Читать книгу Hanussen - Hellseher und Scharlatan - Will Berthold - Страница 5

2

Оглавление

Auf den ersten Blick würde keiner dem Mann ansehen, daß er Kriminalkommissar ist. Der korpulente Molitor mit den Löckchen um die Stirnglatze gleicht eher einem gemütvollen Buchhalter, aber das ändert nichts daran, daß er in seinem Fach tüchtig ist und als rechte Hand des Staatsanwalts Dr. Swoboda wirkt, wendig wie ein Tanzbär.

Molitor ist nicht nur ein erfahrener Kriminalist; er kann auch, wenn ihm Dienstvorschriften im Weg stehen, ausgesprochen pfiffig handeln. Amtshilfe aus Österreich, die sich die Polizei im Fall Hanussen erbittet, geht nur über den Dienstweg Prag–Wien, und dabei kommt meistens wenig heraus. Die tschechoslowakische Republik gehörte früher zur K. u. k.-Donaumonarchie und ist als künstlicher Vielvölkerstaat nach dem Krieg entstanden. Wien und Prag sind nicht gut aufeinander zu sprechen, und im Fall des Erik-Jan Hanussen, den die ČSSR-Zeitungen als Opfer rot-weißroter Willkür zum tschechischen Patrioten hochstilisierten, schon gar nicht.

Aber der tüchtige Molitor weiß sich zu helfen. Die Schwester eines Wiener Kriminalinspektors namens Watzlawek ist mit einem tschechischen Arzt verheiratet, und ihr Bruder besucht sie privat in Teplitz-Schönau. Der Kriminalkommissar kennt die Arztfrau gut genug, um eine Begegnung mit Watzlawek herbeizuführen und den Kollegen aus Wien auf einen Dämmerschoppen in eine urige Kneipe einzuladen, um, außerhalb des Instanzenwegs, mit ihm zu fachsimpeln. »Natürlich hab’ ich diese Hanussen-Plakate gesehen«, sagt der Wiener Beamte nach kurzem Zögern, »sind ja auch grell genug, um gleich ins Auge zu springen. Ehrlich gesagt, ich bin nicht traurig, daß sich dieser Schlawiner bei Ihnen herumtreibt und nicht bei uns, Kollege Molitor.«

»Sie haben dienstlich mit Hanussen zu tun gehabt?«

»Und ob«, entgegnet der Gast aus Wien. »Der Gauner hat uns genug zu schaffen gemacht.« Er bricht ab und setzt erschrocken hinzu: »Aber darüber kann ich leider mit Ihnen nicht sprechen. Beim besten Willen nicht. Das ist ein strenges Amtsgeheimnis.«

Der tschechische Kollege nickt voller Verständnis und schiebt das Thema Hanussen beiseite. Vorläufig wenigstens, denn nach einer Weile kommt er wie von selbst wieder auf den Magier zu sprechen: »Dieser Hanussen heißt doch eigentlich Steinschneider?«

»Hermann Steinschneider«, bestätigt Watzlawek. »Geboren in Wien, Sohn eines billigen Schmierenkomödianten, der auch als Gelegenheitsarbeiter und mitunter sogar als Synagogenschames gearbeitet hat.« Der Semmelblonde mit dem Milchgesicht lacht trocken. »Gerade wegen seiner jüdischen Abstammung tritt er häufig als heißlaufender Antisemit auf.«

»Schlimm«, entgegnet Molitor, »aber doch kein Tatbestand –«

»Typisch für diesen krummen Hund«, poltert Watzlawek: »Und Tatbestände gäbe es genug, nur – Sie kennen ja das alte Dilemma, Herr Kollege, mit der Beweisnot …«

Er hat sich in Zorn geredet, und das Bier lockert ihm die Zunge. Er spricht ein gezwungenes Schriftdeutsch, fällt aber immer wieder in den Wiener Dialekt zurück.

Molitor bestellt eine neue Runde. Dann holt er aus der Brusttasche ein kleines Thermometer hervor und prüft mißtrauisch die Temperatur des Gerstensafts. Viele Tschechen tun das; sie verstehen etwas vom Bier, ob es nun aus Pilsen oder aus Budweis kommt. Das Hopfenprodukt war auch schon zu K. u. k.-Zeiten ihr Nationalgetränk, und daß es hervorragend mundet, schmeckt auch der Gast von der schönen blauen Donau.

»Der Kerl, der sich Hanussen nennt, ist ein aalglattes, durchtriebenes Schlitzohr, das es faustdick hinter den Ohren hat. Der Bursche gehört längst hinter Schloß und Riegel«, schnaubt der Semmelblonde. »Jahrelang hat er mit uns Schindluder getrieben.«

»Dann verstehe ich nur nicht, warum uns Wien keine Amtshilfe leistet.«

»Des waas i a net«, erwidert der Beamte. »Wissen S’, Herr Kollega, i bin ja nur a Klaaner, a ganz Klaaner bei der Polizeidirektion.« Watzlawek verzieht das Gesicht in plötzlicher Schadenfreude: »Vielleicht, weil eure Zeitungen so viel dummes Zeug über den Gauner schreiben. Sie wissen doch, daß Hanussen kein echter Tscheche ist, so wie er Ihre Sprache spricht. Er ist auch kein Vorkämpfer für Ihre Republik – wirklich nicht. Seine Heimat ist das Geld, und sonst gar nichts …«

»… und das scheffelt er, das kann ich Ihnen sagen«, stichelt Molitor.

»Ich hab’ ihn schon kenneng’lernt, wie er aus dem Krieg zurückgekommen ist. Da war er bei der Truppenbetreuung als eine Art Zauberkünstler und wollte im Zivilleben mit dem Abrakadabra weitermachen. Damals hat’s in Wien nur so gewimmelt vor Kartenschlägern, Astrologen, Wahrsagern, Sterndeutern und Handlesern. Hanussen war einer von vielen, einer unter ›Fernerliefen‹, und die Polizei hat sie nach dem Schema leben und leben lassen behandelt.«

»Bis zur Sache mit der Nationalbank«, erwidert Molitor.

»Das wissen Sie?« fragt der Weizenblonde mit schmalen Augen.

»Aus dem Archiv – Zeitungsberichte.« Der Tscheche gibt sich betont harmlos.

»Hörst’, i bring mich da um Kopf und Kragen, Kollega«, jammert Watzlawek. »Die Polizeidirektion hat eisern dichtgehalten. Oder redet man bei euch gern über a Blamasch?« »Das bleibt bei mir«, versichert der tschechische Kollege. »Da kommt kein Wort in die Akten. Das versprech’ ich Ihnen. Auf mich können Sie sich verlassen, Watzlawek, fragen S’ ruhig mal Ihre Schwester.«

»Ich glaub’s Ihnen ja«, entgegnet das Milchgesicht, »aber …«Er dreht sich wieder nach den Umsitzenden um. Sie sind gegangen. Und ein wenig wichtig macht sich der Mann aus Wien: »Das war 1919. Die Notendruckerei der Österreichischen Nationalbank hat entsetzt festgestellt, daß nagelneue Tausend-Kronen-Scheine entwendet wurden. Kistenweise, so viele, daß man der Öffentlichkeit die genaue Summe gar nicht mitteilen konnte. Wir, die Polizei, die Kiberer – wie die Leute uns nennen – haben sofort ermittelt, daß als Täter nur Angestellte des Geldinstituts in Frage kamen und haben sie überwacht. Alle. Ausnahmslos. Nichts konnte aus dem Gebäude herausgeschafft werden, was wir nicht kontrolliert hätten.« Watzlawek wischt sich mit dem Handrücken den Bierschaum vom blonden Schnurrbart. »Zuerst waren die Wiener Zeitungen noch ganz friedlich, aber dann machten uns Schlagzeilen über unsere Unfähigkeit schwer zu schaffen. Auf der Straße wurden wir von Passanten als Nichtskönner angepöbelt. In dieser Situation trat der damals noch weithin unbekannte Hanussen groß ins Rampenlicht: Er meldete sich beim Direktor der Nationalbank und behauptete, er sei Hellseher und könne das Geld wieder beschaffen. Wir von der Polizei haben zuerst gelacht, aber der Direktor der Notenbank – sein Stuhl hat ja schon bedenklich gewackelt – griff nach dem Strohhalm, und der Ganeff konnte sein ganz großes Brimborium abziehen. Er ließ sich die Pläne des Gebäudes zeigen, unter dem sich ein weitverzweigtes Kanalsystem befindet. Hanussen spielte den Hypnotisierten, rannte durch das Haus, stürzte sich auf einen jungen Mann und schrie: »Sofort verhaften den Mann, er gehört zu den Dieben.« Und dann gab der ›Hellseher‹ genau die Stelle an, an der die Geldkisten vergraben waren. Er erhielt eine hohe Belohnung, wurde der Held des Tages – und wir waren die Deppen der Woche.«

»Aber Sie wissen, wie er Sie aufs Kreuz gelegt hat?«

»Wir sind rasch dahintergekommen«, erwidert Watzlawek, »daß Hanussen der Schwager des ›Tresor-Franzl‹ war. Der ist einer der schlimmsten Gangster von Wien mit unheimlichen Beziehungen zur Unterwelt – und leider auch heimlichen zu einigen Behörden. Er war die Schlüsselfigur des Falles: Da die Diebe nicht wußten, wie sie das Geld durch die polizeiliche Kontrollkette schleusen könnten, wandten sie sich an einen Hehler und dieser wiederum an den Tresor-Franzl, der sich die Lage des Geldverstecks genau beschreiben ließ. Der Tresor-Franzl wußte auch nicht, wie man das Diebesgut durch die Kontrolle bringt, wohl aber wie man dem Mann seiner Schwester zu einem tollen Auftritt verhelfen kann.«

»Sie haben die Täter doch noch gefaßt?«

»Und zwar die richtigen«, versetzt der Semmelblonde. »Nicht den von Hanussen angegebenen, der war völlig unschuldig. Doch die Täter hielten den Mund aus Angst vor dem Tresor-Franzl: So haben wir zwar den Fall geklärt, konnten aber den Schwindel bei der Geldauffindung nicht beweisen. Wir mußten Däumchen drehen und auf Rache sinnen.«

»Darauf haben Sie dann lange warten müssen«, hilft Molitor nach.

»Fünf Jahre«, entgegnet der Mann aus Wien. »Inzwischen war Hanussens Ruhm schon wieder ziemlich verblaßt. Er trat im ›Ronacher-Varieté‹ auf, war aber nicht der Star, der sogenannte Eisenkönig hatte ihm die Schau gestohlen, ein Artist namens Breitbart. Der Mann verbog Stahlschienen, sprengte Eisenketten und zeigte ähnliche Tricks. Das Publikum raste: es wollte den Eisenkönig sehen, und nicht Hanussen. Der ›Hellseher‹, krank vor Eifersucht, gab in den Wiener Zeitungen Inserate auf und bezeichnete seinen Rivalen als Hochstapler. Steinschneider kam vor Gericht, wurde wegen Verleumdung verurteilt und aus dem ›Ronacher‹ entlassen. Jetzt ging der Krieg erst richtig los: Hanussen trat im ›Apollo‹ auf, versetzte seine Assistentin Martha Farra in Hypnose: Das zierliche Mädchen führte nun alle Sensationen des Eisenathleten vor: Zuvor wurden Zuschauer auf die Bühne geholt, die sich überzeugten, daß es sich um echte Eisenschienen und Ketten handelte. Dann wurde das Licht der Scheinwerfer wieder auf das Publikum gerichtet, während vier Helfer die Gegenstände gegen Attrappen austauschten.« Watzlawek lacht, bis er nasse Augen bekommt. »Breitbart verführte diese Requisitenschieber zu einem Heurigen-Ausflug, setzte sie unter Alkohol, als sie voll waren wie Haubitzen, sperrte er sie ein – und im ›Apollo‹ blamierte sich Hanussen bis auf die Knochen, weil sein Medium die echten Eisenstücke keinen Zentimeter bewegen konnte. Er wurde ausgepfiffen, mußte türmen und sich verstecken. Die Leute verlangten ihr Eintrittsgeld zurück, und die Wiener Zeitungen fielen jetzt so über den zweifelhaften Magier her wie fünf Jahre zuvor über die Polizei. Nunmehr konnten wir den Kerl endlich aussischmeiß’n. Jetzt«, spöttelt das Milchgesicht, »haben wir einen Gauner weniger und ihr, ihr habt einen Patrioten mehr.«

»Bitte nicht politisch werden, Herr Kollega«, entgegnet Molitpr. »Und lange wird sich Hanussen hier nicht mehr herumtreiben, darauf können Sie sich verlassen, und die – die patriotischen Hosen werden wir ihm dann schon Ausziehen.«

Er gibt sich zuversichtlich, wiewohl er weiß, daß »der größte Hellseher aller Zeiten« längst nicht mehr mit Pappattrappen arbeitet. Tricks, die man sich nicht erklären kann, gelten in der Volksmeinung nun einmal als Wunder, und je ungläubiger der moderne Mensch wird, desto wundergläubiger gibt er sich auch.

Hanussen - Hellseher und Scharlatan

Подняться наверх