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III

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Schon am frühen Morgen strengt sich der neue Sonnentag an, als wolle er den gestrigen an Glanz noch überbieten. Um neun Uhr morgens wirken die Hänge über dem Westufer des Lago wie mit Gold überzogen. Die Sonne klettert weiter, dem Gipfel des Ghiridone entgegen. Der Schönwetterdunst hebt sich wie ein Vorhang über dem See, der Blick reicht jetzt über die Inseln weit nach Italien hinein.

In den Luxusvillen mit den Parkgrundstücken der Steinreichen, Neureichen und Scheinreichen schlafen die Bewohner noch. Etliche müssen sich vom nächtlichen Alkoholgenuß und Bargeschwätz erholen und Kräfte für die Strapazen des heutigen Müßiggangs sammeln, aber es gibt eine schweigende Mehrheit von Neusiedlern, die keine Schlagzeilen macht und im Tessiner Paradies zurückgezogen und unauffällig lebt, ohne an dem Narrentreiben des Amüsierpöbels teilzunehmen.

Nicht nur Schwärmer nennen die Region zwischen Locarno und Brissago den schönsten Landstrich der Südschweiz. Noch verschleiert die Blütenpracht, daß der traumschöne Fleck mit der herrlichen Aussicht auf die schneebedeckten Berge von Herrschaftssitzen und Ferienhäusern zersiedelt wurde. Hübsche architektonische Einfälle stehen neben monströsen Protzbauten. Einem der Superreichen ist es gelungen, die untere Strecke eines zweitausend Jahre alten Römerwegs einreißen und für seine Autozufahrt asphaltieren zu lassen. Die Legionärsstiefel des großen Geldes trampeln über Geschichte, Kultur und Landschaftsschutz hinweg.

Der Verleger Kronwein wohnt in Moscia, in dem weißen weiträumigen Gebäude inmitten einer schönen Gartenanlage, zwei Kilometer von Ascona entfernt und fünfzig Meter hoch über dem Schweizer Becken des Lago Maggiore. Überzeugt, daß Kamossa sein Desinteresse an dem Manuskript nur vortäuscht, in Wirklichkeit jedoch darauf brennt, es einzusehen und einzusargen, hat er gestern den ganzen Nachmittag über vergeblich auf einen Rückruf des Macht-Moguls gewartet. Am Abend war es dem Ungeduldigen mit dem leicht schwammigen, aber noch immer jungenhaften Gesicht gelungen, sich aus dem Haus zu stehlen und Carlotta ein paar Stunden zu entfliehen, um Abwechslung im Dorf zu suchen und dabei vielleicht Kamossa ›zufällig‹ zu begegnen.

Der Endfünfziger hat mit nichtssagenden Leuten gespeist und ist dann im ›Club‹ hängengeblieben. Whisky auf Vorrat in sich hineinschüttend, hat er verdrossen den hübschen Mädchen auf dem Parkett zugesehen. Sicher hätte er die eine oder andere beim Blondschopf packen können, aber er wollte mit ihr ins Bett und nicht aufs Parkett. Es ist schon ziemlich spät geworden, als er mißmutig in die häusliche Schlangengrube zurückfindet, die ausgerechnet den romantischen Titel ›Villa Paradiso‹ trägt. Carlotta hat sich in ihr Schlafzimmer eingesperrt – es wird Ärger geben.

Der Spätheimkehrer quartiert sich in seinem Arbeitszimmer ein wie in einer Ausnüchterungszelle. Er kann nicht richtig schlafen und erhebt sich beizeiten, ergeht sich im Garten, immer in Hörweite des Telefons.

Zehn Uhr. Der schweizerische Rundfunk bringt Nachrichten. Nichts Besonderes. Am Ende der Wetterbericht: Die Meteorologen sagen für die Südschweiz ein langes Hoch voraus, aber in diesem Moment hört der Verleger, daß seine Frau aufgestanden ist, und stellt sich auf ein Sturmtief ein.

Die Unterlippe hängt durch wie ein schlaffes Sprungseil; er fürchtet, haßt und begehrt Carlotta. Er hatte ihr schon nachgestellt, als sie noch mit einem bekannten Regisseur verheiratet war, dessen Karriere in einer Trinkerheilanstalt beendet wurde. Inzwischen sind fünfzehn Jahre Gemeinsamkeit über das Verlegerpaar hinweggewalzt; eine Zeit enormen wirtschaftlichen Erfolgs über den Abgründen des Privatlebens. Die Gefühle der Kronweins – so es sie je gegeben hat –, wurden zersägt wie die Jungfrau in der Schaubude.

Carlotta hat ihrem Mann nicht nur das Trinken, sondern nahezu alles verboten, und er übertritt nahezu alle Zwänge mit Wonne. Er wird von ihr laufend auf Abwegen ertappt – und dafür bestraft. Die Versöhnungen arten jedesmal in Exzesse aus.

In letzter Zeit sind sie seltener geworden. Kronwein ist der abwegigen Spiele müde. Er ist es leid, von seiner Frau als ewiger Zweiter behandelt zu werden, weil ihm von Carlotta der Regisseur ständig als der Genialere, Berühmtere und Attraktivere vorgehalten wird. Dabei hat der Verleger im ersten Liebesrausch seine Frau zur Mitbesitzerin seines Unternehmens gemacht. Das war sein größter Fehler; daß er es nunmehr täglich feststellt, ändert nichts an der Tatsache.

Carlotta ist keine stille, sondern eine laute Teilhaberin. Sie hat sich in München neben seinem Arbeitszimmer ein Studio als Beobachtungsstand eingerichtet. Von hier aus mischt sie sich ständig in Geschäfte ein, von denen sie nichts oder wenig versteht. Sie fuhrwerkt in der Personalpolitik herum, verfügt Einstellungen oder Entlassungen nach hausgemachten astrologischen und graphologischen Gutachten. Trotzdem kann sie nicht verhindern, bei ihrem Mann immer wieder Taschentücher zu finden, die dieselben roten Flecken aufweisen wie das Rouge auf den Lippen ihrer weiblichen Günstlinge.

Bei Carlotta wurde es zum Wahn, den Ungetreuen an die Dressurleine zu nehmen, wie es bei ihm zum Zwang wurde, sich von seiner Herrscherin loszureißen.

Kronwein hört sie kommen; gleichzeitig klingelt das Telefon.

Der Anrufer ist Kamossa, er trifft eine Verabredung zum Mittagessen.

»Also 13 Uhr 30 im ›Ascolago‹, Herr Kamossa«, bestätigt der Verleger, legt auf und wendet sich der Eintretenden zu.

»Guten Morgen«, begrüßt er sie eilfertig, aber sie antwortet nicht.

Ihr Gesicht wirkt wie versteinert. Sie trägt einen knappen Bikini unter einem seidenen Morgenmantel, der den Blick auf ihre mollige, aber noch immer respektable Figur mehr freigibt als verhüllt. In ihren wasserblauen Augen brennt das kalte Feuer einer rachsüchtigen Domina, die statt der Peitsche Schriftstücke in der Hand hält.

Kronwein stellt mit Erschrecken fest, daß Carlotta während seiner Abwesenheit seinen Schreibtischschlüssel gefunden und in seinen Papieren herumgewühlt haben muß. Er überlegt, worauf sie gestoßen sein könnte, aber das ist schwierig; wenn sie die Fundgrube tatsächlich aufgeschlossen hat, ist es so, als würde ein Klorohr platzen.

»Diesen Kamossa werd ich diesmal ordentlich aufs Kreuz legen«, sagt er zu Carlotta. »Diesen arroganten Pinkel.«

»Und wen hast du heute nacht aufs Kreuz gelegt?« fragt sie mit einer Stimme, die tief von unten kommt.

»Unsinn!« wehrt er ab. »Ich hab ein paar Leute getroffen und bin eben …«

Carlotta tritt näher an ihn heran. »Du hast wieder getrunken«, stellt sie fest. »Und du stinkst wie ein andalusisches Freudenhaus. Sag dieser Schlampe, daß sie gefälligst ihr Parfüm wechseln soll.«

»Eifersucht macht duftblind«, versetzt Kronwein.

Das Hausmädchen rollt den Frühstückswagen auf die Terrasse und unterbricht dadurch den Schlagabtausch, aber gleich wird sich die Szene einer Ehe fortsetzen.

Carlotta greift das Stichwort auf. »Eifersucht?«, versetzt sie. »Lächerlich! Oder meinst du, daß ich deinen Pimmel überschätze?« Früher hat es ihn besonders amüsiert, daß Carlotta von einem Moment auf den anderen aus der Haut der feinen Dame schlüpfen und hundsordinär werden konnte. »Du weißt doch selbst am besten, was ich alles anstellen muß, um deinen lächerlichen Minimax ab und zu noch mal hochzubringen.« Sie trifft ihren Mann am Punkt.

»Du vielleicht«, gibt er ihr heraus. »Aber andere Damen haben mehr Mühe damit, meinen lächerlichen Minimax wieder herunterzukriegen.«

»I am the greatest«, kreischt sie scheppernd. »Cassius Schmäh als Cassius fuck.«

»Immerhin Weltmeister im Schwergewicht«, versetzt Kronwein.

»Es war einmal, so beginnen alle Märchen«, höhnt die Mitvierzigerin.

»Das ist nur natürlich«, fährt Kronwein fort. »Ein bekannter Mann hat einmal gesagt: ›Die Ehe ist eine Gemeinschaft zur Unterdrückung des Geschlechtstriebs‹.«

»Du Schwein«, erwidert sie, »du widerlicher Sexprotz, senil, doch mobil.«

»Vielleicht zu Hause«, räumt er ein. »Aber ich bin nun mal ein Verächter der Ehe.« Seine hängende Unterlippe spannt sich, wird gerade. »Ein Mann wie ich hat nur eine Alternative.« Erstaunt bemerkt Carlotta, daß er heute nicht vor ihr zurückweicht. »Jede zu heiraten oder keine.«

Im ersten Moment ist sie zu verblüfft, um zu reagieren. Dann verwandelt sich La Carota in La Furiosa: »Und was ist das?« fragt sie und schlägt ihm ein Schriftstück ins Gesicht. »Fünfzigtausend Mark für diese Tippse! Warum? Was hast du mit ihr angestellt?«

Der Verleger zieht den Kopf zurück, weicht einen halben Schritt zurück, aber sie schlägt mit den Schnüffelpapieren weiter auf ihn ein, bis sie auseinanderfallen; beflissen bückt er sich, um sie einzusammeln.

»Was hast du mit ihr getrieben?« bohrt sie weiter. »Warum kann sie dich erpressen?«

»Unsinn«, antwortet der Mißhandelte. »Frau Melber ist eine dreisprachige Chefsekretäin. Solche Leute kosten heutzutage sehr viel Geld. Sie hat ein paar Dinge herumgequatscht – deshalb mußte ich sie feuern.«

»Mit fünfzigtausend Mark Abfindung?«

»Es ist ein außergerichtlicher Vergleich. Ich wollte nicht, daß vor dem Arbeitsgericht Dinge zur Sprache kommen, die ich großenteils auch deinen Auftritten im Betrieb und deiner Unbeherrschtheit verdanke.« Kronwein atmet schwer. »Und vor allem deiner krankhaften Eifersucht«, setzt er hinzu.

»Lächerliche Ausflüchte!« Carlotta mustert ihn verächtlich. »Ich krieg das raus. Es ist wieder eine deiner miesen Weibergeschichten im Büro.«

»Schluß!« erwidert Kronwein. »Aus. Die Schmerzgrenze ist überschritten.« Er atmet schwer. »Wir werden uns trennen«, setzt er hinzu. »Ich werde unverzüglich die Scheidung einreichen, koste es, was es wolle.«

Carlotta lacht ihm ins Gesicht.

»Ich werde auch Mittel und Wege finden, dich aus meiner Verlagsgruppe zu entfernen, selbst wenn ich unsere Häuser bis unters Dach belasten und den letzten Stuhl verpfänden muß.«

»Besser würdest du wohl einen Irrenarzt in Mendrisio aufsuchen«, entgegnet sie kalt und tippt sich mit dem Finger an die Stirn. »Das ist billiger und nützlicher. Du willst dich von mir trennen? Du bleibst an mich gebunden, solange du lebst, du Schlappschwanz!«

»Ich werde dir ein faires Angebot machen«, antwortet Kronwein, mühsam beherrscht. »Ich möchte die Sache so lautlos wie möglich regeln. In deinem wie in meinem Interesse.«

»Du bist ja wirklich verrückt«, versetzt Carlotta.

»Wenn du im Gerichtssaal mit Dreck um dich werfen willst – na bitte, ich halt’s aus.«

»Über Leichen vorwärts!« spottet sie. »Gerichtssaal? Du bist wirklich ein Dummkopf. Meinst du, ich habe deine krummen Touren vergessen? Das gefälschte Testament? Den Steuerbeschiß? Die fingierten Anweisungen? Die manipulierten Abrechnungen?«

»Du willst mich also erpressen«, erwidert der Verleger.

»Nenn es, wie du willst. Zunächst möchte ich nur dein Gedächtnis auffrischen. Und dann wirst du bei mir zu Kreuz kriechen, und zwar auf dem Bauch.« In der Tür bleibt Carlotta stehen, dreht sich noch einmal um. »Mich loswerden?« höhnt sie. »Da müßtest du mich schon umbringen. Aber dazu bist du ja wohl zu feige.« Sie wirft die Tür zu.

Der Geschmähte droht k.o. zu gehen durch den Schlag unter die Gürtellinie. In Gedanken hat er Carlotta schon hundertmal ermordet, was nichts daran ändert, daß sie noch lebt. Er muß ihr alles zutrauen. Sie ist tatsächlich in der Lage, ihn ins Gefängnis zu bringen. Kronwein faßt sich mit der Hand in den Kragenausschnitt, als spüre er das Dressurband um den Hals.

Er geht an sein Versteck in der Schreibtischschublade, holt die Flasche Cognac heraus, gießt sich einen ordentlichen Schluck ein, kippt ihn in einem Zug. Der Alkohol wattiert seinen Zorn, aber er weiß nur zu gut, daß er sein Problem weder durch Alkohol noch durch Streit oder Haßausbrüche lösen kann. Es macht wenig Sinn, der Schlangengrube für Stunden oder Tage zu entgehen.

Er muß sie sprengen. Das ist ihm bisher immer mißlungen, weil er es nie ernsthaft gewagt hat.

Viel zu früh fährt Kronwein ins Dorf, versucht sich auf Kamossa einzustellen, aber seine Gedanken taumeln immer wieder zu Carlotta zurück. Er ist ein schlechter Fahrer und zudem zerstreut. Er bremst im letzten Moment, Beinahe hätte er eine Fußgängerin überfahren. Das hätte ihm an diesem Tag gerade noch gefehlt – es sei denn, die Frau hieße Carlotta.

Er findet eine Parklücke, zwängt mit großer Mühe seinen Jaguar hinein, steigt aus und durchschreitet die hübsche Parkanlage zwischen dem › Ascolago‹ und dem Schloßhotel, dem alten ›Castello dei Grilioni‹, dem falsche Zinnen aufgepfropft wurden wie dem Garten Eden die Steuerflüchtlinge.

Kronwein passiert blicklos die leuchtenden Blumenrabatten. Fast ganzjährig blüht und grünt die Tessiner Landschaft. Den frühen Mimosen und Forsythien folgen die Kamelien, Magnolien, Azaleen und der Rhododendron, der Ginster und im späten Sommer noch die Glyzinie.

Wenn die kalte Jahreszeit der Flora zusetzt, blüht zumindest noch der Klatsch, und der nicht nur zur Winterszeit. Die Wahlbürger der Prominenten-Oase begrüßen einander mit ›Buon Giorno‹ oder ›Buona Notte‹, aber – so spotten die Eingeweihten – die echte Ascona-Floskel müßte lauten: ›Wie geht’s mir?‹, da der Gesprächspartner immer besser weiß, wie es um den Begrüßten steht.

Ascona ist zu klein für Diskretion oder Geheimnisse. Die ausländischen Privilegierten der schweizerischen Sonnenstube – neben Nordschweizern, Italienern, Deutschen und Amerikanern, Engländern und Schweden auch ein paar Exoten – verkehren in den gleichen Cafés, speisen in denselben Restaurants und amüsieren sich in den nämlichen Nachtklubs. Wie in den Salons und in den Betten, bei den Friseuren und in den Schönheitswerkstätten so werden auch in den Lokalen Tag und Nacht Gerüchte gargekocht, Beobachtungen weitergegeben, ausgeschmückt oder erfunden – die Fama als Tausendfüßler.

Der Verleger schlendert unter den Platanen entlang. Er sieht, wie ihn in den Straßencafés auf der anderen Seite die Gäste erkennen, die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Kein Wunder. Die Szenen einer Ehe, die sich Carlotta und er ständig liefern, sind für die Tessiner Neubürger von höchstem Unterhaltungswert. Kronwein denkt an Carlotta, und der Magensaft gärt ihm im Mund.

Seiner Frau gegenüber ist er ohnmächtig, und das macht ihn rasend. Erstmals ist er entschlossen, den gordischen Knoten um jeden – fast um jeden – Preis zu zerschlagen. Er überlegt seine nächsten Schritte, erwägt, nach München zu reisen, um sich mehr um seinen Verlag zu kümmern und dabei die Scheidung vorzubereiten. Dann begreift er, wie nutzlos das wäre; Carlotta, die ihre Spitzel im Haus hat, würde es sofort erfahren, ihm nachfolgen, überall herumschnüffeln und dabei womöglich noch auf ganz andere Dinge stoßen als diese lästige Melber-Affäre.

Was tun? Der Verleger bleibt ratlos, sicher nur in einem: Daß er heute nicht in die häusliche Schlangengrube zurückkehren wird.

»Hallo, Kronwein!« ruft Grevenich über die Straße. Der frühere Abgeordnete des Bundestags erhebt sich und winkt: »Keine Lust auf einen Frühschoppen?«

Der Verleger sieht auf die Uhr. Er hat noch reichlich Zeit bis zu seiner Verabredung mit Henry Kamossa. »Keine schlechte Idee«, entschließt er sich und geht auf die andere Straßenseite.

Die Piazza ist bereits seit Stunden überfüllt. Im ›Al Pontile‹ sitzen die Gäste dicht gedrängt, aber für einen Mann wie Kronwein wird immer ein Stuhl herbeigeschafft. Sie sitzen in der letzten Reihe, mit dem Rücken zur Wand, abgeschirmt gegen den Straßenlärm, sicher vor Zuhörern.

»Was trinken Sie?« lädt ihn Grevenich ein.

»Zunächst einmal einen ›Rémy-Martin«, erwidert der Verleger.

»Cognac am Morgen, Kummer und Sorgen«, albert der Frankfurter Rechtsanwalt. »Wie kann man nur an einem solchen Tag eine so saure Miene zeigen?« bemerkt der Ex-Politiker.

»Ich hab einen fürchterlichen Auftritt mit meiner Frau hinter mir«, versetzt der Verleger nach kurzem Zögern.

»Das Allerneueste«, erwidert der massive Mann mit der fettigen Stimme lachend. Im Parlament war er ein Hinterbänkler, der über Nacht bekannt wurde, als er von der Regierungspartei in die Opposition übertrat und ihr dadurch in einem Länderparlament die knappste Mehrheit verschaffte. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, daß bei dem politischen Gesinnungswandel Kamossas Geld die Hauptrolle gespielt habe, aber es gab keine Beweise dafür, auch wenn sich Grevenich ein Jahr später eine Tessiner Villa leisten konnte.

»Wollen Sie sich wieder mal scheiden lassen?« fragt der Anwalt belustigt.

»Diesmal ist es mir ernst«, erwidert Kronwein. »Ich muß sehen, wie ich das schaffe.«

»In Ihrem Fall geht das natürlich nicht auf Armenrecht«, spottet Grevenich. »Wenn Sie sich wirklich schlüssig sind, rufen Sie mich an. Ich berate Sie gern. Kostenlos. Nichts ist aussichtslos«, tröstet er seinen Vielleicht-Mandanten. »Etwas geht immer.«

»Sie haben Erfahrung mit schwierigen Scheidungsprozessen?«

»Wovon lebte ein Anwalt Ihrer Meinung nach, bevor er Abgeordneter wurde?« entgegnet der Rundliche.

»Sagen Sie mir bitte, wie man eine Frau los wird, die man zu zwanzig Prozent am Unternehmen beteiligt hat?«

»Da gibt es schon Möglichkeiten«, versetzt der Jurist. »Sie könnten zum Beispiel Ihre Verlagsgruppe umgliedern und Ihrer Frau dabei ein Fünftel als selbständigen Teil abtreten.«

»Dazu bräuchte ich ihr Einverständnis – aber daran ist nicht zu denken.«

»Dann müssen Sie eine saftige Kapitalerhöhung vornehmen, bei der Ihrer Geschäfts- und Ehepartnerin, die Luft ausgeht.«

»Daran hab ich auch schon gedacht.«

»Das heißt natürlich opfern, nicht spenden«, erklärt Grevenich und lacht wie über einen guten Witz. »Seit wann ist Ihre Frau Teilhaberin?« Er wird wieder ernsthaft.

»Das war mein Hochzeitsgeschenk vor fünfzehn Jahren.«

»Die Morgengabe. Und Ihre Frau weiß Bescheid über Ihre geschäftlichen Aktivitäten?«

»Wie sollte ich das verhindern?« antwortet Kronwein kleinlaut.

»Vermutlich kennt sie auch Geschäfte, die Sie schon vor Ihrer Eheschließung praktiziert haben?«

»Auch das, fürchte ich …«

»Schlimm. Sie stehen also unter Pression«, erwidert der Scheidungs-Spezialist. »Ihre Frau droht Ihnen mit ihrem Wissen?«

»So ungefähr.«

»Nun nehmen die Gerichte eine rachsüchtige Frau nicht so schrecklich ernst«, doziert Grevenich. »Es sei denn, sie hätte Beweise. Wie sieht’s denn damit aus?«

»Teils, teils«, antwortet der Scheidungs-Anwärter.

»Dann wäre also zunächst zu überprüfen, wieweit strafrechtliche Vorgänge bereits verjährt sind – einen Mord werden Sie schon nicht begangen haben, Kronwein.«

»Sie Witzbold«, entgegnet der Konsul. »Sie meinen also, ich …«

»Ich weiß«, versetzt der Pykniker großmütig. »Wer wie Sie in den Gründerjahren ganz nach oben kommen wollte, hat häufig Dreck am Stecken.«

Er winkt das Serviermädchen herbei, ordert neue Getränke. »Ich hab mich zwar schon weitgehend zurückgezogen, aber meine Praxis, geführt von meinem Sozius, besteht weiterhin. Ich will mich nicht aufdrängen, doch wenn Sie wollen, übernehme ich Ihren Fall. Dann freilich nicht mehr aus reiner Freundschaft.«

»Betrachten Sie mich als Ihren Klienten«, entgegnet Kronwein.

»Überschlafen Sie Ihren Vorsatz noch eine Nacht lang. Wenn Sie dann immer noch der gleichen Meinung sind, kommen Sie morgen früh zu mir ins Haus. Sagen wir ab neun Uhr.« Der Anwalt wechselt das Thema. »Haben Sie schon von der Sache mit Kamossa gehört?« fragt er und dämpft die Stimme. »Heute nacht sind in Ascona angebliche Fahndungsplakate angeklebt worden, auf denen Kamossa als Erpesser, Betrüger und Steuerhinterzieher hingestellt wird«, tratscht er. »Und Sie werden es nicht für möglich halten, Kronwein«, tuschelt Grevenich weiter, »sogar als Mordanstifter.«

»Woher wissen Sie das?«

»Unterschätzen Sie mich nicht. Ich hab noch immer allerbeste Verbindungen«, prahlt er, obwohl ihm in Wirklichkeit seine Tessiner Zugehfrau den morgendlichen Spuk hinterbracht hat. »Es schadet Kamossa sicher nicht«, fügt er hinzu.

Die Feststellung klingt wie eine Frage.

»Warum sollte ihn ein dummer Bubenstreich erschüttern?« antwortet der Verleger. »Der Mann sitzt fest im Sattel – nicht in einem, sondern mindestens in einem halben Dutzend.«

»Aber Kamossa hat zur Zeit keine besonders gute Presse. Die Grams-Geschichte wirft Wellen.« Grevenich deutet auf einige Zeitungen, die am Tisch liegen. »Die ›Frankfurter‹ spricht sogar von einem Anschlag auf die freie Marktwirtschaft.«

»So ein Blödsinn«, antwortet der Verleger. »Die Marktwirtschaft ist so frei, wie eine Hure keusch ist.« Er lacht trocken. »Am Sonntag vielleicht.«

»Sehr hart formuliert«, sagt der frühere Volksvertreter und lacht gezwungen. »Aber wenn das so weitergeht mit der Konzentration in der Wirtschaft, haben Sie nicht so unrecht. Ich bin froh, daß ich politisch nicht mehr aktiv tätig bin und mit diesen Dingen nichts zu tun habe.«

»Aber Sie hatten mit Kamossa zu tun«, erinnert ihn Kronwein.

»Sie doch auch«, schießt Grevenich zurück.

»Richtig«, bestätigt der Konsul. »Dann wissen wir beide, daß dieser Ausnahme-Mensch unangreifbar ist. Wer ihn angreift, läuft auf eine Tretmine und fliegt in die Luft.«

»Vorsicht!« warnt der Überläufer a. D. und das Thema wechselnd. »Schräg hinter uns sitzt die Juwelen-Olga.«

Die Demi-Matrone ist die erfolgreichste der Asconeser Millionen-Witwen, die ihre artigen Verjüngungs-Jünglinge vorführen wie niedliche Schoßhunde. Ihr Begleiter ist kein professioneller Playboy – das beweist er schon durch den Arbeitskittel, den er zu ihrem Ärger trägt. Trotz zweier Weltreisen, die er mit seinen Jahrzehnte älteren Begleiterinnen absolviert hat, gibt er die ererbte Kunst- und Bauschreinerei nicht auf, um kein bloßer Lustknecht der Liebe zu werden. Giorgio, der die Welt kennenlernte, ist eine Lokal-Größe. Er sieht blendend aus, ein athletischer Typ mit vorteilhaft geschnittenen dunklen Haaren und leuchtenden Augen von einem ganz bestimmten Blau. Die Kobaltblitze, die er verschießt, gelten den Damen und gehen selten daneben, doch die Juwelen-Olga hütet Giorgio so penibel wie ihren Besitz.

»Jetzt ist es passiert«, erkennt Grevenich, der aus dem Augenwinkel feststellt, daß sich die Juwelen-Olga auf ihren Tisch zuschiebt.

»Die Herren plaudern so angeregt«, sagt sie im rheinischen Dialekt. »Gibt’s was Neues?«

»Gar nichts«, antwortet der Anwalt. »Oder wissen Sie etwas, Gnädigste?«

»Sie kommen doch am Samstag zu meiner Party?«

»Wenn ich dann noch in Ascona bin, folge ich gern Ihrer Einladung«, antwortet der Verleger.

Von Grevenich ist ohnedies bekannt, daß er nie eine Veranstaltung ausläßt. »Ich muß leider nach Hause«, entschuldigt sich der Ex-Politiker, zahlt, geht und überläßt Kronwein seinen Überlegungen.

Der Konsul blinzelt in die Sonne, verfolgt, wie der junge Grams, von einem Motorboot geschleppt, sein Repertoire mit einem Trick-Ski vorführt. In Ufernähe ist das verboten, aber das kümmert Ferry nicht. Der Berufserbe – als Urinator verspottet – muß seine morgendliche Schlappe wieder auswetzen.

Ringsum herrscht babylonisches Sprachgewirr; am wenigsten parliert man italienisch, die Landessprache. Vor dem Verleger schmust ein junges Liebespaar und bringt ihn auf andere Gedanken. Dann stellt er fest, daß ihm vom Nebentisch ein rothaariges Mädchen zulächelt. Sicherheitshalber überzeugt er sich, daß es keinem anderen gilt.

»Kennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Konsul?« ruft sie ihm zu. »Wir waren doch auf der Party – bei den Wildangers, Ich bin die Daisy.«

»Mein Gott, entschuldigen Sie!« schaltet Kronwein rasch. »Aber Sie sind ja inzwischen noch hübscher geworden.«

»Sie Schmeichler«, gurrt sie.

»Wie wär’s mit einem Pikkolo?«

Daisy zögert, nickt dann und kommt an den Tisch. Sie nimmt Grevenichs Stuhl ein. »Eigentlich sollte ich mich nicht mit Ihnen sehen lassen«, bemerkt sie. »Sie haben nicht den besten Ruf, Herr Kronwein.«

»Sie doch auch nicht«, erwidert er lachend und blödelt: »Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt sich’s völlig ungeniert.«

»Und Ihre Gattin?«

»Meine Ex-Gattin«, versetzt der Verleger grimmig. »Ich hab mich vor einer halben Stunde von ihr getrennt, und zwar für immer. Grevenich hab ich soeben als meinen Scheidungsanwalt verpflichtet.«

Solcherlei oder ähnliche Behauptungen hörte Daisy bisher von jedem verheirateten Mann in den besten Jahren, die den besseren folgen. Darauf fällt sie schon lange nicht mehr herein, aber irgendwie spürt die Gespielin der Berufserben und Kandidatin der Kapitalrentner, daß Kronweins Lamento nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.

»Gratuliere«, antwortet sie dann. »Und wer ist die Glückliche?«

»Das ist noch offen.« Kronwein stößt mit der roten Daisy an und betrachtet sie dabei anzüglich. »Auf jeden Fall eine jüngere, liebenswertere und hübschere.« Er sucht ihren Blick und setzt hinzu: »Zum Beispiel eine wie Sie, Daisy.« Er sieht auf die Uhr. Er hat noch eineinhalb Stunden Zeit, um aus der Gelegenheit Kapital zu schlagen. Er nimmt mit den Augen einen Vorschuß, fühlt, wie er von einem wohligen Gefühl überspült wird. Die roten Haare des Mädchens erinnern ihn an eine mindestens zwanzig Jahre jüngere Carlotta. Ihre Augen sind etwas dunkler, dafür ist ihr Mund unbeschriebener. Kronweins Blick wandert tiefer, über den schönen Nacken in den freigiebigen Ausschnitt.

»Off limits, Herr Konsul!« Daisy klopft ihm lachend auf die Finger. »Außerdem hat meine Freundin Marion einen viel schöneren Busen als ich.«

»Ich bin bescheiden«, versetzt der Verleger. »Mir genügt schon Ihrer.«

Er sieht den jungen Kamossa auf den Tisch zukommen.

»Schon auf den Beinen, Daisy?« begrüßt er das Mädchen.

»Ich bin doch eine Sonnenanbeterin«, antwortet sie.

»Und eine Nachteule«, erwidert Patrick »Entschuldigen Sie, Herr Konsul«, verbeugt er sich höflich. »Mein Vater telefoniert hinter Ihnen her, er konnte Sie zu Hause nicht erreichen. Leider muß er die Einladung zum Mittagessen auf morgen verschieben, weil ihm heute etwas Dringendes in die Quere gekommen ist. Morgen also, am gleichen Ort zur gleichen Zeit«, wiederholt Patrick.

»Danke«, entgegnet der Verleger, würgt seine Verärgerung hinunter, zieht die durchhängende Unterlippe wieder hoch und lächelt dann seiner Begleiterin zu. »Eigentlich prima«, sagte er. »Mit Ihnen bin ich ja viel lieber zusammen als mit Freund Kamossa.«

»Nichts dagegen«, antwortet Daisy.

»Danach fahren wir zum Shopping nach Locarno«, macht der Kandidat sein Programm. »Suchen uns anschließend ein hübsches Grotto, um den Abend totzuschlagen. Später dann einen fashionablen Nightclub in Locarno und dann …«

»… schick ich Sie nach Hause«, unterbricht ihn Daisy lachend.

»Nein«, beteuert er, »heute nicht, morgen nicht, überhaupt nicht mehr.«

Sicherheitshalber ist Daisy nett zu dem Mann, aus dem sich vielleicht etwas machen läßt.

Nach mir komm ich

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