Читать книгу Ich möchte freundlich behandelt werden - Wilfried Kochhäuser - Страница 8
"Erzähl mal weiter!"
ОглавлениеIch werde nicht zurück gegrüßt, als Personen ignoriert und fühle mich gekränkt und herabgesetzt. Die hier beschriebene persönliche Herabsetzung ist aus meiner Sicht etwas, gegen die ich mich abgrenzen darf, um mich vor Verletzungen zu schützen und wogegen ich mich wehren kann, damit es sich nicht wiederholt. Im Laufe des Buches wird deutlich werden, wie ich durch freundliche Abgrenzung auf der anderen Seite Respekt und sogar Bemühen um die Aufrechterhaltung der Beziehung erzeuge. Die Angst, wenn wir aus unseren verhaltensbiologisch angelegten Machtkampfmustern heraustreten, ist stets hoch. Wir verabschieden uns so von unsereren ganz typischen Gewohnheiten, auf Machtkämpfe zu reagieren, was ja unsere charakterlichen Eigenheiten ausmacht, und unserem vertrauten Rollenverhalten.
Gesteuert werden solche Abläufe durch unser emotionales System, das uns seit Jahrtausenden beständig durch vermeintliche oder tatsächliche Gefahrensituationen leitet, die eine ständige Bereitschaft zum Umgang mit Bedrohung erfordern. Zur Veränderung dieser biologisch angelegten emotionalen Ablaufprogramme ist Training und emotionale Selbstbeobachtung notwendig. In zugespitzten Lebenssituationen hilft auch ein begleitendes Beobachten von außen; Außenstehende (ein Psychotherapeut oder Coach) sehen leichter den Balken in unserem Auge. Und dieser Balken bedeutet normalerweise: "Angst". Zu Beginn eines intensiven Selbstwahrnehmungstrainings ist es schwierig anzuerkennen, dass wir letztlich alle auf Machtkämpfe reagieren. Unsere gewohnheitsmäßige Reaktion auf Machtkämpfe vermittelt uns die Gewissheit, etwas für uns und zur Absicherung der Situation zu tun. Die damit verknüpften emotionalen Ablaufmuster besitzen eine hohe Verführungskraft.
Ein typisches Beispiel ist, mit dem Gedanken "der Klügere gibt nach", durch Konfliktvermeidung zu reagieren. Auch damit spiele ich den Machtkampf allerdings weiter mit, auch Unterwerfung und Rückzug heißt, den Kampf eingegangen zu sein. Was möglicherweise am Ende dazu führt, dass ich dann noch mehr attackiert werde. Eine aggressive Gegenattacke ist hingegen auch keine funktionale Lösung - und Trennung oder Kündigung oft auch nicht das, was wirklich gut funktioniert.
In dieser scheinbar nicht befriedigend lösbaren Situation findet "Freundlicher Druck" seinen Platz. Wenn ich in dem Wissen, dass die drei genannten Optionen nicht funktionieren, auf der Stelle trete, benötige ich meinen Mut zur Wahrnehmung und die Fähigkeit diese extrem unangenehme Ausgangssituation akzeptieren zu können. Das Training, freundliche und funktionierende Abgrenzungstechniken zu erlernen und kontinuierlich anzuwenden, stellt eine emotionale Herausforderung dar, weil sich mein Gehirn massiv dagegen sträubt.
Der Ausstieg. Wie kann ich in einer verfahrenen Situation lernen, meine Ohnmacht zu akzeptieren?
Denn mein uraltes Gehirn wird mir ja zuschreien ( - oder zuflüstern):
„So hast Du auf jeden Fall verloren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“
Mit den vermittelten Techniken steigen wir aus Strategien aus, die uns Sicherheit nur vorgaukeln. Wir begeben uns stattdessen auf einen neuen Pfad, der langfristig Sicherheit und Stabilität in Beziehungen erzeugt, aber kurzfristig für unser verunsichertes Gehirn immer wieder Bedrohung und Verunsicherung signalisiert. Dies bedeutet: Der eigentliche Gegner befindet sich nicht auf der anderen Seite, sondern in unserem Kopf. Und um mit dem klar zu kommen, benötigen wir unseren Körper.
Das Gartenprinzip: In meinem Körper bin ich mit mir alleine – und nicht mehr bedroht. Wie kann ich lernen, mich selbst zu beruhigen?
Sie werden die folgende Verbildlichung womöglich kennen, für mich vermittelt es ein Modell zum "Erkennen und Lesen" von sozialen Situationen. In der Abbildung finden Sie zwei aneinander grenzende Felder. Weil mir persönlich das Bild gut gefällt, werde ich im Folgenden jeweils von "Terrain" oder "Garten" sprechen. Das zu Grunde liegende Bild der aneinander grenzenden Gärten hat viele Facetten, die helfen können, Klarheit in verworrene Situationen zu bringen. Außerdem findet sich der Garten auch in vielen Mythologien und Kulturen als Bild des Privaten, Intimen oder auch Spirituellen (zum Beispiel der persische „Innere Garten“, der mit seinem Wortstamm vom Garten „Paradaidha“, eine Verbindung mit dem Wort „Paradies“ besitzt).
Wenn der Garten im Augenblick verwildert, zugewachsen oder „zugemüllt“ ist, so kann ich Techniken erlernen, dies Schritt für Schritt zu ändern. Eine wichtige Funktion besitzt auch der Zaun, der zu unserem Garten gehört. Zum Wert von Zäunen gibt es unterschiedliche Meinungen:
„good fences make good neighbours“
"Gute Zäune machen gute Nachbarn".
Dieses klassische angelsächsische Volkswissen über die gute Beziehungspflege zu den Nachbarn - mithilfe eines Zaunes - kann auch erweitert werden (nach Lorna Smith Benjamin).
„Good defences make good neighbours“.
„Gute Verteidigung macht gute Nachbarn“.
Die konkrete Auseinandersetzung mit diesem Modell wirft Fragen auf. Ob es ein solches Terrain bei uns überhaupt gibt? Möglicherweise kennen wir nicht einmal das Gefühl von einem verfügbaren Raum. Einem Raum, der auch die Möglichkeit zum Rückzug und zu einer Grenzziehung bietet. Wenn man beispielsweise seine Kinder durch die Kleinkind- und die Grundschulphase gebracht hat, dann wird bei dem einen oder anderen wenig von diesem eigenen Raum übrig sein. Dann sieht der Garten nicht nur gerupft aus, sondern wird von allen möglichen Menschen, Verpflichtungen und Gewohnheiten belegt. Oder wenn wir über einen längeren Zeitraum Angehörige pflegen. Für viele Menschen gehören solche Phasen in ihr Leben, ebenso wie die Herausforderung, den eigenen Garten wieder für sich herzustellen. Es geht somit in diesem Buch nicht nur um bösartige Grenzüberschreitungen.
Möglicherweise ist Ihnen das Gefühl vom eigenen Raum aber auch so fremd, dass Sie das gar nicht interessiert. Weil Sie sich sowieso bevorzugt in den Räumen anderer aufhalten (ob nun feindselig, schutzsuchend oder fürsorglich). Vielleicht ist es sogar eher „das Normale" für einige von uns. Ich möchte allerdings neugierig auf die Frage machen, ob das wirklich anhaltend "gut" funktioniert.
Oder Sie haben eine gewisse Ahnung von „Ihrem“ Raum, aber erleben sich nur noch in einer winzigen Ecke des eigenen Gartens. Bedrängt und eingeengt und mit nur noch wenig Luft zum Atmen. Immerhin besteht dann aber an sofort die Möglichkeit, sich aus dieser "Eckenperspektive" zunächst einen Blick auf die wieder zu erlangende Bewegungsfreiheit zu verschaffen.
Vielen Menschen ist es möglich, das Bild vom eigenen Körper als Raum für die eigene Persönlichkeit zu nutzen. Dieser Raum bleibt lebenslang gleich groß - aber in welchem Umfang er durch uns oder durch andere belegt ist, wird im Verlauf schwanken.
Das Bild bietet außerdem eine Anschaulichkeit für Dinge, die sich auf unserem Terrain befinden. Das kann zum Beispiel der Seelen-Müll sein, den Andere uns regelmäßig über den Zaun werfen. Es kann sich aber auch um unerwünscht anwesende Personen handeln, die sich zum Teil gewohnheitsmäßig bei uns aufhalten, eingenistet haben. Das mag sogar unser geliebtes Enkelkind sein, über dessen Anwesenheit in unserem Terrain allerdings gar nicht mehr verhandelt wird. Weil wir gewohnheitsmäßig Betreuungsverpflichtungen übernehmen müssen, die uns im Ausmaß zu viel geworden sind. Das kann der alkoholkranke Partner sein, der fast wie ein Mobiliar in unserm Terrain/Garten seinen Platz einnimmt, und der andernorts überhaupt nicht mehr alleine existieren könnte. Dann ist der Garten ein Abbild für eine permanente Fürsorgeverpflichtung geworden.
Es können aber auch die Marotten der Bürokollegen sein, die wir über Jahre erduldet haben und die faktisch in unser Terrain integriert sind. Menschen, die laut am Arbeitsplatz Privattelefonate führen, während wir mit unserer Teilzeitstelle bis zum Mittag versuchen, konzentriert unsere Arbeit zum Abschluss zu bringen.
Ob jemand am Arbeitsplatz Kochrezepte austauscht oder das Fenster immer genau so geöffnet und geschlossen ist, wie das seit Jahren üblich war - unser eigenes Terrain ist mitbetroffen. Häufig bestehen „Zustände“ in unserem Terrain, ohne dass wir darüber noch mitverhandeln könnten und wir uns schließlich damit abgefunden und resigniert haben.
Die „Anderen“ in uns. Wie kann ich lernen, mich mit Hilfe meines Körpers vor den Anderen zu beschützen?
Manchmal sind gewohnheitsmäßig angesammelte innere Überzeugungen allerdings noch einschränkender, als die oben genannten Beispiele äußerer Eindringlinge. Das eigene schlechte Gewissen, festgefahrene Bewertungen hinsichtlich konkreter Personen, einschließlich unserer selbst. Vielleicht hat mal jemand mit einer alten Schuld ein Faustpfand in unser Terrain gelegt und wir erleben uns nun gewohnheitsmäßig machtlos, unsere eigenen Bedürfnisse zu verdeutlichen oder überhaupt noch wahrzunehmen.
Bisweilen befeuert schon die Idee, überhaupt ein eigenes Terrain zu haben, eine notwendige Sehnsucht. Die Sehnsucht, sich das eigene Terrain wieder, oder auch erstmalig zu erschließen, um dort von jetzt schrittweise für sich zu sorgen. Dabei entstehen leicht auch ein Unwohlsein und die Vorstellung, dies könnte "egoistisch" sein. Oft bekommen wir genau das von unserem Gegenüber mitgeteilt ("Du bist so egoistisch geworden“). Was widerum mit einem Erleben verknüpft sein wird, sich alleine und isoliert zu fühlen. Diese gedanklichen und sprachlichen Einwände und Bewertungen über uns selbst und andere entsprechen genau den Warnungen, die unsere Hirnbiologie bei den ersten Schritten auf uns zu abfeuert:
„Verscherze es Dir nicht mit den Anderen. Verliere nicht den Kontakt zur Gruppe. Fordere niemanden heraus, der machtvoller ist, als Du. Es gibt nur Unterwerfung oder die Zuversicht, einen Kampf erfolgreich bestreiten zu können...!“ Oder Du gehst da draußen alleine zu Grunde...“.
Alternative, neue Strategien haben in unserem Säugetiergehirn keinen hirnbiologisch vorgegebenen Platz, sie sind künstlich und fühlen sich auch so an:
Sich (und wenn auch nur zeitweise) zurückzuziehen
Auf den empfundenen Handlungsdruck nicht sofort zu reagieren
Die eigene Bedürfnislage mit ausreichend Zeit auszuloten und erst dann
Diese nach außen zu vertreten (= Selbstoffenbarung)
Die Effekte, die wir über die Kontaktaufnahme mit unserem Körper herstellen können, will ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen.
Vor einigen Jahren habe ich bei der Abreise aus einer Pension beim Zurücksetzen auf dem Parkplatz einen Blechschaden verursacht. Ich hatte bei der Rückwärtsfahrt aus einer schmalen Lücke ein direkt hinter mir stehendes Fahrzeug einfach vollkommen übersehen, so beschäftigt war ich mit der Beobachtung der auf dem Parkplatz hin und her laufenden Personen.
Von außen betrachtet handelte es sich um ein ausgesprochen peinliches Ereignis, die vielen Umherstehenden schauten mich mit offenen Mündern an, als ich nach dem Krach aus dem Auto ausstieg. Es war sozusagen ein Parkplatzrempler mit Ansage, die außer mir alle Umherstehenden mitbekommen hatten. Das eigentliche Unfallereignis ließ sich rasch regeln, die geschädigte Angestellte der Pension reagierte sehr gelassen, das Ganze wurde unproblematisch über die Versicherung abgewickelt und verblieb letztlich als überschaubares finanzielles Ärgernis. Das für mich Bedeutungsvolle an diesem Erlebnis waren jedoch die Folgen, die sich in meinem Körper über mehrere Tage hinweg abspielten. Ich musste immer wieder an dieses Ereignis denken, ich schlief schlechter und war immer wieder bei allen möglichen Tätigkeiten durch die bildhaften Erinnerungen an diesen kleinen Unfall abgelenkt. Zu guter Letzt konnte ich mich an das erinnern, was ich meinen Patienten in einer solchen Situation geraten hätte - obwohl das Ereignis doch augenscheinlich trivial war. Auf den ersten Blick so banal, dass ich mich selbst wie die meisten Menschen deswegen natürlich nicht um Rat befragte, sondern die Abläufe still in mir erduldete, bis sich die Aufregung erfahrungsgemäß dann irgendwann von selbst verloren hätte.
Aber ich fragte mich doch noch um Rat und ging den entscheidenden ersten Schritt:
Ich konfrontierte mich vor meinem inneren Auge mit der noch diffusen und undurchschaubaren Erinnerung an den Ablauf dieses Unfalls. Ich versuchte mich intensiv und bildhaft daran zu erinnern, wie ich in die Außenspiegel schaute, konzentriert auf die Menschen im Umfeld des Parkplatzes achtete und wie es dann plötzlich krachte.
Zeitgleich setzte ich meine Körperselbstwahrnehmung ein, so wie dies in der Behandlung eingesetzt wird. Ich versuchte mich so immer wieder in den Kontakt zu meinem Gewicht auf dem Stuhl zu bringen und dabei intensiv meiner Atmung im Bauchraum nachzuspüren. Ich wiederholte diese Übung noch ein paar Mal im Laufe des Tages, jeweils mehrfach hintereinander und nach drei Durchläufen war dieser Aufreger dann vollständig verblasst. Hierzu kann die Meditation "Erforschung des Atemraumes" (siehe Anhang) genutzt werden.
Ich dachte nun nicht mehr überfallsartig daran, die Erinnerung löste keine Unruhe und schon gar keine unwillkürlichen gedanklichen Abläufe mehr aus ("Warum habe ich nicht ordentlich in den Innenspiegel geschaut.... Weshalb war ich so in Eile? ....Warum habe ich mich nicht einweisen lassen?"). Ich habe also diesen Vorgang, der in sich nicht tatsächlich bedrohlich geendet hatte (denn natürlich kam auch der Gedanke: „Was wäre, wenn ein Mensch hinter mir gestanden hätte?“) abhaken können.
Was mich dann im Anschluss besonders faszinierte, war das geradezu schmerzhaftes Empfinden im Bauchraum, immer wenn ich vor und während dieser Übung an das Ereignis gedacht hatte. Der Bedrohungscharakter einer öffentlich beschämenden Handlung ist für uns gleichzusetzen mit einer körperlichen Verletzung („pein“lich, also schmerzhaft). Und er beschäftigt uns in seiner Bedrohlichkeit mit "dysfunktionalen" (hier typischerweise zwanghaften gedanklichen) Lösungsversuchen. Erst das Zusammenführen dieser "bedrohlichen" Erinnerung mit einer intensiven Körperselbstwahrnehmung, dem Kontakt mit „meinem Garten“, hat für mich das Bedrohliche an dem Vorgang schrittweise vollständig verschwinden lassen. Wenn ich mich in einer wie auch immer ausgelösten bedrohlichen Situation wiederfinde, kann mir die Kontaktaufnahme mit meinem Körper, über entsprechende Rückmeldeschleifen unseres Wahrnehmungsapparates, einen Erfahrungswert liefern, nämlich dass ich und mein Körper, das heißt meine körperliche Unversehrtheit nach wie vor intakt sind. Diese kleine Erfahrung und die dazugehörige Übung lassen sich grundsätzlich auf überschießende und nutzlose Aktivierungen von schmerzhafter Bedrohungsangst übertragen. Und diese entstehen vorrangig im Kontakt mit anderen Menschen. Denn der entscheidende Auslöser für diese körperliche Bedrohungsreaktionen war der Umstand, dass mir viele Menschen bei dieser peinlichen Aktion zugeschaut hatten. Ich hatte mich so in eine für mein Gehirn verletzliche, angreifbare Position gebracht, die anderen potenziell die Möglichkeit zu Dominanz über mich hätte geben können (also die Gefahr, mich öffentlich noch mehr bloßzustellen, als ich es so schon getan hatte).
Mit ziemlicher Sicherheit haben einige der Anwesenden dies sogar untereinander so gehalten, denn Schadenfreude ist immer noch die schönste Freude. Über Lästern und das Teilen von Schadenfreude erhebe ich mich kollektiv über andere, eine Spielart von Dominanz eben. Insofern folgen die Abläufe in meinem Körper einer außer Frage stehenden Logik. Eine kollektive Dominanz ist gefährlich. Aber nur mein Gehirn kann bei diesen hypothetischen Gedankenspielen auch noch Tage später und in weiter Entfernung von diesem Ort weiterhin zugegen sein, mein Körper hingegen ist in den Tagen darauf mit mir im Hier und Jetzt, also schon längst abseits der angstmachenden Situation. Und somit kann mir mein Körper, wenn ich mich ihm zuwende, auch die Rückmeldung vermitteln, dass mir hier und jetzt gerade überhaupt nichts geschieht.