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1.2 Der »Verschwörungsbaukasten«

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Doch wie genau funktioniert eine Verschwörungserzählung? Was sind ihre Bestandteile? Steht dahinter ein Konzept? Die Antwort: Ja. Die Autor:innen Raab et al. (2017) bezeichnen dieses Konzept als »Verschwörungsbaukasten«, mit dem sich Verschwörungserzählungen dekonstruieren lassen, denn: »Eine Verschwörungstheorie besteht aus psychologisch wirksamen narrativen Bausteinen. Wenn wir uns die Einzelteile vor Augen führen, verstehen wir besser, warum Menschen immer wieder auch eher wackeligen Konstruktionen Glauben schenken« (Raab et al., 2017, S. 213).

Nur wenn die einzelnen Bausteine identifiziert werden können, ist auch die Überprüfbarkeit und Argumentation mit Fakten im Rahmen der Prävention und der Umgang mit Verschwörungsgläubigen möglich – sofern diese dafür (noch) zugänglich sind.


Abb. 3: Bestandteile einer Verschwörungserzählung (eigene Darstellung angelehnt an Raab et al., 2017)

Es braucht zunächst ein merkwürdiges Ereignis (Baustein 1). Merkwürdig deshalb, weil es zunächst eine Erklärungslücke im Hinblick auf dieses Ereignis oder Geschehen zu geben scheint. Dies hängt maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Informationen, der Art der medialen Berichterstattung über das Ereignis und den persönlichen Kenntnissen, Erfahrungen und dem Grad der persönlichen Betroffenheit ab, ob eine Begebenheit und als wie merkwürdig sie wahrgenommen wird. Oft stehen nur einzelne, mitunter widersprüchliche Informationsversatzstücke zur Verfügung, deren Einordnung unterschiedlich sein kann und deren Leerstellen individuell gefüllt werden.

Baustein 2 ergibt sich aus einer Informationsflut zu dem als merkwürdig wahrgenommenen Ereignis, wobei der Fantasie im Hinblick auf die Entwicklung einer Verschwörungserzählung keine Grenzen gesetzt sind. Oft werden dabei die offiziellen Fakten mit angeblichen Unterstellungen von Wissen und geheimen Machenschaften der offiziellen Stellen (Behörden, Regierungen, Geheimdienste u. a.) gegenübergestellt und somit Zweifel an der Wahrheit der Aussagen gesät. Aus dieser Informationsflut setzt dann automatisch das Bedürfnis ein, diese ordnen zu wollen, um eine plausible Erklärung für das merkwürdige Ereignis zu generieren – ein an sich zunächst überlebenswichtiger und notwendiger Prozess. Aufgrund der individuellen und damit beliebigen Bewertung und Kontextualisierung der Fakten ergibt sich aber auch die große Gefahr der Manipulation. Die Unübersichtlichkeit der Informationen regt verschiedenste Gruppen – vor allem Rechtsextreme – mitunter zur Durchsetzung ihrer Einzelinteressen an, indem sie die Informationsflut um weitere propagandistische Fehlinformationen ergänzen, um die Verunsicherung zu verstärken bzw. im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie für ihre Zwecke zu nutzen.

Jede Verschwörungserzählung weist meist mehrere, sich mitunter auch aus anderen hinzugezogenen Narrativen bedienende Elemente auf (Baustein 3). Teil dieser Narrative für die Begründung der Verschwörung sind angebliche Beweise (Bilder, Zitate, Augenzeugenberichte etc.), die idealerweise auch öffentlich zugänglich sind und somit die (Schein-)Seriosität einer Quelle für sich beanspruchen. Hinzukommen Hinweise der Verschwörungsgläubigen auf die angebliche Intransparenz im Hinblick auf das Handeln öffentlicher Institutionen, Organisationen und Nachrichtendienste, denen selbst das Attribut der heimlichen Verschworenen zugeteilt wird – mit der Kontrastfunktion zur eigenen Verschwörungserzählung. Als Ergänzung wird wiederum die allumspannende Komponente des Mythos hinzugezogen, bei dem meist auf Geheimbünde/-gesellschaften/-organisationen verwiesen wird – häufig mit antisemitischen und rechtsextremen Bezügen.

Wesentliches Element von Verschwörungserzählungen ist Baustein 4, der Wertebezug. Da es nachgewiesenermaßen keine sogenannte Verschwörungspersönlichkeit gibt ( Kap. 3), sondern grundsätzlich jeder Mensch für den Glauben an Verschwörungserzählungen anfällig ist, kommt es vor allem darauf an, inwiefern sich eine Person in ihren Werten bedroht sieht, insbesondere dann, wenn die am merkwürdigen Ereignis beteiligten Gruppen und Akteure entgegen den eigenen Wertvorstellungen handeln. Wichtig ist hierbei in der Analyse deren Werte zu benennen und den eigenen Wertvorstellungen gegenüberzustellen. Dadurch lässt sich beurteilen, wie tiefgreifend die Erschütterung des eigenen Weltbildes ist, denn: »Eine Verschwörungstheorie wird umso erfolgreicher sein, je mehr Menschen sie es erlaubt, die eigenen Werte und Überzeugungen als bedroht anzusehen« (Raab et al., 2017, S. 220).

Kausalität und Absicht (Baustein 5) beschreiben die näheren Umstände, durch die das merkwürdige Ereignis eingetreten ist. In Studien wurde nachgewiesen, dass Menschen eher zum Glauben an eine Verschwörungserzählung tendieren, wenn die Akteure und Gruppen angeblich aus direktem Vorsatz handeln oder gehandelt haben. Ist das Verhalten hingegen eher fahrlässig bzw. wird absichtlich kein Ziel verfolgt, gibt es auch keine konkrete Kausalität und somit eine geringere Tendenz, aus den Ereignissen Verschwörungserzählungen zu entwickeln: »Steht der Vorwurf des Vorsatzes im Raum, dann sind die Leute signifikant dazu geneigt, […] eine Verschwörungsabsicht zu unterstellen, während die Verschwörungsskeptikerinnen und -skeptiker diese Ansicht nun umso stärker ablehnen. Wenn der Vorwurf der fahrlässigen Handlung im Raum steht, passiert hingegen nichts« (Raab et al., 2017, S. 223). Es kommt bei der Manipulation also maßgeblich auf die bewusste Selbstreflexion und den Wertebezug an. Mit Wertebezug ist das generelle Misstrauen, das Unterstellen von »bösen Absichten« gemeint.

Widersprüche (Baustein 6) ergeben sich aus allen anderen Bausteinen und machen Verschwörungserzählungen zu dem, was sie letztlich sind: Geschichten. Widersprüche fungieren im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie als konstituierende Elemente, die die Erzählung spannend machen und intellektuell herausfordern. Grundsätzlich sollten diese offenen Fragen und Plattitüden mittels Fakten falsifizierbar sein (Raab et al., 2017).

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