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Grenzlein war kein Blindgänger, eher eine Bombe. Seit wir es wußten, mußten wir mit der Spannung leben. Sie begann bereits auf der Rückfahrt vom U-Gefängnis in den Fuchsbau. Der General verzichtete darauf, mich wie üblich mit dem Lieferauto zu speditieren. Er bot mir in seinem Wagen – bei zugezogenen Vorhängen – Platz an.

»Wir haben verdammt wenig Zeit«, sagte er. »Aber jetzt läuft uns die Geschichte zu schnell davon.« Er sah auf die Uhr. »Noch 47 Stunden bis zu Ihrem Einstieg. Von da an gibt es kein Zurück mehr.« Er verging sich an meiner Grenzlein-Legende, bot mir eine Zigarette an und gab mir sogar Feuer. »Ich habe keine Ahnung, wie Sie das schaffen sollen«, klagte er.

Aber ich war auf der Hut, denn immer, wenn er sich menschlich gab, verlangte er Unmenschliches.

Ein unmögliches Pensum für zwei Tage.

Um mit dem Angenehmsten anzufangen, mußte ich in dieser Zeit meine arabischen Sprachkenntnisse vervollständigen. Ich würde bei Diana in die Schule gehen, ein betagter Oberkläßler, der weniger auf die Tafel als auf seine hübsche Lehrerin starrte.

Es galt weiterhin, im Eiltempo Grenzleins Lebenslauf zu komplettieren. Dann kam das schlimmste: der Identitätstest. Eine Schwimmweste kann einen Schiffbrüchigen nur tragen, wenn sie wasserdicht ist. Das ließ sich nur bei Menschen feststellen, die meinem Doppelgänger nahestanden, und zwar am besten Frauen, weil sie schärfere Beobachter des Äußerlichen sind.

Da gab es eine Sybille Franzen, eine leicht brüchige Gelegenheitsliebe Grenzleins. Und da gab es Grete Grenzlein, seine Mutter, die bereits drei Monate Kriegerwitwe gewesen war, als sie ihren Sohn zur Welt brachte.

Bei der Beurteilung Grenzleins waren sich der General und ich einig: Der Mann mochte ein fauler, feiler Typ sein, ein Schwätzer war er nicht. Auf eine abseitige Art intelligent, zynisch bis auf die Knochen, körperlich trainiert und politisch geschult, wäre er durchaus im Stande gewesen, auch ein verschärftes Kreuzverhör noch Wochen durchzustehen, und sei es auch nur, um den Preis hochzutreiben.

»Wenn er sich so schnell mit uns verständigt«, dachte ich laut, »dann brennt ihm die Zeit unter den Nägeln.«

»Klar«, analysierte der General. »Er will den Anschluß nicht versäumen. Seine Terrorkumpane könnten auch einen anderen deutschen Einweiser finden. Wenn am Montag – ohne seine bewährte Mitwirkung – so ein Horrorstück aus der levantinischen Gruselkiste platzt, kann er uns nicht mehr verkaufen, was am Dienstag schon in allen Zeitungen steht. Wer ist dieser Dr. Fingers?« fragte mich der Vize. »Kommt er in unserem System 777 vor?«

»Natürlich«, antwortete ich. »Sind zusammen zur Schule gegangen. Sonst weder persönliche noch politische Verbindungen. Der Rechtsanwalt hat mein Double vor Jahren bei einem Vaterschaftsprozeß vertreten.« Ich lachte die Nummer Zwo voll an. »Wissen Sie eigentlich, daß ich Vater einer vierjährigen, hübschen, wenn auch ledigen Tochter bin?«

»Gratuliere!« antwortete er trocken.

»Leider kann ich mich nicht um das Kind kümmern, weil er es auch nicht tut.«

»Macht die Organisation zu gegebener Zeit«, erwiderte der Quadratschädel.

Es war kurz vor 23 Uhr. Wenn ich ganz schnell mein Apartment erreichte, war Diana womöglich noch auf, und ich könnte den gerissenen Abend wieder verknüpfen, aber der General hielt mich noch fest: Er setzte während der Nacht unsere ganze Apparatur in Trab. Es wurde drei Uhr. Als ich mich auf mein Quartier zuschleppte, horchte ich einen Moment lang vor Dianas Tür: Aber weder schnarchte sie noch rief sie: »Herein.«

Um sechs Uhr stand ich unter der Dusche und überlegte, wie ich meine unständige Begleiterin zu einer Frühaufsteherin machen könnte – aber ich hatte wieder einmal den General unterschätzt. Diana war zur Unzeit geweckt worden, weil arabische Überstunden einzulegen waren.

Ich trug einen Bademantel und ein dümmliches Gesicht, als ich sah, daß sie in der Eßnische meines Apartments das Frühstück durch feminine Zutaten ergänzte.

»Ahlan wesahlan«, begrüßte sie mich: »Izzaiyak? … Wie geht es?«

»Il hamdu lillâh kuwaiyis … Danke gut«, antwortete ich und wunderte mich, wie umständlich man sich ausdrücken konnte.

Zunächst verbesserte Diana meine Aussprache, dann strich sie mir ein Brötchen. Wir kamen überein, während des Frühstücks die mittelhoch-ägyptische Lektion sein zu lassen. Wir sprachen zuerst englisch miteinander, und dann deutsch. Im Englischen gibt es kein »Sie«, und ich nutzte die Gunst der Sprache, als ich auf deutsch umschaltete.

»Du siehst prächtig aus«, sagte ich. »Und das zu so früher Stunde.«

»Danke«, erwiderte sie. »Du kannst recht hübsche Komplimente drechseln.«

Erst jetzt merkte Diana, daß wir uns duzten, freilich ohne Prost und Bruderschafts-Tralala. Immerhin war es eine kleine Annäherung, und das um 6.38 Uhr, mitteleuropäischer Zeit.

Sie goß mir die dritte Tasse ein: »Magst du Kaffee?« fragte sie.

»Dich möchte ich eigentlich viel lieber«, antwortete ich.

»Du mußt dich auf Kaffee verlegen«, überhörte sie meine Nebentöne. »Wo immer du bei Arabern eintrittst, mußt du diesen auch noch recht komisch schmeckenden Trunk zu dir nehmen. Vielleicht dreißigmal am Tag. Es wäre genauso ein Verbrechen, die Tasse abzulehnen, wie sie nicht anzubieten.«

Diana trug hübsche Frische im Gesicht: eine bunte Bluse konturierte straffe Rundungen. Ein breiter Gürtel umrankte eine schlanke Taille. Ein schwingender Rock offenbarte zugleich, was er verbarg: ausnehmend hübsche, melodiöse Beine, selbstsicher und flink. Beine, die sicher interessanter waren als arabische Vokabeln. Ich versuchte, ihr zuzuhören. Ich sah ihr in die Augen wie auf die Beine. Ohne Absicht, oder zumindest mit unbewußter.

Eine Zeitlang überging sie es, aber sie war eine Frau, und eine Frau ist eine Antenne.

»Rugba«, unterbrach sie ihren Ausflug an den Persischen Golf.

»Und das heißt?« fragte ich.

»Begehren«, erwiderte sie.

»Und was heißt: Liebe?«

»Mahabba«, antwortete Diana. »Aber das Wort wirst du da unten nicht brauchen.«

»Wir können ja deutsch oder englisch miteinander sprechen«, schlug ich vor.

»Übernimm dich nicht«, versetzte sie. »Du bist doch ein Junge für eine Nacht.«

»Nicht mehr«, erwiderte ich. »Das war einmal.«

»Wann?«

»Bis vor zwei Tagen«, entgegnete ich lachend. »Da haben wir uns zum erstenmal gesehen – Schnellbesserung, anhaltend.«

»Alle Achtung«, versetzte Diana. »Ein perfekter Agent ist ein pfeilschneller Anpasser, was?«

»Ich spreche privat«, erwiderte ich.

»Und ich bin im Dienst«, konterte sie.

Jetzt schlug ich zu, mit einem Wort aus dem Lexikon, das Diana mir unterschlagen hatte.

»Bûsa«, rief ich: »Kuß.«

Ich nutzte ihre Überraschung und zog sie an mich. Zuerst leistete sie ein wenig Widerstand, dann gab sie leicht nach. Von beiden ein wenig zu wenig. Dann saß ich neben ihr, streichelte ihre Haare, spürte die Hitze an meiner Handfläche und so ein seltsames Gefühl in der Wirbelsäule.

Ich legte meine Hand um ihre Schultern, zog sie an mich. So saßen wir beide, Wange an Wange. Meine Hände sehnten sich nach ihrer Haut und rührten sich doch nicht von der Stelle, als trügen sie bereits Grenzleins stählernen Achter bei einer Flucht, die niemals stattfinden sollte.

Auf meinen Streifzügen hatte ich gelernt, wie man ein Mädchen nimmt und eine Frau hält. Aber bei Diana verzichtete ich freiwillig auf mein Repertoire, wenn ich in ihre Augen sah, die eine Mitte zwischen blau und grün hielten, spürte ich, daß es honoriert werden würde, und zwar sehr bald schon, und das war auch wichtig, sonst wäre es zu spät.

Die Höllenmaschine tickte. Die Zündschnur war jetzt nur noch 37 Stunden lang, und ich stand unter dem Diktat der Zeit. Ich zog Diana noch einmal stürmisch an mich und stellte gleich hinterher fest, daß es 8.44 Uhr war und der General auf mich wartete.

Krisenkommando

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