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II

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Draußen dämmert schon der neue Tag, aber in der rauchigen ›Isole‹-Bar geht es noch immer hoch her, sosehr der Patron auch versucht, die letzten Nachtschwärmer loszuwerden. Die verlängerte Polizeistunde ist längst abgelaufen, er hat das Schild ›Geschlossene Gesellschaft an die Tür gehängt und abgesperrt. Doch die Runde der letzten neun macht einen solchen Krawall, daß sich die Anlieger morgen mit Sicherheit wieder beschweren werden.

»Sei doch vernünftig, Ferry!« fleht der Pächter. »Was habt ihr denn davon, wenn mir die Polizei den Laden dichtmacht? Nimm deine Freunde mit – ihr könnt doch bei dir zu Hause weitersaufen.«

Ferry, der zweitjüngste Grams-Sohn, ist der Wortführer seiner vier Kumpane, alle zwischen 20 und 30 und, bis auf einen, Söhne aus superreichen Häusern, geübte Trinker, gute Sportler und routinierte Verführer, doch alle fünf mehr oder wenig unfähig, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Ihre vier Begleiterinnen, die blonde Marion, Nina, die Dunkelhaarige, die rote Daisy und die brünette Doris, sortiert wie aus einem Farbkatalog, sind jung, hübsch und unverfroren. Von keiner würde man annehmen, daß sie etwas anbrennen läßt.

»Aber wirklich jetzt die letzte Flasche.«

Der Patron gibt noch einmal nach und stellt den Schampus auf den Tisch.

»Und dann kommst du am besten gleich mit uns«, lädt ihn Ferry ein. »Wenn du heute nacht noch etwas vom Leben haben willst.«

»Ich muß doch noch die Abrechnung machen. Aber ich komm später nach. Ganz bestimmt.«

»Dann will ich dich inzwischen mal scharfmachen«, entgegnet der 28jährige Berufserbe, der auf schnellstem Weg den goldenen Löffel versilbert mit dem er zur Welt gekommen ist. »Zeig mal, was du hast, Marion!« fordert er den 20jährigen Busenstar an seiner Seite auf. »Gleich werden dir die Augen übergehen, Rio.« Er knöpft seiner Favoritin die Bluse bis zum Nabel auf, legt ihre freitragenden Werte offen. »Zier dich doch nicht so! Faß mal an, Rio! Alles Marions Kapital: fest und griffig.« Ferry streichelt die Rundungen, bis die Knospen stehen. »Solche Titten findest du in ganz Ascona nicht mehr«, stellt er kennerisch fest, als wüßte es Rio nicht längst.

Die Feriensaison wird erst in den nächsten Wochen richtig anlaufen. Junge Männer sind in der ›Zeit der Haselnüsse‹ – so nennen die Tessiner die Zwischenzeit – Mangelware. Die Mädchen an ihrer Seite genießen es, sich nicht wie während des Winters mit Methusalem-Machos herumplagen zu müssen. Sie gehören zum Bild des einstigen Fischernests, späteren Künstlerorts und heutigen Millionärtreffs wie die kleinen Pinten, idyllischen Winkel, die Boote und die Möwen.

Die hübschen weiblichen Dauergäste sind hier absichtlich oder zufällig hängengeblieben und schlagen sich mehr schlecht als recht durch. Einige arbeiten tagsüber regelmäßig, andere schlafen bei Tageslicht und gammeln nachts vor sich hin. Alle aber warten sie auf die Chance ihres Lebens, die Hochzeit mit einem alternden Nabob oder noch besser dessen Sohn. Tatsächlich schafft es die eine oder andere, während bei den Anläufen der übrigen nicht mehr herausschaut als ein warmes Nachtmahl mit anschließendem Barbesuch nebst nachfolgender Rückzahlung im Bett.

»Bevor du weinst, Rio, verlassen wir dich jetzt«, sagt der junge Grams zum Hausherrn. »Die Rechnung. Ihr seid alle meine Gäste«, verkündet er großkotzig.

»Quatsch!« erwiderte Patrick. »Meinst du, wir sind Nassauer?«

»Du hast’s nötig. Dein Alter zahlt dir doch höchstens ein Laufburschengehalt«, fordert er Kamossas Benjamin heraus.

In das Gelächter hinein erwidert der Verspottete kleinlaut: »Er kann auch sehr spendabel sein.«

»Aber Weihnachten ist öfter«, albert der Gastgeber. »Du bleibst noch lange auf Taschengeld gesetzt. Dein Erzeuger hält sich noch ziemlich flott auf den Beinen. Geduld, Patrick, eines Tages wirst du an die große Kohle rankommen.«

»Und dann heißt’s teilen«, prophezeit Schampi hämisch. Der einzige Sproß einer Großbrauerei führt den Spitznamen wegen seiner Vorliebe für das Nobelgetränk. »Mindestens die Hälfte für die schwarze Iris, deine Stiefmutter, die Schönheitskönigin, und je einen Löwenanteil an Schwester und Bruder sowie an die vier Geschiedenen.«

»Die sind doch längst abgefunden«, unterbricht Patrick verärgert. »Außerdem sind es nur drei«, korrigiert er. »Eine ist gestorben.«

»Ich hab ’ne Patentlösung für dich, Patrick«, lästert der junge Grams. »Sieh zu, daß du den Alten irgendwie um die Ecke bringst und heirate deine Stiefmutter.«

»Ganz schön geschmacklos«, versucht der Gefoppte das wiehernde Gelächter zu übertönen. Er hat zuviel getrunken. Alles dreht sich ihm vor den Augen wie ein Karussell – die Mädchen, die Kumpane, der Tisch. Er spürt, wie ihm der Schampus hochkommt, und stemmt sich dagegen, schluckt und rülpst.

»Dann«, lästert Ferry weiter, »kannst du uns alle einladen.« Er droht an seinem Lachen zu ersticken. »Zur Hochzeit.«

»Halt sofort die Klappe, oder ich polier dir die Fresse, Ferry!« Der Verspottete rafft sich auf und verläßt den Raum, um draußen frische Luft zu schnappen. Er lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und fragt sich, warum er nicht endlich nach Hause geht. Er findet keine Antwort, und so versäumt er den Absprung.

»Patrick versteht keinen Spaß, wenn es um seine schöne Stiefmama geht«, stellt die rote Daisy fest. »Manchmal glaube ich, er ist in sie verliebt.«

»Armer Hund«, erwidert Schampi. »Die läßt doch keinen an sich heran.«

»Zumindest in Ascona nicht – oder wenn der Alte in der Nähe ist«, behauptet Ferry, der Fachmann.

Sie kennen die junge Frau Kamossa von mehreren Partys, die sie nie ohne ihren Mann besucht. Iris flirtet gern, geht dabei aber nie zu weit. Wie alles, was sie nicht erreichen können, provoziert ihr Verhalten die jungen Taugenichtse.

»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie auf die Dauer mit dem alten Haifisch zufrieden ist.«

»Das ist wie bei ’ner Nonne, die zu selten von ihrem Beichtvater besucht wird«, entgegnet Marion und löst eine Lachsalve aus.

»Die reizvolle Iris weiß genau, was sie will«, kommentiert Schampi. »Die wird doch nicht so doof sein und eine Weiß-Gott-wie-viele-Millionen-Erbschaft vervögeln. Sie ist noch jung, sie kann geduldig abwarten, bis der Alte abkratzt.«

»Zu lange«, versetzt Ferry. »Wißt ihr, was dieser alte Hurenbuck schon alles überlebt hat?«

Sie sehen, daß Patrick wieder zurückkommt, und wechseln das Thema.

»Die Rechnung, Vreni!« erinnert sie der junge Grams und zieht ein Bündel Scheine aus der Tasche. »Zahlt alles meine Scheißfirma.«

»Erstens ist es nicht deine Firma«, lästert Schampi. »Und sieh bloß zu, daß sie dir euer High-Tech-Unternehmen nicht unter dem Hintern verkaufen.«

»Bei dem Geschäft bin ich doch dabei, du Blödmann«, kontert Ferry. »Auf mich rollt jetzt die ganz große Penunze zu. Und als erstes kauf ich mir ein Riva-Boot mit 250 PS, und ihr schaut dann dumm in die Auspuffröhre …«

»Gratuliere«, sagt Marion, jetzt wieder zugeknöpft; sie ist die Favoritin des Verschwenders, besser gesagt, eine seiner Favoritinnen, denn sie ist klug genug, zurückzutreten, wenn sie vorübergehend von einer Rivalin ausgestochen wird, Lovestyle in Ascona. »Wie ich dich kenne, wirst du mit der Kohle ganz schnell fertig werden, Ferry.«

»Dann mußt du eine dieser reichen Witwen heiraten«, tröstet Schampi schadenfroh. »Zum Beispiel die Juwelen-Olga.«

»Oder dich erschießen«, revanchiert sich Patrick.

»Dann bin ich für Erschießen«, blödelt der Bankrotteur von morgen. »Aber das hat ja wohl noch Zeit.« Die Haare hängen ihm wirr in die schweißnasse Stirn; er ist stark angetrunken, doch selbst in diesem Zustand wirkt er noch attraktiv. Der schlanke Große gilt unter den Neo-Asconesern als der Platzhirsch. Jedenfalls geht er bei seiner Damenwahl nach der Strichliste vor. Dabei ist er bereits so tief unten angelangt wie das Guthaben auf seinem Bankkonto.

Er und seine Kumpane pflegen einen zynischen Umgangston; die jungen Gesichter wirken bereits alt und abgestanden. Die Lufthoheit über ihren Stammtischen hat der Frust, ein lediges Kind der Langeweile. Die Junioren gebärden sich, als stünden sie Modell für eine Gesellschaft, die einer einzigen Regel folgt: Nach mir komm ich.

Die Barmaid bringt das Wechselgeld.

»Schon gut, Vreni.« Grams schiebt es zurück.

»Du hast mir drei Scheine zuviel gegeben.«

»Mein Gott, bist du doof!« Ferry winkt die Deutschschweizerin ganz nahe an sich heran, nimmt die Banknoten vom Teller, rollt sie zusammen. »Hier«, sagt er und schiebt sie ihr ins Dekolleté. »Mach dir einen schönen Tag.«

»Dann – vielen Dank«, erwidert Vreni pikiert. Als Profi hinter der Theke versteht sie ihr Geschäft, aber es geht einfach gegen ihr schweizerisches Gewissen, Geld so zu verschwenden, selbst wenn es ihr zugute kommt.

Der Miterbe des verstorbenen Industriellen stützt sich schwer auf zwei Mädchen, als sie die Bar verlassen. Im ersten Moment droht ihn die frische Luft umzuwerfen, dann erwachen seine Lebensgeister wieder.

Die Lottergenossen lachen und lärmen in der engen Gasse.

»Und jetzt gehen wir zu mir«, fordert der Grams-Sohn mit lauter Stimme auf. »Und veranstalten ’ne richtige Schweineparty.« Er wendet sich an die vier Mädchen. »Aber alle müssen mitkommen. Keine Ausnahme.«

»Angeber!« bremst ihn Marion. »Du kannst doch kaum mehr stehen. Wie willst du denn noch bumsen?«

»Vai via, stronzo!« ruft eine Tessinerin erbost über die Schlafstörung aus einem Fenster im ersten Stock.

»Halt’s Maul, alte Hexe!« schreit Ferry hinauf.

Die Alte ist schlagfertig, kippt ihr Nachtgeschirr aus und landet einen Volltreffer auf Ferrys Kopf. Dem Begossenen läuft die widerliche Flüssigkeit über die Nase, in die Gehörgänge, über die Mundecken in den Kragenausschnitt. Er kann nicht einmal fluchen, weil ihm die ekelhafte Brühe sonst in den Mund rinnen würde.

»Du Urinator!« spottet Marion. »Pfui Teufel, stinkst du vielleicht.«

Der Malträtierte wird den üblen Geruch leichter loswerden als den neuen Spitznamen. The party is over. Der Morgengruß aus dem Nachttopf wird in Ascona heute Tagesgespräch sein und die Zuhörer mehr interessieren als zum Beispiel ein Störfall in einem Atomkraftwerk.

Weitere Fenster öffnen sich. Die Nachtschwärmer flitzen auseinander, um nicht ebenfalls begossen zu werden. Als sie sich angetrunken in ihre Autos setzen, ist es taghell. Das melodische Glockengeläut der Pfarrkirche mit dem großartigen Altarbild und den Wandmalereien des Giovanni Serodine, nach dem auch das gegenüberliegende Haus mit der Prachtfassade benannt ist, ruft zur Morgenmesse.

Patrick spürt, wie ihm die Übelkeit wieder hochschießt. Er kommt gerade noch um die Ecke, lehnt sich gegen die Wand und übergibt sich. Aus den Augenwinkeln stellt er fest, daß seine Schampus-Genossen in ihre Autos steigen und angetrunken losfahren. Das läßt er sein, seit im September vorigen Jahres die Amüsier-Gesellen auf der Autobahn München-Nürnberg mit den entsprechenden Promille im Blut als Mutprobe eine Wahnsinnswette ausgetragen hatten: Wer sich als Geisterfahrer in falscher Richtung am längsten halten konnte, bevor er von der Polizei geschnappt oder von anderen Verkehrsteilnehmern daran gehindert wurde. Egon, der einzige Sohn eines bekannten Grundstücksspekulanten, hatte es geschafft. Einundzwanzig Minuten lang. Im Radio war bereits die vierte Warnung durchgegeben worden und noch immer keine Polizeistreife zu sehen.

Da passierte es. Der Geisterfahrer rammte einen Golf mit einem jungen Ehepaar und einem Kleinkind frontal. Die Benzintanks explodierten. Vier Tote. Wer beim Zusammenprall nicht auf der Stelle getötet worden war, wurde in den Wracks zu einem kleinen Klumpen zusammengeschmort.

Wiewohl die Verkehrspolizei Hinweise auf die tatsächlichen Zusammenhänge sicherstellte, gelang es gerissenen Anwälten, das Desaster zu vertuschen. Für eine kurze Weile standen die Teilnehmer der Wette, die der Tod gewonnen hatte, unter Schock, aber er sollte sich bald legen. Egon war tot, Kismet. Bei dem jüngsten Kamossa hielt das Entsetzen länger an, so daß er sich bis jetzt nicht mehr betrunken ans Steuer gesetzt hatte; er war offensichtlich sensibler als seine Sauf- und Bums-Gesellen.

Der Ernüchterte schiebt sich weiter, auf unsicheren Beinen erreicht er die Piazza, wo die Tische für die ersten Frühstücksgäste gedeckt werden. Die Sonne badet schon im Lago. Die Wellen gluckern vor Zufriedenheit. Die klare Luft belebt den unfreiwilligen Spaziergänger, auch wenn zwischendurch wieder die Nachwehen des Alkohols hochkommen. Aus den Rauchschwaden steigen Erinnerungsfetzen auf, und wieder hört der ausgewachsene Junge diesen Widerling sagen: › … sieh zu, wie du den Alten irgendwie um die Ecke bringst, und heirate deine Stiefmutter. ‹ Dann lachen sie wieder – Patrick versäumt abermals, Ferry für seine Patentlösung die Fresse zu polieren.

Aber er spürt nicht nur Zorn und Ekel, sondern auch Ohnmacht. Es gibt viele Gründe, mit seinem Übervater zu hadern, aber gegen einen Titanen kommt man nicht an. Wenn man sich gegen einen Riesen stellt, wird man zum Zwerg, und bei dem willensstarken Martin, seinem Halbbruder – dem Lieblingssohn –, führte die Rebellion vor drei Jahren zur Katastrophe. Von dem Alten war auch dieser Schlag verkraftet worden. Keiner kommt gegen ihn an, keiner in der Geschäftswelt und auch keine seiner vier Frauen, die nacheinander auf der Strecke geblieben waren: Kamossa kennt kein Canossa.

Wenn Patrick an seines Vaters Fünfte denkt, rührt sich etwas in ihm, deshalb versucht er fast verkrampft, die schöne Iris aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Es gelingt ihm nicht ganz, immer wieder turnt sie vor seinen Augen herum, nickt ihm zu mit diesem undefinierbaren Lächeln. Sie ist viel netter zu ihm als Vater, auch wenn sie ihn wie einen kleinen Jungen behandelt, wiewohl sie doch nur fünf Jahre älter ist. Wenn Patrick am Swimmingpool liegt und die schöne Wienerin auftaucht und er sich dann zurückziehen will, um nicht zu stören, ermuntert sie ihn meistens zu bleiben. Dann muß er sich auf den Bauch legen, damit sie seine Erektion nicht sieht. Er dreht auch seinen Kopf weg, um zu vermeiden, daß die Frau seines Vaters in seinem Gesicht wie auf einer Skala seinen Drang und Trieb ablesen kann.

Abrupt bleibt Patrick stehen, starrt ein Plakat an, fürchtet einen Moment lang, daß ihn das Gesöff um den Verstand gebracht hat, was er insgeheim schon länger befürchtet.

Allmählich begreift er, daß er keine Fata Morgana der nächtlichen Ausschweifung erlebt, sondern vor einem nachgemachten Fahndungsplakat steht. Unter den großen Lettern Wanted – prangt das Foto seines Vaters.

Darunter steht:

Gesucht wird der grossbetrüger henry ka-mossa wegen bestechung, erpressung und anstiftung zum mord. vorsicht bei der festnahme. der täter ist mit millionen bewaffnet.

Patrick reißt das Plakat ab, knüllt es zusammen und steckt es in die Tasche. Auf dem Weg zur ›Residenza Fortuna‹ stellt er fest, daß weitere Plakate neben einer Bank und auf der Auslagenscheibe eines Lebensmittelladens angebracht sind.

Er steigt die Treppen hoch zur Collina, dem Monte Verità entgegen, dem Berg der Wahrheit, auf dem zu Beginn dieses Jahrhunderts vegetarische Naturapostel in weißen Hemden begonnen hatten, das Gelände zu erschließen und ihre Nahrung selbst anzubauen. Die ersten Aussteiger und Vorläufer der Hippies, hatten seinerzeit auch den Besitz des Kamossabesitzes erschlossen, den Patrick jetzt betritt. Prompt läuft er dem Hausmeister seines Vaters in den Weg.

»Ausgeschlafen?« fragt ihn Budde anzüglich.

Statt einer Antwort zieht der Spätheimkehrer das Plakat aus der Tasche, entfaltet es. »Hier, Doktor«, kontert er.

Der Manager sieht sich das Plakat genau an: schlechtes Papier, schlechter Druck, unscharfes Foto. Der Text paßt zu dem anonymen Brief von gestern morgen und vielleicht auch zu dem Manuskript, mit dem Verleger Kronwein wedelte.

Er stellt fest, daß sich der Hausherr gerade mit seiner Frau am Swimmingpool tummelt und das Mädchen dabei ist, das Frühstück aufzutragen, Er entschließt sich, den Kamossas vorerst nicht die Laune zu verderben.

Der Mann für alles holt den kleinen BMW aus der Garage und fährt mit Patrick los. Sie drehen eine Runde durch Ascona und stellen dabei fest, daß im Borgo neben der ›Banca dello Stato‹ zwei Uniformierte ein Pseudo-Fahndungsplakat entfernen.

Sie rollen weiter und lassen den Wagen vor dem Rathaus stehen.

Polizeichef Farinelli, ein Mann von kräftiger Statur, mit grauen Haaren, grauen Augen und einem grauen Schnauzbart empfängt sie höflich und zuvorkommend. »S’accomodi«, fordert er die Besucher auf und deutet auf die Stühle. »Kaffee, Dottore?«

»Grazie«, erwidert Budde und präsentiert Patricks Beutestück.

»Ich weiß, was da heute nacht passiert ist«, sagt der Uniformierte. Er spricht fast perfekt Deutsch, ebenso wie Englisch und Französisch; das ist auch nötig, er hat viel mit den im Tessin angesiedelten Ausländern zu tun. Keine größeren Verbrechen bisher – ohnedies müßte er sie an die Kantonspolizei abgeben –, aber die typischen Delikte einer Vergnügungsgesellschaft, deren Spielregel alles erlaubt außer der Armut. »Ich habe sofort veranlaßt, daß diese – diese porcheria entfernt wird«, eröffnet Farinelli. Als Chef der dem Bürgermeister unterstellten Gemeindepolizei ist er so etwas wie ein halber Kurdirektor. »Es tut mir leid, daß ausgerechnet Signor Kamossa, dem Ascona soviel verdankt, auf diese häßliche Weise beleidigt wurde.«

»Besten Dank, Signor Farinelli«, erwidert Budde. »Wir würden gern so rasch wie möglich erfahren, wer hinter dieser Gemeinheit steckt.«

»Wir auch«, entgegnet der Graue grimmig und mustert Patrick einen überlangen Moment lang. »Sie haben also das Plakat als erster entdeckt?« Ohne die Antwort abzuwarten, setzt er hinzu; »Da sieht man einmal wieder, wie nützlich es sein kann, wenn man sich die ganze Nacht in der Isole-Bar um die Ohren schlägt.« Er wickelt seinen Tadel in Bonbonpapier. »Es liegt erneut eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung vor. Sagen Sie Ihren Freunden, daß ich ihnen künftig nichts mehr durchgehen lasse. Dies ist meine letzte Warnung. Entschuldigen Sie, Dottore«, wendet er sich wieder an Budde, »wir tun, was wir können. Zeugen haben heute nacht einen jungen Burschen beobachtet, wie er ein Plakat anklebte. Sie kamen aus der Lago-Bar und waren nicht ganz nüchtern. Sie gerieten mit dem Täter in einen Wortwechsel. Der Mann machte sich davon, ohne daß sie ihn festhalten konnten.«

»Hat er deutsch gesprochen?«

»Nein, es war ein Tessiner oder ein Italiener. Das steht fest«, antwortet Farinelli und sieht für einen Moment zum Fenster hinaus. »Er könnte aber auch im Auftrag einer Ihrer Landsleute gehandelt haben.« Gespielt naiv setzt er hinzu: »Hat denn Signor Kamossa Feinde?«

»Viele«, versetzt Budde. »Neider, Konkurrenten. Sie wissen ja, Signor Farinelli, je höher ein Denkmal steht, desto mehr wird es vom Spatzendreck besudelt.«

Der Polizeichef lacht. »Wir werden unsere Streifentätigkeit verstärken«, verspricht er. »Wir werden versuchen, die Druckerei ausfindig zu machen, die das Pamphlet erstellt hat. Die Plakate wurden bereits entfernt, bevor sie die Öffentlichkeit richtig sehen konnte; ich glaube nicht, daß sie zum Tagesgespräch werden.«

»Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich möchte Sie noch bitten, die Geschichte streng vertraulich zu behandeln und mich mit den Fahndungsergebnissen auf dem laufenden zu halten. Zudem möchte ich – intern natürlich – eine Belohnung von 5000 Schweizer Franken aussetzen.«

»Das ist sehr großzügig von Ihnen. Ich denke, wir werden den Fall im Handumdrehen klären.« Farinelli gibt sich optimistisch. »Sagen Sie bitte Herrn Kamossa, daß ich mich ausdrücklich entschuldige, daß so etwas bei uns passieren konnte.«

Er sieht den beiden nach. Immer Ärger mit den Fremden, aber das schweizerische St. Tropez verdankt ihnen mehr als überfüllte Parkplätze, Autoraserei, Preissteigerungen, den Lärm der Motorboote auf dem Lago und nächtliche Alkoholexzesse.

Ascona ist tolerant, seitdem den ›Grasfressern‹ – so hatten die Einheimischen die Naturapostel auf dem Monte Verità verspottet – Exoten aller Art gefolgt waren: Schriellheiler, Zukunftsdeuter, Sektengründer, Scharlatane, Kartenleger, Gesundbeter, Meditations-Gurus, Gaukler und Sexprediger mit den Schwulen und den Lesben im Gefolge. Es kamen aber auch Künstler auf der Weltflucht, berühmte Maler neben solchen, die es sein wollten; weltbekannte Schriftsteller neben Schreibern, die sich ihr Manuskriptpapier erst noch verdienen mußten und in den Hinterstuben der Gasthöfe vor drei, vier mitleidigen Zuhörern ihrer Dichterlesungen veranstalteten.

Ein Ort, den man kaum auf der Landkarte gefunden hat, ist weltberühmt geworden, weil das einstige Fischernest allen Gastfreundschaft gewährt hatte, den Aussteigern wie den Einsteigern, den Satten wie den Hungrigen, den Verschwendern wie den Nassauern.

Problemgäste, so dämmert es Polizeichef Farinelli, sind erst die letzten Zuwanderer, die Millionäre mit ihrem Schikkeria-Troß.

Nach mir komm ich

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