Читать книгу Krisenkommando - Will Berthold - Страница 8
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ОглавлениеDoppelgänger war nun wirklich übertrieben, aber dieser Grenzlein hatte fraglos eine Ähnlichkeit mit mir, aus der sich etwas machen ließe, und in meiner Branche, die zum ständigen Wechsel der Identität zwingt, ist man so etwas wie ein Verkleidungs-Künstler. Auch unsere Gegenspieler selbst sehen oft ihren Fahndungsfotos längst nicht mehr ähnlich. Eine der Maschen der Terroristen ist es, Aussehen und Persönlichkeit ständig zu wechseln. Wer den ganzen Tag Theater spielt, ist wohl auch noch am Abend eine Art Freizeit-Mime, und so vermischen sich irgendwie die Konturen.
Ich ließ mein angebliches Konterfei während des Kreuzverhörs nicht aus dem Auge. Manchmal sah ich wie in einen verstaubten Spiegel, und mitunter stellte er sich auch als Zerrspiegel heraus. Dieser Bursche war ein ziemlich harter Brokken, ein Kotzbrocken. Er wirkte auf eine verschlagene Weise intelligent. In stundenlangen Vernehmungen prallte die harte Tour von ihm ab, und auf die weiche fiel er ohnehin nicht herein.
Der Mann war körperlich gut in Form und dialektisch geschult. Er sprach in einem modischen Soziologen-Welsch, und machte sich gleichzeitig darüber lustig, als wollte er vorführen, daß bei ihm gegen entsprechenden Eintrittspreis alle Türen offenstünden.
Ich war heute morgen vom Fuchsbau in einem geschlossenen Wagen in das Untersuchungsgefängnis gefahren worden. Lothar Grenzlein wurde im Nebenraum durch die Mangel gedreht; auch wenn er gelegentlich schwarz-weiß redete, konnte ich ihn in Farbe sehen. Gleich viermal, denn vier versteckte Kameras hatten ein Vernehmungszimmer fast in ein TV-Studio für live-Sendungen verwandelt.
Seine Stimmlage war etwas höher als meine, sein Blick wirkte unstet, aber das lag vermutlich an der Situation. Seinen rollenden Gang konnte man erlernen, und den halben Zentimeter Länge, der ihn von mir unterschied, durch Schuhe mit besonders flachen Absätzen ausgleichen. Ein Kilo Gewichtsunterschied macht nichts aus, wenn man nicht gerade Mannequin ist. Seine Augen waren grau-blau und meine blau-grau.
Seine brünetten Schnittlauchlocken wirkten eine Spur heller als meine Haarzier und waren ganz erheblich länger: Die Farbe konnte man tönen, und da selbst der Vize mir keinen schnelleren Haarwuchs befehlen konnte, würden wir seine Lockenpracht stutzen, und sein korrigiertes Konterfei als Fahndungsfoto nach dem angeblichen Ausbruch veröffentlichen.
Natürlich war die deutsche Justiz unabhängig, und wir konnten mit dem Mann nicht einfach umspringen, wie wir wollten, aber der Verhaftete stellte einen Sicherheitsfall dar. Deshalb arbeiteten wir uns über Bundesanwalt, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst unauffällig an ihn heran.
»Mir brummt schon der Schädel von dieser dämlichen Fragerei«, sagte Grenzlein zu einem Kriminalkommissar. »Ich habe hundsmiserabel geschlafen.«
»Gleich kommen mir die Tränen«, grinste der Kripo-Mann.
»Setzen Sie nicht auf meine Anpassungs-Schwierigkeiten«, sabberte der Student mit den vielen Semestern. »Bei mir kommt nicht so schnell Väterchen Frust.«
»Wer, bitte?«
»Die Frustration«, dozierte er hochmütig. »So etwas wie zum Beispiel Ihre Beamtenlaufbahn.«
Während Grenzlein kleine Wölkchen aus seiner Pfeife paffte – eine bestimmte Sorte dänischen Tabaks –, sah es aus, als hätte der Vernehmende den Faden verloren. Jedenfalls war der lohnabhängige Kommissar sein Gehalt wert.
»Also, zum letztenmal«, polterte der 30jährige mit der Terror-Erfahrung. »Ob ich diesen Ali kenne oder nicht, richtet sich ausschließlich danach, ob wir endlich ins Geschäft miteinander kommen oder nicht. Ich hab’ nichts gegen Sie, aber für diesen Fall sind Sie mir einfach zwei Schuhnummern zu klein. Entweder bringen Sie mir bis heute mittag einen Fachmann aus der Pullacher BND-Zentrale, oder ich trete in den Aussage-Streik.«
»Das ist nicht so einfach, Herr Grenzlein«, erwiderte der Kripomann und leistete sich einen hübschen Witz. »Ihr Antrag ist auf dem langen Marsch durch die Institutionen«, setzte er hinzu, ohne das Gesicht zu verziehen.
Pause. Der U-Häftling wurde allein gelassen. Der Beamte ging ein wenig zu schnell. Es war ziemlich sicher, daß mein Double auf die Subalternmasche hereinfiel.
Was nunmehr auch geschehen würde, das Drehbuch dazu hatte unsere Organisation geschrieben. Es wußte niemand, daß Grenzlein in Stadelheim einsaß. Wir hatten von vornherein dafür gesorgt, daß die Erfolgsmeldung über seine Verhaftung nicht im Polizeibericht stand.
Wir konnten auf die Dauer aber nicht verhindern, daß er mit seinem Anwalt in Verbindung trat, und der Verteidiger würde darauf bestehen, daß gegen Grenzlein ein Haftbefehl ausgestellt oder er aber aus dem Gefängnis entlassen würde. Bei dem Sündenkonto Grenzleins konnte es nicht schwer sein, vom Ermittlungsrichter die legale Grundlage zu erhalten, aber wenn der Haftbefehl ausgestellt war, setzten sich automatisch die Mühlen der Justiz in Bewegung, und dann wäre es sicher schwierig, mit dem Revoluzzer zu einem echten – oder auch falschen – Arrangement zu kommen. Natürlich konnten wir, um ihn seinem Anwalt zu entziehen, einen der üblichen Tricks anwenden und ihn von einer Haftanstalt in die andere verlegen, so daß sich Arrestant und Beistand eine Weile lang verfehlen würden wie die berühmten Königskinder.
Schließlich würden wir einen Ausbruch in Wildwestmanier inszenieren und dann ganz klein beigeben. Leider wäre nicht zu vermeiden, daß die deutsche Polizei mit Vorwürfen überschüttet würde, weil wegen ihrer Nachlässigkeit ein langgesuchter Extremist getürmt sei.
Der Witz bei der Sache bliebe nur, daß ich den Geflüchteten darstellen würde – während Grenzlein auf Nummer sicher bliebe, gehütet wie ein Augapfel, und zwar aus gutem Grund. Sollte er auftauchen, während ich im nahöstlichen Operationsraum arbeitete, wäre mein Leben nicht mehr wert als der Schuß Pulver, der es auslöschen würde.
Bisher war er meine schlechte Kopie – in der Stunde X würde er zwangsläufig zum Pseudo-Original. Jetzt schon wußte ich ein bißchen mehr über sein Leben, als daß er fast vegetarisch aß, mit Vorliebe Mehlspeisen, und daß die Schürzenjagd sein Lieblingssport war. Zu meinem Glück fast nur Eintagsfliegen in Zweibettzimmern, denn je länger ihn seine Gespielinnen kannten, desto geringer wurden meine Chancen, von ihnen als »Grenzlein« akzeptiert zu werden.
Unsere Organisation hatte das System 777 ausgeheckt und war bei dieser runden Zahl geblieben, obwohl zur Erstausstattung mit einer fremden Persönlichkeit weit über 800 Antworten gehörten. Eine solchermaßen gestrickte Identität hielt nach unseren Erfahrungen auch einem fachkundigen Kreuzverhör durch die Polizei eine Nacht lang stand, aber spätestens im Morgengrauen wäre die angenommene Legende zerfleddert.
Trotz Zeitnot hatten wir extrem-gründlich vorzugehen und Grenzleins Vergangenheit aus winzigen Mosaiksteinchen zusammenzustellen. Wir mußten mehr wissen, als den Markennamen der Uhr, die ihm Tante Emma vor 17 Jahren zur Konfirmation geschenkt hatte, oder den Namen des Kinderarztes, von dem seinerzeit die Masern behandelt worden waren. Der erste Kuß gehörte genauso in dieses Sittengemälde wie die letzte Liebesnacht.
Wir setzten mehr als ein Dutzend Leute auf mein anderes Ich an. Kindheit, Elternhaus, Familienleben wurden ebenso durchforstet wie Pubertätsschwierigkeiten und Studienmilieu. Ohne es zu merken, arbeiteten Nachbarn, Lehrer, Kommilitonen und Freundinnen für meinen Schutz.
Bevor ich mich für das Gespräch mit Grenzlein einließ – natürlich äußerlich so verändert, daß ihm unsere Ähnlichkeit nicht auffallen konnte –, mußte ich mich durch einen ganzen Berg von Informationen hindurcharbeiten.
Manchmal haderte ich mit der Natur, daß sie einem solchen Burschen meine Gesichtszüge geliehen hatte. Zwei Tage lang stand Grenzlein tatsächlich eine Art Schweigehaft durch. Wir ließen ihn im eigenen Saft schmoren und knöpften uns dafür um so energischer den Kurier aus Beirut vor, der die Spezialabteilung des Bundeskriminalamtes auf Grenzleins Fährte gebracht hatte und übrigens ein Jordanier war.
Der Name, den er uns nannte, war mit Sicherheit falsch, aber wir quetschten mit der Zeit aus ihm heraus, daß er zu einer palästinensischen Terrororganisation gehörte, die sich »Arabiens Speerspitze« nannte und wohl eine Art Konkurrenz zum »Schwarzen September« darstellte. Er hatte fast zwei Jahre in Deutschland als Gastarbeiter gearbeitet und dabei Grenzlein kennengelernt, war dann anschließend aufgefallen und abgeschoben worden. Mit einem falschen Paß illegal eingereist, hatte er den Befehl, den Kontaktmann Lothar Grenzlein in seinem Schlupfwinkel aufzusuchen und ihm das Stichwort »Rabîs« zu nennen.
Rabîs heißt zu deutsch Frühling, und wir konnten uns denken, daß es der Codename für eine neuerliche Schweinerei war, wie zum Beispiel Flugzeugentführung oder Olympia-Massaker, wobei Grenzlein wohl auf deutschem Boden als Lotse verwandt werden sollte.
Er war womöglich zweite Wahl, denn den Zielfahndern des Bundeskriminalamts war es in den letzten Monaten gelungen, einige der gefährlichsten Anarchisten festzunehmen. Der Verhaftete gab mehr blumige Propaganda von sich als exakte Information, aber aus dem Schwulst konnten wir ein paar brauchbare Körnchen destillieren. Wir kamen zu der Ansicht, daß mehrere Kommandos der Untergrundgruppe »Arabiens Speerspitze« in Europa unterwegs waren, um schlagartig ihre Wahnsinnsaktionen zu starten.
Zunächst einmal ging es darum, ein neuerliches Massaker und eine Erpressung größten Ausmaßes zu verhindern, und dabei bot sich die Chance, tief in die deutsche Terrorszene vorzustoßen, denn die Schätzchen vom Jordan waren mit Sicherheit auf deutsche Komplicen angewiesen, die womöglich den Plan ausgeheckt hatten. Das Schlimme an der Situation war ja, daß die Desperados längst weit besser international zusammenarbeiteten als ihre Verfolger, die von nationalen Vorschriften, Gesetzen und Rivalitäten aufgehalten wurden.
Die Zeit für ein erstes Zusammentreffen mit Grenzlein war gekommen.
Ich hatte mich mit ein paar Handgriffen so verändert, daß auf dem Gang des viereckigen Fuchsbaus – Organisationsintern »Quadrogon« genannt – Diana an mir vorbeilief, ohne mich zu erkennen.
»Ich komme aus Pullach«, stellte ich mich Grenzlein vor. »Ich heiße Meier, oder auch Müller. Oder Huber. Ganz wie Sie wollen – suchen Sie sich das Passende aus.«
»Und wie wollen Sie sich als bevollmächtigter Unterhändler ausweisen?« fragte er mild.
»Hiermit«, erwiderte ich und öffnete meine Aktentasche.
Ganze Bündel banderolierter Hundert-Mark-Scheine sprangen ihm förmlich in das Gesicht.
Seine Augen wurden rund wie Fünf-Mark-Stücke.
»Schön«, sagte er. »Dieser Ausweis zählt bei mir.«
Ich klappte die Mappe wieder zu, stellte sie neben mich.
»Sie sitzen ganz schön in der Tinte, Grenzlein«, begann ich ihn zu kneten. »Und wir können Sie erst noch richtig hineinreiten«, setzte ich den Hebel an. »Wir könnten Sie aber – unter Umständen – auch hier herausholen.«
»Lassen Sie doch diese Kindereien«, versetzte er großartig. »Wenn Sie nicht so scharf auf mich wären, hätten Sie doch nur hundert Mark in der Tasche –«
»Zweihundert«, erwiderte ich. »Und was kosten Sie?«
»Straffreiheit«, antwortete er. »Einstellung des Verfahrens. Der Klassenjustiz wird schon der richtige Trichter einfallen.«
»Wir sprechen über Geschäfte«, entgegnete ich. »Sie brauchen hier nicht zu agitieren.«
»100000 Mark sofort«, kam er zur Sache. »Und 100000 Mark nach Erledigung der Geschichte.«
»Welcher Geschichte?« fragte ich.
»Ich liefere Ihnen die Möglichkeit, eine Gruppe meiner arabischen Freunde zu zerschlagen, die dabei ist, ein riesiges Ding zu drehen.«
»Und das kennen Sie?«
»Nicht genau«, schränkte er ein, »aber so ungefähr.«
»Schöne Freunde haben Sie«, erwiderte ich. »Wer garantiert mir, daß Sie sich nicht die 100 000 Mark in die Tasche stecken, verduften und sich ins Fäustchen lachen?«
»Sie lassen mich hier laufen, und beschatten mich dabei. Ich nähere mich auf Umwegen den Unterkünften der Attentäter.«
»Und wenn die merken, daß wir Ihnen gefolgt sind?«
»Dann sind Ihre Leute Pfuscher«, stellte er nicht unlogisch fest.
»Und Sie ein toter Mann«, entgegnete ich beiläufig. »Warum verpfeifen Sie eigentlich Ihre Gesinnungsgenossen?« fragte ich ohne Betonung.
»Erstens einmal habe ich sie noch nicht verpfiffen«, erwiderte Grenzlein, »und zweitens haben Sie mich geschnappt, und da sieht die Welt ja nun etwas anders aus als draußen. Sie dürften schon gemerkt haben, daß ich weiß; wo Gott wohnt.«
Ich nickte.
»Wenn wir schon dabei sind, so gemütlich miteinander zu plauschen«, fuhr er fort, »dann schenke ich Ihnen eine Information. Vorleistung«, spottete er: »Das sind nicht meine Gesinnungsgenossen. Gewiß, sie verstehen zu töten und zu sterben, aber für meinen Geschmack ist da viel zu viel Orient dabei. Verstehen Sie?«
»Nicht ganz.«
»Zu viel Kismet und zu viel Koran«, erklärte er. »Wenn Sie mich fragen: Bei denen fehlt es am gesellschaftlichen Bewußtsein noch ganz gewaltig.«
»Und wird es vermutlich auch immer fehlen«, ging ich auf seinen Ton ein, »denn Allah il Allah ist ja nicht ihr Parteigenosse.« Ich betrachtete Grenzlein, als überlegte ich mir meinen Trick. »Ich nehme Ihnen jetzt einmal ab, daß Sie ein Polittäter sind«, sagte ich, »dann verstehe ich nur nicht, warum verlangen Sie Geld?«
»Weil wir in keiner klassenlosen Gesellschaft leben«, höhnte er. »Man muß den Kapitalismus, beziehungsweise den Liebediener eines solchen da schlagen, wo es ihn am härtesten trifft. An der Kasse.«
»200000 oder 400000 Piepen werden das System nicht ärmer machen –«
«– aber mich reicher«, entgegnete er verächtlich.
»Ich bin nicht uninteressiert an Ihnen«, startete ich meinen Nervenkrieg. »Aber ich muß natürlich mit meinen Vorgesetzten sprechen. Überlegen Sie sich inzwischen, wie Sie unser Risiko verkleinern können.«
»Vorleistung kommt nicht in Frage«, erwiderte er schnell.
»Dann sehe ich schwarz für unseren Deal«, konterte ich. »Melden Sie sich, wenn Sie sich anders besonnen haben.« Ich griff nach meiner Aktentasche, sah, wie sich seine Augen an ihr festsaugten, und war in diesem Moment ziemlich sicher, daß ihm seine Geldgier ein Bein stellen würde.
Er schien anders zu sein wie seine Gesinnungsgenossen, die sich in ihren Stammheimer Zellen erschossen oder erhängt hatten. Trotzdem ließ ich, um jedes Risiko auszuschalten, seine Zelle von Spezialisten noch einmal gründlich durchsuchen. Bei Tätern wie Grenzlein stand die Intelligenz dem Haß Schmiere, und so mußte man bei ihm mit allem rechnen, denn mit dem gleichen Zynismus, mit dem sie mordeten, töteten sie sich gegebenenfalls auch selbst.