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VI
ОглавлениеDen nächsten Tag läßt der Frühling in München ausfallen. Der Wind schneidet sich an den Ecken der Häuser. Es riecht nach Moder und Müll. Immer wieder fegen Böen durch die Straßen und fauchen den Passanten Sand in die Augen. Wenigstens bleiben ihnen so die zahlreichen Wahlkampfplakate mit den geschönten Politikergesichtern und den verlogenen Parolen erspart.
Nach einer langen Nacht und drei Stunden Schlaf ist Schmeißer, Kamossas Spürhund, schon wieder auf den Beinen. Er hat sich durch das Studium von Archivmaterial auf den umstrittenen Enthüllungspublizisten Peter Raguse vorbereitet wie auf ein Examen. Er kennt seine Arbeitsweise, seine Lebensumstände. So weiß Schmeißer, daß der Mann im zweiten Stock eines Altbaus in Schwabings Isabellastraße wohnt, ein typischer Nachtarbeifer ist, der lange in den Vormittag hinein schläft und dann in einem Straßencafé an der Ecke ein spätes Frühstück einnimmt.
Der Detektiv hat sich das Bild Peter Raguses eingeprägt. Er ist sicher, ihn zu erkennen. Er wird ihm an einem der Nebentische auflauern, ihn ansprechen. Er weiß, daß er diesen hartgesottenen Burschen weder einkaufen noch einschüchtern kann, zumindest nicht auf die übliche Tour. Raguse ist mit Sicherheit der schwierigste Typ, mit dem er je zu tun gehabt hat. Er muß vermeiden, daß die erste Begegnung mit dem Problematischen bereits zu einem Zusammenstoß führt, und frißt vorsorglich Kreide.
Niemand sieht dem Ermittler an, daß er vor Ort herumschnüffelt. Raguses Nachbarn, mit denen er ins Gespräch kommt, merken nicht einmal, daß sie ausgefragt werden. Der Mann, der so viele Schlagzeilen machte, lebt hier zurückgezogen, weitgehend unbeachtet in einem großen Wohnhaus, auf dessen Tür ein Schild die Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Walter Endrichs anzeigt. Nur wenige wissen, daß der Ziegenbart der umstrittene Skandalpublizist ist. Man hält Raguse in seiner Umgebung für einen typischen Schwabinger, der nur dadurch auffällt, daß er viel auf Reisen ist. Sein Privatleben wird seinem Verfolger so farblos geschildert, als führte er keines. Gelegentlich sieht man Raguse im lebhaften Gespräch mit Kumpanen in Schwabinger Kneipen, Keine Streitereien, keine Alkoholexzesse, keine Mädchen-Affären.
Der Mann scheint so auf seine manischen Nachforschungen fixiert, daß er am Leben vorbeigeht. Zu Hausbewohnern ist er höflich. Die Miete zahlt er pünktlich, Besuch bekommt er selten. Als einziger Vorwurf klingt ab und zu bei den Nachbarn durch, daß er gepflegter aussehen könnte.
In einem Reisebüro in der Nähe erfährt Schmeißer, daß der Ausgeforschte seine Tickets meistens hier kauft. Die letzte Reise vor etwa drei Wochen führte ihn nach New York.
Hier gibt es noch viel zu klären, aber das wird Schmeißers Helfern überlassen, die er nach diesem Gespräch hinzuziehen muß. Er hat schon öfter mit einer fähigen Auskunftei zusammengearbeitet, ihr wird er den Auftrag erteilen, den professionellen Entlarver rund um die Uhr zu beschatten.
Der Rechercheur hat seinem Gesicht einen beinahe dümmlichen Ausdruck aufgesetzt. Er wird diese Berufsmaske zumindest so lange tragen, bis er dem Aufgelauerten begegnet.
Wieder wirbelt der Wind Staub auf. Schmeißer reibt sich den Schmutz aus den nassen Augen. Er sieht noch genug, um vor einem Zeitungsstand unvermittelt stehenzubleiben:
Auf einem wie ein Steckbrief aufgemachten Werbeaushang der ›Bild‹-Zeitung prangt das Foto seines Auftraggebers. Darunter steht:
Henry kamossa in bedrängnis?
Es ist das falsche Fahndungsplakatp, pdas die Polizei gestern in Ascona, im Ferienparadies der Millionäre, sichergestellt hat. Der letzte Börsencoup mit den Grams-Aktien scheint dem allgewaltigen Finanz-Jongleur kein Glück zu bringen. Bei mehreren Zeitungen, auch in unserer Redaktion, sind anonyme Briefe eingegangen, in denen schwere Vorwürfe gegen den Wirtschafts-Giganten erhoben werden. Es ist nicht aüszuschließen, daß mit diesen genau aufeinander abgestellten Aktionen, von Neidern und Intimfeinden ein Kesseltreiben gegen den prominenten Aufsteiger eingeleitet wirdp.
Das Pseudo-Fahndungsplakat muß ›Bild‹ schon zugespielt worden sein, bevor es in Ascona angeschlagen wurde. Schmeißer kauft wahllos mehrere Zeitungen und geht weiter. Michael Buddes Befürchtungen über eine konzertierte Schmutzaktion gegen Kamossa scheinen sich zu erfüllen. Vermutlich betreibt ein unbekannter Drahtzieher – womöglich aus der engsten Umgebung – aus dem Hintergrund auf verschiedenen Ebenen und von mehreren Seiten den Rufmord.
Der Rechercheur nimmt nicht an, daß ein Mann wie Raguse an so kindischen und durchsichtigen Aktivitäten teilnimmt – aber der Unbekannte könnte dem Enthüllungsspezialisten bisher unbekanntes Material zugespielt haben, um ihn in seinen Dschungelkrieg einzüspannen.
Viel zu früh begibt sich Schmeißer in das kleine Café. Er weiß, daß der tägliche Gast sich immer am Stammtisch niederläßt. Er nimmt daneben Platz, ordert Kaffee, vertieft sich in die Zeitungen.
Er braucht nicht lange zu warten.
Er erkennt den Eintretenden in der schäbigen Lederjacke schon in der Tür, einen hageren Mann mit eingefallenen Wangen, der aussieht wie ein Magenkranker. Verwilderter Haarwuchs, struppiger Ziegenbart, die ungesunde Gesichtsfarbe des Nachtarbeiters und Kettenrauchers.
Ohne Raguse nach seinem Wunsch zu fragen, serviert ihm die Kellnerin Kaffee, Brötchen, zwei Eier im Glas – für einen Magenkranken hat er einen gesunden Appetit.
Während er zerstreut in seiner Tasse herumrührt, beginnt er mit der Zeitungslektüre.
Schmeißer läßt ihm etwas Zeit, erhebt sich dann und tritt an ihn heran. »Entschuldigen Sie, Herr Raguse«, sagt er und stellt sich mit einem unverständlichen Namen vor. »Dürfte ich Sie für einen Moment stören? Es ist wichtig.«
Der Angesprochene liest seine Zeitung weiter, ohne aufzusehen. »Können Sie mir sagen«, erwidert er dann und weist auf eine Meldung in der ›Süddeutschen Zeitung‹, »was eine neunköpfige Studienkommission des Bayerischen Landtags in Zentralafrika zu suchen hat?«
»Vielleicht wollen sich die Abgeordneten davon überzeugen, daß die Neger schwarz sind.«
Raguse betrachtet zum ersten Mal den untersetzten Störenfried und fordert ihn dann mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. »Was wollen Sie von mir?« fragt er und schiebt die Zeitung weg.
»Ich weiß, daß Sie sich wenig aus Geld machen«, beginnt Schmeißer direkt »trotzdem möche ich Ihnen ein veritables Geschäft vorschlagen.«
»Geschäft?« fragt Raguse uninteressiert. »Ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Namen sind Schall und Rauch«, versetzt der Privatdetektiv. »Was hätten Sie davon, wenn ich mich Ihnen als Hans-Peter Müller vorstellen würde?«
»Also daher weht der Wind«, antwortet der Ziegenbart. »Sie haben mit dem Kronwein-Verlag zu tun.«
»Ganz im Gegenteil.«
»Dann sind Sie von der Konkurrenz.«
»Richtig. Lassen wir zunächst einmal offen, welchen Verlag ich vertrete. Ich sage einstweilen nur, daß er finanziell durch und durch gesund ist.« Bevor ihn Raguse unterbrechen kann, fährt der Unterhändler fort: »Sie haben der Unternehmensgruppe Kronwein eine Option für eine Biographie übergeben, die morgen abläuft.«
»Woher wissen Sie das?«
»Geben Sie denn gleich einen Informanten preis?« fragt Schmeißer zurück. »Kronwein hat offensichtlich das vereinbarte Stillschweigen gebrochen. Sie können also aussteigen und morgen bei uns einsteigen.«
»Und dabei wieder eine Vereinbarung unterschreiben, die keinen Pfifferling wert ist?«
»Nein. Bestimmt nicht«, versichert der Schnüffler. »Wir würden für eine siebentägige Option statt 10 000 Mark 50 000 verlieren – und das ist auch für uns ziemlich viel Geld.«
»Kennen Sie denn das Manuskript?«
»Keine Zeile«, erwidert der Ermittler. »Aber ich weiß, was es enthält.«
»Das ist wohl auch nicht so schwer zu erraten«, versetzt der Journalist. »Hat Doppelschmidt geplaudert?«
»Der ist dafür zu korrekt.«
»Also, heraus mit der Sprache: Wen vertreten Sie?«
»Den Dreiweg-Verlag«, erwidert der Unterhändler. »Kennen Sie ihn?«
»Ganz guter Name. Aber die Leute sind ziemlich pleite.«
»Das stört Sie doch am wenigstens, Herr Raguse«, entgegnet Schmeißer. »Hinter diesem Verglagshaus steht jetzt eine Finanzgruppe, die es mit Geld reichlich versorgt.«
»Und die hat einen Namen?«
»Sicher.«
»Und ist erst seit kurzem tätig – und hat mit Henry Kamossa zu tun.«
»Möglich«, weicht der Rechercheur aus.
»Ja oder nein?«
»Ja«, erwidert Schmeißer in die Enge getrieben. »Der Finanzier ist gerade dabei, diesen Verlag zu erwerben.
»… um mein Manuskript über sich selbst zu kaufen, das er nicht kennt, aber fürchtet.« Raguse lacht halblaut. »Ein dicker Hund.«
»Eine offene Pokerpartie mit klarer Vorgabe«, entgegnet der Spürhund. »Ich will Sie hereinlegen, und Sie möchten mich begaunern.«
»Sie sind mir nicht sympathisch, aber Sie sind auch nicht dumm. Am widerwärtigsten sind mir Hohlköpfe«, stellt Raguse fest. »Wie war doch gleich Ihr Name?«
»Roland Schmeißer.«
»Das stellt ja alles klar.« Der Mann mit den struppigen Haaren liefert gleich Proben seines Wissens. »Sie sind Kamossas Hausschnüffler. Sie haben seinerzeit die pikanten Umstände des Flugzeugabsturzes vertuscht, Sie haben bei einer von Kamossas Ehescheidungen die Hauptrolle gespielt, Sie haben für ihn das Ding mit dem Nummernkonto in Zürich gedreht und diesen Abgeordneten«, – Raguse denkt einen Moment lang angestrengt nach –, »Grevenich – eingekauft und zum Überläufer gemacht. Wollen Sie noch mehr über sich hören?«
»Danke, das reicht.« Schmeißers verblüfftes Gesicht amüsiert den Ziegenbart. »Sie wollen mich hereinlegen«, erinnert ihn der Journalist. »Gut, fangen Sie endlich an.«
»Sie haben neue Wege beschritten und dabei Ihre Maske geändert. Sie haben keinen ernsthaften Versuch gemacht, Ihre Identität bei Doppelschmidt zu verbergen, sonst hätten Sie mit Sicherheit die richtige Verkleidung gefunden, zumal es sich bei dem Cheflektor mehr um einen sensiblen Theoretiker als um einen hartgesottenen Praktiker handelt. Sie nahmen mit Recht an, daß das Manuskript auf direktem Weg an Kronwein nach Ascona weitergereicht wird, wo sich zur Zeit auch Kamossa aufhält. Der Verleger, den Sie vermutlich in Ihrer Stoffsammlung ausgelassen haben, würde sich an Kamossa wenden und dadurch Reaktionen aüslösen, die Sie beabsichtigt haben. Sie haben uns – Kronwein, Kamossa und mich – dadurch gewissermaßen als Mannequins auf den Laufsteg geschickt und warten nun ab, was wir unternehmen werden, um es später zu veröffentlichen.« Er nickt Raguse zu. »Sie haben damit gerechnet, daß Sie von einem Verbindungsmann Kamossas aufgesucht werden. Vermutlich findet sich das Gespräch, das wir jetzt führen, später als Episode in Ihrem Buch wieder.«
»Gar nicht so dumm, dieser Gedanke.«
»Das war zunächst einmal Ihr Vorgehen. Bevor ich die erste Karte unseres Pokers ziehe, sollten Sie mir ein paar Fragen beantworten.« Da er nicht unterbrochen wird, fährt er fort: »Gibt es bereits ein endgültiges Manuskript?«
»Meine Arbeit ist etwa zu zwei Dritteln abgeschlossen. In höchstens, drei bis vier Monaten wird sie komplett vorliegen.«
Schmeißer nickt. »Es stand Ihnen bisher unveröffentlichtes Archivmaterial zur Verfügung – darüber hinaus haben Sie noch selbst recherchiert.«
»Allerdings. Und das war ziemlich kostspielig. Zum Beispiel bin ich nach New York geflogen, nur um mit der vierten Frau Kamossa zu sprechen.« Er bläst den Rauch aus. »Ich kann Ihnen sagen, es hat sich gelohnt.«
»Enttäuschte Frauen sind immer eine Fundgrube«, erwidert der Privatdetektiv. »Ich ziehe jetzt die erste Karte. Also: Optionsvorschuß 50 000 Mark. Nach Lieferung der ersten Hälfte des Manuskripts 100 000, bei Ablieferung des gesamten Werkes noch einmal 100 000 Mark Nichts Kleingedrucktes Änderungen nur mit dem Einverständnis des Autors. Falls das Buch nicht zum nächstmöglichen Termin erscheint – das wäre, falls Ihre Angaben stimmen, das Frühjahr nächsten Jahres –, fallen alle Rechte an Sie zurück,« Diesmal genießt der Unterhändler den verblüfften Gesichtsausdruck seines Gegenspielers.
»Das ist doch wohl Dampfgeplauder«, erwidert der Journalist dann.
»Keineswegs«, beteuert der Anbieter. »Sie können sofort eine Optionsvereinbarung machen, 50 000 Mark kassieren und dabei den Hauptvertrag festlegen, der Ihnen noch einmal 100 000 Mark bringt. Das wären 150 000 sofort auf die Hand. Weitere 100 000 Mark in zwei bis drei Monaten. Eine Viertelmillion also. Damit können Sie so viele Ermittlungen anstellen, wie Sie wollen, über uns oder über andere.« Er lotet Raguses Gesicht aus. »Der Pferdefuß bei der Sache ist, daß es keinen Pferdefuß gibt.«
»Also noch einmal«, erwidert der Journalist und wiederholt die Bedingungen.
»Entspricht genau meiner Offerte«, quittiert Kamossas Sendbote das Dacapo.
»Was hat eigentlich Ihr Auftraggeber davon?«
»Sie kennen doch diese Kapitalisten«, kontert der Schnüffler zynisch. »Sie schlagen sich noch das eigene Bein ab, wenn sie ein großes Geschäft wittern.« Sein Gesicht gerät vor Schadenfreude aus den Fugen. »Das haben Sie doch selbstgeschrieben.«
Das Café belebt sich mit Mittagsgästen; es bietet Eiligen, deren Arbeitsplätze in der Nähe liegen, ein preiswertes Menü. Fast alle Plätze sind jetzt besetzt. Ein vertrauliches Gespräch ist unmöglich geworden.
»Moment mal«, entschuldigt sich Raguse und betritt die Telefonzelle, um seinen Anwalt anzurufen, wie Schmeißer vermutet. Das Gespräch zieht sich in die Länge. Nach etwa sechs Minuten kommt der Ziegenbart zurück. »Gehn wir zu mir«, lädt er seinen Kontrahenten ein.
Schmeißer wirft einen Geldschein auf den Tisch und erhebt sich. Dann betreten sie das Haus, in dem Raguse wohnt, passieren die Anwaltskanzlei, gehen einen Stock höher. Das Arbeitszimmer ist mit Manuskripten übersät. Auf dem Tisch steht eine leere Kaffeekanne neben benutztem Geschirr. Der Aschenbecher quillt über. Der Journalist muß seinem Gast erst einen Stuhl freischaufeln.
Schmeißers Augen sind flinke Diebe, aber sie gehen leer aus. Raguse wühit unter seinen Papieren, zieht einen dikken Schnellhefter hervor.
»Das Manuskript«, sagt er und hält es dem Besucher vor wie einem Hund die Wurst, aber der Gefoppte schnappt nicht danach. »Es ist druckreif, auch wenn es noch ein paar Lücken aufweist. Sie könnten mir helfen, sie zu schließen.«
»Was mir an Ihnen gefällt, ist Ihre Bescheidenheit«, giftet Schmeißer. »Fragen Sie doch Herrn Kamossa.«
»Sie meinen, er würde mit mir sprechen?«
»Wenn ich mich dafür verwende, halt ich das durchaus für denkbar«, verheißt Schmeißer. »Wer sagt mir, daß die Katze im Sack keine Makulatur ist?«
»Halten Sie mich wirklich für so primitiv?« erwidert der aggressive Publizist. Er schlägt das Manuskript von hinten auf: »Wie ich Ihnen schon sagte: genau 168 Seiten«, stellt er fest und lacht unvermittelt, »Sie sollten mal Ihren schmachtenden Blick sehen.« Er blättert zum Deckblatt zurück.
»Lassen Sie mich doch wenigstens einen Blick hineinwerfen!«
»Wenn Sie mir versprechen, daß Sie Rechtsanwalt Endlich nichts sagen, dürfen Sie ein bißchen am Vorwort naschen.« Er entnimmt dem Schnellhefter die ersten beiden Blätter. »Aber schnell«, fordert Raguse und reicht ihm die Leseprobe.
Nach mir komm ich
Eine Kamossa-Biographie
Henry Kamossa, dieser Name klingt wie ein Markenzeichen des Erfolgs. Millionen von Menschen, die ihn nur aus Klatschberichten der Regenbogenpresse kennen, bewundern und beneiden diesen Macht-Moloch, ohne zu wissen, daß er eine Unzahl von Feinden hat, die ihn auf den Tod nicht ausstehen können.
Käme einer von ihnen auf den naheliegenden Gedanken, den Wirtschaftsgiganten umzubringen, würde er den Kriniirialfall des Jahrzehnts zünden und die Polizei in mindestens fünf Ländern und drei Kontinenten vor eine schier unlösbare Aufgabe stellen.
Ein berühmter Mann hat einmal gesagt, am Anfang eines großen Vermögens steht fast immer ein großes Verbrechen. Bei Kamossa sind es viele Delikte, die dieser Bericht schonungslos aufdecken wird, von den Uranfängen bis zur Gegenwart.
Nicht Bonn, sondern Frankfurt wäre heute die Bundeshauptstadt, hätte Kamossa nicht auf Wunsch einflußreicher Interessenten – an oberster Stelle der damalige Bundeskanzler – Abgeordnete einer bayerischen Partei gekauft und sich dafür mit Aufträgen in der kommenden Bundeshauptstadt entschädigen lassen. Man wußte um diese Vorgänge, keiner bewies sie – oder wollte sie beweisen –; wie immer versickerten Untersuchungen über Kamossa-Manipulationen im Sand.
Von Anfang an beherrschte dieser Mann mit einem deutschen wie einem amerikanischen Paß die politische Klaviatur, die weißen wie die schwarzen Tasten. Er verschaffte den Länderparlamenten Mehrheiten, stürzte sie, finanzierte Parteien wie mit der Gießkanne, mal rechts, mal links. Der Unterschied lag allenfalls in der Summe.
Viele nahmen sein Geld, hielten den Mund und erfüllten seine Wünsche ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl. Vielleicht sind die Komplizen von damals – soweit sie heute noch leben – nunmehr seine Opfer. Sie müssen Kamossa bedingungslos decken, wenn die faulen Geschäfte der Korruption nicht auffliegen sollen. Es ist kein Geheimnis, daß vor den Untersuchungs-Ausschüssen mehrere Meineide geschworen wurden unter dem wohlwollenden Patronat eines Innenministers, den man wegen dieses Verbrechens nach gültigem Gerichtsurteil ›Old Schwurhand‹ nennen darf.
Man mag Kamossa für einen genialen Einanzzauberer oder einen raffgierigen Spekulanten halten. Er ist eine schillernde Persönlichkeit, die sich nicht so leicht einordnen läßt. Er hat bestechenden Charme. Er kann großzügig bis zur Verschwendung sein. Er handelt nicht selten nach der Devise: ›Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. ‹ Aber er ist kein Goethe-Mensch, abgesehen davon, daß es der Dichterfürst auch nicht war.
Bis ins vorrückende Alter hinein hat sich Kamossa seine unverwüstliche Vitalität erhalten. Er hat zwei schwere. Autounfälle, einen Flugzeugabsturz, vier Ehen und zahllose Affären überlebt, mehrere Untersuchungen der Steuerfahndung überstanden, die im letzten Fall damit endeten, daß der Cheffahnder einfach abgelöst und sein Nachfolger befördert wurde.
So wird der wirkliche Lebensweg Kamossas zu einer Kette nicht abreißender Skandale, die vertuscht wurden, ob es sich nun um Wirtschaftsvergehen, Privataffären oder politische Erpressungen handelt.
Dem Autor geht es nicht um Kamossa, sondern um die Zeit, die einen Kamossa möglich machte, ihn zum Helden hochstilisierte, einen Abenteurer, der eigentlich hinter Gitter gehörte, zu einem internationalen Wirtschaftsfaktor werden ließ, der unangreifbar scheint: mit einer Holding in Liechtenstein, einer zweiten in Monte Carlo und einer dritten auf den Bahamas, wo Kamossa eine eigene Hausbank unterhält. Das Imperium besteht aus einer florierenden Pharma-Firma, einer multinationalen Immobilien-Gesellschaft, erheblichen Beteiligungen an Automobilfirmen, Flugzeugwerken, Elektronikunternehmen und Nuklearindustriefirmen.
Dieser sorgfältig recherchierte Bericht nennt Roß und Reiter, Täter und Opfer, Begünstigte und Vernichtete. Die Saga eines Mega-Aufsteigers wird zum Spiegel einer Zweidrittel-Gesellschaft, in der der Normalsterbliche zum Spielball der Macher und Raffer zu werden droht …
Raguse nimmt seinem Besucher die überlassenen Seiten wieder weg. »Makulatur?« fragt er süffisant.
»Geben Sie mir lieber einen Schnaps.«
»Wollen Sie mein Manuskript immer noch erwerben?« »Glauben Sie, ich hätte erwartet, daß Sie an einer Heiligenlegende stricken?« erwidert Schmeißer.
Das Telefon klingelt.
»Ihr könnt jetzt kommen«, sagt der Anwalt aus dem ersten Stock.
Dr. Endlich empfängt die beiden an der Tür. Auf den ersten Blick hält man den Juristen nicht für einen Klassenkameraden Raguses, denn er sieht mit seiner Stirnglatze und dem strapazierten Gesicht weit älter aus. »Um es gleich zu sagen«, schießt er in seinem Arbeitszimmer sofort los, »einen Abschluß können wir erst morgen machen, weil wir unsererseits nicht ebenfalls vertragsbrüchig werden möchten.«
»Das ist mir klar.«
»Ich habe meinem Mandanten trotz vieler Bedenken geraten, auf Ihre Offerte einzugehen.« Er nimmt ein Blatt vom Schreibtisch, schiebt es Schmeißer zu. Stichworte seines Angebotes sind darauf festgehalten.
»Es stimmt so«, bestätigt der Unterhändler und gibt es zurück.
»Dann sieht unser Procedere folgendermaßen aus: Morgen um zehn Uhr teilt Herr Raguse dem Kronwein-Verlag mit, daß die Option erloschen ist und er nicht gedenkt, auf weitere Vertragsverhandlungen einzugehen. Wir treffen uns um elf Uhr in meiner Kanzlei. Sie bringen einen Barscheck über 50 000 Mark mit und erhalten dafür die für eine Woche gültige Optionsvereinbarung und den Entwurf des endgültigen Vertrags.«
»Einverstanden«, erwidert Schmeißer.
»Noch eine Frage: Wer unterschreibt den endgültigen Vertrag?«
»Dr. Michael Budde, der Generalbevollmächtigte des Konzerns, ist bereits in München. Genügt Ihnen das?«
»Selbstverständlich.«
»Besten Dank, Herr Rechtsanwalt«, sagt der Besucher. Eilig verläßt er die Kanzlei, jagt zum nächsten Taxistand, als wäre der Henker hinter ihm her.
»Seit wann macht Kamossa so schlechte Geschäfte?« fragt Raguse seinen Freund.
»Ich nehme an, daß er auf die Notbremse tritt, um einen Zeitgewinn bis zum Frühjahr herauszuschinden«, erwidert der Rechtsanwalt »Vielleicht versucht er bis dahin, dich so mit Geld einzudecken, daß du unter der Last erstickst.«
Sie lachen beide, nehmen einen Drink auf den guten Deal. Ganz wohl ist ihnen dabei nicht, denn sie überlegen noch immer angestrengt, ob sie Kamossas notorischer Komplize nicht doch geleimt hat, aber juristisch ist sicher alles in Ordnung.