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Die Begleiterin Martin Laimers hatte in dem Spezialitäten-Restaurant für Meeresfrüchte an der Sukhumvit-Road noch vor dem Industriellen erkannt, daß ihr verliebtes Zusammensein beobachtet worden war. Ganz in der Nähe saßen Cecil Casagrande, der Autor, und zwei Herren aus der Rotarier-Runde, die sich heute nachmittag in der Halle des »Oriental« am Nebentisch ausgiebig über sie unterhalten hatten. Natürlich war es jetzt zu spät, nach dem Tête-à-tête auf optische Distanz zu ihrem Begleiter zu gehen, aber sie folgte einem mechanischen Impuls und zog ihre Hand von Laimers Arm zurück, rückte mit dem Stuhl ein wenig von ihm ab.

Der Mann auf Verjüngungskur vermißte ihre Zärtlichkeit sofort. »Was hast du denn?« fragte er, folgte ihrem Blick und erkannte die lästigen Zaungäste, die zu beflissen in eine andere Richtung sahen, um ihn darüber hinwegtäuschen zu können, daß sie ihn längst erkannt hatten.

»Da haben wir die Bescherung«, sagte die dunkle Schönheit mit dem unbeschriebenen Gesicht. »Wir hätten uns wirklich nicht so kindisch benehmen dürfen, Martin. Jedenfalls sitzen wir jetzt in der Falle.«

»Wir werden sie sprengen.«

Der Unternehmer war bereit, die Flucht nach vorne anzutreten. »Bitte sei nicht voreilig«, warnte ihn seine Begleiterin. »Ich könnte mich unauffällig davonmachen, und —«

»Nein«, unterbrach sie der Mann im hellen Anzug. »Schluß mit dieser Heimlichtuerei! Es ist für mich wie eine Erlösung.« Er erhob sich, um frontal die Voyeure seines Glücks anzugehen. »Guten Abend, Gentlemen«, begrüßte er sie. »Welch hübscher Zufall, daß wir uns hier begegnen«, behauptete er mit einem Gesichtsausdruck, der seine Worte Lügen strafte, »Ich fürchte, daß ich Ihnen eine Erklärung schulde.«

»Sie schulden uns gar nichts, Mr. Laimer«, erwiderte Cecil Casagrande großmütig; er spielte auf das Gespräch vom Nachmittag an. »Es freut uns, daß Sie Ihre Geschäftsbesprechung rasch genug hinter sich bringen konnten, um uns vorzuführen, daß Sie Ihre Flinte noch nicht vorzeitig ins Korn geworfen haben.«

»Ich flunkere wirklich selten«, behauptete Laimer ohne jede Verlegenheit, »weniger aus Wahrheitsliebe, sondern weil ich immer ertappt worden bin — das war schon in der Schule so.« Er lächelte knapp. »Ich hätte Sie natürlich Mrs. Bauer vorstellen müssen«, bezichtigte er sich der Unterlassung. »Aber Ihr Verhalten — verzeihen Sie —, das Ratespiel — das Sie veranstalteten — hat mich so amüsiert, daß ich es einfach nicht fertig brachte.« Spott überzog sein Gesicht wie ein Firnis. »Wenn man so in den Sielen steht wie ich, erlebt man ja privat wenig Unterhaltung und Abwechslung.«

»Reden Sie nicht darum herum«, erwiderte Odermatt. »Sie haben uns ganz schön hereingelegt. Jedenfalls sind wir die Blamierten.«

»Ich bitte um Entschuldigung und stelle mich der Wiedergutmachung«, entgegnete der Alleinherrscher eines Konzerns und lud das Herren-Trio an seinen Tisch ein.

Die drei Entdecker folgten ihm bereitwillig, mit viel Neugier und auch ein wenig Eifersucht.

»Mr. Casagrande kennst du ja schon, Ilonka«, konstatierte der Mann mit den buschigen Augenbrauen. »Ich möchte dir Herrn Odermatt, einen Bankier aus Zürich, vorstellen, und Mr. Bannister, den bekannten New Yorker Verleger.« Während sich die Herren artig verbeugten, setzte Laimer mit Spott und Stolz hinzu: »Und jetzt decouvriere ich Ihre Nachmittags-Sphinx: Ilka Bauer aus Rom, oder sage ich besser New York. Oder Paris.«

»Sie haben einen hübschen Vornamen, Madame«, stellte Casagrande fest.

»Ilka ist die Abkürzung von Ilonka«, antwortete die Umworbene. »Und das ist der ungarische Name für Helene.«

»Ilka oder Ilonka oder Helen — es handelt sich um die Dame, um deren Gunst ich mich seit einiger Zeit bemühe«, gestand Laimer, als seine Gäste Platz genommen hatten.

»Offensichtlich mit Erfolg?« bemerkte der Mann aus dem Steuerparadies Monte Carlo lachend.

»Aber ich bitte Sie, Mr. Casagrande«, entgegnete die entschlüsselte Schöne an Laimers Stelle. »In Ihren Romanen formulieren Sie solche Fragen weit eleganter.«

Die Herren lachten befreit.

Der Romancier entschuldigte sich für seine Plumpheit und setzte launig hinzu: »Für Ihre liebenswürdige Mitteilung, daß Sie meine Romane lesen, beziehe ich gerne eine Ohrfeige vor aller Augen.«

»Wie ich feststellte, haben Sie auch ›Chablis Grand crus‹ getrunken«, sagte Laimer.

»Ja«, bestätigte Casagrande. »Wir haben offensichtlich den gleichen Geschmack.« Mit einem anzüglich-feurigen Blick auf Ilonka lobte er: »Sehr feines Bukett, elegant im Körper, von delikater Frische.« Ein Ober brachte die Gläser an den Tisch und schenkte Wein ein. Martin Laimer hob das Glas und prostete den Gästen zu. »Sie sind die ersten, die erfahren, daß meine Begleiterin und ich einander nahestehen«, erklärte er.

»Das wird auch unter uns bleiben«, beteuerte Odermatt, als handele es sich um ein verschwiegenes Bankgeschäft.

»Nicht nötig«, wies der Einundsechzigjährige das Angebot zurück. »Sowie Ilonka damit einverstanden ist, werden wir unser Zusammensein legalisieren«, kündigte er an und setzte hinzu: »Wie es sich für einen Rotarier auch gehört.«

Diese Wendung des Gesprächs war der jungen Frau offensichtlich unangenehm. Sie erhob sich. »Ich muß mir unbedingt die Beine etwas vertreten«, erklärte sie und konnte nicht verhindern, daß sich ihr der Züricher Bankier als Beschützer anschloß.

An der Seite einer so schönen Frau wuchs Odermatt noch einmal ein Stück über seine Körpergröße und die raffiniert erhöhenden Schuhabsätze hinaus.

Casagrande sah den beiden nach. »Meinen Glückwunsch, Herr Laimer«, sagte er. »Die Laudatio für Ihre Dame haben wir ja schon heute nachmittag gehalten, bevor wir wußten, daß Sie zu ihr gehören. Sie hat wirklich alles, was einen Mann entzücken muß. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Geschmack, Entschuldigen Sie bitte, aber ich kann meine Neugier einfach nicht zügeln: Wo und wie lernt man ein solches Ereignis von Frau kennen?«

»Durch Zufall«, erwiderte der Unternehmer. »Wenn man Glück hat, auf dem Flug von New York nach Frankfurt.« Strahlend ergänzte er: »Ich hatte Glück.«

»Ich muß doch immer in der falschen Maschine sitzen«, klagte der Literat, und Bannister und Laimer lachten lauthals.

»Ehrlich gesagt, ich habe mich benommen wie ein Trottel«, gestand der Unternehmer. »Ich verdiene Ilka eigentlich gar nicht. Sie ist mir zugefallen wie der Haupttreffer einer Lotterie.«

»Beneidenswert«, versetzte der Verleger.

»Ich hatte und habe große Hemmungen zu überwinden«, fuhr Laimer fort.

»Das verstehe ich nun wirklich nicht«, meinte Casagrande. »Ilonka ist zu schade für eine befristete Romanze«, erklärte der Industrielle. »Gegen eine dauernde Beziehung aber sprechen mehr als drei Jahrzehnte Altersunterschied. Genau einunddreißig Jahre.«

»Das ist doch nur eine Zahl«, spielte Casagrande die Differenz herab, und auch Bannister stimmte durch lebhaftes Kopfnicken zu, wiewohl er wußte, daß Zahlen die Grundsubstanz von Rechenfehlern sind.

Odermatt und Ilonka kamen zurück mit drei Flaschen Wein, und Laimer schätzte besorgt ab, wie lange ihm heute noch der Weg in das vierarmige Paradies versperrt bliebe — aber das ungleiche Paar würde noch viel Zeit miteinander haben; die beiden wollten über Weihnachten und Neujahr in Fernost bleiben. Auf einmal spürte der Unternehmer, wieviel Freude es ihm bereitete, seinen neiderfüllten Geschlechtsgenossen die junge Geliebte vorzuführen, die so sauber, so liebevoll, so begehrenswert wie unbegehrlich war, kurzum, die Frau, der man nur einmal im Leben begegnet. Sehr spät, gewiß — aber vielleicht gerade doch noch rechtzeitig.

Als der Abend auszuufern drohte, bewies seine Begleiterin einmal mehr, wie sehr sie auf ihn einging. »Ich bin müde«, sagte Ilonka. »Bringst du mich ins Hotel, Martin?«

Er erhob sich sofort.

Casagrande drückte sein lebhaftes Bedauern über ihren Entschluß aufzubrechen aus. »Aber Sie kommen doch in meine Lesung am Freitag, Mrs. Bauer?« fragte er.

»Ilonka«, verbesserte sie. »Ehrensache«, versprach die Schöne, nickte allen dreien zu, als sei ihr jeder von ihnen der Liebste, bevor sie mit ihrem Begleiter verschwand.

Die Zurückbleibendlen sahen ihr überwältigt nach.

»Was macht die Dramaturgie für dein nächstes Buch, Cecil?« spottete Bannister.

»Ach, weißt du, George, es gibt Romane, die man schreibt, und solche, die man erlebt«, erwiderte der Starautor.

»Und von welcher Version sprichst du momentan?«

»Du weißt, das geschriebene Wort geht mir über alles —«

»Außer Chablis«, alberte Odermatt leicht beschwipst und schenkte seinen Begleitern nach, während die Liebenden von Bangkok ein Taxi erreichten.

»Hotel ›Dusit Thani‹«, rief Laimer dem Fahrer zu.

Sie saßen im Fond, eng umschlungen, stumm, voll Freude aneinander, überwältigt von der Erwartung aufeinander. Die letzten Monate hatten das Leben eines Mannes umgekrempelt, dessen Ziel und Befähigung es immer gewesen war, Umsätze zu steigern, Innovationen vor der Konkurrenz herauszubringen, Gewinne zu erhöhen und durch Investitionen seinen Konzern in eine fortgesetzte Expansion zu treiben. So hatte es Martin Laimer immer gehalten, von kleinen Anfängen bis in eine unerwartet schwindelnde Höhe — aber seit er Ilonka kannte, wertete der Unternehmer die Erfolge von gestern und heute — sein Lebenswerk — nur noch als einbringliche Ersatzbefriedigung — wie vor ihm Phil Palance, dem Laimer als Geschäftsfreund verbunden war und der ihm, so absurd es auch schien, den Weg zu Ilka geebnet hatte.

Es war vor knapp sechs Monaten gewesen. Die 747 befand sich auf einem ihrer ersten Atlantikflüge. Die Touristenkabine war fast ganz ausgebucht, im First-Class-Abteil vorne klafften einige Lücken. Martin Laimer, dem Pendler zwischen den Kontinenten, war — wie allen anderen Passagieren — die junge, alleinreisende Frau bereits aufgefallen, bevor sie von der Stewardeß zu einem der bequemen Sessel in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eingewiesen wurde. Er grüßte die Mitreisende mit einem höflichen Kopfnicken und einem knappen Lächeln. Laimer begegnete ihr so wie allen Menschen seiner Umgebung: höflich, doch distanziert. Er empfand es als angenehm, daß sie nichts dazu tat, diesen unpersönlichen Status zu ändern. Der Spitzenmann der elektronischen Industrie haßte es, von Menschen, die er nicht kannte, in Gespräche verwickelt zu werden, die ihn nicht interessierten. Später amüsierte ihn, wie die junge Frau die mehr oder weniger geschickten Annäherungsversuche männlicher Mitpassagiere ins Leere laufen ließ; sie wirkte dabei weder arrogant noch schnippisch — sie zeigte Haltung, Reserve, Individualität.

Das konnten auch andere Damen vorweisen, aber wenige im Alter dieser jungen Frau im anthrazitfarbenen Reisekostüm. Diese Beobachtungen machte der Unternehmer mehr aus Gewohnheit, denn aus Neugier. Erst viel später kam ihm der Verdacht, daß ihn die ungewöhnliche Passagierin neben ihm vom ersten Moment an beschäftigt haben könnte.

Wenn es der Fall war, hatte Martin Laimer jedenfalls nichts dazu getan, weder stumm mit den Augen und schon gar nicht mit Worten. Der Mann aus New York und Düsseldorf, zu Hause in aller Welt, flog zum erstenmal mit einem Jumbo-Jet und begann die Annehmlichkeiten des Riesenvogels zu genießen. Das Düsengeräusch war gedämpft, Windböen konnten dem Großraumflugzeug weit weniger anhaben als anderen Maschinen, und oben, über eine Wendeltreppe erreichbar und gleich hinter dem Cockpit, erwartete die Erste-Klasse-Passagiere eine kleine Cocktailbar. Der Vielbeschäftigte empfand es als angenehm, nicht, weil er sich aus Trinken viel gemacht hätte, sondern weil er nicht stundenlang im Sessel sitzen, sondern sich während des Fluges an Bord ein wenig bewegen konnte.

Seine schöne Nachbarin las das »Time«-Magazin; er empfand es wohltuend, daß sie nicht rauchte und auch den von der Stewardeß angebotenen Sekt zurückwies, wiewohl er ihr kaum so nahe kommen würde, daß ihn Nikotinatem und Alkoholgeruch stören könnten. Sie las interessiert und intensiv und wirkte dabei intelligent, doch durchaus nicht intellektuell.

Sie griff nach der nächsten Zeitschrift: »Fortune«, das bekannte US-Wirtschaftsmagazin.

Sie sah auf das Titelblatt — und stutzte, betrachtete den Mann auf dem Cover mit den buschigen Augenbrauen und den vollen, leicht gewellten Haaren.

»Sind Sie das?« fragte sie und hob die Zeitschrift so, daß der Mitreisende sich wie in einem Spiegel sehen konnte.

»Ganz recht«, bestätigte er, offensichtlich erstmals mit der »Fortune«-Titelstory konfrontiert. »Aber sagen Sie es bitte nicht weiter.« Seine Nachbarin nickte ihm zu. »Ich hab’ dieses Exemplar druckfeucht am Airport erworben«, erklärte sie. »Sorry — aber jetzt werde ich mich mit Ihrem Steckbrief befassen.«

Martin Laimer hatte natürlich gewußt, daß die Zeitschrift demnächst einen Artikel über ihn bringen würde, aber er war ein Mann, der nicht selbst las, sondern lesen ließ — dafür hatte er eine Presseabteilung. Erst wenn sie ihn darauf aufmerksam machte, daß eine Veröffentlichung wichtig sei, befaßte er sich mit ihr.

Fünf Monate lang haben wir uns um ein Gespräch mit dem Außenseiter, Aufsteiger und Tycoon der elektronischen Branche bemüht Fast erschien es uns leichter, an den US-Präsidenten in Washington oder an den Papst in Rom heranzukommen als an Mr. Laimer in New York. Schließlich stellte er sich diesem Gespräch unter der Auflage, daß es nicht länger als dreißig Minuten dauere. Daß es dann doch siebenundvierzig wurden, verdanken wir ausschließlich der Tatsache, daß einer unserer Reporter als ausgesprochener Computer-Freak auftreten konnte.

Der einundsechzigjährige Alleinherrscher eines erstaunlichen Konzerns wirkt zehn Jahre jünger, hat graue Augen und trägt grundsätzlich nur blaue Anzüge, als litte er an einer Art Matrosen-Sehnsucht. Sicher würde er auch als Seemann auf der Kommandobrücke stehen.

Im Gespräch erweist sich Mr. Laimer als abwartend, konzentriert, wie auf dem Sprung. Er reist mit einem US-Paß oder mit deutschen Personalpapieren; er ist ein deutscher Amerikaner oder ein amerikanischer Deutscher, vermutlich weiß er das selbst nicht genau, weil ihm die Zeit fehlt, darüber nachzudenken. Der Unternehmer, eine repräsentative Erscheinung, wirkt durchaus unauffällig.

Vor zwanzig Jahren hatte ›Siemens‹, der mächtigste deutsche Elektro-Trust, versucht, die Einzelfirma Laimer aufzukaufen und ihn als Berater auf Lebenszeit zu gewinnen. Der Alleinherrscher rang erbittert um seine Selbständigkeit und setzte sich schließlich durch.

Vor zehn Jahren wollte der US-Riese IBM Mr. Laimers Lebenswerk schlucken, aber da war der Brocken bereits zu groß geworden. Tatsächlich hat der Mann aus Germany, der in seinen Anfängen von den Fachleuten nicht ernst genommen worden war, inzwischen seiner Konkurrenz das Fürchten beigebracht. Im Krokodilsteich dieser Branche braucht Mr. Laimer sich heute nicht mehr zu ängstigen, aufgefressen zu werden; eher beißt schon er selbst einem anderen Reptil ein Bein ab …

Die Leserin mit den sanftbraunen Augen und den halblangen Haaren blätterte um.

»Schlimm?« fragte der Passagier neben ihr.

»Keineswegs«, erwiderte sie. »Durchaus schmeichelhaft — bis jetzt«, entgegnete sie und las weiter:

Mr. Laimer macht Riesengewinne, aber Geld hat für ihn nur den Zweck, seinen Konzern immer weiter zu vergrößern. Seine schon manische Arbeitswut erlaubt ihm kein Privatleben. Er kommt so wenig zum medizinischen Check-up wie zum süßen Leben. Über den Tycoon, seit zwei Jahren Witwer, gibt es nicht einmal Gerüchte, Affären betreffend. Er ist, wieman in seiner Heimat sagt, ein Dickschädel, der sich ungern in seine Geschäfte hineinreden läßt, aber dabei auch nicht der unnahbare Boß. Er hat sich eine Crew erstklassiger Entwicklungs-lngenieure herangebildet. Er verwöhnt — zum Ärger anderer Firmen — seine Mitarbeiter durch einzigartige Sozialleistungen, nicht nur pekuniär, sondern auch psychologisch; so steht er zum Beispiel jeden Tag beim Lunch in Reih und Glied am Eßbüfett und weigert sich, bevorzugt bedient zu werden.

Privatleben, wie gesagt: Fehlanzeige. Die einzige Tochter des Unternehmers und sein Enkelkind leben in Deutschland — es besteht Grund zur Annahme, daß er seine Entwicklung-Ingenieure und Direktoren häufiger sieht als seine nächsten Angehörigen …

»Hier«, sagte die Mitreisende und schob Laimer die »Fortune«-Ausgabe mit dem Datum von heute zu. »Sie sind ja fast schon eine Legende, Mr. Laimer.«

Eine halbe Stunde später saßen der Mann und die Schöne nebeneinander an der Cocktailbar und tranken Kaffee. Sie führten ein Gespräch, das zunächst vorwiegend aus Pausen bestand. Der erfolgreiche Unternehmer hatte wenig Erfahrung im Umgang mit Frauen, aber er war ein ausgezeichneter Menschenkenner; schon bald fiel ihm bei dieser Endzwanzigerin eine Ausstrahlung von Schwermut und Einsamkeit auf.

»Pardon, Mr. Laimer«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Ich bin ziemlich ungesellig. Ich war früher nicht so, aber —« Sie wollte abbrechen, doch ihr Begleiter ermunterte sie zum Weitersprechen. »Ich habe vor einem Jahr einen Freund verloren — eigentlich war er für mich viel mehr als ein Freund — und ich komme über den Verlust einfach nicht hinweg.«

»Es tut mir leid«, erwiderte der Mann im blauen Anzug und ärgerte sich, daß es ihm nicht gegeben war, eine herzlichere Teilnahme zu bekunden.

»Übrigens war der Mann, um den ich trauere, ein Geschäftsfreund von Ihnen«, erklärte die junge Frau mit einem wehmütigen Lächeln. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie mit meinem Privatleben belästige — ich spreche nie darüber, ich hab’ auch keinen Menschen, an den ich mich wenden könnte —«

»Sie sagten, ein Geschäftsfreund von mir?«

»Ja«, erwiderte sie und setzte mit einem traurigen Lächeln hinzu: »Mr. Palance hat gelegentlich über Sie gesprochen.«

»Palance?« Laimer fixierte seine Gesprächspartnerin, als sähe er sie zum ersten Mal. »Dann sind Sie —«

»— die Frau, derentwegen Phil das Ruder seiner Firma aus der Hand gegeben hatte. Ich heiße Ilonka Bauer und mache mir große Vorwürfe, daß ich ihn nicht davon zurückgehalten habe.«

»Unnötig«, entgegnete der frühere Geschäftsfreund. »Phil war alt genug, um zu wissen, was er tat. Und Sie sind noch so jung und —« Erstmals ohne Absicht legte er seine Hand auf ihren Arm, sie zog ihn nicht zurück. »Wenn sich Phil noch äußern könnte«, setzte er nachdenklich hinzu, »meinen Sie, er würde die letzte Zeit mit Ihnen gegen sein vorheriges Leben eintauschen wollen?«

»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Ilonka mit glänzenden Augen. »Trotzdem — vielleicht würde er — andernfalls noch leben —«

Laimer hatte bei der Palance-Beerdigung gefehlt, weil er zu dieser Zeit von Geschäftsgesprächen in Peking festgehalten wurde. Als er aus dem Reich der Mitte zurückkehrte — selbstverständlich mit drei neuen Verträgen — war er ungehalten über das unverschuldete Versäumnis. Zum Erstaunen seiner Mitarbeiter fuhr er noch vor der angesetzten Konferenz mit Blumen auf den Armenfriedhof von Brooklyn. Und jetzt saß Martin Laimer der jungen Frau gegenüber, die Phils letzte Liebe gewesen war, seine größte — seine endgültige.

»Ja, Mrs. Bauer«, bestätigte er. »Phil war einer unserer wichtigsten Zulieferanten, aber darüber hinaus wurden wir mit der Zeit auch so etwas wie Freunde.«

»Vielleicht eine Art Wahlverwandtschaft«, versetzte Ilonka.

»Sie sind ja ein verteufelt kluges Kind«, entgegnete er.

»Ist man mit neunundzwanzig noch ein Kind?«

»Sorry«, entschuldigte er sich. »Sicher nicht.«

Laimer hatte morgen eine wichtige Geschäftsbesprechung in Frankfurt. Um den Zeitunterschied zu verkraften, flog er in solchen Fällen einen halben Tag früher als unbedingt nötig. Statt sich, wie sonst, auszuruhen, lud er Phils letzte Liebe zum Abendessen ein.

»Ich hoffe, Sie mißversteher mich nicht«, legte er die Grenzen fest. »Ich habe es immer als bedrückend empfunden, daß ich von Phil keinen Abschied genommen hatte — und Sie brauchen vielleicht einen Menschen, mit dem Sie über ihn sprechen können.«

»Ich verstehe Sie sehr wohl, Mr. Laimer«, entgegnete Ilonka. »Und ich möchte Ihnen herzlich danken.«

Von da ab begann für beide eine seltsame Zeit. Sie näherten sich einander auf großen Umwegen, voller Hemmungen. Zwar verabredeten sie sich immer wieder, aber dabei schienen sie sich irgendwie aus dem Weg zu gehen. Laimer sah, wie die junge Frau noch immer unter dem plötzlichen Tod eines Unersetzlichen litt, und es beeindruckte ihn ungemein. Takt und Pietät schlossen eine bestimmte Art von Annäherung an Ilonka aus.

Der Himmelsstürmer war in seinem Leben nicht immer der absolute Mönch gewesen, als den man ihn schilderte — auch Mönche können sündigen, wenn auch selten und unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Laimer spürte zunehmend Verliebtheit und Mißtrauen gegen eine so früh Perfekte, vor allem aber Mißtrauen gegen sich selbst, weil er an Ilonka keine Fehler entdeckte.

Er hatte sie nie beim Lügen oder auch nur beim Flunkern ertappt. Was immer sie tat oder sagte, war überlegt, mitunter sogar überlegen. Immer mehr entsprach sie dem Traumbild einer Frau. Aber hatte er sich denn jemals ein weibliches Idol zurechtgelegt? Wenn der Mensch sich seinen Gott schnitzt, wird es ein Götze. Huldigte der Selfmademan bereits einer Art Heidenkult? Oder Hexenkult? Oder Liebeskult? Martin Laimer begann zu rechnen; er brauchte keines seiner Produkte, um auf den genauen Altersunterschied zu kommen, Er fühlte sich jung und gesund, doch nun hingen auf einmal die Jahre an ihm wie Trimmgewichte.

Sie kam, sah und siegte — über seine Zweifel und Befürchtungen.

Ihr Wunsch, sich diskret zu treffen, kam ihm entgegen. Und Ilonka wurde immer reizvoller, unwiderstehlicher und bei aller Anpassung dominanter. Die Gegenwart geriet zum Duell mit seiner Vergangenheit. Der Traum vom neuen Leben vergriff sich an seinem bisherigen Lebenswerk. Da Laimer keinen Weg sah, der zu Ilonka führen könnte, trug er den berühmten Kampf mit den Windmühlenflügeln aus: Don Quichotte mußte ihn verlieren, aber er spürte, daß er ihn eines Tages gewinnen könnte — auch wenn es ein Pyrrhus-Sieg würde.

Inzwischen waren die beiden echte Freunde geworden, die mit der Zeit mehr über sich sprachen als über den toten Phil Palance. Einer der albernsten Gemeinplätze ist zugleich einer der zutreffendsten: Das Leben geht weiter. Und so avancierte Laimer vom Tröster zu einem Kandidaten.

Ilka mußte es längst bemerkt haben, aber sie tat nichts dagegen. Schlag um Schlag zertrümmerte Martin Laimer die Tabus seines Lebens: Er liebte, wohl zum erstenMal stand er zwischen himmelhoch jauchzend — zu Tode betrübt. Im Gegensatz zur Anfangszeit ihrer Bekanntschaft machte er jetzt zwei Schritte vor und nur einen zurück — und der scheinbar an der Torheit gestorbene Phil Palance klopfte ihm dabei wie ein Komplize auf die Schulter.

Martins Körper putschte gegen seine Zurückhaltung. Wenn er die junge Frau ansah, spürte er eine Gänsehaut auf dem Rücken. Nachts begann er von ihr zu träumen, aber schlimmer wurde es, als er bei wichtigen Besprechungen ins Leere blickte, ihre Nähe spürte und die Freundin gewaltsam aus dem Paradies verschwommener Träume vertreiben mußte. Der Einundsechzigjährige konnte Jahre addieren und abziehen wie er wollte, der Trieb rechnete nicht nach Adam Riese.

Bisher hatte Ilka, um — wie sie sagte — ihre Selbständigkeit zu wahren, keine Geschenke außer Kleinigkeiten und Blumen akzeptiert; ihr Aufwand ließ erkennen, daß sie auf Alimentation auch nicht angewiesen war. Trotzdem fand der beherrschte Bewerber ihre extreme Zurückhaltung lächerlich und verkrampft. Er ging zu »Tiffany«, New Yorks berühmten Juwelier in New Yorks berühmtester Straße, der Fifth Avenue, und erstand ein besonders hübsch und kostspielig gearbeitetes Brillantkollier, das er geduldig unter den Kreationen, des Hauses selbst aussuchte. Auch die persönliche Zutat, ein paar herzliche Zeilen, fehlte nicht. Er ließ das fürstliche Präsent auf den Boden einer Orchideenschachtel verpacken.

Er war einer der letzten Kunden dieses Tages gewesen und fuhr mit dem Taxi an die Ostseite des Central Parks, wo Phils morganatische Witwe ein herrliches Penthouse-Apartment bewohnte. Nach Osten und Süden hatte sie einen faszinierenden Ausblick auf Manhattans wilde Häuserschluchten und verwegene Wolkerlkratzer. Auf der Westseite wohnte sie weit über der Gipfelhöhe der Bäume, ganz im Grünen.

»Du verwöhnst mich schrecklich, Martin«, empfing sie den Freund mit ihrem betörenden Grübchen-Lächeln. »Herzlichen Dank«, setzte sie hinzu und küßte ihn auf die Wange. Sie stellte das Blumengebinde auf eine Vitrine. »Das hast du nun von deiner Verschwendungssucht«, fügte sie mit zärtlichem Tadel hinzu. »Ich muß erst eine Orchideenvase freimachen.« Mit ihrem Einfuhr lungsvermögen erfaßte Ilonka, daß der Besucher in Eile war. »Du kannst dich heute abend nicht freimachen?«

»Leider nicht«, erwiderte er. »Aber wenn du willst, könnten wir morgen nach dem Lunch Zusammensein.«

»Und ob ich das möchte«, entgegnete sie. »Hier. Ich will dir auch einmal eine Kleinigkeit schenken.« Sie überreichte Martin ihren Hausschlüssel. »Du kannst künftig kommen, wann du willst. Wenn ich nicht da bin, überlasse ich dir auf einem Zettel, wo du mich triffst.«

Es war eine Schlacht mit verkehrten Fronten. Der Unternehmer zog als Beschenkter ab, zunächst ein wenig enttäuscht, daß Ilonka das schöne Stück aus Tiffänys Kollektion nicht gleich entdeckt hatte. Aber vielleicht war es besser so, denn sie könnte zunächst zornig werden. Ilonka war sehr ordentlich; sicher würde sie die exotischen Blumen gleich ins Wasser stellen und dabei seinen Brief und sein Präsent entdecken. Er hielt ihren Hausschlüssel noch immer in der Hand, mit dem er nunmehr jederzeit ein Paradies aufschließen konnte, das er sich bislang selbst verwehrt hatte.

Bei ihrer nächsten Begegnung würde Ilonka sein Kollier tragen, und wenn man einen Menschen über die Maßen mag — Martin Laimer unterdrückte noch immer die Erkenntnis, daß er längst Phils Hinterbliebene liebte —, brennen auch die kleinen Momente des Lebens wie Freudenfeuer.

In diesem Spätsommer erlebte New York eine Schönwetterperiode. Ein Tag war schöner als der andere. Laimer flüchtete förmlich auf dem Weg vom Taxi zu Ilonkas Hauseingang. Er ließ sich mit dem Lift hochkatapultieren, klingelte stürmisch, aber nichts rührte sich, bis ihm einfiel, daß er nunmehr ja einen Schlüssel besaß.

Er sperrte auf und fand die Freundin auf ihrer Terrasse beim Sonnenbaden — und wenn man einen Bikini anhat, trägt man keinen Schmuck. Der Besucher stellte es nur flüchtig fest. Er betrachtete den geschmeidigen Körper mit der gebräunten Haut, Das Verlangen überflutete ihn wie ein Sturzbach.

»Warum starrst du mich so an?« fragte Ilonka lachend.

»Wie — wie seh’ ich denn aus?«

»Verwirrt und bedrängt«, entgegnete sie.

»Das bin ich auch«, gestand der Mann mit rauher Stimme; er atmete schwer. Sein Blick konnte sich nicht von dem herrlich gewachsenen Körper lösen. Die Selbstbeherrschung, die Übung seines Lebens, trieb Schindluder mit ihm. Er kannte Ilonkas Körper schon, bevor ihn seine Hände erschlossen hatten, jetzt aber spürte er die Sehnsucht auf seiner Haut wie einen Flächenbrand. »Du siehst ja zum Fürchten aus«, sagte sie neckend, »aber sei unbesorgt, ich fürchte mich nicht.«

»Du bringst mich völlig durcheinander —«

Sie gab sich kokett. »Es wäre doch wohl auch ziemlich traurig, wenn ich das nicht täte. Oder meinst du nicht?« Übergangslos setzte sie hinzu:»Aber ich muß mit dir sprechen. Es ist wichtig.« Sie erhob sich, eilte in den Wohnraum, um etwas zu holen. Als sie an ihm vorbeiging, roch er den Duft ihrer Haut. Er mußte an sich halten, um sie nicht an sich zu reißen.

Sie kam sofort zurück, überreichte dem Verständnislosen die Quittung einer gemeinnützigen Gesellschaft zur Bekämpfung der Kinderlähmung, ausgestellt auf eine Summe von rund zehntausend Dollar. »Wie du am Datum siehst, habe ich das heute einbezahlt.«

»Bist du denn so reich?« fragte er unkonzentriert.

»Zehntausend Dollar sind genau neunzig Prozent des Betrags, den du gestern bei ›Tiffany‹ für dieses herrliche Brillantkollier bezahlt hast. Zehn Prozent Verkaufsprovision hat der Juwelierladen einbehalten. Für die anderen neunzig Prozent danke ich dir herzlich — im Namen der an Polio erkrankten Kinder, denen mit dem Betrag geholfen werden soll.« Ilonka beobachtete ihn sorgfältig;, sah, daß er zunächst überrumpelt, dann verärgert und zuletzt beeindruckt war. »Ich weiß, daß du ein vielfacher Millionär bist — oder vielleicht sogar noch mehr. Abgesehen davon, daß ich den armen Kleinen wirklich helfen will, mußte ich dir ein für allemal im Interesse unserer — unserer Beziehung eine Lektion erteilen.«

»Ich versteh’ dich nicht ganz«, entgegnete Laimer ich gebe dir einen Blankoscheck für kranke Kinder oder sonst einen guten Zweck, und du kannst von mir aus die zehnfache Summe oder auch mehr einsetzen.«

»Die Wohltätigkeit war letztlich doch nur mein zweites Motiv —« Der Unternehmer schüttelte den Kopf.

»Ich möchte dir etwas sagen«, fuhr sie fort. »Du kannst mich haben, wann immer du willst, wo du willst und wie du willst. Aber —« Ilonka spuckte das Wort aus wie ein Sandkorn. »Gratis!«Sie provozierte Martin Laimer. »Du brauchst nicht verlegen zu werden. Du solltest mir nur eine Antwort geben. Also«, sagte sie und ging aggressiv auf ihn zu:»Willst du mich haben — oder nicht?«

»So diabolisch kann man doch nicht fragen.«

»Also nein.«

Er schüttelte den Kopf. »Also ja?«

»Ich bin kein junger Spring-ins-Feld mehr. Eine Entscheidung von solcher — solcher Gewichtigkeit will überlegt sein — in deinem Interesse, Ilonka«, entgegnete er.

»Wie lange überlegen wir schon?«

»Ziemliche Zeit«, entgegnete Laimer.

»Ich möchte heute dir gegen dich selbst beistehen: Entweder du verführst mich«, attackierte sie ihn. »Oder ich dich. Ich will dich haben, ohne Wenn und ohne Aber, und zwar sofort, auf der Stelle.«

»Du — du bist großartig«, stöhnte er.

»Weil ich dich liebe«, antwortete sie.

Sein Widerstand war am Ende; er war entschlossen, sich auf das Hochseil ohne Netz zu schwingen — er war nicht schwindelfrei —, aber auf der anderen Seite stand Eva, stand Aphrodite, stand Ilonka.

Sie hatte ihn aus seiner Erstarrung gebrochen.

Er hob sie auf die Arme, trug sie in das Schlafzimmer und legte sie behutsam auf das Bett. Ihre Augen und ihre Hände hielten sich im Clinch fest. Sie überstürzten nichts. Wie bestellt strömte aus dem Radio eine zärtliche Melodie in den Raum: As time goes by, das Leitmotiv des berühmten Kultfilms »Casablanca«.

Wie auch die Zeit vergeht —

you must remember this — du mußt daran denken —

a kiss is still a kiss — ein Kuß bleiht ein Kuß —

a sigh is still a sigh — ein Seufzer bleiht ein Seufzer —

the fundamental things apply — die wesentlichen Dinge blei-

ben — as time goes by — auch wenn die Zeit vergeht —

»Unser Lied«, sagte Ilonka und sah ihn immer noch unverwandt an, auch als er in sie eindrang und sie, sich an den Händen haltend, abstürzten und einzogen in die irdische Glückseligkeit — in New York, vor dreieinhalb Monaten.

»Turn up!« forderte der Fahrgast jetzt in Bangkok den Taxi-Fahrer auf, das Radio lauter zu drehen. Der Wagen hatte soeben die Einfahrt zum ›Dusit Thani‹-Hotel erreicht.

As time goes by, tönte es aus dem Äther, und der Mann am Steuer, gewohnt, alle Wünsche der Farangs auszuführen, ohne lange darüber nachzudenken, drehte die Musik lauter auf: When two lovers woothey still say I love you, brodelte es in den Fond, als der Wagen vor dem Hotel hielt. ›And that you can rely, no matter what the future brings — time goes by‹, summte Ilonka mit. »Unser Lied«, sagte Martin, als sei es für sie beide gespielt worden. Sowie der Evergreen gespielt wurde, ihre September-Melpdy, wurden sie die Liebenden von Casablanca, wiewohl der Mann nicht aussah wie Humphrey Bogart und die junge Frau nicht wie Ingrid Bergman. Sie blieben noch im Taxi sitzen, bis ihr Leitlied von einem anderen Song abgelöst wurde.

Der Fahrer bezog ein fürstliches Trinkgeld, aber er wunderte sich längst nicht mehr über die Fremden. Der Portier grüßte ehrerbietig. Die beiden fuhren zu ihren Apartments mit der geöffneten Verbindungstür hoch.

»Zu mir oder zu dir?« fragte Ilonka.

»Das ist egal«, erwiderte Laimer, »Hauptsache, wir schlafen zusammen.«

»Du machst Fortschritte«, entgegnete sie. »Solche Worte wären dir vor neunundachtzig Tagen noch nicht über die Lippen gekommen.«

»Da glaubte ich ja auch noch, ich sei zu alt für dich«, erklärte er.

»Unsinn«, konstatierte Ilonka. »Du bist der jüngste Mann, den ich kenne —«

»Kennst du viele?« fragte er und spürte die Eifersucht wie eine Stichflamme.

»Einige«, entgegnete sie. »Ich bin bald dreißig — müßte ich noch Jungfrau sein?«

»So habe ich das doch nicht gemeint.«

»Selbst auf die Gefahr hin, daß du eingebildet wirst, muß ich dir etwas gestehen, Martin«, sagte Ilonka. »Ich habe noch bei keinem Mann so etwas empfunden wie bei dir — nicht annähernd so umwerfend, so überwältigend —«

»Und du hast ausreichende Vergleichsmöglichkeiten?« bohrte er, wiewohl ihn ihre Eröffnung beglückte.

»Laß doch diese überflüssigen Fragen«, konterte sie. »Was war, zählt nicht, allein zählt unsere Gegenwart.«

»Und unsere Zukunft«, bestätigte Laimer. »Ich hab’ dich lieb, Ilka. Und jetzt muß ich dir auch etwas gestehen: Das hab’ ich noch niemals zu einer anderen gesagt.«

»Auch nicht zu deiner Frau?«

»Zu keiner Frau«, behauptete der Unternehmer, und es war ihm anzusehen, daß er nicht log.

Dann schwieg er, an Worten kauend.

»Woran denkst du?« fragte Ilonka.

»An uns«, erwiderte er.

»Meinst du nicht, daß du heute abend vor deinen Freunden —«

»— vor meinen Bekannten«, verbesserte er sie.

»— mit deinen Zukunftsplänen ein wenig zu weit gegangen bist?Jedenfalls warst du ziemlich voreilig.«

»Ich möchte, daß du meine Frau wirst, Ilka, und daß es alle Welt so rasch wie möglich erfährt.«

»Aber warum denn?« versetzte sie. »Du hast mich doch.«

»Sicher«, erwiderte er unsicher. »Ich begreife nur nicht, was du gegen eine amtliche Bestätigung haben könntest.«

»Vielleicht möchte ich nicht zweimal den gleichen Fehler begehen«, erklärte die Frau seines Lebens. »Ich habe viel Lehrgeld dafür bezahlt. Ich denke nicht daran, dich aus deiner Firma und aus deiner Familie zu reißen —«

»In meinem Unternehmen habe ich vorgesorgt«, erklärte Laimer. »Du hast den ›Fortune‹-Artikel gelesen. Ich kann den Konzern ja auch am langen Zügel leiten.«

»Und deine Tochter?Dein Enkelkind?« »Das wird sich regeln lassen«, versetzte er.

»Dich hat’s mindestens genauso erwischt wie mich«, stellte Ilka fest, »Du bist ja richtig verliebt. Komm, laß uns etwas daraus machen —«

»Du sagst also nicht grundsätzlich nein?« drängte er.

»Ich sag’ auch nicht grundsätzlich ja«, erwiderte Ilonka; sie ging in das Badezimmer und rief durch die offene Tür:»Ich will dich, mit Haut und Haaren — und nicht auf dem Papier.«

Er sah ihr nach, verzaubert, überwältigt.

Seit er Ilka liebte, lebte er. Immer wieder schlugen die Wellen des Glücks über ihm zusammen, und immer wieder tauchte er danach auf wie neugeboren.

Martin Laimer wußte, daß das Glück seinen Preis hatte, und er war bereit, ihn zu entrichten.

Adams Letzte

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