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Prophylaxe
ОглавлениеAls Rentner lebt man allgemein
frischfröhlich in den Tag hinein.
Doch irgendwann kommt mal die Stunde,
do jeht et höösch de Berg erunder.
Heh jück dich jet, do deit jet wieh,
jet anderet – funktioniert nit mieh,
den halven Daach söök mer de Brill,
und vieles klapp nit, wie mer will.
Auch kommt es bei den grauen Zellen
von Zeit zu Zeit zu Stromausfällen,
dann stehste da wie ein Stück Holz,
weißt nicht mehr, wat du sagen wollst.
So zeigt sich täglich überall
en Spur von Haltbarkeitsverfall.
Jetzt han die in Berlin jesacht,
für Rentner wär et anjebracht,
wenn die auf Kosten von den Kassen
sich öfters untersuchen lassen.
Das Herz, die Leber und die Lunge,
und wat mer suns noch hätt – do unge.
Das heißt vom Kopf bis an die Haxe,
den Vorgang nennt man Prophylaxe.
Jetzt fehlt nur noch en Institut,
wo mer dat machen lassen tut.
So war ich gestern in der Stadt,
wo ich wat zu besorgen hat.
Da sehn ich do e so ´ne Lade,
ein rotes Herz auf der Fassade,
en Leuchtreklame fiel mir auf,
stand „Dr. Müller-Sexshop“ drauf.
Bei Doktor Müller viel mir ein,
das könnte DIE Adresse sein.
Wahrscheinlich so ´n Gemeinschaftspraxis
für Herzund Leber-Prophylaxis.
Do daach ich mir: Ist wohl am besten,
da jehste rein und lässt dich testen.
Doch su en Praxis wie bei dem,
das hat die Welt noch nicht gesehn.
Am Eingang zu dem Reservat
ein roter Vorhang aus Brokat.
Dann stand ich in ´nem Wartezimmer
bei rosarotem Lampenschimmer.
Ich dacht bei mir: Schau an, schau an,
Doktor Müller – kluger Mann,
denn Rotlicht soll ja allgemein
gesund für de Gesundheit sein.
Ich bin dann an de Rezeption,
da kam die nächste Attraktion.
En Krankenschwester in Zivil
mit sagenhaftem Sexappeal.
Ich stellt mich vor und gab dem Mädche
mein AOK-Versicherungskäätche.
Da kuckt die schöne Lilofee
ganz dumm aus ihrem Dekollté.
Ich frag: Is irgendwat nit klar,
is der Doktor noch nit da?
Da fragt mich diese Henriette,
ob ich ´nen Ratsch em Kappes hätte?
Vermutlich hat die lahme Ente
wat jejen AOK-Patiente.
Ich hab dann erst mal ganz pikiert
dat Wartezimmer inspiziert.
Das war vielleicht ein Internat –,
ich kann verstehn wenn einer spart,
doch in der Bud war weit und breit
nicht eine Sitzgelegenheit.
Stattdessen überall Regale
mit Bilderbücher und Journale.
Das Wartezimmer-Publikum,
das stöberte da drin herum,
war offensichtlich ganz gebannt
von dem, was all da drinnen stand.
Ich hab dann auch mal reingekuckt:
Da waren Sachen abgedruckt,
Lesezirkel waren dabei,
das war – weiß Gott nicht jugendfrei.
Und so was in ´nem Wartezimmer – –,
der Doktor Müller ist ein Schlimmer.
Der braucht bestimmt den ganzen Segen,
um Herz und Kreislauf anzuregen.
Dann lag da noch ein ganzer Stoß
mit sagenhaften Videos,
da waren Liebesfilm-Kassetten,
– – wenn sie das gesehen hätten!
Alleine schon die Titelseiten
und das in allen Einzelheiten.
Für Leute mit ´nem Herzbefund
ausgesprochen ungesund.
Dann kam ´ne gläserne Vitrine
mit Sachen drin aus Plastiline,
ich nehme an – der neuste Schlager –
ein menschliches Ersatzteillager.
Et war tatsächlich allerhand,
was da so alles lag und stand.
Bei mir, da wurden indirekt
Erinnerungen aufgeweckt.
Dann koom en Attraktivität,
ich han jedaach, mich tritt e Pääd.
Da lagen – leck mich in der Täsch –
ein Tisch voll Damen-Unterwäsch,
die dollsten Seiden-Garnitürchen
für alle Größen und Figürchen.
Von Rosarot bis Anthrazit,
dat jit et selfs em Kaufhof nit.
Ich daach beim Anblick der Dessus:
Wat litt dojäjen doch zu Huus,
bei meiner Frau in der Kommod
ein kümmerliches Angebot.
Dann fand ich in dem Institut
noch ein weiteres Attribut.
So an die zehn bis zwölf Kabinen
mit Röntgenschirm zum Selbstbedienen.
Gewiss der allerletzte Schrei –
ein Kämmerchen wurd grade frei.
Da bin ich dann schnell reingeschossen,
bevor ein andrer sich entschlossen.
Jetzt nehm ich an, dat ihr versteht,
wie dat beim Röntgen vor sich geht.
So hab ich erst mal auf Verdacht
mein Oberkörper freigemacht,
und mit dem Brustkorb richtig fest
mich an den Röntgenschirm gepresst,
dabei versucht auf Zehenspitzen,
mich Oberkante abzustützen,
die Hände hinterm Kopf zu falten,
tief einatmen – – Luft anhalten.
Doch irgendwas an dem System
erschien mir äußerst unbequem.
In der Kabine nebenan
war einer noch viel schlimmer dran.
Der stöhnte da aus vollem Herzen,
der hatte sicher große Schmerzen.
Sicher war das ein Wehweh
durch ein Belastungs-EKG.
Nach 5 Minuten Stagnation
in dieser blöden Position,
kam mir allmählich der Verdacht:
Hier wird mit mir de Aap jemacht.
Ich hab mich wieder angekleidet,
mir war der Aufenthalt verleidet,
hab die Kabine zugeschlagen
und bin dann, ohne Tschüss zu sagen,
still und heimlich und frustriert
am Eingang wieder rausspaziert.
Doch hat dat alles keinen Sinn,
ich muss da morgen wieder hin.
Denkt nicht, ich sei da drauf versessen,
ich hat nur minge Schirm vergessen.