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ОглавлениеEigentlich brachte mich die mir amtlich befohlene zweisame Häuslichkeit in eine recht eigenwillige Situation: Agent in Filzpantoffeln. Scheinbar uns selbst überlassen, Wand an Wand mit Diana, die frei, frisch, klug und kühl blieb. Wir lebten in einer seltenen Intimität ohne Hautnähe. Auch wenn ich mich beim Sprachunterricht besonders anstrengte, würde sie es mir nicht leicht machen, ihr Primus zu werden.
»Sprache und Religion geben den arabischen Ländern eine recht problematische Einheit«, sagte Diana. »Arabisch ist die Muttersprache, aber die Dialekte weichen extrem voneinander ab. Mit einiger Mühe können sich ein Libyer und ein Jemenit unterhalten. Es ist dann so, als würde ein Niederbayer mit einem Ostfriesen sprechen.«
»Welches Arabisch lerne ich?« fragte ich.
»Mittelhoch-Ägyptisch«, antwortete sie mit ihrer hellen Stimme.
Dianas Eröffnungen waren so interessant, daß ich ihr mit der Zeit öfter zuhörte, als ich sie anstarrte. Sie hatte den orientalischen Bazillus in sich, eine Haßliebe zum Land ihrer Jugend, und was sie verspottete, bewunderte sie zugleich. Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht wurden zu einer durchglühten Wirklichkeit, doch sowie es um das flüssige Gold, das Erdöl, ging, mündete die Romantik in eine Räuberballade.
»Viele Europäer und fast alle Amerikaner neigen dazu, die Orientalen nach westlichen Maßstäben zu beurteilen«, fuhr Diana fort. »Das ist ganz falsch. Araber denken nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Gefühl und kommen dabei oft zu ganz anderen Resultaten wie wir.«
»Gut«, erwiderte ich. »Ich werde ab sofort versuchen, mit dem Gefühl zu denken.« Sie überhörte die Anzüglichkeit, und ich setzte hinzu: »Was aber das Ölgeschäft betrifft, habe ich den Eindruck, daß Ihre Freunde zur Zeit mehr amerikanisch denken als arabisch.«
»Das haben sie uns abgeguckt«, sagte meine Mentorin. »Sie haben das Monopol. Und im Nahost gibt es leider keine Kartellbehörde, die es kontrolliert.«
»Vielleicht verlangen sie morgen auch noch, daß sich der Staatspräsident mit dem nackten Hintern auf den Kirchturm setzt und sich fünfmal in Richtung Mekka verbeugt«, versetzte ich. »Aber für den Rest des Abends wollen wir das Erdöl Petroleum sein lassen.«
Mochte die Krise die Welt beuteln, wir hatten im Fuchsbau ein warmes Plätzchen. Die Küche schickte uns ein superbes Menü. Ich entkorkte eine Flasche Burgunder, schön chambriert.
»Ist es Ihnen recht, Diana?«
»Beim Barte des Propheten«, antwortete sie. »Trinken Sie auf Vorrat. In Libyen bekommen Sie keinen Tropfen Alkohol. In Beirut Soviel Sie wollen. Im Iran werden sie öffentlich ausgepeitscht, wenn Sie sich mit einer Alkoholfahne erwischen lassen.«
»Ich bin für Beirut«, erwiderte ich. Für was ich sonst noch war, wagte ich Diana nicht zu sagen. Nicht an diesem Abend.
Auch der zweite kam, nach anstrengendem Sprachunterricht, nur sehr langsam in Fahrt. Vielleicht fand ich deswegen so schwer Zugang zu meinem Repertoire, weil im Fuchsbau gewissermaßen unsere Türen offenstanden.
Die Intimität wurde zum Bumerang. In freier Wildbahn wäre alles seinen Lauf gegangen: Zuerst ein Cocktail, dann ein pikantes, französisches Restaurant, oder ein kleines italienisches. Ein feuriger Wein. Das restliche Feuer würde ich dann schon selbst beisteuern.
»Sie sehen recht unzufrieden aus«, sagte Diana.
»Bin ich auch«, erwiderte ich. »Ich stagniere.«
»Mehr Arabisch kann man für zwei Tage nicht verlangen«, tröstete sie.
»Pfeif’ auf die Sprache«, entgegnete ich. »Sie sind eine Frau – ich bin ein Mann –«
»– und damit wären die Weichen gestellt?« unterbrach sie mich.
»Sind sie es denn nicht?« fragte ich gereizt.
»Verraten Sie mir etwas, Ferry«, versetzte sie mit milder Bosheit. »Wie haben eigentlich die Damen Ihres bisherigen Umgangs ausgesehen?«
»Nicht so hübsch wie Sie«, erwiderte ich. »Aber sie waren anschmiegsam, feminin. Verstehen Sie, wild und sanft zugleich.«
Ich setzte mich neben sie. Diana hatte offensichtlich nichts dagegen, daß wir begannen, den Abend in einen betont privaten Rahmen zu stellen. An der Stelle, an der sich unsere Schultern berührten, wurde mir warm, oder sagen wir: heiß. Diese ungewöhnliche Hitze zog mit Wellenringen über meinen ganzen Körper. Ich hoffte, daß meine Hände bald so weit kämen wie meine Augen und auf ihrer Haut ein Zuhause fänden. Aber bis dahin wäre noch ein weiter Weg. Meine Vorboten lagen fest wie die Schiffe im Suezkanal, und es dauerte Jahre, bis sie wieder flottgemacht werden könnten.
Mir standen höchstens Tage zur Verfügung.
So ging es nicht weiter. Ich stand auf und dachte mir einen neuen Werbefeldzug aus. Sie lächelte mich an, als hätte sie ihn bereits durchschaut. Nun muß ich gestehen, ich habe zwar die üble, männliche Angewohnheit, hinter halbwegs hübschen Mädchen herzusein wie der Windhund hinter dem falschen Hasen, aber ich spürte bereits, daß es bei Diana anders war, ein sicheres Anzeichen, daß ich mich in sie verliebt hatte. Gerade deswegen konnte ich meine Verführungskünste nicht unbefangen spielen lassen, zumal ich auch noch sicher sein mußte, daß sie nicht darauf hereinfallen würde. Wie man sieht, können auch wir Männer manchmal ganz schön kompliziert sein.
»Diana«, sagte ich. »Ich wollte, Sie wären häßlich.«
»Ich nicht«, antwortete sie.
»Ich auch nicht«, erwiderte ich. »Wie kommen wir uns unter Zeitdruck ein wenig näher?«
»Mit Geduld«, versetzte sie. »Machen Sie es ganz altmodisch: Dämpfen Sie das Licht. Bestellen Sie noch eine Flasche Wein. Suchen Sie im Radio das entsprechende Schlummerschmalz. Kleine Geschenke – nichts Teures bitte – fördern die Freundschaft. Dann lassen Sie etwas Ihre Bildung spielen, falls Sie eine solche vorzuweisen haben. Und ganz generell gebe ich Ihnen noch den Rat. Seien Sie bitte kleinlaut statt großmäulig.«
»Nichts ist leichter als das«, erwiderte ich zerknirscht.
Es war jetzt 21 Uhr. Die Nacht kam auf sanften Pfoten. Diana wirkte jetzt eher kokett als spießig; sie machte das alte Spiel zwischen Mann und Frau wieder neu. Ich wollte nicht als Anfänger dastehen und wuchs zunehmend in meine Rolle hinein, ich spielte sie nicht mehr – ich nahm sie ernst.
Aber der Ton macht die Musik, und in diesem Fall kam er von der Telefonglocke.
Der General war in der Leitung, »Grenzlein kippt«, sagte er mit einer Stimme, die wie eine Kette kontrollierter Explosionen klang.
»Wann?« fragte ich dümmlich.
»Sofort«, entgegnete er. »Machen Sie sich fertig.«
Es war ein Befehl der Organisation. Dienst ist Dienst – und Diana ist Diana.
Ich stieg unwillig in den Kastenwagen, der so dunkel war wie meine Zukunft.
Ich verließ den Fuchsbau in der Art eines Einsteigdiebs, doch ein solcher hätte keine Chance gehabt, in das viereckige Hauptquartier unserer Organisation – eine von 15 Filialen in der westlichen Welt – einzudringen. Es wurde bewacht wie Fort Knox, obwohl die dort gelagerten US-Goldreserven längst von Rost und Motte angefressen sind.
An den dicken Mauern unseres Münchner Quadrogons prangten Firmenschilder. Die Phantasienamen ließen auf geballte Import-Export-Geschäfte schließen. Tatsächlich wurden hier ja auch Nachrichten aus aller Welt gesammelt, ausgewertet, umgesetzt und notfalls auch hergestellt – um nur eine Spezialität unseres brisanten Haufens zu erwähnen.
Schließlich war unsere Organisation, wenn es um die Sicherheitsbelange des Westens ging, im Untergrund gewissermaßen die letzte Instanz. Diese Tatsache würde mich in des Teufels Küche bringen, und die lag zur Zeit im Vorderen Orient.
Ich stieg in einen Lieferwagen, von hinten natürlich. Das ungenannte Ziel ließ sich erraten. Eine aufdringliche Reklame auf der Blechhaut warb für ein bekanntes Feinkostgeschäft. Ich konnte nur hoffen, daß sich mir die Delikatessen nicht auf den Magen schlagen würden.
Einer der raren Augenblicke meines Lebens war gekommen, als ich darüber nachdachte, warum ich jahraus, jahrein über die abschüssigen Pfade der unsichtbaren Front hetzte, Meile um Meile. Aber fragt ein Dompteur, warum er allabendlich in der Manege seine Königstiger kitzelt, vor einem vollen Haus, das nur darauf wartet, daß ihn die gestreiften Bestien anfallen?
Der Vergleich hinkt natürlich, denn nach seinem großen Auftritt kann der mutige Mann nach Hause gehen. Oder sich mit der Zirkusreiterin treffen. Oder die Hochseilakrobatin herzen. Ich kenne keinen Feierabend, und dabei hatte Diana – heiß wie ein Schneller Brüter und genauso abgeschirmt – weder vom Reiten krumme Beine noch vom Salto mortale zu muskulöse Oberschenkel.
Der Mann mit dem Quadratschädel, mein Auftraggeber, hatte ganz recht mit meiner einschränkenden Beurteilung. Für einen Agenten sind Frauen Gift. Sie lenken ab; sie schieben sich mit ihrer schönen Person vor die häßliche Sache – aber Schließlich kann ein Geheimdienst nicht lauter Eunuchen beschäftigen. Und eine appetitliche Blondine ist nun einmal reizvoller als ein schmieriger Ölscheich.
Die Fahrt lang war ich bei Diana, aber man wird nicht satt, wenn man den Bratenduft riecht. Amors Pfeil war nicht abgeprallt: es war sozusagen ein Heimatschuß, bevor ich hinausmußte. Diana hatte etwas an sich, was mich verrückt machte, und ich wußte nicht, war es ihre distanzierte Nähe, der Duft ihrer Haut, oder ihre durch den Verstand gefilterte Sinnlichkeit, oder die Art, mit der sie das alte Spiel umdrehte, und den Mann, der sie erobern wollte, besetzte, ausfüllte und zähmte. Und so weit war es schon gekommen, daß ich ihr dabei auch noch applaudierte.
Diana schaffte es, daß ich ihr ganzes Geschlecht herschenkte für ein einziges Exemplar. Vielleicht lag es daran, daß sie nichts dazu tat. Wenn ich an sie dachte, sah ich mich in der Rolle des Liebhabers – aber seit wann stand ich da, mit krummem Rücken und klammen Händen? Warum verachtete ich auf einmal die nicht ganz reizlosen Begegnungen meines bisherigen Lebens?
Ich zürnte Diana und überlegte, ob mir die Zeit bei ihr noch eine Chance ließe. Ich war Mann und Narr zugleich und warf jetzt die Liebesabenteuer meines Lebens über Bord: Wer Kaviar nascht, erinnert sich nicht gerne an Heringsrogen.
Der Lieferwagen bremste und fuhr dann durch ein Portal. Ich löste mich aus dem einseitigen Clinch mit Diana. Der Fahrer hatte den Hof des Untersuchungsgefängnisses erreicht, das mein Doppelgänger Grenzlein ein wenig außerhalb der Freiwilligkeit – und wie er fälschlich annahm nur vorübergehend – bewohnte. Wie bei meinem ersten Besuch war die Direktübertragung aus dem Vernehmungszimmer arrangiert. Unser Vize, schon vor mir eingetroffen, nickte mir zu, ohne den Blick von den vier Bildschirmen zu nehmen.
Ich musterte Grenzlein und starrte wieder in mein eigenes Gesicht, dieses Passepartout für die Hölle, Spezialausweis für Nahost. Die Kerben links und rechts seiner Mundwinkel traten schärfer hervor als bei mir. Es war die einzige Handschrift der Haft, die seine blasierte Visage herzeigte.
Der General neben mir, sonst ein Skeptiker, hatte mich mit der Meldung aus den weichen Armen dieses Abends gerissen, daß Grenzlein heute sprechen würde. Falls er wirklich über »Arabiens Speerspitze« plaudern sollte, geschähe es freiwillig und müßte den Studenten mit der reichlichen Semesterzahl zu einem zweifelhaften Überläufer machen.
Unser Vize lächelte mit langen Zähnen, und einen Moment lang kam mir der Verdacht, er hätte im Fuchsbau meine reizvolle Zweisamkeit mit Diana nur unterbrochen, um ein wenig an meinem Minuspunkt herumzuradieren.
»Ich habe mich zu einer kleinen Vorleistung entschlossen«, sagte Lothar Grenzlein zu dem Kriminalkommissar. »Unter Umständen. Rufen Sie mir diesen Meier oder Müller oder Huber. Und sagen Sie ihm, er soll seine Aktentasche mitbringen, und zwar voll.«
Er schlug die angebotene Zigarette aus, stopfte seine Pfeife, zündete sie an und spottete: »Vielleicht wird man Sie auf der Stelle befördern, Herr Kommissar, wenn ich mit Pullach ins Unreine komme.«
»Es tut mir leid«, überhörte der Kripobeamte den Stich, »ich kann Ihren Gesprächspartner zur Zeit nicht erreichen. Er hält sich im Ausland auf.«
»Quatsch«, versetzte mein abgefeimtes Konterfei. »Der Mann hält sich zur Zeit im Nebenzimmer auf, spitz wie Nachbars Lumpi.« Der Multi-Studiker stand auf, ging auf ein Wandbild zu, hob es ab und enttarnte das Glasauge einer – versteckten Kamera. »Billiger Trick«, grinste er. »Auf Ihr dämliches Scheinverhör falle ich nicht herein, und wenn Sie in diesem Raum noch zwei Kameras verborgen hätten.«
»Drei«, entgegnete der Kommissar. Er war große Klasse, lächelte ein wenig schuldbewußt und lobte: »Sie sind ein gewürfelter Bursche, Grenzlein. Aber glauben Sie nur nicht, daß wir wegen Ihnen diesen Aufwand hier betreiben.« Mit gespielter Geschwätzigkeit setzte er hinzu: »Mit dem Kameratrick konnten wir gestern drei Millionen Lösegeld wieder herbeischaffen, weil sich die beiden Entführer ein bißchen zu ausführlich über ihr Geldversteck unterhalten haben.«
»System-Zwerge«, versetzte Grenzlein. »Bei mir geht es um kleinere Beträge. Fürs erste. Erst später kommt die Profitmaximierung«, sagte er und zog wieder an seiner Pfeife.
Ich wollte mir eine Zigarette anzünden, der Colonel fiel mir ein, und ich stopfte meine Neuerwerbung mit einer würzigen Dänenmischung. Ich wußte, daß mir der Vize scharf auf die Lunge sah, deshalb unterließ ich den typischen Fehler des Zigarettenkonsumenten, den Pfeifenrauch zu inhalieren, oder zu hastig zu ziehen. Übrigens war der Tabak vorzüglich. Ich konnte in der Haut Grenzleins – dessen Identität ich weitgehend zu übernehmen hätte – durchaus bei ihm bleiben, aber mein Double war auch Vegetarier mit einer Vorliebe für Süßigkeiten. Wenn ich an die vielen Himbeerpuddings, Marmeladepfannkuchen und Reisaufläufe dachte, verwandelte sich das angebliche Eiswasser in meinen Adern – die Organisation rühmte es mir nach – in Blutzucker.
»Ich weiß nicht, ob ich durchkomme«, sagte der Kommissar. »Ich sollte schon etwas mehr vorweisen können. Ihre Enthüllungen in allen Ehren, aber nirgends wird mehr gelogen als auf der Jagd, beim Suff, in der Liebe, oder hinter Gittern.«
Er nickte meiner Karikatur zu und verließ den Raum, in den zwei uniformierte Polizisten mit grobschlächtigen, verschlossenen Gesichtern als Wache einzogen. Vor der Tür standen zwei weitere. Am Ende des Ganges wiederum zwei. Sicherheitshalber war im Hof ein Funkstreifenwagen postiert, dessen Männer MPs trugen. Die deutschen Behörden ließen sich die Bewachung des langgesuchten Politverbrechers etwas kosten. Es würde nicht leicht sein, ihnen eine »Flucht« Grenzleins einzureden – doch das wäre nicht mehr mein Bier.
»Der Kerl ist hart, Sir«, sagte ich. »Um den garzukochen, brauchen wir noch mindestens drei Wochen.«
»Unter normalen Umständen«, versetzte der General. »Aber was wäre in diesem Fall normal? Heute ist schon übermorgen – also hätten wir den Kerl schon vorgestern umdrehen müssen.« Er verfolgte mechanisch meine Rauchversuche mit dem fremden Lungenmedium. »Wie weit sind Sie mit Ihrem Arabisch?« examinierte er mich.
»Sir«, schoß ich zurück. »Vor gut zwei Tagen habe ich diesen Auftrag übernommen. Sie können von mir verlangen, daß ich in 52 Stunden zweieinhalbmal um die Welt fliege. Oder mich durch die oberen Klassen eines Mädchenpensionats hindurchpflüge. Oder den Harem des Königs Chalid des Obersten Gaddafi –«
»Er hat keinen«, unterbrach mich der Vize.
»Das sieht diesem Operetten-Buffo ähnlich«, giftete ich. Wir grinsten beide, obwohl wir keine Zeit dazu hatten, und vor allem keinerlei Grund zur Heiterkeit, aber auf den Libyer waren wir sauer, weil er im Verdacht stand, die Terrorkommandos, mit denen wir uns herumschlugen, zu finanzieren, und zwar mit Ölgeld.
Bevor ich Grenzlein gegenübertrat, verschlüsselte ich mit ein paar Handgriffen mein Aussehen. Es ging ganz schnell. Ich setzte eine dicke, getönte Brille auf und verschaffte mir mit zwei Hartgummiplatten, die ich in meinen Mund schob, die Backen eines Hamsters. Meine ungleich kürzeren Haare verpaßten mir von selbst eine etwas andere Kopfform, und ein Agent, der kein Schauspieler ist – mitunter in einer Schmiere auf Leben und Tod –, braucht seine Geheimwaffen gar nicht erst auszupacken.
»Meister«, begrüßte ich Grenzlein: »Gesprächig heute?«
»Wir haben heute Donnerstag?«
»Das stimmt zwar«, erwiderte ich. »Aber glauben Sie, daß diese schlichte Feststellung 200 000 Mark wert ist, Genosse?«
»Nein«, entgegnete er. »Aber am Montag steigt dieses Superding. Und zwar in aller Frühe. Machen Sie sich auf etwas gefaßt.«
»Auf was?« fragte ich.
»Das erfahr’ ich selbst erst im letzten Moment«, erwiderte er. »Vielleicht entführen sie den Bundeskanzler. Oder sie machen dem US-Botschafter ihre Aufwartung und liefern seinen Gästen die heiße Schlacht am kalten Büfett. Oder sie setzen Todesbazillen auf führende Politiker an. Einige Ultras unter ihnen hätten wohl kaum Hemmungen, über die Wasserleitung den bakteriologischen Krieg zu eröffnen.« Er starrte in meine Augen. »Alles ist möglich. Glauben Sie mir das. Ich kenne diese Heißluftstrategen. Und die palästinensischen Partisanen arbeiten in Deutschland fast ohne Risiko – wenn sie sich greifen lassen, werden sie hinterher wieder freigepreßt, wie die drei Überlebenden des Olympia-Massakers.«
»Ich kenne die Qualität und die Arbeitsmethoden Ihrer Freunde«, erwiderte ich. »Aber seien Sie bitte nicht so weitschweifig, und kommen Sie zur Sache.«
Was die Freipressung arabischer Guerilleros anbelangt, dachte ich zufällig genauso wie er. Unsere Organisation hatte es für einen Fehler gehalten, die Olympia-Attentäter freizulassen. Erpressern gibt man nicht nach, wenigstens nicht nach unseren Spielregeln. Auch nicht, wenn einige oder mehrere Menschenleben auf dem Spiel stehen.
Mein Freund Hinrichsen war ihnen in die Hände gefallen, und sie hatten gedroht, ihn als Geisel zu töten, wenn wir ihnen nicht im Austausch gewisse Informationen überließen. Ich gehörte zu den Männern, die es strikt abgelehnt hatten, auf diesen Handel einzugehen, obwohl ich nicht daran zweifelte, daß sie meinen Kumpel erbarmungslos abschlachten würden. Hinrichsen hätte sich genauso verhalten, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre. Das ist bei uns eisernes Gesetz. Dabei gibt es – allenfalls – Tränen, Männertränen, doch keine Diskussionen.
»Erraten«, spottete mein angebliches Double. »Bonn ist schon wegen eines halbbesetzten Mittelstreckenflugzeuges umgefallen.« Er zog genüßlich an seiner Pfeife. »Was meinen Sie denn, auf welch’schwachen Füßen erst der Widerstand der Bundesrepublik steht, wenn es um die rund 100 Millionen Tonnen arabisches Öl geht, die von der deutschen Wirtschaft als Mindestbedarf in einem einzigen Jahr benötigt werden?« Er lächelte schräg, »Natürlich haben die Ölscheichs nichts mit diesen Geschichten zu tun. Sie finanzieren sie höchstens und bedauern sie heftig. Mit Worten. Ansonsten waschen sie ihre Hände in Unschuld, der Trick stammt ja auch aus der Gegend da unten.«
Die Gummiplatten scheuerten an meinen Zähnen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Obwohl sonst von Berufswegen unempfindlich gegen Wetterstürze, erlebte ich ein paar Sekunden lang ein Wechselbad von Frost und Hitze.
Die Meuchler und die Heuchler, Hand in Hand. Wer die Freudentänze der Libyer bei der Ankunft der Olympia-Mörder auf dem Bildschirm verfolgt hat, erlebte einen Abklatsch des heißen Orients, wo das Blut schneller trocknet, als es fließt. Kaltblütige Killer, den ordentlichen Gerichten entzogen, wären beinahe nachträglich von der künstlich entfachten Begeisterung erdrückt worden. In den arabischen Ländern wird auf der Flamme des Nationalismus die Giftsuppe gekocht.
Aber auch der neue israelische Premierminister hat die Toleranz nicht gerade mit dem Löffel gefressen, und ein Stück Arabien steckt in jedem Land, in westlichen genauso wie in orientalischen. Überall werden Emotionen geschürt, um Zweckpolitik zu betreiben, werden Normalbürger dadurch zu Narren gemacht, wie einst im Sportpalast.
In jeder Stadt liegt ein Sportpalast, in Berlin wie in Buenos Aires, in Damaskus wie in Teheran, und wenn man die Massen berauscht, schreien sie nach Kanonen, statt nach Butter – vor allem, wenn sie nicht zu essen haben.
Ich hatte klare Vorstellungen über die Abwicklung unserer Transaktion, aber ich mußte Grenzlein noch ein wenig hinhalten:
»Wir haben zwar schon das letzte Mal darüber gesprochen«, begann ich, »aber ich komme einfach nicht ganz klar. Als Berufs-Revolutionär kämpfen Sie, wie Sie sagen, für die Veränderung des Systems. Ich nehme Ihnen Ihre Erklärung für das Geld, das Sie haben möchten, einfach nicht ab.«
»Im Prinzip haben Sie ganz recht«, ging er darauf ein, »und mein Hauptanliegen ist ja auch die Freiheit und nicht das Geld. Aber ich muß doch noch einmal ausholen: Der von der Gesellschaft ausgebeutete Mensch wird durch raffinierte Zwänge beherrscht. Einer heißt Geld. Ein anderer zum Beispiel Sex. Schon mal was von Marcuse gehört?« fragte er überheblich.
»Es gibt zwei«, erwiderte ich. »Welchen meinen Sie?«
Meine Frage verblüffte diesen Fachidioten des Umsturzes, er kletterte einen Moment aus seinem Polit-Korsett, wirkte leicht überrascht und hielt mich vermutlich zum ersten Mal für keinen Trottel.
»So kommen wir nicht weiter«, sprang ich ins kalte Wasser. »Ich bin zwar bereit, die Katze im Sack zu kaufen, aber ich möchte ihn wenigstens von außen abgreifen.«
»Einverstanden«, versetzte Grenzlein. »So sieht mein Zeitplan aus: Sie verständigen sofort meinen Studienfreund Rechtsanwalt Fingers. Morgen früh, kurz nach neun Uhr, übergeben Sie ihm in meiner Gegenwart die Anzahlung von 200 000 Mark. Wenn mein Beauftragter mir bestätigt, daß das Geld am sicheren Ort verwahrt ist, inszenieren wir in der Nacht vom Samstag auf Sonntag meine Flucht.«
»Weiter«, drängte ich.
»Sie sorgen dafür, daß die Bullen in die Luft schießen.«
»Moment mal«, unterbrach ich ihn mit der vorgetäuschten Schwerfälligkeit eines Langsamdenkers. »So etwas läßt sich mit den Beamten, die Sie bewachen, arrangieren. Aber dann kommt der Alarm, und Sie werden gesucht wie eine Stecknadel. Und dem erstbesten Polizisten, dem Sie in den Weg laufen, kann ich nicht im voraus sagen, daß Sie in unserem Auftrag getürmt sind. Wenn der Mann erst Ihren köstlichen Namen hört, ballert er darauf los, daß es eine Pracht ist.«
»Machen Sie mir keine Angst«, sagte er großspurig. »Fahren Sie mich nach Einbruch der Dunkelheit zu einer Vernehmung zum Untersuchungsrichter. Lassen Sie den Wagen einen Moment halten und meine Bewacher wegsehen. Wenn Sie mir sechs bis sieben Minuten Vorsprung geben, wird mich hier in München kein Hund mehr aufstöbern.«
»Präparierter Fluchtweg?«
»Dreimal dürfen Sie raten«, erwiderte er.
»Sie stehen also auf der dunklen Straße. Sie gehen vorsichtig an eine Telefonzelle heran und wählen eine ganz bestimmte Nummer –«
»Sie denken immer schneller«, höhnte Grenzlein.
»Bestens«, entgegnete ich. »Wir sind handelseinig. Morgen, kurz nach neun Uhr erhält Ihr Anwalt das Geld. Und Sie liefern gleichzeitig die Ware.«
»Ware?« fragte er, wie verwundert.
»Meister«, entgegnete ich vorwurfsvoll: »Die Telefonnummer natürlich.«
Er zierte sich noch ein paar Minuten.
»Ja oder nein?« fuhr ich ihn schroff an.
Natürlich gab er nach.
Damit war der Startschuß für mein Unternehmen Himmelfahrt gefallen.