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„Die Agilität einer Sportster ist natürlich ganz anders als die der großen Altherren-Harley“, sagte Zoltán zu Andreas. „Vergleiche nur einmal die Leichtigkeit dieser XL 1200 Sport mit der Behäbigkeit der Road King. Mann, Andreas, die ist was fürs Rentenalter! Was Du brauchst ist Vitalität, Dynamik. Ich meine“, und ein leicht hintergründiges Lächeln wurde beim Verkäufer sichtbar, „bezogen auf die Harley.“ Zoltán, ein Mann um die fünfundvierzig, war auf der Balkanhalbinsel geboren. Seine braune Hautfarbe und sein pechschwarzes, kurz geschnittenes Haar belegten dies. Obendrein hatte er sich einen struppigen Vollbart wachsen lassen, um seine Männlichkeit unübersehbar kenntlich zu machen. So, wie es für viele Bewohner des Balkans unerlässlich wichtig erscheint, diese ihnen von Gott gegebene Männlichkeit immer und überall zu betonen. Zoltán war ein Magyar aus Überzeugung. Andreas, der etwa gleich alt war, hatte sein brünettes Haar frei wachsen lassen. Nicht, dass er dadurch einen ungepflegten Eindruck hinterließ, nein, sein Haar war gepflegt in leicht gewellter Art über seine Schultern drapiert. Sein glattrasiertes Gesicht war der Sportster zugewandt. Aufmerksam betrachtete er jedes Detail der ihm angepriesenen Harley Davidson XL 1200 Sport Custom. Verlockend stand die Maschine vor Andreas. Ganz in Weiß, kombiniert mit viel verchromten Teilen, schien sie ihn betören zu wollen. Und nachdem Andreas sich über die Vorzügen der Harley genauestens informieren lassen hatte, begann ein großes Verlangen in ihm, sie besitzen zu müssen. Wie die Frauen, wenn sie ihm gefielen. Andreas fühlte, dass eine Art erotischer Spannung zwischen ihm und dem Motorrad seinen Körper zu befallen drohte. „Ich muss sie haben, allemol“, sagte er mehr zu sich als zu Zoltán. Hastig schwang er sich zur ersten Sitzprobe auf die Maschine. Der Sitz war als maßgeschneiderter Sattel auf dem tiefsten Punkt der Motorradkarosse montiert. Akribisch überprüfte Andreas die Anbringung jedes einzelnen Funktionshebels. Strich verliebt über den Buckel des hochglänzend lackierten Tanks und erahnte die „good vibrations“ der Harley Davidson. Er fand die Maschine einfach super, nur, sie war eben nicht dieser Klotz eines Motorrades, den man mit dem Namen Harley verbindet. Er zweifelte, ob dieses Modell ihm zu der ihm zustehenden Achtung verhelfen würde. Nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, sondern hauptsächlich in seinem hier ansässigen Chapter der Hells Angels, wo man ihn letzte Woche unerwartet vom Road Captain zum Presidenten gewählt hatte. „Meinst Du denn, Zoltán, dass ich dem Chapter mit der Sportster imponiere?“ fragte Andreas. Zoltán schaute zu ihm hin. Leicht beleidigt zupfte er an seinen blauen Arbeitskittel, der ihn als den verantwortlichen Ansprechpartner in seiner Bikerbasar ausweisen sollte. Sein Blick wanderte von oben nach unten an Andreas Körper entlang. Und, wie Andreas zu spüren meinte, wandelte sich Zoltáns leichte Gekränktheit in eine leichte Belustigung. Andreas war irritiert. Dieses Verhalten seines Gegenübers mochte er grundsätzlich nicht. Bewusst schaute er Zoltán gereizt an. „Bandy, Du weißt, dass ich Dich immer gut beraten habe“, beeilte sich Zoltán zu sagen. „Glaub mir, die Sportster passt zu Dir. Die ist genau richtig.“ Und um die Situation gänzlich zu entschärfen, hatte Zoltán ganz bewusst Andreas mit dessen Kosenamen angesprochen. So, wie man ihn in der dortigen Landessprache kannte. Andreas hatte Zoltán während seiner ‚Gastarbeiterzeit’, die er in der Nationalmannschaft dieses Balkanstaats verbrachte, kennengelernt. Es bestand von Beginn an eine Art Seelenverwandtschaft zwischen den beiden, aus der sich im Lauf der Jahre eine verlässliche Freundschaft entwickelte. Jeder achtete die Leistungen des anderen, die zwar auf vollkommen unterschiedlichen Gebieten lagen, aber doch vergleichbar erschienen. Sie hatten viel Zeit miteinander verbracht und Andy, wie Andreas in Deutschland von seinen engsten Freunden genannt wurde, wusste also das Verhalten von Zoltán richtig einzuschätzen. Für ihn war es immer wieder spannend, wer als erster bei Meinungsverschiedenheiten einknicken würde. Es ging nie um Meinungsverschiedenheiten, die ein ernsthaftes Problem zwischen ihnen zum Anlass gehabt hätten. Nein, es waren Nebensächlichkeiten, die dann aber in einem verbalen Kräftemessen in manchmal lang anhaltenden Wortgefechten ausdiskutiert wurden. Und derjenige, der sich im Vorteil wähnte, begann dann, als Zeichen der Überlegenheit, nur noch in seiner Muttersprache zu diskutieren. So auch jetzt. Zoltán hatte sich zu Beginn dieses linguistischen Duellierens durchgesetzt. Doch nach einer Weile heftiger Diskussion sollte sich Bandys, alias Andreas, Wettkampferfahrung bemerkbar machen. Er und seine Muttersprache hatten endlich gesiegt. Mit einer gewissen Genugtuung über diesen Sieg kaufte Andreas, sich wie früher auf dem Treppchen fühlend, die Sportster. Allerdings nicht ohne einen entsprechenden Nachlass ausgehandelt zu haben. Es hatte gewirkt, dass er die begehrten Euroscheine umständlich vor Zoltáns Augen aus der Brusttasche seiner Lederjacke gezogen hatte. Dabei legte er sorgfältig Schein auf Schein, bis er die Summe erreicht hatte, die er gewillt war zu zahlen. Erschrocken hatte Zoltán gesagt: „Das Geld reicht aber bei aller Freundschaft nicht aus. Ich werde etwas nachlassen können, aber höchstens fünfhundert Euro. “Man näherte sich einem Preis, der beiden gerecht wurde. Sie hatten ihr Ziel erreicht hatten. Der Handel war perfekt. Die Harley Davidson wurde auf einem Spezialanhänger von Budapest in die knapp siebenhundert Kilometer entfernte Heimatstadt von Andreas befördert. Nachdem alle Formalitäten der Zulassung des neuen Motorrades für den deutschen Straßenverkehr erledigt waren, nutzte Andreas den beginnenden Frühling, seine Sportster auf deutschen Straßen zu testen. Als President eines Chapters musste Andreas selbstverständlich das entsprechende Outfit tragen. Der Helm, die spartanische Ausführung eines L.A. Policehelmes in der klassischen Variante, bedeckte die üppige Haarpracht nicht vollständig. Der Rest flatterte, sich frei entfaltend, hinterher ihm her. Über einem hellgrauen, langärmeligen Sweatshirt trug Andreas eine schwarze H.A. Lederweste aus robustem Rindleder, die an beiden Seiten geschnürt war. Auf dem Rücken hatte sie das typische Backpatch der Hells Angels, der beflügelte Totenkopf und darüber und darunter die Schriftzüge ‚Hells’ und ‚Angels’ in markiger Originalschrift. Die nicht zu enge Röhrenhose, die den muskelbepackten Oberschenkeln noch genügend Freiraum gab, war ebenfalls aus schwarzem Rindleder und seitlich an den Außennähten mit Riemchen verziert. Die schlichten Fashion Westernstiefeletten fügten sich mit ihrem matten Schwarz fast unauffällig in die optische Einheit. Allein durch die besondere Akustik, die die halbhohen Absätze beim Gehen erzeugten, wurden die Blicke der Leute automatisch auf die Stiefelletten gelenkt. Und natürlich auch auf den Besitzer. Alles passte zu Andreas. Man hätte sich auch ein anderes Erscheinungsbild bei ihm nicht vorstellen können. Andreas war ein Rebell. Er war schon immer ein Rebell gewesen. Er war einfach anders. Er erinnerte in vielen Dingen an die bekannten Aufmüpfigen der Geschichte, wie Spartacus, Andreas Hofer, Che Guevara, oder TankMan, der in China den Panzern der Militärmacht entgegentrat. Andreas ging es allerdings nicht nur um das Wohl einer unterdrückten Minderheit. Seine Triebfedern waren die tief in ihm verankerte Gekränktheit, nicht mehr der Champion vergangener Jahre zu sein, und das Bewusstsein, von allen verlassen und von den meisten beschissen worden zu sein. Andreas war vom erfolgsverwöhnten Star der Massen zu einem zurückgezogenen Eigenbrödler gezwungen worden. Die etablierte Bevölkerung wollte ihm keinen angemessenen Platz mehr bieten. Viele Menschen sind schematisierungsfähig. Andreas passte einfach nicht in irgendein Schema hinein. Er hatte sich einst vorgenommen, das Ziel, das er sich gesteckt hatte, zu erreichen. Mit allen Mitteln. Er hatte nicht merkt, wie ihn diese Versessenheit immer mehr ins Abseits geschoben hatte. Seiner Umwelt war schon längst klar geworden, dass er sein Ziel kaum erreichen könnte. Doch Andreas S. blieb stur und er blieb, was er war, ein Rebell. ‚Ich werde allen zeigen, was derer für Menschen sind‘, sagte er sich immer wieder als Durchhalteparole. ‚Wie geredd, so gebabbelt. Alla, mer fange an‘! Die Temperaturen, die der Fahrtwind seinem Körper entgegenhielt, erweckten bei Andreas den Eindruck, als wenn er die in diesen Jahren immer intensiver diskutierte drohende Erderwärmung schon jetzt deutlich spüren könnte. Ein wenig fühlte auch er sich mit verantwortlich an den Zukunftsszenarien, die immer und immer wieder in den unterschiedlichsten Medien beschworen wurden. Aber so ganz fühlte er sich wiederum auch nicht verantwortlich, denn er war ja nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe der Klimawandlungsmaschinerie. Er war froh, dass ihm rechtzeitig eine Entschuldigung für seinen momentanen Beitrag zur Klimagestaltung eingefallen war. Eine vor ihm auftauchende S-Kurve zwang ihn, seine Aufmerksamkeit wieder ganz der Straße zu widmen. Konzentriert ging er die Kurve an. Erst rechts, dann gleich wieder links. Er war überrascht, wie butterweich sich die Harley Davidson XL 1200 Sport Custom in die Kurven schmiegte und wie selbstverständlich sie sich anschließend wieder aufstellte. Und der Silent-Block! Angenehme Motorvibrationen (nice vibrations), überzeugendes Drehmoment und ein perfektes Handling. Die empfohlene Reisegeschwindigkeit lag zwischen einhundertzwanzig und einhundertdreißig Kilometer in der Stunde. Einfach Fahrspaß pur. Der Anschaffungspreis war für eine Harley Davidson zwar günstig gewesen. Doch die laufenden Kosten lagen auf typischem Harley-Niveau. Solchen Problemen hatte Andreas allerdings vorgebeugt. Seine Freundin diente im gut florierenden Gewerbe. Er konnte sich nicht beklagen. Der Emanzipation der Frau stand er schon lange positiv gegenüber. „Du machst den Job und sorgst fürs Geld“, hatte er gesagt, „und ich passe uff“. Und so konnte er gemäß der Maxime der Hells Angels Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt, Freiheit sorglos weiter in Richtung Zentrum seiner Heimatstadt fahren. Seine Heimatstadt, eine mittelgroße Industriestadt mit einem historischen Schloß als Avance an die Kultursuchenden, erweckte in Andreas nicht nur positive Erinnerungen. Früher war er der Held dieser Stadt, den die örtliche und überörtliche Presse immer wieder wegen seiner großen Leistungen, die er für die Stadt, das Land, die Republik erbracht hatte, gelobt und hofiert hatte. Man war ihm mit Respekt begegnet. Der Bürgermeister hatte ihn, Andreas S., aufgrund seiner hervorragenden Leistungen, bei jedem Neujahrsempfang der Stadt lobend und als positives Vorbild herausgestellt. Eigentlich waren alle stolz auf ihren Mitbürger Andres S., tauchte doch gleichsam mit der Berichterstattung über Andreas Leistungen in den verschiedenen Medien auch der Name der Heimatstadt mit auf. Keiner konnte leugnen, dass durch Andreas sportliche Erfolge, seine zahlreichen Titel als Deutscher Meister, seine Platzierungen in der Europa- und Weltelite, die Stadt immer bekannter wurde. Doch dies war nun Vergangenheit. Sein Name und seine damit im Zusammenhang stehenden Leistungen waren für viele schon vergessen. Unbewusst und auch teilweise gewollt. Von seinem Ruhm war nur noch ein kläglicher Rest geblieben. Und der jetzige Respekt, der ihm stellenweise entgegengebracht wurde, war nicht seinen Meriten zu verdanken, sondern mehr seiner Erscheinung. Einige kannten ihn nur als ‚der mit dem Zopf’. Andreas verlangsamte seine Fahrt, als er auf die mit Tischen und Stühlen zugestellte Freifläche vor der Eisdiele an einer Straßenecke zufuhr. Er hielt seine Harley so nah wie möglich an der äußeren Tischreihe an, stellte den Motor ab, schwang sich aus dem Sattel und bockte die Maschine auf. Mit dem Gewicht der Maschine hätten einige Schwierigkeiten bekommen. Für Andreas waren Gewichte kein Problem. Weder früher noch jetzt. Er nahm den L.A. Policehelm ab und hängte ihn an den Lenker. Seine Haare, die sich nun richtig ausbreiten konnten, fielen ihm bis über die Schulterblätter seiner breit ausladenden Schultern. Er nahm ein Gummiband aus der Hosentasche und band seinen Haarschopf zu einem Pferdeschwanz zusammen. Eine rein pragmatische Handlung. Hatten einige der Gäste bereits beim Ankommen der Harley mit ihrem unverwechselbaren Sound ihren Eisgenuss unterbrochen und verstohlen zu Andreas geschaut, so wurde die Zahl der Neugierigen durch jede weitere Aktion von ihm vergrößert. Und als er die wenigen Meter zu dem von ihm ausgewählten Platz gut gelaunt und voller Tatendrang mit den knallenden Absätzen seiner Fashion Westernstiefeletten zurücklegte, drehten sich einige fast provozierend zu ihm um. Die meisten allerdings, als sie den typischen Hells Angel sahen, drehten ebenso schnell ihren Kopf wieder zurück. Nur nicht auffallen. Zu viel Schlechtes hatten sie über diese Motorradgang gehört. Und man wusste, was alles passieren konnte. Andreas kannte diese Vorurteile einiger Mitmenschen, und er deutete das multikulturelle Sprachengewirr, das ihn umgab, das er aber nicht verstand, als Diskussion über eben dieses Thema. Alle Hells Angels waren kriminell, alle waren Bordellbesitzer und so weiter. ‚Spießer’, dachte er nur. Ihn störte die Meinung der anderen nicht. Er sagte sich immer: ‚Du bist du. Ändern kannst du es nicht und willst es auch nicht. Bleib einfach du!’ Und die, die ihn angafften, bestärkten ihn nur noch in diesem Ego. Er wählte einen Platz aus, von dem er sowohl seine Maschine als auch die unmittelbare Nachbarschaft beobachten konnte. Ihn interessierten die Leute schon. Niemand merkte, wie er sie unauffällig beobachtete. Andreas hatte die Gabe, Dinge sehr schnell zu erfassen, zu analysieren und sich dem entsprechend zu verhalten. Wenn auch manchmal, basierend auf einer zu übereifrig gestellten Analyse, sein Verhalten nicht immer richtig war. „Was darf ich Ihnen bringen?“ fragte die Bedienung höflich, nachdem sie sich zwischen den besetzten Stühlen zu ihm hindurch gezwängt hatte. „Ich hätte gern einen Latte Macchiato“, sagte er in einem angenehm zurückhaltenden Tonfall. „Gern“, kam die Bestätigung zurück. Andreas kramte seine Packung LUX-Zigaretten aus der Brusttasche, nahm eine Zigarette heraus und suchte vergeblich nach seinem Feuerzeug. Wollte er rauchen, musste er nun kommunikativ werden. Die meisten Gäste hatten ihn nach ihrer ersten Musterungswelle akzeptiert und widmeten sich wieder ihren Eisportionen und den Gesprächen unter sich. Jeder in seiner Landessprache. Direkt am Nebentisch von Andreas saß ein älterer Herr, der sich eine Tasse Kaffee bestellt hatte und diese, zwischendurch immer mal einen Zug aus einem Zigarillo nehmend, sichtlich genoss. Andreas schätzte ihn auf knapp sechzig Jahre. Vielleicht auch etwas älter. Es viel ihm schwer, das Alter des Gastes genau zu schätzen. Die Kleidung des Gastes war dezent sportlich, kein modischer Schnickschnack, der sein wahres Alter kaschieren sollte. Seine Haare waren spärlich und der mäßig wehende Wind trieb auch noch seinen Schabernack mit ihnen, in dem er sie mal nach rechts und mal nach links legte. Andreas schaute amüsiert zu dem Herrn hin. Nicht provozierend, nur interessiert. Gerade wollte er ihn ansprechen und um Feuer bitten, als die Bedienung mit der bestellten Latte Macchiato angewirbelt kam. Die Südländer wirbeln immer, wenn sie bedienen. Sie sind immer in geschäftiger Betriebsamkeit, auch wenn sie pausieren. Noch bevor Andreas sein Vorhaben, den Herrn am Nebentisch um Feuer zu bitten, fortsetzen konnte, blickte dieser leicht erstaunt in Andreas Richtung. Für Andreas eine Situation, die so vollkommen neu war. Jemand schaute ihn ganz offen an! Die Blicke begegneten sich. Und ohne irgendein Anzeichen von Unsicherheit begann der Gast mit Andreas ein Gespräch. Wie selbstverständlich. Andreas war heute zum ersten Mal sprachlos. Jede Reaktion hatte er von seinem Gegenüber erwartet. Vielleicht eine abfallende Bemerkung, die sich der Nachbar auf Grund seines Alters herausnehmen würde. Doch nichts von dem. Dieser schaute nur interessiert auf das Getränk, das vor Andreas stand und wollte ihn gerade ansprechen, als Andreas leicht verunsichert sagte: „Entschuldigen sie“, er sagte dies vorsichtshalber etwas lauter, „haben sie einmal Feuer für mich?“ „Ja, einen Augenblick“, sagte der Angesprochene und nahm das Feuerzeug, das neben seinem Aschenbecher lag. Er reichte es mit einem Lächeln seinem Nachbarn. Andreas zündete sich seine Zigarette an und als er das Feuerzeug zurückgeben wollte, bemerkte er die seitliche Werbeaufschrift ‚Vital durch Vitamin C’, darunter der Name einer Apotheke. ‚Wie der Papa’, dachte er, ‚immer noch das Letzte aus sich herausholen wollen’. „Darf ich Sie einmal fragen, “ unterbrach der Nachbar Andreas Gedankengang, „was Sie dort in Ihrem Glas haben? Habe ich noch nie gesehen. Ist das mit Alkohol?“ „Nein, ohne Alkohol. Ich trinke überhaupt keinen Alkohol. Dies ist ein Latte Macchiato. Die untere Schicht ist Milch, dann kommt eine Schicht Espresso und obendrauf ist aufgeschäumte Milch. Also von unten bis oben gesund“, lachte Andreas. Und er ergänzte: „Ich glaube, dass es ‚fleckige Milch’ bedeutet. Weiß aber nicht genau“. „Aha. Und kein Alkohol?“ so ganz wollte der ältere Herr es doch nicht glauben. ‚Wie der Papa’, dachte Andreas wieder. Nachdem der Herr von Andreas Bestätigungen überzeugt schien, wandten sich beide kurz ihrem jeweiligen Getränk zu, um dann gestärkt die begonnene Unterhaltung mit unverfänglichen Themen fortführen zu können. Denn keiner von ihnen wollte den Anderen in irgendeiner Weise brüskieren. Ein sich langsam der Straßenecke näherndes Polizeifahrzeug gab einigen Gästen des Eiskaffees neuen Gesprächsstoff. Die Spekulationen über mögliche bevorstehende interessante Handlungen nahmen sichtbar zu, als das Polizeifahrzeug rechts an den Straßenrand fuhr und ein Beamter ausstieg und zielstrebig in Andreas Richtung ging. Neugierig sahen einige wieder zum Hells Angel hinüber, sogar ein wenig feindseliger als vorher. Jetzt, wo man doch den Schutz der Polizei sah, konnte man es sich leisten. Doch zu ihrer großen Enttäuschung ging der Polizist geradlinig an Andreas vorbei auf die Eis Theke zu und holte für sich und seinen im Fahrzeug wartenden Kollegen je drei Kugeln Vanilleeis. Andreas hatte die Polizei überhaupt nicht bemerkt, und seinem Nachbarn war der Vorgang auch nicht bewusst geworden. Beide hatten sich in ein Gespräch vertieft, wie es wohl keiner von ihnen vorher für durchführbar gehalten hatte. ‚Wäre doch der Papa so gewesen’, dachte Andreas. Es war wohl eine knappe halbe Stunde vergangen, als Andreas aufstand und sich von seinem Gesprächspartner mit einem Kopfnicken und der Bemerkung: „Vielleicht trifft man sich einmal wieder“ verabschiedete. Er ging zur Theke, um zu bezahlen und sah, als er zu seiner Harley ging, wie einige Gäste ihn neugierig musterten. Nicht ihn selbst, sondern den älteren Herrn, mit dem sich Andreas gerade unterhalten hatte.

Andreas S.

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