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Noch immer ungläubig begreift Carlotta allmählich, daß ihr Mann diesmal nicht streunt, sondern putscht. Er hat es noch nie gewagt, über Nacht wegzubleiben, zumindest nicht ohne eine stichhaltige – oder wenigstens fingierte – Ausrede. Sie erinnert sich an seine Drohungen von gestern, aber sie nimmt sie nicht ernst. Schließlich kennt sie ihn gut genug, um zu wissen, daß er zu feige ist, ihr ins Messer zu laufen.

Carlotta sitzt mit dünner Bluse und gutsitzenden Shorts auf der Terrasse ihres Gartens, ohne dem strahlenden Morgen etwas abzugewinnen, wiewohl sie sonst eine Naturschwärmerin ist. Der Lago ist fast so blau wie die Azurfarbe des Himmels. Auf seiner Oberfläche betrachtet sich die Sonne eitel wie im Spiegel. Ein Boot schneidet ihren Pausbakkenkopf, die Wellen werden zu Lachfältchen. Die oberen Häuser auf der weit weniger zersiedelten Ostseite des Lago wirken wie Falkennester. Eine Dampflock schnaubt der italienischen Grenzstation Dirinella entgegen.

Carlotta sieht es, ohne es zu bemerken, heute blicklos für das Spiel der Farben und des Lichts; sie hört nicht das Summen fleißiger Bienen und das Rascheln geschäftiger Eidechsen. Die Dressurleine, an der sie sonst den Eheflüchtling hält, ist gerissen. Die Knute der Dompteuse hängt unbenutzt im Schrank.

Es ist schon neun Uhr. Ihre Vermutung, Hans-Georg könnte sich nach München abgesetzt haben, verdichtet sich bei ihr zur Gewißheit. Trotz aus Feigheit: Je länger er sich auf Abwegen herumtreibt, desto länger wird er sich winden, seiner Frau wieder unter die Augen zu treten und die Bestrafung auf sich zu nehmen.

Carlotta kämpft mit sich und ruft dann doch in ihrer Münchener Privatvilla an. Niemand geht an das Telefon, nicht einmal der Hausmeister. Die Wütende wählt den Verlag, verlangt ihre Sekretärin erfährt daß sie sich heute freigenommen hat. Schließlich bekommt sie einen ihrer Hauptspitzel aus der Direktionsetage ans Telefon.

»Ich ruf gleich zurück«, verspricht der Mann hastig und legt auf. Carlotta begreift, daß er das Gespräch – aus Angst vor Mithörern – außer Haus führen wird.

»Ich rufe von der Tankstelle aus an«, meldet er sich zehn Minuten später. »Nein, gnä Frau, Ihr Mann ist nicht aufgetaucht. Er wird auch nicht erwartet. Er meldet sich nur ab und zu telefonisch.«

»Was steckt hinter diesem außergerichtlichen Vergleich mit Frau Melber?« fragt sie ihren Vertrauensmann direkt.

Er schweigt hörbar. »Es ist so schlimm, daß ich es Ihnen gar nicht sagen möchte«, beginnt er zögernd.

»Wieso?« fragt die Anruferin mit vibrierender Stimme. »Hört jemand mit?«

»Das nicht, aber …«Carlottas Günstling weiß, daß es keinEntrinnen gibt, und so schildert er die Szenen nach dem morgendlichen Posteingang.

»Und warum hat meine Sekretärin gekündigt?« fragt sie erregt.

»Wohl aus dem gleichen Grund«, antwortet der Spitzel. »Frau Melber hat ihr gezeigt, daß etwas zu holen ist, da ist sie zum gleichen Anwalt gegangen. Den Rest können Sie sich denken, gnä Frau. Es tut mir wirklich leid, aber …«

»Schon gut«, entgegnet Carlotta schrill. »Rufen Sie mich bitte an, falls mein Mann in München auftauchen sollte.«

Sie legt auf, starrt blind in die Sonne, bis ihr die Augen tränen. Der Zorn drückt ihr die Kehle zu, sie atmet schwer, entschlossen, sich grausam zu rächen. Einen Moment lang gaukelt ihr die Rachsucht blutrünstige Bilder vor: Sie sieht Hans-Georg auf den Knien vor ihr liegen, um Gnade winselnd. Aber sie weiß, daß sie ihn diesmal ganz anders fertigmachen muß.

Die Untätigkeit, zu der sie verdammt ist, droht Carlotta um den Verstand zu bringen. Gewaltsam zwingt sie sich, über das, Nächstliegende hinaus zu denken und alle Waffen zu sortieren, die sie gegen Hans-Georg verwenden kann. Es ist ein ganzes Arsenal, ausreichend für ein regelrechtes Overkilling. Gegen diese Übermacht kann der Eheflüchtling allenfalls schmutzige oder scheinheilige Tricks einsetzen, die bereits im Vorfeld scheitern müssen. In jedem Fall kann Carlotta die Scheidung verhindern – aber will sie das? Soll sie eine Ehe fortsetzen, die seit Jahren im Grunde nur davon lebt, daß sie marode ist – ein Zustand, der jetzt den Siedepunkt erreicht hat? Vielleicht, überlegt Carlotta, kommt sie weit besser weg, wenn sie in eine endgültige Trennung einwilligt, freilich zu ihren Bedingungen. Sie wäre dann frei, unabhängig, steinreich und eine noch immer attraktive Frau.

Fast wohllüstig genießt sie im voraus ihre Rache, eine unerbittliche Nemesis, die sich schon im Gerichtssaal sieht: nicht als Denunziantin, sondern als tapfere Frau, die, an einen Unhold gebunden, jahrelang schweigend durch die Hölle gegangen ist, zu anständig, um sich gegen ein Monster zu wehren.

Carlotta sonnt sich in diesem Moment vor dem Scheidungsrichter: eine kultivierte Dame, weit jünger als nach der Geburtsurkunde, in einem eleganten Pariser Kostüm, dessen Farben genau auf ihre Augen abgestimmt sind, Augen, die schimmern wie Eis im Föhn.

Sie wird so im Blickpunkt stehen, bemitleidet und doch bewundert, eine Frau, die mit der Preisgabe schrecklicher Einzelheiten noch immer zurückhält und sie nur unter Drängen des Richters mit leiser Stimme vorbringen kann, immer davor schaudernd, daß sie den einstmals Geliebten vernichten muß – und dafür mit einer Millionenabfindung belohnt wird. Bis dahin ist freilich ein weiter Weg – falls er überhaupt beschreitbar ist, denn wenn sie den Verleger ruiniert, gefährdet sie auch ihre Alimentation.

Carlotta ist so in Rage, daß sie einen Sofort-Triumph braucht, wie immer er aussehen mag. Dabei unterläuft ihr eine typisch weibliche Reaktion: Sie sucht im Telefonbuch die Nummer der Bau-und Kunstschreinerei Marazzo heraus, läutet sie an, fragt nach dem Chef und wird mit Giorgio, dem Junior, verbunden.

»Frau Konsul Kronwein«, meldet sie sich. »Sie kennen mich doch?«

»Aber ja, Madame. Leider nur aus der Ferne. Ich gehöre _ schon lange zu Ihren Bewunderern«, antwortet er in einem Deutsch, das sein italienischer Akzent so pikant macht. »Was kann ich für Sie tun?«

»Kommen Sie doch bitte heute vormittag bei mir vorbei«, erwidert Carlotta. »Ich habe eine eilige Arbeit für Sie.«

»Sie haben Glück, Madame«, behauptet Juwelen-Olgas fleißiger Adonis. »Ich bin im Moment gerade frei,«

Zehn Minuten später fährt er in Moscia vor, in blauen Jeans und rotem, bis zum Nabel offenem Hemd, das keinen Zweifel über den durchtrainierten Körper aufkommen läßt. Er betrachtet Carlotta ungeniert, entwaffnend, unverschämt – nicht wie eine Auftraggeberin, sondern eher wie ein Draufgänger eine Frau betrachtet, über die er herfallen möchte.

»Worum handelt es sich?« fragt Giorgio und bombardiert Carlotta mit Kobaltblitzen.

»Sie haben Ihr Handwerkszeug dabei?«

»Ja – im Wagen. Worum handelt es sich eigentlich?«

»Kommen Sie!« fordert ihn Carlotta auf.

Sie geht in den ersten Stock voraus, öffnet die Tür zu ihrem Schlafzimmer, dem Schauplatz ehelicher Zweikämpfe mit seinen Dressuren und Blessuren. Die Folterkammer ist ausgesprochen feminin – mit großen Wandspiegeln bestückt, alles rund und weich, in Weiß und Rosa, die Gardinen wie der falsche Baldachin über einem wertvollen Renaissancebett aus massivem Holz mit kunstvollen Schnitzereien aus der Zeit der Borgias, der Medicis, der Giftmörderinnen, der Condottieri, der berühmten Maler und der verlotterten Päpste.

»Sägen Sie es auseinander!« befiehlt Carlotta mit rauher Stimme. »Und zwar genau in der Mitte.«

»Was soll ich tun?« fragt Giorgio verständnislos.

»Auseinandersägen«, wiederholt sie.

»Warum?«

»Das geht Sie nichts an«, weist ihn Carlotta zurecht. »Tut mir leid, Madame, das kann ich nicht tun. Es ist einfach nicht zu verantworten, ein so schönes Stück zu ruinieren.« Er vergewissert sich: »Es ist doch echt?«

»Sogar mit Zertifikat.«

»Dann ist es doch mindestens 30 000 Franken wert und steht unter Denkmalschutz.«

»50 000«, verbessert ihn die Frau auf hohen Absätzen, die ihre Beine verlängern. »Mindestens.« Für Carlotta ist ein Handwerker als Mann uninteressant, aber sie stellt fest, daß er nicht nach Schweiß riecht, sondern nach einem herben Gesichtswasser duftet, auch keine dreckigen Fingernägel hat und keinerlei beflissene Unterwürfigkeit zeigt.

»Wenn ich es auseinanderschneide, können Sie diese wunderschöne Rarität im offenen Kamin verheizen«, versetzt Giorgio und nimmt Maß bei den prallsitzenden Shorts und der durchsichtigen Bluse, dem straffen Körper mit den Rundungen an den richtigen Stellen.

»Tun Sie, was ich Ihnen sage!« fährt ihn Carlotta an. »Dafür werden Sie schließlich bezahlt:«

Giorgio schüttelt den Kopf, geht bekümmert zu seinem Wagen und holt die Motorsäge. Nach seiner Rückkehr zögert er noch immer, den Auftrag einer offensichtlich Verrückten hinter sich zu bringen.

»Wollen Sie nicht doch noch einmal mit Ihrem Mann daürber reden, Madame?« fragt Giorgio vorsichtig.

»Mein Mann ist außer Haus«, erwiderte Carlotta »Er wird so schnell auch nicht zurückkehren.« Sie schürzt die Lippen. »Und wenn er kommt, werfe ich ihn hinaus.« Sie sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen im Sessel. Ihr Blick lotet den Mann unter ihrem Niveau aus. Sie stellt fest, daß er bei Tageslicht genauso gut aussieht wie auf Partys im Halbdunkel: Breite Schultern, schmale Hüften, die richtige Größe, diese provokanten Augen und das unverschämte Selbstbewußtsein. Der geborene Verführer, wohl für das Bett geschaffen wie der Windhund für die Rennbahn. Ein Latin Lover von vielleicht 35, der aussieht wie ein Gott, sich verdingt wie ein Knecht, ausgerechnet an die Juwelen-Olga, diese fette alte Lustkuh. Unverzeihlich, sagt sie sich und sieht in diesem Moment die unersättliche Halbmatrone vor sich, die ihren Bettgesellen öffentlich, voll Besitzerstolz verführt, mit kichernder Scham, weil er doch zu jung für sie ist.

»Wie Sie meinen«, sagt Giorgio ergeben. »Doch zuerst muß ich am Schaltkasten die Netzspannung überprüfen, sonst brennt uns die Sicherung durch.«

»Nun machen Sie schon!« erwidert Carlotta, noch immer ungnädig, doch eine Spur freundlicher. »Die eine Hälfte des Betts lassen Sie hier stehen, die andere tragen Sie dann in das Arbeitszimmer meines Mannes«, ordnet sie an. Unglaublich, wie gut er aussieht, stellt Carlotta erneut fest. »Darf ich Sie mal was Indiskretes fragen, Giorgio?« Sie kann sich nicht länger beherrschen. »Sind Sie wirklich immer noch mit dieser – dieser Juwelen-Olga liiert?«

»Was heißt liiert? Ich schlafe mit ihr.«

»Mit dieser abgetakelten Fregatte?«

Giorgio schüttelt betrübt den Kopf. »Madame«, versetzt er vorwurfsvoll, »eine Frau ist immer so alt, wie sie sich anfaßt.«

»Meinen Sie die Frau«, spottet Carlotta, »oder ihr Bankkonto?«

»Da kennen Sie Olga schlecht«, kontert der gefragte Ladykiller. »Sie baut hier ein Haus nach dem anderen, und wir übernehmen dafür die Schreinerarbeiten und mußten deswegen sieben neue Leute einstellen. Aber fragen Sie nicht, wie sie sich beim Bezahlen anstellt! Sie geht zur Konkurrenz, läßt sich unter dem Gelächter meiner Kollegen niedrige Kostenvoranschläge machen und drückt mich dann, wo sie kann. Wissen Sie denn nicht, daß Olga krankhaft geizig ist, Madame? Sie hat es doch fertiggebracht, mir fünf Rollen feinstes Klopapier für unser Zusammensein in Rechnung zu stellen, dabei kauft sie nur das billigste bei der Migros.«

»Aber das haben Sie doch jetzt erfunden, Giorgio.«

»Nein, ich schwöre, daß es stimmt. Ich warte nur noch darauf, daß ich ihr auch noch die Zahnpasta bezahlen muß.«

»Und die großen Reisen, die Sie mit der Millionenwitwe gemacht haben?«

»Das ist etwas anderes. Olga zahlt die Tickets und die Hotels, und ich arbeite schließlich als ihr Dolmetscher – außer italienisch und deutsch spreche ich noch englisch und französisch und sogar ein bißchen spanisch –, Reisesekretär, Gesellschafter und Leibwächter.«

»Und als Schlafbursche.«

»Das geht gratis«, erwidert Giorgio. »Das ist eine Sonderleistung des Hauses Marazzo.«

»Im Massagesalon von Bangkok?«

»Auch da. Ich bin ein Mann mit großem Bildungsinteresse. Das ist doch nichts Schlechtes, oder? Ich habe vielleicht. schon mehr von der Welt gesehen als Sie und Ihr Mann, Madame«, stellt er unverfroren fest. Bevor sie auf seine Unverschämtheit erwidern kann, setzt Giorgio hinzu: »Ist denn der Streit mit Ihrem Mann so schlimm?«

Carlotta nickt.

»Aber da gibt es doch ganz andere Möglichkeiten, sich an ihm zu rächen«, sagt er, geht auf sie zu, betrachtet sie mit Augen, die sie ausziehen. Sie spürt es, aber es ist ihr nicht unangenehm; vielleicht hätte sie sich nur einen Morgenmantel überwerfen sollen.

»Was ist jetzt mit Ihrem Starkstrom?« Carlotta versucht auf Distanz zu bleiben.

»Ich stehe immer unter Starkstrom«, antwortet der Adonis lächelnd. »Und eine Reise um die Welt kann man auch ohne Fahrkarte machen, ohne Hotelbuchung und ohne Massagesalon«, sagt er und geht auf sie zu.

Carlotta will ihm ins Gesicht schlagen. Giorgio fängt ihre Hände auf, öffnet sie, küßt die Innenflächen. Er versteht sein Fach, zieht sie an sich. Er merkt, daß sie zittert und ihr Atem sich beschleunigt, der Blick sich verschleiert und die Nasenflügel beben – und er ist ein erfahrener Diagnostiker.

»Ich tue alles für Sie, Madame«, beteuert Giorgio und strampelt sich aus seinen Jeans.

»Was fällt Ihnen ein?« fragt sie außer Atem.

»Das gleiche wie Ihnen, Madame«, erwidert er.

Er reißt Carlotta an sich und läßt sich mit ihr vornüber auf das antike Bett fallen. Der Mann unter ihrem Niveau ist auf einmal über ihr, streichelt sie mit kundigen Händen, so daß sie erst nicht merkt, daß er ihr dabei die Bluse abgestreift hat, als seine Zunge über ihre Haut gleitet. Sie versucht, ihn wegzuschieben und gießt dabei Öl ins Feuer, von dem sie erfaßt wird.

»Geh zum Teufel, aber komm!« stöhnt Carlotta.

»Gleich«, erwidert er »Nichts überstürzen, wir haben doch Zeit.« Sie kann nicht mehr antworten. Giorgios Lippen versperren ihren Mund. Er küßt sie, und Carlotta beißt ihn in die Unterlippe, aber der Verführer spürt es nicht. Ihre Nägel krallen sich in seine Haut, ziehen blutige Spuren. Ihr Atem geht stoßweise.

»Komm doch endlich!« Sie bäumt sich auf.

Er verzögert das Eindringen in ihren Körper, um das Verlangen noch mehr anzuheizen. »Ich war schon immer wild auf dich«, raunt er ihr zu. »Gleich muß ich explodieren, ich …«

»Du kannst mich haben«, keucht sie. »Nun nimm mich doch endlich. Bitte – ja – ich, ich halt das nicht länger aus.« Sie greift nach seinem Glied, zieht Giorgio an sich heran, ist nahezu besinnungslos, als sein Maskulinum in ihren Sog gerät. Sie schreit auf, vergißt das Hausmädchen und den Gärtner. Sie schluchzt und keucht im Hin und Her und Auf und Ab, bald unter ihm, bald über ihm. »Jetzt – ja«, stöhnt Carlotta mit verzerrtem Gesicht. »Mach mich fertig. Jetzt. Gleich.«

Giorgio verzögert den Höhepunkt.

»Fuck me, fuck me, son of a bitch«, treibt sie ihn an, aber ein Profi wie Giorgio läßt sich ihren Rhythmus nicht aufdrängen und sie mit ihrem ersten Orgasmus ins Leere laufen, wartet, bis sie sich einigermaßen abgeregt hat, erschöpft und stumm in den Kissen liegend.

»Das war keine Weltreise, Madame«, tadelt er. »Wir sind noch nicht einmal in Locarno eingetroffen.« Er lacht. »Aber gleich fährt der Zug weiter.«

Und dann wird Giorgio wild, reißt sie mit, dreht sich selbst im Strudel, raunt ihr auf italienisch Zoten zu, die zärtlich klingen. Ein Virtuose, der seinem Instrument die höchsten Töne entlockt, bis zum Fortissimo.

Er beginnt das alte Spiel, zieht Carlotta an sich, schiebt sie wieder weg. Seine Hände erschließen Zone um Zone ihres Körpers, dabei ist ihm, als würden halb erfrorene Hände in kochendes Wasser tauchen. Er balanciert am Rande des Abgrunds, spürt, wie sich die Poren seiner Haut öffnen wie platzende schoten. Während er ihr heiße Worte zuraurit, kriecht Carlottas Mund wie eine Schnecke über seinen Körper. Die Partitur, nach der er dirigiert, verschwimmt vor seinen Augen, er verliert den Taktstock. Ihre Körper verkeilen sich ineinander, treiben auseinander. Giorgios Hände pressen sich auf ihren Körper. Ihre abgewinkelten Beine nehmen den trainierten Body in die Zange.

Die beiden rasen aufeinander zu wie zwei Schiffe, die zusammenstoßen müssen. Dann dreht sich der Ozean im Orkan, immer schneller, immer stürmischer. Der Drang nimmt ihnen das Gehör, in ihren Köpfen rauscht das Blut, Carlotta bläst dem Mann die schweißnassen Haare aus der Stirn. Crash.

Die Explosion zerreißt sie in kleine Stücke. Dann erst merken sie, daß sie überlebt haben.

»Du hast geschrien, daß man es drei Häuser weit hören mußte«, sagt Giorgio belustigt. »Bist du erotisch so unterernährt?«

»Wir müssen verrückt sein«, erwidert sie lachend.

Er betrachtet ihre zerzausten Hare, den verschmierten Lippenstift, das aufgelöste, verschwitzte Gesicht. »Mit deinem Mann ist wohl nicht viel los?« fragt er.

»Ein Schlappschwanz in jeder Hinsicht«, entgegnet Carlotta. »Dafür ist mit dir etwas los. Leider bist du viel zu jung für mich.«

»Nur einer Stradivari kannst du solche Klänge entlokken«, entgegnet Giorgio lächelnd. »Außerdem bist du sechzehn Jahre jünger als Olga.«

»Wenn sie es erfährt, bist du deine Aufträge los.«

»Und wenn schon«, erwidert Giorgio. »Wir haben Hochkonjunktur. Ich muß so viele Absagen erteilen, weil meine Kapazität nicht ausreicht.« Mit dem Zeigefinger fährt er an Carlottas Lippen entlang. »Wirst du deinem Mann etwas erzählen über unsere Kissenschlacht?«

»Das wird schon das Hausmädchen besorgen, falls er sich hier noch einmal blicken läßt.« Carlotta macht sich von ihm frei, steht auf. »Und was sagst du deiner Glitzer-Olga?«

»Weiß ich noch nicht«, erwidert er unbekümmert. »Vielleicht, daß sie mir zu geizig ist oder zu dick.«

Sie geht ins Bad. »Wenn du duschen willst, Giorgio« –, sie deutet auf die andere Seite –, »dort ist eine Kabine.«

Er läßt den kalten Strahl auf die Haut prasseln und lächelt dabei wie ein Kater, der ein ganzes Mäusenest ausgehoben hat. Er trocknet sich ab, legt sich ein Handtuch als Lendenschurz um, kommt zurück.

»Laß dich einmal richtig ansehen«, sagt Carlotta bewundernd. »Du bist wirklich gut gewachsen. Warum bist du so stark, so männlich?«

»Ich rauche nicht, ich trinke nicht. Ich brauche keinen Joint und keine Droge. Ich hab nur eine Leidenschaft, l’unica passione«, fällt er ins Italienische, »Chiavare …«

»Chiavare?« fragt sie.

»Fare l’amore«, erwidert er, »faire l’amour, making love.« Er bläst ihr die Haare aus der Stirn. »Zu deutsch: Bummbumm machen.«

Er steht vor einem großen Wandspiegel, legt die Arme um Carlotta, zieht sie an sich. Sie stellt fest, wie sein Verlangen zurückkehrt.

»Bist du verrückt, Giorgio?« fragt sie. »Wir haben einen halben Wald gefällt, und du greifst schon wieder nach der Axt.« Carlotta wehrt ihn ab und deutet auf das Bett. »Nach dem Vergnügen an die Arbeit.«

»Und wo sollen wir künftig unsere Weltreise fortsetzen?«

»Es gibt noch genug Betten im Haus.«

»Aber kein so herrliches«, versetzt er.

»Heißt das, daß du wiederkommen willst?«

»Heute abend schont, antwortet er. »Wir sind jetzt zumindest schon in Zürich. Dort besteigen wir das Flugzeug und starten nach Timbuktu.«

»Warum nach Timbuktu?«

»Weil es da besonders toll zugeht.«

Carlotta hat nichts dagegen. Es wird einen Skandal geben, in und um Ascona, aber es ist ihr gleichgültig. Wenn es Hans-Georg erfährt, um so besser. Er hat ihr weit Schlimmeres angefan. Jetzt hat sie sich revanchiert, und wenn sie so nebenbei diese Brillanten-Grandma blamiert, wird es ihr nur recht sein. Soll sie toben wie ein Fischweib, sie wird an ihrer Stelle die Reise um die Welt mit Giorgio fortsetzen.

Ihr Zorn ist verraucht, Sie kann wieder geordnet denken.

Auf einmal weiß sie, was sie zu tun hat: Aus der Kränkung heraus wird sie zum Angriff antreten. Sie braucht einen gerissenen Anwalt und überlegt, wen sie mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betreuen könnte. Wen könnte sie wählen? Eigentlich müßte Carlotta nach München fahren, aber sie hat keine Lust, sich jetzt, da diese schweinischen Geschichten im Verlag passiert sind, dem Gespött auszusetzen, statt ihre Beziehung zu Giorgio fortzusetzen.

Wenn sie an einen erreichbaren und mit allen Wassern gewaschenen Advokaten denkt, fällt ihr automatisch Grevelnich ein, der Ex-Politiker, einer der weiß, was sich mit Kellerleichen anfangen läßt.

Carlotta ruft ihn an. Der Anwalt ist gleich selbst in der Leitung. »Gnädigste«, begrüßt er sie, »wie ich mich freue, Ihre Stimme zu hören.«

Um das Palaver abzuwürgen, kommt sie gleich zur Sache und fragt Grevenich, ob er sie bei ihrer beabsichtigten Scheidung vertreten wolle.

»Sie wollen sich von Ihrem Mann trennen, Gnädigste?« fragt er hellwach. »Ich praktiziere ja kaum noch – aber ich hätte Sie furchtbar gern vertreten, leider kommen Sie einen halben Tag zu spät.«

»Wieso?« unterbricht ihn Carlotta.

»Es ist mir peinlich, aber ich kann es Ihnen nicht verschweigen«, antwortet er zögernd. »Ich vertrete bereits Ihren Mann. Aber ich bin gern bereit, Ihnen einen tüchtigen Kollegen zu empfehlen.«

»Ich verzichte«, erwidert die Anruferin kalt. »Ich kann Ihnen nur sagen«, keift sie ordinär, »daß Sie mit diesem Mandanten barfuß in die Scheiße getreten sind.«

»Wir wollen doch unnötige Komplikationen vermeiden«, fährt er mit salbungsvoller Stimme fort. »Ich bin dafür, daß wir uns in Ruhe zusammensetzen und …«

»Mit einem solchen Schwein wie Hans-Georg setze ich mich nie mehr an einen Tisch«, entgegnet Carlotta. »Ein Kerl, der reif ist fürs Zuchthaus!«

»Aber, aber, Gnädigste!« wiegelt der Jurist ab. »Ich weiß, es gibt da ein paar – sagen wir – unschöne Punkte in der Vergangenheit Ihres Mannes, aber in solche sind Sie – entschuldigen Sie bitte – als seine Teilhaberin und Mitwisserin selbst verstrickt und … ‹‹

»Unerhört!« stoppt sie ihn.

»Lassen Sie mich bitte ausreden, Gnädigste! Außerdem sind einige – einige Geschichten Ihres Mannes verjährt oder nicht mehr beweisbar.«

»Meinen Sie?« höhnt Carlotta. »Ich hätte Sie nicht für so naiv gehalten, Herr Grevenich. Es gibt auch noch Zeugen, und zum Teil sogar sehr prominente – zum Beispiel Henry Kamossa.«

»Was hat er mit Ihrem Mann zu tun?« fragt Grevenich ein wenig zu hastig.

»Hat Ihnen Hans-Georg nichts über den Zweieinhalb-Millionen-Deal mit dem Finanzminister – unter Kamossas Patronat – erzählt? Was meinen Sie, wie sich die Presse darauf freut, wenn ich diesen Machtklotz in den Zeugenstand zitiere.«

»Er wird nicht erscheinen«, erwidert der Jurist erschrokken. »Und ich würde Ihnen dringend raten, einen Mann wie ihn nicht in Ihre Scheidung hineinzuziehen. Mein Gott, Sie schlagen ja tief unter die Gürtellinie, Gnädigste!«

»Noch tiefer«, versetzt Carlotta. »Ich werde Hans-Georg dahin treten, wo es am meisten schmerzt«, setzt sie hinzu und knallt den Hörer auf die Gabel.

Sie hat alle Trümpfe in der Hand und noch einige Joker im Ärmel, und sie ist entschlossen, sie hemmungslos auszuspielen.

Nach mir komm ich

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