Читать книгу Wetterleuchten über dem Schwarzwald - Wilhelm Ernst Asbeck - Страница 10
6.
ОглавлениеAm anderen Morgen, zu vorgerückter Stunde, tritt Wendel ins Wohnzimmer. Er reckt sich, gähnt und will sich in seinen Lehnstuhl werfen. Da sieht er eine Gestalt am Fenster stehen.
Bei Gott, das ist ja der Andres! Der Schreck schiesst ihm in die Kniekehlen. So plötzlich hatte er ihn nun doch nicht erwartet! Hoffentlich ist der Bursche nicht schon gestern abend gekommen! Aber nein, da würde ihm die Annili doch einen Wink gegeben haben. Also muss er heute früh eingetroffen sein. Jetzt heisst es Ruhe und Haltung bewahren!
„Nein, diese Überraschung! Grüss Gott! Hab schon immer zu unserer Annili gesagt: wo nur der liebe Andres bleibt?“
„Grüss Gott, Vetter Wendel!“
„Ist heut’ ein wenig spät geworden. Hatt’ gestern bis in die tiefe Nacht zu tun.“
„Ich weiss, erst im „Engel“, dann im „Leuen“.
„Gar nichts weisst du! Wärest du gestern abend gekommen, hättest du dich selbst von der Wahrheit meiner Worte überzeugen können“, sagt der Wendel mit frecher Stirn, denn er ist ja überzeugt, dass der Neffe die Nacht beim Leo zugebracht hat.
Kühl lautet die Antwort: „Ich habe mich überzeugt, ehrwürdiger Vetter!“
„Wie, du bist schon seit gestern abend hier?“
„Ja, und habe ganz vorzüglich in eurem Hause geschlafen.“
„Das freut mich, Andres, das freut mich!“ beeilt sich der Alte zu sagen.
„Freilich, auch ich habe mich gefreut, wie sauber und ordentlich Annili alles instand gehalten hat!“
„Ja, die Annili! Ein Prachtmaidli ist sie! Hat sie dich gut bewirtet?“
„Ich hatte schon bei Leo zu Abend gegessen, als ich hier ankam.“
Der Meister spürt Wind in den Segeln. „Schade, du musst zur Tür hineingetreten sein, als ich gerade hinausgegangen war. Warum hast du mich nicht holen lassen? O, es wäre Annilis Pflicht und Schuldigkeit gewesen, mich zu rufen!“
„Sie wollte es, aber ich sagte ihr: der Vetter soll nicht um seinen Abschiedsschoppen kommen.“
„Abschiedsschoppen? Wie meinst du das?“
„Ich meine, dass wir erst einmal Geld anschaffen müssen, um eure Schulden zu zahlen!“
Geld anschaffen! Das klingt dem Onkel wie Musik in den Ohren. Der Andres will helfen! Also heisst es, gute Miene zu machen.
„Nun kommt ja der Sommer, da wird es wieder Arbeit und Verdienst geben.“
„An mir soll’s nicht liegen. Werde mich rechtschaffen mühen, Arbeit und Verdienst herbeizuschaffen. Möchte aber vorher wissen, wie es um euch bestellt ist. Lasst eure Bücher sehen.“
„Hat wohl Zeit, bis ich gefrühstückt habe. — Annili!“
Die Gerufene eilt herbei.
„Schnell das Morgenessen für Andres und mich!“
Das Mädchen lacht hellauf. „Das hat der Andres mit mir schon vor vier Stunden verzehrt!“
„Na, Vetter, wie ist es mit dem Buch?“
Am liebsten hätte der Meister den Grünschnabel zur Tür hinausgeworfen, doch sagt er: „Gib nur Ruh’, bis ich gegessen habe.“
„Ihr habt also nichts mehr angeschrieben, seitdem ich fort bin?“
„Wozu, Andres? Bei meinem Gedächtnis! Zudem werd’ ich dir nachher etwas erzählen, was mehr wert ist als die paar Schulden. Jawohl, ich bin in dieser Stunde schon ein reicher Mann, und wenn ich sterb’, sollst du mein Erbe sein. Nun lass mich eine Weile zufrieden.“
Andres lässt den Alten beim Schmausen gewähren und blickt zum Fenster hinaus, auf den Rosenstock.
Dann folgt eine lange, erregte Sitzung. Andres muss tief in den Beutel langen. Er löst die Hypothekenschulden ein, lässt sich aber dafür das Haus mit allem Mobiliar als Sicherheit übereignen. Der Wendel ist nur noch dem Namen nach Herr in seinen vier Wänden.
Der Neffe höhnt: „Weiss Gott, Ihr seid ein reicher Mann, und es ist ein feines Erbe, das Ihr mir hinterlassen werdet.“
Der Alte lässt sich jedoch nicht mehr aus der Ruhe bringen. Gemächlich lehnt er sich im Lehnstuhl zurück, zündet eine Pfeife an und spricht wie einer, der seines Sieges sicher ist.
„Nun hörst du einmal zu, was ich dir zu sagen habe! Elf Jahre sind es her, da lag auf der Steinhalde beim Berghof ein Bub und erzählte im Schlaf allerlei krauses Zeug. Du kennst ihn, Andres, gelt?“
„Was soll’s?“ Unwillig klingt die Frage.
„Hast vom Berggeist und allerlei Leuten geredet. Du, nicht alle Träume sind Schäume!“
„Ach geht!“ sagt Andres, aber lang vergessene Hoffnungen werden wach.
„Ich weiss, du meinst, ich habe all die Zeit nichts getan. Bist schief gewickelt! Habe über manches nachgedacht, und das bringt mehr ein, als wenn ich alte Ställe ausbessere oder wacklige Hauswände flicke! Nach Donaueschingen bin ich gegangen!“
„So weit? Nun, da wird der Adlerwirt sich gefreut haben!“
Der Wendel lässt die Faust auf den Tisch sausen. „Schweig: Bist ein Strohkopf trotz deiner achtundzwanzig Jahr!“
Hm, vielleicht lohnt es sich, ihn anzuhören. Andres beruhigt ihn: „Erzählt schon.“
„Habe mich bei den hohen Herren von der Fürstlichen Verwaltung umgehört und in alten Büchern und Schriften nachgelesen. Stimmt schon mit dem Berggeist und allem Drum und Dran. Will ja im Volksmund das Gerede nicht verstummen, dass da oben früher ein Bergwerk gewesen sei. Hat alles seine Richtigkeit! Silber wurde dort gegraben. Kriege, Bauernunruhen traten ein. Lange lag die Grube still. Gut eineinhalb Jahrhundert sind vergangen, als der letzte Versuch gemacht wurde, die Schätze zu heben. Kaum begonnen, brachen die Schweden und Kaiserlichen ins Land. Als nach drei Jahrzehnten endlich die Friedensglocken läuteten, gab’s weit und breit fast nur Brandstätten und Trümmerhaufen. Wer dachte da noch an Silber, das unter der Erde ruhte? Die Wenigen, die darum wussten, hatten vollauf mit ihren Sorgen um das Land zu tun. Daher ist allmählich die Mine in Vergessenheit geraten und der Eingang zum Stollen verfallen.“
„Aber die vom Berghof?“
„Die Bauern haben immer mit scheelen Augen auf die Bergknappen gesehen. Um Wald- und Flurschäden hat es viel Hader und Zank gegeben. Sie, die Helle und Licht Gewohnten, liebten die „Unterirdischen“ — wie sie sie nannten — nicht. Auf dem Berghof ist man froh gewesen, als der ganze Spuk vorüber war. Man hütete sich, das Gedenken daran aufzufrischen. Fragte hin und wieder jemand, ob etwas Wahres an dem Gerücht sei, wurde es als leeres Geschwätz hingestellt.“
Nach einem kurzen Schweigen meint der Andres: „Alles gut und schön, aber was hilft es uns? Der Berg gehört Vater.“
„Glaubst du, ich wär ein so ausgemachter Narr, dir das alles zu erzählen, nur um dir den Mund wässrig zu machen? Da, sieh!“
Stolz zieht der Wendel ein Schriftstück aus der Tasche. Der Neffe liest:
„Schenkungsurkunde!“
Ich, Xaver Dorer, Besitzer des Berghofes, übereigne hiermit meinem Bruder, dem Maurermeister Wendel Dorer in Vöhrenbach, und nach seinem Ableben meinem Sohn Andres Dorer, daselbst, den Steinbruch unterhalb des Berggipfels.
Berghof, unweit Furtwangen, den 1. Mai 1788.
Xaver Dorer.
„Genügt’s?“ fragt Wendel, und ein hässliches Lachen spielt um seinen Mund.
„Wie habt Ihr das Kunststück angefangen?“
„Habe dem Xaver gesagt, es werde demnächst wohl allerlei zu bauen geben, da könnte ich die für ihn wertlosen Steine gut gebrauchen, er möge mir doch den Bruch überlassen. Er wollte erst nicht recht, aber ich meinte, mein Geschäft erbt einmal der Andres, und wer kann wissen, wie sich dann der Adam dazu stellt. Das gab den Ausschlag.“
Nun wendet sich der Wendel wieder an sein Gegenüber: „Ja, schwarz auf weiss muss man es sich geben lassen, damit es niemandem einfallen kann, die Schenkung anzufechten. Vielleicht denkst du jetzt etwas besser vom alten Wendel! Du siehst, ich sorge auch für dich!“
Der Andres gibt eine Antwort, die der Alte nie erwartet hätte: „Will mir die Sache durch den Kopf gehen lassen.“
Kein Wort des Lobes oder des Dankes! Entrüstet ruft der Meister: „Bist du toll? Was gibt es da noch zu bedenken? Morgen beginnen wir zu graben und, will’s Gott, schlagen wir in einer Woch’ das erste Silbergestein! Und wenn du nicht willst, so tu ich’s allein, aber keinen roten Kreuzer sollst du dann bekommen!“
„Glückauf!“ erwidert Andres voller Hohn. Er kennt den Onkel viel zu gut. Nicht aus Liebe zu ihm hat er seiner gedacht, er war nur der Köder, auf den der Vater anbeissen sollte. Und jetzt kann er die schwere Arbeit tun, der Wendel ist viel zu träg. Er wird es ihm schon zeigen, ob er sich ins Joch spannen lässt! Er hat es mit dem Graben nicht eilig. Erst sind notwendigere Dinge zu erledigen. Aber auch ihn hat die Nachricht bis ins Innerste gepackt. Vielleicht liegt hier der Schlüssel zu Macht und Reichtum.
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