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Ungeduldig erwartete am Mittwochabend Milena Deutler in ihrer Düsseldorfer Villa den Anruf des Reisebüros, das die Buchungen für den Konzern besorgte. Vermutlich waren die Bangkok-Flüge.ausverkauft, aber die Leute hatten schon öfter bewiesen, daß sie notfalls zaubern konnten, auch wenn sie über Brüssel, Paris oder London abfliegen müßte.

Um achtzehn Uhr — in Bangkok war es bereits Mitternacht — meldete sich der Inhaber des Reisebüros persönlich. »Schlechte Nachricht, gnä’ Frau«, bedauerte er. »Ich hab’ alles versucht und sogar Kollegen von der Konkurrenz eingeschaltet, aber für morgen ist kein Ticket für einen Linienflug nach Bangkok mehr zu bekommen. Sie könnten aber am Freitag gleich mit der ersten Maschine fliegen.«

»Das ist mir zu spät«, erwiderte Milena enttäuscht. »Ich möchte bereits morgen in Bangkok sein.«

»Es gäbe nur einen Auswege, antwortete der Reisemanager zögernd, »aber der wäre eine ziemliche Zumutung.«

»Und?« fragte Milena. Für sie hatte die Zeit der Zumutungen begonnen, seit ihre Freundin Lulu und Bankier Keil sie mit Hiobsnachrichten traktierten.

»Wenn Sie wirklich sofort abfliegen müssen, bekäme ich durch besondere Beziehungen noch ein Ticket für die LTU-Chartermaschiney Ein Nachtflug. Start heute abend um zwanzig Uhr dreißig, Ankunft gegen sechzehn Uhr Ortszeit in Bangkok, allerdings nach kurzen Zwischenlandungen in München und Bahrain.«

»Ist das die Zumutung?« fragte Milena.

»Nicht allein —«, versetzte der Anrufer, »Sicherheitsmäßig hat die Fluglinie einen ausgezeichneten Ruf, und auch ihr Bordservice kann sich mit Linienflügen durchaus messen —«

»Was ist denn dann so furchtbar?«

»Es gibt keine Erste Klasse — Sie hätten auf dem Flug hautnah ziemlich viel — viel Volksgemeinschaft«, erklärte er und setzte schnell hinzu:»Aber ich könnte dafür sorgen, daß Sie nach VIP-Maßstäben betreut würden.«

»Mir bleibt gar keine andere Wahl«, erwiderte Milena, gab Auftrag, den Flug zu buchen, und legte auf.

Sie drehte sich nach ihrem Mann um, einem Beau von zweiundvierzig mit einem leeren Gesicht, das bereits ein wenig schwammig geworden war.

»Mit einem Liebesbomber willst du nach Bangkok fliegen?« sagte Hans-Georg Deutler mit einem schiefen Lächeln. »Das würde ich — mir an deiner Stelle noch einmal gründlich überlegen.«

»Wieso Liebesbomber?« fragte Milena.

»So spotten die Besatzungen«, erklärte ihr Mann. »Weil die meisten Jets mit Bums-Touristeh besetzt sind.«

»Könntest du dich vielleicht gewählter ausdrücken?« entgegnete Milena gereizt.

Einen Moment lang flambierte der Zorn über die Zurechtweisung das blasse Gesicht ihres Mannes, aber dann würgte er ihn wie immer hinunter. »Warum eigentlich diese Eile?« fragte er. »Unsere Tochter kommt doch erst nächste Woche aus dem Internat in die Weihnachtsferien —«

»Ich sagte dir doch schon, daß ich mit Vater sprechen muß, und zwar sofort.«

»Ich möchte wenigstens wissen, ob es privat oder geschäftlich ist.« Hans-Georg Deutler hatte seine Frau bereits bei ihrer Ankunft aus Faro mit Fragen insistiert, die von ihr nur ausweichend beaniwortet worden waren.

»Da gibt es kaum einen Unterschied«, erklärte sie.

»Ist es wegen mir?« fragte er und wich ihrem Blick aus.

»Da überschätzt du dich aber einigermaßen, mein Lieber«, versetzte Milena süffisant Sie betrachtete ihn aufmerksam. »Wieso fragst du?Hast du Schwierigkeiten in der Firma?«

»Natürlich nicht«, behauptete ihr Mann. »Aber gestern ist dieser schreckliche Nadler aus New York eingetroffen. Unangemeldet Überraschend und eigentlich auch völlig unnötig. Er stößt unsere Leute herum, als hätte er die Nachfolge deines Vaters bereits angetreten.«

»Dich auch?« fragte Milena, mehr belustigt als besorgt.

»Genau wie alle anderen«, erwiderte Hans-Georg Deutler. »Als wäre ich nicht der Schwiegersohn des Hauses.«

»Vielleicht ist Mike tüchtiger als du«, gab seine Frau gnadenlos zurück.

»Er ist nicht tüchtiger«, konterte der Direktor für repräsentative Aufgaben. »Mike Nadler versteht es nur besser, deinem Vater um den Bart zu gehen. Und wenn dieser Angeber aus New York hier weiter hantiert wie die Axt im Walde, dann werden diese Gerüchte nur immer lauter.«

»Welche Gerüchte?« fragte ihn Milena scharf.

»Daß dein Vater gesundheitlich nicht mehr auf dem Damm ist«, antwortete er und zündete sich eine Zigarette an.

»Da kann ich dich beruhigen«, entgegnete sie. »Ganzdas Gegenteil ist der Fall.«

»Für heute abend hat Nadler eine Besprechung angesetzt-. Ich kann dich deshalb leider nicht nach Lohausen fahren.«

»Grüß Mike von mir«, versetzte Milena. »Sag ihm aber auf keinen Fall, daß ich nach Bangkok unterwegs bin. Ich kann mich doch darauf verlassen?«

Sie hielt ihrem Mann die rechte Wange hin. »Du kannst dich gleich jetzt verabschieden, Hans-Georg«, sagte sie geschäftsmäßig. »Unser Fahrer bringt mich dann zum Flugplatz.«

»Ich weiß nicht recht«, meinte er zögernd, »Ich hab’ kein so gutes Gefühl bei deiner Reise —«

»Ich auch nicht«, schnitt Milena weitere Erörterungen ab.

Sie brauchte nur einen kleinen Koffer zu packen, aber es fiel ihr schwer. Seitdem sie völlig unerwartet von den Problemen um ihren Vater erfahren hatte, war Milena Deutler aus dem Gleichgewicht. Das Gespräch mit dem kleinen, nervösen Bankier Keil, kurz vor dem Abflug von der Algarve, hatte sie dann gänzlich verwirrt. Nach vielen Entschuldigungen war der Mann zu dem Fazit gekommen:»Im harmlosesten Fall droht Ihrem Vater ein gesellschaftlicher Skandal, den er allerdings spielend überstehen würde. Schlimmer wäre schon, daß Ihre Tochter und Sie in eine Art schleichende Enterbung geraten könnten und —«

»Entschuldigung — aber das kann ich einfach nicht glauben«, war Milena dem Bankier ins Wort gefallen. »Mein Vater ist viel zu korrekt, um mich als Erbinzu übergehen.«

»Ganz könnte er es auch gar nicht«, hatte Keil erwidert, »Ich muß Ihnen das einmal genau auseinandersetzen: Leider hat Herr Laimer bisher unsere Vorschläge über eine Änderung der Gesellschaftsform seines Konzerns abgelehnt. Er ist also nach wie vor der Alleinbesitzer. Meines Wissens existiert auch keine testamentarische Verfügung. Bei seinem Ableben würde automatisch die gesetzliche Erbfolge eintreten. Beim Stand von heute wären dadurch Sie und Ihre Tochter die Alleinbegünstigten. Aber wenn Ihr Herr Vater wieder heiraten sollte, würde sich die Situation grundsätzlich ändern. Im Falle seines Todes müßte dann die Witwe die Hinterlassenschaft mit Ihnen teilen. Ihr Herr Vater wäre durchaus in der Lage, noch Kinder zu zeugen, das würde eine weitere und äußerst einschneidende Schmälerung Ihrer Erbansprüche bedeuten.« Keil hatte die Zeichen ihrer Ungeduld übersehen und die Besucherin gezwungen, sich den Everitual-Konsequenzen zu stellen. »Die Witwe erhielte die eine Hälfte, und alle Kinder zusammen — Sie eingeschlossen, Frau Milena — die anderen fünfzig Prozent. Nehmen wir einmal an, aus einer zweiten Laimer-Ehe gingen zwei Kinder hervor, dann fiele Ihnen ein Drittel des halbierten Gesamtvermögens zu —«

»Und das wäre ja wohl noch immer genug, um meine Tochter und mich ausreichend zu versorgen«, hatte die Besucherin verärgert eingeworfen.

»Mein Gott, so kann man es doch nicht sehen Es geht um den Fortbestand eines blühenden Unternehmens, um das Lebenswerk Ihres Herrn Vaters.«

»Lassen wir einmal finanzielle Gesichtspunkte beiseite.« Milena hatte versucht, zum Ende des Gesprächs zu kommen.

»— dann sehen wir uns dem schlimmsten Fall gegenüber, der eintreten könnte«, war die Antwort des Bankiers gewesen. »Ihr Herr Vater ist zur Zeit in arger Bedrängnis, um nicht zu sagen — in großer Gefahr. Vielleicht sogar in Lebensgefahr.« Laimers Hausbankier war als ziemlicher Hypochonder bekannt, aber in allem, was mit Geld und Vermögensanlagen zusammenhing, sagte man Keil Gehör und Schläue eines Revierfuchses nach. »Wissen Sie, Frau Milena, ich möchte diese Dinge nicht dramatisieren. Ich gebe auch zu, daß der New Yorker Informant, Philip Palance jr., nicht unbedingt ein sympathischer Mensch ist. Auch erscheint mir der Verdacht, den er äußert und von dem er die US-Polizei jetzt überzeugen will, reichlich abenteuerlich, aber das müssen die US-Behörden entscheiden. Dieser Palance jr. spricht auch noch von weiteren Enthüllungen über das Vorleben der bewußten Dame. Wie dem auch sei, Sie müssen das Ihrem Herrn Vater sagen, so unangenehm es auch ist. Was er mit der Information dann anfängt, ist seine Sache, aber warnen müssen wir ihn in jedem Fall.«

Am Flugplatz stellte Milena jetzt fest, daß der Manager des Reisebüros nicht zuviel versprochen hatte. Sie brauchte sich nicht schon eineinhalb Stunden vor Abflug am Schalter zu melden. Ihr Koffer wurde eingecheckt, ohne daß sie Schlangestehen mußte. Milena erhielt einen Fensterplatz in der ersten Reihe. Die beiden Sitze neben ihr würden, durch Reservierungsschilder gesperrt, unbesetzt bleiben, so daß die Reisende sie während des Dreizehn-Stunden-Flugs als Schlafgelegenheit nutzen könnte. Die Stewardessen ließen erkennen, daß sie dieser Passagierin jeden Wunsch von den Augen ablesen würden, und die Mitreisenden hielten sich zunächst auch noch mit Schilderungen ihrer Love-Exkursionen in Bangkok-Babylon zurück.

Die Passagiere, in der Überzahl Männer, waren gemischt wie ihr Reisegepäck:Modische Schalenkoffer neben verschnürten Pappkartons, Akademiker neben Proleten, junges Gemüse neben unternehmungslustigen Frührentnern. Der entsetzliche Vietnam-Krieg hatte Thailand, Muang-Thai, das Land der Freien, auch in ein Land der Freier verwandelt, in den Reiseprospekten charmanter als die »Region des Lächelns und der Liebe« bezeichnet.

Das südostasiatische Königreich war zur Etappe der US-Army in Indochina geworden. In Sündenparadiesen wie zum Beispiel Pattaya, zwei Autostunden von der Hauptstadt entfernt, hatten exotische Mädchen, grinsende Zuhälter und abgefeimte Rauschgift-Dealer den Gls ein befristetes Lotterleben ermöglicht, bevor sie wieder zum Sterben in die Dschungelhölle zurück mußten.

Zu den Nachfolgern der olivgrünen Soldaten waren zunehmend Touristen aus den westlichen Landern, doch auch aus Japan, Australien und dem arabischen Raum geworden, die gespartes Geld und gestaute Manneskraft in das Treibhaus der Träume und Triebe exportierten.

Milena reiste nicht ganz unvorbereitet in dieser geschlossenen Gesellschaft der offenen Wünsche;sie war eine interessierte Zeitgenossin — aber es macht einen Unterschied, ob man den west-östlichen Liebeswahn aus Zeitungen und Büchern kennt, oder man in einer dichtbesetzten 707 mit ihm konfrontiert wird.

Kurz nach dem Start schilderte ein offensichtlicher Stammbesucher einem staunenden Neuling die Vorzüge mandeläugiger Liebesdienerinnen:»Diese Siamkatzen sind sauber, immer lustig und gut gelaunt, zu allem aufgelegt, und sie strahlen dich an, auch wenn du ihnen noch so sehr auf den Wecker fällst. Sie sind immer für dich da, wenn du willst für eine Stunde, für deine ganze Ferienzeit oder auch fürs Leben.«

»Das ist wohl ein bißchen zu lange für eine Nutte«, versetzte der Mitreisende.

»Nutten kann man die nicht nennen.«

»Aber sie nehmen doch Geld.«

»Ja — schon, aber bei ihnen ist eben alles ganz anders. Das mußt du selbst erleben, ich kann dir das nicht weiter beschreiben. Ich sag’ dir nur, die lachen dich an, und dein Lümmel im Hosensack reckt sich und macht Freudensprünge, Emil. Und dafür kannst du schon mal ein paar Baht-Scheine opfern.« Der Liebes-Bahtisan lachte. »Die können’s wirklich gebrauchen — sie ernähren oft eine große Familie —, und beim Friseur gibst du ja auch ein Trinkgeld.«

Milena drehte sich nach dem Wohltäter der Wollust um, fixierte ihn kurz. Der Mann schwieg fortan zweihundert Flugkilometer lang. Eigentlich hätte die ungewöhnliche Charter-Passagierin für die Ablenkung dankbar sein müssen. Sie fürchtete sich vor dem ersten Intimgespräch, das sie mit ihrem Vater führen würde — aber Männer in Masse waren für Milena wie Rüden im Rudel, schnuppernd, hechelnd, bellend, triebbesessen.

Vorübergehend lebten die Vorurteile wieder auf, mit denen ihre Mutter die Heranwachsende traktiert hatte, eine Frau, die fast alle Männer für Ungetüme hielt, die nur Schmutziges und Sündhaftes im Sinn hätten. Laimers strenge Ehefrau hatte Sex nur gelten lassen, wenn er in der Dunkelkammer ausschließlich der Fortpflan zung diente. Die fanatische Puritanerin bewunderte einige Tierarten, bei denen das Weibchen das Männchen gleich nach dem Begattungsakt umbringt — bei Menschen wäre es freilich absurd, schon weil hier die Drohnen häufig auch die Ernährer sind. Milenas Mutter hatte Vater das Leben nicht leicht gemacht; es war eigentlich ganz logisch, daß er in die Arbeit geflüchtet und allen anderen Frauen ausgewichen war.

Sie spürte Müdigkeit und Erschöpfung und nutzte die beiden freien Sitze, um sich auf die Seite zu legen; so fand sie ein paar Stunden Schlaf. Erst nach der Zwischenlandung in Bahrain erwachte Milena wieder. Es war bereits hell, und die 707 schien direkt in den Sonnenball zu fliegen.

Sie jagten dem Tag entgegen, und das belebte die Märchenerzähler aus 1001-Bangkok-Nacht wieder. »Die Thai-Mädchen lächeln zwar bei allen«, erinnerte sich Otto, der sich schon drei Liebesreisen nach Bangkok zusammengespart hatte. »Europäer, vor allem aber ›Neckelmännel‹ — so nennen sie die Deutschen — sind ihnen am liebsten. Am schlimmsten sind für sie Araber, diese Wüstenbrüder sind doch fast alle pervers.«

»Wo kommen diese Mädchen eigentlich her?« fragte Emil.

»Meistens aus dem armen Norden des Landes. Sie werden ihren Eltern abgekauft und waggonweise zum Hualampong-Bahnhof in Bangkok verfrachtet. Nach der Ankunft werden sie dann in die umliegenden Geschäfte getrieben und auf ihre Jungfräulichkeit untersucht.«

»Aber wozu denn das?« wollte Emil, der Neuling, wissen.

»Wegen der Chinesen; das sind meistens die Reichsten im Land. Sie zahlen für eine Entjungferung umgerechnet an die fünfhundert Mark.«

»Das sind vielleicht Sitten —«

»Hast du noch keine Peking-Ente gegessen?Das ist typisch für Chinesen: Sie verspeisen nur die Haut, alles andere lassen sie abservieren.« Otto lachte. »Diesen Feinschmeckern kommt es wohl überall nur auf die Haut an.«

Milena hatte genug; sie erhob sich und ging in den WC-Raum, um eine Art Morgenwäsche hinter sich zu bringen. Sie sah auf ihre Armbanduhr und stellte sie sechs Stunden vor. Die »Boeing« war schon im Sinkflug über der Menam-Ebene, die von den Thailändern »die Reisschale« genannt wird.

»Bitte bringen Sie Ihre Sitze wieder in senkrechte Position, schnallen Sie sich an und stellen Sie das Rauchen ein«, meldete sich der Flugkapitän im Cockpit über die Bordlautsprecher. »Wir landen in wenigen Minuten auf dem Don-Muang-Flugplatz in Bangkok.« Der Riesenvogel glitt im Tiefflug über einen Golfplatz, setzte dann pünktlich und sicher auf der Zementpiste auf, rollte aus. Es herrschte Hochbetrieb:Starts und Landungen in ganz kurzen Abständen, Maschinen aus aller Welt flogen die Drehscheibe Südostasiens an. Aus ihren gedrungenen Rümpfen quollen Männerschwärme, Legionäre der Lebenslust betraten ungeduldig den Schauplatz käuflicher Wonnen;sie machten Bongkoks Airport, zum Loveport.

Die Hitze empfing Milena wie ein Faustschlag. Feuchte, verpestete Luft machte das Atmen schwer. Im Innern des Gebäudes wurde es noch schlimmer; die Klimaanlage war wieder einmal ausgefallen. Aber nach einer Viertelstunde hatte sie die Zollabfertigung hinter sich und stieg in ein Taxi, das sie zum »Dusit Thani« — Hotel brachte.

Nur selten durchdrang die Sonne die giftigen Benzinwolken, Die Straßen waren verstopft, aber der Mann am Steuer fuhr wie ein Selbstmörder. Milena forderte ihn auf, weniger landesüblich zu fahren, doch der Fahrer mißverstand ihr Englisch und setzte zu noch verwegeneren Manövern an. Nichts zu machen, eine Taxifahrt wird in »Krung Thep«, in der Stadt der Engel, zur Mutprobe.

Das Häusermeer hatte die Hitze gespeichert wie ein Backofen. Die Menam-Metropole, war eine Hölle von Lärm, Staub und Hitze. Es glich einem Wunder, daß das Taxi nach einer knappen Stunde das »Dusit Thani«-Hotel erreichte.

Der Portier hielt den Wagenschlag. Ein Hausboy übernahm den Koffer. Dann betrat Milena die kühle Oase für Betuchte. Sie folgte dem Gepäckträger zur Rezeption, vorbei an einem zierlichen Mädchen, das in einer Nische Blumen zu kleinen Sträußen band, die sie den Hotelgästen schenkte. Ihr liebliches Gesicht, das still in sich gekehrte Lächeln brachten dem europäischen Gast bei, daß man kein Wüstling sein mußte, um von diesen exotischen Geschöpfen fasziniert zu werden.

Milenas Apartment — telefonisch vorbestellt — war für sie reserviert, und der Mann am Empfang sprach ein verständliches Englisch.

»Können Sie mir sagen, ob Mr. Laimer im Hause ist?« fragte sie ihn.

Der Hotelbedienstete sah auf das Schlüsselbrett. »Ja«, bestätigte er dann. »Ich kann Mr. Laimer anläuten.«

Im ersten Moment wollte Milena einem sofortigen Gespräch aus — weichen, dann aber nickte sie mit einem Gefühl der Beklemmung. »Sorry«, sagte der Hotelbedienstete. »Mr. Laimer ist nicht in seinem Apartment. Vielleicht erfrischt er sich am Swimmingpool. Soll ich ihn ausrufen lassen, Madame?«

»Danke, nicht nötig«, erwiderte Milena, froh über einen letzten Aufschub; dabei war sie in Zeitnot, aber sie wollte sich doch erst etwas frischmachen und sich dabei die Worte für die explosive Begegnung noch einmal zurechtlegen.

Es war jetzt siebzehn Uhr Ortszeit. Milena folgte dem Boy; sie mußten sich durch das Gewühl pflügen. Die Halle ging in eine offene Bar über, und hier nahmen, zu dieser ungewöhnlichen Stunde bereits in Abendgarderobe, elegante Damen und wohlgelaunte Herren einen Drink, offensichtlich Mitglieder einer geschlossenen Gesellschaft.

Milena betrachtete sie im Vorbeigehen: Eine junge Frau, deren weißes Cocktailkleid prächtig zu ihrem dunklen Haar und den leuchtend braunen Augen kontrastierte, fiel ihr sofort in der Runde auf. Mechanisch sah die Besucherin aus Düsseldorf zu ihrem Begleiter hin, einem Mann mit einem straffen Gesicht, einer hohen Stirn, buschigen Augenbrauen und dichten, leicht gewellten Haaren.

Im ersten Moment erkannte Milena den eigenen Vater nicht, wohl weil sie ihn zeitlebens nur in blauen Anzügen gesehen hatte; jetzt trug er ein weißes Dinner-Jackett, Er wirkte verjüngt und frisch, wirklich ein Mann in den besten Jahren. Als Milena sah, daß er zu dieser Attraktion von Frau in Weiß gehörte, fürchtete sie, daß ihre Mission scheitern müßte, und sie gegen ein so apartes, ungewöhnlich schönes Geschöpf keine Chance hätte. Diese selbstsichere junge Frau würde wohl — für wie lange auch immer — Vaters Zweite werden.

Sie blieb stehen und betrachtete ihn noch immer.

In diesem Moment erkannte auch Martin Laimer seine Tochter. Er beugte sich zu seiner Begleiterin, entschuldigte sich und ging dann auf die Neuangekommene zu.

»Milena?« sagte der Industrielle, mehr erstaunt als erschrocken. »Du — »hier in Bangkok?«

»Wie du siehst, Vater«, entgegnete sie.

»Zufällig?«

»Absichtlich«, antwortete Milena. »Ich muß mit dir sprechen, Vater.«

»Jetzt?Hier?« fragte er leicht ungehalten und betrachtete sie voll, »Bist du gerade angekommen?«

»Ja. Und ich muß morgen wieder zurückfliegen. Könntest du — bitte — eine Stunde nur —«

»Ich bin auf dem Weg zum Rotarier-Abschiedsbankett«, erklärte Martin Laimer. »Übrigens hält Cecil Casagrande, der Mann deiner Freundin, zuvor eine Lesung aus seinem neuesten Roman.«

Er lächelte hintergründig. »Die ließe sich ja schwänzen. Sicher willst du dich erst noch frischmachen. Ich erwarte dich also in zwanzig Minuten im Apartment siebenhundertneun — ja?« »Vielen Dank, Vater«, entgegnete Milena verwirrt und folgte dem Liftboy.

Martin Laimer ging zu seiner Begleiterin zurück. »Entschuldige, Ilonka — meine Tochter ist überraschend eingetroffen.«

»Hab’ ich mir schon gedacht«, erwiderte sie.

»Sie will mit mir sprechen.«

»Das hab’ ich mir auch gedacht«, versetzte Ilka lächelnd.

»Würde es dir etwas ausmachen, allein zu Casagrandes Dichterlesung zu gehen?Ich komm’ dann so rasch wie möglich nach.«

»Es macht mir nichts aus«, versicherte Ilonka. »Aber bitte tu’ mir einen Gefallen. Sei nett zu deiner Tochter, mach’ ihr alles nicht noch schwerer.«.

»Ja — aber —«

»Kein Aber«, erwiderte Ilonka. »Bitte versprich es mir.«

Der Industrielle brachte seine Begleiterin an die Tür, winkte ein Taxi herbei und stellte dann fest, daß er nicht der einzige war, der Ilka nachsah.

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