard Dawkins in seinem Buch „Das egoistische Gen“ darlegt. Trotzdem verhalten wir uns nicht permanent selbstlos oder gar selbstmörderisch. Als Konsequenz ist unser Denken, Fühlen und Handeln mit der Regulation von zwischenmenschlichen Abläufen beschäftigt. Wir erleben dies als individuelles Streben oder Scheitern und interpretieren beispielsweise einen charakterlichen Zug zur Unterwerfung als individuelles Problem.
Für unser Leben unter heutigen Umgebungsbedingungen erzeugen diese Handlungsmuster jedoch zum Teil dramatische Fehlfunktionen. Es ist der machtvolle Handlungsimpuls in bedrohlich erlebten Konfliktsituationen, der uns unter Spannung und unter "Druck" stehen lässt.
Diese anhaltende energetische Aktivierung macht unser Leben anstrengend. In der psychosomatischen Medizin finden sich solche Zustände permanenter innerer Kampfenergie z.B. als Panikattacke, als körperliche Symptome ohne organische Ursachen oder "Burn-Out-Syndrom" wieder.
Selbst depressive Menschen leiden bei genauerer Erforschung ihrer körperlichen Wahrnehmung nur vordergründig unter einem Mangel an Energie, sondern bei genauerer Betrachtung an einem "zu viel", an einer Energieproduktion ohne funktionierenden Ansatzpunkt.
Wir sind unruhig, wälzen uns überwärmt im Bett, erleben uns als reizbar. Ein geringes Energieniveau sieht anders aus, nach einem solchen Zustand körperlicher Schwere sehnen wir uns, wie etwa körperliche Arbeit in der Winterkälte den "Kopf angenehm leer macht".
Wir leben im Beruf und im Privatleben in permanenter gedanklicher Beanspruchung und der daraus erwachsenden Aktivierung von Angst- und Bedrohungsreaktionen. Das kann auf niedrigem Niveau seinen Anfang nehmen: "Komme ich gleich zu spät zum Bäcker, gibt es keine Brötchen mehr?", aber endet auch schnell bei existenziellen Bedrohungsgedanken: "Behalte ich meinen Job? Wie kriege ich meine Kinder durch die Ausbildung? Ich habe mein Leben nicht im Griff". Und gar nicht so selten bei Gedanken, die vielen Menschen kommen: "Wo ist noch der Sinn für das alles? Warum tue ich mir das alles an?“
Ich möchte, ausgehend von solch trübsinnigen Einführungen, das Buch auf den Ursprung dieser Katastrophengedanken lenken.
Die subjektive Bedrohung durch den Anderen, durch unsere eigene Spezies, ist genau das, was in unserem inneren Gefahrenreport die höchste Bedeutung besitzt. Untersuchungen über die Auswirkungen von traumatischen Erlebnis zeigen, dass durch "Andere" verursachte Traumata das Schlimmste darstellen, was uns das Leben antun kann, stärker als Naturkatastrophen. Jean Améry beschrieb nach eigener Konzentrationslagererfahrung die Unmöglichkeit, wieder in der Welt heimisch zu werden.
Ich habe jedoch kein Buch über Folter und Trauma geschrieben, sondern über die alltäglichen Bedrohungswarnungen, die unser Gehirn mit unangemessenem Alarm, innerer Kampfaktivierung und auch Energiebereitstellung beantwortet. Unser Gefahrenscanner registriert ständige Gefahr für unser Leben und unsere seelische sowie körperliche Integrität. Diese ständige Alarmreaktion unseres Gehirns auf die, ja tatsächlich häufig unfreundlichen, aggressiven und dominanten Verhaltensweisen anderer ist Gegenstand des Buches.
Ich sollte mich also auf der einen Seite tatsächlich gegen Feindseligkeit, Aggression und Dominanz wappnen können. Auf der anderen Seite benötigte ich dafür viel weniger an Kampfenergie, als mein Gehirn mir reflexartig dafür zur Verfügung stellt. Mit diesem Buch möchte ich helfen, dies dem eigenen Gehirn schrittweise beizubringen: Wie es mir dabei helfen kann, mich leichter, effektiver und auch "energiesparend" gegen Bedrohungen aus unserer Umwelt zu schützen. Deshalb der möglicherweise provozierende Untertitel: "Wer kämpft, verliert".