Читать книгу Ich möchte freundlich behandelt werden - Wilfried Kochhäuser - Страница 5
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Wie bemerke ich, dass etwas nicht gut funktioniert? Warum lohnt es sich, mit meiner „Angst“ in Kontakt zu treten, um mich wirksam zu schützen?
Beide Fragen hängen miteinander zusammen. Nur wenn ich meine Wahrnehmung ausweite, gelingt mir der Blick auf die Dinge, die im meinem Leben nicht gut funktionieren. Angst blockiert diesen Blick und so auch die Möglichkeit zur Veränderung.
Der Blick auf die Angst lohnt sich, weil wir allzu schnell dem verführerischen Instinkt nachgeben, dass dort, wo keine Angst ist, die Welt für mich sicher sei. Und obwohl es diesen Ort für uns nirgendwo gibt, folgen wir diesem Drang. Entweder, indem wir den Dingen, denen wir sowieso ins Auge sehen müssen, allzu lange aus dem Weg gehen, oder indem wir unsere Angst in Wut ummünzen und versuchen, uns auf irgendeine Art mächtig und groß zu machen. Aber funktioniert das eigentlich, was wir da gerade tun?
Wie erkenne ich eine Verbindung zwischen Müdigkeit und Angst?
Es scheint eine große Müdigkeit umzugehen. An vielen Orten, und nicht nur in unserem Land, scheinen die Menschen dagegen anzukämpfen. Wir versuchen unsere Fitness zu verbessern, unsere Ernährung und sonst noch alles Mögliche umzustellen. Aber die Müdigkeit nimmt anscheinend zu. Viele von uns versuchen mit einer verzweifelten Anstrengung die eigene Leistungsfähigkeit, das Zeitmanagement und natürlich die "Life-work-balance" zu perfektionieren. Trotz alledem scheint sich im Verborgenen etwas abzuspielen, gegen das wir nicht so richtig ankommen.
Vor einigen Jahren gab es bereits einmal das Thema der "Deutschen Angst" („The German Angst!“, ein Buch von Sabine Bode). Und kontinuierlich scheint unser Angstbarometer immer wieder auf Höchststände zu klettern. Der Soziologe Heinz Bude schreibt in seinem Buch "Gesellschaft der Angst", wie aus seiner Sicht die Angst zur zentralen sozialen Kraft geworden. Welche Effekte hat das für uns?
Typische Sprichwörter zur Bedeutung von Angst liefern hierzu einen Hinweis:
"Angst ist ein schlechter Ratgeber." - Aus England
"Angst macht den Alten laufen." - Aus Deutschland
"Angst verleiht Flügel." – Ebenfalls aus Deutschland
Leonardo da Vinci sagte: "Die Menschen werden jenes Ding verfolgen, vor dem sie am meisten Angst haben." Angst lässt ihm zur Folge also unseren Blick nach außen, auf das Objekt der Angst lenken.
Die Menschen auf den Osterinseln haben merkwürdige Steinfiguren zurückgelassen, die mit weit aufgerissenen, bedrohlichen (wie man heute zu wissen glaubt „auch gemalten“) Augen ins Landesinnere geschaut haben. Diese Kultur ist möglicherweise auch an ihrer Angst untergegangen. Diese Menschen haben sich durch Überbevölkerung und Ausbeutung von Ressourcen in eine bedrohliche ökologische Krise gebracht, die sie dann durch dieses „Sich-selbst-bange machen“ noch verstärkt haben. Es handelt sich also wohl nicht um ein typisch deutsches, sondern um ein universell menschliches Phänomen, Angst als Antreiber und Druckmittel einzusetzen.
Angst macht aber müde, lähmt und raubt Kreativität. Wenn ich mich sonntagnachmittags schlapp und antriebsarm fühle, weil die Arbeitswoche auf mich zukommt, dann ist das Angst. Und ebenso, wenn ich mich am Montagmorgen nur schwer aus dem Bett bewegen kann. Wovor, werden sich viele fragen, sollte ich aber Angst haben, geht es hier nicht mehr um so etwas wie Frustration, Motivationsmangel und Perspektivlosigkeit - oder einfach um Faulheit? Wie kann ich also rausbekommen, ob und wovor ich gerade Angst habe?
Ich möchte jetzt 3 Fragen an unsere Selbstwahrnehmung einführen:
Weiß ich, was ich gerade mache?
Habe ich mir das selbst ausgesucht?
Funktioniert es?
In einem Zeitungs-Porträt (FAZ vom 31.01.2010) über die Vorsitzende der Mozilla - Stiftung Mitchell Baker (Internetbrowser „Firefox“) entsteht in diesem Zusammenhang ein ungewöhnliches Bild einer Managerin, die als Hobbys "Trapez-Kunst" und "Nähen" angibt. Insbesondere das Training als Trapezartistin habe ihr ein Gefühl für Angst näher gebracht. Seit sie „fliege“ - und zeitweilig habe sie dreimal in der Woche am Trapez trainiert – erkenne sie Angst besser und schneller, schildert Baker. Es habe ihr den Zugang zu diesem Zustand erst eröffnet, weil sie dieses Gefühl jetzt besser und schneller wahrnehme. So könne sie verhindern, aus einer zunächst oft unbewussten Angst heraus Dinge zu tun, die nicht gut funktionierten. Oder sich von nicht mehr sinnvolllen Aktivitäten zu lösen.
In diesem Porträt wird die persönliche Erfahrung einer erfolgreichen Frau lebendig. Mitchell Baker hat ihre steinzeitlichen Steuerungsmuster der Angst vor anderen Menschen und ihre ebenso steinzeitliche Panikreaktionen über das regelmäßige körperliche Hineinversetzen in ihre eigene Angst besser kennen gelernt. Die beschriebenen regelmäßigen "Abenteuer in die Angst hinein", wie es diese Managerin betreibt, scheinen offensichtlich die Möglichkeiten unserer eigenen „Benutzeroberfläche“ für ein produktiveres und selbstbestimmtes Umgehen mit Angst zu ermöglichen. Nicht nur für ängstliche Naturen würde es sich lohnen, regelmäßige kleine Abenteuer zu praktizieren. Es gibt durchaus viele Menschen, die sich intuitiv und regelmäßig mit ihrem Angstsystem in Kontakt bringen. Die anderen, wir Normalen, unternehmen aber häufig alles, um genau das zu vermeiden. Jeder von uns vermeidet für ihn ganz typische Lebensbereiche, die "unangenehm" sind.
Es ist die Vermeidung, als Folge von Angst, die uns müde macht. Wenn ich nicht mehr dahin gehe, wo ich mal hin wollte und vielleicht Spaß, Lebensfreude und Sinn fände, dann werde ich, häufig genug "angespannt in meiner Vermeidung ", immer müder. Und überall dort, wo ich aus äußerem Druck heraus weiter hin muss, beispielsweise an meinen Arbeitsplatz, raubt es mir dann die allerletzten Reserven und ich laufe Gefahr „auszubrennen“.
Für mich wird über das Porträt der Managerin folgendes zugespitzt:
Wir bekommen unsere Angst oft gar nicht mit!
(Und erleben stattdessen Anspannung und körperliche Beschwerden bis hin zu chronischen Schmerzen).
Wir können dabei als menschliche Wesen ganz gut mit Angst umgehen - vor allem, wenn wir uns gezielt, bewusst und entschieden damit beschäftigen (zum Beispiel Trapez fliegen, Horrorfilme ansehen, Kajak oder Motorrad fahren...).
Vor allem die bewusste und selbst gewählte Konfrontation mit unseren sozialen Ängsten haben die Wenigsten von uns gelernt. Ein regelmäßiges, auch körperliches Angstbewältigungstraining trainiert unseren Organismus offensichtlich auch, mit sozialen Ängsten klüger umzugehen.
Können wir unser Angstsystem robuster machen, indem wir unsere Flucht- und Kampfimpulse wahrnehmen lernen, ohne automatisch darauf zu reagieren?
Wie bemerken wir, wovor wir Angst haben - was vermeiden wir denn gerade?
„The essence of beeing a mammal (and, most essentially, we are mammals) is the need for, and the ability to participate in, interpersonal relationships. The interpersonal dance begins at least as early as birth and ends only with dead.”
L.S. Benjamin, “Interpersonal diagnosis and treatment of personality disorders”, Guilford press, New York, London 1996, Vorwort vii).
Die Autorin betont als Grundannahme ihres Buches die zentrale Regulationsaufgabe unseres Gehirns, zwischenmenschliche Beziehungen - von der Geburt bis zum Tod - zu gestalten.
Auch der Autor Thomas Fuchs beschreibt in seinem Buch „Das Gehirn - ein Beziehungsorgan“ unser Großhirn als ein Organ, welches sich in erster Linie zur Vermittlung und Umformung unserer Beziehungen zur Umwelt entwickelt hat (hier vor allem der Beziehungen zwischen Menschen). In seinem umfangreichen Werk "Gewalt und Mitgefühl: Die Biologie des menschlichen Verhaltens" illustriert der Neuroendokrinologe und Primatenforscher Robert Sapolsky ebenfalls neurobiologische Grundlagen der Regulation zwischenmenschlichen Verhaltens, auf denen die pragmatischen Lösungsansätze dieses Buches aufbauen.
Folgerichtig möchte deshalb ich die Frage erneut und präziser formulieren:
„Vor wem habe ich denn (als nächstes) Angst?“
„Burn-Out“ beispielsweise ergibt sich aus dieser Perspektive heraus als chronische Hilflosigkeit in der Selbstregulation anderen Menschen gegenüber. Das mag von der Erfahrung geprägt sein, immer wieder in Streit und eskalierende Auseinandersetzungen zu geraten und am Ende „der Doofe“ zu sein. Es kann aber auch die hilflose Überforderung angesichts der Bedürftigkeit unserer Familie, der Kinder, Partner oder Eltern bedeuten. Die entsprechenden Gefühle von Angst und Ohnmacht entstehen also an der Grenze zum Anderen. Und es finden sich beruflich viele Entwicklungen, welche die Regulationsanforderungen in den Unternehmen und für Freiberufler immer höher schrauben und so zu einem dauerhaften Druckgefühl in uns führen. Das ist der Druck des Kunden auf den Mitarbeiter, der Druck des Mitarbeiters auf seine Kollegen, der Druck von Kollegen auf den Chef und wieder zurück. Und auch der Druck des Patienten, Klienten, Mandanten auf den Selbstständigen und Freiberufler.
Ich selbst bin nicht meiner Machtkämpfe müde geworden, sondern kann auch nicht erkennen, dass sie mir jemals entscheidend weitergeholfen hätten. Vor allem deshalb versuche ich aus Machtkämpfen auszusteigen, sobald ich sie mitbekomme.
Für einen Machtkampf braucht es mindestens zwei, die mitmachen.
Und ich kann mich immer entscheiden, nicht mehr dabei zu sein!