Читать книгу Wyatt Earp Paket 3 – Western - William Mark D. - Страница 24

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Wie Baumstümpfe hoben sich die vier Männer auf der Hügelkuppe gegen den hellen Nachthimmel ab.

Der rothaarige Jack Halbot hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und blickte finster auf die Talmulde zu seinen Füßen, in der die kleine Parker Ranch lag. Neben Halbot stand Jimmy Hilton, ein hagerer, sehniger, kaltgesichtiger Bursche von siebenundzwanzig Jahren. Auch er starrte unverwandt auf die Ranch hinunter.

Links hinter Halbot stand der einäugige Pat Balthasar. Rechts neben Hilton hatte sich Mike Ferkas aufgebaut, ein übelaussehender Bursche von vielleicht dreißig Jahren, der ein schmutzigweißes Tuch um den Hals gewickelt hatte, das wie ein Verband wirkte.

Die vier Männer standen mehrere Schritte von ihren Pferden entfernt und blickten schweigend in die Talmulde hinab.

Da hob Halbot die rechte Hand und deutete mit dem Daumen nach unten: »Es geht los.«

Niemand antwortete, niemand nickte. Sie wandten sich ihren Pferden zu und zogen sich in die Sättel.

Jimmy Hilton schleppte am Lasso einen großen Balken hinter sich her. Ferkas hatte zwei kleine Balkenstücke hinter dem Sattel aufgeschnallt.

Galgenmänner!

Als sie die Nähe des Ranchhofes erreicht hatten, hob Halbot die linke Hand. Sie hielten die Pferde an und nahmen graue Tücher aus den Taschen, die sie sich bis hoch unter die Augen um die untere Gesichtshälfte banden.

Dann ritten sie weiter.

Als sie nur noch etwa hundert Yard vom Hof entfernt waren, stiegen sie von den Pferden.

Ferkas nahm die Balkenstücke, und Balthasar schnallte einen Campspaten und einen Pickel von seinem Sattel ab, und dann blickten beide zu Halbot hinüber. Der hob wieder die Hand und nahm die Zügelleinen auf, um in den Hof zu sprengen.

»Feuer! Feuer!« gellte es über den weiten Ranchhof.

Es dauerte nicht sehr lange, da sprang die Bunkhaustür auf, und mehrere halbbekleidete Männer stürmten in den Hof.

Es waren Parker Cowboys.

Halbot rief ihnen zu: »Feuer! Drüben bei uns auf der Lucas Ranch!«

Der Bandit riß sein Pferd wieder herum und galoppierte vom Hof.

Einer der Cowboys, ein bärtiger älterer Bursche, brüllte den anderen zu: »Los, seht zu, daß ihr auf die Pferde kommt, Boys.«

Es dauerte nur wenige Minuten, und die Parker Cowboys ritten aus dem Hof.

Der Vormann rannte zum Wohnhaus hinüber und lief dem Rancher entgegen, der eben aus der Haustür kam.

»Wir müssen hinüber zu Lucas, Mr. Parker! Die Ranch brennt! Bleiben Sie nur hier und schonen Sie Ihr Bein!«

Der Boß nickte. »All right, Jim!«

Der Cowboy schwang sich auf seinen Schimmel und preschte den anderen hinterher.

Der siebenundfünfzigjährige Joe Samuel Parker blickte ihm nach, wandte sich schließlich um und ging kopfschüttelnd und vor sich hin murmelnd ins Haus zurück.

»Wann das mit den Bränden nur endlich mal ein Ende nimmt…«

Er ging zurück in seine Kammer und legte sich wieder nieder.

Im Obergeschoß des Wohnhauses hatte die siebzehnjährige Ireen Parker ihr Zimmer. Sie war seit zwei Tagen wieder auf der Ranch. Ein halbes Jahr hatte sie drüben in St. Louis bei ihrer Tante Mary verbracht, einer Schwester des Vaters, die schwer krank gewesen war. Nachdem die Tante sich erholt hatte, war Ireen zurückgekehrt.

Das Mädchen hatte bis spät in die Nacht hinein in der Küche über Näharbeiten gesessen und war gerade erst in sein Zimmer gekommen, als unten der Ruf: Feuer! im Hof erscholl. Ireen saß noch völlig angekleidet auf dem Bett und hatte den Kopf in die Hände gestützt.

Ihre Gedanken eilten den weiten Weg bis hinauf nach St. Louis zurück und verweilten bei einem jungen Mann, der blondes Haar und helle Augen hatte.

Ireen hatte Greg bei einer Freundin von Tante Mary kennengelernt. Greg Honter war ein junger Zahnarzt. Die beiden hatten einander nur ein einziges Mal wiedergesehen. Und dieses Wiedersehen stand noch im Herzen des Mädchens. Ireen hatte Greg versprochen, bald zu schreiben.

Wie sollte sie dem Vater beibringen, daß Greg sie heiraten wollte?

Ireen erhob sich, zog die lederne Jacke aus, die sie heute zum erstenmal wieder angelegt hatte, und ging hinüber in die kleine Kammer, in der sie früher geschlafen hatte, als Mutter noch lebte, und in der jetzt die Wäschetruhen standen. Sie wollte sich ein frisches Hemd zurechtlegen, da sie morgen mit dem Vormann hinaus aufs Vorwerk reiten sollte.

Währenddessen huschten die beiden Banditen Ferkas und Balthasar in den Ranchhof und gruben unweit der Veranda des Wohnhauses ein Loch in den nicht sehr harten Boden.

Dann stellten sie das rasch zu einem Galgen zusammengeschraubte Gerüst auf und verließen so lautlos, wie sie gearbeitet hatten, den Hof.

Von alldem hatten weder der Rancher, der inzwischen eingeschlafen war, noch seine Tochter Ireen, die oben in der Wäschekammer herumhantierte und jetzt erst wieder in ihr Schlafzimmer zurückkam, etwas gehört.

Dann wurde unten plötzlich gegen die Tür gepocht.

Ireen trat ans Fenster, vermochte aber durch das Verandavordach niemanden zu sehen.

Joe Parker war aufgewacht. Er zog sich hastig eine Hose und seine Stiefel an und polterte dann durch den Vorraum zur Tür.

Als er sie aufstieß, sah er gegen das bleiche Mondlicht, das über dem Hof lag, die Silhouette eines Mannes vor sich.

»Ja…, was gibt es?« brach es über die Lippen des Ranchers, den plötzlich ein ungutes Gefühl im Genick packte.

Der Mann blickte ihn unverwandt an.

Dann tauchten hinter ihm im Hof drei weitere Gestalten auf.

Der Mann, der vor der Tür stand, war der Bandit Jake Halbot.

»Was… wollt ihr?« stotterte der Rancher heiser.

Die drei starrten ihn nur an. Dann wich Halbot plötzlich langsam zurück, verließ die Veranda und trat in den Hof.

Er ging etwas zur linken Seite hinüber, und die anderen folgten ihm. Da blieben sie stehen und hatten eine Distanz von etwa acht Yard zwischen sich und den Rancher gebracht.

Der trat jetzt ein Stück auf den Vorbau – und sah den Galgen.

Eisiger Schreck ließ seine Glieder erstarren. Aber dann faßte er sich, warf sich herum und riß eine selbstzündende Fackel von der Tür, die sofort brannte und schleuderte sie in hohem Bogen in den Hof.

Zu spät!

In diesem Augenblick brüllten die Revolver der vier Galgenmänner auf.

Joe Parker torkelte zur Seite, stürzte an der Vorbaukante nieder, stützte sich noch einmal auf und kippte dann vornüber in den Hof.

Die Fackel lag am Boden und warf ein zuckendes, gespenstisches Licht über die vier Gestalten.

Halbot gab Ferkas, der der Fackel am nächsten stand, einen Wink.

Der Bandit verstand und warf sie in den Brunnen.

Und oben am Fenster ihrer Schlafkammer stand mit bleiernem Gesicht und vor Schreck gelähmt, die siebzehnjährige Ireen Parker. Sie hatte miterleben müssen, wie ihr Vater kaltblütig ermordet worden war. Unfähig, sich auch nur zu rühren, stand sie da und starrte auf die Männer, die jetzt, nachdem die Fackel verlöscht war, wie schwarze Pfähle unten im bleichen Mondschein des Hofes standen.

Ich muß fliehen! hämmerte es in ihrem Hirn, Hilfe holen! Sie werden mich suchen und töten wie den Vater!

Aber sie vermochte sich nicht zu bewegen.

Da kam Leben in die Gestalten der vier Desperados.

Jake Halbot hob den Arm, und auf dies stumme Zeichen hin schritten die vier Verbrecher zum Hof hinaus.

Wenige Sekunden später war nur noch der dumpfe Hufschlag ihrer Pferde zu hören.

Minutenlang stand das Mädchen am Fenster und starrte hinunter auf den dunklen leblosen Körper vor der Veranda.

Endlich raffte sie sich zusammen und ging hinunter. Die Haustür stand offen. Vom Flur aus hatte sie einen Blick über die Veranda in den Hof.

Aber sie sah von hier aus nur einen Arm und eine Hand, die sich in den Boden gekrallt hatte.

Ireen machte noch zwei Schritte vorwärts, dann taumelte sie zur Seite, prallte gegen die Wand, suchte sich an der Tür zu halten, glitt aber an ihr nieder und schlug an der Schwelle auf.

Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie die Augen wieder aufschlug. Wie ein gespenstischer Traum schien ihr alles. Die schweren Schlagschatten des Mondes waren länger geworden und griffen wie gigantische schwarze Finger in den Hof.

Ireen richtete sich auf und sah wieder den Arm des Vaters und die in die Erde verkrampfte Hand.

Sie sog die Luft tief in die Lungen ein, um ihre Angst hinauszuschreien, aber die Furcht drückte ihr die Kehle zu.

Langsam zog sie sich am Türgriff hoch, stand auf der Schwelle und starrte auf den leblosen Körper des Vaters.

Ihre Lippen sprangen auseinander. »Vater…« Lautlos kamen die beiden Silben über ihre Lippen.

Sie mußte all ihren Mut zusammennehmen, überquerte den Vorbau und stieg die Treppe hinunter.

»Vater!«

Sie kniete neben dem Körper des Niedergeschossenen und suchte ihn auf den Rücken zu drehen.

Joe Parker war tot.

Mehrere Geschosse hatten ihn niedergestreckt und sein Leben ausgelöscht. Fünfunddreißig Jahre hatte er auf diesem Fleck Erde gelebt und schwer gearbeitet.

Ireen kniete immer noch im Hof und blickte über den Körper des Toten hinweg mit tränennassen Augen in die Savanne hinaus. Was war denn das? Deutlich sah sie gegen den hellen Himmel die Konturen eines scheußlichen Gerüsts.

»Ein Galgen!« flüsterte sie verstört. Und dann zuckte der Schreck in jähem Begreifen durch ihren Körper, wie eine glühende Nadel stach er nach ihrem Herzen.

»Die Galgenmänner…!«

*

Im Morgengrauen verließen die beiden Reiter die Stadt.

Keiner von ihnen blickte sich um. Das düstere Tombstone war es nicht wert, daß man auch nur einen Blick darauf verschwendete.

Wyatt Earp und Doc Holliday waren auf dem Weg zum fernen San Pedro Valley, auf dem Weg zu der Ranch der McLowerys.

Seit Wochen jagte der Dodger Marshal hinter dem geheimnisvollen Boß der Galgenmänner her. Er war in Costa Rica gewesen, in Martini und in der heißen Grenzstadt Nogales. Überall hatte er die Spuren der Graugesichter, wie die Galgenmänner auch genannt wurden, gefunden; die Spuren ihrer scheußlichen Taten. Mehrmals glaubte er dicht auf der Fährte des Chiefs dieser Verbrecherorganisation zu sein, hatte aber bis jetzt immer wieder feststellen müssen, daß er sich geirrt hatte.

Wer führte die Verbrecher an? Es könnte unmöglich ein kleiner x-beliebiger Bandit oder Tramp sein, denn zu gut war die Bande organisiert, zu straff war ihr Reglement. Wer eine solche Bande auf die Beine stellte, der mußte schon über ungewöhnliche Fähigkeiten auf diesem Gebiet verfügen.

Und der Missourier Wyatt Earp kannte eigentlich nur einen Mann, dem er die Begabung für diesen Job zutraute: Ike Clanton!

Aber die Jagd nach diesem Mann hatte bisher so gut wie nichts erbracht. Wenn auch der frühere Chief der berüchtigten Clanton-Gang und jetzige Rancher mehrfach an Orten aufgetaucht war, die den Verdacht des Missouriers zu bestärken schienen, so hatte der Marshal bisher doch keine echte Handhabe gegen diesen Mann finden können.

Nicht ganz so stand es um den Bruder Ikes – um Phineas Clanton. Dieser Phin war ein Spieler und Trinker und hatte sich früher viel mit anderen Banden herumgetrieben, ehe er selbst mit seinem großen Bruder ritt. Dann, als die Clantons nach dem Kampf im O.K.-Corall zerschlagen schienen, suchte er wieder eigene Banden auf die Beine zu bringen. Das kam soweit, daß sein eigener Bruder ihn einmal versehentlich oben in Lorrac niederschoß. Damals hatten alle geglaubt, Phin wäre tot, aber der zähe Tombstoner Cowboy war dem Totengräber im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal von der Schippe gesprungen.

In Martini hatte sich Phin offen gegen den Marshal gestellt, und seine Zugehörigkeit zu den Graugesichtern schien damit erwiesen zu sein. Wyatt Earp hatte ihn in Martini festgenommen, aber Phin war mit anderen Männern wieder ausgebrochen und geflüchtet.

Daß er der Boß der Galgenmänner sein könnte, hielt Wyatt Earp für nicht sehr wahrscheinlich. Ausgeschlossen war es jedoch nicht, da der Name Clanton immer noch einen gewichtigen Klang in diesem Lande hatte.

Der Marshal hatte in Tombstone eine ganze Reihe von Banditen dingfest gemacht, die auch abgeurteilt wurden. Allerdings hatte sich in der Verhandlung gegen die Banditen nichts herausgestellt, das dem Marshal auf seinem Weg hätte weiterhelfen können. Die Graugesichter fürchteten ihren Boß offenbar zu sehr, als daß sie es gewagt hätten, ihn oder etwas das ihn betraf, zu verraten.

Der Missourier hatte deshalb beschlossen, seine Taktik zu ändern. Er würde seine Suche jetzt weniger auf die Person des Bandenführers richten, als auf die Auffindung des Hole (Gangstercamp). Es war wahrscheinlich sehr viel schwerer, einen Mann zu suchen, der sich mit etwas Glück mühelos von Ort zu Ort bewegen konnte, als ein feststehendes Camp.

Irgendwo mußten die Galgenmänner ja ihr Headquartier haben. Es war nicht wahrscheinlich, daß dieses Lager ständig an einem anderen Ort aufgeschlagen wurde. Allerdings war es auch möglich, daß das Lager nicht die Bedeutung besaß, denn der große Chief konnte seine Befehle ja ohne weiteres von anderen Orten aus geben, nämlich von dort, wo er sich gerade befand. Aber trotzdem hatte der Marshal das Gefühl, daß die Bande, neben den zahlreichen kleinen Schlupfwinkeln, irgendwo ein festes Camp haben mußte. Die Orte, die er bis jetzt aufgesucht hatte, beherbergten dieses Lager nicht. Wyatt hatte keine besondere Veranlassung dazu, anzunehmen, daß ausgerechnet die McLowery Ranch im fernen San Pedro Valley dieses Lager beherbergen würde, aber da er nicht nur Phin Clanton sondern auch Kirk McLowery suchte, war der weite Ritt berechtigt.

Kirk McLowery hatte sich mehrmals in Tombstone und auch in der Umgebung der Stadt verdächtig gemacht. Aber immer war er dem Marshal im letzten Augenblick entgangen.

Wyatt wußte, daß Kirk mit den Clantons entfernt verwandt und nach wie vor auch befreundet war. Kirk, der zweitälteste der drei McLowery-Brüder (sein älterer Bruder Frank und sein jüngerer Bruder Tom waren bei dem Gefecht im O.K.-Corall gefallen) war ein ungewöhnlich gefährlicher, rücksichtsloser und kaltblütiger Mensch.

Doc Holliday beispielsweise traute ihm es eher zu, Chief der Galgenmänner zu sein, als Phin Clanton.

Es war ein weiter Weg hinunter zum San Pedro Valley. Wyatt Earp kannte ihn nicht genau. Er war vor Jahren einmal in der Nähe des Tales gewesen, aber die McLowery Ranch kannte er nicht.

Gegen acht Uhr am Vormittag hatten sie bereits elf Meilen zwischen sich und die Stadt gebracht. Sie ritten östlich von der Straße nach Bisbee und passierten die Parker-Weide. Da sahen sie in der Ferne einen Reiter im scharfen Galopp auf die Overlandstreet zuhalten.

»Was hat der denn vor?« Der Georgier beschattete die Augen mit der Hand.

Da hatte auch der Reiter die beiden bemerkt und lenkte auf sie zu.

Es war ein Cowboy von der Parker Ranch. Mißtrauisch blickte er die beiden an.

»Wo kommt ihr denn her?«

Wyatt stützte sich mit beiden Händen auf den Sattelknauf und blickte den Weidereiter forschend an.

»Mein Name ist Earp, Cowboy. Haben Sie irgend etwas auf dem Herzen?«

»Earp? Sind Sie etwa Wyatt Earp?«

»Ja.«

Da brach es aus dem Mann hervor: »Ich war gerade auf dem Weg nach Tombstone. Ich wollte Sie holen, Marshal!«

»Mich?« fragte der Missourier verblüfft. »Was ist denn passiert?«

Der Cowboy berichtete, was sich in der Nacht auf dem Ranchhof ereignet hatte.

Holliday stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne.

»Daß dieser blödsinnige alte Trick immer noch zieht! Brand auf der Nachbarranch! Und die ganze Mannschaft eilt zu den Gäulen.«

»Warum ist der Boß nicht mitgeritten?« erkundigte sich der Marshal.

»Das konnte er nicht«, entgegnete der Cowboy. »Vor einigen Tagen hat er sich draußen beim Vorwerk das Bein verletzt. Heute hätte ohnehin schon seine Tochter an seiner Stelle mit den Zählbuch zum Brennen hinauskommen müssen.«

»Sie sind beim Brennen? Jetzt?«

»Ja, es ging nicht anders…«

Wyatt nickte: »Well, reiten wir!«

In voller Karriere sprengten sie der Parker Ranch entgegen.

Der Anblick des Galgens, der sich dem Missourier und seinem Begleiter bot, war nichts Neues für die beiden Männer, dennoch erfüllte er Wyatt mit unbändigem Zorn. Sie hatten also wieder einmal zugeschlagen, die Graugesichter.

Unbekümmert um das, was oben in Tombstone geschah, gingen sie ihren Geschäften nach. Nicht ganz dreizehn Meilen von der Stadt entfernt hatten sie wieder ein Menschenleben ausgelöscht.

Warum? Was hatte ihnen dieser fast sechzigjährige Joe Parker getan? Der einzige, der dem Marshal darauf eine Antwort hätte geben können, lag hinter dem Scheunenhaus auf dem winzigen Graveyard unter einem frischen Erdhügel, der mit Herbstblumen geschmückt war und auf dessen Kreuz das heutige Datum stand.

Als der Marshal und Doc Holliday mit dem Vormann in den Hof zurückkamen, deutete der Cowboy auf das Haus.

»Sie ist oben, Mr. Earp.«

Wyatt blickte auf das Haus.

»Wie alt ist sie?«

»Siebzehn. Ich glaube, sie wird erst im Januar achtzehn.«

»Gehen Sie bitte hinauf und fragen Sie sie, ob ich mit ihr sprechen kann.«

Der Vormann nickte und ging auf das Haus zu. Aber er hatte kaum den Fuß auf die Verandatreppe gesetzt, als oben die Haustür geöffnet wurde.

Ireen Parker stand mit bleichem Gesicht und rotgeränderten Augen im Türrahmen. Sie war mittelgroß, hatte brünettes Haar und grüne Augen.

»Wer sind Sie?« fragte sie, während sie den Blick auf den Missourier richtete.

»Mein Name ist Earp, Miß Parker.«

Da schaltete sich der Vormann ein: »Er ist Wyatt Earp, Ireen…«

Sofort trat das Mädchen auf den Vorbau und blickte in die Augen des Missouriers.

»Wyatt Earp? Der Marshal?«

»Ja.«

»Bitte, kommen Sie herein.«

Und als Holliday im Hof stehenbleiben wollte, meinte die junge Rancherstochter: »Sie sind sicher Doc Holliday, nicht wahr?«

Der Georgier nickte.

»Bitte, kommen Sie mit ins Haus.«

Als die beiden vor ihr im Arbeitszimmer ihres Vaters standen, war es mit der Fassung Ireens vorbei. Sie schob die Tür hinter sich zu und senkte den Kopf. Große Tränen rollten von ihrem Gesicht auf die weißgescheuerten Fußböden.

Der Marshal wandte den Kopf und blickte den Georgier an.

Der hatte sofort verstanden. Mit Frauen konnte der Missourier nie besonders gut umgehen. Und eine Frau in dieser Verfassung war sicher nicht leicht zu behandeln. Darauf verstand sich der elegante, geschliffene ehemalige Bostoner Arzt sehr viel besser.

Holliday hatte seinen großen schwarzen Hut in beiden Händen und blickte darauf nieder.

»Wir haben nicht die Absicht, Sie mit vielen Fragen zu belästigen, Miß Parker, aber falls Sie doch etwas wissen sollten, das dem Marshal bei der Verfolgung der Verbrecher nützlich sein könnte, so möchte ich Sie sehr bitten, kurz zu berichten. Vielleicht ist es einfacher, wenn ich Sie frage. Haben Sie auch den Reiter gesehen, von dem die Cowboys dem Marshal berichteten?«

Ireen schüttelte den Kopf.

»War es einer? Oder waren es mehrere Männer?«

Das Mädchen nickte. »Mehrere.«

»Drei oder vier?«

»Vier«, kam es tonlos über Ireens Lippen.

»Sie haben sie also sehen können? Waren Sie selbst oben oder unten im Haus?«

»Ich war oben und sah sie unten im Hof stehen.«

»Ist Ihnen irgend etwas an den Männern aufgefallen?«

»Ja, der eine, der eine Fackel in den Brunnen warf, hatte einen weißen Verband um den Hals.«

»Eine Fackel? Sie sind mit einer Fackel gekommen?«

»Nein…«

»So hat Ihr Vater sie angezündet?«

»Ja, und zwar, als er bedroht wurde. Er hat immer eine von diesen neuen Oakland-Fackeln neben der Tür hängen.«

»Und dann wurde geschossen?«

»Ja.«

»Und, haben alle geschossen?«

»Ja, mein Vater ist von sieben Kugeln getroffen worden, wie Mr. Preston, unser Vormann, mir vorhin am Grab sagte…« Wieder wurde ihr Körper von einem heftigen Schluchzen geschüttelt.

»Können Sie sich sonst noch an irgend etwas erinnern? Wenn die Fackel in den Hof fiel, dann wird Ihr Vater sie sicher so geworfen haben, daß die Männer vom Lichtschein getroffen wurden?«

Das Mädchen nickte, ohne zu antworten.

»Der eine der Männer trug also einen weißen Verband um den Hals? Und die drei anderen? Können Sie sich an ihre Kleidung erinnern?«

Ireen schüttelte den Kopf.

»Hatte einer von ihnen vielleicht einen Kinnbart?« forschte Holliday.

Das Mädchen nickte. »Ja, ich erinnere mich jetzt genau. Einer von ihnen hatte einen struppigen roten Bart. Ja, ich glaube ganz sicher, daß er rot war…«

»Die Gesichter der Männer konnten Sie natürlich von oben nicht besonders gut sehen?«

»Doch«, erklärte Ireen plötzlich, »ich habe sie sogar ziemlich gut sehen können in dem grellen Licht: weil sie zum Vorbau hinaufblickten und die Köpfe also etwas hoben. Einer trug eine Augenbinde…«

»Sie erinnern sich genau daran?«

»Ja, ganz genau!«

Ireen Parker hatte den Männern gesagt, was sie ihnen sagen konnte. Um sie nicht weiter mit Fragen zu quälen, verabschiedeten sich die beiden.

Draußen standen die Cowboys und blickten ihnen erwartungsvoll entgegen.

Der Vormann trat auf den Marshal zu.

»Was sollen wir tun, Mr. Earp?«

»Hierbleiben und die Arbeit auf der Ranch nicht vernachlässigen.«

»Und der Mörder…?«

»Ich werde ihm folgen.«

Sie ritten nach Süden. Der ursprüngliche Kurs zum San Pedro Valley lag bedeutend weiter südöstlich.

Aber Wyatt Earp hielt nach Süden, weil er hinter dem Haus die Spuren mehrerer Pferde gefunden hatte, die nach Aussagen der Cowboys nicht von Tieren der Ranch stammen konnten.

Und diese Fährte wies nach Bisbee!

»Das kann ja heiter werden«, meinte der Georgier, als er die Richtung bemerkte, die der Marshal einschlug.

Und beide dachten sie das gleiche: an jenen heißen Julitag vor zwei Jahren, an dem sie in Bisbee in der McKeenzystreet das wilde Gefecht mit der Curtis-Bande hatten. Wyatt Earp und Doc Holliday wußten, daß Ernie Curtis in Bisbee zu Hause war, zwar befand sich der Bandit zur Zeit in Fort Worth, um dort seine fünfzehnjährige Straflagerhaft abzusitzen, aber seine Familie lebte in der Stadt. Und das war gefährlich.

Es war Abend, als sie Bisbee erreichten. Sechsundzwanzig Meilen trennten sie von Tombstone, und schon wieder saßen sie auf einem Pulverfaß. Hier in dieser Stadt mußten sich die vier Graugesichter aufhalten, die Joe Parker ermordet hatten. Wyatt Earp war fest entschlossen, diesen Männern erst auf die Spur zu kommen, ehe er den Weg ins San Pedro Valley fortsetzte. Es war nicht eben viel, was sie von den Banditen wußten – aber oft hatten sie noch sehr viel weniger von einem Mörder gewußt und ihn dennoch gefunden und zur Strecke gebracht.

Links in der Mitte der sonderbar schmalen McKeenzystreet schob sich ein Bau etwas vor in die Fahrbahn. Das große Norman Hotel. Damals hatten Wyatt Earp und Doc Holliday in ihm Quartier genommen.

Auf der rechten Straßenseite war Donegans Drugstore. Ein ziemlich großer Laden, durch dessen drei Fenster das Licht auf die Straße fiel.

Wyatt Earp hielt sein Pferd an, stieg aus dem Sattel und warf Doc Holliday die Zügelleinen zu.

Er hatte im Drugstore einen Mann bemerkt, der ein helles Halstuch trug. Zwar machte dieser Mann nicht den Eindruck, als ob er ein Bandit wäre, denn er war gut gekleidet, aber der Marshal mußte der kleinsten Spur nachgehen. Er trat auf den Vorbau und blieb an der Tür stehen.

Der Mann mit dem hellen Halstuch kaufte sich einen Hut.

In diesem Augenblick redete ihn der Besitzer des Stores an. Durch die offenstehende Tür konnte der Marshal die Unterhaltung verstehen.

»Noch immer Halsschmerzen, Mr. Conally?«

Conally nickte. Und als er das Gesicht jetzt etwas zur Seite wandte, sah Wyatt, daß er sicherlich mehr als sechzig Jahre alt sein mußte. Schon wollte er sich abwenden, da sah er in das Gesicht eines Mannes, der auf der anderen Seite des Stores stand und in den bunten Hemden herumwühlte.

Der Mann hatte nur ein Augen und sein Gesicht wirkte böse und gefährlich.

Wyatt trat in den Store und blickte zu dem Mann hinüber.

Der Zyklop hatte ihn jetzt gesehen und wurde offensichtlich unruhig. Mit hastigen Schritten eilte er dem Seitenausgang zu, der in die Quergasse führte, und damit hatte er sich Wyatt Earp verraten: »Warten Sie, Mister!«

Schneidend drang der Ruf des Missouriers durch den Raum.

Der Mann wandte sich um. In seinem Auge funkelte der Zorn. »Was wollen Sie?«

»Ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»Ich habe nichts mit Ihnen zu sprechen! Lassen Sie mich in Ruhe.«

Er wandte sich um und wollte hinaus.

Mit drei Sätzen war der Marshal bei ihm und ergriff seinen linken Unterarm.

Da riß der Mann seinen Revolver heraus.

Aber Wyatt Earp hatte ihm die Waffe mit einem Handkantenschlag aus der Faust geschleudert:

»Kommen Sie mit!«

»Wohin?«

»Zum Sheriff.«

»Was soll ich da?«

»Das werden Sie schon erfahren.«

»Ich habe nichts mit dem Sheriff zu tun! Was wollen Sie überhaupt von mir? Ich habe Ihnen nichts getan! Lassen Sie mich zufrieden. Wer sind Sie überhaupt?«

»Mein Name ist Earp.«

»Earp? Wyatt Earp?«

»Ja.«

Wyatt packte ihn am Arm und schob ihn hinaus.

Doc Holliday hielt noch mit den beiden Pferden neben dem Eingang des Stores.

Während Wyatt Earp die Straße überquerte und auf das etwas entfernt liegende Sheriffs Office zuhielt, rutschte der Spieler aus dem Sattel und warf die Zügelleinen über den Querholm des Stores.

Es war purer Zufall, daß er auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Mann bemerkte, der ein helles Tuch um den Hals gewickelt trug. Es war nicht nur die Tatsache, daß der Georgier jetzt ein scharfes Auge für Leute mit hellen Halstüchern hatte, es war vielmehr die Art, in der der Mann drüben dem Marshal und dem Einäugigen nachblickte, die den Spieler frappierte.

Da wandte der andere den Kopf zur Seite und sah drüben vor dem Store den Spieler zwischen den Pferden stehen. In diesem Augenblick machte der Desperado Mike Ferkas den gleichen Fehler, den vor wenigen Minuten sein Kumpan Pat Balthasar gemacht hatte: er wandte sich mit einem Ruck um und rannte über die Straße davon und verschwand in einem offenen Hoftor.

Doc Holliday war sofort hinter ihm und erreichte das Tor nur wenige Sekunden später. Obgleich es jetzt schon ziemlich dunkel war, vermochte er den Mann mit dem weißen Halstuch im Hintergrund des Hofes genau zu erkennen. Der erklomm eine Leiter und verschwand in der Bodenluke einer Scheune.

Holliday hatte kaum vier Schritte in den Hof getan, als hinter ihm von der Galerie des Wohnhauses her ein Schuß aufbrüllte.

Die Kugel traf ihn wie mit einem Keulenschlag, ließ ihn nach vorn torkeln und niederstürzen.

Wyatt Earp hatte mit Balthasar das Office des Sheriffs betreten.

Hardy Tilman war ein Mann von sechsundfünfzig Jahren und hatte das Sheriffsamt hier nach dem Tod des jungen, tüchtigen Sheriffs Jimmy McLean übernommen. Sheriff McLean war vor anderthalb Jahren auf offener Straße von dem Posträuber Harold Donegan niedergeschossen worden. Lange Zeit hatte niemand das Amt des Sheriffs übernehmen wollen, bis sich dann der grauhaarige Hardy Tilman dazu bereitfand.

Er war kein besonders guter Sheriff und wohl auch kaum eine Respektsperson. Als er jetzt den Missourier mit dem Tramp sein Office betreten sah, verzog er das Gesicht.

»Hell and devils, wenn das nicht Wyatt Earp ist, will ich Eustachius heißen.«

»Richtig, Sheriff«, entgegnete der Marshal, die unfreundliche Begrüßung übergehend. »Stecken Sie den Burschen hier in eine Zelle. Er steht in dringendem Verdacht, auf der Parker Ranch einen Mord begangen zu haben.«

Als Pat Balthasar diese Worte hörte, wurde er wachsbleich.

Wyatt Earp wußte also von den Vorgängen auf der Ranch! Das bedeutete das Ende! Balthasar wußte, daß ihn von hier aus der Weg nur noch zum Galgen führen konnte. Und das brachte ihn in eine Art wilder Verzweiflung.

Ich muß fliehen! hämmerte es in seinem Hirn. Wenn sich hier das Gitter hinter meinem Rücken schließt, bin ich verloren. Sie werden mich aufhängen. Dieser eiserne Marshal wird keine Ruhe geben, bis sie mich verurteilt haben. Und dann wird mir kaum jemand von meinen Kumpanen beistehen! Ferkas hatte doch auf der anderen Straßenseite gestanden und hätte ihm beistehen müssen. Und wo waren Hilton und Halbot?

Sie hatten sich davongemacht. Höchstwahrscheinlich wußten sie, daß Wyatt Earp in der Stadt war.

Der Einäugige riß sich plötzlich los, tigerte mit einem weiten Sprung der Hoftür entgegen und stürmte hinaus.

Aber sein verzweifelter Ausbruch brachte ihn nicht weit. Kaum drei Yard war er in den dunklen Hof gekommen, als ihm oben von der Tür der Marshal in weitem Sprung nachhechtete und ihn niederriß.

Zwei Minuten später saß der Ranchermörder und Galgenmann Patrik Balthasar im Jail von Bisbee und blickte dem hanfenen Strick entgegen.

Obgleich Wyatt nicht sehr viel Hoffnung hatte, etwas aus dem Verbrecher herauszubringen, tat er das, was er mit jedem Gefangenen tat, den er zu den Galgenmännern zählen mußte, er fragte auch Patrik Balthasar, ob er ihm etwas zu sagen habe.

Aber der Zyklop hatte dem Marshal nichts zu sagen. Zu groß war seine Furcht vor den Galgenmännern. Die Wahl war nicht allzuschwer für ihn, denn wenn er auch hier selbst dem Galgen höchstwahrscheinlich entgegensah, bestand doch die winzige Möglichkeit, daß das Gerichtsurteil in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt wurde, vor allem deshalb, weil ihm vielleicht niemand die Tat mit absoluter Sicherheit nachweisen konnte.

Verriet er hingegen seine Bande, so war sein Tod die unvermeidliche Folge, die Galgenmänner löschten jeden Verräter gnadenlos aus.

Wyatt stand noch in dem kleinen Zellengang, als er glaubte, einen Schuß zu hören. Er durchquerte eilig das Office und rief dem Sheriff zu: »Ich komme zurück!« Dann rannte er auf die Straße. Als er bei dem Drugstore ankam, sah er wohl die Pferde, nicht aber Doc Holliday.

Oben auf dem Vorbau stand eine alte Frau mit einem Korb.

»Wo ist geschossen worden!« rief ihr der Marshal zu.

»Ich glaube da drüben in Wavers Hof!«

Als Wyatt Earp das Hoftor erreichte, war seit dem Schuß kaum mehr als eine Minute vergangen. Der Marshal hatte sich vorsichtig an den linken Torpfeiler herangeschoben und blickte in den Hof.

Sofort sah er – nur etwa fünf Schritt vom Eingang entfernt den Körper eines Mannes am Boden liegen.

Holliday!

Er ist niedergeschossen worden!

»Doc!« rief er leise.

Der Mann am Boden rührte sich nicht.

Wilder Zorn flammte im Herzen des Missouriers auf.

Er konnte es nicht riskieren, sich in den Hof hineinzuwagen, da er dann sein eigenes Leben aufs Spiel setzte. Und damit war dem Freund auch nicht geholfen. Oben rechts war eine breite überdachte Galerie am Wohnhaus, unter der der Heckenschütze die beste Deckung gefunden haben konnte.

Wyatts Plan stand sofort fest. Er verließ seinen Platz, eilte durch eine Häuserenge und kam in die Parallelgasse, die so schmal war, daß kaum ein Wagen in ihr Platz gefunden hätte.

Der Hof, in dem Doc Holliday lag, wurde von einem ziemlich hohen Bau abgeschlossen, dessen Rückfront der Marshal jetzt erreicht hatte.

Es mußte eine Scheune oder ein Stallbau sein.

Wyatt fand in Sprunghöhe ein Fenster, das aber verschlossen war.

Links entdeckte er eine Tür, die ebenfalls verschlossen war.

Er lief weiter, kam an den Nachbarhof und fand eine Mauer, über die er sich sofort hinüberschwang. Dann kauerte er am Boden nieder, denn nicht ganz zwölf Schritte von ihm entfernt stand ein Mann an der Mauer und schien angestrengt in Wavers Hof hinüberzuschauen.

Er trug ein helles Tuch um den Hals.

Wyatt hatte keine Zeit zu verlieren. Er richtete sich auf, nahm den Revolver aus dem Halfter und spannte ihn. Das Geräusch ließ den Mann herumfahren.

»Hände hoch!« rief ihm der Marshal halblaut zu.

Aber der Mann gehorchte dem Befehl nicht.

Wyatt näherte sich ihm rasch. Da blitzte ihm ein Schuß entgegen. Aber das Geschoß verfehlte ihn.

Da erst zog auch der Marshal den Stecher durch.

Der Mann mit dem weißen Halstuch stieß einen heiseren Schrei aus, torkelte zurück und fiel gegen einen Kistenstapel, den er mit sich niederriß.

Wyatt war sofort bei ihm, nahm ihm die Waffen weg und sprang dann über die Mauer in den Hof, in dem Doc Holliday lag.

Vorsichtshalber hielt er sich so dicht an der Mauer, daß er oben von der Galerie aus nicht gesehen werden konnte.

Immer noch lag drüben der dunkle Körper des Spielers nur wenige Schritte vor dem Eingang.

Wyatt hatte das Haus erreicht und befand sich unter der Galerie.

Lauschend blieb er dicht an die Wand gepreßt stehen.

Eine Minute war vergangen.

Schon wollte er seinen Platz verlassen, um sich um den Spieler zu bemühen, als er über sich auf den Dielen der Galerie ein knirschendes Geräusch vernahm. Da oben befand sich jemand.

Es war ausgeschlossen, jetzt in den Hof zu laufen. Der Mann hätte ihn abgeschossen wie einen Präriehasen.

Wyatt stand reglos da. Von den Fersen, den Waden hinauf bis zum Hinterkopf war er dicht an die Hauswand gepreßt. Jeder Zoll an ihm war äußerste Anspannung.

Da, wieder das knirschende Geräusch über ihm. Mit einer lautlosen Bewegung hatte der Missourier seine beiden Revolver gezogen.

Die Läufe wiesen nach oben auf die Galerie.

Vorsichtig spannte er beide Hähne.

Und dann klatschten die Kugeln der beiden Revolver in brüllendem Getöse gegen die Planken der Galerie.

Oben war ein Schrei zu hören. Polternde Schritte.

Ein Mann rannte davon, erreichte die Galerietreppe und stürzte über sie hinunter in den Hof.

Wyatt hatte seinen Standort sofort verlassen, war in den Hof gelaufen, hatte Doc Holliday hochgerissen und schleppte ihn hinaus.

Da peitschte eine Kugel hinter ihm her, streifte sengend seinen rechten Oberschenkel.

Wyatt hastete weiter mit der schweren Last, erreichte die andere Seite der Straße und stürmte mit dem leblosen Freund in den Drugstore. Scherben splitterten, als die Tür hinter ihm zuflog. Und die Menschen, die beim Einkauf waren, stoben entgeistert auseinander.

Wyatt durchquerte den Raum und brachte Doc Holliday hinten auf einen der letzten Tische, wo er ihn niederlegte.

Der Storebesitzer kam mit schreckensbleichem Gesicht heran.

»Was ist passiert, Mr. Earp?«

Er wußte ja, wer der Fremde war, der vorhin den Einäugigen mitgenommen hatte.

»Es ist Doc Holliday. Er ist niedergeschossen worden. Drüben in einem Hof.«

»Dieses verfluchte Rattennest. Dieses Bisbee!« meinte ein älterer Mann, der hereingekommen war. Er hatte weißes Haar und ein von vielen Falten zerschnittenes Gesicht. »Lassen Sie mich sehen. Ich bin Arzt.«

Sie hatten dem Georgier die Jacke und die Weste ausgezogen und das Hemd geöffnet. Doc Holliday lag auf dem Leib. Und jetzt sahen sie, daß sich von seinem Hinterkopf über seine rechte Schulter ein breiter blutiger Striemen zog.

»Hell and devils!« sagte der Arzt. »Es sieht schlimmer aus, als es ist. Die Kugel hat ihn gestreift, ist aber nicht abgefälscht worden. Da sie ihn am Hinterkopf getroffen hat, ist er schwer betäubt worden.«

»Dann weiß ich, was wir brauchen«, sagte Wyatt Earp sofort. »Whisky!«

Er lief hinaus an Doc Hollidays Satteltasche und holte die Whiskyflasche.

Wenige Minuten später schlug der Spieler die Augen auf, als er den Marshal über sich gebeugt sah, stand ein schwaches Lächeln in seinem Gesicht. »Es tut mir leid, Wyatt…?aber der Kerl muß irgendwo hinter meinem Rücken auf einem Dach oder in einer Luke gelegen haben.«

»Ja, auf einer Galerie. Ich habe ihn erwischt.«

»Gott sei Dank. Ist es schlimm?« fragte er mit einem Blick in das welke Gesicht des greisen Arztes.

Der schüttelte den Kopf. »Nein, Doc Holliday. Es ist nicht sehr schlimm. Die Kugel hat Sie am Hinterkopf gestreift und ist über die Schulter in einem Striemenzug gefahren. In einer Woche ist alles überstanden.«

»In einer Woche?« Doc Holliday setzte sich auf. Ein breites Lächeln stand in seinen Augen. »Ist der Einäugige im Jail?«

Wyatt nickte.

»Und der andere, dem ich gefolgt bin?«

»Ich weiß nicht, wem Sie gefolgt sind. Ich sah Sie nur drüben im Hof liegen.«

»Ich bin einem Mann mit einem hellen Halstuch gefolgt. Er ist in den Hof gelaufen, und als ich den Hof erreichte, stieg er hinten irgendwo über eine Leiter in eine Scheunenluke. Er war es nicht, der auf mich geschossen hat.«

»Dann habe ich auch ihn erwischt.« Wyatt Earp richtete sich auf und blickte den Sheriff an, der jetzt erst gekommen war.

»Ich habe noch zwei Gefangene für Sie, Mister.«

Aber Mike Ferkas, den Wyatt Earp im Nachbarhof von Wavers mit einer Kugel niedergestreckt hatte, war schwer verwundet und konnte nicht ins Jail gebracht werden. Doktor Lampert nahm ihn zu sich hinüber in sein Haus und brachte ihn in eine gesicherte Kammer, aus der er weder fliehen noch entführt werden konnte.

Der andere Mann, den Wyatt von der Galerie heruntergeholt hatte, war ein langaufgeschossener Bursche mit hölzernem Gesicht und klobigen Händen. Es war Jonny Honegger, er arbeitete in der Geräteschmiede von Ted Wavers.

Wyatt Earp hatte den Georgier hinüber in Normans Hotel gebracht, wo Holliday erwarten konnte, die Ruhe zu finden, die er brauchte.

»Ich komme später noch mal herein«, hatte der Missourier gesagt, war dann hinausgegangen. Sein Weg führte ihn hinüber zu Wavers.

Wenn die Galgenmänner hier so rasche Hilfe gefunden hatten, dann konnte wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Kumpane von ihnen in der Geräteschmiede gewesen waren.

Wyatt fand in der Geräteschmiede niemanden vor und auch im Haus war nur eine alte Frau, die beteuerte, daß ihr Bruder, nämlich Ted Wavers, nicht daheim wäre. Höchstwahrscheinlich befände er sich in irgendeinem Saloon und pokerte, was er jeden Abend täte.

Wyatt wollte wissen, wo er ihn finden könnte, aber die Frau konnte ihm darüber keine Auskunft geben und versuchte ihn schroff abzuweisen, indem sie erklärte:

»Ich suche ihn ja nicht. Wenn Sie ihn suchen wollen, dann müssen Sie die Saloons schon nach ihm abklappern. Ich habe keine Veranlassung dazu.«

Wyatt verließ den Hof und ging jetzt den gleichen Weg, den er vorhin genommen hatte, nämlich durch die Häuserenge in die Parallelgasse wieder über die Mauer, an der er den Mann mit dem hellen Halstuch gestellt hatte, und lauschte jetzt hier an der gleichen Stelle über die Hofmauer.

Aber drüben blieb alles still. Das Licht, das in der Küche gebrannt hatte, wurde bald gelöscht, nichts rührte sich.

Der Marshal blieb trotzdem auf seinem Posten und wartete ab.

Aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß man Geduld haben mußte, wenn man gegen so hartnervige Menschen etwas erreichen wollte. Es stand fest für ihn, daß der Boß des Geräteschmiedes Honegger, nämlich Theodor Wavers, ebenfalls zu den Galgenmännern zählen mußte.

Wie weit doch das Netz dieser Banditen gespannt war. In jeder Stadt, in die er bis jetzt gekommen war, hatte er Mitglieder der Graugesichter gefunden.

Ein wahres Glück, daß Luke Short in Tombstone den Sheriffstern genommen hatte und so wenigstens da oben für Ordnung sorgen konnte.

Wyatt hätte es gar nicht riskieren können, dieses Zentrum aller bisherigen Banden Arizonas gerade jetzt in dieser kritischen Zeit zu verlassen, wenn Luke Short nicht den Job als Sheriff angenommen hätte. Die Tatsache, daß sich der riesige Texaner in der Stadt aufhielt und gar noch den Stern dort trug, würde doch viele Banditen daran hindern, allzulaut in Tombstone zu werden.

Es gab überhaupt keine Stadt im Westen, in der sich eine Bande so sehr in den Sattel setzen konnte, wie gerade in Tombstone. Hier fand immer der Rückhalt in der Bevölkerung, der die Macht hatte. Und wenn es Ike Clanton einfallen sollte, die Macht an sich zu reißen, dann war er gefährlicher als irgendwer im ganzen Lande. Deshalb hatte Wyatt sich so lange in Tombstone aufgehalten, um den einstigen Bandenführer Isaac Joseph Clanton an einer solchen Entwicklung zu hindern. Offensichtlich war ihm das ja auch geglückt, aber, war es ihm wirklich geglückt?

War Ike Clanton nicht doch der Chef der Galgenmänner? Besaß er nicht längst die Macht, die Wyatt Earp nicht wieder in seine Hände kommen lassen wollte?

Der Ritt zum San Pedro Valley hatte Aufschluß darüber erbringen sollen. Nur war er in Bisbee und ja auch schon auf der Parker Ranch auf eine so rauhe Weise unterbrochen worden.

Höchstwahrscheinlich waren mit dem Mann mit dem weißen Halstuch und dem Einäugigen zwei der Mörder Joe Parkers dingfest gemacht worden.

Die beiden anderen mußten gesucht werden. Koste es, was es wolle. Es war ein höllisches Pech, daß Doc Holliday hier niedergeschossen worden war. Das würde sie weit zurückwerfen, denn die beiden anderen Banditen würden diesen Vorsprung zu nutzen wissen.

Jetzt etwa der Aufforderung der Frau zu folgen, und von Schenke zu Schenke zu laufen, um nach Wavers zu suchen, wäre Unsinn gewesen. Wyatt kannte den Geräteschmied ja nicht, und hatte alle Schwierigkeiten auf seiner Seite, den Mann zu finden. Hier war sein Platz, hier mußte er ausharren.

Aber seine Geduld wurde auf eine sehr harte Probe gestellt. Anderthalb Stunden schon stand er auf seinem Platz an der Mauer und starrte in den düsteren, nur noch von fahlem, schwachem Mondlicht beleuchteten Hof.

Da vernahm er rechts an der Scheune ein Geräusch.

Wenige Sekunden später schob sich aus der Bodenluke über der Standleiter ein Kopf. Es war ein kahler Schädel, dem jetzt die Arme und gleich darauf der Rumpf eines großen Mannes folgten. Er trug eine helle Jacke und eine dunkle Hose. Rasch kletterte er in den Hof hinunter, blieb einen Augenblick sichernd stehen und eilte dann auf das Wohnhaus zu.

In diesem Augenblick jumpte der Marshal über die Mauer. Das knackende Geräusch seines gespannten Revolverhahns brachte den Mann zum Stehen.

Wyatt stand vor der Mauer und der andere etwa zehn Schritte von ihm entfernt im Hof.

Sekunden rannen in die Ewigkeit.

Da keuchte der Mann, während er die Hände bis in Schulterhöhe anhob: »Was wollen Sie denn?«

»Sie sind Ted Wavers, nicht wahr?«

»Ja, aber… Nein, nein, das ist mein Bruder, ich…«

»Lassen Sie die Hände oben, Wavers.«

»Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Earp.«

»Earp? Wyatt Earp?«

»Ja.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Sie haben Doc Holliday niedergeschossen.«

»Doc Holliday? Der Mann da im Hof war…?Ich meine, ich war ja gar nicht im Hof! Ich weiß gar nicht, was Sie wollen.«

»Lassen Sie die Hände oben!«

Wavers hatte immer wieder versucht, die Arme sinken zu lassen.

»Ich komme gerade aus dem Saloon. Sie können meine Schwester fragen. Ich gehe jeden Abend zum Pokern.«

»Seit wann befindet sich denn Ihr Saloon oben in der Scheune, Wavers?«

»Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen, Marshal? Was tun Sie überhaupt hier in Bisbee? Waren Sie nicht oben in Tombstone? Sie sollten sich lieber um all die Banditen kümmern, die sich in Tombstone herumtreiben. Das ist ja eine fürchterliche Verbrecherstadt, dieses elende Nest da oben…«

Da flog plötzlich seine linke Hand herunter auf den Revolverkolben, stieß die Waffe vor und zog den Hahn zurück. Alles in einer einzigen fließenden Bewegung.

Aber der Outlaw Theodor Joseph Wavers hatte sich in seinem Gegner verrechnet.

Wyatt Earp sah seine Silhouette scharf gegen den helleren Sand des Hofes und hatte mit einer derartigen Bewegung gerechnet. Schon Wavers’ Versuch, die Arme wieder sinken zu lassen, hatte ihm angedeutet, daß der Mann irgendeine üble Absicht im Schilde führte.

Wavers kam nicht zum Schuß. Ehe er den Stecher durchziehen konnte, brüllte in der linken Faust des Marshals der schwere sechskantige Buntline Special auf, und das 45er Geschoß traf den Schußarm des Geräteschmiedes wie ein Hammerschlag.

Ein röhrender Schrei drang aus der Kehle des Banditen.

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen Ihre Arme oben lassen, Wavers.«

Wyatt Earp war ein paar Schritte weitergegangen und stand jetzt unter der Galerie, wo er sich aus einem plötzlichen Impuls heraus in eine Türnische schob.

Keine Sekunde zu früh!

Denn jetzt sägte von oben ein bellender Gewehrschuß durch die Planken der Galeriebohlen, und die Kugel klatschte vor ihm auf den Boden der steinernen Dachstütze auf und heulte quarrend als Querschläger davon.

Wavers, der die Rechte um den linken Arm gepreßt hatte, schrie:

»Weiter, Mary, weiter nach links!«

Oben auf der Galerie stand also die Schwester des Geräteschmiedes.

Sie hatte gewußt, wo sich ihr Bruder befand. Und bewachte mit dem Gewehr den Hof.

Mit dem Schuß hatte sie ihren Standort verraten.

Wyatt nahm jetzt auch den anderen Revolver in die Hand und gab einen Warnschuß zur Galerie ab, mit einem zweiten Schuß zog er Wavers aus dem rechten Halfter den zweiten Revolver.

»Kommen Sie von der Galerie herunter, sonst hole ich Sie, wie ich Honegger heruntergeholt habe.«

Der Schuß, der unweit der Frau durch eine Bohlenritze auf die Galerie gedrungen war, hatte sie zusammenfahren lassen.

Das Gewehr entglitt ihrer Hand, und in panischer Angst lief sie zur Treppe und kam hinunter in den Hof.

Der Geräteschmied machte ihr heftige Vorwürfe.

Keifend wies ihn die Frau zurück: »Was willst du, soll ich mich deinetwegen abknallen lassen? Ich habe auch Honegger hinunterstürzen sehen. Der Marshal hat ihn von der Galerie geholt. Ich lasse mich doch nicht wegen deiner Freunde hier von Wyatt Earp festnageln.«

»Sie sind schon festgenagelt. Treten Sie neben Ihren Bruder. Und dann kehrt und hinaus auf die Straße.«

Auch die Geschwister Wavers saßen im Jail von Bisbee.

Der alte Tilman machte ein unglückliches Gesicht.

»Warum sind Sie in die Stadt gekommen! Wo Sie auftauchen, ist der Teufel los.«

Diese Worte waren eine Unverschämtheit. Schließlich waren es Banditen, die durch das Auftauchen des Marshals aufgeschreckt wie ein Wespenschwarm auseinandergestoben waren. Es wäre die Aufgabe des Sheriffs gewesen, dieses Banditennest auszuheben. Aber dieser Hardy Tilman hätte es niemals geschafft. Anstatt sich bei dem Missourier zu bedanken, machte er ihm jetzt noch Vorwürfe.

Wyatt trat an die Tür und drehte sich noch einmal nach dem Sheriff um. »Bewachen Sie die Gefangenen gut. Mehr wird von Ihnen nicht verlangt, Tilman.«

»Was haben diese Leute denn eigentlich getan?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß sie Galgenmänner sind. Zwei von ihnen haben auf der Parker Ranch einen Mann niedergeschossen. Der lange Honegger hat Doc Holliday niedergeknallt und bei Wavers haben sie Unterschlupf gesucht. Die Schwester von Wavers hat auf mich geschossen. Und Wavers selbst wurde von mir daran gehindert.«

»Und was soll mit ihnen geschehen?«

»Darüber wird der Richter befinden.«

Jake Halbot und Jimmy Hilton hatten die Festnahme von Balthasar und die Verfolgung ihres Kumpans Ferkas nicht beobachtet, da sie sich zu dieser Zeit im Rostigen Hufnagel, einer verrufenen Schenke am Südende der Stadt, beim Pokerspiel befanden.

Die beiden Verbrecher waren gefährliche Falschspieler und hatten jeder schon vor sich ein Bündel gewonnener Dollarnoten liegen, als ein bärtiger Mann in die Schenke stürmte und brüllte: »Wyatt Earp ist in der Stadt!«

Die beiden Gangster tauschten einen raschen Blick miteinander.

Dann zog Hilton sein Geld zusammen vor sich hin, nahm seinen Hut auf die Oberschenkel und füllte das Geld hinein. Dann stülpte er die Kopfbedeckung wieder auf.

Jake Halbot stopfte die Geldscheine in die Tasche und erhob sich.

»Wir verlangen Revanche«, rief einer der Männer am Tisch.

»Revanche?« krächzte Hilton, »ja, die könnt ihr kriegen, und zwar mit Blei.« Er legte die Hand an den Revolverknauf.

»So also sieht es aus«, meinte der Mann, ein fünfunddreißigjähriger Anzugschneider.

Hilton hatte den Revolver in der Hand. »Bleib’ sitzen, Junge. Wir haben es jetzt eilig.«

»Ah, eilig habt ihr es, weil Wyatt Earp in der Stadt ist. Weil er sich für Spieler eurer Sorte interessieren könnte.«

Der Taylor sah nicht das gefährliche Blitzen in den Augen des Verbrechers.

Es wäre auch zu spät gewesen.

Jimmy Hiltons Gesicht hatte sich verzerrt. Er zog den Hahn zurück, und schon peitschte der Schuß über den Tisch, traf Taylor links in die Hüfte und ließ ihn vornüber auf den Tisch fallen.

Die Menschen wichen zurück.

Halbot und Hilton gingen auf den Eingang zu. Und zwar hatte sich Hilton so umgedreht, daß er im Krebsgang gehend, die Leute mit seinem Revolver in Schach halten konnte.

Als sie draußen waren, stürmten ihnen gleich drei Männer nach.

Zwei erhielten krachende Revolverschläge auf den Hut, und der dritte wurde mit einem Faustschlag von dem rothaarigen Halbot zurückgeschickt.

Die beiden Galgenmänner waren draußen und in wenigen Sekunden von der Straße verschwunden. In einer dunklen Quergasse hielten sie inne und lauschten zur Mainstreet hinauf.

»Wyatt Earp«, krächzte Halbot, »der hat mir gerade noch gefehlt.«

»Ob er zufällig hier ist?«

»Ich weiß es nicht. Möglich, aber nicht sicher. Am besten verschwinden wir.«

»Und wo stecken die anderen?«

»Keine Ahnung.«

»Wir müssen sie suchen.«

»Sie wissen doch, wo sie hinreiten müssen.«

Nach dieser kurzen Beratung gingen sie zur Hauptstraße hinauf und wollten gerade ihre Pferde aus dem Mietstall holen, als sie durch die Stimmen zweier Männer, die links auf einem Vorbau standen, zurückgehalten wurden.

Sie blieben stehen und hörten dem Gespräch der beiden zu.

»Ja, er hat sie festgenommen. Sie sollen einen Rancher niedergeschossen haben.«

Hart klammerte sich die Rechte Halbots um den linken Unterarm Hiltons. »Hast du das gehört«, zischte er.

Hilton nickte nur.

»Er hat Ferkas und Balthasar erwischt.«

»Nichts wie weg hier.«

»Wir müssen doch über die Straße zum Mietstall.«

»Nein, das ist zu gefährlich.«

»Willst du ohne Pferde flüchten?«

»Nein, wir werden uns andere besorgen.«

»Aber unsere Sättel. In den Taschen habe ich alles drin. Auch mein Geld.«

»Du hast Geld genug gewonnen beim Spiel vorhin.«

»Aber mein ganzes Zeug ist in den Satteltaschen und aufgeschnallt. Das geht nicht.«

»Dann lauf meinetwegen hinüber. Wie ich Wyatt Earp kenne, hat er schon einen Posten bei unseren Pferden stehen.«

Hilton nagte an seiner Unterlippe. Er sah ein, daß Halbots Argwohn nicht unbegründet war.

Aber er wollte nicht aufgeben.

»Warum rennen wir eigentlich vor ihm davon. Greifen wir ihn uns doch.«

Halbot lachte heiser. »Du redest ein Zeug daher! Andere Leute unseres Schlages sehen zu, daß sie in den Sattel kommen, um möglichst tausend Meilen zwischen sich und diesem Kerl zu bringen. Und du willst ihn dir greifen. Meinetwegen, greif ihn dir. Aber ohne Jake Halbot!«

Er wandte sich um.

Hilton holte ihn mit zwei raschen Schritten ein und zog ihn zu sich herum. »Warte, ich verstehe dich nicht, Jake. Auch bei ihm wird nur mit Wasser gekocht. Er ist ein einzelner Mann. Was soll er denn gegen uns machen? Die Bevölkerung hier ist bestimmt nicht auf seiner Seite. Hier sind doch eine ganze Menge Freunde von uns. Wavers zum Beispiel und Honegger und Thruman und die Snyders und die Bolegans. Wir stehen doch nicht ganz allein.«

»Einerlei, wenn ich den Namen dieses Wolfs nur höre, habe ich schon genug. Nein, ich denke nicht daran, mich mit ihm abzugeben. Wer sich erst mit ihm eingelassen hat, der geht unter gegen ihn. Das sage ich dir!«

»Aber Mann, wir können doch ein halbes Dutzend Leute gegen ihn aufbringen.«

»Und wenn du mir ein Dutzend an die Seite gibst, ich denke nicht daran, mit ihm zu kämpfen.«

»Dann hau ab!«

Hilton ging langsam zur Hauptstraße hinab und überquerte die Straße im gleichen Augenblick, in dem Wyatt Earp aus dem Sheriffs Office kam.

Da die Straße leer war und die Distanz zum Office kaum mehr als zwanzig Yard betrug, sah ihn Hilton sofort.

Und selbst wenn er ihn nicht vor Jahren einmal oben in Wichita gesehen hätte, würde er jetzt gewußt haben, daß er es war.

Groß, breitschultrig, schmalhüftig, mit federndem Gang.

Der Desperado Jimmy Hilton war stehengeblieben.

Mitten auf der Straße. Im grellen Licht eines Küchenfensters, das seinen Schein über die ganze Breite der Straße warf.

Wie angewurzelt stand der Outlaw da und stierte zu dem Marshal hinüber.

Wyatt Earp hatte die Vorbaukante erreicht und sah ihn.

Der dritte Mann! blitzte es in seinem Hirn auf.

Er ging langsam auf die Straße hinunter und blieb in ihrer Mitte stehen.

Nur noch etwa zehn Yard trennten ihn jetzt von dem Verbrecher.

Eisige Kälte schien das Blut in den Adern des Verbrechers stocken zu wollen.

»Wo ist der Bursche mit dem roten Haar?« Hart und metallen drangen die Worte über die Straße an das Ohr des Galgenmannes.

Hilton lachte spröde auf.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen, Earp.«

»Das wissen Sie ganz genau. Heben Sie die Hände hoch!«

Aber Jimmy Hilton dachte nicht daran, die Hände hochzuheben. Im Fallwurf schleuderte er sich nach links hinüber, zog den Revolver und – aber auch er kam nicht zum Schuß.

Das glühende Blei spie ihm entgegen und riß ihm den rechten Arm wie mit einem Axthieb zurück.

Sein Revolver lag, anderthalb Yard weggeschleudert, neben ihm. Er kniete am Boden, preßte die Linke auf den rechten Arm und stierte zu dem Mann aus Missouri hinüber.

»Das werden Sie büßen, Earp!«

»Steh auf.«

Jimmy Hilton erhob sich und kam langsam näher.

Wyatt trat rasch auf den Vorbau, um aus den Lichtern der Straße zu kommen.

Der fünfte Gefangene wurde in das Jail von Bisbee eingeliefert.

Als die Tür zum Gefängnistrakt geöffnet wurde, und Balthasar Hilton erkannte, schrie er auf:

»Wo ist Halbot?«

»Halt’s Maul«, geiferte ihm der Bandit entgegen.

Aber zu spät.

Wyatt Earp, der oben in der Tür zum Office stand, hatte den Namen gehört. Der vierte Mann, der Rothaarige, hieß also Halbot.

Es gab niemanden in dem Banditennest Bisbee, der auf den Gedanken gekommen wäre, ins Office zu laufen, um dem Marshal zu berichten, daß der Taylor Morton von einem Falschspieler niedergeschossen worden wäre.

Es war eine halbe Stunde vergangen, seit der Mord geschehen war, als Wyatt Earp durch puren Zufall diese Schenke betrat. Er war auf der Suche nach dem Galgenmann Halbot.

Der Lärm, der in der Schenke getobt hatte, verstummte sofort, als der Missourier den Eingang betrat.

Zu bekannt war der Marshal noch von seinem Gefecht mit der Curtis-Bande in dieser Stadt.

Der Wirt beugte sich weit über die Theke und rang die Hände.

»Es ist ein Falschspieler gewesen, Mr. Earp. Er hat ihn rücksichtslos niedergeknallt auf eine Entfernung von zweieinhalb Yard über den Tisch.«

Wenige Minuten später kannte der Marshal den vierten Galgenmann, nämlich den roten Halbot, und wußte, daß Jimmy Hilton einen zweiten Mord begangen hatte.

Am Westausgang der Stadt wohnte in einem etwas abgelegenen Haus, das von einer hohen fortartigen Fenz umgeben war, der junge Richter Ferguson. Wyatt kannte ihn nur flüchtig, denn Richter Holman war damals nach dem Mord an dem jungen Sheriff aus der Stadt verschwunden. Niemand wußte, was den alten Richter bewogen hatte, Bisbee zu verlassen. Jedenfalls war er eines Morgens nicht mehr da. Mit seiner Frau und seinem Sohn hatte er heimlich die Stadt verlassen und war nie wieder gesehen worden. Es gingen Gerüchte um, daß die Banditen ihn und seine Familie geholt hätten – aber das ist nie bewiesen worden. Und da niemand ein Interesse daran hatte, den Richter zu suchen, blieb er ganz einfach verschollen. Derartige Dinge waren im weiten Westen leider möglich.

James Ferguson war zweiunddreißig Jahre alt, groß, hager, trug eine goldgeränderte Brille und hatte einen schmalen, strichdünnen Mund, der ganz zu seiner übrigen Erscheinung paßte.

Als der späte Besucher vorn die Hausglocke betätigte, kam Ferguson selbst, um zu öffnen.

»Wyatt Earp?« entfuhr es ihm verblüfft.

»Es tut mir leid, Richter, daß ich Sie so spät noch stören muß.«

In den Augen des Richters lag keine Freude, als er sagte:

»Aber bitte, kommen Sie doch herein. Es freut mich sehr, Sie einmal wiederzusehen.«

Wyatt blieb im Flur stehen und berichtete, was geschehen war.

Ferguson nickte:

»Ja, ich weiß, daß sich hier in der Stadt allerlei tut, aber es ist sehr schwer, dem Treiben dieser Männer auf die Spur zu kommen. Daß es sich jedoch um Galgenmänner handeln soll, ist mir wirklich neu. Aber da Sie es sagen, wird es ja stimmen.«

Wyatt spürte sofort, daß er in diesem Mann keine Hilfe finden würde. Deshalb erklärte er mit betonter Entschiedenheit:

»Es muß mit äußerster Schärfe gegen diese Bande vorgegangen werden, Richter! Hilton ist ein zweifacher Mörder. Er hat den Taylor Morton erschossen und ist auch am Mord an dem Rancher Joe Parker beteiligt gewesen.«

Der Richter nickte. »Selbstverständlich werde ich mich der Sache mit aller Gründlichkeit schon morgen früh widmen.«

»Ja, darum bin ich gekommen. Guten Abend, Richter.«

Die beiden Männer reichten einander nicht die Hände. Wyatt Earp verabschiedete sich und verließ das Haus.

*

Doc Holliday hatte in seinem Zimmer gelegen und gegen die weißgetünchte Decke gestarrt. Der Schmerz in seinem Kopf war schwächer geworden, aber auf seinem Rücken brannte die Wunde so sehr, daß er kaum noch liegen konnte.

Er setzte sich auf den Bettrand und stierte vor sich hin.

Mit müden Bewegungen zündete er sich eine Zigarette an, stieß sie aber bald wieder im Ascher aus. Dann erhob er sich und suchte in seinen Sachen nach der Whiskyflasche. Sie war nicht da.

Wyatt Earp hatte sie wahrscheinlich wieder in die Satteltasche zurückgetan.

Holliday zog seine Jacke an und ging zur Tür, öffnete sie und trat auf den Gang hinaus. Er hatte die Absicht, hinunterzugehen, um einen Brandy zu trinken.

Als er das Ende des Korridors erreicht hatte, hörte er die leisen Stimmen zweier Frauen, die aus einem Zimmer, dessen Tür nur halb geschlossen war, in den Korridor drangen.

»… weiß ich doch genau. Chris ist dabei und Jefferson Tucker. Halbot führt sie an. Ja, es ist eine große Bank, und sie hoffen auf mehrere Tausend…«

Da war die krächzende Stimme der anderen Frau zu hören.

»Mehrere Tausend! Das wäre nicht schlecht. Jim hat mir schon immer ein Brokatkleid versprochen. Es wird Zeit, daß ich es endlich bekomme. Hoffentlich geht alles klar.«

»Ganz sicher. Da drüben finden sie nicht viel Widerstand. Es ist ein altes Bankhaus und soviel ich gehört habe, wohnen nur drei Leute dort. Der alte Gennan selbst ist doch in den Sechzigern und wird kaum nennenswerten Widerstand leisten können. Außerdem, wenn Halbot die Männer führt, wird es immer ein Erfolg.«

»Ich habe das Leben in diesem Nest wirklich satt. Wenn wir diesmal genug Geld zusammenhaben, dann wollen wir weg hier.«

»Weg?« meinte die andere und lachte bitter auf. »Da kennst du den Boß nicht.«

Holliday war hellhörig geworden.

»Den Boß, kennst du ihn denn?«

»Nein, natürlich nicht. Aber er läßt doch die Männer nicht weg. Weder deinen Jim noch meinen Ferry…«

Es war noch eine Weile still. Und Holliday befürchtete schon, daß er seinen Posten verlassen mußte, ohne erfahren zu haben, wann der Überfall auf die Bank, deren Lage er auch noch nicht ganz kannte, stattfinden sollte.

Da meinte die ältere der beiden Frauen: »Es wird morgen mittag, bis sie zurück sind.« Schritte näherten sich der Zimmertür.

Es wurde höchste Zeit für Holliday, seinen Posten zu verlassen. Auf Zehenspitzen machte er sich davon und ging die Treppe hinunter in die Hotelhalle.

Der Mann an der Rezeption starrte ihm fassungslos entgegen. Hatte er doch erlebt, wie der Georgier vor kaum anderthalb Stunden noch von dem Marshal hinaufgeschleppt werden mußte.

»Doc«, kam es entgeistert über seine Lippen. »Können Sie denn schon wieder aufstehen?«

»Können«, entgegnete der Spieler, »ich weiß es nicht. Ich möchte einen Brandy.«

»Selbstverständlich«, beeilte der Mann zu versichern und gab der jungen Frau drüben an der Theke einen Wink.

Doc Holliday nahm seinen Brandy, warf ein Geldstück auf das Blech und ging zur Treppe zurück.

Wir haben keine Zeit zu verlieren, überlegte er. Wenn die Banditen morgen mittag schon in die Stadt zurückkommen wollen, dann wird der Überfall noch heute nacht durchgeführt. Jedenfalls ist es so geplant. Wo aber ist die Bank zu finden?

Denn, daß sie nicht hier in Bisbee sein konnte, war klar und ging aus dem Gespräch der beiden Frauen deutlich hervor.

Holliday ging wieder hinauf in sein Zimmer. Er stand am Fenster und blickte auf die Straße.

Draußen schien alles still zu sein.

Da sah er plötzlich den Mann aus der Quergasse kommen. Es war Hilton.

Holliday nahm seinen Revolver aus dem Halfter und wartete ab.

Da sah er Wyatt Earp auf die Straße kommen und beobachtete den kurzen Kampf dort.

Eine halbe Stunde später hörte er den Marshal heraufkommen. Er blieb vor seiner Zimmertür stehen.

Als er sie einen Spalt öffnete, rief ihm Holliday halblaut aus dem Dunkel entgegen: »Kommen Sie herein, Wyatt.«

Der Marshal trat an das Lager heran:

»Sie haben sich wieder angezogen, Doc?«

»Ja, ich habe einen Brandy getrunken unten.«

»Aber, Sie sollten doch liegen…«

Und jetzt berichtete der Spieler, was er erlauscht hatte.

Wyatt Earp sog die Luft geräuschvoll durch die Nase ein. Da hatten sie also einen weiteren Schlag vor.

»Allzuweit kann der Ort, an dem der Überfall geschehen soll, nicht von Bisbee entfernt sein«, gab der Spieler zu bedenken, »denn schließlich wollen die Banditen schon morgen mittag wieder zurück sein.«

Wyatt zog die Schultern hoch. »Das ist nicht gesagt. Wenn sie einen Eilritt vorhaben, dann kann der Überfall auch jenseits der Grenze stattfinden.«

»Das glaube ich nicht. Ich vermute vielmehr, daß der Überfall ganz in der Nähe stattfinden soll und die Gangster vorhaben, anschließend irgendwoanders hinzureiten, entweder um ihren Gewinn zu teilen, oder um an einer Besprechung teilzunehmen.«

»Das ist möglich. Aber, wie wollen wir das feststellen?«

»Zunächst einmal werde ich jetzt versuchen, herauszubekommen, wo die Bank dieses Gennan sich befindet. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß das hier in der Stadt bekannt ist.«

Wyatt verließ das Hotel wieder und ging in den »Rostigen Hufnagel« zurück, wo Jimmy Hilton den Anzugsschneider niedergeschossen hatte, und stellte sich an die Theke zu den Männern.

Neben ihm lehnte ein alter Graukopf, der schon ziemlich angetrunken sein mußte.

Wyatt hatte sich die anderen Männer angesehen und kam zu der Überzeugung, daß er hier besser keine Nachforschungen anstellte.

Er hatte sich einen Firepoint geben lassen, nippte einmal daran, warf dann ein Geldstück auf die Theke und wollte wieder gehen.

Da stieß der Alte ihn an: »Warten Sie, Marshal, ich gehe mit Ihnen. In diesen Zeiten geht man immer besser mit einem starken Mann. Man weiß ja nie, was einem passiert. Der arme Kerl, der vorhin seinen letzten Japser getan hat, war ein Bekannter von mir. Der Teufel soll diese Gangsterbande holen. Ich bin sicher, daß die Stadt von Galgenmännern verseucht ist…«

»Dann kommen Sie, ich bringe Sie eben über die Straße.«

Die beiden gingen hinaus. Als sie draußen auf dem Vorbau waren, sah sich der Marshal nach allen Seiten um. Und als er sich überzeugt hatte, daß sie allein waren, fragte er:

»Haben Sie schon einmal etwas von Gennans Bank gehört?«

»Nein, aber warten Sie. Mein Sohn könnte sie vielleicht kennen, er hat ja hier in der Union-Bank gearbeitet.«

»Ihr Sohn ist zu Hause?«

»Ja, ich hoffe.«

Sie gingen zusammen in eine der engen Gassen, und der Alte schloß eine Haustür auf.

»Jerry!« rief er.

Ein Bursche kam aus der Küche heraus.

»Vater – du kommst nicht allein?«

Der Alte stand auf unsicheren Knien da und deutete auf den Marshal. »Weißt du, wer das ist?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Dann spitz’ die Ohren, Junge. Das ist ein Freund von mir, und er führt den schönen Namen – Wyatt Earp.«

»Er ist Wyatt Earp?«

»Ja. Und paß auf, er hat gleich eine Frage an dich.«

Der Bursche blickte den Marshal unsicher an.

»Eine Frage?«

»Ja. Haben Sie einmal etwas von Gennans Bank gehört?«

»Ja, sie ist drüben in Cazador!«

Cazador! Wyatt kannte die Stadt nicht. Er war einmal nur ganz in ihrer Nähe vorbeigekommen. Sie lag etwa dreißig Meilen östlich von Bisbee entfernt.

Sollten die Banditen tatsächlich dort heute nacht noch einen Bankeinbruch verüben wollen? Zeitlich konnte es natürlich ungefähr hinkommen. Sie waren dann etwa morgen mittag wieder in Bisbee, durften sich aber nicht einmal allzulange aufhalten.

»Ich kenne die Bank zufällig«, meinte der Bursche, »denn Mr. Gennan ist vor einem Jahr einmal hier gewesen und hatte eine Besprechung mit meinem Boß. Damals fragte er, ob mein Boß keine Leute für ihn hätte. Drüben in Cazador lassen sich offenbar schlecht Leute finden, die in der Bank arbeiten wollen.«

Der Marshal bedankte sich bei den beiden und verabschiedete sich.

Als er ins Hotel zurückkam, war über eine Stunde vergangen. Er beschloß, so leise wie möglich zu sein, um Doc Holliday nicht zu wecken.

Der Marshal wollte allein reiten. Er mußte den verletzten Freund schonen.

Lautlos packte er seine Sachen zusammen und verließ das Haus durch die Hoftür.

Der Stall war unverschlossen. Ein Leichtsinn in einer solchen Stadt.

Wyatt trat ein und tastete sich zu seinem Falben vor.

Als er ihn losgemacht hatte und hinausführen wollte, sah er, daß die Nebenbox, in der Doc Hollidays Hengst gestanden hatte, leer war.

Wyatt ließ den Falben los, jumpte über die Bretter der Box und sah, daß auch das Zügelzeug des Spielers fehlte.

»Damned!«

Er eilte in den Hof hinaus, riß das nur angelehnte Tor, das zur Seitengasse hinausführte auf – und sah sich einem Reiter gegenüber:

Doc Holliday!

Verblüfft blickte der Marshal den Gefährten an, dessen Gesicht er in der Dunkelheit nur schemenhaft erkennen konnte.

»John! Was haben Sie denn vor?«

»Wir reiten.«

»Wir?«

»Wir!«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Sie sind doch verletzt, Doc. Sie müssen sich doch schonen.«

»Kommen Sie, satteln Sie auf, wir müssen zusehen, daß wir vorwärtskommen. Die Burschen haben doch schon einen erheblichen Vorsprung. Und wir wissen nicht, wann der Überfall geplant ist. Wie weit ist es denn?«

»Dreißig Meilen! Wollen Sie die wirklich auf sich nehmen, Doc?«

»Ja, einen kürzeren Weg kann ich mir ja nicht aussuchen.«

Wyatt ging kopfschüttelnd zurück in den Hof, sattelte seinen Falben und stieg dann auf.

Im leichten Trab verließen sie die Stadt.

»Wo geht es hin?« fragte Holliday, ohne den Kopf zu wenden.

»Nach Cazador.«

Schweigend ritten sie in die Savanne hinaus nach Osten.

*

Jake Halbot, Ferry Pligger, Jim Huston und der kleine krummbeinige Felix Jonas hatten anderthalb Stunden Vorsprung.

Halbot hatte sich nicht ohne Grund aus der Stadt fortgemacht.

Er hätte sich ohnehin jetzt von Hilton trennen müssen, da bereits eine neue Aufgabe auf ihn wartete. Es war alles genau eingeteilt bei den Galgenmännern.

Jake Halbots Aufgabe war erst in Cazador zu Ende.

Hilton, Ferkas und Balthasar wußten nichts von diesem Auftrag, den er in Tombstone oben erhalten hatte.

Ohne allzu große Eile preschten die vier Männer durch die Dunkelheit nach Osten.

Dennoch durchmaßen sie die Dreißigmeilenstrecke in verhältnismäßig kurzer Zeit, da sie ihren Weg genau kannten.

Es war gegen ein Uhr in der Nacht, als sie in die schlafende kleine Stadt einritten.

Halbot hob in seiner üblichen Manier die Hand, und die Männer hielten ihre Pferde an.

Sie stiegen ab, und der kleine Jonas führte die Tiere in eine Quergasse, um sie dort bereitzuhalten.

Die drei Galgenmänner blieben im Halbschatten der Vorbauten und gingen hintereinander bis zur City Hall, wo Halbot stehen blieb. Er hatte den Kopf etwas angehoben und fixierte das schräg gegenüberliegende zweigeschossige alte Bankhaus.

Kein Wort wurde gesprochen.

Er gab nur Zeichen, schnipste leise mit den Fingern, deutete an, was jeder zu tun hatte. Es war ohnehin alles vorher genau besprochen und geplant worden.

Der vierschrötige Pligger ging langsam über die Straße mit gesenktem Kopf und schlenderndem Schritt leicht schwankend, wie ein Mann ging, der von einer späten Zecherei heimwärts geht.

Unweit der Bank setzte er sich im Dunkel eines Vorbaus nieder.

Huston machte sich genau zur entgegengesetzten Seite der Bank davon und bezog dort Posten.

Der rothaarige Verbrecher Jake Halbot, der in der vergangenen Nacht um die gleiche Zeit oben auf der kleinen Parker Ranch fraglos einen Menschen niedergeknallt hatte, ging mit langsamen Schritten auf das Bankhaus zu, nahm ein Tuch aus der Tasche und schmierte es mit einer seifenähnlichen Masse ein, die er auf eines der Fenster preßte.

Das Splittern des Glases war kaum zu hören.

Halbot, der von seinen beiden Kumpanen genau beobachtet werden konnte, hob die linke Hand.

Huston kam heran.

Er öffnete mit einem geschickten Griff das Fenster, stieg ein und war gleich darauf vorn an der Tür, die er für Halbot öffnete.

Jetzt verschwand auch der rothaarige Galgenmann in dem Bankhaus.

Pligger saß anderthalb Häuser weiter auf der Vorbaukante und tat, als wenn er eingeschlafen wäre.

Aber mit wachen Sinnen hockte der Bandit da und lauschte in die dunkle Straße.

Der junge Holzarbeiter Greg Saunders hatte bis jetzt bei seiner Braut unten in der Mühlengasse vor der Tür gestanden und mit ihr über die bevorstehende Hochzeit gesprochen.

Noch ganz in Gedanken versunken, kam der zwanzigjährige junge Mann auf die Mainstreet und ging mit gesenktem Kopf geradewegs auf die Stelle zu, an der der Bandit Ferry Pligger hockte.

Die Sinne des Banditen waren aufs äußerste gespannt.

Seine rechte Hand lag auf dem Revolverkolben.

Er darf nicht weitergehen! hämmerte es in seinem Hirn. Keinen Schritt.

Wenn er die Geräusche im Bankhaus hört, ist alles verraten. Man weiß nicht, was er dann tun wird. Er kann Krach schlagen – und außerdem habe ich die Anweisung, jeden aufzuhalten, der sich dem Bankhaus nähert. Und wenn von der anderen Seite jemand kommt, dann kommt er nicht an dem kleinen Felix Jonas vorbei. Genauso war es eingeteilt worden und so würde es eingehalten.

Plötzlich blieb Saunders stehen.

Er hatte Peggy ja gar nicht gefragt, ob die Billingers eingeladen werden sollten. Onkel Sam hatte sich doch mit ihnen verkracht. Aber eigentlich waren es ganz nette Leute… Nur fünf Schritte von ihm entfernt saß der Bandit auf dem Vorbau und hatte den Revolver aus dem Halfter gezogen.

Saunders hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, jetzt aber den Kurs so geändert, daß er nicht mehr genau auf Pligger zuging, sondern ihn etwa in zwei Yard Entfernung passieren würde.

Als er diese Stelle erreicht hatte, schnellte Pligger vorwärts und ließ einen hämmernden Schlag mit dem Revolverkolben auf den Hut des Holzarbeiters niedersausen.

Greg Saunders brach sofort zusammen. Pligger riß ihm das Halstuch vom Hals und stopfte es ihm in den Mund. Dann schleppte er den schweren Burschen auf den Vorbau und legte ihn in einer Türnische nieder.

Sofort bezog der Galgenmann wieder seinen Posten.

Der kleine Jonas hatte den Überfall überhaupt nicht gehört, so leise war alles vonstatten gegangen.

Jake Halbot und Jim Huston standen im Schalterraum der kleinen Bank.

»Der Tresor ist da drüben«, flüsterte Halbot seinem Kumpan zu.

Der nickte. »Ja. Habe ich schon gesehen.«

»Hast du auch die Stahlschienen gesehen, die den Schalter sichern?«

»Ja.«

»Aber wir kommen unten durch.«

»Durch das Holz?«

»Ja.«

»Sind da Türen drin?«

»Eine. Sie ist verdeckt. Aber der Boß hat sie entdeckt.«

»Und wo ist sie?«

»Da drüben rechts in der Ecke.«

Halbot ging vorwärts, bückte sich und sah das Schalterbrett. Er tastete eine Weile an der Bordwand herum, und dann hörte Huston ein leises knarrendes Geräusch.

»Tatsächlich«, entfuhr es ihm, wobei er wieder einmal die Umsichtigkeit des Chiefs bewundern mußte.

Des Chiefs? Jenes Mannes, den er nicht kannte, und der ihrer aller Boß war.

Ob auch Halbot ihn nicht kannte? Über diese Dinge konnte sich der Galgenmann Jimmy Huston keine weiteren Gedanken machen, denn er hörte das leise Schnippen, mit dem Halbot seine Leute zu sich beorderte.

Er ging vorwärts und bückte sich vor der Klapptüröffnung nieder, kroch hindurch und befand sich hinter den Schaltern.

Den Tresor hatte er ja schon von drüben durch die Gitterstäbe gesehen.

Halbot stand davor und blickte den Stahlschrank an. Goddam, wie sollte der geöffnet werden?

Aber das war ja nicht seine Sorge.

Der Big Boß würde sich ja schon seine Gedanken darüber gemacht haben. Denn denken ließ er seine Leute grundsätzlich nicht.

Er dachte ja für alle.

Sie hatten alle nur Befehle auszuführen. Und bekamen ja dafür Anteil der Beute.

Jimmy Huston, der kleine texanische Posträuber, der erst seit einem Vierteljahr zu der Bande gehörte, hatte sich oft gefragt, warum er sich dieser gefährlichen Bande angeschlossen hatte. Aber immer wieder war es die gleiche Antwort, die er sich auf diese Frage geben mußte: Geld!

So lange er allein gearbeitet hatte, war er ein armer Mann geblieben. Wenn er von den paar hundert Dollars, die er hier und da einmal erbeutet hatte, absah, war sein Einkommen doch immer sehr niedrig gewesen. Ein Tramp war ein armer Haderlump in diesem Land.

Man mußte schon einer größeren Bande angehören, wenn man zu Geld kommen wollte.

Die Clantons, denen er sich damals hatte anschließen wollen, hatten ihn nicht gebrauchen können. Ein Mann, der ein so pockennarbiges, entstelltes und auffälliges Gesicht hatte, war für Ike Clanton zu auffällig gewesen.

So hatte es Ike ihm nicht selbst gesagt, aber Frank McLowery, den er in Tombstone aufgesucht und um Aufnahme in die Gang gebeten hatte, schickte ihn damals mit den Worten zurück: Sieh zu, daß du dich irgendwo in der Savanne verkrümelst, Junge. Mit deiner Fratze fällst du jedem Grisly auf.

Und trotzdem war der Texaner vor drei Monaten hierher nach Arizona zurückgekommen und in Tucson auf einen Mann gestoßen, der ihn mit den Galgenmännern zusammengebracht hatte. Er war aufgenommen worden, nachdem er den Feuereid abgelegt hatte, und gehörte seitdem zu der großen Gang.

Sonderlich wohl fühlte er sich nicht in dem geheimnisvollen Dunkel, das ihn ständig umgab, aber er hatte immer Geld in der Tasche, konnte sich seinen Whisky leisten, einen Tabak und alles, worauf er früher sehr oft hatte verzichten müssen. Well, reich war er auch nicht, aber es ging ihm nicht eben schlecht. Der häßliche Bandit erwog allerdings nicht so genau die Gefahr, die er in der Gang auf sich genommen hatte und die erheblich schwerer war, als der Gewinn, den sie ihm einbrachte.

Halbot hatte ihm vorgestern gesagt, daß heute fünfhundert für ihn abfielen.

Das war eine Summe, die nicht zu verachten war. Dafür würde der ehemalige Posträuber schon eine Menge riskieren.

Halbot machte sich am Schloß des Geldschrankes zu schaffen.

Eine halbe Stunde war vergangen, und immer noch hantierte der Rotschopf an dem Schloß herum.

Da war vorn auf der Straße ein Geräusch.

Huston zuckte zusammen.

Aber Halbot arbeitete weiter.

Huston wandte sich um. »Soll ich nachsehen?«

»Nein. Bleib hier. Wir haben zwei Wächter draußen.«

So sehr verließ sich dieser Verbrecher auf seine Kumpane.

Galgenmänner!

Huston stand der Schweiß in großen Perlen auf der Stirn.

Das Geräusch draußen auf der Straße wurde stärker. Es war ein Wagen, der vorüberrollte.

Huston atmete auf, als das Geräusch in der Ferne verebbte.

Halbot hatte bereits eine Menge Werkzeug aus seinen Taschen geholt und hantierte jetzt mit einem Stemmeisen an dem Schloß herum, indem er es wuchtend auszuheben suchte.

Aber bisher hatte der Tresor all seinen Bemühungen widerstanden. Huston begriff nicht, daß Halbot dadurch nicht aus der Ruhe gebracht wurde.

Er wußte ja nicht, daß alles, auch diese Arbeit, rein planmäßig vonstatten ging.

Nach einer Stunde und siebzehn Minuten sprang das Schloß endlich auf.

Der ehemalige Schlosser und Arbeiter aus der Galvestoner Tresorfabrik Jake Halbot hatte den Tresor gesprengt.

Mit ruhigen Bewegungen steckte er zunächst seine Werkzeuge wieder ein und griff dann in die dunkle Höhlung des Schrankes, aus der er große Dollarbündel hervornahm und sie vorne in sein Hemd hineinschob. Dann erhob er sich, schob die Tresortür zu und wandte sich um.

Huston, der hinter ihm stand, wollte wieder auf den Schalter zugehen, um durch die Klapptür zu kriechen.

In diesem Augenblick war vorn im Flur ein polterndes Geräusch zu hö-ren.

»Damned!« stieß Halbot durch die Zähne.

*

Die beiden Dodger waren einen kürzeren Weg geritten, als die vier Banditen. Halbot, Huston, Jonas und Pligger hatten ja keine besondere Eile und waren deshalb über die bequemere Straße von Warren und Lebloc geritten, die immerhin einen Umweg von mehreren Meilen ausmachte.

So kam es, daß Wyatt Earp und Doc Holliday nur kurze Zeit später als die vier Verbrecher das schlafende Cazador erreichten.

Gleich am Ortseingang stieg der Marshal vom Pferd und warf dem Gefährten die Zügelleinen zu.

Es bedurfte zwischen den beiden keiner besonderen Worte.

Doc Holliday sah, wie der Marshal im Dunkel der Vorbauten auf der rechten Straßenseite verschwand.

Ganz langsam folgte er mit den beiden Pferden.

Wyatt Earp bewegte sich lautlos vorwärts.

Er wußte nicht, wo sich die Bank befand. Aber er mußte ja damit rechnen, daß die Banditen einen Posten aufgestellt hatten.

Die Stadt war nicht sehr groß, und es war anzunehmen, daß sich die Bank hier in der Hauptstraße befand.

Der Missourier war noch nicht weit gegangen, als er vorn auf der Vorbaukante einen Mann sitzen sah, der aber gerade in diesem Moment aufstand, sich nach allen Seiten umsah und dann dicht an der Hauswand entlang – wie es Wyatt auch getan hatte, vorwärts ging. Er kam nicht etwa auf den Marshal zu, sondern ging zur anderen Seite der Straße hinunter.

Wyatt folgte ihm so leise und unauffällig wie möglich.

Plötzlich verschwand der Mann in einer Tür.

Wyatt war bis an das Haus, in dem der Mann verschwunden war, herangekommen und sah schon, ehe er den letzten Vorbau verließ, daß er sich vor einem Bankgebäude befand.

Sie waren also schon da!

Wyatt bückte sich tief an den Boden nieder und kroch unter den Fenstern entlang, um nicht von den Männern, die vielleicht schon im Schalterraum waren, gesehen zu werden.

Als er die Tür erreichte, stockte er, sie stand halb offen. Er richtete sich auf und trat in den Flur.

Pfeifend sauste in diesem Moment ein Hieb auf ihn nieder.

Wyatt hatte im letzten Bruchteil der Sekunde den Kopf zur Seite genommen, so daß der Schlag nur seine Stirnkante streifte. Blitzschnell wuchtete er einen krachenden Rechtshänder nach vorn, dem er sofort einen steifangewinkelten linken Haken folgen ließ.

Der Mann, der ihn angegriffen hatte, stürzte mit großem Gepolter über einen Blumenständer in den Flur zurück, raffte sich wieder auf, um ihm erneut entgegenzustürmen.

Wyatt hatte ihn jetzt mit der Linken gepackt, riß ihn zur Seite und trieb ihn mit einem schweren Konterschlag an die gegenüberliegende Wand zurück.

Er durfte es jedoch nicht riskieren, sich noch länger mit diesem Mann abzugeben, denn er mußte damit rechnen, daß er die anderen in den Rücken bekam.

Gerade hatte er sich von dem Mann abgewandt, um jetzt nach dem Schalterraum zu sehen, als er von hinten angefallen wurde.

Als das polternde Geräusch im Flur der Bank bis in den Schalterraum gedrungen war, stieß Halbot seinen Kumpan an.

»Sieh nach, was da los ist, Huston.«

Der kroch durch die Klappe unter dem Schalterbrett in den vorderen Raum und huschte zu der nur angelehnten Flurtür.

Da sah er die Gestalt eines Fremden vor sich, eines wenigstens sechseinhalb Fuß großen Mannes, der ihm gerade den Rücken zudrehte.

Huston hechtete ihm ins Kreuz.

Wyatt wurde von der Wucht des Anpralls niedergerissen, warf sich aber sofort herum und zog den Gegner durch einen blitzschnellen Überwerfer gegen die Wand neben den ersten Mann, den er niedergeschlagen hatte.

Aber sie kamen beide wieder auf die Beine und stürmten ihm entgegen.

Wyatt packte den kleineren Huston und warf ihn mit einem schmetternden Krachen gegen den noch geschlossenen zweiten Türflügel. Huston war so hart mit dem Schädel aufgekommen, daß er betäubt in die Knie ging.

Aber schon war Pligger da, der den Marshal vorhin mit dem Revolverkolben an der Stirn gestreift hatte.

Wieder hatte er einen Colt in der Faust und versuchte damit den Gegner niederzuschlagen.

Wyatt duckte den Hieb ab, der pfeifend über seinen Schädel zischte und riß dafür selbst eine Rechte hoch, die an der linken Kinnkante Pliggers detonierte.

Der Bandit torkelte zurück. Aber er war eisenhart, senkte den Kopf und versuchte die Holländische Nuß anzubringen (ein mit vorgestrecktem Kopf ausgeführter starker, harter und blitzschneller Rammstoß).

Aber auch dieses Vorhaben mißlang.

Wyatt wich mit einer geschickten Körpertäuschung zur Seite und ließ einen knackenden Handkantenschlag zwischen Hals und Schulter des Banditen fallen.

Pligger fiel vornüber und fiel hart auf die Steinfliesen des Flures.

Wyatt bückte sich über ihn und nahm ihm die Waffen aus den Halftern. Auch den anderen Mann tastete er ab, schob die Revolver in den eigenen Waffengurt, nahm seinen eigenen 45iger aus dem rechten Halfter und kroch tief am Boden durch die Tür in den Schalterraum.

Doc Holliday hatte die Pferde bei der Schmiede angebunden und war auf die andere Straßenseite gegangen.

Da machte er eine eigenartige Feststellung: als er die Mündung einer Nebengasse erreicht hatte, sah er dort einen Mann mit vier Pferden stehen.

Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß er hier einen der vier Banditen vor sich hatte.

Er zog beide Revolver und spannte knackend die Hähne.

Der Bandit fuhr herum.

»Hände hoch.« Klirrend fiel die Stimme des Spielers über die Straße. Der Verbrecher nahm langsam die Hände in die Höhe.

»Komm her!«

Der Bandit machte einige Schritte vorwärts.

»Näher. Näher.«

Da machte der Mann noch drei weitere Schritte vorwärts, und jetzt erst sah er das Gesicht des Gegners aus dem Dunkel des Vorbaus hervorschimmern.

Der kleine, krummbeinige Felix Jonas stieß einen heiseren Fluch durch die Zähne. »Was wollen Sie von mir, verdammter Tramp!«

»Ich hatte vor, eine Partie Poker mit dir zu spielen, Junge.«

»Poker! Jetzt mitten in der Nacht? Sind Sie wahnsinnig?«

»Du hast anscheinend etwas Wichtigeres vor?«

»Allerdings, das heißt, ich warte hier auf ein paar Freunde. Sie müssen gleich kommen.«

»Davon bin ich überzeugt, Junge.«

»Was wollen Sie? Wer sind Sie?«

»Mein Name wird dich kaum interessieren. Aber ich will ihn dir doch gerne nennen. Ich heiße Holliday. John Henry Holliday.«

Da prallte der Bandit zurück.

»Holliday!«

Er ließ die Arme sinken.

Mit einem Satz war der Gambler vom Vorbau herunter und stieß dem Verbrecher die beiden Revolver vor die Brust.

»Du sollst die Hände hochnehmen, habe ich gesagt!«

»Doc Holliday«, keuchte der Bandit.

»Ja, und wie sieht es mit dem Poker aus?«

Der Verbrecher konnte den Spott und den Hohn, der in diesen Worten lag, kaum überhören.

»Pokern, ich kann mir denken, wo Sie mit mir pokern wollen. Wahrscheinlich in der Hölle!«

»Nicht unbedingt. Aber vielleicht im Jail.«

»Im Jail. Der Teufel soll Sie holen!«

Der Bandit wirbelte herum und riß sein Messer heraus.

Aber Hollidays blitzschneller Hieb mit dem Revolverlauf schlug ihm die Stichwaffe aus der Hand.

»Ich habe doch gesagt, du sollst die Hände oben lassen, Junge. Wie willst du nachher pokern, wenn du deine Flossen nicht mehr bewegen kannst!«

»Was haben Sie mit mir vor, Holliday?«

»Du läßt die Hände schön oben und gehst jetzt vor mir her zum Sheriffs Office.«

»Ich weiß nicht, wo das ist.«

»Wir werden gemeinsam suchen. – Und damit du im Bilde bist, wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, Junge, oder eine dumme Bewegung machst, dann wird es nichts mehr mit dem Poker im Jail.«

Doc Holliday warf noch einen kurzen Blick hinüber zur Schmiede, die etwas zurück von der Straße lag, und unter deren weitem, vorgezogenem Dach die beiden Pferde sicher standen.

»Wir gehen jetzt sehr langsam her über den Vorbau weiter.«

Der Outlaw sah, daß seine Sache verloren war. Er stieg auf den Vorbau und ging langsam vorwärts.

»Tritt leiser auf«, mahnte ihn der Spieler. »Ich habe verdammt empfindliche Ohren, Junge.«

Als sie auf der Höhe der Bank waren, zuckte der Kopf des Outlaws zur Seite. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Dennoch hatte Doc Holliday diese Bewegung bemerkt und folgte der Blickrichtung.

Drüben lag also die Bank!

Er konnte jedoch im Dunkel des Vorbaus den Eingang und die Fenster nicht erkennen.

Sie gingen weiter.

Da sah Holliday das weiße Schild mit der Aufschrift SHERIFF in die Straße ragen.

Als sie das Haus erreicht hatten, sah Doc Holliday einen winzigen Lichtschein hinter der großen Fensterscheibe im Office.

Ein Mann lag mit dem Kopf auf dem Tisch und hatte die Arme darunter verschränkt.

Der Hüter des Gesetzes von Cazador schlief.

Holliday bugsierte den Banditen mit beiden Revolvern vor sich her auf die Tür, die er jetzt mit dem Fuß aufstieß.

Das harte Geräusch ließ den Sheriff auffahren. Er sprang auf und hob die Hände hoch.

»Lassen Sie die Hände nur wieder fallen, Sheriff, ich bringe nur einen Gefangenen für Sie.«

Holliday schloß die Tür hinter sich.

»Wer sind Sie?« Der Sheriff war ein Mann Ende der Vierzig mit Tränensäcken unter den Augen und einem gewaltigen blonden Seehundschnauzbart.

Er machte keinen besonders zuverlässigen Eindruck.

»Mein Name ist Holliday. John Henry Holliday. Dieser Mann hier gehört zu einer Bande von Verbrechern, die drüben die Bank ausrauben wollen.«

Da ließ Jonas plötzlich die Hände sinken.

»Lüge!« krächzte er. »Das bildet sich dieser Mann bloß ein! Sie sollten ihn an meiner Stelle festnehmen, Sheriff!«

»Hier wird nicht herumgebrüllt«, knurrte der Gesetzesmann.

Da sah er die Revolver in den Händen Hollidays.

»Warum laufen Sie mit Revolvern in der Stadt herum?«

»Weil es nötig ist. Weil der Sheriff von Cazador nicht auf dem Posten ist. Weil sich fremde Leute darum kümmern müssen, was hier in der Stadt geschieht. Los, nehmen Sie den Mann fest, und dann gehen Sie hinüber in die Bank!«

Sheriff Woolverley griff mit beiden Händen nach seinen Bartspitzen und zwirbelte sie.

»Hören Sie, ich erlaube nicht, daß irgend jemand so mit mir spricht. Ich kenne Sie nicht, Mr. Holliday. Und weiß nicht, was Sie bewegt…«

»Kennenlernen können Sie ihn sehr schnell«, mischte sich da der Bandit ein. »Er ist Doc Holliday. Ich nehme doch an, daß Sie von ihm gehört haben?«

»Ich lege keinen Wert darauf, daß Sie mich kennen, Sheriff«, kam da die klirrende Stimme des Spielers dazwischen. »Ich fordere Sie zum letzten Mal auf, diesen Banditen hier festzunehmen.«

Der Unterkiefer des Gesetzesmannes war auf die Brust heruntergefallen.

»Doc Holliday?« fragte er, und sein Gesicht war eine Studie der Verblüffung.

Dann handelte er plötzlich wie aufgezogen, kam hinter seinem Schreibtisch hervor, packte Jonas, nahm ihm den Waffengurt ab und schob ihn vor sich her auf eine der vier Zellen im Hintergrund des Bureaus zu.

»Augenblick«, mahnte Holliday, als Woolverley die Gittertür hinter Jonas zuwerfen wollte. Er tastete den Verbrecher nach Waffen ab.

Da zuckte Jonas zurück, schob seine Linke in den Stiefelschaft – aber zu spät.

Doc Holliday hatte den kleinen Derringer bereits aus dem Leder gezogen und warf ihn dem Sheriff zu.

»Hier, Mister, noch etwas für Ihre Waffensammlung.«

Der Sheriff steckte den Derringer ein. Dann fragte er:

»Gehen Sie mit hinüber?«

»Löschen Sie zuerst die Lampe.«

In der Tür erkundigte sich der Sheriff: »Seit wann sind Sie in der Stadt, Doc?«

»Seit zehn Minuten.«

»Und – Wyatt Earp? Der Marshal, ist der auch hier?«

»Ja, ich glaube, er ist drüben in der Bank und räumt da auf. Aber er hat es mindestens mit drei Mann zu tun. Es wird also Zeit, daß Sie sich allmählich um Ihre Ortsangelegenheiten kümmern, Mister.«

»Ja, ja, natürlich.« Der Sheriff tigerte sofort los. Das war natürlich das Dümmste, was er tun konnte, denn das Geräusch seiner Schritte hörte man mindestens hundert Yard weit. Aber Holliday ließ ihn gewähren.

Er ging ein Stück über den Vorbau zurück und blieb dann gegenüber der Bank im Dunkel stehen und wartete.

Als der Sheriff die offene Tür des Bankhauses fand, riß der einfältige Mann ein Zündholz an und sah die beiden Gestalten vorn im Flur liegen.

Er packte Pligger und zerrte ihn auf den Vorbau.

»He, einen habe ich.«

Dann ging er wieder zurück und kam mit dem texanischen Posträuber zurück, der sich gerade auf die Knie hatte erheben wollen.

»Ich habe sogar den zweiten, Doc«, brüllte er laut über die Straße.

Holliday warf einen verzweifelten Blick zum Himmel hinauf.

Dann überquerte er die Straße und forderte den Sheriff auf, vorne bei den Männern zu bleiben und Wache zu halten.

»Und Sie? Was haben Sie vor?« stotterte der Sheriff.

Der Georgier gab ihm gar keine Antwort, sondern trat in den dunklen Flur.

Wyatt Earp kniete auf der Türschwelle und lauschte in den Schalterraum. Drinnen war alles still. Da sah er den winzigen Lichtschein, der durch die offene Schalterklappe vorn in den Raum fiel. Das schwache Mondlicht, das durch die hinteren Fenster des Tresorraums fiel, warf auch einen Lichtschimmer durch die sonst geschlossene Schalterbarriere. Tief am Boden robbte der Missourier auf die Holzbarriere zu und kroch dann unter den Schalterbrettern entlang auf die offenstehende Klappe zu.

Als er sie erreicht hatte, blieb er liegen und lauschte wieder.

Inch um Inch schob er sich jetzt vorwärts, bis er in den Tresorraum blicken konnte.

Er war leer.

Und links stand die kleine Bohlentür zum Hof hin offen.

Jake Halbot, der rothaarige Galgenmann, war mit der Beute entkommen.

Der Verbrecher hatte seine Leute geopfert, um sich und das Geld in Sicherheit zu bringen.

Der einzelne Galgenmann zählte nichts, er war weniger als ein Bauer auf dem Schachbrett.

Aber auch Halbot war nicht viel mehr als nur ein Läufer…

Wyatt stand im Hof, sah das offene Tor zur Parallelgasse, und als er drüben das Gatter eines Corrals entdeckte, wußte er, daß der Galgenmann ein Pferd hatte und entkommen war.

Es stand für Wyatt fest, daß die Verbrecher ihre Pferde nicht unbewacht zurückgelassen hatten. Also mußte noch ein Mann irgendwo mit den Tieren stehen.

Als er ins Bankhaus zurückkam, sah er schon gegen die Fenster im Schalterraum die Silhouette des Spielers.

»Die Pferde müssen noch irgendwo mit einem Wächter sein, Doc.«

»Schon erledigt!« entgegnete der Spieler.

Ferry Pligger, Jim Huston und Felix Jonas saßen im Jail von Cazador.

Wieder waren drei Galgenmänner hinter Schloß und Riegel.

Die beiden Dodger hielten auf der Straßenmitte und sahen sich nach einem Boardinghouse um.

Da trat oben der Sheriff in die Tür seines Bureaus.

»Suchen Sie ein Quartier, Marshal?«

»Ja.«

»Da kann ich Ihnen Baxters Boardinghouse empfehlen. Es ist zwei Häuser weiter, und die Frau hat sehr saubere und preiswerte Zimmer.«

Nachdem Doc Holliday sich niedergelegt hatte, stand der Marshal in seinem Zimmer am Fenster und blickte auf die dunkle Straße hinaus.

Wieder waren drei Galgenmänner hinter Gitter gebracht worden. Aber, es war wie ein Jagen nach Wolken, überall tauchten die Galgenmänner auf, und ihre Zahl schien bereits riesengroß zu sein.

Der rote Halbot war nicht unter den gestellten Banditen gewesen, er war mit der Beute entkommen.

Der Marshal mußte ihm folgen. Das bedeutete weiteren Aufschub für seinen Ritt zum San Pedro Valley.

In der Frühe des nächsten Morgens verließen die beiden Reiter die Stadt. Doc Holliday saß mit bleichem, ernstem Gesicht im Sattel und blickte düster vor sich hin.

Sicher hatte er Schmerzen.

Wyatt hatte während der Nachtstunden, die er schlaflos auf seinem Lager vebracht hatte, überlegt, wohin sich Halbot gewendet haben könnte. Zurück nach Bisbee konnte er nicht, denn jetzt wußte er ja, daß er verfolgt wurde. Er hatte die Festnahme Hiltons in Bisbee beobachtet, war aus der Stadt geflüchtet und hierher nach Cazador gekommen. Wenn er auch nicht mit Sicherheit wußte, daß es Wyatt Earp war, der ihn bei dem Bankraub gestört hatte, so konnte er es sich doch ausrechnen. Wyatt hatte in der Nacht die Lampe angezündet und stundenlang die Karte geprüft. Hinüber nach Bisbee konnte er nicht, hinauf nach McNeal würde er höchstwahrscheinlich auch nicht geritten sein, denn gerade in dieser Stadt trug seit einigen Jahren ein Mann den Sheriffstern, dessen Nähe die Banditen sicher nicht freiwillig suchten: Edward Masterson, der Bruder des bekannten William Bat Masterson.

Hinüber nach Osten zu reiten, nach Bernardino, war ebenfalls nicht naheliegend, da das Gelände zu übersichtlich war. Die Straße hinauf nach Chiricahua war stark befahren, weil sie den geraden Weg nach Apache und zur Grenze von New Mexico darstellte.

Also blieb nur der Süden. Und im Süden lag in zwölf Meilen Entfernung die mexikanische Grenze. Aber es war zu einfach, dorthin zu fliehen, wohin sich jeder wenden würde.

Der Marshal schätzte den rothaarigen Ranchermörder Jake Halbot nicht dumm genug ein, diesen Weg zu wählen.

Dieser Galgenmann würde nach Osten fliehen.

Deshalb hatte sich der Marshal nach Osten gewandt.

Sie erreichten die alte Missionssiedlung Bernardino am Vormittag.

Wyatt suchte vergeblich nach einem Sheriffs-Bureau – so etwas gab es hier gar nicht.

Er sprach mit einigen Leuten, stieß aber überall auf scheue Gesichter und verstocktes Kopfschütteln.

Niemand wollte Auskunft über einen Mann geben, der verfolgt wurde.

Der Marshal blickte die Straße hinunter.

Sollten sie weiterreiten?

Das war natürlich ein großes Risiko, denn bis hierher nach Bernardino konnten sie einen Mann auf gut Glück folgen. Aber weiter hinauf – die Straße nach Chiricahua oder gar Apache – das war schon ein Risiko.

Doc Holliday hatte sich eine Zigarette angezündet und schnipste das Streichholz auf die Straße.

Der Marshal stützte sich mit beiden Händen auf das Sattelhorn und überlegte.

Rechts auf einer Vorbaukante hatte ein kleiner Junge gesessen, der trotz des schon kühlen Spätnovembertages noch barfuß war. Der etwa elfjährige Bengel hatte den Marshal eine ganze Weile fixiert. Plötzlich blitzte es in seinen Augen auf, er sprang hoch, warf beide Arme in die Höhe und rief:

»Wyatt Earp! Sie sind Wyatt Earp!« Dann wandte er sich um und brüllte die Straße hinunter: »Wyatt Earp ist in der Stadt!«

Der Marshal wechselte einen kurzen Blick mit dem Georgier, und als der Junge sich umwandte, sah er zu seinem Schrecken, daß der Marshal und sein Begleiter die Pferde wieder gewendet hatten, um davonzureiten.

Da lief der barfüßige Boy den beiden nach und streckte dem Marshal seine erdbraune kleine Hand entgegen.

»Marshal! Ich habe gehört, daß Sie Mr. Lupcin etwas gefragt haben. Und Mr. José und Mr. Fontana! Sie haben Ihnen keine Auskunft gegeben, weil sie annahmen, daß Sie ein Schießer wären, weil Sie ja einem Mann folgen. Aber Sie sind Wyatt Earp und… ich kann Ihnen etwas sagen…?Warten Sie doch, Marshal. Ich habe den Mann gesehen, nach dem Sie gefragt haben. Heute morgen um sechs Uhr.«

Die beiden Reiter hatten ihre Pferde angehalten, und Wyatt blickte den Jungen fragend und etwas ungläubig an.

»Na, dann erzähle mir mal, was du gesehen hast, Jack.«

»Ich heiße nicht Jack, ich heiße Bill.«

»Habe ich mir doch gedacht. Also, Bill, dann erzähle mal.«

Heftig gestikulierend erklärte der Junge dem Marshal, daß er in der Morgenfrühe, als er drüben im Store die Milch für daheim geholt hatte, einen Mann durch die Stadt hätte reiten sehen, auf den die Beschreibung paßte, die der Marshal vorhin Mr. José, den er gefragt hatte, gegeben hatte.

»So, du weißt also genau, daß der Mann rotes Haar hatte?«

»Ja, ganz genau!«

»Kann es nicht auch blond gewesen sein?«

»Nein, ausgeschlossen.«

»Und er trug gelbes Lederzeug?«

»Ja, und er hatte eine gelbliche Jacke an, die mit Pelz gefüttert war. Und dann war er an der linken Hand verwundet. Ich weiß es nicht genau, aber jedenfalls hatte er einen Verband um zwei Finger gewickelt. Ich habe es zufällig gesehen, weil er die Hand herunterhängen ließ. Er ist bestimmt nach Chiricahua geritten, Marshal…«

Wyatt warf dem Jungen ein kleines Geldstück zu, reichte ihm die Hand und nahm seinen Falbenhengst herum.

Der Junge rannte auf eine Cantina zu, riß die Perlenschnurvorhänge auseinander und brüllte:

»Wyatt Earp hat mir einen Nickel geschenkt! Der große Wyatt Earp…«

Eine Frau gab ihm eine Ohrfeige.

»Du vorlauter Bengel!« schimpfte sie.

Sie ritten nach Chiricahua.

Das einstige Indianerdorf lag öde und verlassen da.

Zu beiden Seiten der breiten Mainstreet standen in größeren Abständen flache, eingeschossige graubraune Holzhäuser. Der Wind, der jetzt von den Bergen kam, trieb den Flugsand schmirgelnd an den hölzernen Giebeln entlang und ließ ihn am Ende der Straße in einer großen Staubwolke hochwirbeln.

Vor einem der Häuser lehnte ein großer, vierschrötiger Mann an einem Vordachpfeiler, hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, das Sombreroband ums Kinn. Er kaute an einem erloschenen Strohhalmzigarrenstummel herum.

Ohne den Marshal anzusehen, raunte der Marshal dem Gefährten zu:

»Sehen Sie sich den an.«

Holliday nickte unmerklich. »Ja. Er scheint auf uns gewartet zu haben.«

Sie taten, als wollten sie an ihm vorbeireiten. Und als sie auf gleicher Höhe mit ihm waren, hielten sie plötzlich die Pferde an.

»Hallo, Mister!« rief der Marshal ihn an.

Aber der Mann hob nicht den Kopf.

Dadurch vergrößerte er den Argwohn, den die beiden Dodger schon hegten.

»Wir möchten hier irgendwo ein anständiges Quartier nehmen. Können Sie uns vielleicht einen Rat geben?«

Da hob der Mann langsam den Kopf.

Die beiden blickten in ein verschlagenes Augenpaar, das eine seltsam gelbliche Färbung hatte.

»Ein Quartier sucht ihr? Well, da könnt ich euch einen Rat geben. Das könnte ihr nämlich gleich hier bei mir nehmen. Ich habe das beste Hotel in der Stadt.«

Doc Holliday blickte die Straße hinunter. Sie war vielleicht knapp eine halbe Meile lang, und es war kaum anzunehmen, daß es überhaupt noch ein zweites Boardinghouse in der Stadt geben würde.

»Was kosten die Zimmer?«

»Zwei Dollar pro Stück.«

»Das ist billig«, tat der Marshal erfreut.

»Kommen Sie nur herein«, meinte der Mann, spie seinen Zigarrenstummel aus, wandte sich um und ging auf den Eingang seiner Behausung zu.

Tatsächlich entdeckten die beiden jetzt neben dem Eingang auf der Holzwand die mit weißer Farbe aufgepinselte großspurige Bezeichnung: HOTEL.

Sie nahmen vorn in dem Raum zur Straße hin Platz, so daß sie ihre beiden Pferde beobachten konnten.

Der Mann kam selbst, um sie zu bedienen.

»Was darf ich bringen?«

Doc Holliday verlangte einen Brandy und der Marshal eine Tasse Kaffee.

»Auch etwas zu essen?«

»Nein, wir essen erst abends«, entgegnete der Marshal, da der Geruch, der drüben dem Küchenraum entströmte, ein Mittagessen ganz sicher einem Abenteuer gleichkommen ließ.

Holliday nippte an dem Brandy. »Gar nicht schlecht«, sagte er.

Der Mann stand immer noch in unmittelbarer Nähe ihres Tisches.

»Sehen Sie, ich habe Ihnen ja gesagt, ich habe das beste Hotel in der Stadt.«

Wyatt Earp wandte den Kopf. »Ich hätte gern eine Auskunft, Mister.«

»Natürlich, wenn ich Ihnen helfen kann. Man soll für das Gesetz immer…«

Er unterbrach sich, und eine dunkle Röte überzog sein Gesicht.

Dieser Mann hatte sich verraten! Wyatt tat, als habe er es nicht bemerkt.

»Ja, man muß dem Gesetz dienen, das sagen wir auch immer. Hören Sie, Mister, wir suchen einen Mann, einen rothaarigen Burschen, der zwischen Tombstone und Bisbee einen Rancher ermordet hat.«

»Oh, einen rothaarigen Burschen. Soll er heute durch die Stadt gekommen sein?«

»Ja. Er hatte einen Vorsprung von ein paar Stunden. Er müßte am Morgen gekommen sein. So gegen neun oder zehn.«

»Ja, ich habe ihn gesehen. Es muß halb zehn gewesen sein. Er ritt hier die Straße hinauf und bog hier nach Süden ab. Ich vermute, daß er zur Grenze

geritten ist. Viele Burschen nehmen

ja den Weg. Vor allem das ganze Gesindel, das herunter aus dem Norden kommt.«

»Der Mann kam aber aus Westen«, gab der Marshal zu bedenken.

Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß der Wirt ihn täuschen wollte.

Der Spieler, der unbemerkt einen prüfenden Blick über die Gestalt des Salooners geworfen hatte, hätte beinahe einen Ausruf der Verwunderung ausgestoßen, als er an der linken Hand des Mannes einen Ring sah, auf dessen abgeplatteter Fläche ein Dreieck eingraviert war.

Holliday berührte unter dem Tisch mit der Fußspitze den Stiefel des Marshals. Wyatt Earp tat, als wolle er zum Fenster hinaussehen und streifte dabei unauffällig den Spieler.

Holliday tippte mit dem Mittelfinger der Rechten auf den Ringfinger seiner linken Hand.

Als Wyatt den Wirt wieder ansah, hatte der beide Hände in die Taschen geschoben. Sollte er etwa Lunte gerochen haben?

Da Holliday Wert darauf legte, daß auch der Marshal den sonderbaren Ring zu Gesicht bekam, überlistete er den Mann, indem er ihn fragte:

»Wie spät ist es jetzt?«

Der Salooner griff prompt mit der Linken an die Westentasche, um die Uhr herauszunehmen.

Rasch aber ließ er die Uhr wieder in die Tasche zurückgleiten und steckte die Hand in die Hosentasche, nahm dann mit der Rechten die Uhr aus der Westentasche.

Aber der kurze Augenblick hatte dem Marshal genügt, auch er hatte den Ring mit dem eingravierten Dreieck gesehen.

Sollte das ein Zufall sein? Wenn nicht – dann war es eine ungeheure Entdeckung, die der Georgier da gemacht hatte. Wenn die Galgenmänner als Erkennungszeichen einen Ring trugen, auf dem das Symbol ihrer Organisation eingraviert war. Und dann zuckte es jäh durch das Hirn des Missouriers. Sollte jeder Bandit einen solchen Ring haben?

Wohl kaum. Denn dann hätte der Marshal längst bei irgendeinem der Outlaws ein solches Erkennungszeichen gefunden. Und? Bedeutete das nicht, daß dieser Mann etwas Besonderes in der Bande darstellen mußte!

War er vielleicht – aber dieser Gedanke schien dem Marshal denn doch zu weit hergeholt. Dieser Mann sah nicht aus, als ob er der Chief einer so großen Gangsterbande sein könnte!

Wyatt Earp blickte wieder auf die Straße.

»Könnten Sie unsere Pferde in den Stall bringen lassen, Salooner?«

»Selbstverständlich!« Der Mann wandte sich um und verschwand in der Küche. Er zog die Tür zwar nicht ganz zu, und es stand zu erwarten, daß er die beiden beobachten würde, aber dennoch flüsterte Doc Holliday an der Hand vorbei, in der er die Zigarette hielt, dem Marshal zu: »Er sieht nicht so aus – aber das besagt gar nichts. Denken Sie an Jonny O’Keefe. Oder an Frederic Astor.«

»Ich finde, zumindest Astor sah nicht so unbedeutend aus wie dieser Bursche«, gab der Marshal zurück.

Holliday nickte.

»Das stimmt. Aber verschlagen ist er auf jeden Fall. Ich kann allerdings auch nicht glauben, daß diese armselige Type der große Boß der Graugesichter sein soll.«

Da wurde die Küchentür wieder aufgestoßen, und der Mann näherte sich eilig ihrem Tisch. Offenbar hatte er sich darüber geärgert, daß er kein Wort dieser allzu leise für ihn geführten Unterhaltung hatte verstehen können.

»Ich habe Bescheid gegeben, daß Ihre Tiere in den Hof geholt und versorgt werden.«

Holliday, der erst zweimal an seinem Brandy genippt hatte, stieß den Marshal plötzlich unter dem Tisch an.

Wyatt fing seinen Blick auf, der seiner Kaffeetasse galt. Der Missourier hatte das Getränk noch nicht probiert. Weniger wegen des schlechten Duftes, der davon aufstieg, sondern weil die Tasse einen so schmierigen Rand hatte.

Holliday deutete auf eine Zeitung, die drüben an der Wand hing.

»Dürfte ich wohl einen Blick hineinwerfen, Mister?«

»Aber selbstverständlich.« Der Mann wandte sich um und ging auf die Zeitung zu.

In Blitzesschnelle kippte der Spieler den Inhalt seines Glases in einen Blumentopf am Fenster.

Als der Mann mit der Zeitung zurückkam, tat Holliday, als nähme er das Glas soeben von den Lippen.

»Hahaha, nicht schlecht!« Dabei beobachtete er unter halbgesenkten Lidern das Gesicht des Wirtes.

In dessen Augen blitzte es kurz auf.

Wyatt Earp hatte begriffen.

Der Georgier schien also Grund zu der Annahme zu haben, daß die beiden Getränke irgendeinen Zusatz enthielten.

Holliday hatte einen Blick in die Zeitung geworfen und begann plötzlich zu gähnen.

Wyatt überlegte fieberhaft, wie er wenigstens einen Teil des Kaffees verschwinden lassen könnte.

Links neben ihm stand ein Spucknapf. Und als jetzt die Küchentür wieder geöffnet wurde und ein Bursche dem Salooner zurief, daß die Pferde in den Stall gebracht worden wären, nutzte der Marshal den Augenblick, als der Salooner sich abwandte, indem er die Hälfte seines Kaffees in den Napf goß.

Dabei schob er den Stuhl etwas zurück, um das Geräusch zu übertönen.

Er setzte gerade die Tasse auf den Teller zurück, als der Mann sich wieder umwandte.

In diesem Augenblick gähnte Holliday noch einmal, und plötzlich fiel er mit dem ganzen Oberkörper platt auf den Tisch.

»He, was ist denn mit Ihnen los«, tat Wyatt verblüfft.

Der Salooner meinte: »Ach, das ist so die Jahreszeit. Er wird müde sein. Am besten bringen wir ihn gleich hinauf in sein Zimmer.«

»Müde? Sonst ist er nicht so schnell müde.«

»Vielleicht ist ihm schlecht. Kommen Sie, wir bringen ihn hinauf.«

»Ja, ich helfe Ihnen.«

Wyatt beobachtete jetzt ganz genau den forschenden Blick, den der Salooner in seine Tasse geworfen hatte. Und der gleiche Blick glitt jetzt über das Gesicht des Marshals.

Wyatt hob die linke Hand und gähnte.

»Ja, Sie haben recht, ich bin auch müde. Am liebsten würde ich mich auch gleich hinlegen.«

Sie nahmen Doc Holliday und schleppten ihn gemeinsam hinaus und in sein Zimmer hinüber, das zum Hof hinüber lag.

Als der Georgier auf dem Bett lag, stand Wyatt hinter dem Salooner. Und als der sich plötzlich umdrehte, sah er sich der Revolvermündung gegenüber, die der Missourier ihm entgegenhielt.

»Was soll denn das?« fragte er entgeistert.

Er wandte sich um und blickte wieder in einen Revolver.

Quicklebendig saß der Spieler auf seinem Bett und hatte einen seiner Colts gezogen.

»Bin gespannt, wie der Brandy Ihrer Geranie schmeckt, Mister.«

»Was wollen Sie?« stammelte der Salooner. »Ich werde um Hilfe rufen.«

»Das möchte ich Ihnen nicht raten«, fuhr ihn der Marshal halblaut an.

»Was wollen Sie denn von mir?«

»Wo ist Halbot?«

»Ich weiß es nicht. Was kümmert er mich denn? Ich habe doch nichts mit ihm zu tun. Schließlich gehöre ich nicht zu den Galgenmännern.«

Da packte Wyatt mit der Linken das rechte Handgelenk des Banditen.

»Sie haben da ein schönes Wort erwähnt, Salooner. Galgenmänner! Wie kommen Sie darauf?«

»Ja, Sie haben doch davon gesprochen?«

»Irrtum, Mister, stimmt nicht. Mit keinem Wort habe ich die Bande erwähnt. Aber ich werde Ihnen etwas sagen: Sie gehören dazu!«

Der Mann fuhr zurück. Beinerne Blässe überzog plötzlich sein Gesicht. Er taumelte auf einen Hocker zu, sank darauf nieder. Mit der Linken tastete er nach dem Herzen.

»Nehmen Sie die Hand da weg!« herrschte ihn der Marshal an.

Aber Holliday schüttelte den Kopf.

»Dem geht es nicht gut«, sagte er halblaut.

Der Salooner mußte sich jetzt an der Gardine festhalten – und dann rutschte er vom Hocker und lag auf dem Boden.

Wyatt wechselte einen Blick mit dem Georgier.

»Was ist mit ihm los?«

»Sieht nach einem Herzanfall aus.«

Holliday stand auf und beugte sich über den Wirt.

»Tatsächlich«, sagte er, als er sich wieder aufrichtete.

Es dauerte einige Sekunden, ehe der Mann wieder zu sich kam.

Es saß wieder auf dem Stuhl und blickte die beiden verdutzt an.

»He, was ist mit Ihnen los?« fragte Wyatt.

Die beiden hatten ihre Revolver längst weggesteckt.

Die kurze Ohnmacht war dem Banditen selbst unerklärlich, er wußte nicht, was geschehen war und sah verblüfft von einem zum anderen.

»Sie haben wohl einen Augenblick Pause gemacht«, meinte der Marshal.

»Was – was – meinen Sie?«

»Sie haben sich plötzlich da hingesetzt, die Augen zugeklappt und wieder aufgerissen. Das war alles.«

»Ach ja, kann sein…« Er tastete wieder nach seinem Herzen, erhob sich und ging dann zur Tür.

»Wenn Sie irgend etwas brauchen, können Sie ja rufen. In der Küche ist immer jemand.«

Plötzlich blieb er stehen und wandte sich um.

»Was war eigentlich los?«

»Nichts Besonderes. Sie werden schon noch darauf kommen.«

Der Salooner hatte den Raum kaum verlassen, als die beiden ihre Sachen zusammenpackten.

Aber da wurde schon die Tür aufgestoßen und der Wirt kam mit drei Männern herein, die ihre Revolver in den Händen hielten.

Wyatt Earp stand neben der Tür. Er packte den Wirt, den er erreichen konnte, mit der Linken und schleuderte ihn in den Raum zurück.

Da drangen die drei anderen Männer sofort hinterher.

Wyatt schlug den ersten nieder, mußte sich aber auch gegen die beiden anderen zur Wehr setzen, da der Wirt mit Doc Holliday kämpfte.

Es war ein harter, aber sehr kurzer Kampf.

Nur eine Minute später waren die Outlaws überwunden.

Der Hoteleigner William S. Sheeker lag an Händen und Füßen gefesselt auf dem Boden und schoß aus spaltengen Augen gallige Blicke auf den Marshal und seine Gefährten.

»Los, hinaus in den Hof!«

Wyatt Earp führte die entwaffneten Männer in den Hof, wo Doc Holliday sich nach Pferden umsah.

Wyatt Earp hatte nicht die Absicht, die Banditen zu dem hiesigen Sheriff zu bringen.

Wenn die Galgenmänner irgendwo hier hinter Schloß und Riegel sitzen sollten, dann nur bei Ed Masterson in McNeal.

Sie verließen den Hof durch eine Seitengasse und preschten aus der Stadt.

Nirgends war ein Mensch zu sehen.

Doc Holliday und Wyatt Earp ritten hinter den Outlaws her.

»Ein verdammt unheimliches Nest, dieses Chiricahua«, meinte der Spieler.

Der Marshal nickte.

Der Weg hinauf nach McNeal war nicht sehr weit. Und da waren die Gefangenen in besten Händen. Auf diesen Sheriff konnte sich Wyatt Earp verlassen. Sicher wurden sie im Jail untergebracht.

Es war dunkel, als sie wieder in Chiricahua ankamen.

Wyatt Earp hatte keineswegs die Absicht, den Mörder und Bankräuber Jake Halbot entkommen zu lassen.

Im Saloon trafen sie nur eine Frau an, die in der Küche arbeitete.

Sie war taubstumm.

Wyatts Verdacht, daß sie sich nur verstellt haben könnte, wurde von Doc Holliday zerstreut.

»Sie ist wirklich taubstumm«, bestätigte der Georgier.

Als sie das Haus wieder verließen, kam ihnen ein alter Mann entgegen. Er hatte einen grauen Kinnbart und ging vornübergeneigt.

»Wo ist das Sheriffs Office?«

»Da vorn an der Ecke, Mister.«

Die beiden überquerten die Straße.

Doc Holliday blieb draußen vor der Tür bei den Pferden.

Als Wyatt eintrat, sah er sich einem noch sehr jungen Mann gegenüber, der die Beine gespreizt hatte und beide Hände auf die Revolverkolben stützte.

Er machte dem Missourier keinen angenehmen Eindruck. Im diffusen Licht der kleinen Kerosinlampe war sein Gesicht nicht sehr deutlich zu erkennen.

Wyatt blieb neben der Tür stehen:

»Mein Name ist Earp, Sheriff. Ich suche einen Mann namens Jake Halbot. Er ist heute früh durch die Stadt gekommen.«

Der Sheriff zog langsam die Schultern in die Höhe und ließ sie wieder fallen.

Da trat Wyatt auf ihn zu und trat dicht an ihn heran.

»Hören Sie zu, Mann! Wenn Ihnen etwas an Ihrem Job liegt, dann denken Sie mal etwas schärfer nach.«

Der Sheriff war also offenbar über alles informiert, jedenfalls über das, was sich heute mittag drüben im Hotel ereignet hatte.

»Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen, Mr. Earp.«

»Das ist sehr bedauerlich für Sie, Sheriff.«

Der junge Mann zog die Brauen zu einem Strich zusammen.

»Was soll das heißen?« fragte er unsicher.

»Das können Sie sich selbst ausrechnen. Ich folge einem Mörder – und Sie verheimlichen mir etwas!«

»Aber…«

»Schon gut, Sheriff.« Wyatt tat, als wolle er gehen.

Da rief ihn der junge Mann zurück:

»Mr. Earp!«

Wyatt blickte über die Schulter zurück:

»Was gibt es noch?«

Der Sheriff kam auf ihn zu und stieß heiser hervor.

»Ich kann auch nichts Genaues sagen, weil ich nichts Genaues weiß. Aber ich habe gehört, daß der Mann, den Sie suchen, heute morgen hier durch die Stadt gekommen und nach Süden weitergeritten sein soll. Aber sicher weiß ich es nicht.«

»Nach Süden, so. Wohin denn?«

»Ich weiß es nicht. Irgendwo nach Süden hat es geheißen.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wer. Aber mehrere Leute sprachen davon.«

»Nennen Sie mir einen, damit ich mit ihm sprechen kann.«

»Ich kann mich nicht mehr erinnern…«

Wyatt nickte. Dann ging er hinaus.

Er war davon überzeugt, daß der Sheriff in Angst um seinen Posten die Wahrheit gesagt hatte.

Die beide Dodger verließen die Stadt in südlicher Richtung und hielten auf den Paramorekrater zu.

Schon nach wenigen Meilen tauchte im Süden der zackige Bergkegel vor ihnen auf.

Wyatt Earp hielt seinen Falben an.

»Wissen Sie, was das da vorne ist?«

»Keine Ahnung.«

»Das ist der Paramorekrater.«

»Und –?«

»Auf seiner Südseite entspringt der San Pedro Creek…«

Sie waren also wieder auf dem Trail zum San Pedro Valley.

»Mir ist da ein ganz eigenartiger Gedanke gekommen«, meinte der Marshal. »Ich werde plötzlich das Gefühl nicht los, daß sich Halbot in einer eigenartigen Richtung vorwärtsbewegt.«

Der Georgier nickte. »Ja, darüber habe ich auch gerade nachgedacht. Ich würde mich nicht sehr wundern, wenn wir ihm im San Pedro Valley begegnen würden…«

*

Es war Abend.

Über dem flachen San Pedro-Tal stand blauschwarz-violetter Himmel, an dem Myriaden von Sternen funkelten.

Das Tal war zwar nicht tief, aber doch wirkte es seltsam unheimlich. Seine Eintönigkeit wurde von wenigen Turmkakteen, Büschen und dunklen Felsbrocken unterbrochen.

Sie ritten schon mehrere Stunden südostwärts, ohne auch nur die Spur eines Anwesens entdeckt zu haben.

Gegen zehn Uhr etwa hielt der Missourier seinen Falbhengst an und stieg aus dem Sattel.

»Wir werden eine kleine Pause einlegen«, sagte er leise.

Holliday glitt ebenfalls aus dem Sattel und führte die Pferde zu einem Gesträuch hinüber. Sie blickten durch das Tal nach Südosten.

Der Georgier hatte sich eine Zigarette angezündet und meinte:

»Ziemlich merkwürdige Gegend hier.«

Wyatt nickte. »Ja, man hat das Gefühl, daß man nicht laut husten darf.«

»Irgendwie erinnert mich das an Indianerland.«

»Das ist es auch ganz sicher gewesen. Wenn ich mich nicht irre, haben hier die Chiricahuas gehaust.«

Der Georgier zog noch einmal an der Zigarette und ließ sie dann in den Sand fallen, um sie auszutreten.

»Die Roten sind verschwunden – aber den Hauch des Unheimlichen haben sie zurückgelassen.«

Sie hielten ein kurzes Mahl und zogen sich dann wieder in die Sättel, um ihren Ritt fortzusetzen.

Der Marshal ritt jetzt voran. Nicht, weil etwa der Weg schmal geworden wäre, sondern weil sie so besser Ausschau nach allen Seiten halten konnten.

Holliday, der sonst absolut nicht ängstlich war, blickte sich immer wieder um, da er das Gefühl nicht los wurde, von hinten beobachtet zu werden.

Jetzt wurde das Tal vor ihnen enger und düsterer.

Wyatt Earp hielt den Falben wieder an und wartete, bis der Gefährte neben ihm war.

»Wir müssen uns teilen.«

»Zu den Hängen hinauf?«

»Ja. Es ist zu gefährlich, hier unten weiterzureiten.«

Der Marshal ritt links den Hang hinauf zu dem Hügelkamm, der die Talgrenze auf dieser Seite bildete, und der Georgier ritt nach rechts hinüber.

Beide hielten sie jetzt oben auf den Kämmen und mußten aber feststellen, daß sie auch von hier aus keinen weiten Blick hatten, denn das Tal war jetzt so sehr verengt und in Düsternis gehüllt, daß noch weniger zu erkennen war als unten von der Talsohle aus.

Zwei Meilen ritten sie so vorwärts, als der Marshal plötzlich sah, daß der Georgier den Arm hob. Er sah die weiße Manschette des Spielers in der Dunkelheit schimmern.

Er trabte deshalb dem Freund auf der Talsohle entgegen.

Der Spieler deutete in das Tal hinein.

»Ich habe da hinten einen Lichtschein gesehen.«

»Wie weit entfernt?«

»Schwer zu sagen. Eine halbe Meile vielleicht. Vielleicht ist es auch weiter entfernt.«

Sie stiegen von den Pferden und gingen jetzt langsam vorwärts.

Das Tal machte plötzlich eine scharfe Wendung nach Westen und dann eine weitere Biegung nach Süden hinüber. Ganz plötzlich sahen sie mehrere Bauten vor sich auftauchen.

Frappiert blieb der Missourier stehen und wartete, bis Holliday, der hinter ihm her kam, herangekommen war.

»Was sagen Sie dazu?« flüsterte er.

Der Spieler lächelte leise in sich hinein.

»So habe ich mir das Nest des McLowerys vorgestellt.«

»Ein Glück, daß wir oben auf den Kämmen geritten sind. Hier unten hätten wir es erst ziemlich spät bemerkt.«

Sie führten die Pferde in eine Geröllhalde und gingen dann zu Fuß weiter.

Da der Boden jetzt steinig geworden war, hätte sie das harte, unvermeidliche Klingen der Pferdehufe weithin verraten.

Sie schlichen bis an die Bauten heran und sahen, daß sie von einer sehr hohen Pfahlwand umgeben war.

»Damned, haben die sich verschanzt«, zischte der Spieler.

Das Tor war verschlossen.

»Wir werden um die Fenz herumgehen. Vielleicht findet sich irgendwo eine Öffnung.«

Holliday machte sich auf den Weg, um die Ranch links zu umgehen, und der Missourier blieb auf der rechten Seite.

Wyatt war noch nicht weit gekommen, als er an der rechten Seite der Pfahlwand eine Pforte erblickte, die zu seiner Verwunderung nicht ganz geschlossen war.

Wyatt lief sofort zurück und holte den Freund, um ihn nicht unnötigerweise um das ganze Anwesen herumlaufen zu lassen.

Holliday blickte über die Schulter des Missouriers und meinte: »Sieht aus wie ein Mauseloch, vor dem die Katze wartet.«

Wyatt nahm den Hut ab, setzte ihn auf den Lauf des großen Buntline Revolvers und schob ihn vorsichtig durch die Öffnung der Pforte.

Es geschah nichts.

Da hob Wyatt die Tür etwas an und schob sie ganz auf. Im fahlen Sternenlicht konnten sie sehen, daß niemand hier an der Fenz stand.

Wenn ihre Annäherung beobachtet worden war, so konnte der Gegner nur drüben in dem tiefen Schwarzdunkel des Wohnhauses stehen.

Dann allerdings mußte er sie hier an dem hellen Türloch sofort bemerken.

Die beiden kauerten tief am Boden und blickten in den Hof.

»Es hat keinen Zweck«, flüsterte Wyatt. »Es sieht tatsächlich wie ein Mauseloch aus. Wenn da drüben nur ein Mann mit einem Gewehr steht, kommen wir keine zwei Schritte weit.«

Sie zogen sich wieder zurück und setzten gemeinsam den Weg um die Fenz fort.

Aber nach einer halben Stunde waren sie wieder vorne am Tor, ohne irgendwo eine zweite Einstiegsmöglichkeit gefunden zu haben.

Holliday schlich sich näher an das Tor heran und wandte sich dann zu dem Marshal um.

»Vielleicht erwarten sie uns hier am wenigsten.«

Wyatt nickte. »All right. Aber dann müssen Sie hinübersteigen. Ich bin zu schwer.«

Der Georgier nickte.

Wyatt stellte sich mit dem Rücken so gegen das Tor, daß Holliday auf seine Hände und dann auf seine Schultern steigen konnte.

Holliday folgte nun dem Beispiel des Marshals, nahm den Hut ab und setzte ihn auf den Lauf seines Revolvers, den er einen Yard neben sich über die Fenz hob.

Es geschah nichts. Da riskierte der Gambler einen Blick über den Rand der Fenz.

Vor ihm lag im diffusen Sternenlicht der weite Ranchhof.

Links war das langgestreckte Wohnhaus, rechts schien das Bunkhaus zu sein.

Den Abschluß bildete eine große Scheune, ein flaches, langgestrecktes Stallhaus.

Links und rechts vorn bis zum Tor hin waren kleinere Schuppen und Wagendächer.

Holliday bückte sich und berichtete dem Marshal.

Doc Holliday schob sich über die angespitzten Pfähle des Tores und ließ sich vorsichtig in den Hof hinunter. Sofort nahm er den schweren eisernen Torriegel zurück und öffnete dem Marshal.

Wyatt Earp trat in den Hof und schloß das Tor hinter sich.

Dann zog er den Freund in das Dunkel unter dem Wagendach.

Hier standen sie verhältnismäßig sicher und konnten den Hof überblicken.

Hinten rechts an der langen Fenzwand war die kleine Pforte.

»Ich möchte bloß wissen, wo ich das Licht vorhin gesehen habe.«

Wyatt gab zu bedenken, daß seitdem eine ganze Weile verstrichen war:

»Vielleicht hat noch einer aufgesessen, der sich inzwischen zu Bett gelegt hat.«

»Sieht mir nicht danach aus, als ob hier jemand schliefe«, flüsterte der Spieler tonlos.

Auch der Missourier hatte nicht das Gefühl, daß hier friedliche Nachtruhe gehalten wurde.

Im Gegenteil: er wurde den Argwohn nicht los, daß sie hier erwartet worden waren. Zu verdeckt lag die Ranch im Tal, befestigt wie ein Indianerfort aus den Befreiungskriegen. Aber andererseits war es doch nicht anzunehmen, daß die McLowerys – und um deren Ranch handelte es sich ganz sicher – ständig in Alarmbereitschaft lebten.

Wenn es jedoch das geheime Lager der Graugesichter war, dann wurde es bestimmt ständig bewacht und die Annäherung der beiden war längst bemerkt worden. Aber dann funktionierte diese Wache geradezu unheimlich lautlos, denn die beiden hatten nicht das geringste bemerken können; und Wyatt Earp war doch so vorsichtig vorgegangen, daß er einen Wachtposten hätte bemerken müssen, bevor dieser ihn sah.

Tiefe Stille lastete über dem Hof.

Sollten die Leute hier in dieser Einöde keinen Hund haben?

Holliday stieß den Marshal an und deutete auf eine Pferdedecke, die über einer Wagenkante hing. Darauf waren drei große gelbe Buchstaben eingestickt: McL.

McLowery. Das war also die Bestätigung.

Wyatt Earp hatte ohnehin nicht daran gezweifelt.

Die beiden standen eine Weile lauschend nebeneinander und blickten auf das Wohnhaus hinüber.

Dann gab der Marshal dem Spieler mit der Hand ein Zeichen und stahl sich tiefer im Schatten des Wagendaches davon.

Holliday blieb neben dem Wagen stehen und blickte hinter dem Missourier her.

Wyatts Gestalt war bald im Dunkel verschwunden.

Dicht an die Wand des Schmiedeschuppens gepreßt, schob sich Wyatt Earp vorwärts, dem Wohnhaus entgegen.

Etwa fünfzehn oder achtzehn Yard lag das Wohnhaus von der Schmiede entfernt.

Auf dieser Strecke gab es keine Deckung für den Marshal.

Wyatt sah sich noch einmal prüfend nach allen Seiten um, dann lief er leise auf Stiefelspitzen hinüber.

Als er die Hauswand erreicht hatte, hielt er inne und lauschte mit angehaltenem Atem.

Auf dem Hof war alles still.

Vorn, neben dem Tor, irgendwo im Dunkel des Wagenschattens mußte der Spieler stehen; er war nicht zu sehen.

Vielleicht war es nicht notwendig, so besonders vorsichtig vorwärts zu gehen, aber da der Marshal genau wußte, wo er sich hier befand – nämlich auf dem Hof der McLowerys! – ließ er alle nur mögliche Vorsicht walten.

Er überlegte einen Augenblick, ob er vorne um das Haus herumgehen sollte, oder ob er versuchen sollte, an der Rückwand entlangzuschleichen, um dort einen Eingang zu finden.

Denn – daß er in dieses Haus mußte, stand für ihn fest. Wenn es hier irgend etwas zu entdecken gab, dann höchstwahrscheinlich im Wohnhaus.

Er ging geduckt und wieder auf Zehenspitzen bis zur hinteren Hausecke und blickte dann an der langen Rückfront des Hauses entlang.

Hier war es dunkel, und er konnte sich aufrecht fortbewegen.

Nach vier Yard kam das erste Fenster.

Wyatt bückte sich, schlich darunter weg und hielt es auch bei dem nächsten Fenster so. Als er etwa fünfzehn oder zwanzig Schritt zurückgelegt hatte, stellte er fest, daß er die Hälfte des Hauses hinter sich hatte.

Und noch immer keine Tür.

Sollten die Bewohner dieser Ranch wirklich keinen Rückausgang für ihr Wohnhaus haben?

Wyatt schlich weiter, kam an mehreren Fenstern vorbei und erreichte schließlich das Ende der Rückfront des Hauses. Nie und nimmer hätte er gerade die McLowerys für so kurzsichtig gehalten, sich nicht einmal eine Nottür auf der Rückseite des Hauses einzubauen.

Da ihn der Gedanke einfach nicht losließ, daß ein Mann wie der gerissene Frank McLowery hier hausen sollte, ohne für eine solche Tür gesorgt zu haben, kehrte er wieder um und tastete sich erneut an der Wand entlang.

Plötzlich fühlten seine Finger in den Balkenlagen einen Schnitt. Vorsichtig tastete er ihn ab und fand – eine Tür.

Sie war so raffiniert in das Holz eingelassen, daß man sie bei Dunkelheit und bloßem Vorbeigehen kaum bemerken konnte.

Wyatt hatte nicht etwa damit gerechnet, durch eine solche Tür in das Haus kommen zu können, aber vielleicht brauchte er sie nachher, um wieder hinauszukommen.

Die Fenster waren alle, so weit er das feststellen konnte, geschlossen.

Er mußte also versuchen, eines dieser Fenster anzuheben.

Er nahm das Bowiemesser aus dem Gurt und schob es zwischen die Fensterbank und den Rahmen.

Das Fenster ließ sich sehr leicht anheben, da es offenbar nicht ganz geschlossen war.

Wyatt schob es so hoch, wie er es für den Einstieg benötigte, zog sich am Sims hinauf und jumpte über die Fensterbank in den Raum.

Vorsichtig auf Zehenspitzen, kam er drinnen auf dem Boden auf und duckte sich unter das Fenster nieder. Reglos verharrte er so eine Weile und lauschte. Der Raum schien leer zu sein. Er war weiß getüncht, und rechts an der Wand stand eine leere Bettstelle. Links ein Tisch und ein Stuhl davor. Das war das ganze Mobiliar dieser kleinen Kammer.

Vielleicht das Zimmer eines der beiden toten McLowery-Brüder.

Wyatt ging leise bis zur Zimmertür und betätigte den Messingdrehgriff.

Als er die Tür etwas anhob, ließ sie sich fast geräuschlos öffnen.

Er lauschte in den dunklen Gang, blickte nach links und sah ein winziges Fenster, das ihm die rückwärtige Tür verriet.

Diesen Ausgang mußte er sich zunächst offenhalten.

Er bewegte sich lautlos auf die Tür zu und tastete sie an der Riegelseite

ab.

Die Angeln waren rechts, also mußte der Riegel links sein.

Es war nicht nur ein Riegel – sondern vier. Zwei oben und zwei unten. Wyatt zog sie der Reihe nach auf und griff dann nach der schweren Klinke. Leise knarrend öffnete sich die Tür.

Wyatt schloß sie wieder und schob nur einen Riegel vor.

Dann wandte er sich um und ging weiter durch den Gang der Tür zu, die in den Hof führte.

Obgleich er sich lautlos wie ein Apache bewegt hatte, vermochte er nicht zu glauben, daß es ihm wirklich gelungen wäre, unbemerkt in das Anwesen der McLowerys zu gelangen. Zu gefährlich, zu raffiniert waren diese Männer hier aus dem San Pedro Valley. Wer in dieser Einsamkeit lebte, sich in einem so abgelegenen Tal derart verbarrikadiert hatte, der sorgte besser für seine Sicherheit. Auf jeden Fall ließ er nicht irgendwo ein Schlupfloch offen. Und die kleine Pforte drüben an der Fenz war ja nicht geschlossen gewesen, wenn sie auch nicht direkt offengestanden hatte. Well, vielleicht hatte einer der Cowboys vergessen, sie zu schließen.

Cowboys? Gab es hier Cowboys? Die Ranch wirkte verlassen – ausgestorben, tot.

Und dennoch mußten die McLowerys Cowboys haben, wenn sie diesen großen Hof hier halten wollten, zu dem bestimmt ein gewaltiges Areal gehörte.

Wyatt stand jetzt neben einer Tür auf der linken Flurseite, die nach seiner Annahme zu der Wohnstube des Hauses führen mußte.

Er langte nach dem Messinggriff und drehte ihn unendlich langsam nach links. Dann hob er die Tür gleichzeitig mit dem Griff an, und als er sie losließ – er kam ja nicht umhin –, knarrte sie leise.

Er blieb stehen und lauschte mit angehaltenem Atem ins Haus.

Es blieb alles still.

Der Raum vor ihm lag fast in völligem Dunkel da, denn die drei kleinen Fenster rechts, die zum Hof führten, ließen nur wenig Licht herein. Das mußte selbst tagsüber ein sehr finsteres Zimmer sein.

Wyatt tastete sich an der Tür vorbei zur Wand hin in die dunkelste Ecke auf der linken Seite, um von hier aus gegen das Licht der Fenster – den Raum besser übersehen zu können.

Es war ein ziemlich großes rechteckiges Zimmer. In der Mitte stand ein großer Tisch, drumherum mehrere Stühle. Rechts an der Wand stand eine Art Kommode, links ein langer, flacher kredenzartiger Schrank. Im Hintergrund des Raumes war es dunkel, und Wyatt konnte nichts erkennen.

Er kauerte eine Weile tief am Boden und starrte in den Raum.

Seine Augen hatten sich jetzt gut an die Dunkelheit gewöhnt, aber er konnte doch nicht sehen, was hinten in dem letzten Drittel des Raumes stand.

Langsam bewegte er sich, vorsichtig einen Hocker umgehend, an einem alten Sessel vorbei und hatte schließlich eine Art Portiere erreicht, die aus schwerem Samt sein mußte.

Das letzte Drittel des Raumes, das hinter ihm lag, schien in ägyptische Finsternis gehüllt.

Wyatt hatte sich an die Erde gelegt und tastete sich mit den Fingern vorwärts.

Plötzlich zuckte er zusammen.

Die Finger seiner Linken waren an einen Gegenstand gestoßen, der ein Stiefel sein konnte.

Unendlich vorsichtig tastete Wyatt ihn ab.

Tatsächlich, es war ein Stiefel.

Sekundenlang verharrte der Missourier reglos am Boden. Dann richtete er sich auf und tastete vorwärts – und fand eine Fortsetzung über dem Stiefelschaft.

Ein Bein, ein menschliches Bein.

Der Marshal hatte den schweren Buntline Special in der linken Hand und zog den Hahn zurück.

Gleichzeitig riß er mit der Linken ein Zündholz an, das er nur kurz aufblitzen und dann verlöschen ließ.

Das Bild, das der schwache Lichtschein für den Bruchteil einer Sekunde vor ihm aus der Dunkelheit hervorzauberte, war mehr als schreckerregend.

In einem ungewöhnlich hohen Lehnstuhl saß ein uralter Mann. Sein Gesicht war eingefallen und von pergamentartiger Haut überzogen, die von Tausenden von Falten zerschnitten und zersägt schien.

Der Mann hatte einen kahlen Schädel, dessen Anblick unwillkürlich die makabre Ähnlichkeit mit einem Totenschädel aufzwang.

Tief in den Höhlen lagen die Augen, die von rötlichem Licht bedeckt waren.

Der Mund lag hart unter der Nase und war ein an seinen Enden nach unten gebogener scharfer Strich, der von vielen Querstrichen zerschnitten wurde. Scharf und spitz schob sich das Kinn nach vorn, und aus dem faltigen Hals stach ein eckiger Adamsapfel hervor. Der dünne, sehnige Hals war lang und wurde von einem schwarzen Halstuch umrahmt.

Der Mann saß aufrecht in dem hölzernen Lehnstuhl, trug ein verwaschenes blaues Hemd und eine braune Jacke und ebensolche Hosen, die in den Stiefelschäften steckten. Die beiden Unterarme lagen auf den hölzernen Armlehnen des Stuhles, und die spinnenartigen langfingrigen gelben Hände hatten sich in die Löwenköpfe verkrallt, die die Enden der Armlehnen bildeten.

Wie versteinert stand der Missourier da und starrte in die Dunkelheit, aus der das Zündholz für einen Herzschlag lang dieses erschreckende Bild hervorgerissen hatte.

War es ein Spuk? Gaukelten ihm die überreizten Nerven dieses scheußliche Bild vor?

Der Marshal hatte schon viele alte Männer gesehen. Vor Jahren einmal war er unten in Kansas, als er gegen Big Bill Cumberland kämpfte, einem steinalten Mann begegnet, der aber gegen dieses skelettartige Wesen hier noch jung gewirkt hatte.

War der Methusalem, der hier vor ihm hockte, vielleicht tot?

Wyatt schob den Revolver vor, tatsächlich in der winzigen Hoffnung, die Laufmündung möge keinen Widerstand finden, aber die Waffe stieß nach einem Yard gegen etwas Hartes, ohne ein Geräusch zu machen.

Der Buntline Special wurde von der Jacke des Greises aufgehalten.

Unwillkürlich nahm der Marshal auch den anderen Revolver aus dem Halfter.

Wieder verstrichen drei Sekunden. Dann drang ein leises, scharfes, zischendes Geräusch an sein Ohr – und ein Zündholz blitzte auf.

Der Greis hatte es in seiner linken Hand und hielt es an eine Kerosinlampe.

Der Marshal stand in äußerster Anspannung da und starrte auf das gespenstische Bild.

Der Alte hatte seine knöcherne, zitternde Hand über den Docht gebracht, und jetzt zuckte die kleine Flamme blakend auf.

Der Greis setzte den Zylinder drüber und den grünen Schirm darauf.

Dann rutschte die Hand wieder auf die Stuhllehne zurück, und die langen Finger krallten sich um den primitiv geschnitzten Löwenkopf.

Der Marshal hatte sich nicht bewegt.

Kein Muskel zuckte im Gesicht des Alten. Wie aus Stein gehauen saß er da. Hätte der Marshal nicht selbst erlebt, daß er sich eben bewegt hatte, daß er den Arm zu der Lampe hinüber geschoben hatte – er hätte ihn auch jetzt für tot gehalten.

Mit geschlossenen Augen, aber sehr aufrecht, lehnte der Methusalem in seinem Stuhl. Der grüne Lampenschirm warf ein geisterhaftes Licht auf sein Gesicht.

Wieder verstrichen Sekunden.

Dann sprangen die Lippen des Alten wie Gesteinsbrocken plötzlich auseinander. Heiser und hohl kam die Stimme aus dem Mund des Alten:

»Was wollen Sie?«

Während er sprach, zitterte nicht nur sein Schädel, der gefährlich auf dem dürren Hals hin und her schwankte, sondern auch seine Hände und sein ganzer Körper bebten.

»Ich suche Kirk McLowery.«

»Kirk?«

Ein Hüsteln erschütterte den skelettartigen Körper des Greises.

»Was wollen Sie von ihm?«

»Ich habe mit ihm zu sprechen.«

»Ja, das kann ich mir denken, versetzte der Alte, und wieder packte ihn der Hustenkrampf und schüttelte ihn scheußlich hin und her.

Wyatt hatte den Revolver sinken lassen.

»Haben Sie was zu rauchen?« fragte der Alte plötzlich.

Wyatt starrte den Alten verblüfft an, griff dann aber in die Tasche und zog eine seiner großen schwarzen Zigarren hervor, die er dem Alten hinreichte.

Der stieß seine rechte Hand blitzschnell vor und griff danach. Ruckartig riß er die Zigarre an sich und schob sie in einen Winkel seines zahnlosen Mundes.

Dann riß er ein Zündholz an und hielt es mit zitternder Hand an die Zigarrenspitze.

»Sie können wieder gehen.«

»Wo finde ich Kirk McLowery?«

Da schüttelte plötzlich ein hysterisches Lachen den schlotternden Körper des Alten:

»Sie fragen zuviel, Mister, hihihihi!«

Wyatt wiederholte seine Frage.

Da paffte der Alte eine dünne blaue Wolke vor sich hin und sagte: »Ich bin Kirk McLowery.«

Wyatt durchforschte die Runenlandschaft des Greisengesichtes.

Sollte dieser Mann der Vater der drei McLowerys sein?

Der Marshal konnte es sich nicht gut vorstellen. Denn dieser Mann hier war doch bestimmt weit über neunzig Jahre alt.

Da lachte der Alte wieder scheppernd.

»Ja, ich bin Kirk McLowery. Ich bin hergekommen, als die Indianer noch hier hausten. Ja, das ist schon lange her. Sehr lange.«

»Sind Sie Kirks Vater?«

»Kirk? Ach, Sie meinen den Bengel, den jungen! – Das ist mein Enkel.«

»Ist er jetzt hier auf der Ranch?«

»Nein.«

»Wo kann ich ihn finden?«

»Das weiß der Teufel!«

Der Alte hatte sich am Rauch verschluckt und hüstelte, daß es einen erbarmen konnte.

Warum saß er hier im Stuhl und lag nicht in seinem Bett? Hatte er auf jemanden gewartet?

Wyatt war immer noch von seinem Argwohn beherrscht. Da er aber hier, wo er jetzt stand, vom Hof her nicht gesehen werden konnte, weil er von der Portiere verdeckt wurde, machte es ihm im Augenblick nichts aus, daß der Alte die Lampe angezündet hatte.

»Und wo Phin ist, wissen Sie das vielleicht, Mr. McLowery?«

»Phin?« Der Alte schien nachzudenken. Plötzlich zog er seine fast haarlosen Brauen hoch in die Stirn und hatte Hunderte von Falten bis weit den Schädel hinauf. »Phin, ja, Phineas Clanton, meinen Sie sicher, ja, ja, der ist auch hier.«

»Auch?« Wyatt schob sich unwillkürlich näher an die Wand heran. »Wo ist er?«

»Na, wo er ist, jetzt, weiß ich nicht. Er ist oftmals hiergewesen. Ich habe ihn erst vor ein paar Jahren noch hier gesehen.«

Erst vor ein paar Jahren. Für diesen Mann schien die Zeit absolut keine Rolle zu spielen.

Wie alt mochte er sein? Aber es war für den Marshal jetzt nicht die Zeit, sich mit diesem Gedanken zu beschäftigen. Er befand sich auf der Ranch der McLowerys und wurde nach wie vor das Gefühl nicht los, daß er hier in die Höhle des Löwen geraten war. Warum lag dieser alte Mann nicht im Bett?

Warum saß er hier im Dunkeln und hatte sich nicht bemerkbar gemacht?

»Setzen Sie sich, Mister, wenn Sie ein Freund von Kirk und Phin sind. Freunde sind uns immer willkommen gewesen. Früher, als Joe, mein Sohn, noch lebte, hatten wir öfter mal Freunde hier. Manchmal kam sogar jedes Jahr einer von Tombstone herunter. Oder drüben von Bisbee herauf. Ja, das waren noch Zeiten. Aber seit die Jungens da sind, ist das alles ganz anders. Ganz, ganz anders, das kann ich Ihnen sagen. Hahahaha. Sie können mir noch eine Zigarre hierlassen. Die sind nicht schlecht. Früher hatte ich auch einmal Geld, mir solches Zeug zu kaufen. Dann hat Joe selbst hier Tabak angebaut. Aber er verstand nichts davon. Schmeckte wie Fußlappengemüse. Hehehehe.«

Wyatt hatte das Gefühl, daß der Alte mit seinen Worten und seinem Lachen irgend etwas übertönen wollte. Angestrengt lauschte er in das Haus hinein.

Vielleicht war sein Argwohn unbegründet. Aber er saß nun einmal in seiner Brust und ließ sich nicht verdrängen.

»Sie können sich ruhig etwas setzen. Wollen wir eine Runde pokern? Ich kann die Kartenblätter noch ganz gut erkennen. Ich höre nur nicht sehr gut. Wenn Sie einmal da hinüber gehen, drüben im Schrank muß irgendwo noch eine Flasche Whisky stehen. Ich kann leider nicht gehen.«

Also konnte er doch unmöglich hier allein leben!

Wyatt blickte zu dem Schrank hinüber. Wenn er der Aufforderung des Alten nachkam und wirklich den Whisky holen würde, mußte er quer durch das Zimmer gehen und konnte dann vom Lampenschein beschienen von draußen mühelos gesehen werden.

»Ich habe keine Zeit, Whisky zu trinken, Mr. McLowery. Ich muß mit Kirk und Phin sprechen.«

»Ja, ja, das sagten Sie schon.«

»Sie können die Lampe wieder löschen, Mr. McLowery.«

»Ach, lassen Sie sie nur an. Wir haben noch ein paar Fässer Petroleum.«

Wyatt beugte sich rasch vor und holte die Lampe zu sich herüber, um sie zu löschen.

»Was gibt es denn?« fragte der Alte.

Sollte er etwa gar nicht sehen können, hatte er die Lampe nur aus einer alten Gewohnheit heraus angezündet?

»Brauchen Sie das Licht noch, Mr. McLowery?«

»Nein, nein, ich brauche sie nicht. Sie können sie ausmachen.«

»Well, Mr. McLowery, dann will ich mich verabschieden.«

»Ja, ja, lassen Sie noch eine Zigarre hier?«

Wyatt zog noch eine Zigarre aus der Tasche und gab sie dem Alten in die Hand.

Dann duckte er sich wieder nieder und wollte hinaus in den Flur gehen. In diesem Augenblick hörte er draußen ein Rumpeln und Poltern.

Doc Holliday! War er aufgespürt worden?

Wyatt mußte hinaus.

Er benutzte den rückwärtigen Ausgang, lief am Haus entlang und als er die Ecke des Schmiedeschuppens erreichte, sprangen plötzlich mehrere Männer aus dem Dunkel auf ihn zu und rangen ihn nieder.

Es gelang ihm noch einmal, sich loszureißen, einen Mann zur Seite zu schleudern, den zweiten mit einem fürchterlichen Backhander zurückzuschleudern, den dritten, der ihn von vorn packen wollte, mit dem vorgestreckten Kopf zurückzuschieben. Dann aber sprangen ihn von hinten zwei Männer zugleich an. Ein dritter rammte ihn von der Seite. Der, den er zurückgeschleudert hatte, hechtete ihm von vorn entgegen und packte ihn an den Beinen.

Wie Zentnergewichte hingen die Männer an dem Missourier, und auch drüben unter dem Wagendach tobte der Kampf offensichtlich noch.

»Ich gebe auf«, sagte Wyatt.

Die Männer stellten ihre Schläge ein, hielten ihn aber vielarmig fest.

Drüben, unter dem Wagendach hervor, schleppten mehrere Männer den Spieler.

Die beiden Überwältigten wurden ins Wohnhaus gebracht. Einer der Männer riß ein Zündholz an und hielt es an eine Kerosinlampe, die Wyatt vorhin schon auf dem Tisch bemerkt hatte. Sie war groß und streute ein helles gelbliches Licht über den vorderen Teil des Raumes.

Die beiden sahen sich von einer Reihe abenteuerlich wirkender Gestalten umgeben.

Es waren sieben Männer.

Vier hatten den Marshal überfallen und drei andere hatten den Spieler am Tor gestellt.

Plötzlich war im Hintergrund des Raumes ein Geräusch zu hören.

Wyatt wandte den Kopf und sah zu seiner namenlosen Verwunderung den Methusalem drüben neben der Portiere stehen. Er hatte die Zigarre noch zwischen den Lippen und blickte aus tückischen, glanzlosen Augen zu ihm herüber:

»Da sind wir ja wieder, Junge. Schön, daß du kommst…« Und dann fuhr er in schärferem Ton fort: »Seht nach, ob er noch Zigarren hat. Nehmt ihnen die Waffen ab!« kommandierte der Alte.

Da hatte man sie ja höllisch auflaufen lassen. Der Argwohn des Missouriers war also nicht unbegründet gewesen.

»Schade, auf die Pforte sind sie nicht reingefallen«, krächzte der Alte jetzt, während er näher kam und vor ihnen stehenblieb. Wie gut er plötzlich noch gehen konnte.

»Ich bin siebenundneunzig Jahre alt«, meinte er mit wackelndem Schädel.

Und jetzt sah Wyatt, daß er entsetzlich nach außen schielte. Wenn er den Kopf etwas senkte, hatte die breite, unförmige Stirn absolut kein Verhältnis mehr zu dem übrigen zugespitzten Gesicht und wirkte wie ein abgehäuteter Bockschädel. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch einen dünnen weißen Ziegenbart, der weit unter dem Kinn wuchs und den der Marshal vorhin gar nicht bemerkt hatte.

»Ja, auf den Trick sind sie nicht reingefallen. Dazu waren sie zu gerissen. Na, Jungs. Wie gefällt’s euch bei uns? Der alte McLowery ist doch auf Draht, was? Hahahaha.« Und wieder fuhr er in völlig verändertem Tone fort: »Los, schafft sie rüber ins Loch!«

Die abrupt wirkende Sprechweise des Greises erinnerte den Missourier plötzlich unangenehm an den toten Frank McLowery. Auch bei ihm war dem Marshal oft genug der plötzliche Wechsel seines Tons aufgefallen.

Als hätte er einen Ladestock im Kreuz, so stand der Alte jetzt da, hob seinen überlangen Zeigefinger und deutete zum Hof.

»Weg mit ihnen!« kreischte er hysterisch.

Sogar dieses kläffende Schreien erinnerte an den Mann, der im O.K.-Corral sein Leben verspielt hatte.

Wyatt hatte bis jetzt den Männern, die ihn und Doc Holliday überwältigt hatten, noch kaum einen Blick widmen können. Jetzt sah er sich die Gestalten an. Es waren sieben Männer in Cowboytracht, die alle eine gewisse Ähnlichkeit miteinander hatten.

Einer von ihnen trug einen Bart, wie Frank McLowery ihn getragen hatte. Und neben ihm stand ein jüngerer Bursche, der den Marshal an Kirk erinnerte.

Der Bärtige gab den anderen einen Wink, und jetzt wurden die beiden Gefangenen hinausgeschleppt und über den Hof gebracht. Drüben rissen zwei der Männer ein Schuppentor auf und stießen die beiden Gefangenen hindurch.

Einer zündete eine kleine Stallaterne an, und dann wurden die Gefangenen gefesselt und lagen jetzt am Boden.

Die sieben Figuren standen vor ihnen und starrten auf sie nieder.

Der Marshal blickte sich in der Hütte um. Sie war vielleicht fünfzehn Yard lang und acht oder neun Yard breit. Und jetzt öffnete einer der Männer rechts eine Bodenklappe und ließ eine Leiter in eine Grube hinunter.

Der alte McLowery ließ sie also tatsächlich in ein Erdloch werfen, das hier auf der Ranch wohl eine Art Gefängnis darstellte.

Mitleidlos blickten die hartgesichtigen Männer auf die beiden Gefangenen nieder.

Waren sie also dazu ins San Pedro Valley geritten, um hier von einem fast hundertjährigen Greis in ein Erdloch geworfen zu werden, in dem man sie wahrscheinlich umkommen lassen wollte!

Der Marshal hatte sich keineswegs aufgegeben. Und mit einem kurzen Blick auf das Gesicht des Spielers konnte er feststellen, daß auch Doc Holliday keineswegs seine Zuversicht aufgegeben hatte.

»Ihr werdet sterben«, sagte der Bärtige, der den Marshal an Frank McLowery erinnerte.

»Ja, sicher«, entgegnete der Marshal, »wir werden alle sterben. Du auch!«

»Hört euch das an. Der hat noch ein großes Maul. Wie ist es, Tim, willst du es ihm stopfen?«

»Nicht nötig! Da unten singen sie sowieso nicht mehr lange.«

Der Bursche, der den Marshal an Kirk erinnerte, ein – im Gegensatz zu den anderen – reichlich aufgeputzter etwa zwanzigjähriger Mensch – baute sich vor Doc Holliday auf:

»Wie heißt du?«

Wie ein Glutstrom zuckte es durch den Körper des Marshals: sie haben uns gar nicht erkannt, sie wissen überhaupt nicht, wer wir sind!

Hollidays Gesicht blieb unverändert, als er entgegnete:

»Du könntest Kirk McLowery sein. Freut mich, dich einmal zu sehen. Hatte es mir schon lange gewünscht.«

Der Bursche wurde tatsächlich rot, warf sich in die Brust und blähte sich auf.

»So, das freut dich also, he?«

Da stieß der Bärtige ihn an. »Mach keinen Blödsinn, spiel dich nicht auf. Du bist nicht Kirk McLowery. Du bist sein Vetter, nichts weiter. Wir alle sind seine Vettern.«

Sollte es etwa möglich sein, daß diese sieben Männer hier Vettern der McLowerys waren? Ausgeschlossen war es nicht. Höchstwahrscheinlich arbeiteten sie hier auf der Ranch als

Cowboys. Und da der Vater der drei wirklichen Erben der Ranch tot war, wie der Alte erzählt hatte, Frank und Tom ebenfalls nicht mehr lebten und Kirk sich überhaupt nicht um die Ranch kümmerte, hatte der Alte sich wohl genötigt gesehen, die übrige Verwandtschaft heranzuziehen.

Das war ja der reinste Familien-Clan hier im San Pedro Valley.

Die Tatsache, daß es lauter McLowerys waren, die er um sich hatte, genügte dem Alten offensichtlich.

»Was willst du, Ted? Heiße ich nun Kirk, oder heiße ich nicht Kirk«, schnarrte der Bursche den älteren an.

»Natürlich heißt du Kirk, aber er meint den anderen. Das weißt du genau. Du bist eine Flasche gegen ihn, klar?«

Der Kirk-Abklatsch wandte sich knurrend ab und sah Doc Holliday wieder an:

»Also, wie heißt du?«

»Ich habe einen hübschen Namen, aber er wird dich nicht interessieren. Ich heiße John Henry. Schade, daß ich gefesselt bin, sonst könnten wir miteinander pokern. Ich kenne eine Menge Tricks.«

Da stieß der Alte den Kirk-Nachahmer zur Seite und fauchte Holliday an: »Deine Tricks kannst du mit in die Hölle nehmen, klar!«

Aber Vetter Kirk drängte sich wieder vor und blieb vor Wyatt stehen: »Und du, wie heißt du?«

»Ich heiße Berry«, entgegnete Wyatt.

»So, na schön. Schade um euch. Aber der Boß hat beschlossen, daß ihr in die Grube kommt. Da ist nichts zu machen.«

»Halt’s Maul und kümmere dich nicht um die Bande. Los, werft sie runter!« befahl der Bärtige.

Vetter Kirk, der sich nach Holliday gebückt hatte, um ihn über den Rand der Grube zu schieben, aus der soeben die Leiter gezogen worden war, zuckte plötzlich zurück.

Wyatt bemerkte ein Aufblitzen in den Augen des Burschen.

»He«, entfuhr es Kirk.

Dann aber schleppte er Holliday über den Rand der Grube und ließ ihn bedeutend langsamer runter, als der Gambler befürchtet hatte.

Und die beiden anderen, die den Marshal über den Rand stoßen wollten, hinderte er daran, indem er das Lassoende ergriff und den Fall damit abbremste.

Der schwere eisenbeschlagene Bohlendeckel der Grube wurde krachend zugeworfen.

Das Licht, das eben noch durch die Balkenritzen hereingefallen war, verlosch, und oben verstummten auch die Stimmen.

Es war eine volle Minute still in der feuchten Grube.

Da wandte Wyatt Earp den Kopf und fragte: »Haben Sie bei dem Überfall etwas abbekommen?«

»Nein, nicht der Rede wert. Die Burschen haben schon hinter uns gesteckt, als wir hier hereinkamen. Ziemlich dumm von ihnen, daß sie Sie zum Wohnhaus hinüberkommen ließen. Schließlich hätten Sie den Alten ja an den Kragen gehen können.«

»Vielleicht liegt der Bagage nichts an ihm.«

»Ja, sonderbar ist es schon. Aber interessant ist vor allem, daß die Brüder uns gar nicht kennen.«

»Nein, sie wissen offenbar nicht, mit wem sie es zu tun haben.«

Holliday lachte leise in sich hinein.

»Wenn Sie es gewußt hätten, lebten wir jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Glauben Sie wirklich, daß das alles Vettern der drei McLowerys sind?«

»Ich halte es für möglich.«

Es war wieder eine Weile still. Schließlich meinte Holliday:

»Tja, von mir aus können wir anfangen.«

Sie schoben sich mit den Rücken gegeneinander und begannen damit, die Fesselung der Handgelenke zu entknoten.

Es war ziemlich schwierig, da sie hart gefesselt worden waren – aber nach einer Viertelstunde waren sie beide frei.

»Jetzt fehlt uns bloß ein Revolver und ein Messer.« Doc Holliday nahm aus dem linken Stiefelschaft einen winzigen Derringer und reichte dem Marshal auch ein Messer, das er im rechten Stiefelschaft verborgen gehabt hatte.

»Und jetzt haben Sie noch einen Revolver?«

»Ja, meinen Quick Draw.«

Wyatt hatte längst vergessen, daß der Spieler immer noch diese Ellbogenwaffe bei sich trug. Jenen kleinen Revolver, der vor Jahren einmal im Westen aufgekommen war. Es war eine ziemlich gefährliche Waffe, die um den Ellbogen geschnallt zu tragen war. Wenn man den Arm hart gegen den Körper stieß, sprang einem die Waffe über eine feinmontierte Laufschiene in die Hand.

»Aber wie kommen wir hier aus dem Loch heraus?«

»Sie müssen versuchen, auf meine Schulter zu steigen und dann die Bodenklappe anzuheben.«

»Haben Sie die Dinger gesehen?«

»Ja, sie werden ziemlich schwer sein.«

Der Spieler nickte. »Ich fürchte, daß ich sie gar nicht hochbekommen werde.«

Wyatt lehnte sich an die feuchte Grubenwand, und Holliday stieg auf seine Schultern. Hier machte er sofort die böse Feststellung, daß er nur mit dem fast ausgestreckten Arm die Bodenklappe erreichen konnte.

»So wird das nichts. Sie müssen wenigstens einen halben Yard höher stehen.«

Wyatt ließ den Freund wieder herunter, und dann tasteten sie den Boden der Grube ab.

Aber nirgends war ein Stein oder ein ähnlicher Gegenstand zu finden, auf dem Wyatt Earp sich hätte stellen können.

»Dann müssen wir es anders machen.«

»Und wie?«

»Sie steigen jetzt wieder den gleichen Weg hinauf und dann noch eine halbe Etage höher.«

Als Holliday wieder auf den Schultern des Marshals stand, forderte der ihn auf, jetzt auf die Unterarme der über dem Kopf zusammengelegten Hände zu steigen.

Der Spieler tastete sich höher, hielt sich an der Wand fest und stellte sich auf die Unterarme des Gefährten.

»Das ist schon besser«, flüsterte er.

»Ich komme jetzt gut an das Holz.«

Aber die Freude der beiden wurde rasch zunichte, als der Georgier merkte, daß es nahezu ausgeschlossen war, die schwere Klappe anzuheben.

Sie versuchten es an mehreren Stellen. Aber ohne Erfolg.

Dann standen sie minutenlang auf der Sohle der Grube und suchten fieberhaft nach einem Ausweg aus ihrer Lage.

»Wir brauchen eine Art Brecheisen«, sagte der Marshal. »Ja, aber wie sollen wir daran kommen?«

»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als von hier unten aus ein Bohlenstück loszuwuchten, mit dem wir dann versuchen müssen, die Luke aufzubrechen.«

Was die beiden Männer vorhatten, war eine ungeheure Arbeit. Sie planten, ein Stück aus einer der Bohlen herauszubrechen, um eine lanzenartig zugespitzte Rammstange daraus zu fertigen. Einziges Arbeitsgerät: ein mittelgroßes Bowiemesser.

Was das Vorhaben gewaltig erschwerte, war die Tatsache, daß nur Doc Holliday arbeiten konnte, da der Marshal ja als »Untermann« ihn zu tragen hatte.

Wieder mußte der Spieler auf die Schultern des Marshals steigen, und der führte ihn kreuz und quer durch die Grube, wobei der Spieler die Holzplanken abtastete.

»Hier gibt es einen Querbalken.«

»Ja, ich habe ihn vorhin gesehen. Aber er scheint mit schweren Schrauben festgezogen zu sein. Zwar sind die Muttern hier unten, aber sie sind derartig verrostet, daß wir höchstwahrscheinlich Weihnachten noch damit beschäftigt wären, eine von ihnen zu lösen.«

»Ich habe an den Rändern der Luke Querstreben gesehen. Vielleicht käme eine von ihnen für unsere Arbeit in Frage.«

Holliday tastete sich weiter an den Bohlen entlang und hatte die Finger schon voller Holzsplitter, als er eine der beiden Schlußquerstreben über sich hatte.

»Die käme vielleicht in Frage. Aber sie ist an jeder Längsplanke mit schweren Nägeln festgenagelt. Ich fühle hier die Spitzen herauskommen.«

Wieder standen sie unten nebeneinander und beratschlagten.

»Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten«, überlegte Wyatt Earp. »Entweder wir begeben uns sofort an die Arbeit oder wir warten, bis sich oben nicht doch etwas tut. Schließlich haben wir ja zwei Schußwaffen.«

»Wenn wir uns mehrere Stunden Zeit lassen«, gab der Spieler zu bedenken, »ist die Luft hier in der Grube derartig verbraucht, daß wir eine solche Arbeit unter der Bohlendecke gar nicht mehr fertigbringen würden.«

Also entschlossen sie sich, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Holliday stieg wieder auf die Schultern des Gefährten und begann, nach Anweisung des erfahrenen Mannes, die Klinge zwischen die Querstreben und die Planken zu stoßen.

Noch waren sie nicht eine Viertelstunde bei der Arbeit und hatten sich gerade entschlossen, die erste Rast einzulegen, als sie über sich in der Hütte Schritte vernahmen. Holliday sprang sofort herunter und hielt seinen Revolver bereit. Auch der Missourier hatte den Derringer in der Faust.

Dicht preßten sie sich dort an die Wand, wo die Bohlenklappe ihre Angeln hatte.

»Haben Sie das gehört«, raunte der Marshal dem Spieler ins Ohr. »Darum ist die Platte auch so schwer. Die Halunken haben noch eine Kiste daraufgeschoben.«

Die Luke wurde angehoben, und dann hörten sie die flüsternde Stimme eines Mannes: »He, John Henry, hören Sie mich?«

Die beiden Freunde schwiegen einige Sekunden verdutzt. Dann entgegnete Holliday: »Ja, was willst du?«

»Ich bin Kirk.«

»Ja, ich weiß. Willst du uns Gesellschaft leisten?«

»Nein…,?haben Sie nicht gemerkt, daß ich Ihnen helfen will?«

»Ich habe nur gemerkt, daß du unseren Fall hier herunter etwas gebremst hast.«

»Ja. Ich will auch alles Weitere tun. Aber es ist nicht einfach. Wenn mich jemand hört, bin ich erledigt.«

»Wer soll dich schon hören?«

In den beiden Männern stieg Hoffnung auf.

Der geschickte Mann aus Georgia legte seine Angeln weiter aus:

»Wie lange sollen wir hier noch drinnen stecken?«

Es war keine Frage.

Vetter Kirk zischte sofort: »Ich bin ja schon da, John Henry. Aber es ist eben nicht so einfach…«

»Was soll das heißen!« knurrte Holliday, der jetzt tatsächlich Morgenluft witterte.

»Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen hier heraushelfen werde. Aber wenn meine Brüder etwas merken, dann ist der Teufel los. Sie haben doch keine Ahnung, daß ich…« Er beugte sich tief mit dem Kopf über den Rand der Grube. Und Wyatt Earp stieß Doc Holliday an und bedeutete ihm, rasch auf seine Schultern zu steigen.

Holliday begriff sofort und stieg die bereits erprobte Leiter hinauf und befand sich dicht neben dem Kopf von Vetter Kirk, ohne daß der etwas davon bemerkte.

Kirk flüsterte: »Ich habe den Ring ja gesehen, John Henry. Ich weiß ja, was ich zu tun habe. Sie können sich auf mich verlassen.«

Da wurde er plötzlich von einer eisernen Faust an der Kehle gepackt und nach vorn gezogen. Ein heiserer Schrei drang aus seinem Mund.

Holliday setzte ihm mit der Linken den Revolver an die Schläfe.

»Willst du wohl still sein, Bursche?«

Vetter Kirk nickte.

Holliday herrschte ihn an: »Los, zieh mich hoch!«

Kirk gehorchte. Wenige Sekunden später stand der Spieler oben am Grubenrand.

Zwei blitzschnelle Griffe, und er hatte die Revolver des Cowboys an sich genommen.

»Aber, John Henry. Ich verstehe Sie nicht.«

»Halt die Klappe, Junge, und bring die Leiter her.«

Die Leiter wurde rasch geholt, in die Grube hinuntergelassen und Wyatt Earp befand sich eine halbe Minute später ebenfalls oben.

Vetter Kirk stand zwischen ihnen.

»Was soll ich jetzt weiter tun, nachdem ich Sie befreit habe?«

Wyatt Earp begriff gar nichts. Er hörte Holliday zu seiner Verblüffung sagen: »Du weißt genau, was du zu tun hast!«

Kirk hüstelte. »Ja, natürlich…,?niemand darf irgend etwas davon erfahren, daß Sie hier sind.«

»Selbstverständlich nicht.«

»Wie hätte ich auch ahnen können, daß Sie…«

»Du sollst den Mund halten, Mensch«, fuhr ihn Holliday an.

»Ja. Sie können sich auf mich verlassen, John Henry.«

»Das hast du mir nun schon ein paarmal gesagt. Los, sieh zu, daß wir hier herauskommen.«

»Die Hütte hat einen Ausgang nach hinten.«

»Und können wir da durch die Pforte hinaus?«

»Nein, nur wenige Yards von hier entfernt ist ein großer, scharfer Hund an einer langen Kette. Er bellt zwar nicht. Aber wehe, wenn jemand durch die Pforte in den Hof kommt, der nicht zur Ranch gehört.«

»Habe ich mir doch gedacht«, flüsterte der Marshal.

»Also müssen wir hier vorn durch die Tür in den Hof?« erkundigte sich der Spieler.

»Ja.«

»Also vorwärts, geh voran!«

»Kann ich denn nicht meine Revolver wiederhaben?«

»Ich werde mir überlegen, ob du sie verdienst«, entgegnete Holliday.

Durch die Bretterritzen der Tür fiel ein schwacher Lichtschein.

Vetter Kirk ging voran. Die beiden folgten ihm.

Es ging hinaus in den Hof, an den Schuppen entlang, vorn zum Tor.

Unter dem Wagendach, unter dem Holliday vorhin überfallen worden war, blieben sie stehen.

»Habt ihr unsere Pferde auch?«

»Ja, sie sind im Corral.«

»So habt ihr uns also beobachtet, als wir hierher geritten sind?«

»Ja.«

»Wo stehen eure Posten?«

»Wir haben nur zwei Posten. Sie stehen nicht sehr weit von hier auf den Hügelkämmen und bewachen das Tal. Einer nach Norden hin, und der andere nach Süden.«

»Ist das notwendig?«

»Und ob.«

Hier hätte Holliday gern weitergeforscht, aber jetzt wurde es kritisch.

Der Mann hielt ihn für ein prominentes Mitglied der Galgenmänner. Also gehörten die McLowerys nicht alle zu der Bande. Und die Vermutung, daß die Ranch der Hauptschlupfwinkel der Graugesichter sein könnte, war falsch gewesen. Aber dieser junge Vetter Kirk gehörte der Bande an. Diese Feststellung war immerhin nicht uninteressant.

»Warum hat der Alte uns da unten einsperren lassen?«

»Weil er euch für Tramps hielt, für Rustler. Denn wenn ihr erst durch das Tal seid, ist es nicht schwer, Rinder zu stehlen und sie dann über die Grenze zu treiben.«

»Und deshalb läßt er uns gleich in die Mördergrube werfen?«

»Ihr wäret nicht lange da geblieben.«

»Was heißt: nicht lange?

»In drei Tagen wärt ihr so fertig gewesen, daß ihr auf Händen und Füßen davongekrochen wärt, wenn wir euch wieder rausgeholt hätten.«

»Auch eine Methode, sich Diebe vom Hals zu halten. Ist Joe McLowery tot?«

»Ja. Er war der jüngste Sohn des Alten. Die beiden anderen sind im Krieg gefallen. Er starb, nachdem seine Söhne Frank und Tom im O.K.-Corral gegen die Earps untergegangen sind.«

»Woran starb er?« erkundigte sich Holliday.

»Er starb vor Verzweiflung, sagen die Leute. Und sein Zorn galt nicht etwa den Männern, die seine Söhne ausgelöscht hatten, sondern seinen Söhnen, die er verachtete und als Verbrecher bezeichnete.«

»So gehörte er nicht zu den Männern Ike Clantons?«

»Onkel Joe?« fragte Kirk fast belustigt. »Nein, er nicht.«

Wyatt wandte sich an den Burschen und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Aber du bist jedenfalls ein Anhänger Ikes, nicht wahr?«

»Darauf können Sie sich verlassen. Wir warten alle nur auf sein Zeichen. Wann wird er kommen?« wandte er sich an Holliday. »Sie müßten es doch wissen.«

»Ach, das wirst du schon noch erfahren. So, und nun sieh zu, daß wir rauskommen. Mach das Tor geräuschlos zu. Und dann verschwinde zu den anderen!«

Zwei Minuten später hatten sie das Ranchtor hinter sich und beeilten sich, zu den Pferden zu kommen.

Als Doc Holliday in den Sattel steigen wollte, hielt Wyatt ihn zurück.

»Sagen Sie, wollen Sie mir Ihr Geheimnis nicht verraten, Doc?«

»Ach so«, meinte der Spieler, riß ein Zündholz an und hielt es über seine linke Hand.

Am Mittelfinger hatte er einen großen, nicht sehr schönen Ring, der auf der abgeplatteten Siegelfläche ein eingraviertes Dreieck zeigte…

Nur für einen Bruchteil einer Sekunde hatte der Lichtschein den Ring beleuchtet.

Die beiden Freunde standen einander im Dunkel gegenüber.

Wyatt Earp war so verblüfft, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte.

Der Gambler lachte leise auf seine typische Art in sich hinein. »Sie sehen, Sie reiten nicht nur mit einem Spieler, mit einem verkrachten Doktor, sondern auch mit einem Dieb durch die Landschaft, Marshal Earp.«

Wyatt stieß die Luft durch die Nase.

»Heavens! Jetzt geht mir ein ganzer Wald von Laternen auf! Sie haben dem Burschen den Ring abgenommen.«

»Scharfsinnig kalkuliert«, entgegnete der Spieler.

»Und wann haben Sie das getan?«

»Bei der Keilerei. Er war ja so dumm, sich mit mir herumzuplagen, und ich hatte plötzlich den Ring in der Hand. Und ich dachte, das Ding kann dir vielleicht noch einmal nützen. Einen großen Wertgegenstand habe ich ihm nicht geraubt, denn das Ding ist nicht einmal aus Edelmetall. Daß ich allerdings so große Wirkung damit erzielen konnte, und auch ausgerechnet noch in einer solchen Situation, das hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen. Der Bursche muß den Ring ganz zufällig bemerkt haben. Wenn ich gewußt hätte, welche Wirkung das Ding besitzt, hätte ich ihn ihm gleich unter die Nase gehalten.«

Wyatt Earp dachte angestrengt nach. Die Sache war mehr als interessant. Also besaß irgendein bedeutendes Mitglied der Graugesichter diesen Ring.

In diesem Augenblick sagte Doc Holliday:

»Ich möchte bloß wissen, wie viele Halunken den Ring tragen und was das Ding zu bedeuten hat.«

»Ja«, entgegnete Wyatt. »Es können natürlich mehrere sein, die den Ring tragen. Wahrscheinlich werden es irgendwelche Unterführer sein.«

»Nein, dafür hatte mir der Ring eine zu große Wirkung. Halbot war ein Unterführer, aber dieser Salooner muß irgendeinen bedeutenderen Posten in der Gang innehaben. Jetzt wird mir allmählich auch klar, warum mir in Chiricahua so unheimlich zumute war.«

Wyatt Earp saß schon im Sattel.

»Den Kurs wollte ich Ihnen gerade nennen, Doc.«

»Chiricahua?«

Doc Holliday griff nach dem Sattelhorn.

»Der Teufel soll es holen. Ich habe geahnt, daß wir in dieses verdammte Nest zurück müssen.«

Da sie durch Vetter Kirk erfahren hatten, daß der Wachposten des Tales jetzt in der Nähe der Ranch stand, konnten sie, ohne irgendwelche Rücksichten nehmen zu müssen, vorwärts reiten.

Im Trab hielten sie nebeneinander, und der Georgier rief dem Marshal zu:

»Ich möchte bloß wissen, wo Halbot geblieben ist. Nach Süden ist er nicht geritten. Der Sheriff von diesem Nest hat also doch gelogen.«

»Ja, ich hatte schon so eine Ahnung, daß der Kerl einige Zähne zuviel im Mund hatte. Wir werden sie ihm ziehen müssen, damit er besser sprechen kann…«

*

Nach scharfem Ritt langten sie noch vorm Morgengrauen in Chiricahua an.

Der Hof des »Hotels« war unverschlossen. Sie führten die Pferde in den Stall und kamen durch die ebenfalls unverschlossene Hoftür ins Haus.

»Heda, mein Zimmer ist noch frei«, sagte Holliday, als er die Tür zu dem Raum aufgestoßen hatte, in dem der Kampf stattgefunden hatte.

Auch Wyatts Zimmer war noch leer.

Die beiden legten sich nieder und wurden erst wach, als die Sonne schon steil in ihre Fenster fiel.

Wyatt erhob sich rasch und ging hinaus.

Er hörte Geräusche in der Küche. Die junge Frau, die am Herd hantierte, hatte er bei seinem ersten Besuch noch nicht gesehen.

Als sie plötzlich den Marshal in der Tür stehen sah, stieß sie einen Schreckensschrei aus, wurde leichenblaß und preßte beide Hände an den Hals.

»Arbeiten Sie nur weiter, Madam. Es tut Ihnen niemand etwas, wenn Sie sich vernünftig aufführen.«

»Wyatt Earp«, stieß sie hervor. »Um Himmels willen. Das bedeutet Feuer und Tod!«

Wyatt schob die Tür hinter sich zu und lehnte sich gegen ihre Füllung.

»Wie meinen Sie das, Madam?«

»Der Boß wird Sie vernichten. Es gibt ein großes Unglück.«

»Der Boß ist ziemlich weit von hier und sitzt hinter sicheren Gittern.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Der Boß hat viele, viele Freunde.«

»Ich weiß. Diese Freunde interessieren mich nicht, Madam.«

Die Frau versprach, sich still zu verhalten, und als Doc Holliday ihr eine Viertelstunde später seinen Revolver unter die Nase hielt, fing sie so an zu zittern, daß ihr die Kaffeekanne aus der Hand glitt und auf den Steinfliesen des Bodens zerschellte.

»Ich schwöre«, beteuerte sie, »daß ich Sie nicht verraten werde!«

»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben!«

Wyatt Earp verließ das Hotel, überquerte die Straße und ging auf das Sheriffs Office zu.

Sheriff Bret Harrison war gerade aus seiner Schlafkammer gekommen und stand mit mürrischem Gesicht in der Hoftür, als er das Geräusch von der Straßentür her vernahm.

Als ob er ein Gespenst erblickte, so starrte er den Missourier an:

»Marshal?«

»Ja.«

»Ich dachte, Sie wären zur Grenze geritten?«

»Ja, das dachte ich auch. – Wo ist Halbot?«

Da flog der große Revolver in die linke Faust des Marshals.

»Ich frage Sie nicht noch einmal, Harrison.«

Da sank der schlaksige Bursche auf einen der dreibeinigen Hocker und ließ die Arme zwischen die Knie sinken, der Kopf hing ihm auf der Brust.

»Ich kann nicht reden«, stammelte er.

»Vor was haben Sie Angst?«

Harrison schüttelte den Kopf.

Da trat Wyatt auf ihn zu und tippte ihm mit dem Revolver auf die Schulter. »Ich werde Ihnen sagen, wovor Sie Angst haben, Harrison. Vor den Galgenmännern!«

Der Sheriff zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen.

Wyatt hob mit dem sechskantigen Revolverknauf das Gesicht des verräterischen Sheriffs an.

»Stimmt es?«

Der Mann senkte die Augen. »Ich kann nicht sprechen«, stammelte er wieder.

»Eben, Sie können nicht sprechen, weil Sie die Rache der Graugesichter fürchten, Harrison. Das ist es. Darum sind Sie zum Verräter geworden. Darum haben Sie mich zur Grenze geschickt, um mich loszuwerden. Aber es hilft Ihnen nichts. Jetzt werden Sie reden müssen, sonst sorge ich dafür, daß Sie an den Galgen kommen.«

»An den Galgen?« Harrison wich zurück, rutschte vom Hocker und saß am Boden. Entgeistert starrte er den Missourier an: »Ich habe keinen Mord begangen!«

»Nein, aber Sie haben versucht, einen Mörder zu decken. Und versuchen es noch! Außerdem decken Sie eine Bande von Verbrechern, die eine große Gefahr für das Territorium bedeutet.«

Harrison erhob sich und stand schlotternd da.

»Was soll ich tun, Marshal? Ich bin verloren! In jedem Fall verloren. Was soll ich nur tun?«

»Für einen Sheriff dürfte es diese Frage nicht geben, Harrison. Sie haben sich auf die Seite des Gesetzes zu stellen.«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Ich kann es nicht, ich kann es nicht!«

Da schnellte die Rechte des Marshals vor und riß ihm den sechseckigen Stern von der Weste. Das Metallstück schepperte über den Steinboden bis in die Zellen hinein.

»Elender Feigling.« Wyatt packte Harrison und schob ihn in eine Zelle hinein. Dann warf er die Tür hinter ihm ins Schloß.

Der Mann hatte sich nicht gewehrt, hatte auch nicht den mindesten Versuch gemacht, sich wirklich zu rechtfertigen. Statt dessen hockte er jetzt schluchzend auf der Pritschenkante.

»Sie werden hängen, Harrison. Niemand wird Sie davor bewahren. Und in der bitteren Stunde, in der man Sie zum Galgen führt, werden Sie einsehen, was Sie getan haben. Aber dann ist es zu spät. Man wird Ihnen die Schlinge um den Hals legen und man…«

»Neiiiin!« Harrison war aufgesprungen und vorn ans Gitter gestürzt. Beide Hände spannte er um die eisernen Trallen, preßte den schmalen Kopf dazwischen und brüllte noch einmal: »Neiiin! Ich bin unschuldig.«

»Unschuldig!« herrschte Wyatt ihn an. »Wem wollen Sie das erzählen. Welchem Richter wollen Sie klarmachen, daß Sie unschuldig sind, wo Sie einen Mörder decken, wo Sie mit einer Verbrecherbande zusammenarbeiten.«

»Ich arbeite nicht mit ihnen zusammen. Sie haben mich gezwungen zu schweigen, wenn mir mein Leben lieb ist.«

»Dann hätten Sie den Stern abgeben und diese Stadt verlassen müssen, Harrison.«

»Die Stadt wird von diesen Männern beherrscht«, versuchte sich Harrison jetzt zu verteidigen. »Was hätte ich tun sollen. Ich bin schließlich Sheriff hier und habe auf meinem Posten auszuharren!«

»Auf Ihrem Posten?« schoß Wyatt ihm verächtlich entgegen. »Es ist nicht mehr Ihr Posten, Harrison. Und es war auch nicht mehr Ihr Posten in dem Augenblick, als Sie ihn verraten haben. Sie sind kein Sheriff für Chiricahua. Und ich bezweifle, ob Sie überhaupt das Zeug zu diesem Amt haben. Sie sind ein Hehler und damit auch ein Verbrecher. Sie gehören für mich zu den Galgenmännern.«

»Nein«, keuchte Harrison.

»Doch«, wie ein Geschoß zischte dem Verräter das Wort entgegen. »Sie gehören dazu. Und ich werde nicht ruhen, bis Ihre Bande zerschlagen und das letzte Mitglied bestraft ist. Die Graugesichter werden ausgerottet, verlassen Sie sich darauf!«

»Ich gehöre nicht dazu, ich schwöre Ihnen, Wyatt Earp, ich gehöre nicht dazu. Glauben Sie mir doch. Ich hatte bloß Angst, die Schwester des Salooners ist meine Freundin. Das heißt, ich möchte gerne, daß sie meine Freundin wäre. Ich habe mich um sie bemüht. Aber…«

»Ja, ich verstehe schon.« Wyatt nickte. »Aber… ich werde Ihnen etwas sagen, Harrison. Sie haben noch eine, eine einzige, winzige Chance. Sie liegt in der wahrheitsgemäßen Beantwortung meiner Frage: Wo ist Halbot?«

Harrisons Kopf fiel wieder auf die Brust herab. Er wandte sich um und taumelte auf seine Pritsche zu.

Wyatt nahm den Schlüsselbund und verschloß das Office.

Draußen fragte er eine vorübergehende Frau nach dem Haus des Mayors.

Die Frau sah ihn verstört an, öffnete den Mund und schob den Unterkiefer, der nur noch zwei Zähne zeigte, nach vorn, wobei sie zischelte: »Den Mayor? Den haben Sie doch weggeschleppt, Mr. Earp.«

»Sheeker?« fragte Wyatt verblüfft.

»Ja.«

So war also der prominente Galgenmann William S. Sheeker nicht nur ein wohlhabender Hotelinhaber, sondern gleichzeitig der Bürgermeister dieser finsteren Banditenstadt.

Doc Holliday hatte drüben in der angelehnten Tür auf den Gefährten gewartet.

Als Wyatt ihm berichtet hatte, meinte der Gambler:

»Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, Marshal, daß ich diesem Kerl hier nicht ungern den Rücken kehren würde. Schon in der ersten Minute, in der ich hier war, hatte ich das Gefühl, daß wir hier nicht allzuviel Freude erleben würden.« Er hob die Hände, legte den Kopf auf die rechte Schulter und fuhr fort: »Aber wie Sie meinen, vielleicht ist es doch eine ganz schöne Stadt. Man kann sich ja an alles gewöhnen.«

Sie betraten den Gastraum und nahmen an dem gleichen Tisch Platz, an dem der Galgenmann Sheeker sie bewirtet hatte.

Stumm saßen die beiden Männer einander gegenüber und blickten hinaus auf die Straße.

Merkwürdig still war es in dieser Stadt.

Und das Gefühl, daß es hier von Galgenmännern wimmelte, war nicht eben dazu angetan, es den beiden Männern wohler sein zu lassen.

War hier das zentrale Camp der Galgenmänner? Wyatt hatte sich die gleiche Frage schon bei seinem ersten Besuch in Chiricahua gestellt und geglaubt, sie glatt verneinen zu können. Aber die nächste Frage, die sich dann aufdrängte, nämlich, ob William S. Sheeker der Big Boß der Galgenmänner war, glaubte der Marshal auch jetzt noch verneinen zu können.

»Das ist nicht nur eine Bande«, unterbrach der Georgier das Schweigen, indem er sich eine Zigarette anzündete, »das ist schon ein regelrechter Geheimbund.«

Diese Bezeichnung traf unbedingt zu.

Die Organisation der Galgenmänner war derart weitverbreitet, daß man sie schon nicht mehr als eine gewöhnliche Bande bezeichnen konnte. Überall hier im Südwesten Arizonas schien sich das Graue Gift wie Rattenbrut zu verbreiten, ja, es war schon weit über die mexikanische Grenze hinübergekrochen. Nicht alle, die mit der Gang zu tun hatten, gehörten auch wirklich dazu: viele standen nur aus Angst neben ihr.

Aber dadurch gewann die Gang eine Unzahl von Mitläufern, die sie stärkten. Ihre Zahl schien schon Legion zu sein.

Konnte man eine solch verzweigte, starke Bande überhaupt noch im Alleingang bekämpfen? Hatte der Marshal überhaupt noch eine Chance, die Verbrecherbande zu zerschlagen?

Vor drei Jahren wurde die gefürchtetste Bande im ganzen Westen von Ike Clanton angeführt, dem Tombstoner Cowboy, der über bedeutende, ja, gefährliche Fähigkeiten für einen solchen Job verfügte.

Wyatt Earp hatte zusammen mit seinen Brüdern und Doc Holliday die Clanton Gang zerstört. Der Schlußakkord war im O.K.-Corral mit neunundzwanzig Schüssen ertönt.

War das, was dieses Land jetzt wieder verpestete, die Brut der Clanton Gang? Waren die Galgenmänner, die gefährlicher noch als einst die Clantons zuschlugen, die legitimen Nachkommen der einstigen Tombstoner Rebellen?

In die Gedanken des Missouriers hinein sagte Doc Holliday:

»Mir wäre wohler, wenn Ike Clanton, Kirk McLowery, Phin, Jonny Ringo, Jack Flanagan und ein paar andere Burschen sicher verwahrt in einer Kiste über den Ozean schwimmen würden. Ich glaube, daß dann hier bald Ruhe geschafft wäre.«

Die Worte waren dem Marshal aus dem Herzen gesprochen. Er entgegnete:

»Dennoch bin ich nicht überzeugt, Doc, daß dieses Unkraut dann ausgerottet wäre.«

»Nein, ausgerottet wäre die ganze Bande dann noch nicht. Aber vielleicht wäre ihr dann der Kopf genommen. Und das ist meistens das Wichtigste.«

»Sofern Ike der Boß ist.«

»Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, ob er der Boß ist«, gab Doc Holliday zu bedenken. »Die Tatsache, daß selbst viele Mitglieder der Bande ihn für den obersten Chief halten, ist doch wohl so schwerwiegend, daß man den Kerl zum Teufel wünschen müßte. Ich bin überzeugt, daß eine ganze Menge Leute von der Bande abfallen würden, wenn Ike irgendwo sicher hinter Schloß und Riegel säße.«

»Das ist nicht ausgeschlossen. Aber ich habe keine Handhabe gegen ihn. Auf den bloßen Verdacht hin kann ich ihn nicht nach Fort Worth oder gar nach Sescattewa bringen lassen. Und ihn etwa in Tombstone einsperren…«

Holliday winkte ab. »Das ist natürlich ausgeschlossen. Wir hätten den schlimmsten Aufruhr in der Stadt. Ganz abgesehen davon, daß dann keiner von uns auch nur mehr eine Minute seines Lebens sicher wäre, weil die Leute nicht nachlassen würden, Befreiungsversuche zu unternehmen. Und man würde ihn im Handumdrehen zum Märtyrer machen. Und genau das kann ich nicht brauchen.«

Wyatt Earp tastete nach seiner Zigarrentasche und stellte fest, daß sie leer war. Der steinalte Mann unten im San Pedro Valley hatte ihm die letzte abgefordert.

»Ich werde mir drüben im Shop ein paar Zigarren holen.«

Holliday nickte. Er winkte der Frau, die in den Schankraum blickte. »Bringen Sie mir einen Brandy, Miß – einen Brandy, kein Schlangengift.«

Wyatt erhob sich und ging zur Tür. Auf dem kurzen Weg überlegte er wohl zum hundertsten Male, ob es wirklich einen Sinn hatte, die große Bande auf diese Weise zu bekämpfen.

Sicher, er schlug hier und da zu, zertrümmerte hier ein Nest und da ein anderes und hätte doch eigentlich hoffen können, der Bande allmählich die Flügen beschnitten zu haben. Aber wie sah es in Wirklichkeit aus? Es schien doch so, als ob nach jedem Schlag in eines der Wespennester drei oder vier neue entstünden. Ein festgenommener Galgenmann schien drei neue aus der Erde wachsen zu lassen!

Wyatt hatte gerade die Tür aufgezogen, als er verdutzt stehen blieb.

Drüben aus dem Shop, wo er die Zigarren holen wollte, trat ein Mann, den der Marshal hier ganz sicher nicht vermutet hatte.

Es war der sonderbare Ölheilige, der ihn unten in Nogales angesprochen und für einen Posten eines Bohr-Bosses anzuwerben versucht hatte.

Wyatt beobachtete ihn einen Augenblick und sah, daß Callaghan stehen blieb und die Straße hinunterblickte.

Da zog der Marshal die Tür auf, und Callaghan sah ihn sofort.

War es ein Lachen, das jetzt über sein Gesicht kroch?

Er kam auf den Missourier zu und reichte ihm in überschwenglicher Freude die Hand.

»Hallo, Marshal, welch ein Zufall!«

»Zufall?« Wyatt maß ihn mit einem forschenden Blick.

Callaghan winkte ab und schob sich eine seiner Strohhalmzigarren zwischen die Zähne.

»Auch eine?«

Wyatt schüttelte den Kopf.

Callaghan lachte: »Sie haben recht, es ist natürlich kein Zufall. Ich habe Sie gesucht.«

»Hier in Chiricahua?«

»Ja.«

Sollte der Mann tatsächlich die weite Strecke von Nogales hierher zurückgelegt haben, nur um ihn wieder mit seiner Werbung zu behelligen?

»Ja. Sie werden es nicht glauben, Wyatt Earp. Aber ich habe den Auftrag, Sie unbedingt anzuheuern. Koste es, was es wolle. Ich will nicht behaupten, daß ich mein Angebot verdoppeln kann, aber wir legen noch fünfzig Dollar zu.«

Wyatt schüttelte den Kopf.

Callaghans Blick bohrte sich in die harten Züge des Marshals.

»Hundert dazu!«

Wyatt lachte, klopfte dem Werber aber auf den rechten Oberarm und ging an ihm vorbei, hinüber auf den Shop zu, in dem er sich ein paar schwarze Zigarren kaufte.

Als er herauskam, stand Callaghan vor der Tür.

»Sie sind ja immer noch da.«

»Ich werde auch dableiben, bis Sie mitkommen.«

»Aber das ist doch vertane Zeit, Callaghan, reiten Sie nach Hause, der Job ist nichts für mich.«

Wyatt hatte zwei Schritte auf die Straße getan, als er plötzlich stehenblieb und sich langsam umwandte. Forschend glitt sein Blick über die Gestalt Callaghans. Wie unabsichtlich streifte sein Blick die linke Hand des Mannes, deren Mittelfinger von einem großen Ring geschmückt war, auf dessen abgeplatteter Siegelfläche ein Dreieck eingraviert war.

»Na, wollen Sie es sich nicht doch überlegen?« fragte der Texaner.

Wyatt zog die Schultern hoch. »Ich werde Ihnen etwas sagen, Callaghan. Ich denke darüber nach.«

»In Ordnung. Vielleicht können wir uns heute noch einmal treffen. Bleiben Sie noch länger hier?«

»Ich glaube nicht.«

»Aber Sie übernachten doch noch hier?«

»Wahrscheinlich.«

»Well, vielleicht können wir uns heute abend drüben im Hotel treffen. Sie wohnen doch sicher dort.«

»Ja.«

Wyatt ging ins Hotel zurück.

Als er an den Tisch des Spielers trat, flüsterte er: »Schnell, lassen Sie den Ring verschwinden.«

Hollidays rechte Hand lag über der Linken. Nun nahm er sie gelassen weg.

Der Ring war längst verschwunden.

»Sie hatten doch nicht angenommen, daß ich das Ding hier durch die Stadt spazierentrage?«

Wyatt deutete mit dem Kopf hinaus auf die Straße, und als er sich überzeugt hatte, daß sie hier nicht belauscht wurden, flüsterte er dem Freund zu:

»Sehen Sie den Kerl da drüben?«

»Ja.«

»Das ist der Texaner, von dem ich Ihnen erzählt habe. Er hielt mich oben in Nogales an und wollte mich…«

»Ich erinnere mich«, unterbrach ihn Holliday. »Der Ölbursche.«

»Richtig.«

»Sagen Sie bloß, der ist Ihnen bis hierher nachgeritten?«

Wyatt hatte sich eine Zigarre angezündete und sein Gesicht war hinter einer Rauchwolke fast verschwunden.

»Er behauptet es jedenfalls. Stellen Sie sich vor, ich Idiot hätte es fast geglaubt.«

»Fast?«

»Ja. Bis ich den Ring an seiner Hand sah!«

Holliday kniff das linke Auge etwas ein.

»Also ein Galgenmann? Hatte er den gleichen Ring?«

»Nein, er ist größer und scheint eine goldene Platte zu haben, in die das Dreieck eingelegt ist. Mit Silber oder Platin. So genau kann ich es nicht unterscheiden.«

Der Georgier stieß einen Pfiff aus, nahm das Brandyglas hoch und trank es aus.

»Ich habe ja gesagt, daß wir richtig sind. Nach Dodge City und Tombstone kommt jetzt das dritte Räubernest. Ich kann mir nicht helfen, ich bekomme allmählich einen Riecher dafür.«

Aber auch der Marshal mußte sich eingestehen, daß er gleich, als er zum erstenmal in die Stadt kam, dieses ungute eigenartige Gefühl gehabt hatte.

Holliday stieß seine Zigarette im Aschenbecher aus und blickte den Marshal an.

»Kann es losgehen?«

Der Marshal wandte den Kopf und blickte auf die Straße.

Drüben vor dem Store stand immer noch der Galgenmann mit dem goldenen Ring.

Wyatt nickte. »All right.«

Sie standen beide auf und gingen hinaus in den Flur.

Als Wyatt die Tür zur Straße aufzog, hielt er inne.

Der Platz drüben, auf dem Callaghan gestanden hatte, war leer.

Der Texaner war weit und breit nicht zu sehen.

»So habe ich mir das vorgestellt«, flüsterte der Spieler. »Der Halunke war mindestens ein Turm in diesem Schachspiel…«

In diesem Augenblick wurde hinten die Hoftür aufgerissen und ein Schuß brüllte durch den Korridor.

Die Reaktion Doc Hollidays war gedankenschnell, wie ein Phantom schnellte der Mann aus Georgia herum, und seine beiden Revolver spien Feuer.

Aber auch Wyatt Earp war herumgefahren, und auch sein Revolver brüllte auf.

Von drei Kugeln getroffen, stürzte der Mann, der hinten in der Türöffnung erschienen war, zurück in den Hof hinunter.

»Bleiben Sie hier!« rief der Missourier dem Spieler zu und sprang mit weiten Sätzen der Hoftür entgegen. Auf ihrer Schwelle blieb er stehen und blickte auf den Mann, der mit ausgestreckten Armen und Beinen vor der letzten Treppenstufe im Staub des Hofes lag.

Es war der Mörder und Bankräuber Jake Halbot.

Sein letzter Mordanschlag war gescheitert und hatte ihn das Leben gekostet.

War auch dies einer seiner Aufträge gewesen? Und wer hatte ihn ihm erteilt? Callaghan? Wyatt Earp lief auf das Hoftor zu und riß es auf. Aber in der Gasse war niemand zu sehen.

Doc Holliday ging hinaus auf die Straße, überquerte sie und stand wenige Sekunden später drüben im Store.

Inmitten eines unbeschreiblichen Durcheinanders auf und um die Theke herum stand ein dickbauchiger kleiner Mensch mit schwammigem Gesicht und wulstigen Lippen. Sein Haar war kurz und gestutzt und schien nur vorn über der Stirn wachsen zu wollen. Die schweren Ohrlappen reichten ihm fast bis zum Kragen hinunter. Seine dunkelrote Weste war mit vielen Flecken besät.

Aus farblosen, wäßrigen Augen starrte der Trader den Georgier an.

»Wo ist er?« Klirrend wie zersprungenes Glas fielen die drei Worte in den Raum an das Ohr des Traders.

Der zog die Schultern hoch und ließ den Kopf sinken…

Doc Holliday preßte die Lippen zusammen und wandte sich um. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Mitten auf der Mainstreet stand der Marshal.

In seinen Augen blitzte es auf, als er den Freund sah.

»Da sind Sie, ich hatte Sie schon gesucht.«

»Nein, nein«, entgegnete Holliday rostig. »So schnell bin ich nicht verschwunden.«

Aber Callaghan war verschwunden. Anscheinend spurlos. Die beiden standen noch unschlüssig auf dem Vorbau des Traders, als von Westen her ein Reiter in die staubige Mainstreet von Chiricahua einritt.

Der Marshal, der ihn zunächst nur mit einem flüchtigen Blick gestreift hatte, beschattete plötzlich die Hand mit den Augen.

»Zounds! Wissen Sie, wer da kommt, Doc?«

Doc Holliday hatte sich gerade eine seiner langen russischen Zigaretten in den Mundwinkel geschoben, riß ein Zündholz am Daumennagel der gleichen Hand an, in der er es hielt, und schob dann die Hände in die Taschen.

»Nein. Aber wenn Sie mir jetzt sagen, daß es Ike Clanton ist, dann lasse ich mich pensionieren.«

Der Reiter war jetzt bis auf zweihundert Schritt herangekommen.

Da stieß der Spieler einen leisen Pfiff durch die Zähne.

»He, das ist ja eine Rothaut.«

»Ja, und was für eine Rothaut«, sagte der Marshal leise vor sich hin, während er auf die Straße hinaustrat.

Der Reiter saß auf einem schwarzweißgescheckten Hengst und kam in leichtem Trab heran.

Es war kein junger Mann mehr. Sein blauschwarzes Haar war schon von vielen Silberfäden durchzogen.

Sein edelgeschnittenes Gesicht hatte eine bronzebraune Tönung, und in den Tiefen seiner Kohlenaugen schien ein dunkles Feuer zu glimmen.

Er war einfach gekleidet, der Indianer, trug auch keinerlei Schmuck, auch nicht im Haarschopf – und strahlte dennoch eine ungeheure Wirkung aus.

Es war niemand anders als der berühmte Apachenhäuptling Cochise.

Der Indianer glitt wie ein Jüngling aus dem Sattel und schritt dem Marshal entgegen.

Wieder standen die beiden Männer stumm einander gegenüber.

Dann hob der Marshal die Hand zum Gruß.

Auch Cochise grüßte ihn.

»Ich freue mich, den weißen Mann wiederzusehen.«

»Die Freude ist auf meiner Seite, Häuptling«, entgegnete Wyatt Earp.

Der Indianer hob den Blick zu dem Spieler, der noch auf dem Vorbau stand.

»Cochise täuscht sich sicher nicht, wenn er annimmt, daß dieser Mann Doc Holliday ist.«

Wyatt Earp nickte. »Ja, es ist mein Freund Doc Holliday.«

Da ging der Indianerfürst auf den Spieler zu, der ihm rasch auf der Treppe entgegen kam.

»Da der weiße Mann Doc Holliday ein Freund des Marshals Wyatt Earp ist, wird er auch der Freund von Cochise sein.«

Holliday senkte den Blick seiner eisblauen Falkenaugen in die dunklen Lichter des Indianer-Chiefs.

»Es ist mir eine Ehre«, entgegnete er mit rostiger Stimme.

Die Männer reichten einander die Hände.

Der Marshal blickte auf das staubbedeckte Tier des Indianers.

»Unser roter Bruder hat einen schnellen, weiten Ritt hinter sich!«

Ein winziges Lächeln spielte um die Lippen des Indianers.

»Ja.« Und leise setzte er hinzu: »Wenn die Katze immer noch die Ratten sucht…?Sie haben sich in großer Zahl am Roten See versammelt…«

Wyatt Earp Paket 3 – Western

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