Читать книгу Ich möchte freundlich behandelt werden - Wilfried Kochhäuser - Страница 9
Оглавление3.Kapitel
Loslassen. Wie lerne ich, die Verteidigung funktionieren zu lassen?
Ändert sich denn etwas in der Realität meines Lebens, wenn ich mich entscheide, nicht mehr sofort auf meine Gefühle und Handlungsaufforderungen zu reagieren? Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob ich hierüber lediglich etwas in mir selbst, das heißt in meiner Wahrnehmung verändere, oder ob ich auch Effekte in meiner Umgebung in Gang setze. Tatsächlich sind die Effekte in unserer Umgebung zunächst nachrangig und anfänglich nur ein Nebeneffekt. Die entscheidenden Veränderungen entstehen in mir selbst und häufig werde ich die Erfahrung machen, dass sich für mich, durch nicht sofortiges Handeln, zumindest nichts verschlimmert. Aber später geschieht durchaus Überraschendes in der Umgebung, jedoch nur dann, wenn ich den Weg über mich und über meine Ängste gewählt habe und keine direkten Erwartungen an mein Gegenüber habe. Das bleibt ein Paradox in der Arbeit mit "Freundlichem Druck". Erst, wenn es mir tatsächlich gelingt, dieses Paradox anzunehmen und zu akzeptieren, werde ich bemerken, wie die von mir akzeptierte Angst auf mein Gegenüber überspringt. Ich trete meiner Angst vor dem Alleine sein und dem Ausgestoßen werden entgegen und mache die Erfahrung, dass nichts passiert. Und genau in diesem Augenblick wird mein gegenüber diese Angst selbst spüren.
Was ist nun mit dem Druck, wo bleibt der denn? Sehr entlastend bei " Freundlicher Druck" wird für mich, dass ich Druck nicht mehr „wegmachen“ muss, wie wir das mit Entspannungstechniken und Sport oft krampfhaft versuchen. Das zusätzlich Faszinierende ist, dass der Druck, den ich selbst gar nicht mehr zur Regulation „gegen“ mein Gegenüber aufbringe, nun „auf die andere Seite springt“. Dadurch, dass ich meiner eigenen Angst entgegentrete und den Mut zum Nichthandeln aufbringe, entsteht Druck „auf der anderen Seite des Gartenzauns“!
Die Angst springen lassen. Wie kann ich meinen Druck auf mein Gegenüber verschieben?
Ich benötige hierfür Mut - statt Kraft.
Um mich zu beschreiben und abzugrenzen
Um meine Wünsche mitzuteilen
Funktional erwächst beim Gegenüber die Angst, mich als Person möglicherweise zu verlieren. Es entsteht in diesem Lebewesen der Druck, etwas für die Beziehung zu tun, um einem sich andeutenden Beziehungsverlust entgegenzuwirken. Selbst in anscheinend oberflächlichen, geschäftsmäßigen Beziehungen springt dieser Druck - mehr oder weniger ausgeprägt - auf die andere Seite. Dies macht die Funktionalität von "Freundlichem Druck" aus.
Der Umgang mit unserer steinzeitlichen Biologie. Wie können wir uns mit unserem „alten“ Gehirn arrangieren?
In den Medien und unserer alltäglichen Umwelt werden wir mit unterschiedlichen Phänomenen von Hilflosigkeit und Überforderung konfrontiert, aber offenbar lässt sich vieles davon nicht mit den gängigen psychischen Erkrankungen (z.B. Depressionen) abbilden. Und daher hat sich wohl die Begrifflichkeit "Burn-Out-Syndrom" Eingang in unsere Sprache verschafft. Viele Ratschläge laufen in diesem Zusammenhang darauf zu, sich mehr um sich selbst zu kümmern. Wobei an dieser Stelle rasch die Frage entstehen dürfte, wie wir das konkret angehen können. Die Empfehlungen klingen für uns in einer verfahrenen Situation möglicherweise ein bisschen nebelhaft (...mehr Sport treiben, mehr Zeit mit der Familie verbringen...mehr Ausgleich), aber sie bieten immerhin Möglichkeiten zum Handeln.
Entsprechende Ratschläge, sich in körperlicher und geistiger Hinsicht mehr um sich selbst zu kümmern, gehen wohl in die richtige Richtung. Für Verwirrung sorgt in dieser unübersichtlichen Situation die Frage, welches "Selbst" in diesem Durcheinander dann die Richtung angeben soll.
Wenn Burn-Out etwas mit einem Hamsterrad zu tun hat, dann muss da auch ein Selbst sein, welches das Rad in Gang hält. Das ist eben nicht nur die äußere Welt und nur der Druck der Anderen - und den meisten von uns ist das durchaus klar. Am Ende des Tages ist es auch der fehlende Blick auf unseren eigenen Zustand, der diesen Druck zum Handeln erzeugt und aufrechterhält. Wie können wir also an dieses Selbst, um das wir uns mehr kümmern sollen, gelangen? Und was macht uns diesen Gang eigentlich so schwer?
Genau das lässt sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen und ist Hauptbestandteil dieses Buches. Der scheinbar „äußere“ Druck, den wir erleben, hat augenscheinlich etwas mit anderen Menschen zu tun. Hinter jedem solchen zwischenmenschlichen Kraftträger, der Druck und darüber fast mechanisch Handlungsimpulse in uns entstehen lässt, verbirgt sich eine Person in unserem Leben. Das uns steuernde emotionale System steht in ständiger Verbindung mit tatsächlichen oder vermuteten Bewertungen in Bezug auf unsere Person durch andere Menschen. So findet ein schon aus Gewohnheit aufrechterhaltener Machtkampf statt, den wir meistens noch nicht einmal mehr bewusst wahrnehmen. Das können sogar die schlechten Bewertungen selbst durch lange nicht mehr lebende Elternteile oder Lehrer in uns aufrechterhalten oder die erlernten Überzeugungen, was wir alles „müssen". Hierüber wird in uns ein andauernder Machtkampf befeuert, der für hohen inneren Druck sorgt und unsere angestrengte und oft nicht mehr zielorientierte Aktivität im Hamsterrad hochhält. Ich möchte Aufmerksamkeit für diese Kräfte, also den beständigen dysfunktionalen Blick auf unser Gegenüber entwickeln helfen und funktionierende Alternativen vermitteln. Und ich möchte zeigen, dass andere Menschen immerzu etwas mit uns machen. Die Alternative hierzu heißt: Einen „funktionalen“ Blick auf uns selbst zu üben und als zweckgerichtete Alternative nutzbar zu machen.
Drucken Sie sich das auf der Homepage hinterlegte "Erinnerungskärtchen" aus und legen Sie es vor sich. Sie können jetzt die Anweisungen in Ruhe für sich durchgehen.
Die Sprache der Selbstoffenbarung. Was ist eine Ich-Botschaft?
Auf dem Weg über die Sinneswahrnehmung meines Körpers gelange ich in den Besitz eines schutzbedürftigen und verletzlichen, aber eben auch machtvollen Schlüssels, um mein "Selbst“ über den Einsatz und die Ausgestaltung meiner Sprache mitentscheiden zu lassen. Das Mittel zur konkreten Umsetzung der Bilder vom Garten ist unsere gesprochene Sprache. Sprache repräsentiert auch das entwicklungsgeschichtlich Neue in unserem Gehirn und macht es so auch möglich, uns von alten automatisierten, instinktgesteuerten Vorgaben der Evolution zu lösen. Grundsätzlich spiegelt allerdings auch Sprache in Konflikten die Umsetzung der beschriebenen drei Grundmuster wider: Kampf, Flucht und Unterwerfung.
Das sprachliche Prinzip der Botschaften über „unseren“ Garten, also unser schützenswertes und manchmal sehr verletzlich empfundenes "Selbst" ist die sogenannte Ich-Botschaft. Uns hierüber "Selbst" zu zeigen, wie wir sind, was wir uns wünschen und was wir nötig haben, auch wenn dies ein mehr oder weniger ausgeprägtes Unbehagen oder Angst mit sich führt. Aber muss das unbedingt sein? Ich stelle mich ja hierbei ganz dicht und ungeschützt an den Zaun zum Nachbarn, durch den ich mich in diesem Augenblick möglicherweise bedroht fühle.
In solchen Situationen wird uns dementsprechend oft folgender Impuls vom Körper in den Kopf zurückspringen: "Das funktioniert doch sicher auch ohne das Ganze?!"
Wir haben diesen Zugang zu uns selbst – zu unserem Garten als Wahrnehmung unserer momentanen Befindlichkeit und unsere Wünsche so wenig spontan abrufbereit, weil es gegen die biologische Logik unseres Säugetiergehirns läuft. Es wird eben rasch bedrohlich, wenn eine konkrete Person vor mir steht, und ich negative Konsequenzen meines Verhaltens befürchte.
Ohne die Fähigkeit zur Sprache sind Lebewesen tatsächlich ausschließlich darauf angewiesen, mit Signalen von der anderen Seite ("aus dem anderen Terrain") zu ko-operieren - oder zu kämpfen. Diese nichtsprachlichen Interaktionsmuster sind im Laufe unserer Evolution jedoch keineswegs verloren gegangen. Wären wir als Spezies anders konstruiert - immer nur so schön bei uns, wie ich es jetzt so vertrauenserweckend wie möglich bewerben würde - dann wären wir wohl relativ schnell aus der Gruppe ausgestoßen und als Konsequenz dann schutzlos von Raubtieren aufgefressen worden - und mithin längst ausgestorben.
So treibt uns diese Säugetierbiologie mit dem Blick auf die belebte oder unbelebte Außenwelt auch heute noch den ganzen Tag durch die Gegend. Die bloße Anwesenheit anderer Menschen setzt unser Bedrohungssystem in Gang und erzeugt Angststress und setzt Strategien in Gang, die über unsere Erwartungen gesteuert werden. Bei der Agoraphobie, der Angst vor stark belebten Orten, sind es beispielsweise Urängste gegenüber fremden Menschen, die uns auf Flucht schalten lassen. Diese Form der Angststörung findet sich dann tatsächlich häufig im Zusammenhang mit aktuell ungelösten zwischenmenschlichen Regulationsaufgaben bzw. Konflikten, ohne dass den Betroffenen dieser Umstand zunächst bewusst ist. Sie leiden nur plötzlich unter heftigen Ängsten, obwohl sie mir stets versichern, derartiges früher nie gehabt zu haben.
Wir werden uns einen ersten schnellen Blick auf die Umwelt wohl nie ganz abgewöhnen können. Jedoch können wir lernen, dies immer ein bisschen früher mitzubekommen, um dann mit einem ausreichenden Maß an Distanz, bewußt ausgewählt und nicht sofort reagieren zu müssen. Es ist ein großer Unterschied, ob ich Intuitiv wahrnehme oder intuitiv handle!
1994 schildert Tor Noerretranders in seinem Buch: „Spüre die Welt. Die Wissenschaft des Bewusstseins“ vielfältige experimentelle Belege dafür, dass Intuition und unbewusste Impulse unserem Verstand meist vorauseilen. Und auch in interpersonellen Konstellationen ist es häufig so, dass wir unter Stress und in Konfliktsituationen instinktiv handeln und dann erst in einem zweiten Schritt analytisch denken. Unser analytischer Verstand arbeitet dann fast regelhaft erst dem Handeln nachgeschaltet. Die Alltagspsychologie ist voll von diesen Phänomenen - man nennt das auch "Rationalisierung", wenn ich mein Handeln im Nachgang rational erkläre.
"Rationalisierung" heißt im Klartext, sich aus einer instinktiven, bereits vollzogenen Handlung mit Verstandesargumenten herauszureden oder auch für sich selbst „schönzureden“ ("das zweite Paar Stiefel gab es ja dann für die Hälfte" oder: „Wenn man die Rückbank (in dem neuen Sportwagen) umklappt, kann ich auch noch prima einen Kinderwagen unterbringen, etc...".
Unser jeweiliges menschliches Gegenüber spürt dabei oft genug genau den "nachgeschalteten“ Charakter unserer vordergründig analytischen Argumentation - und denkt sich bestenfalls seinen Teil, um uns zu schonen („Ich gönns ihm/ihr ja!“).
Wenn ich jedoch von der Pflege intuitiver Wahrnehmung spreche, meine ich damit die erlernbare Kulturfertigkeit, den körperlich spürbaren Sinneseindruck eigener Handlungsimpulse zunächst auf eine bewussten Ebene zu heben ("dem könnte ich jetzt gut eins auf die Nase hauen") ohne sofort - und eben intuitiv - zu handeln. Dafür werde ich unterschiedlich viel Zeit benötigen und der Volksmund kennt das Phänomen natürlich auch: "Erst mal tief Luft holen und bis 10 zählen".
Das kreist folgende Herausforderung dieses Buches ein: Unser Gehirn immer wieder mitzunehmen und den sich anbahnenden Ringkampf loszulassen, in dem ich meine aktuelle Emotion zunächst loslasse und dann betrachte.
Handfeste körperliche Auseinandersetzungen kommen heute im Vergleich mit der Steinzeit seltener vor und falls es doch soweit gekommen ist, wird dieses Buch nicht weiterhelfen. Es hilft aber, alle anderen Ringkämpfe nicht mehr mitzumachen, aber durchaus auch körperliche Auseinandersetzungen von vornherein zu vermeiden. Deshalb setze ich die gleichen Techniken auch im Antiaggressionstraining mit gewalttätigen Menschen ein.
Für alles, was sich in zwischenmenschlichen Konfliktszenarien - abseits krimineller Situationen - abspielt, gibt es im Vertrauen auf unseren Körper eine Unterstützung, die funktioniert. Aber immer nur dann, wenn ich selbst mutig genug bin, auch unter Stress zunächst über Körperwahrnehmung meine Emotionen zu beobachten und nicht sofort zu handeln.
Wenn ich mich im Detail mit Sprache im Angesicht des Anderen beschäftige, wird mir klarer werden, dass sich die meisten Machtkämpfe bereits in meinem eigenen Kopf abspielen. Dafür benutze ich die "Sprache im Gehirn", meine Kampfdialoge im Kopf, das heißt mein Denken.
Wie lerne ich, mich in ICH-Botschaften selbst zu beschreiben, um mich zu beschützen?
Mit Mut! Ich habe in der Einleitung davon gesprochen, dass für unser emotionales Selbstregulationssystem die Bewältigung schwieriger zwischenmenschlicher Herausforderungen „Ausflüge in die Angst“ bedeutet. Wenn ich soetwas bewusst betreiben möchte, dann folgen jetzt Anleitungen für genau diese Herausforderungen. Denn nicht jeder kann oder will Trapez-Übungen wie die zitierte amerikanische Managerin als Angstbewältigungstraining in den Alltag einbauen.
Wenn ich in diesem Sinn Selbstoffenbarung und Ich-Botschaften übe, dann geht es hierbei um mehr, als in Management-Seminaren vermittelt wird. Dort wird die Ich-Botschaft als Ausdruck der Klarheit und als Instrument von Führung beschrieben. Und damit wäre es auch funktional. Oft zeigen diese Trainings aber wenig Wirkung, weil der Aspekt von Angstbewältigung hierbei meist nicht erwähnt wird; in solchen Seminaren darf ich bislang das Wort Angst kaum in den Mund nehmen.
Wenn sich aber ein Konflikt zuspitzt, dann geht es immer auch um meine Angst. Und unter diesem Angst-Stress kommt es dann nicht mehr zur Umsetzung von gelernten Ich-Botschaften, da werden wir lieber scharf schießen oder uns unterwerfen. Dafür sorgt schon mein Altgehirn aus der Steinzeit, wenn der Bedrohungspegel nur entsprechend hoch wahrgenommen wird. Mancher fragt sich vielleicht, weshalb die Steinzeit immer so schlecht bekommt. Dies hat aus meiner Sicht vor allem damit zu tun, dass wir aktuell nicht in ihr leben. Wir können aber diesen Spieß mit Beharrlichkeit umdrehen. Benutze ich nämlich Ich-Botschaften als eine Art von täglichem kleinen Ausflug in meine Ängste und damit als tägliche Impfung meines Stress- und Angstsystems, werde ich aktiv im Umgang mit meiner Angst. Ich schalte vom einem passiven in den aktiven Bewältigungsmodus meiner Gefühlen. Um uns darin zu üben, können wir in ruhigeren Bereichen unseres Lebens beginnen, wo nicht gerade der mächtigste Pulverdampf besteht. Ich offenbare mich auf diese Weise und begebe mich mutig in eine subjektiv verletzbar empfundene Position.
Ich lerne mich darüber allerdings auch besser kennen, ich mache mich mit mir "Selbst vertrauter" und erkenne als Nebeneffekt, auch vielleicht erst in kleinen Schritten, welche Ausdehnung mein Garten tatsächlich hat.
Ein Beispiel:
"Ich hatte seit 4 Wochen Kontakt zu einer Frau, die ich recht zufällig neu kennen gelernt hatte. Wir kamen sehr schnell in einen intensiven Austausch miteinander und es entwickelte sich langsam eine engere Beziehung. Wir verstanden uns gut, hatten zum Teil ähnliche Interessen und fanden uns offensichtlich beide anziehend. Nach ca. 4 Wochen gerieten wir plötzlich in einen heftigen Streit. Letztlich ging es nur um die Planung, wie wir unser Wochenende verbringen bzw. wann wir füreinander Zeit haben würden. Vielleicht war ich ein bisschen unentschieden oder auch noch hin- und hergerissen, weil sich auch ein Freund mit mir treffen wollte. Am Ende eskalierte unser Gespräch mit heftigen Vorwürfen und Entwertungen von ihrer Seite aus, die mich ratlos zurückließen. Normalerweise hätte ich mich an diesem Punkt zurückgezogen und gedacht: „Die blöde Kuh weiß sowieso nicht was, sie verpasst“. Es stand auf jeden Fall außer Frage, mich jetzt auf irgendeine Weise klein zu machen oder betteln zu gehen.
Ich hatte es während dieser ersten 4 Wochen unseres Kennenlernens eigentlich nie nötig gehabt, machohaft aufzutreten, wie es die längste Zeit meines Lebens Gewohnheit gewesen war. Aber in dieser Zwangslage kam das wieder durch. Ich benötigte volle 2 Tage, um wieder Klarheit zu finden.
Dann ging ich diese verfahrene Situation so an, wie ich das vorher in meinem neuen Job gelernt hatte. Ich rief sie an und bat um ein Gespräch. Und es gelang mir in dem Gespräch ausschließlich und durchgehend von mir zu sprechen. Jeder Satz begann mit „Ich“, ich beschrieb meine Gefühle, meine Verwirrtheit, meine Wünsche und auch das, was ich nicht wünschte. Es gelang mir, mich außerhalb meiner üblichen machohaften Attitüde „Entweder Du willst mich so, wie ich bin, oder lass´ es bleiben.“ zu stellen. Ich verspürte Angst in dieser Situation von Selbstoffenbarung, fühlte mich verletzlich und klein überhaupt nicht wie ein richtiger Mann. Ich zog das letztlich auch nur durch, weil mir diese Art von Kommunikation aus verzwickten beruflichen Situationen schon heraus geholfen hatte. Am Ende war ich verblüfft und überrascht, wie zugewandt meine Partnerin reagierte, ihrerseits sich selbst beschrieb, von sich sprach."
Ich erkenne zunehmend deutlicher, wieviel Müll und mühsam zu umfahrende Hindernisse in meinem Garten herumliegen. Und wie viele Umwege ich in meinem täglichen Leben absolviere. Ein erster Schritt, viele nicht gut funktionierende Strategien mutig zu unterlaufen besteht darin, ausschließlich von mir zu reden. Genau das mache ich mit Ich-Botschaften. Das mag simpel klingen und unvermeidlich schlechte Gefühle und solche Gedanken auslösen, wie zum Beispiel: "Das ist doch total egoistisch, nur noch von mir zu reden ".
Das beste ist daher, alles beharrlich auszuprobieren. Die konsequente Umsetzung dieses sprachlichen Prinzips ist anfänglich, wie bei jedem Training, holprig. Unser Gehirn wird nämlich nicht augenblicklich "Hurra" schreien können. Das – trügerische - Gefühl einer erfolgreichen Salve auf den Gegner bleibt ihm verwehrt. Die Belohnung "Hurra, Treffer, versenkt" gibt es in der Arbeit mit Selbstabgrenzung über Ich-Botschaften nicht. Wahrscheinlich winde ich mich in der Beschreibung meiner Selbstposition zunächst noch etwas.
Nachfolgend finden sich Kernbotschaften. Es wird sich kaum ein zwischenmenschliches Aufeinandertreffen finden, in denen diese Sätze nicht als erste Schutzmaßnahme ausreichen, um mich zunächst selbst wieder zu finden, zu beruhigen sowie Zeit zu gewinnen - und mein Angsttraining voranzutreiben.
Das möchte ich nicht.
Das wünsche ich mir anders.
Ich möchte freundlich behandelt werden.
Ich möchte mich nicht weiter unterhalten.
Ich habe das noch nicht verstanden.
Ich kann dazu noch nichts sagen.
Ich beende jetzt das Gespräch.
Ich gehe jetzt.
Wenn Sie sich mit dem nachfolgenden Protokoll (siehe auch als PDF zum Ausdruck auf der Homepage www.friendly-pressure.com) regelmäßig mit Konfliktsituationen und den darin stattfindenden sprachlichen Auseinandersetzungen beschäftigen, werden Sie feststellen, wie weit unser Gehirn von solchen Aussagen zunächst entfernt ist. Die Arbeit mit einem Protokoll ist aus meiner Sicht unverzichtbar, um mehr über sich und die eigenen Sprachmuster zu lernen.
Es hilft, den tatsächlichen Ablauf von Auseinandersetzungen zu protokollieren, um so sehen zu können: Was habe ich gesagt und was habe ich tatsächlich bekommen oder nicht bekommen? Das ist der Einstieg, um mich zunächst am grünen Tisch damit auseinander zu setzen, wie eine Selbstbeschreibung hätte aussehen können. Damit begebe ich mich auf die ersten Schritte eines Trainings freundlicher Abgrenzung. Was ich dabei bewältige, ist die dazu gehörige Portion Angst und wahrscheinlich ein inneres Widerstreben. Aus meiner Erfahrung ist das Erleben solcher Gefühle auch ein wichtiges Kriterium dafür, ob etwas funktioniert hat – oder eben nicht. Ob ich im Anschluss an die Konfrontation mit meinem Gegenüber die Situation weitestgehend abschließen konnte. Wenn mich hingegen etwas weiter beschäftigt oder mich mein Gegenüber - im Geist oder in der Realität - nicht in Ruhe lässt, dann hat irgendetwas nicht richtig funktioniert.
Ich Botschaften - ein Protokoll
Was habe ich von der Person / Situation erwartet? Was habe ich bekommen?
Wie fühlte ich mich während und nach der Situation? Meine konkrete Körperwahrnehmung:
Was habe ich tatsächlich gesagt?
Ich formuliere Ich-Botschaften, in denen ich beschreibe, was ich mir in dieser Situation gewünscht habe und was nicht:
Habe ich erfahren, was sich die andere Person von mir gewünscht hat?
Wie hat sich die Situation/der Konflikt weiterentwickelt.
Habe ich zu einem späteren Zeitpunkt Ich-Botschaften genutzt?
Versuchen Sie nun die nachfolgende Szene mit Ich-Botschaften zu bewältigen. Ein Kollege kommt zu Ihnen ins Büro gestürmt, baut sich nahe an ihrem Schreibtisch auf und wirft Ihnen wütend einen Akten-Vorgang vor die Nase:
"Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, dass wir das bis 11:00 Uhr erledigt haben müssen. Bist Du eigentlich bescheuert?“
Unser Kampfgehirn wird nun für uns typische Gegenattacken anbieten. Beispielsweise würden wir antworten:
„Was soll das denn jetzt? Du bist wohl SELBST bescheuert!“
Insbesondere, wenn wir tatsächlich einen Fehler begangen haben könnten, wird sich der hier von dem Kollegen begonnene Machtkampf weiter entwickeln, mit einem erneuten Angriff:
"Wer hat denn hier bitte den Mist gemacht, sei du mal jetzt ganz still! Und mach den Kram sofort zu Ende!"
Und kurzerhand hat sich für den Kollegen eine günstige Gelegenheit entwickelt, wütend "als Gewinner" aus dem Zimmer zu stampfen. Auch wenn sich in Ihrem realen Umfeld genau diese Konfrontation noch nicht zugetragen hat, werden Sie Wut und die Hilflosigkeit nachempfinden können, die sich schon mit dem ersten Satz entzündet. Und die sich jetzt, wo das Gegenüber den Raum wieder verlassen hat, noch stärker in uns aufbaut.
Versuchen Sie im Folgenden eine Ich-Botschaft als Schutz gegen die Attacke des Kollegen zu formulieren. Sie können hierzu nachfolgenden Beispielsätze ausprobieren:
Ein Kollege kommt zu Ihnen ins Büro gestürmt, baut sich recht nahe an ihrem Schreibtisch auf und schmeißt Ihnen einen Akten-Vorgang vor die Nase:
Ich-Botschaft:
„Ich möchte freundlich behandelt werden!“
Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Kollege jetzt erneut so attackiert. Aber selbst in diesem Fall......:
"Wer hat denn hier bitte den Mist gemacht, Du bist jetzt bitte mal ganz still! Und mach mal den Kram sofort zu Ende!"
- findet sich eine abschließende Ich-Botschaft, die das Ziel hat, die Situation für mich sicher zu beenden:
„Ich habe hierzu alles gesagt, für mich ist das Gespräch beendet!"
Es liegt einzig und alleine an mir, diesen aggressiven Dialog genau an dieser Stelle zu beenden. Versuchen Sie sich diese Szene vorzustellen und sprechen Sie sie am besten laut nach. Dazu müssen Sie nicht die aggressiven Botschaften des Kollegen vortragen. Wenn sich jemand für ein solches Rollenspiel zur Verfügung stellt, umso besser. Sehr wirksam ist es, sich die Szene vorstellen und, bevor ich auf die Aggression antworte, ein kleines Zeitfenster zu öffnen.
Ich erlaube mir einen kleinen Moment zur Distanzierung, indem ich aufstehe. So gelingt es mir, auf die Wahrnehmung des eigenen Körpers umzuschalten (Siehe hierzu die Schilderung meines Parkplatzunfalls), etwa durch die bewusste Wahrnehmung von Körpergewicht und Atmung. Dies ist die einfachste Form der Distanzierung in einem Machtkampf. Ich entziehe hierüber bereits der Attacke Wirkung und Macht, weil ich nicht mehr sofort auf die Attacke des Gegenübers reagiere, sondern Kontakt mit mir selbst herstelle.
Ich trete aus den drei biologisch vorgegebenen Verhaltensmustern:
1. Flucht
2. Unterwerfung und
3. Attacke
heraus.
Jemand, der mich nicht zu einer dieser drei Reaktionen veranlassen kann, hat auch keine Macht über mich. Das Wirksame ist hierbei, dass ich mir durch das Aufstehen die Besinnung auf mein Körpergewicht, meine Atmung und den daraus folgenden Zugriff auf eine Ich-Botschaft die Vergewisserung gestatte. Dass ich gar nicht in diesen Machtkampf einzutreten brauche. Ich erlebe, dass nichts passiert, wenn ich nicht sofort handle. Und ein in den meisten Situationen funktionierender Standardsatz ist:
„Ich möchte freundlich behandelt werden!"
Ich wähle hierbei nicht die drei oben beschriebenen Optionen, sondern nutze eine vierte:
Ich bleibe
Ich stehe (am Gartenzaun) und stelle Kontakt zu mir selbst her
Ich beschreibe mich selbst und
Ich hake nicht in die aufgezwungene Handlung meines Gegenübers ein
Ich befreie meinen Garten von Unerwünschtem
Bei chronisch verstrickten Konflikten wird dies nie sofort gelingen und auch die Effekte auf mein Gegenüber werden nicht unmittelbar sichtbar werden. Das Ziel der Übung ist, den Zugang zu der notwendigen eigenen Haltung zu trainieren und zu kultivieren. Die Auswirkungen auf mein Gegenüber werden unterschiedlich lange auf sich warten lassen. Diese sind technisch gesehen sogar Nebeneffekte der Arbeit an mir selbst, auch wenn mir diese Nebeneffekte zukünftig immer nützlicher werden. Das Entscheidende spielt sich jedoch in mir ab. Ich bringe das Gehirn meines Gegenübers unter Druck, weil ich die Trennung, auch von einer aggressiven Verstrickung wie im vorliegenden Fall, annehmen. Die meisten Rudeltiere mögen keine Trennung, sie macht ihnen Angst. Zumal, wenn sich das trennende Gegenüber nicht in die Flucht schlagen lässt, sondern nur eine emotionale Trennung herstellt und trotzdem eine deutlich abgekühlte Präsenz zeigt. Das kann ich auch nicht schauspielern, sondern muss diesen auch für mich selbst unangenehmen Moment emotional akzeptieren. In dem Film „Der Pferdeflüsterer“ wird dieses Heraustreten Robert Redfords aus einem Machtkampf mit einem Pferd nachvollziehbar. In dem Machtkampf zwischen zwei Säugetieren steigt der Pferdeflüsterer aus, er verfolgt das flüchtige Pferd nicht weiter, sondern zieht sich zurück und lässt es allein. Hierüber kommt es später zur Rückkehr und Wiederannäherung des Pferdes, weil es sich als Herdentier alleingelassen fühlt. Genau das Phänomen kann ich in jeder beliebigen sozialen Umgebung wiedererleben, wenn ich mich, aktiv und selbst gewählt, für die dazu gehörige Portion Trennungsangst entscheide. Die nächste Szene ist die bereits geschilderte Teambesprechung in einem großen Versicherungsunternehmen. Die bereits eingeführte Frau Schneider erlebt dort kontinuierlich entwertende Kommentare eines Vorgesetzten. Als für sie typisches Beispiel beschreibt Frau Schneider die Sequenz, in der ihr Vorgesetzter eine Konferenz mit den Worten einleitet:
"Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."
Die Rollenspielsequenz wurde mit dem bewussten Erleben der im Augenblick aktivierten Gefühle geübt. Wütende Gefühle wären schnell und eindeutig mit Machtkampfargumenten zu füttern, da Frau Schneider gar nicht krank gewesen war und die letzten Male auch an den Sitzungen teilgenommen hatte. Somit spürte sie schlagartig massive Verärgerung, aber auch gleichzeitig die Verwirrung und Ohnmacht, wie sie sich in dieser Situation wohl wirksam schützen könnte. Und sie bemerkte als ihren langjährig gewohnten Handlungsimpuls, dass sie sich wohl unweigerlich schmollend in diese Aufgabe gefügt hätte. Das Rollenspieldrehbuch wurde nun gemeinsam entwickelt:
Abteilungsleiter: "Wir haben heute noch keinen Protokollführer für die Sitzung. Sie Schneider, Sie könnten doch gut Protokoll führen, Sie waren ja die letzten Male gar nicht hier, weil Sie sowieso ständig krank sind."
Jetzt besteht der erste Schritt darin, eine Pause einzulegen, indem ich mich auf die Atmung und mein Gewicht auf dem Untergrund konzentriere. Die Idee, innerlich "21,22" zu zählen, mag zunächst zu Beginn als Hilfe erscheinen, lenkt aber von unserem besten Anker ab, der Wahrnehmung unseres Körpers. Über unseren Körper nehmen wir den Kontakt zu unserem emotionalen System auf. Für das Zählen muss ich meinen Verstand aktivieren, der Verstand stört jetzt allerdings die notwendige emotionale Verankerung (oder das „Erden“). Jetzt mitten in diesem Machtkampf unseren analytischen Verstand loszulassen, stellt eine große Herausforderung dar. Aber ich arbeite so aktiv mit meinen im Körper abgebildeten Emotionen und löse damit tatsächlich auch schon sofort Wirkungen auf die Emotionen meines Gegenübers aus. Alleien dadurch, indem ich ich die in mir vom Gegenüber ausgelösten Gefühle zunächst nur wahrnehme und akzeptiere.
Das deutlichste Gefühl in diesem Augenblick ist: Wut.
Und genau die beschreibe ich jetzt (d.h. ich bin in der Lage meine Gefühle wahrzunehmen und zu beschreiben anstatt instinktiv auf sie zu reagieren).
"Ich bin verärgert über diese Bemerkung! Ich war in den letzten Monaten keinen einzigen Tag krank. Und ich habe an allen Sitzungen teilgenommen!"
Eine mögliche Reaktion des Chefs wäre beispielsweise:
"Jetzt seien Sie bitte nicht gleich beleidigt, Sie legen aber auch jede Bemerkung gleich auf die Goldwaage!"
Der Kampf geht also weiter und die Herausforderung ist, aus diesem Kampf mutig auszusteigen. Meine Wut, befeuert von meinem Verstand, würde natürlich sehr, sehr gerne weiterkämpfen, weil sich ja gute Kamapfargumente auf meiner Seite befinden. Aber ich widerstehe der Versuchung meines Kampfgehirns und beschreibe beharrlich meine Empfindungen und Wünsche:
"Ich fühle mich jetzt lächerlich gemacht. Ich möchte nicht so behandelt werden!“
Die Rollenspiel-Sequenz wird an dieser Stelle beendet. Auch in einer unerwarteten Realität benötige ich normalerweise nicht viele Worte, um mich zu schützen. Aber ich benötige die Fähigkeit, mich von meinem Verstand als Kampfmaschine weg, und zu meinem Körper hinzuwagen. Etwas pathetisch formuliert: Zu meinem Körper als Repräsentanz meiner Daseinsberechtigung. Wir haben tatsächlich die allergrößten Ängste, uns von unserer gedanklichen und sprachlichen Kampfmaschinerie zu lösen. Je mehr ich den Zugriff auf meinen Körper übe, umso besser werden meine Worte auch genau das beschreiben, was mein Körper als aktuelle Emotion vermittelt. Es geht hierbei nicht um "schlagfertige" Rhetorik und sogar nur in zweiter Linie um Inhalte. Wenn ich übe, dann bin ich aufgefordert, mir Zeit zu nehmen (siehe "FREUNDLICHER DRUCK" -Erinnerungs Karte, A+B unter „Arbeitsmaterialien“) und aktiv meine Atemwahrnehmung einzusetzen, um über die aktivierte Körperwahrnehmung die Rückmeldung zu erarbeiten, dass ich in dieser Situation und an diesem Ort sein darf. Dem ausgeprägt hilflosen Angstgefühl, über das mir mein Gegenüber die Daseinsberechtigung absprechen möchte, stelle ich mich so entgegen. Ein Verstärker zu Kultivierung von Körperselbstwahrnehmung ist die regelmäßige Praxis der zum Download bereitgestellten Meditationen. Rollenspiele sind in aller Regel nicht sehr beliebt, weil sie tatsächlich weitaus mehr Gefühle in Gang setzen, als man freiwillig und ohne Not spüren möchte. Man kann Rollenspiele innerhalb von Psychotherapie oder mit einem Coach üben. Aber das geht prinzipiell auch mit Freunden oder Familienmitgliedern. Die gleiche Angst, die mich von Rollenspielen abhält, muss ich im direkten Kontakt mit einem schwierigen Gegenüber sowieso bewältigen. Noch effektiver ist tägliches Üben in nicht so stark aufgeladenen Alltagssituationen. Wenn an dieser Stelle bei Frau Schneider durch das Gegenüber tatsächlich noch ein weiterer Übergriff folgen sollte:
"Was wollen Sie denn jetzt damit schon wieder sagen, was habe ich Ihnen denn jetzt angetan?"
- dann habe ich tatsächlich die Möglichkeit mich auch hier auf den Aspekt der reinen Selbstbeschreibung zurückzuziehen:
"Ich habe gerade ausschließlich von mir gesprochen und ich möchte das Gespräch jetzt beenden!“
Es ist interessant in der Nachbesprechung einen Blick darauf zu werfen, wie hilflos und verwirrt das gegenüberliegende Rollenspielgehirn durch diese Art von Selbstoffenbarung zurückgelassen wird. Es erlebt sich auch im übertragenen Sinne dann alleine zurückgelassen, wie das Pferd vom Pferdeflüsterer. Wir haben die Bindung zwischen zwei Säugetieren für diesen Augenblick gekappt, in eleganter Weise, ohne zu attackieren und auch ohne uns zu unterwerfen.
Es hilft, ein Tagebuch über solche Situationen zu führen und sich Klarheit über die Gefühle in zwischenmenschlichen Situationen zu verschaffen. Die Beschreibung eigener Hilflosigkeit, Wut und Angst in einem Tagebuch ist uns Menschen unangenehm, weil wir hierüber mit diesen bedrohlichen Gefühlen in Kontakt treten. Wenn ich allerdings beginne, diese Gefühle zu beschreiben, verlieren sie Macht über mich.
Frau Schneider:
„Über Jahre lang hatten die mich gequält. Mit Ignoranz und Nichtbeachtung. Mir wurden Termine und Informationen vorenthalten, schrittweise die Arbeit entzogen und man ging mir auf dem Flur immer mehr aus dem Weg. Ich verbrachte zunehmend Zeit ohne konkrete Arbeitsaufträge in meinem Einzelbüro. Zu allem Überfluss hatte man mir hier auch noch eine übergroße Zimmerpflanze an meinem Arbeitsplatz gestellt. Ich fühlte mich durch das Ding regelrecht bedroht. Über die Beschäftigung mit "Freundlichem Druck" veränderte sich mein Blick auf die Situation. Unterstützt durch regelmäßige Meditation versuche ich, die Wirkung der Vorgänge um mich herum und in mir bewusst wahrzunehmen. So kann ich in meinem eigenen Resonanzraum bewusst spüren, wie er durch die Angriffe auf meine Person ins Schwingen gerät, was auch schmerzhaft ist. Es war für mich neu und unangenehm, den Blick von den Anderen wegzunehmen, ihn immer wieder auf mich zu richten . Am Ende hatte ich jedoch das Gefühl, nach so vielen Jahren an diesem verkorksten Arbeitsplatz keine andere Wahl mehr zu haben. Ich begann meine Beobachtungen regelmäßig aufzuschreiben. Es war bitter, einen Arbeitstag, eine ganze Woche, mit meinem emotionalen Erleben in den verschiedenen Situationen zu beschreiben. Ich führte mein Protokoll und begann mehr und mehr zu entdecken, was in mir geschah und konnte dies erstmals akzeptieren, ohne sofort in Aktivitäten zu verfallen oder das Wahrgenommene zu bewerten. Im Grunde genommen hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht nur innerlich bereits gekündigt, sondern mich konkret um alternative Stellenangebote bemüht. Ich war hin- und hergerissen zwischen Angst und Sicherheitsbedürfniss, sowie dem Wunsch, wieder freier atmen zu können. Durch die Vorgabe, in dieser kritischen Phase nicht sofort etwas ändern zu müssen, sehr erleichtert. Es war eine Entlastung, mir die Zeit zu nehmen, mich intensiver mitzubekommen und meine Gefühle nur zu beschreiben. Es befreite mich, auf der anderen Seite macht es mir aber auch noch extremere Angst. Die Brocken einfach hinzuwerfen, erschien mir immer wieder doch verlockend. Ich fasste trotzdem langsam Vertrauen in die ganze Sache und begann, mir Szenarien zu überlegen, wo ich ganz konkret etwas ändern würde. Ich wollte zum Beispiel wieder regelmäßig Arbeit zugewiesen bekommen und diese übergroße Zimmerpflanze aus meinem Büro entfernt haben. Bsonders schwierig erschien es mir, der Ignoranz der Kollegen entgegen zu treten, die mich zum Teil auf dem Flur gar nicht mehr grüßten.“
Frau Schneider schilderte zunächst Szenen, in denen sie sich hilflos fühlte. Das Gute an solchen Abläufen ist, dass sie sich wiederholen und wir so in kleinen Schritten lernen können. Oft bestehen Befürchtungen, dass Vorgesetzte diese Technik kennen und durchschauen könnten. Ich selbst nutze diese "Technik" seit Jahren und meine private Umwelt hat dies mittlerweile übernommen (siehe das Kapitel "Freundlicher Druck" ist infektiös). Und immer noch spüre ich in mir die aus der Distanzierung erwachsene Kühle und den Respekt, der durch mutige Selbstoffenbarung und Abgrenzung bei meinem Gegenüber entsteht. Es handelt sich nicht einfach um eine Technik, die man natürlich kennen und durchschauen kann, sondern es ist eine Haltung, die ich mit Mut einnehme und die Respekt erzeugt, ob mein Gegenüber das nun erkennt oder nicht. Es finden sich auch häufig Zweifel, gegenüber Vorgesetzten nicht derartig bestimmt auftreten zu dürfen. Ob mir Gesetze das „Recht“ einräumen, meine persönliche Integrität zu schützen oder ob ich dies nur als mein subjektives Bedürfnis erlebe, ist nicht entscheidend. Am Ende zählt nur, was funktioniert. Und das Ganze funktioniert besonders gut, indem ich auf die Beschreibung meines eigenen Resonanzraums zurückgreife und damit in Übereinstimmung mit mir handle. Über Selbstbeschreibungen ergibt sich keine Attacke oder ein direktes Handeln, sondern die stets subjektive Beschreibung meines emotionalen Zustandes.
Die Patientin berichtet nun in der Folge, wie sie immer häufiger auf Ich-Beschreibungen zurückzugreift:
"Ich habe intensiver wahrgenommen, was mich stört. Und ich habe mitgeteilt, dass ich diese ungefragt hineingestellten Zimmerpflanzen in meinem Zimmer nicht wünsche. Auf Nachfragen der Kollegen („Was stört Dich denn daran?") habe ich gesagt, dass ich dies nicht wünsche, weil ich sie nicht haben möchte. Ich erlebe immer mehr die befreiende Wirkung subjektiver Ich-Beschreibungen, ohne mich zu rechtfertigen. Ich gelange so aus quälenden Machtkämpfen, die häufig mit sinnlosen Argumenten auf beiden Seiten geführt werden, heraus. Ich brauche mich nicht mehr zu erklären und ich brauche keine Begründungen oder Gesetzmäßigkeiten mehr zu nennen.“
Tatsächlich ist das "Magische" an dieser Vorgehensweise, dass ich Subjektivität auch theoretisch gesehen niemals begründen muss. Nur vermeintlich Objektives muss ich im Machtkampf mit Beweisen untermauern. Wenn ich von mir aus meiner subjektiven Haltung heraus argumentiere ("ich möchte, ich möchte nicht, mir gefällt, mir gefällt nicht") entfällt diese Logik des intellektuellen Machtkampfes um „Richtig oder Falsch“.
Frau Schneider weiter:
"Ich habe mich in Besprechungen zu Wort gemeldet und begonnen, Ansprüche zu verdeutlichen. Ich habe mich „offenbart“, wenn ich Wünsche in Bezug auf den Dienstplan hatte oder hinsichtlich der Arbeitsverteilung. Das waren immer wieder kleine Bewältigungserlebnisse, Szenen, die mir Mut abverlangten, die aber in der Summe immer mehr Wirkung zeigten. Ich wurde nun in der Folge von Kollegen offensichtlich klarer wahrgenommen. Ich erhielt sogar Informationen zu Terminen, denen ich sonst mühsam hätte hinterher fragen müssen. Und ich wurde sogar zu privaten Treffen eingeladen, was mir in dieser Abteilung noch nie passiert war. Im Verlauf eines Jahres fiel mir auf, dass auch andere Kolleginnen und Kollegen häufiger in kleinen Schritten für ihre Bedürfnisse eintraten, ohne sich in Machtkämpfe hineinziehen zu lassen. Das Ganze war anscheinend sogar ansteckend. Ich empfinde diese Veränderungen immer noch als verwunderlich, weil ich mir genau das ja seit Jahren gewünscht hatte. Und dabei hatte ich gar nichts "Machtvolles" unternommen. Früher habe ich sozusagen abwechselnd auf den Tisch gehauen oder mich schmollend in mein Zimmer zurückgezogen und erwartet, dass die anderen sich entschuldigen. Ich habe darüber nachgedacht, dass sie meine Isolation als etwas Unanständiges begreifen und ihr Verhalten ändern müssten. Außerdem war ich neidisch auf alle Menschen um mich herum, die mir besser, glücklicher oder dünner erschienen. Gleichzeitig habe ich sie innerlich beschimpft, weil sie alle ja wohl nach oben schleimen und nach unten treten. Ich habe zudem festgestellt, dass ich mich selbst ebenso in Selbstgesprächen beschimpfe, mich beispielsweise als zu dick und unfähig abqualifiziere. Aus diesem jetzt eingetretenen Rückzug in eine gewisse Kühle - aber im Kontakt mit den Kollegen - entwickeln sich langsam verbesserte Beziehungen und eine engere Einbindung in die Arbeit des Teams. Die Kollegen wurden freundlicher zu mir, sogar verbunden mit der Bemerkung: "Du hast dich aber verändert, du bist irgendwie freundlicher geworden!?“ Und das geschah, obwohl ich genau das Gegenteil von meinen neuen Strategien erwartet hatte. Mit Freundlichkeit hatte ich es doch über all die Jahre immer wieder versucht! Das musste eine unterwürfige Art von Freundlichkeit gewesen sein, die bei den anderen keinen Eindruck hinterlassen hatte. Für mich stand immer an erster Stelle, dass „die Anderen“ sich ändern müssten. Statt dessen bin ich vor allem freundlicher zu mir geworden und jetzt haben sich meine Kollegen in ihrem Verhalten dadurch geändert, dass ich mich verändert habe. Ich finde das immer noch verblüffend".