Читать книгу Wyatt Earp Paket 3 – Western - William Mark D. - Страница 27
ОглавлениеSie ritten nach Osten. Von Lordsburg bis hinunter nach Penuelas in Mexiko zog sich eine Gebirgskette über Animas und Clovadale an den Black Points vorbei und hinauf zum Antelope-Paß. Dieser Gebirgszug bildete eine Linie, die sich wie eine Mauer hart von Norden nach Süden durch das Land zog. In diesen Bergen lag der Rote See.
Wyatt kannte die Richtung dorthin nur ungefähr, da er einmal in Clovadale und am Black Point gewesen war.
Am späten Abend dieses Tages sahen sie in der Ferne auf dem ansteigenden Plateau vor sich im Südosten die Lichter einer Stadt auftauchen.
Die beiden schweigenden Reiter hielten darauf zu.
Es war eine mittlere Stadt, die zu dieser Abendstunde noch mit Leben und Treiben erfüllt war.
Wyatt Earp und Doc Holliday beschlossen, die Nacht hier in der Stadt zu verbringen.
Unweit von dem Saloon sahen sie das Schild eines Hotels.
Wyatt stieg ab und warf seinem Gefährten die Zügelleinen zu.
Als er die niedrige Hotelhalle betrat, sah er rechts an der Rezeption einen jungen Mann stehen, der ihm erwartungsvoll entgegensah.
»Ich brauche zwei Zimmer.«
»All right, Mister. Pro Zimmer drei Dollar.«
»Danke, dann brauche ich kein Zimmer.«
Wyatt wandte sich ab.
»Warten Sie, Mister!« rief ihm der Bursche nach. »Wir haben natürlich auch einfachere Zimmer.«
Der Marshal war stehengeblieben und wandte den Kopf.
»Kosten?«
»Zwei Dollar.«
»Nein, die sind mir noch zu komfortabel.«
»Ja, wenn Sie wollen, dann können Sie auch…«
»Wenn Sie mir jetzt sagen, daß ich für einen Dollar im Hühnerstall schlafen kann, dann geht’s Ihnen schlecht, Boy.«
»Nein, nein, wir haben zum Hof hinaus noch zwei kleine, nette Zimmer, wie Sie schon sagten, für einen Dollar…«
Der Marshal besichtigte die Zimmer und nahm sie.
Nachdem die Pferde versorgt im Stall standen, saßen die beiden Dodger im Speiseraum und nahmen ihr Abendbrot ein.
Da niemand sie aufgefordert hatte, sich in das Gästebuch einzutragen, standen sie nach dem Abendessen auf und gingen hinauf.
Doc Holliday war noch nicht lange auf seinem Zimmer gewesen, als ihm einfiel, daß er keine Zündhölzer mehr hatte. Er ging über den Korridor auf die Treppe zu – und plötzlich blieb er stehen.
Vom ersten Treppenabsatz aus hatte er einen Blick auf die Rezeption.
Da sah er einen Mann stehen, dessen Auftauchen ihn mit größter Verwunderung erfüllte.
Es war der Texaner Callaghan. Der gleiche Mann, der den Marshal in Nogales und auch drüben in Chiricahua unter dem Vorwand angehalten hatte, er wolle ihn für eine texanische Ölbohrgesellschaft als Bohrmeister anwerben. Doc Hollidays Blick ruhte auf der linken Hand, an deren Mittelfinger er einen großen Ring sah.
Ohne daß er auf diese Distanz hin hätte erkennen können, was in diesen Ring eingraviert war, wußte er es.
Er blieb einen Augenblick stehen und hörte, wie der Mann an der Rezeption dem Texaner einen Zimmerschlüssel gab.
»Sechs!«
Callaghan hatte also das Zimmer mit der Nummer sechs bekommen.
Holliday ging zurück auf sein Zimmer und verzichtete auf Zündhölzer.
Da unter der Tür des Marshals kein Lichtschein mehr zu sehen gewesen war, wollte er Wyatt Earp auch nicht mehr stören.
Er war ihnen also gefolgt, der Galgenmann. Der Bandit, der den goldenen Ring der Graugesichter trug.
Der Spieler hob seine linke Hand und blickte in die Innenfläche. Dort sah er die abgeplattete Siegelfläche des eigenen Ringes mit dem eingravierten Dreieck darauf. Er hatte diesen Ring bei einem Kampf dem Salooner Sheeker in Chiricahua abgenommen. Sheeker mußte ein wichtiges Mitglied der Galgenmänner sein. Erst in Chiricahua war den beiden Dodgern, die unter Gewaltanstrengung gegen die weitverzweigte Bande der Galgenmänner ankämpften, klargeworden, daß offenbar diese Ringe ein Erkennungszeichen bei der Bande bedeuteten.
Die Tatsache, daß Callaghan einen Ring mit goldener Platte trug, deutete darauf hin, daß er ein sehr bedeutendes Mitglied der Bande sein mußte – wenn nicht gar der Boß. Er war in Chiricahua aufgetaucht und dann ebenso rasch wieder verschwunden.
Der berühmte Apachenhäuptling Cochise hatte den Missourier darauf hingewiesen, daß sich die »Ratten« am Roten See versammelt hätten. Und da der Marshal schon mehrmals von dem hervorragenden Indianer nützliche Hinweise bekommen hatte, hatte er sich sofort mit Doc Holliday auf den Weg zum Roten See gemacht.
Wyatt Earp hätte sicher weiter in Chiricahua nach dem angeblichen Ölmann aus Texas gesucht, wenn er nicht den Hinweis von Cochise bekommen hätte, der wahrscheinlich wertvoller war, als eine nutzlose Suche nach dem verschwundenen Desperado.
Und nun war er hier aufgetaucht.
War es Zufall?
Oder war er ihnen etwa gefolgt?
Diese letzte Vermutung schlug Doc Holliday aus, da sie einen Verfolger, der ihnen so hart auf den Fersen gesessen hätte, ganz sicher bemerkt haben würden.
Callaghan war höchstwahrscheinlich vor ihnen aus Chiricahua verschwunden und einen anderen Weg geritten, so daß er erst jetzt hier eingetroffen war. Ganz sicher war auch er auf dem Weg zum Roten See.
Doch all diese Gedanken des Georgiers wurden plötzlich durch ein Geräusch an seiner Zimmertür unterbrochen.
Er hatte am Fenster gestanden und in den Hof hinuntergeblickt, wandte sich jetzt um, den Revolver in der Hand.
Unendlich langsam wurde der Türgriff zurückgedreht, und dann war ein leises knirschendes Geräusch zu hören, wie es von einem Messer verursacht werden mußte, das jemand versuchte, zwischen das Türschloß zu schieben.
Da packte der Spieler blitzschnell mit der Linken zu, zog die Tür von innen auf und ließ seinen Revolverlauf knackend auf den Schädel des Eindringenden sausen. Es war ein großer, schwerer Mann, der ihm entgegenfiel und jetzt über der Türschwelle lag.
Holliday wälzte ihn auf den Rücken und nahm ihm die Waffen ab. Dabei tastete er über die linke Hand des anderen – und im nächsten Augenblick hatte er dessen Ring an seiner rechten Hand stecken. Er packte den Gefangenen, fesselte ihn und schleppte ihn hinaus auf den Gang.
»Hallo, Salooner!« brüllte er. »Wirt, ich bin überfallen worden!«
Sofort kamen zwei Männer von unten heraufgestürmt. Sie trugen Lampen in den Händen, und einer von ihnen hatte ein Gewehr mitgenommen.
»Hier, dieser Kerl drang in mein Zimmer ein. Sehen Sie nur, mit einem Messer hat er versucht, die Tür zu öffnen! Aber ich habe ihn überwältigen können.«
»Man muß den Sheriff rufen!« brüllte ein Peon und packte Callaghan, um ihn vorn an die Treppe zu schleppen.
Drüben in seiner Zimmertür stand der Marshal. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Spieler und ging dann in sein Zimmer zurück.
Doc Holliday begleitete die Männer hinüber zum Sheriffs Office.
Der alte Griffith hatte schon in seinem Bett gelegen, kleidete sich notdürftig an und öffnete den Männern.
Als er sah, daß sie einen Gefangenen brachten, knurrte er:
»Los, schleppt ihn da in die Zelle! Morgen früh sehe ich ihn mir an.«
»Nein, nicht morgen früh«, hielt ihn Doc Holliday auf, »jetzt gleich, Sheriff. Dieser Mann da ist in mein Zimmer eingedrungen. Er ist ein Galgenmann.«
»Was?« Der grauhaarige Sheriff riß die Augen auf und starrte den Georgier verblüfft an. »Ein Galgenmann? Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich weiß es. Er hat in Nogales unten und drüben in Chiricahua versucht, den Marshal Earp von der Spur seiner Kumpane abzubringen.«
»Wyatt Earp?« Der Sheriff riß die Augen noch weiter auf. »Woher wissen Sie das?«
Callaghan war inzwischen zu sich gekommen und warf den Korb herum. »Er wird es ja wissen, er ist ja Doc Holliday!«
Wie kam er zu dieser unbedachten Äußerung?
»Doc Holliday?« Der Sheriff sank auf seinen Stuhl zurück. »Sie sind Doc Holliday?«
»Ja. Sie haben es ja gehört. Nehmen Sie den Mann fest. Er gehört zu den Galgenmännern. Wyatt Earp wird morgen früh selbst herüberkommen.«
»Ist er denn in der Stadt?«
»Ja, drüben im Hotel.«
Callaghan wurde eingesperrt und hatte zunächst ausgespielt.
Als Doc Holliday zurück ins Hotel kam, sah er oben vor seiner Tür den Marshal stehen.
»Callaghan?«
Holliday nickte. »Ja, Callaghan.«
»Dann ist der Halunke uns gefolgt.«
»Anzunehmen. Jedenfalls versuchte er, uneingeladen bei mir Eintritt zu nehmen. Das war sein Pech.«
»Sie haben ihn zum Sheriff gebracht?«
»Ja, Sie werden morgen früh, ehe wir weiterreiten, dort noch kurz vorsprechen, damit der Bursche sicher sitzt.«
»Vielleicht hätte man ihm folgen sollen, um mehr zu erfahren. Denn es ist doch anzunehmen, daß er hinauf in die Mountains geritten wäre.«
»Ganz sicher. Das hatte ich auch vor. Aber er selbst war anderer Ansicht. Er hat einen ziemlich kostspieligen Besuch bei mir gemacht.«
»Wie meinen Sie das?«
Holliday zog den Ring vom Finger und reichte ihn dem Marshal.
»Wenn wir Glück haben, sind Sie auf der Versammlung ein großer Mann, Mister Earp.«
Wyatt betrachtete den großen Siegelring und fuhr mit dem Nagel des kleinen Fingers durch das eingravierte Dreieck.
»Das wäre ja ein phantastischer Gedanke!«
*
Der Desperado Callaghan kauerte auf dem Schemel in seiner Zelle und stierte aus spaltengen Augen durch die Gittertür zum Sheriff hinüber, der an seinem Schreibtisch saß und eine Eintragung machte.
Im Gesicht des Verbrechers arbeitete es.
Plötzlich sprang er auf und kam mit federnden Schritten an die Tür.
»He, Sheriff«, sagte er mit drohendem Unterton in der Stimme, ohne aber laut zu werden, »ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
Der Hüter des Gesetzes tat, als habe er nichts gehört.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen!«
Auch jetzt schien der Sheriff nicht zu hören.
»Well, dann werden Sie mich kennenlernen, Mister. Mein Name ist Callaghan.«
»Ja, das hörte ich«, entgegnete der Sheriff. »Doc Holliday hat es schon gesagt.«
»Pusten Sie sich nur nicht auf mit dem Marshal und mit Doc Holliday. Wir sind stärker.«
Der Sheriff blickte verblüfft in das Gesicht des Verbrechers.
Das wagte ihm dieser Mann so offen zu sagen!
Wie stark mußten sie sich fühlen, diese Banditen.
»Sie werden uns kennenlernen, Sheriff. Schätze, daß es die letzte Bekanntschaft ist, die Sie dann auf dieser Erde gemacht haben.«
Dem Sheriff traten plötzlich viele kleine Schweißperlen auf die Stirn.
»Was wollen Sie damit andeuten?« knurrte er.
»Wenn Sie sich einbilden, gegen den Strom schwimmen zu können, dann haben Sie sich geirrt. Sie wären nicht der erste Sheriff, der unter der großen grauen Walze zermalmt würde.«
Der kleine Griffith stand auf und kam zornbebend an die Gitterstäbe. Er machte keine besonders eindrucksvolle Figur, als er jetzt vor der Zelle stand mit seinem etwas zu schweren Leib, seinen dünnen Beinen und der engen Hose, die von alten, zerfransten Trägern bis fast unter die Achseln hinaufgezogen wurde, dem verwaschen-grünen Hemd, dem stoppeligen Gesicht und struppigem grauem Haar.
»Was haben Sie da eben gesagt, Callaghan?«
»Ich habe gesagt, daß Sie sich wundern werden. Mit Ihnen machen wir kurzen Prozeß, Griffith.«
Da schlug der Sheriff plötzlich zu. Seine Hand zuckte durch die Gitterstäbe und fuhr klatschend ins Gesicht des Verbrechers.
Callaghan wich keinen Zoll zurück.
»Das wirst du mir ganz persönlich büßen, Dreckskerl«, zischte ihm der Bandit entgegen. »Ich selbst werde dich fertigmachen, verlaß dich drauf. Du hast ja keine Ahnung, was hier geschieht. Armseliger Wicht. Bildest du dir etwa ein, zwei Figuren könnten eine ganze Bewegung aufhalten? Wir marschieren vorwärts. Wir sind nicht aufzuhalten.«
»Wir?« stotterte der Sheriff.
»Ja, wir! Die Organisation. Es ist die größte Organisation, die es jemals in diesem Land gegeben hat. Und sie wird von einem fähigen Mann angeführt, der alles niederwalzen lassen wird, was ihm im Wege steht!«
Der Sheriff wich einen Schritt zurück und starrte den Outlaw entgeistert an.
Mit dämonischer Stimme fuhr Callaghan fort:
»Du wirst mich jetzt sofort hier rauslassen, Junge, wenn dir noch irgend etwas an deinem armseligen Leben liegt.«
Da schüttelte der Sheriff wild den Kopf.
»Nein, nein, ich laß dich nicht raus, Bandit. Du bleibst da, wo du bist. Und wenn ihr nach Hunderttausenden zählt – ich stehe auf der Seite des Marshals, auf der Seite des Gesetzes.«
In Callaghans Gesicht war plötzlich nicht mehr die gleiche Zuversicht, die eben noch darin gestanden hatte.
Heimlicher Schrecken hatte ihn erfaßt.
Wie, wenn dieser Griffith ihn nicht laufen ließ? Was geschah dann? Dann ging er den Weg, den andere Kumpane schon vor ihm gegangen waren, die Wyatt Earp und Doc Holliday gestellt hatten. Einige von ihnen saßen schon in den berüchtigten Zwangslagern von Fort Worth.
Diesen Weg wollte er nicht gehen.
Aber dieser kleine beharrliche Sheriff würde ihn nicht gehen lassen.
Da versuchte Callaghan eine andere Tour.
»Hör zu, Griffith. Ich mache dir einen Vorschlag. Du sollst es nicht umsonst tun. Ich gebe dir dreihundert.«
Der Sheriff schwieg. Er schüttelte nur den Kopf.
»Armseliges Schwein!« brüllte der Verbrecher da. »Ich gebe dir sechshundert. Das wird’s dir doch wohl wert sein.«
»Nein, Callaghan. Es ist mir keine tausend und keine dreitausend wert!«
»Was?« Der Verbrecher wich einen Schritt zurück. »Bist du verrückt, Mensch? Was verdienst du denn hier? Sechzig oder siebzig Dollar höchstens den Monat. Dafür kannst du dich abknallen lassen. Und du wirst abgeknallt! Das schwöre ich dir! Meine Boys werden dich fertigmachen.«
»Spiel dich nicht auf, Callaghan.«
»Schweig! Du bist ein gelieferter Mann.«
Der Sheriff wandte sich ab und ging in die Schlafkammer. Keine Chance mehr für Callaghan. Er stand immer noch am Gitter, hatte die behaarten Fäuste darum gespannt und starrte in den jetzt dunklen Raum des Bureaus. Plötzlich ließ er die linke Hand los und griff mit dem Daumen an die Stelle, an der sonst der Ring zu finden war.
Er war weg!
»Damned!« entfuhr es dem Banditen. Er wandte sich um und lief zur Pritsche, tastete sich ab, bückte sich und tastete den Boden Zoll für Zoll ab.
Vergebens!
Ich habe den Ring verloren! dachte er. Aber wo: heute morgen hatte ich ihn noch. Auch heute mittag – wo habe ich ihn verloren? Ganz sicher vorhin, als sie mich hierher schleppten.
Hölle und Teufel, wenn der Marshal ihn findet! Nicht auszudenken…
Als der Morgen graute, stand der Sheriff auf, wusch sich im Hof und kam ins Office zurück, wo er die Lampe anzündete und dann Feuer in dem kleinen Kanonenofen machte.
Ein Geruch von dünnem Kaffee zog durch den Raum.
Der Sheriff goß sich eine Tasse ein, nahm einen Becher, füllte ihn und brachte ihn an die Zellentür.
Callaghan kam langsam an das Gitter heran.
»Na, hast du es dir überlegt?« forschte er lauernd.
»Ja«, entgegnete der Sheriff, »ich habe es mir überlegt. Das heißt – die Überlegung ist die gleiche geblieben. Ich stehe zu Wyatt Earp, zum Gesetz!«
Callaghan hatte den Becher mit dem Kaffee erfaßt und schüttete den Inhalt dem Sheriff ins Gesicht.
Griffith wich keinen Inch zurück. Die braune Flüssigkeit rann über sein zerfurchtes Gesicht und auf das grüne Hemd hinunter.
»Auch damit änderst du nichts, Bandit.« Er wandte sich um und ging an den Schreibtisch zurück.
Auf dem Vorbau waren Schritte zu hören.
Dann wurde an die Tür geklopft. Der Mann, der hereinkam, füllte ihren Rahmen fast aus. Er war sehr groß, hatte ein von Wind und Wetter tiefbraungefärbtes Gesicht und dunkelblaue Augen.
Griffith war aufgestanden.
»Wyatt Earp«, sagte er leise.
Der Marshal nickte. »Ja, Sie sind Sheriff Griffith, nicht wahr?«
»Ja.«
Callaghan hockte auf seinem Schemel in der Ecke und starrte den Marshal böse an.
Wyatt wandte den Kopf, blickte dann aber wieder auf den Sheriff.
»Sie wissen über diesen Mann Bescheid, Mister Griffith?«
»Ja, ich weiß über ihn Bescheid, Marshal.«
»Gut, ich habe hier einen Bericht geschrieben, den Sie dem Richter vorlegen können.«
»In Ordnung, Marshal. Alles, was ich nicht vorlegen kann, kann ich dazu sagen. Was der Bursche mir an den Kopf geworfen hat, reicht völlig aus.«
Wyatt wußte, daß er sich auf diesen Mann verlassen konnte.
Welch eine Seltenheit in diesem Land!
Die beiden Dodger zogen sich in die Sättel und verließen die Stadt.
Der Weg zum Roten See war erst zu einem Drittel überwunden.
Im Osten stieg der erste orangerote Schimmer des neuen Tages über den Horizont, den in der Ferne die Gipfel der Berge bildeten. Es war ein sonderbar gespenstisches Bild, wie die Sonne jetzt über die schwarzen Berggrate stieg und ihre gleißenden Strahlenbündel über die Savanne warf. Die beiden Reiter flogen im leichten Galopp durch die feuchten Berggräser, die hier schon die Prärie kennzeichneten, nach Osten.
Spät am Mittag machten sie in einer Mulde Rast.
Gedankenvoll blickte der Marshal zu den Bergen hinüber, die jetzt ihre schwarzen Konturen verloren hatten und in strahlendem Rotgelb weithin leuchteten.
»Ein ganz schöner Weg da hinauf.«
Der Spieler hatte sich die Hände in dem kleinen Rinnsal, an dem sie lagerten, gewaschen und zündete sich eine seiner langen russischen Zigaretten an.
»Ja.«
Jetzt stand auch der Marshal auf, wusch sich die Hände, packte das kleine eiserne Dreibein ein, das sie immer über das Lagerfeuer stellten und an dem der kleine Kupferkessel gehangen hatte. Beides wurde sorgfältig gesäubert und verpackt. Das kleine handliche Paket schnallte Wyatt hinter dem Sattel auf.
Der kleine Creek, der sich von Osten nach Westen hinüber erstreckte, schien wie ein glitzernder Finger durch die Prärie zu laufen; so sehr leuchtete er jetzt im Sonnenlicht auf.
Wie viele Meilen mochten es noch bis hinauf zu dem Roten See sein?
Der Gedanke, daß sich da oben in der Bergeinsamkeit die Bande ein Stelldichein gab, war frappierend. Niemals wäre er darauf gekommen, die Banditen ausgerechnet da oben in dieser Wildnis zu suchen.
Aber den Spähern des großen Cochise entging eben nichts. Da konnte man doch wieder einmal sehen, wie gut es war, wenn man mit den Indianern befreundet war.
Nachdem das Lagerfeuer gelöscht und mit Sand zugeschüttet war, zogen sich die beiden Dodger in die Sättel und setzten ihren Ritt auf die fernen Berge fort.
Die Sonne stieg in einem schrägen Bogen hoch, warf am Nachmittag noch eine große Hitze auf das Land, die aber schnell verflog. Schon gegen sechs Uhr machte sich eine empfindliche Novemberkühle bemerkbar. Als die Sonne im Westen hinter ihnen gesunken war und nur einen violettblauen Himmel zurückgelassen hatte, erspähte der Marshal in der Ferne oben auf dem Plateau eine Stadt.
Der Marshal zog die Brauen zusammen.
»Zounds! Sollte das etwa Mesha sein?«
»Keine Ahnung«, entgegnete der Gambler.
»Doch, das muß Mesha sein. Hier auf dem Landstrich vor den Bergen liegt weit und breit keine andere Stadt mehr. Aber ich hatte eigentlich angenommen, daß wir weiter südlich auf die Berge zukommen würden. Hier unten bin ich noch nie gewesen.«
Mesha!
Wyatt Earp dachte daran, daß ihm vor Jahren einmal ein alter Scout von der Stadt erzählt hatte.
Ein Russe sollte sie gegründet haben, der drüben in einer Stadt gleichen Namens gewohnt hatte. Zur Erinnerung an seine liebe Heimat hatte er diese Westernstadt so getauft. Und dabei war es dann auch geblieben. Der Alte selbst soll von weißen Banden niedergemacht worden sein. Und noch etwas hatte der Missourier von dem Scout erfahren: dieses Mesha sollte ein übles Banditennest geworden sein. Wie in so mancher Bergstadt, die an der Wegscheide lag, zwischen hohen Bergen und weiter Ebene, weit und breit ohne irgendeine Ansiedlung in der Nähe oder gar eine Nachbarschaft, sollte sich auch hier sehr viel Gelichter aus den Bergen und aus dem Tal angesiedelt haben.
So hieß es auch, daß der berüchtigte ehemalige Sheriff von Santa Fé, Jerry Sunriser, dort aufgetaucht sein sollte. Der junge Sunriser hatte – vor anderthalb Jahrzehnten – zunächst einen guten Namen als energischer Gesetzeshüter gehabt, war aber dann bald wegen seiner brutalen Manieren und Methoden als Schläger und rücksichtsloser Revolverschütze abgesetzt worden. Vor sieben Jahren war er schließlich in Santa Fé wegen Totschlags zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, die er in Fort Worth abzusitzen hatte. Aber schon zwei Jahre nach seiner Verurteilung war es dem wilden Jerry, wie er auch genannt wurde, gelungen, aus dem Straflager auszubrechen.
Doc Holliday mochte ähnliche Gedanken gehabt haben, als er plötzlich sagte:
»Jetzt fehlt uns bloß noch Sunriser zu unserem Glück.«
Der Marshal nickte. »Ich habe gerade an ihn gedacht.«
Stumm setzten sie ihren Ritt fort.
Sie waren vielleicht bis auf anderthalb Meilen an die Stadt herangekommen, als Wyatt Earp plötzlich sein Pferd anhielt, da er von Norden her das Rumpeln eines Prärieschooners gehört hatte.
Sie warteten, bis der Wagen herangekommen war.
Der Mann, der auf dem Kutschbock saß, war nur zu erkennen, weil die Silhouette seines Kopfes über dem vorderen Planenspiegel gegen den hellen Abendhimmel zu sehen war. Er hatte jetzt die beiden Reiter gesehen und hielt sein Zweiergespann an.
Gleich darauf wurde ein Gewehr durchgeladen.
»Was steht ihr hier herum. Wenn ihr auf mich gewartet habt, Boys – ich habe nichts verkauft. Tut mir leid. Könnt die Töpfe nachzählen. Nach wie vor der alte Rummel. Die Leute kaufen nichts vor Weihnachten.«
»Wir wollen nichts von Ihnen, Mister. Wir haben nur eine Frage.«
»Ja und?«
»Ist das da vorne Mesha?«
»Ja, was sollte es sonst schon sein, dieses armselige Drecknest. Ja, es ist Mesha. Leider Gottes, hätte ich es bloß niemals gesehen, dann gäbe es jetzt da oben nicht sieben Kinder, die hungrig auf ihren Vater warten. Und eine Frau, die nichts als Stöhnen und Jammern kennt.«
Wyatt brachte sein Pferd an den Wagen heran.
Er konnte jetzt den Kutscher besser sehen. Es war ein älterer bärtiger Mann, der sich auf das wieder entspannte Gewehr gestützt hatte und düster vor sich hin starrte.
»Da oben kann man nicht leben. Aber ich habe dort meine Frau kennengelernt und bin da hängengeblieben. Wie es so ist im Leben. Damals war ich fünfunddreißig und dachte, das ganze Leben läge noch vor mir. Jetzt marschiere ich schon auf die Sechzig zu. Meine Kinder sind noch nicht alt genug, als daß sie Geld verdienen könnten. Dabei hatte ich hinüber nach Kalifornien gewollt. Nein, Gold wollte ich nicht suchen, aber ich dachte, ich könnte drüben irgendwo in einem großen Store arbeiten und vielleicht später einmal, wenn ich mir genug Geld zusammengespart hätte, selbst ein Geschäft aufbauen. Und in einer richtigen schönen, großen Stadt, irgendwo am Meer. Und nun ist man ausgerechnet hier hängengeblieben. Well, anfangs hatten wir uns noch vorgenommen, in ein paar Jahren weiterzuziehen, aber aus den paar Jahren wurden Jahrzehnte, immer wieder verschoben wir es, und schließlich haben wir es dann aufgegeben, überhaupt noch davon zu sprechen.« Er holte tief Luft und wandte den Kopf. Seine Augen versuchten die Gestalten der beiden Reiter zu erkennen. »Ich kann ohnehin nicht verstehen, wie jemand gerade nach Mesha reiten kann.«
»Vielleicht wollen wir in die Berge«, gab Wyatt Earp ausweichend zur Antwort.
»Auch das noch. Ich hatte wenigstens gehofft, daß Sie irgendwelche Geschäfte in der Stadt hätten, um dann so schnell wie möglich wieder talabwärts davonzureiten. – Aber in die Berge wollen Sie!« Seine Stimme hatte plötzlich einen Klang von Argwohn angenommen.
»Wir haben noch einen ziemlich weiten Weg«, meinte der Marshal. »Wir wollen zum Roten See.«
»Zum Roten See?« Der Mann nahm die Zügelleinen hoch. »Well, dann haben Sie wirklich noch einen langen Weg vor sich.« Er schnalzte mit der Zunge, und die beiden schweren Zugpferde warfen sich in die Geschirre.
Rumpelnd und polternd zog der schwere Wagen an.
Wyatt Earp und Doc Holliday ritten ein Stück vor ihm her, um den Alten nicht zu beunruhigen.
»Vielleicht hätte man ihn noch etwas ausfragen können«, fand der Georgier.
Wyatt schüttelte den Kopf. »Das war nicht gut möglich. Sie haben es ja gesehen. Er wurde schon mißtrauisch.«
Kurz vor der Stadt hielt der Marshal seinen Hengst noch einmal an und wartete, bis der Alte neben ihm war.
»Wohin wendet man sich am besten, wenn man ein halbwegs vernünftiges Quartier bekommen will?«
»Zwei Zimmer?« forschte der Alte.
»Ja.«
»Da gehen Sie am besten zu Lopec. Er hat ein Hotel in der zweiten Querstraße. Es ist gut und nicht teuer. Wenn Sie zu Haderyk gehen, werden Sie für die gleichen Zimmer das dreifache Geld los. Dafür haben Sie aber das Glück, in der Mainstreet hausen zu können.«
»Vielen Dank, Mister…«
»Mein Name ist Billinger. Harvey Billinger.«
Der Marshal hatte einen Augenblick überlegt und fragte dann:
»Verkaufen Sie auch Kupferkessel?«
»Ja, natürlich, in jeder Größe.«
»Dann geben Sie mir den kleinsten.«
Der Mann hielt sofort den Wagen an, kroch in den Planenschlitz zurück, und dann hörte man es unter dem Dach rappeln und klirren und klimpern.
Nach kurzer Zeit kam er wieder heraus und brachte einen kleinen runden Kupferkessel, den er dem Marshal hinhielt.
»Wieviel kostet er?«
»Geben Sie fünfzig Cent.«
»Nein, Mister«, entgegnete der Missourier, »dafür bezahle ich bei mir daheim zwei Dollar. Wenn ich Ihnen einen Dollar gebe, habe ich noch ein Geschäft gemacht.«
»Wie Sie wollen.« Der Alte fing den Dollar geschickt auf und ließ ihn in die Tasche gleiten.
»Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, aber es ist tatsächlich das einzige Stück, das ich auf meinem dreitägigen Ritt verkauft habe.«
Sie verabschiedeten sich von dem Trader und ritten im Trab auf die Mainstreet zu.
Sie war nicht so breit, wie die Hauptstraßen in den Städten sonst zu sein pflegten, und die Häuser standen sehr dicht aneinander.
Schon von der Mainstreet aus sahen sie in der zweiten Querstraße auf der linken Seite das Hotel. Es war zweigeschossig und schien neu gestrichen worden zu sein.
Das Schild wurde von zwei Windlichtern beleuchtet. Die beiden ritten auf das offene Hoftor zu.
Ein kleiner Negerjunge lief auf sie zu und nahm die Pferde entgegen.
Wyatt Earp strich dem Jungen über den wolligen Schädel und steckte ihm ein Geldstück zu. Der Kleine machte einen Diener, fast bis zur Erde.
»Dafür striegele ich Ihren Hengst so, daß Sie ihn morgen nicht mehr wiedererkennen, Mister.«
Holliday gab ihm gleichfalls ein Geldstück. »Und wenn du meinen
Rappen auf Hochglanz bringst, Boy,
kriegst du morgen früh noch eine Extrabelohnung.«
»Wird gemacht! Darauf können Sie sich verlassen, Sir!«
Die beiden gingen durch die Hoftür in den Flur.
Hier kam ihnen eine ältliche, hochaufgeschossene Frau entgegen, die unangenehm nach Schweiß roch.
»Sie suchen Quartier?«
»Ja, zwei Zimmer.«
»Kommen Sie bitte mit an die Rezeption.«
Sie ging vor den beiden her und nahm an der Rezeption zwei Schlüssel vom Bord.
»Zimmer zwei und Zimmer sieben.«
»Haben Sie nicht zwei nebeneinander liegende Zimmer?« forschte der Marshal.
»Warum legen Sie Wert darauf?« fragte die Frau spitz.
Blitzschnell schoß ihr der wortgewandte Spieler entgegen:
»Mein Begleiter hat Sie nicht gebeten, zu fragen, warum wir zwei nebeneinander liegende Zimmer haben wollen, sondern ob Sie zwei Zimmer nebeneinander frei haben.«
Die Frau zog mokant die Schultern hoch und nahm zwei neue Schlüssel.
»Sechs und vier, bitte sehr.«
Dann nahm sie das Gästebuch und schob es vor die beiden hin.
Wyatt Earp hatte den Federkiel schon in der Hand, als ihn Holliday anstieß.
Durch die kleine Halle konnte man einen Blick in den anschließenden Schankraum werfen, der von großem Lärm erfüllt war.
Ein Orchestrion stampfte hämmernd den Santa Fé Song in die Menge.
Durch die vollbesetzten Tischreihen brachten eben mehrere Männer einen sich heftig sträubenden Indianerjungen zur Theke.
Wyatt legte den Federkiel wieder hin und blickte die Frau an. »Augenblick, wir kommen gleich zurück.«
»Das will ich hoffen, bei uns trägt sich jeder Gast ein.«
»Natürlich.«
»Wir sind ein anständiges Haus«, rief sie den beiden nach.
Holliday wandte den Kopf. »Ja, ja, wir studieren das gerade drüben.«
Sie hatten die Tür zum Schankraum erreicht.
Hier herrschte ein wildes, ohrenbetäubendes Gejohle. Unter lautem Brüllen und schrillen Pfiffen wurde der vielleicht siebzehnjährige Bursche von vier Männern jetzt an den Schanktisch herangezerrt – und dann hart mit dem Schädel auf das Thekenblech geschlagen.
Ein fünfter Mann hatte den langen blauschwarzen Schopf des Jungen gepackt und riß ihn jetzt daran herum. Er konnte das sehr mutig tun, da die vier anderen Arme und Beine des Burschen festgehalten hatten.
»Hör zu, Rothaut, du schluckst jetzt eine halbe Flasche Whisky, und dann führst du uns einen Kriegstanz auf, klar?«
In den dunklen Augen des Indianers funkelte es gefährlich auf.
»Der weiße Mann ist ein Feigling!«
Unwillkürlich ließ der Weiße den Haarschopf des Indianers los und wich einen Schritt zurück.
Es war ein hochgewachsener, hagerer, knorriger Mann mit pockennarbigem blassem Gesicht und grünlichen, etwas schrägstehenden Augen. Sein Haar war aschblond und wuchs ihm hinten in den Kragen seines Hemdes hinein. Sein grauer Anzug war abgeschabt, und unter den mit Sicherheitsnadeln zurückgesteckten Rockschößen waren zwei schwere Smith & Wesson Revolver zu sehen.
»Was hast du Dreckskerl da gesagt! Du wagst es, so mit mir zu sprechen?«
Klatsch, klatsch, klatsch, fiel die knochige Hand des Weißen in das Gesicht des Indianers.
Da duckte sich der Rote nieder, stieß nach vorn, ließ sich wieder zurückfallen, und beim nächsten Ruck nach vorn war er wieder frei.
Wie ein Torpedo schnellte er dem Pockennarbigen entgegen, traf ihn mit dem Kopf in den Leib und riß ihn nieder.
Blitzschnell war der Indianer wieder auf den Beinen.
Aber der Pockennarbige auch.
Wild hämmerte der Weiße auf den Roten ein.
Aber der unterlief ihn – und vielleicht wäre er entkommen, wenn sich nicht in diesem Augenblick die vier anderen Männer auf ihn gestürzt hätten.
Jetzt schlug der Blatternarbige mit beiden Fäusten auf den wehrlosen Mann ein.
Das Orchestrion war verstummt.
In der Schenke war es still geworden.
»Er schlägt ihn tot«, entfuhr es einer Frau hinter der Theke.
»He!« kam da eine schneidende Stimme von der Hallentür her.
Der Pockennarbige blickte auf und sah den Marshal an.
Er kannte ihn nicht. Und auch Wyatt Earp hatte den Pockennarbigen noch nie gesehen.
»Was wollen Sie?«
»Lassen Sie von dem Mann ab.«
»Was ist mit Ihnen los? Habt ihr gehört, Boys? Das ist ein Indianerfreund. Stopft ihm das Maul!«
Zwei von den vieren stürmten dem Missourier entgegen.
Wyatt rammte dem ersten eine lange Linke vor die Brust, ließ den zweiten aber kommen, packte ihn und schleuderte ihn in den Schankraum zurück.
Der Pockennarbige hatte seine »Beschäftigung« wieder aufgenommen. Fast unbewußt riß der Indianer plötzlich ein Bein hoch und versuchte ihn mit einem Tritt zu treffen.
Aber er verfehlte sein Ziel.
Der Blatternarbige hatte sein Gesicht zu einer zynischen Fratze verzogen.
Mit beiden Fäusten hämmerte er jetzt auf den Schädel des wehrlosen Indianers ein.
Doch da war Wyatt Earp bei ihm und ergriff ihn am rechten Arm.
Der Mann hielt inne und wandte den Kopf.
Wyatt blickte in ein leicht schielendes, gefährliches Augenpaar, dessen Lider zu den Augenwinkeln hin über die Augen herabfielen. Ein böses Zeichen für den, der sich auf Augen verstand.
»Was wollen Sie? Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß es mir imponiert, daß Sie die beiden Burschen da niedergefegt haben. Legen Sie sich nicht mit mir an, sonst geht’s Ihnen schlecht.«
»Lassen Sie den Indianer in Ruhe.« Völlig ruhig hatte es der Missourier über die Lippen gebracht.
Da wich der Mann einen Schritt zur Seite, stemmte die Arme in die Hüften über die Revolverkolben und stieß den Kopf vor wie ein Raubvogel.
»Mensch, sind Sie wahnsinnig! Wissen Sie auch, mit wem Sie es hier zu tun haben? Mein Name ist Sunriser, Jerry Sunriser.«
»Es ist mir völlig einerlei, mit wem ich es zu tun habe. Ob Sie Sunriser, Miller oder John heißen.«
Wyatt Earp überspielte seine Verblüffung fabelhaft.
Sunriser machte drei Schritte auf ihn zu und stand dicht vor ihm.
»Hören Sie, Mann, vielleicht vertrauen Sie auf Ihre starken Arme. Das mag sehr schön sein. Aber Sie haben sich in mir geirrt. Hier, nehmen Sie das fürs erste.«
Blitzschnell riß er einen rechten Handkantenschlag hoch und hätte Wyatt ganz sicher an der Halsschlagader getroffen, wenn der nicht blitzschnell die Schulter hochgeworfen und den Kopf zur Seite bewegt hätte.
Gedankenschnell, fast unter der Schlaghand des geflüchteten Sträflings her, krachte der steifangewinkelte linke Haken des Missouriers durch die Deckung Sunrisers. Ein schwerer Schlag, der den einstigen Sheriff gewaltig durchschüttelte.
Aber Sunriser war an Schlägereien gewöhnt. Er schluckte den Hieb und versuchte, jetzt in einer schnellen Doublette die Blöße zu überwinden.
Aber mit der Doublette hatte er wenig Glück. Mit dem ersten Schlag kam er nur zu einem Drittel durch. Den zweiten trieb ihm Wyatt mit einem hochgerissenen Rechtshänder weg.
Dafür sauste jetzt wieder ein linker Haken in die kurzen Rippen Sunrisers, dem ein rechter auf die Herzspitze folgte.
Sunriser torkelte mehrere Schritte zurück und war plötzlich weiß wie eine gekalkte Wand geworden. Und was das schlimmste für ihn war: er mußte nach Atem ringen.
Wyatt hätte leicht nachsetzen können, aber er tat es nicht. Er wandte sich an die anderen, die den Indianer gepackt hielten und ihn zurückzuzerren versuchten.
»Laßt ihn los!«
Einer der beiden wich sofort zurück.
Der andere spuckte tatsächlich den Marshal an.
Eine fürchterliche Ohrfeige wirbelte ihn um seine eigene Achse.
Da griff er nach dem Revolver.
Aber Wyatt Earp hatte schon seine Waffe gezogen. Und zwar den Revolver aus dem rechten Halfter.
Instinktiv hatte er darauf verzichtet, den, den er sonst immer zuerst benutzte, aus dem linken Halfter zu ziehen. Und zwar darum, weil er befürchten mußte, daß diese Waffe möglicherweise dem einen oder anderen hier nicht ganz unbekannt war. Zu wenige Männer trugen in diesem Land den schweren Buntline Special mit dem überlangen sechskantigen Lauf.
Und der Marshal legte keinen Wert darauf, hier von irgend jemandem erkannt zu werden.
Sunriser hatte sich mit der Linken auf eine Stuhllehne gestützt und war jetzt wieder voll bei Atem.
Er suchte die Spannung, die zwischen den beiden Männern mit den Revolvern bestand, für sich auszunutzen, indem er seine Waffe zog, um einen raschen Schuß auf den verhaßten Fremden abzugeben.
Aber das glückte ihm nicht. Wyatt Earp schnellte plötzlich auf ihn zu, riß den linken Fuß hoch und trat ihm den Revolver aus der Hand.
Sunriser vermochte einen Schmerzensschrei nicht zu unterdrücken.
»Ich habe etwas gegen Heckenschützen, Sunriser. Es wäre gut, wenn Sie sich das merken würden!« knurrte der Marshal.
Inzwischen hatte sich der Indianer von seinen Bedrängern befreit und stand ruhig und stolz aufgerichtet vor der Bordwand der Theke.
Im Schankraum des kleinen Hotels herrschte drückende Stille.
Da riß der entsprungene Sträfling plötzlich den Mund auf und preßte durch die Mundwinkel hervor:
»Was denn, Stranger! Bildest du dir etwa ein, daß du so davonkommst? Wer hier einer Rothaut beisteht und sich an mir vergreifen will, der ist erledigt. Mein Name ist Jerry Sunriser.«
»Ihr Name interessiert mich nicht, Mister, und seien Sie froh, daß es so ist.«
Wyatt wandte sich ab und gab dem Indianer einen Wink.
Der Rote wollte hinausgehen, aber Sunriser versperrte ihm den Weg.
»Ich habe gesagt, er bleibt hier. Und was Jerry Sunriser sagt, das geschieht. Er kriegt eine halbe Flasche Whisky eingetrichtert und wird einen Kriegstanz für uns hinlegen. Anschließend lasse ich ihm das Nasenbein einschlagen, und er wird aus der Stadt geprügelt, daß er drei Wochen braucht, bis er wieder in seinen Stall findet.«
Dieser Sunriser war wirklich ein scheußlicher Bursche. Er widerte den Missourier an.
»Und du, Stranger, du bist auch noch nicht draußen. Das ist ja wohl klar. Mich hat noch nie jemand angegriffen, ohne daß es ihm schlecht bekommen ist!«
Im Rücken von Wyatt tauchte plötzlich ein riesiger Mensch auf, der die Gestalt eines Gorillas hatte. Er maß sicher mehr als zwei Meter, hatte einen winzigen Schädel, der halslos auf dem Rumpf saß, und Schultern, die zu einem völlig anderen Mann zu gehören schienen. Seine gewaltigen Arme hingen ihm bis weit über die Knie hinunter, was das Affenähnliche noch hervorhob. O-beinig und vornübergebeugt in der rechten Schulter hängend, so stand der Mensch da: mit wulstigen Lippen, gewaltigem Kinn, kurzer, fliehender Stirn, aber gewaltigem Haarwuchs.
»Petkin«, zischte Sunriser plötzlich, »mach ihn fertig!«
Alexander Petkin war ein Russe. Sein Vater war vor vielen Jahren noch mit jenem Mann nach Mesha gekommen, der der Stadt den Namen gegeben hatte.
Aber Petkin hatte wenig Gutes von den Eigenschaften seines Volkes drüben an der Dwina mitbekommen. Er war ein geistesschwacher, wilder Schläger, der dem Trunk ergeben war und sich dem gefährlichen Sunriser untergeordnet hatte.
Wyatt sah ihn im Thekenspiegel kommen, blieb aber stehen und tat, als habe er nichts bemerkt. In Wirklichkeit war jede Muskelfaser in ihm aufs äußerste angespannt.
Da tippte der Riese ihm auf die Schulter.
Wyatt wandte den Kopf. »Lassen Sie mich zufrieden, Mann!«
Noch stand der Indianer zwischen der Theke und Sunriser.
Da holte Petkin plötzlich zu einem Wurfhaken (weit hergeholter Schwinger) aus, der zischend über den abgeduckten Kopf des Marshals pfiff.
Wyatt wußte sofort, daß er sich mit dem Riesen nicht auf einen harten Schlagaustausch einlassen konnte, denn das würde auf jeden Fall kraftraubend und gefährlich sein.
Er riß darum unter dem vorbeigegangenen Schlag des Hünen einen gewaltigen linken Uppercut hoch, der genau an der Kinnspitze des verformten Mannes detonierte.
Es war, als wäre der Muskelklotz von einem Blitzschlag getroffen worden, so wurde er durchgeschüttelt, stand aber immer noch auf breit gespreizten Beinen da, die Arme fallen lassend.
»Was ist mit dir los!« schrie Sunriser. »Mach Kleinholz aus dem Stranger. Schmeiß ihn durch die Scheibe auf die Straße!«
Da geschah etwas Seltsames. Der büffelartige Mann aus der Tundra schlug plötzlich der Länge lang vornüber auf die Dielen und blieb mit weit ausgestreckten Armen liegen.
Sunriser stierte fassungslos auf ihn nieder, warf dann den Kopf hoch und fauchte durch die Zähne:
»All right. Ich sehe, du verläßt dich auf deine Fäuste, Stranger, aber das wird dir nichts nützen.«
Wyatt hatte sich wieder abgewandt und da, wo vorhin der Russe gestanden hatte, bauten sich jetzt drei Burschen auf – mit steif über den Revolverkolben angewinkelten Armen.
Wyatt war nicht mit der Absicht in den Schankraum gekommen, hier eine Schießerei mitzumachen.
Er ging auf den Indianer zu und wies auf den Ausgang.
»Der rote Mann wird jetzt gehen.«
Sunriser hatte – wie seine Freunde – die Hände über den Revolverkolben hängen.
»Er bleibt hier, Stranger!«
Da krächzte einer der drei hinter dem Marshal:
»Puste dich nicht auf, Gringo, sonst bist du in wenigen Sekunden mehrere Unzen schwerer!«
»Es tut mir leid, daß ich eure Ansicht nicht teilen kann!« Klirrend waren diese Worte von der Hallentür an die Ohren der Männer gefallen.
Einer von ihnen wandte sich um.
In der Tür stand ein hochgewachsener Mann im schwarzen Anzug. Er trug ein weißes Rüschenhemd und eine schwarze Schleife. Seine giftgrüne Weste war mit schwarzen Stickereien bedeckt. Er hatte ein aristokratisch geschnittenes Gesicht, und seine eisblauen Augen hafteten auf den drei Sunriser Boys. Und in seinen vorgestreckten Fäusten hielt er zwei vernickelte schwere Frontier-Revolver.
»Hölle!« stieß einer der Sunriser Boys aus.
»Laßt euch doch nicht bluffen!« schrie der geflüchtete Sträfling.
Da spannte Doc Holliday, denn er war es natürlich, der dem Marshal jetzt den Rücken freigehalten hatte, knackend beide Revolverhähne.
»Ihr könnt es gern versuchen, ob es Bluff ist, Boys. Es gab allerdings schon früher ein paar Leute, die das angenommen haben. Leider können sie es euch nicht mehr bestätigen, da ihre Kreuze die Boot Hills verschiedener Städte schmücken.«
Die drei standen wie Wachsfiguren da und rührten sich nicht.
Sunriser stieß den Schädel wieder vor und geiferte:
»Ah, das ist sein Partner! Gut, man muß wissen, mit wem man es zu tun hat.«
Wyatt tippte dem Indianer auf die Schulter.
»Der Rote Mann geht jetzt hinaus.«
»Er bleibt hier!« brüllte Sunriser.
Da trat Wyatt – an dem Indianer vorbei – auf den Sträfling zu.
»Gehen Sie zur Seite, Sunriser, sonst gibt’s ein Unglück.«
»Ein Unglück? Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß ich mich vor dir fürchte? Wir sind hier in Mesha – und Mesha ist meine Stadt!«
»Das interessiert mich nicht. Jedenfalls wird hier niemand mißhandelt und halb tot geprügelt. Der Mann hat euch nichts getan, also laßt ihn in Ruhe.«
»Das weißt du doch gar nicht, ob er uns nichts getan hat.«
»Was hat er getan?«
»Es genügt ja schon, daß er mir in die Quere kam. Schon das ist eine Beleidigung für mich. Soll ich mir das vielleicht bieten lassen? Was hat der Hund hier in der Stadt zu suchen. Warum schnüffelt er hier an den Vorbauten herum. Wahrscheinlich wollte er mein Pferd stehlen.«
»Auf ein ›Wahrscheinlich‹ gibt kein Richter was. Das sollten Sie am besten wissen, Sunriser.«
Der Sträfling legte den Kopf etwas nach rechts und fixierte den Missourier forschend.
»Mir scheint, ich bin dir doch nicht so unbekannt, Stranger.«
»Nein, ich habe mich plötzlich an dein Galgenvogelgesicht erinnert, Sunriser. Sie sind der Totschläger aus Santa Fé, der zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde – und geflüchtet ist.«
Es war einige Sekunden still. Dann machte Sunriser einen halben Schritt nach vorn. Er war nicht ganz so groß wie der Marshal und versuchte, seinen Blick in dessen Augen zu bohren.
»Das hast du eben prächtig formuliert, Stranger. Du gefällst mir!«
Und plötzlich funkelte ein langes Chicagomesser in seiner Linken. Bei jedem anderen Mann wäre der Stoß sicher im Körper gelandet.
Aber der Marshal war so reaktionsschnell, daß er den Arm des Verbrechers noch im letzten Augenblick abwehren und hochschlagen konnte. Die Klinge sirrte in hohem Bogen bis hinter die Theke und stieß dort ein Glas aus dem Flaschenbord, das klirrend am Boden zersprang. Dann schickte der Marshal eine kurze Rechte nach vorn, die auf kürzester Distanz den Kinnwinkel des Banditen traf.
Sunriser kippte über die Absatzspitzen zurück und schlug hart auf den Boden auf, wo er bewegungslos liegen blieb.
Wieder war es einen Augenblick still in der Schenke. Aber dann brach die Hölle los. Alles johlte, pfiff, schrie und brüllte wild durcheinander.
Hinter Wyatt hatte sich der lange Petkin erhoben und drang jetzt auf den Marshal ein.
Wyatt bemerkte in letzter Sekunde, daß der gewaltige Mann auf ihn zuschnellte. Er duckte sich nieder, packte ihn und schleuderte den Koloß über sich weg hart auf den Boden auf.
Ein Zittern schien den ganzen Raum zu erfüllen.
Da warfen sich zwei, drei, vier, fünf, sieben Männer auf den Marshal und versuchten ihn niederzureißen.
Doc Holliday war sofort hinter ihnen und drosch mit den Revolverläufen auf sie ein.
Aber auch er wurde jetzt von der Übermacht niedergerungen.
Der Indianer hätte jetzt fliehen können. Aber er tat es nicht. Er war stehen geblieben und hatte einen Augenblick dem Kampf zugesehen. Als er sah, daß der Mann, der sich für ihn eingesetzt hatte, niedergerissen wurde, stürzte er sich in das Getümmel und brachte dem Missourier etwas Luft.
Aber es waren zu viele, die sich da wie eine Büffelherde über die drei Männer wälzten.
In diesem Augenblick kam Jerry Sunriser zu sich. Er stützte sich auf den rechten Arm auf, schüttelte den Kopf und blickte benommen um sich. Da sah er vor sich das Kampfgetümmel.
Er kam auf die Knie und schüttelte sich wieder. Dann nahm er ein Bierglas von einem der Tische, der noch nicht umgeworfen worden war, und kippte sich den Inhalt über den Schädel.
Das schien ihn wieder völlig klarzumachen.
Er stand auf – und plötzlich stürzte er nach vorn, griff sich den Indianer und riß ihn aus der Menge heraus.
Der Rote kam zu Fall, wollte sich wieder aufrichten, aber da war es schon zu spät.
Mit gespreizten Beinen stand der geflüchtete Sträfling da. Nur wenige Schritte von den Kämpfenden entfernt. Nicht ganz vier Yard vor dem verhaßten Mann mit der roten Haut.
Er hatte beide Revolver in den knochigen Fäusten. Sein Gesicht war verzerrt vor Wut und Haß, das nasse Haar klebte ihm in der Stirn.
Da spien seine beiden Revolver Feuer.
Seine Kugeln stießen den Indianer, der sich jetzt wieder erhoben hatte, zurück, warfen ihn um seine eigene Achse, ließen ihn an einem Tisch Widerstand finden und rissen ihn dann doch in die Knie.
Aus brechendem Auge blickte der Apache in das Gesicht seines Mörders.
Er versuchte noch einmal, sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht mehr. Er fiel zwischen Stuhl und Tisch auf den Boden, wo er tot liegenblieb.
Die Kämpfenden hatten innegehalten. Aber sie gaben den Marshal und seinen Gefährten nicht frei.
Bebend vor Zorn starrte der Marshal auf den Indianer.
An seinem Körper hingen mehrere Männer. Sie hatten seine Arme gepackt und hielten sich hinten am Kragen fest. Einer hatte seinen Leib umfaßt, und zwei umklammerten seine Beine. Es war unmöglich für ihn, sich auch nur zu bewegen. Jedenfalls schien es so.
Plötzlich warf er sich mit der rechten Schulter nach vorn, wieder zurück, wieder nach vorn, ließ sich dann fallen, zuckte hoch. Und dann hatte er den rechten Arm frei.
Ein Backhander sauste zurück, traf gleich zwei Widersacher, und dann hatte er auch den linken Arm frei.
Aber noch hingen ihm die Männer an den Beinen.
Es gelang ihm tatsächlich, auch diese abzuschütteln.
Sunriser hatte der Szene entgeistert zugesehen.
Mit drei tigerähnlichen Sprüngen hatte ihn der Missourier erreicht.
Sunriser hatte zwar versucht, zurückzuweichen; aber es gelang ihm nicht mehr. Über den Kopf des Indianers stolperte er, sprang wieder auf, und da traf ihn die schwere rechte Faust des Marshals rechts am Ohr und schmetterte ihn gegen die Tür, an deren Rahmen er langsam wie ein Sandsack niederrutschte.
»He, der Stranger hat Dynamit in der Faust!« brüllte ein Mann von der Theke her.
Dann sauste ein Bierglas dicht an Wyatts Schädel vorbei.
Und schon wieder drang die Meute auf ihn los, und – obgleich Wyatt zwei, drei Männer abwehren konnte, riß ihn die Menge doch mit ihrer Übermacht wieder nieder.
Plötzlich wurde es seltsam still in der Schenke.
Wyatt blickte auf. Über ihm knieten mehrere Männer, die versuchten, ihn am Boden zu halten.
In der Tür, die zur Hotelhalle führte, stand ein Mann. Er war alt, hatte einen Bart und hatte einen Schlapphut auf, der weit im Gesicht saß. Seine Kleidung war zerschlissen und wirkte ärmlich.
Es war der Trader, den sie unterwegs getroffen hatten.
Er blickte einen Moment forschend auf die Szene und kam dann näher.
»Laßt sie los!«
Mit mürrischen Gesichtern und unterdrückten Flüchen ließen die Männer von den beiden Dodgern ab.
Doc Holliday zog seinen rechten Rockärmel, der völlig aus den Nähten gerissen war, herunter, und ließ ihn auf den Boden fallen.
»Schade um die Jacke.«
»Von mir können Sie sich eine neue kaufen«, meinte der Trader.
Wyatt Earp suchte unter einem der Stühle seinen Hut, wischte ihn ab und setzte ihn auf.
Der Alte blickte ihn an. »Ein Glück, daß Sie den Kupferkessel bei mir gekauft haben, Mister.«
Wyatt durchforschte das von Runen zerschnittene Gesicht des alten Händlers. Wer war dieser Mann? Lebte er tatsächlich nur vom Handel mit Töpfen und Kannen? Was hatte die Männer veranlaßt, bei seinem Eintritt und auf seinen Befehl hin von ihm und Holliday abzulassen?
»Es hat nichts Besonderes auf sich, Mister. Ich bin weder der liebe Gott noch der Sheriff hier. Ich bin der Mayor. Aber das will nichts bedeuten. Wenn ich eine halbe Stunde später gekommen wäre und diese Halunken hier alle betrunken gewesen wären, dann hätten sie sich einen Dreck um mich geschert.«
Wyatt wandte sich um. Rechts neben der Tür lag noch immer der Indianer. Der Platz am Türrahmen war leer.
Sunriser war verschwunden.
Wyatt schob sich durch die Männer und stürmte hinaus.
Ein Schuß brüllte ihm entgegen. Die Kugel klatschte dicht neben seinem Schädel auf eine Metallplatte der Tür auf und sauste jaulend als Querschläger davon.
Wyatt hatte sich sofort niedergeworfen und im Fallwurf zurückgefeuert.
Aber in dem Gewirr der Wagen und Karren war kein sicherer Schuß mehr anzubringen.
Wyatt ging in die Schenke zurück.
Er sah, daß die Männer an den Tischen Platz genommen hatten. Die Theke war leer bis auf zwei Männer. Der eine von ihnen war Doc Holliday und der andere der Mayor.
Wyatt trat zu ihnen und blickte den Mayor an:
»Jerry Sunriser war hier in der Schenke. Er hat einen Indianer niedergeschossen.«
Der Mayor nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel.
»Jerry Sunriser, ja, das ist nicht unmöglich.«
»Und, interessiert es Sie nicht, daß er einen Menschen niedergeschossen hat? Da drüben vor der Tür liegt ein Indianer.«
»Wie war das doch«, meinte der Mayor. »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.«
»Ja, das war das Wort eines brutalen Offiziers, und es wäre gut, wenn Amerika es vergessen würde, denn es gereicht ihm nicht zur Ehre.«
Doc Holliday schob sich eine Zigarette zwischen seine Zähne und hatte sich auf den linken Arm gestützt. Er bot ein sonderbar skurriles Bild mit dem fehlenden linken Rockärmel. Er hatte sich einen Brandy bestellt und hob ihn mit der Hand, in der er die Zigarette hielt, zum Mund und trank einen Schluck.
»Ich glaube, wir reiten weiter.«
Wyatt sah wohl seinen Blick und verstand ihn. Hier in der Schenke war es keineswegs geheuer. Und es war besser, wenn sie zusahen, daß sie bald hier wegkamen. Aber er würde die Stadt nicht verlassen, ehe er den Mörder des Indianers gefunden hatte.
Der Mayor trank einen Whisky mit den beiden und empfahl sich dann.
In der Schenke war es sehr ruhig geworden.
Doc Holliday ging auf den Musikautomaten zu und warf ein Geldstück hinein.
Rappelnd setzte sich der Kasten in Bewegung und hämmerte wieder den Santa Fé Song in die Schenke.
Die beiden verließen den Raum und gingen in die Hotelhalle zurück.
Drüben vor dem Rezeptionspult stand stocksteif die schweißig riechende Frau. Mokant blickte sie den beiden entgegen.
»Na, Sie haben sich ja gleich richtig hier in Mesha eingeführt«, meinte sie spitz.
»Man muß mit den Hunden heulen«, entgegnete der Marshal.
»Was soll das heißen? Wollen Sie etwa behaupten, daß in unserer Stadt ein Hundeheulen herrscht?«
»Schlimmer«, entgegnete der Spieler, »es sind schon Kojoten, die dieses Nest hier bevölkern.«
Sie nahmen ihre Schlüssel und gingen, ohne sich in das Gästebuch einzutragen, hinauf auf ihre Zimmer.
Als sie auf dem letzten Treppenabsatz waren, rief ihnen die Frau gallig zu:
»Bei uns wird vorher bezahlt!«
Da blieb der Spieler stehen und blickte über die Schulter zurück. »Aber wir zahlen hinterher. So hat jeder seine Sitten. Wünsche eine angenehme Ruhe, Lady.«
Lady! Wie unendlich spöttisch hatte das geklungen.
Die Frau spürte den Hohn wohl und wurde rot vor Zorn. Um ihre Mundwinkel zuckte es.
Wenige Minuten später wurde vorn die dunkelblaue Portiere am Hoteleingang von einer knorrigen gelben Hand zurückgeschlagen.
Das Gesicht des Sträflings Sunriser tauchte auf.
Die Frau an der Portiere hatte den Mann bemerkt, rührte sich aber nicht.
»Wo sind sie?«
Sie deutete mit dem Federkiel zur Treppe.
»Oben.«
Sunriser kam näher. »Also wohnen sie hier?«
»Ja. Sie sind heute abend gekommen.«
»Haben sie sich eingetragen?«
»Nein.«
»Und das läßt du einfach so geschehen?«
Da hob sie den Kopf und schoß dem Mann, der etwa gleichgroß war, einen bösen Blick zu.
»Was fällt dir ein, Jerry, dies ist immer noch mein Haus. Vergiß es nicht. Und wenn du hier Gastrecht genießen willst, so benimm dich gefälligst.«
Da nahm der Bandit den Kopf zurück und stieß eine blecherne Lache aus. »Du mußt verrückt sein, Hazy! Was bildest du dir eigentlich ein? Wenn ich will, schlagen meine Boys dir die Bude zusammen. Ohne mich hättest du keinen roten Cent mehr. Als ich mit meinen Jungs hier in die Stadt kam, nagtest du am Hungertuch wie all die anderen Ratten hier. Wir erst haben Leben in deinen Stall gebracht. Also führ dich entsprechend auf.«
Die Frau setzte zu einer heftigen Entgegnung an, aber da holte der Mann plötzlich im Backhandschlag aus und traf sie mit dem Handrücken der Rechten auf den Mund.
Sofort zog sich ein dünner Blutfaden aus ihrem linken Mundwinkel.
»Du Schuft! Du abscheulicher, armseliger Schuft, du elender Bandit, du Strolch! Du Sträfl…«
Da wurde sie von einem klatschenden Doppelschlag getroffen.
Sunriser liebte es, Schläge zu verteilen.
Das Gesicht der Frau brannte, und in ihren Augen blitzte unversöhnlicher Haß.
Ich werde ihn töten! schwor sich Hazel Irogreen in diesem Augenblick. Wenn er schläft – in der Nacht – dann werde ich ihn töten!
»Ihr Freund« schien jedoch ihre Gedanken erraten zu haben.
Er griff plötzlich mit der Rechten nach ihrem linken Oberarm und riß sie zu sich heran.
»Hör zu, Darling, es wäre nicht gut, wenn du auf krumme Gedanken kämst. Meine sind noch krummer.« Er hatte plötzlich sein Messer in der Hand und wippte es vor ihrer Nase auf und nieder. »Ich bin schnell mit diesen Dingen. Das solltest du wissen. Und hast du mir nicht selbst erzählt, daß du einmal geträumt hast, daß dir jemand die Kehle zudrückte? He? Kann allzu schnell passieren. Wie das Leben nun mal so spielt…«
Er tätschelte auf eine üble Weise ihre unschönen Wangen und ging mit schlenderndem Schritt hinaus.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten sich oben in ihren Zimmern in den schmutzigen Porzellanschüsseln gewaschen und erschienen jetzt wieder auf der Treppe.
Die Frau warf unwillkürlich einen Blick zur Portiere.
Dann winkte sie Doc Holliday, der am nächsten an ihrem Pult vorbeikam, zu sich heran.
Der Spieler dachte gar nicht daran, ihrer plump vertraulichen Aufforderung Folge zu leisten.
Aber er blieb stehen und sah sie an:
»Was gibt’s, Lady?« Die ablehnende Art, in der der Spieler sie behandelte, dämpfte die Mitteilungssucht der Frau.
»Vielleicht hätte ich einen Tip für Sie«, sagte sie. Und ärgerte sich im gleichen Augenblick darüber, daß sie die beiden nicht hinter Sunriser, der sie so geschlagen und gedemütigt hatte, hergehetzt hatte.
»Immer heraus damit, Lady«, entgegnete der Spieler.
»Was wäre Ihnen der Spaß denn wert?« fragte sie lockend.
Holliday zog seine feingeschwungenen Brauen in die Höhe und blickte sie jetzt voll an.
»Was haben Sie zu bieten, Lady?«
Die Frau, die sich weit über das Pult gebeugt hatte, richtete sich plötzlich stocksteif auf und fauchte giftig:
»Sprechen Sie nicht so spöttisch mit mir, Mister. Ich weiß nicht, wer Sie sind – aber wenn Sie sich für etwas Feineres halten – dann sind Sie hier fehl am Platze. Ich bin Hazel Irogreen, und dies ist mein Haus. Und wer sich darin aufhalten will, hat sich entsprechend zu benehmen. Wer das nicht kann, den werde ich hin…«
Der Spieler war einen Schritt nähergekommen und stand jetzt anderthalb Yard vor dem hohen Pult. Er hatte den Blick seiner eisblauen Augen in die gelblichen, glanzlosen Lichter der Frau gesenkt.
Hazel Irogreen vermochte diesem Blick nicht standzuhalten. Sie senkte den Kopf und starrte auf ihr Pult.
Da griff die nervige Hand des Spielers nach ihrem Arm und spannte sich um ihr Handgelenk.
»Wie war das mit dem Tip, Lady?«
Die Frau warf den Kopf hoch, und ihr übelriechender Atem drang dem Georgier entgegen.
»Lassen Sie meinen Arm los! Wer hat denn von einem Tip geredet. Sie müssen verrückt sein.«
Holliday schleuderte den Arm wie ein lästiges Insekt von sich und lachte leise:
»Armselige Schachtel!«
Die Frau krallte ihre Spinnenhand um den Federkiel und vermochte nur mühsam ihre Wut hinunterzuschlukken.
Sie hatte den Kopf wieder gesenkt und starrte auf das vor ihr liegende Gästebuch, in das sich die beiden Männer noch nicht eingetragen hatten. Plötzlich schob sich die braune kantige Hand des Marshals darüber.
»Sunriser war hier.«
Hazel Irogreen warf den Kopf hoch: »Wie kommen Sie darauf?«
Wyatt hielt ihr einen der seltsamen Perlmuttknöpfe entgegen, die ihm vorhin in der Schankstube an Sunriser schon aufgefallen waren. Er trug sechs davon an seiner Jacke. Und sechs an jeder Seite seiner Jackenärmel.
Er war also hiergewesen!
»Sunriser?« meinte die Frau, »ich weiß gar nicht, von wem Sie sprechen. Den Mann kenne ich gar nicht!«
»Das möchte ich Ihnen auch geraten haben.«
Die beiden verließen das Haus durch den Hof – auf dem gleichen Weg, auf dem sie vor noch nicht allzu langer Zeit gekommen waren.
Sie standen am halboffenen Hoftor und blickten in die dunkle Gasse.
Holliday meinte: »Dieser komische Mayor-Trader hätte uns gleich sagen können, daß der Laden eine Schenke hat, die auf die Mainstreet stößt.«
»Ja, das ist ziemlich dumm, denn wenn hier einer ins Hotel hineingeht, dann kann er vorn durch die Schenke zur Straße verschwinden, ohne daß es einem auffällt.«
Da sahen sie, wie oben auf der Hauptstraße mehrere Männer etwas wegschleppten.
Rasch liefen sie die Gasse hinauf und blieben oben an deren Mündung stehen.
»Da schleppen sie den Indianer weg. Wie einen krepierten Hund schaffen sie ihn fort.«
Als die Männer drüben in einer etwas schräggegenüberliegenden Gassenmündung verschwunden waren, wandte sich der Marshal ab.
»Ich werde Sunriser suchen, und ich werde ihn finden.«
Aber die Gänge durch die düsteren Straßen und Gassen der Stadt brachten keinen Erfolg. Der Mörder hatte hier Hunderte von Unterschlüpfen und würde so leicht nicht zu finden sein.
Am nächsten Morgen suchte Wyatt das Bureau des Sheriffs auf.
Ein siebzehn oder achtzehnjähriger Bursche trat ihm entgegen, schob seine beiden Revolver nach vorn und wippte auf den Zehenspitzen:
»Sie suchen mich?«
Wyatt fixierte ihn von oben bis unten.
»Ich suche den Sheriff.«
»Der Sheriff bin ich.«
»Well, dann wird es Sie vielleicht interessieren, daß gestern abend im Lopec Hotel ein Mann erschossen worden ist.«
Nicht die geringste Veränderung war im Gesicht des Sheriffs zu sehen.
Wyatt war plötzlich überzeugt, daß der Mann wußte, was geschehen war.
»Ein Mann?« fragte er denn auch.
»Ein Mann! Auch die Tatsache, daß er eine rote Haut hatte, ändert nichts daran, daß er ein Mann, ein Mensch war.«
»Hören Sie, Mister, Sie machen mir wirklich Spaß. Wenn ein Indianer ausgelöscht wird, hat man allen Grund, ein Glas zu trinken. Diese Burschen sind doch wie die Ratten…«
»Ihre Ansicht, junger Mann!« unterbrach ihn der Marshal. Er vermied es von nun an, den Titel Sheriff auszusprechen. Ein Mann, für den ein Indianer kein Mensch war, verdiente in den Augen des Marshals keinerlei Achtung mehr.
»Ich erwarte von Ihnen, daß Sie sich um die Aufklärung des Mordes kümmern. Um Ihnen die für Sie offensichtlich schwierige Sache zu erleichtern, teile ich Ihnen mit, daß der Mörder Jerry Sunriser ist. Es handelt sich um den in Fort Worth ausgebrochenen Totschläger aus Santa Fé.«
Der junge Morcote war einen Schein bleicher und – ganz sicher – einige Nuancen unsicherer geworden.
»Jerry Sunriser? Nie gehört!«
»Das wundert mich nicht sehr bei Ihnen, junger Mann. Aber ich bin überzeugt, daß der Steckbrief wenigstens dreimal zu Ihnen gekommen ist. Offenbar haben Sie nicht genug Grips im Kopf, sich die Namen so bekannter Verbrecher zu merken. Jedenfalls werden Sie sich um die Aufklärung des Mordes bemühen!«
Plötzlich zuckte der Sheriff zurück und starrte in die offene linke Hand Wyatts, mit der er, einer Gewohnheit folgend, über sein Kinn strich.
Der achtzehnjährige Sheriff Jefferson Morcote hatte den großen Ring der Galgenmänner gesehen.
Bleierne Blässe überzog sein Gesicht. Seine Hände waren schweißig geworden.
»Boß«, stammelte er. »Ich… ich… konnte ja nicht ahnen… aber…«
Wyatt hatte noch nicht begriffen. Er zog die Brauen zusammen. Da hörte er den Sheriff sagen: »Was befehlen Sie, Boß?«
»Was wollen Sie?« fragte Wyatt verblüfft.
»Aber der Ring, Boß, ich habe den Ring gesehen.«
Morcote hatte das Dreieck der Galgenmänner erkannt.
Wyatt faßte sich sofort. Nichts war ihm jetzt anzumerken.
Dieser verräterische Sheriff gehörte also zu der großen Bande der Galgenmänner!
Wyatt senkte die Hand und schob sie in die Tasche.
»Wie heißen Sie?« fragte er schroff.
Atemlos stieß der Bursche hervor: »Morcote, Jefferson Morcote!«
»Wo ist der alte Sheriff?«
»Wissen Sie es denn nicht? Er kam doch vor wenigen Wochen um, als er einem unserer Leute in die Berge folgte.«
»Wem?«
»Lubin!«
Wyatt hatte den Namen nie gehört, beschloß aber, ihn sich zu merken.
Also, die Graugesichter hatten den alten Sheriff von Mesha auf dem Gewissen. Wyatt wandte sich ab und tat, als wollte er gehen.
An der Tür blieb er stehen, drehte sich aber noch einmal um.
»Ich bin drüben im Hotel. Wenn es etwas gibt, sagen Sie mir Bescheid.«
Da machte der Bursche zwei Schritte nach vorn und fragte mit vorgeneigtem Kopf: »Und die Sache mit Sunriser war natürlich eine Finte. Sie wollten mich auf die Probe stellen?«
»Natürlich«, entgegnete Wyatt und ging von Doc Holliday gefolgt hinaus.
Als sie auf der Straße waren, sagte der Spieler: »Man reitet und reitet und lernt immer schönere und interessantere Städte kennen. – Der Satan soll dieses Kaff holen!«
Sie gingen zum Hotel zurück.
Wyatt hatte beschlossen, auch bei der Frau den Trick mit dem Ring zu versuchen.
Er legte die Hand auf das Rezeptionspult und fragte: »Irgend etwas Neues?«
Die Frau blickte ihn an und schüttelte den Kopf. Als sie die Augen senkte, blieb ihr Blick auf dem Ring haften. Aber das Zeichen sagte ihr nichts.
Die beiden gingen hinauf und berieten sich in Wyatts Zimmer, ob sie weiter nach Sunriser suchen sollten.
»Es wird ziemlich ausgeschlossen sein, den Burschen hier in der Stadt zu finden.«
Holliday nickte.
»Allerdings besteht die Möglichkeit, daß er gar nicht weiß, daß wir ihn noch suchen.«
Aber Jerry Sunriser wußte es.
Er stand oben im Obergeschoß eines Clothingstores und starrte auf die Straße. Er hatte die beiden Männer aus dem Sheriffs Office kommen sehen.
Wenige Minuten später erschien er unten in der Tür und huschte zum Sheriffs Office hinüber.
»Was wollen die beiden Kerle hier, Morcote?« schnarrte er.
Der Sheriff fuhr erschrocken herum.
»Ach, Sie sind’s! Ja, sie haben nach Ihnen gefragt!«
Es machte Morcote einen Heidenspaß, den Verbrecher zu reizen.
»Nach mir? Und?«
»Ich habe nichts erzählt.«
»Das war dein Glück, Junge. Ich hätte dir sämtliche Knochen gebrochen.«
»Seien Sie vorsichtig, Mister Sunriser! Mit den beiden ist nicht zu spaßen.«
»Findest du?«
»Ja, das finde ich. Sie sollten sich vor dem einen in acht nehmen. Er trägt den goldenen Triangel.«
Sunriser wich einen Schritt zurück.
»Bist du verrückt, Mensch!«
»Nein, aber wachsam! Im Gegensatz zu manchen anderen Leuten.«
Jerry Sunriser hatte sich schon vor Monaten den Graugesichtern angeschlossen. Zusammen mit seinen vier Genossen, die ihm hier herauf in die Bergstadt Mesha gefolgt waren, hatte er sich zu der Bande geschlagen, die einen so rücksichtslosen, brutalen Mann immer gebrauchen konnten.
»Willst du damit sagen, daß er tatsächlich einer der unseren ist?« stieß er hervor.
»Er ist nicht nur einer der unseren«, entgegnete Morcote, während er die Hände in die Hüften stützte und den Unterleib etwas vorschob. »Er trägt den großen Ring. Das dürfte doch genügen.«
Sunriser haßte es, wenn er so von oben herab angesprochen wurde. Er war es gewohnt, selbst der Boß zu sein. Und bisher hatte es hier in Mesha keinen Mann gegeben, der es gewagt hatte, ihm zu widersprechen, geschweige denn, den Boß zu spielen.
Und nun gebärdete sich dieser Bursche so, als sei dieser Fremde auch sein Herr.
Dabei hatte Sunriser die Verbindung zu den Galgenmännern nur aufgenommen, um sich hier ungeschoren bewegen zu können. Von Mittag bis in den späten Abend hinein spielte er mit seinen Freunden in den beiden Schenken und hatte beim Poker nicht unbeträchtliche Summen gewonnen.
Der alte Sheriff hatte ihm oft im Wege gestanden, und so war von den Galgenmännern, bei denen er sich über den Sternträger beschwert hatte, beschlossen worden, ihn auszulöschen. Das war dann auch geschehen, und seitdem saß der junge Morcote, den die Graugesichter auf diesen Posten geschoben hatten, hier im Bureau und spielte Sheriff.
Der Sträfling, der berechnend genug war, sich den Galgenmännern anzuschließen, war jetzt allerdings nicht untertänig genug, vor dem Mann mit dem goldenen Dreieck wirklich Respekt zu empfinden. Er hatte sich niemals dem Reglement der Graugesichter unterworfen und nahm sich jetzt vor, diesen Stranger zu beseitigen.
Es war kurz vor neun, als er in Patkins Werkstatt auftauchte.
Der bullige Russe arbeitete als Hufschmied.
Er blickte nicht eben erfreut auf, als er Sunriser erkannte:
»Was wollen Sie hier? Ich habe keine Zeit! Sie sehen, daß da draußen vier Gäule stehen, die alle noch bis Mittag beschlagen werden müssen.«
»Dumm genug, daß du dich mit so etwas abgibst«, fauchte ihm Sunriser entgegen. »Halt’s Maul und hör’ zu! Der Fremde, der dich gestern niedergeschlagen hat…«
Ein böses Grinsen flog über das einfältige Gesicht des Blacksmiths. »Dich hat er zweimal niedergeschlagen, Sunriser. Hahaha. Und wirklich nicht schlecht. Der Bursche schlägt zu wie ein Pferd. Und blitzschnell!«
Der Schmied hätte seinen ungebetenen Besucher am liebsten aus der Werkstatt hinausgeworfen. Aber das wagte er nicht.
Da zischte ihm Sunriser entgegen: »Du wirst ihn wegputzen.«
Patkin schickte ihm unter halbgesenkten Lidern einen fragenden Blick entgegen: »Auslöschen? Ich?«
»Es ist beschlossene Sache. Der Dreizehnerrat hat darüber konferiert. Du wirst ihn auslöschen! Und zwar mit ein paar Pistolenschüssen.«
»Und wie soll ich das anstellen?«
»Du lockst ihn zu dir ins Haus und wuchtest ihm deinen Schmiedehammer auf den Schädel. Nichts einfacher als das! Du hast den Schlag raus…«
Patkin schüttelte den Kopf: »Nein, Brother, daraus wird nichts. Ich erschlage keinen Menschen.«
»Dann wird’s Zeit, daß du es lernst. Und damit du nicht aus den Latschen kippst, gebe ich dir René und Geo mit.«
»Aber du kannst mich doch nicht zu so etwas zwingen.«
»Irrtum, Patkin, ich kann. Hast du mal von den Leuten gehört, die morgens irgendwo unter einem Vorbau gefunden werden – mit einem Messer im Rücken?«
Als der Verbrecher merkte, daß der Russe nicht anbeißen wollte, versuchte er es anders herum.
»Ich denke, du gehörst doch zu uns.«
»Zu uns?« entgegnete Patkin, hob den Kopf und kratzte sich im Nacken. »Ich gehöre immer nur zu euch, wenn ihr mich brauchen könnt.«
»Klar«, versetzte der Totschläger von Santa Fé grinsend. »Leute, die wir nicht brauchen können, verschwinden.« Bei dem letzten Wort hatte er eine Geste gemacht, die das Schießen andeutete.
Der Russe ließ den schweren Schmiedehammer hart auf den Amboß fallen, wischte sich die Hände an der grünen Schürze ab und schnäuzte sich die Nase.
»Gut, und wer ist noch mit dabei?«
»Miller und Bingham sind mit dabei.«
»Aber, ihr glaubt doch nicht, daß ich den Mann noch einmal von vorn angreife.«
»Wer erwartet das von dir? Du wirst es schön von der Seite erledigen, so wie Pallac und Flegger erledigt worden sind.«
Der Mörder hatte sich des dümmsten und einfältigsten Mannes bedient, den er in der ganzen Stadt finden konnte.
Patkin würde ihm den lästigen Triangelmann aus dem Wege schaffen.
»Und wann soll es geschehen?« forschte der Russe.
»So bald wie möglich. Ihr baut euch hier drüben im Hinterhalt auf. Und wenn die beiden aus dem Hotel kommen, geht’s los.«
Der Russe wandte den Kopf und knurrte:
»Alle beide? Davon war keine Rede!«
»Das ist doch selbstverständlich«, fauchte Sunriser. »Hast du dir vielleicht eingebildet, den anderen könnten wir laufenlassen? Der Hund muß natürlich mit ausgelöscht werden.«
Da ballte der Riese seine behaarten gewaltigen Fäuste und preßte durch die Zähne: »Ich habe es satt! Alles habe ich satt! Ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten und um zu leben, statt dessen werde ich nur zu Prügeleien geholt. Ihr habt mir versprochen, daß ihr mich schützt, wenn ich mich euch anschließe, daß ich meine Schmiede aufbauen kann. Was ist das für ein fauler Zauber. Überhaupt keinen Nutzen habe ich von euch. Nur Nachteile. Und jetzt soll ich noch zwei Leute erschießen. Nein, da mache ich nicht mit.«
Plötzlich hatte Sunriser seinen Revolver in der Faust.
»Wenn du nicht schießt, Patkin, schieße ich – und zwar auf dich.«
Da legte der Russe den Hammer mit einem Schlag auf den Amboß, stemmte die Fäuste in die Hüften und knurrte:
»Na gut, aber das ist das erste und letzte Mal, daß ich so was mache. Darauf könnt ihr euch verlassen.«
Sunriser verließ die Schmiede, und Patkin nahm sein Gewehr von der Wand und baute sich vor dem halb zugezogenen Türflügel auf.
Es fiel ihm nicht auf, daß die beiden Helfer, die ihm Sunriser zugesichert hatte, gar nicht erschienen.
Statt dessen sah er plötzlich drüben, schräg gegenüber, die beiden Männer aus dem Hoteleingang kommen.
Er nahm das Gewehr hoch und lud es durch.
Verblüfft starrte er auf den Hoteleingang. Die beiden Männer waren verschwunden. Wie vom Boden verschluckt.
Der Russe wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß das Ladegeräusch bis zu den beiden hinüberdringen und obendrein eine so verblüffende Wirkung haben könnte.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten das Geräusch gehört und waren sofort wieder im Eingang verschwunden.
»Beschauliche Stadt, dieses Mesha«, meinte der Spieler und zündete sich eine Zigarette an. Mitten in der Halle stand die langaufgeschossene Frau und blickte zu den beiden hinüber. Vor fünf Jahren, nach dem Tod ihres Onkels, hatte sie das Hotel und die Schenke geerbt. Aber sie verstand nichts daraus zu machen. Sie war keine Saloonerin, zu unfreundlich – und selbst zu unsauber. Und was vielleicht das ärgste war: sie hatte einen hinterhältigen Charakter, der niemandem verborgen bleiben konnte. Und so hatte sie nicht einen einzigen wirklichen Freund in der Stadt. Keine Seele, die zu ihr stand.
Wyatt war an eines der Fenster getreten und blickte hinaus:
»Das Schmiedetor war vorhin nicht so weit zugezogen. Schätze, daß unser Freund da oben auf uns wartet.«
»Er – oder ein anderer«, entgegnete Holliday.
»Sicher, es kann leicht eine Zwickmühle sein. Wir werden einen kleinen Umweg machen. Kommen Sie!«
Die Frau hatte nichts von dem Gespräch der beiden gehört.
Sie wich zur Seite, als sie jetzt an ihr vorbeikamen und auf die Flurtür zugingen, die zum Hof führte.
Sie machten einen großen Bogen und kamen in die kleine Parallelgasse, wo sie den Hof des Schmiedes rasch fanden. Karren und Räder standen da herum, und Hufeisenrohlinge hingen
in großer Menge unter einem Wagendach.
Während Doc Holliday hier am Hoftor blieb, ging der Marshal auf die Rückseite der Werkstatt zu, öffnete leise eine Tür – und sah drüben am Tor den bulligen Mann stehen, der ihn gestern abend drüben in der Schenke auf Sunrisers Befehl hin angegriffen hatte.
Er hielt ein schweres Sharps Gewehr schußbereit in beiden Händen. »Auf diese Distanz hin hat man sicher einen guten Schuß, Mister, finden Sie nicht auch?«
Patkin war so erschrocken, daß er sich zunächst gar nicht umsehen konnte. Aber dann fuhr er herum und suchte das Gewehr hochzureißen.
Aber zu spät – in beiden Händen des Missouriers blitzten die Revolver, knackend fuhren die Hähne zurück.
»Das wird nichts mehr, Brother, schätze, daß du für diesen Posten nicht geeignet bist. Das hättest du besser deinem Freund Sunriser überlassen.«
Der Riese schleuderte das Gewehr von sich und knurrte:
»Er ist nicht mein Freund!«
»Und warum wolltest du uns abknallen?«
»Weil er es befoh…, das geht euch nichts an.«
»Kann ich mir denken.«
Wyatt stieg über Eisenstücke, Kanthaken, Radreifen und andere Dinge, die säuberlich in der Werkstatt aufgestapelt waren.
Als er vor dem Riesen stand, streckte er die Hand aus.
»Geben Sie mir Ihren Revolver.«
Der Blacksmith schüttelte den Kopf und hob die Hände.
»Ich habe keine Waffe mehr, Mister. Überhaupt trage ich nie einen Revolver, weil ich nicht…« Jäh brach er ab und starrte auf den großen Siegelring in der Handfläche des Fremden.
Schreck durchzuckte ihn.
Das war ja das goldene Dreieck! Das Zeichen eines großen Boß der Organisation!
Und diesen Mann hatte er niederschießen wollen?
Wollen? Hatte er es denn gewollt? War es ihm nicht von Sunriser befohlen worden!
Da stieß er heiser durch die Zähne: »Sie gehören ja zu uns… Sie sind ja der Boß, oder… ich weiß nicht. Sunriser sagte, ich solle Sie niederschießen. Wahrscheinlich wußte er selbst nicht, daß Sie…«
Wyatt winkte ab, stieß das Tor mit dem Fuß auf und ging hinüber zum Hotel.
Holliday, der vom Hoftor aus die Szene hatte beobachten können, verließ ebenfalls seinen Posten und ging zum Hotel zurück.
Wo war Sunriser? Wo war seine Wohnung?
Die beiden überlegten, ob sie nicht den Mayor fragen sollten.
Ein Junge hatte ihnen das Haus des Traders gezeigt.
Aber er war nicht daheim. Eine verhärmt aussehende Frau in den Fünfzigern kam an die Tür und erklärte ihm, daß ihr Mann wieder über Land gefahren sei. »Wir müssen Geld verdienen«, jammerte sie. »Wir verhungern sonst in dieser furchtbaren Stadt. Es ist alles so schrecklich. In letzter Zeit ist es noch viel schlimmer geworden. Seit…« Sie brach ab.
»Sprechen Sie nur weiter, Madam!«
Aber sie schüttelte stumm den Kopf, wandte sich ab und schob die Tür zu.
Wyatt fragte einen Jungen, der seine Schulsachen – mit einer Schnur zusammengebündelt – pendelnd neben sich her trug.
»He, Boy, willst du dir einen halben Dollar verdienen?«
Die Augen des Burschen leuchteten auf.
»Aber ja, Mister, was soll ich tun?«
»Wo finde ich Mister Sunriser?«
Das Leuchten erlosch sofort in den Augen des Kindes.
»Ich weiß nicht«, stotterte es und lief rasch davon.
Die beiden Dodger tauschten einen Blick miteinander.
Holliday knurrte: »Das wird nichts. Die ganze Stadt hat Angst vor ihm.«
Der Marshal fügte hinzu: »Und ich wette, der gehört zu den Galgenmännern!«
Sie suchten den ganzen Tag über in der Stadt – ohne Erfolg. Es gab niemanden, der mutig genug gewesen wäre, den gefährlichen Mann zu verraten.
Am späten Nachmittag betraten sie die schmalbrüstige Schenke, die erst seit einer Stunde geöffnet hatte.
Es war dunkel in dem langen engen Raum, und nur ein einziger Mann lehnte an der Theke.
Doc Holliday trat ein und blieb neben dem Mann an der Theke stehen. »Einen Brandy.«
Der Keeper, ein kleiner Mann mit strähnigem Blondhaar und großen kranken Augen nahm eine Flasche und goß ein Glas zu einem Drittel voll.
Hustend schob er dem Spieler das Getränk hin.
Doc Holliday goß es aus, spülte das Glas in dem Gläsereimer und stellte es vor sich hin. »Geben Sie mir die Flasche her.« Er goß sich ein und trank.
Dann warf er Geld für zwei Drinks auf den Tisch.
Der Mann neben ihm hatte ihn aus wäßrigen Augen beobachtet.
Es war ein Mensch von vielleicht dreißig Jahren mit gebeugter, schlaffer Haltung und aufgedunsenem Gesicht. Seine Hände, die auf der Thekenkante lagen, zitterten, als der Georgier das Getränk eingoß und ihn mit einem Blick streifte.
Ein Trinker!
Doc Holliday sah es sofort. Er hatte ein ganz scharfes Auge für diese Kreaturen.
Vielleicht war mit diesem Mann etwas zu machen.
»Auch einen?« fragte er.
Der Mann nickte hastig und schob seine zitternde Hand vor.
Holliday nahm ein Glas und goß es ihm zu einem Drittel voll.
Fast hätte der Trinker in seiner Gier die Hälfte verschüttet, so hastig führte er das Glas zum Munde. Der braune Brandy rann ihm die Mundwinkel hinunter auf sein schmutziges Hemd.
»Noch einen?«
Der Mann nickte. Holliday hatte die Flasche schon über seinem Glas.
»Sie könnten mir einen Gefallen tun.«
»Sofort.«
»Kommen Sie mit, wir trinken anschließend noch ein paar zusammen!«
»Aber selbstverständlich.« Der Mann ging sofort mit ihm zum Ausgang.
Draußen auf dem Vorbau blieb Doc Holliday stehen.
»Wo finde ich Sunriser?«
Der Mann stand vor ihm, und das gierige Glimmen, das seine Iris geweitet zu haben schien, erlosch sofort.
»Ich weiß es nicht.«
Da packte Holliday ihn am Arm und schüttelte ihn.
»Reden Sie, Mensch! Ich gebe eine Flasche aus.«
»Eine Flasche!« Die Unterlippe des Alkoholikers bebte. »Eine ganze Flasche?«
Der Spieler nickte. »Ja!«
Schweiß trat auf die Stirn des Trinkers. Immer noch zitterte seine Unterlippe. Aber dann begann sein Kopf langsam zu zittern. Immer stärker – und schüttelte schließlich wild hin und her.
»Nein, ich weiß es nicht! Ich will nicht…,?ich will nicht sterben!«
Der Georgier wandte sich angewidert ab.
Es war dunkel geworden, als die beiden Dodger sich im Hof des Hotels wiedertrafen.
»Nichts«, sagte der Marshal.
»Auch nichts«, entgegnete Holliday.
»Dann hat es wirklich keinen Zweck. Ich dachte es mir schon. Wir verlieren hier nur Zeit.«
Der Gambler nickte. »Eben. Und da der Brandy auch nicht schmeckt, kann es wirklich nichts schaden, wenn wir weiterreiten.«
Sie zahlten bei der übelriechenden Frau ihre Zeche und verließen die ungastliche Stätte.
Der Negerjunge, der ihre Pferde versorgt hatte, erhielt ein Trinkgeld, und dann stiegen sie auf die Pferde und ritten durch die Gasse davon.
Als die Stadt hinter ihnen lag, hielt der Missourier seinen Falbhengst an und drehte sich im Sattel um.
Hinter ihnen schimmerte die Stadt mit ihren Lichtern. Es war ein friedliches Bild. Und nichts erinnerte daran, daß gestern um diese Stunde ein scheußlicher Mord in ihr verübt worden war.
»Ich hatte mir vorgenommen, dieses Kaff nicht zu verlassen, bis ich Sunriser gestellt hatte«, sagte der Marshal leise vor sich hin.
Auch Holliday hatte seinen Hengst angehalten und blickte auf die dunkle Silhouette der Stadt hinüber.
»Ja, ich weiß«, entgegnete er, »aber wir müssen zum Roten See. Die warten nicht auf uns.«
»Nein, das ist richtig. Aber ich komme zurück und werde mir diesen Mann greifen.«
Es sprach für das Wesen dieses Mannes, daß er Kreaturen wie diesen Jerry Sunriser haßte und bis aufs Messer verfolgte.
Es gab Tausende solcher Menschen, denen das Leben eines anderen nichts galt. Und wenn man sie nicht stellte und vor Gericht brachte, frönten sie ihrem Treiben weiter und löschten immer wieder andere Leben aus. Was hatte ihnen der blutjunge Indianer getan? Nichts. Er war nur an ihnen vorbeigekommen, nicht einmal oben auf dem Vorbau. Nein, unten auf der Straße war er gegangen. Dann hatten sie ihn in die Schenke geschleppt, um ihn dort fertigzumachen.
Jerry Sunriser hatte ihn wie einen tollen Hund zusammengeschossen. Und kein Hahn in Mesha krähte danach.
*
Weiter ging der Ritt auf die Berge zu, die stumm und gewaltig ihre schwarzen Gipfel in den hellen Nachthimmel schoben.
Sie ritten die ganze Nacht hindurch das immer stärker ansteigende Plateau hinauf, bis sie am Morgengrauen den harten, steil aus der Erde ansteigenden Fels vor sich sahen.
»Jetzt eine Passage finden«, meinte der Marshal.
Es war hier auf dieser Seite der Berge noch stockdunkel, und selbst als oben über den Graten der erste graue Silberstreif des neuen Tages kroch, blieb es unten vor den Felsbastionen noch dunkel.
Längst waren sie von ihren Tieren gestiegen und trotteten über die Geröllhalden vorwärts, um einen Paßpfad zu suchen.
Unerwartet schnell fanden sie einen Felseinschnitt, durch den sie sogar reiten konnten. In gewundener Linie zog der Weg bergan in die Felsen hinein, und als sie nach einer Stunde ein Podest erreicht hatten, brach plötzlich das Sonnenlicht grell vor ihnen auf und blendete sie mit seiner Leuchtkraft.
Die beiden beschatteten die Augen mit ihren Händen und suchten einen Blick nach vorn zu werfen.
Wyatt deutete auf eine kleine Senke in dem Felsmassiv und meinte:
»Da drüben führt der Weg hinauf. Da kann man selbst mit Wagen fahren. Wir müssen sehen, daß wir hier durchkommen.«
Sie stiegen wieder von den Pferden und zogen durch die Senke.
Als sie den Weg endlich erreicht hatten, der drüben weiter hinaufführte, war es schon neun Uhr am Vormittag.
Dieser Pfad hatte von weitem wegsam und fast bequem ausgesehen, erwies sich jetzt aber als steinig und sehr steil.
Sie mußten von den Pferden steigen, und nachdem der Pfad die erste Biegung nach Süden gemacht hatte, fiel rechts von ihm der Fels lotrecht in die Tiefe.
Sie kamen nur sehr, sehr langsam vorwärts.
Gegen Mittag machten sie hinter einer kleinen Felsnase in einer Gesteinsnische Rast und verzehrten von dem mitgebrachten Proviant.
»Eine scheußliche Sache«, meinte der Spieler, »einen Pfad hinaufzutrotten, den man nicht einmal vom Hörensagen kennt.«
Der Missourier blickte über die Schlucht vorwärts auf den Grat, der vor ihnen lag.
»So sehr weit kann es bis zum Gipfel gar nicht einmal sein, denn der Gebirgsstrich ist verhältnismäßig schmal. Allerdings sind wir auch nicht sehr schnell vorwärtsgekommen.«
Sie setzten ihren Marsch zum Paß vorwärts.
Aber der Pfad zeigte nach jeder Windung, und es war schon später Nachmittag, als sie plötzlich die Paßhöhe erreicht hatten und einen weiten Blick nach Osten über die Berge und bis in das ferne Land hinein tun konnten.
Viel zu früh sank die Sonne für sie und warf ein rotgoldenes Licht über die Felsen, die hier ohnehin einen rötlichen Farbton hatten.
Sie hatten den Paß schon seit einer Stunde hinter sich, als der Weg plötzlich eine brückenähnliche Form annahm. Links fiel der Fels steil ab in die Tiefe und rechts war das gleiche Bild. Und diese Brücke hatte kein Geländer.
Doc Holliday ritt hinter dem Marshal.
Wyatt Earp hatte den Blick geradeaus gerichtet, nicht, weil er etwa den Blick in die Tiefe fürchtete, sondern, weil er nach dem Fortgang des Weges suchte.
Da hörte er plötzlich hinter sich den Doc einen leisen Ausruf ausstoßen.
Vorsichtig hielt er seinen Rappen an und wandte sich im Sattel um.
Auch der Georgier hatte sein Pferd angehalten und deutete mit der Linken nach Süden in die Tiefe der Felsschlucht.
Da sahen sie in der Ferne ein kreisrundes Loch in dem Felsen, auf dessen Sohle das Wasser eines Sees schimmerte. Die Abendsonne und auch die roten Felsen ringsum ließen das Wasser tatsächlich rot wirken.
»Der Rote See!« Wyatt Earp glitt aus dem Sattel, zog sein Nelsonrohr (ein ausziehbares Fernglas) aus der Satteltasche und richtete es auf den See.
Aber da er nur dessen südliche Hälfte sehen konnte, schob er es bald wieder in die Tasche zurück.
»Wenig zu erkennen«, erklärte er. »Die Ufer fallen im Süden und auch im Südwesten aus Hunderten von Yards steil in das Wasser.«
»Aber Sie sind sicher, daß es der Rote See ist?«
»Ich nehme es doch an. Hier ist weit und breit kein anderes Gewässer zu sehen.«
»Und wie kommen wir da hin? Wir sind offensichtlich auf dem falschen Kurs.«
»Das glaube ich nicht einmal, denn es führte ja unten von der Ebene aus nirgends ein anderer Paßweg in die Höhe. Wir müssen hier über diese scheußliche Brücke und dann südwärts reiten. Es wird schon einen Weg dorthin geben.«
Als sie die Passage in schwindelnder Höhe über die Gratbrücke endlich hinter sich hatten, sahen sie, daß der Weg tatsächlich von hier an nach Süden durch die Berge führte.
Schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit gab ihnen das Felsmassiv wieder einen Blick auf den See frei.
Sie konnten ihn jetzt mit bloßen Augen deutlich vor sich liegen sehen.
»Das kann ja ein heiterer Abstieg werden«, fand der Georgier.
Und diese Bemerkung war durchaus berechtigt, denn wie es jetzt schien, hatte der See überhaupt keine wegsamen Ufer, sondern war wie ein in den Fels geschlagenes Loch, auf dessen Tiefe das Wasser stand.
Höchstwahrscheinlich hatte noch niemals ein Mensch den Weg da hinunter gefunden.
»Es kann hier am nordöstlichen Rand ganz anders aussehen. Außerdem ist gar nicht gesagt, daß der See wirklich rund ist. Das scheint vielleicht von hier oben nur so, durch die Felsformationen, die uns hier einen Teil der Sicht verdecken.«
Sie folgten dem Weg weiter, und zu ihrer Verwunderung senkte er sich nach einer Weile und begann wieder mit tückischen Serpentinen, die ein sehr starkes Gefälle hatten und rasch talwärts führten.
Lotrecht schoben sich neben ihnen die Felswände wieder in die Höhe.
Es wurde dunkler.
»Wir müssen uns beeilen«, raunte der Marshal seinem Gefährten zu. Wenn es ihnen nicht gelang, vor Einbruch der Nacht wenigstens das Ufer des Sees zu erreichen, mußten sie bis zum nächsten Morgen warten, um ihre Nachforschungen anzustellen. Denn in der Dunkelheit war es ausgeschlossen, in dem ihnen unbekannten Gelände herumzukriechen.
Plötzlich hörte der Fels rechts vom Weg auf, und Wyatt hielt verblüfft sein Pferd an.
Zum Greifen nahe schimmerte die dunkelrote Oberfläche des Sees zu ihnen herauf.
Und im Westen und Süden war der See tatsächlich uferlos. Das Gestein, das jetzt schon in grauschwarzem Dunkel lag, fiel tatsächlich steil ab ins Wasser.
Wyatt stieg vom Pferd und kletterte über den Wegrand hinweg, da er vermuten konnte, von der Felsnase, die etwa hundert Yard hier dem Westen zu lag und sich wie ein Balkon über das Wasser zu schieben schien, einen besseren Blick zu bekommen.
Sehr bald mußte sich der Marshal mit allen vieren vorwärtsbewegen, und der Blick, den er auf das Wasser unten hatte, war doch nicht sehr viel besser als oben vom Pfad aus.
Unverrichteter Dinge mußte er wieder zurückkehren.
Sie ritten weiter, so schnell, wie ihnen dies bei der Unebenheit des Bodens und der einbrechenden Dunkelheit möglich war.
Nach einer Viertelstunde gab der Weg, der bisher wieder von hohen Felsen umsäumt war, erneut einen Blick auf den See frei. Es war noch dunkler geworden. Und jetzt sahen sie, daß auch der Nordrand des Gewässers völlig uferlos war.
Schweigend blickten die beiden Männer in die Tiefe hinunter.
»Wir müssen uns noch mehr beeilen«, meinte der Missourier. »Es darf nicht völlig dunkel sein, ehe wir da unten sind.«
»Sind Sie überhaupt überzeugt, daß der Weg hier hinunterführt?«
»Überzeugt bin ich natürlich nicht, aber die Tatsache, daß er so beharrlich abwärts führt, läßt doch den Schluß zu, daß er zum See führt.«
Der Weg war jetzt breiter, und obgleich er immer noch sehr abschüssig war, kamen sie rascher vorwärts. Nach weiteren zehn Minuten sahen sie den See fast ganz vor sich liegen. Nur das östliche Ufer konnten sie nicht erkennen. Es war inzwischen noch etwas dunkler geworden. Und der See bot einen geradezu faszinierenden Anblick.
Aus seiner Tiefe heraus schien ein dunkelrotes Feuer zu glimmen, das ihn regelrecht erglühen ließ. Der Wasserspiegel lag völlig bewegungslos da und hatte einen leichten silbernen Glanz über dem purpurnen Rot in seiner Mitte gebreitet. Die Felswände schimmerten grauschwarz, wogegen sich der See magisch abhob.
Schweigend blickten die beiden Männer auf das unerwartet schöne Naturpanorama.
Dann riß sich der Georgier von dem Anblick los und zog einen locker gewordenen Sattelgurt seines Rapphengstes enger.
Flüsternd wandte er sich an den Marshal: »Und wie nun, wenn sie nicht mehr hier sind?«
»Das ist nicht ausgeschlossen«, antwortete Wyatt ebenso leise. »Schließlich ist es nun schon über zwei Tage her, daß Cochise uns den Hinweis gegeben hat. Vielleicht haben sie sich nur für einen oder zwei Tage hier getroffen.«
»Wenn man dazurechnet, daß Cochise den Ritt auch von hier oben hinunter nach Chiricahua zurückgelegt hat…«
Wyatt schüttelte den Kopf. »Er braucht selbst gar nicht hiergewesen sein. Ich vermute sogar, daß er nicht hier war. Er hat seine Späher. Wenn er selbst hiergewesen wäre, hätte er es mir sicher gesagt, denn dann bestand die Wahrscheinlichkeit, daß wir die Graugesichter nicht mehr antreffen würden. So aber sind wir sehr schnell geritten und haben nicht sehr viel Zeit verloren.«
Holliday deutete in die Tiefe. »Aber diese Stille…«
Wyatt zog die Schultern hoch, ließ sie wieder fallen. »Wir müssen weiter.«
Der Weg durch die Felsschlucht abwärts war jetzt in tiefes Dunkel gehüllt, und die beiden kamen nur noch sehr langsam vorwärts. Nach weiteren zehn Minuten hatten sie abermals einen Blick auf den nächtlichen See und mußten zu ihrer Verblüffung feststellen, daß sie sich nur noch etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Yard oberhalb des Seespiegels befanden.
Der Marshal reichte dem Georgier die Zügelleinen seines Falbhengstes und ging langsam vorwärts an einer Felsnase entlang. Als er deren Spitze fast erreicht hatte, hielt er inne und blickte verwundert auf das Ostufer des Sees, das eine verblüffend weite Einbuchtung hatte, die dicht mit Tannenwald bestanden war. Durch den immer noch silberrot schimmernden See waren die Stämme der hohen Tannen am Ufer noch deutlich zu erkennen.
Wyatt wandte sich ab und kam zurück. Er berichtete dem Freund von seiner Entdeckung.
»Also war Ihre Vermutung doch richtig«, meinte Holliday leise.
»Wer weiß. Jedenfalls ist da unten ein Platz, an dem man sich treffen kann, und der doch wohl kaum so leicht bemerkt wird.«
»Was wollen Sie jetzt tun?«
»Ich muß hinunter. Am besten bleiben Sie hier mit den Pferden für den Fall, daß wir fliehen müssen.«
»Dann müssen Sie erst wissen, wie Sie hinunterkommen und wo der Weg mündet; vielleicht führt er idiotischerweise um das ganze Wasser hier herum.«
»Kann er ja nicht«, gab Wyatt zurück. »Drüben fällt der Fels in den See.«
»Ja, das meine ich auch nicht. Aber er kann hinter den Felsen entlangführen und vielleicht erst auf der anderen Seite drüben im Wald in Form einer Schneckenlinie zurückkommen.«
Vorsichtig gingen sie weiter.
Nach einer Weile blieb der Marshal wieder stehen und wandte sich um.
»Sie haben recht«, flüsterte er. »Es hat ganz den Anschein, daß dieser Pfad um den See herumführen würde. Und zwar da drüben hinter den Felsen her in sanft abfallender Linie, so daß er höchstwahrscheinlich dann genau auf den Wald stößt.«
»Dazu brauchen wir mindestens noch anderthalb Stunden.«
»Ja, bei dieser Dunkelheit vielleicht sogar noch länger«, gab der Marshal zurück.
Unverwandt hatten sie auf das Waldstück geblickt und plötzlich glaubten beide einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen zu sein. Irgendwo unten, nicht weit vom Ufer entfernt, war ein Lichtschein aufgeblitzt.
Wyatt wandte den Kopf: »Haben Sie das gesehen?«
»Ja, ein Licht. Es war nicht einmal sehr schwach. Der Schein fiel in einem langen Strahl auf das Wasser.«
»Und jetzt ist wieder alles dunkel.«
Also hielten sich unten in dem Waldstück Menschen auf.
»Es ist kaum anzunehmen, daß da jemand wohnt«, meinte der Marshal.
»Eben – es sind die Galgenmänner.«
Mit brennenden Augen starrten die beiden Reiter auf das Waldstück in
der Felseinbuchtung am Roten See.
»Well«, meinte der Marshal schließlich leise, »es hat keinen Sinn, noch um den See herumzureiten. Erstens dauert es viel zu lange. Und zweitens müssen wir nun damit rechnen, daß in der sicherlich schluchtengen Passage hinten Wachtposten aufgestellt sein werden, denen wir dann gar nicht entgehen können.«
Holliday nickte. »Und – was haben Sie vor?«
»Ich muß hier hinunter.«
»Hier? Wie wollen Sie das denn anstellen? Das fällt doch hier mehr als zehn Yard steil ab?«
»Vorn an der Felsnase ist es nicht so steil, sondern im Gegenteil zackig und schräg abfallend. Man kann darübersteigen, wenn man sich etwas geschickt anstellt.«
Holliday gab zu bedenken, daß das doch wohl eine zu gefährliche Passage werden könnte, denn bei dieser Dunkelheit mußte man doch damit rechnen, in diesem unbekannten Gelände irgendwo in einen der Schründe, die hier überall in dem Gestein klafften, abzustürzen.
»Ich habe keine andere Wahl«, entgegnete der Marshal. »Wir müssen hinunter. Jedenfalls einer von uns.«
»Well«, entgegnete Holliday, »dann komme ich mit.«
»Nein, Sie müssen bei den Pferden bleiben. Wir können die Tiere hier nicht unbeaufsichtigt stehen lassen.«
»Wir können sie vielleicht irgendwo in einer Gesteinsnische unterbringen.«
»Nein, es ist mir lieber, wenn die Pferde bereitstehen für den Fall, daß ich fliehen muß.«
»Vorausgesetzt, daß die Flucht Ihnen dann gelingt.«
»Ja, das ist richtig.«
Wyatt hob grüßend die Hand und ging in das Dunkel des Felsens davon.
Gleich darauf gab der schwarze Stein der Felsnase seine Gestalt wieder frei, sie tauchte vor dem immer noch rötlich schimmernden Spiegel des Sees auf.
Holliday lauschte dem immer leiser werdenden Geräusch des Freundes nach.
Wyatt war an der Felsnase vorbeigegangen und mußte jetzt schon seine Kletterpartie beginnen.
Es ging anfangs noch ganz gut, aber dann wurde es doch erheblich steiler, als er angenommen hatte, und plötzlich befand er sich vor einem dunklen Riß im Gestein. Genau das, was Doc Holliday befürchtet hatte, war eingetreten: er sah sich einem unüberwindlichen Hindernis gegenüber. Umkehren?
Auf keinen Fall. Der Weg um den See war zu zeitraubend und vor allem zu gefährlich.
Aber wie sollte er hier hinüberkommen?
Langsam ließ er sich auf allen vieren an der Kante des Risses entlang dem See zu hinunter.
Immer steiler und steiler wurde die Kriechpassage.
Schon hatte er sich das linke Handgelenk an dem rissigen Gestein aufgerissen.
Plötzlich schrak er jäh zusammen.
Sein linker Fuß war etwas abgerutscht, und als er sich umsah – er hatte sich rückwärts bewegt – sah er unter sich die silberrot schimmernde Oberfläche des Sees.
Das war also eine Sackgasse.
Er mußte zurück.
Als er den Punkt erreicht hatte, auf dem er vorhin angekommen war, kroch er an der Spalte entlang höher hinauf und fand tatsächlich nach etwa sechzig Yards einen Grat, der über die Kluft hinüberführte.
Aber er war etwa nur eine Elle breit.
Wyatt lag auf dem Leib und schob sich robbend vorwärts.
So vorsichtig er sich auch bewegt hatte – plötzlich bröckelte etwas von dem Gestein unter seinem linken Stiefel ab und fiel in die Schlucht, wo es an den Felswänden aufschlug und dann unten auf dem Grund ein klickendes Geräusch verursachte, das sich in leisem aber doch hörbarem Echo über den See hin verbreitete.
Der Marshal war liegengeblieben und lauschte mit angehaltenem Atem in die Nacht.
Das Geräusch war verebbt. Lautlose Stille herrschte wieder über dem See.
Der Marshal setzte seinen mehr als unbequemen Weg fort, kroch dem Ende des Grates zu und erreichte die gegenüberliegende Seite der Schlucht.
Da er sich viel höher bewegte als vorher, hatte er in Kauf nehmen müssen, daß er jetzt das Waldstück nicht mehr sehen konnte.
Jeden Augenblick mußte er damit rechnen, daß sein Weg erneut durch einen dieser Schründe beendet würde.
Hoffentlich war alles dies nicht umsonst.
Wyatt hatte früher schon mehrmals von diesem See gehört, aber niemals bisher war ihm berichtet worden, wie geheimnisvoll das Gewässer in Wirklichkeit war.
Der tiefe Eindruck, den der rotschimmernde Glanz des Seespiegels im Widerschein der untergehenden Sonne in dem Missourier zurückgelassen hatte, wurde jetzt durch die geheimnisvolle Bergnacht und das bevorstehende Abenteuer nur noch verstärkt.
Wyatt bewegte sich nur Yard um Yard vorwärts. Jetzt allerdings hatte er sich auf die Knie erheben können, tastete sich aber mit den Händen vor und hoffte nach jedem weiteren Schritt, daß das Waldstück vor ihm auftauchen würde.
Aber er mußte noch eine Dreiviertelstunde lang diesen beschwerlichen Weg hinter sich bringen, bis er plötzlich vor sich ein schwarzgraues Dunkel sah, das er zunächst für eine neue, sehr breite Kluft hielt.
Er hockte an dem hier nicht allzu steil abfallenden Gestein und blickte auf das Dunkel hinunter.
Plötzlich zog er die Brauen zusammen und sah schärfer hin.
War das wirklich eine Schlucht? Waren das nicht Baumwipfel, die ihm da entgegenragten? Wyatt blickte noch schärfer hin, und jetzt war er davon überzeugt, daß er sich dicht über dem Waldstück befand.
Aber wie wollte er hinunterkommen? Die Felsen fielen doch steiler ab, als es den Anschein gehabt hatte.
Wenn er an einen der Baumwipfel hätte kommen können, dann wäre alles anders gewesen.
Wyatt sah einen der Wipfel rechts unter sich aus dem Dunkel ragen, der vielleicht von einem Gesteinsvorsprung aus erreicht werden konnte, wenn man einen Sprung riskierte.
Tief an den Boden gedrückt, schob sich der Marshal weiter vor, bis er den Baumwipfel genau erkennen konnte.
Es waren mehrere Yards.
Und ein Sprung hinüber mehr als ein Wagnis!
Wyatt lag tief an den Boden gepreßt und starrte auf den Baumwipfel, den er nicht einmal sehr scharf erkennen konnte.
Ich habe keine andere Chance! hämmerte es in seinem Hirn. Ich muß da hinunter. Wenn ich hier links am Fels hinunterklettern will, laufe ich wenigstens ebenso große Gefahr, abzustürzen und entdeckt zu werden. Das Geräusch, das ich beim Abstieg verursache, ist jedenfalls unvermeidlich.
Wyatt richtete sich in kniende Stellung auf und zog dann den rechten Stiefel nach vorn.
Jetzt ließ er die Hände los und erhob sich langsam. Knapp eine Elle breit war das vorspringende Felsstück, auf dem der Mann aus Missouri jetzt stand.
Unter ihm gähnender Abgrund.
Und da vorn aus dem Dunkel schienen ihm die Tannenspitzen wie ein Heer von Speeren drohend entgegenzublicken.
Wyatt visierte noch einmal sein Ziel an.
Wie weit war es entfernt?
Die Distanz war unmöglich genau einzuschätzen.
Aber ich werde hinüberkommen! Weil ich ganz einfach hinüberkommen muß.
Wenn ich wenigstens einen Anlauf nehmen könnte. Wyatt ließ sich wieder auf die Knie nieder und blickte sich um.
Nein, es war ausgeschlossen, hier konnte er keinen Anlauf nehmen. Da riskierte er Kopf und Kragen, weil er beim Laufen zu leicht einen Fehltritt machen und abstürzen konnte. Dann erreichte er die Tannen nie.
Ich muß aus dem Stand hinüberspringen.
Aber dazu war die Distanz denn doch zu weit. Je länger er hier kniete, desto deutlicher vermochte er den Wipfel der Tanne, die er erreichen wollte, zu erkennen.
Ich kann vielleicht einen ihrer Äste erreichen. Aber auch nur vielleicht. Ich muß wenigstens zwei, drei Schritte zurück, um im leichten Sprung wegzukommen.
Er starrte in das Dunkel und lauschte angestrengt.
Da unten war alles still.
Vorsichtig machte er drei Schritte zurück, blieb stehen, sog die Luft tief in die Lungen, und dann war jeder Muskel in ihm aufs äußerste angespannt.
Zwei, drei schnelle Schritte – und im Riesensatz flog der menschliche Körper über den Abgrund auf die Wipfel zu.
Im letzten Augenblick erst schloß Wyatt die Lider, um sich keine gefährliche Augenverletzung zu holen.
Es war, als ob er aus zwanzig Meter Höhe in ein Kakteengebüsch gestürzt wäre, so scharf fingen die Tannenarme ihn auf.
Wyatt hatte den Baumwipfel genau erreicht. Seine beiden Arme schlangen sich fest um das Tannenende, und wild schaukelte ihn der Baum hin und her.
Bei diesem Schaukeln erreichte Wyatt den weit vorspringenden Ast des danebenstehenden Baumes, ließ sich los, erfaßte ihn und hing schon ein ganzes Stück tiefer am nächsten Baum.
Vorsichtig hangelte er an dem Ast dem Stamm entgegen. Seine Hände waren von zahllosen Nadelstichen und dem honigartigen Kleben des Harzes wie taub geworden.
Fest preßte er seinen Körper gegen den Baumstamm, den er jetzt erreicht hatte, und lauschte. Unten schien alles totenstill zu sein.
Wyatt wartete.
Falls jemand seinen Sprung beobachtet oder doch wenigstens gehört hatte, würde er unten im Dunkel auf ihn lauern.
Wyatt ließ eine lange Zeit verstreichen, ehe er sich vorsichtig von Ast zu Ast am Stamm niederließ.
Der letzte Ast befand sich jedoch noch wenigstens sieben oder acht Yard über dem Boden.
Zwar konnte der Missourier den Grund nur undeutlich erkennen, aber das diffuse Licht, das die Oberfläche des Sees hier auf die Baumstämme warf, zeigte ihm, wo er den Grund zu vermuten hatte.
Wieder verharrte er minutenlang in bewegungsloser Stille und lauschte in das Waldstück hinein.
Auch jetzt war nicht das mindeste Geräusch zu hören.
Und doch war vor ihm hier unten, nicht allzu weit von dieser Stelle entfernt, ein Lichtschimmer zu sehen gewesen.
Wyatt hatte sich entschlossen, am Stamm hinunterzugleiten.
Das war viel schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte.
Als seine Füße dann doch endlich den Boden berührten, waren seine Hände und auch seine rechte Gesichtsseite von blutigen Schrammen zerschunden.
Der Boden unter ihm war weich und hätte höchstwahrscheinlich einen solchen Sprung, den er absichtlich vermieden hatte, stark gedämpft. Aber er war jetzt froh, daß er den Sprung doch nicht riskiert hatte, denn auch das leiseste Geräusch mußte man in dieser Stille hier hören.
Tief an den Boden geduckt blickte er zum See hinüber, der vorn von dem Waldstück einen kurzen sandigen Uferstreifen hatte.
Da! Was war das? Wie ein Blinkfeuer war es durch die Baumstämme gefahren und auf den See hinausgezuckt.
Das gleiche Licht, das sie vorhin vom Saumpfad aus gesehen hatten.
Wyatt bewegte sich jetzt vorwärts, geduckt schlich er von Baum zu Baum und näherte sich der Stelle, an der er glaubte, den Lichtschein gesehen zu haben.
Plötzlich hielt er inne.
Vor ihm lichtete sich der Wald zu einer vielleicht fünfzig Yard breiten Stelle, in deren Mitte er eine Blockhütte sah: flach, niedrig an den Boden geduckt, wie ein sprungbereites Tier.
Nicht der geringste Laut war zu hören. Und auch kein Licht zu sehen.
Wyatt schlich tief am Boden entlang um den Saum herum, hatte dessen Ostseite auch schon erreicht, als das Licht plötzlich wieder aufzuckte.
An der Rückseite des Hauses, wo er sich jetzt befand, war ein ziemlich großes Fenster, in dessen Rahmen er die Gestalt eines Mannes deutlich erkennen konnte. Es war ein großer Mann, der eine starke Stallaterne vor dem Vorderfenster hin und her schwenkte.
Gebannt starrte der Missourier auf dieses Bild.
Jetzt wurde dem Marshal einiges klar. Von der Vorderseite der Hütte aus bis zum Seeufer zog sich eine scharfe Schneise durch die Bäume.
Da drinnen gibt also irgend jemand Lichtzeichen. Blinkzeichen über den See.
Aber wer sollte sie sehen.
Drüben fiel doch das Ufer steil ins Wasser ab.
Aber hatte er selbst sie nicht auch von dem Saumpfad im Süden aus bemerkt?
War das Blinken des Lichtes auf dem Seespiegel nicht von überall her oben von den Bergen aus zu sehen?
Es war ja gar nicht notwendig, daß die Lichtquelle selbst gesehen wurde – Hauptsache, man sah den Lichtschein auf dem Wasser.
Was konnte das bedeuten? In so langen Abständen, in denen das Licht gezeigt wurde, konnte man doch keine festen Morsezeichen geben.
Die Geduld, die der Beobachter hätte aufwenden müssen, hätte ja schon etwas Indianisches an sich gehabt.
Waren vielleicht Indianer hier?
Unmöglich war das natürlich nicht. Wenn auch die Roten nicht die Gewohnheit hatten, Hütten zu bauen und von dort aus Blinkzeichen zu geben. Außerdem hätte Cochise ihm höchstwahrscheinlich darüber etwas gesagt. Zwar waren mehrere Tage vergangen, seit er mit dem Häuptling gesprochen hatte. Aber der umsichtige Cochise hatte ganz sicher fast drei Reisetage hierher berechnet und würde ihn informiert haben, wenn Indianer hier ihr Lager aufgeschlagen hätten.
Nein, der Mann, der in der Hütte Leuchtzeichen gab, war kein Indianer. Obgleich der Missourier seine Gestalt nicht so deutlich gesehen hatte, daß er mit absoluter Sicherheit hätte sagen können, er ist ein Indianer oder ein Weißer, stand es jetzt für ihn doch ziemlich fest, daß er es hier mit Weißen zu tun hatte.
Tief an den Boden geduckt kroch er vorwärts. Wieder einmal kam ihm zustatten, daß er schon in früherer Jugend mit den Indianern zusammengekommen war und von ihnen vieles gelernt hatte.
Er mußte nun das schützende Dunkel des Waldrandes verlassen und auf die Lichtung hinaus. Mit größter Vorsicht kroch er auf Händen und Füßen weiter. Immer wieder machte er halt und lauschte angestrengt.
Bis auf etwa zwanzig Schritt hatte er sich der Hütte genähert, als er vorn vor sich ein Geräusch vernahm. Wie ein Stein blieb der Mann aus Missouri am Boden liegen. Jetzt war das Geräusch wieder zu hören.
Es war eine Tür, die leise in den Angeln knarrte. Wyatt hatte den großen Buntline Special Revolver aus dem Halfter genommen und hielt ihn schußbereit in der Linken. Jetzt war es still.
Da er die Tür selbst nicht sehen konnte, überlegte er, daß sie sich an der Vorderseite der Hütte befinden und offengestanden haben mußte, damit der Lichtschein hinausdringen konnte, jetzt aber geschlossen worden war.
Langsam bewegte er sich weiter auf eine Bodenmulde zu, die ihm Schattenschutz gewährte.
Da sah er plötzlich von der vorderen Hausecke her ein Tier kommen. Es war kalbgroß und hatte einen buschigen Schweif. Ein Wolfshund? Oder vielleicht gar ein richtiger Wolf!
Wyatt hatte den Revolver schußbereit nach vorn gehoben.
Das Tier hatte sich ein paar Schritte von dem Haus entfernt, blieb jetzt stehen und witterte zu ihm hinüber.
Wyatt lag immer noch lang ausgestreckt am Boden. In der Linken den Revolver, den Kopf angehoben.
Wie leblos verharrte das Tier vor ihm.
Heavens! Daß das auch noch dazwischenkommen mußte! Wenn er jetzt gezwungen wurde, einen Schuß auf das Tier abzugeben, verriet er sich damit.
Und auf einen Kampf mit einem Wolf konnte er sich in der Dunkelheit nicht einlassen.
Da wandte das Tier zu seiner Verblüffung den Kopf und blickte zum See hinüber.
Wyatt hatte mit der Rechten einen kleinen Stein umspannt, richtete sich etwas auf und warf ihn vorwärts.
Unten am Seeufer flog der Stein in den Sand.
Das Tier setzte sich sofort in weiten Sprüngen in Bewegung und folgte ihm. Sofort hatte sich der Marshal aufgerichtet und war mit wenigen Schritten schon in der Nähe des Hauses, als er drinnen ein Geräusch vernahm.
Er wußte, daß er jetzt besonders vorsichtig sein mußte, da es drinnen dunkel war und der Mann, der die Lichtzeichen gegeben hatte, sich höchstwahrscheinlich noch in der Hütte befand.
Wyatt sah von der Hausecke her zum Ufer hinunter, wo der Hund stand und mit den Pfoten im Sand scharrte.
Er hatte den Stein gefunden.
Wenn dieses Tier nicht gewesen wäre, hätte vielleicht alles anders kommen können. Der Hund aber sollte ihm zum Verhängnis werden.
Wyatt schlich an der linken fensterlosen Hauswand entlang, bis er die Vorderfront erreicht hatte, machte dann drei Schritte vorwärts und hatte den Türgriff in der Hand. Die Tür war unverschlossen.
Sie sprang auf, und Wyatt trat in den Raum ein.
»Mach Licht«, sagte er leise.
Aber es blieb still. Sollte der Mann vielleicht die Hütte verlassen haben?
Mit zwei raschen Schritten entfernte sich der Marshal von der Tür und duckte sich an der Wand nieder.
Er spürte, daß er nicht allein in dem Raum war.
Da waren plötzlich draußen die Laute des Hundes zu hören. Das Tier sprang gegen die Tür und kratzte mit den harten Pfoten an ihrem Holz.
Wyatt rührte sich nicht.
Aber drüben an der anderen Ecke des Raumes knarrte eine Lagerstatt.
Sollte der Mann sich etwa niedergelegt und in der kurzen Zeit eingeschlafen sein?
Tatsächlich hört er jetzt harte Stiefelschritte auf den ungehobelten Fußbodendielen. Dann wurde die Tür um einen Spalt geöffnet.
»Was willst du, Ary?« war die krächzende Stimme eines Mannes zu hören. »Verschwinde hier.«
Aber der Hund kratzte weiter an der Tür und versuchte, durch den Spalt einzudringen. Da versetzte ihm der Mann einen Tritt.
Jaulend stürzte das Tier zurück, um sich aber sofort wieder bellend gegen den Türspalt zu werfen.
Wyatt hatte sich völlig lautlos verhalten und abgewartet.
Der Mann zog jetzt die Tür zu. Aber das Bellen des Hundes wurde lauter und lauter, das Tier überschlug sich fast vor rasendem Zorn.
Da öffnete der Mann die Tür einen Spaltbreit, der Hund schoß an ihm vorbei in den Raum und war sofort bei dem Marshal.
Wyatt stieß das Tier von sich zurück. Aber da er es in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, sprang er zum Eingang, setzte hinaus und stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu.
Er hatte kaum die Hausecke erreicht, als die Tür wieder aufgestoßen wurde und der Hund hinausschnellte, gefolgt von dem Mann. »He! Wer ist da? Ich schieße!«
Da hatte ihn der Hund auch schon erreicht.
Wyatt stieß ihn weit zurück.
Aber das gewaltige Tier überkugelte sich und war sofort wieder auf den Beinen, um zum Sprung mit weit aufgerissenem Rachen anzusetzen.
Der Missourier war stehengeblieben, mit gespreizten Beinen vornübergeneigt, die Arme beide angewinkelt nach vorn gehoben. Und dann prallte das Tier mit ihm zusammen.
Im letzten Augenblick hatte Wyatt sich ihm entgegengeworfen und schlug ihm jetzt die beiden Arme ins Genick, preßte es an sich und ließ es erst wieder los, als seine Kräfte völlig erlahmt waren. Ermattet sank der Hund nieder.
Der Mann war auf die andere Seite des Hauses gelaufen und war jetzt in Wyatts Rücken.
Der Missourier wirbelte herum und riß den Mann mit einem Faustschlag nieder.
Wyatt lehnte keuchend an der Hauswand.
Was war das? Der Wald schien plötzlich zu leben. Hinter den Stämmen hervor kamen dunkle Gestalten, die sich auf die Hütte stürzten und den Mann umringten und niederrissen.
Wyatt kam wieder hoch, stieß sich durch die Männer hindurch, riß einen riesigen Burschen nieder und deutete auf die Hauswand.
»Da, da, packt ihn!«
Aber im Eifer des Gefechts hatte er nicht darauf geachtet, daß die Männer vollkommen stumm und lautlos kämpften.
Und mit seinen Worten hatte er sich also verraten.
Die Männer wandten sich sofort um, stürzten sich auf ihn und rissen ihn nieder.
Er wehrte sich verzweifelt, schlug zwei, drei nieder, stieß einen vierten mit einem gewaltigen Fußtritt von sich, aber er wurde von allen Seiten gepackt und schließlich dort niedergerungen.
Alles war mit großer Schweigsamkeit vor sich gegangen.
Nicht einer hatte ein Wort von sich gegeben.
Der Marshal wurde an Händen und Füßen gebunden und in die Hütte geschleppt.
Und auch jetzt sprach noch niemand. Er konnte nur die Beine der Männer um sich herum sehen, da die Tür nur um einen Spaltbreit offen stand.
Vielleicht zehn Minuten waren so vergangen, als plötzlich Bewegung in die stumm um ihn herumstehenden Männer kam.
Vorn die Tür wurde aufgestoßen, und in ihrem Rahmen stand ein Mann, dessen Konturen der Missourier gegen das schwache Licht des Nachthimmels in der Baumschneise gut erkennen konnte.
Es war ein großer Mann, breitschultrig und schlank. Sein Anblick jedoch versetzte den Missourier in eine unbeschreibliche Verblüffung.
Denn der Mann trug eine spitze Kapuze.
Und als jetzt hinter ihm andere Männer auftauchten, die die gleiche Kopfbedeckung trugen, zuckte ein fürchterlicher Gedanke durch das Hirn des Marshals: Ku-Klux-Klan. Sollten diese Männer etwa zu dem seit etwa einem halben Jahrhundert in den USA schwärenden Geheimbund gehören?
Und die Galgenmänner? Die Banditen, die er hier erwartet hatte? Gehörten sie zum Ku-Klux-Klan?
Der Gedanke war so ungeheuerlich, daß der Marshal sekundenlang die Augen schloß. Er hätte sich gegen den Schädel schlagen können, daß er bisher nie auf den Gedanken gekommen war.
Der Ku-Klux-Klan! Jene fürchterliche Geheimorganisation, die seit den Befreiungskriegen ausgerottet zu sein schien, lebte also noch!
Aber vielleicht bildete er sich das alles nur ein. Vielleicht hatten sich diese Männer nur Kapuzen aufgesetzt. Vielleicht hatten sie gar nichts zu tun mit dem Ku-Klux-Klan.
Aber der Gedanke, der sich einmal in sein Hirn gebohrt hatte, ließ sich nicht wieder vertreiben. Fürchterliche Bilder stiegen im Gedächtnis des Marshals auf. Er erinnerte sich daran, wie der Klan damals seine Heimatstadt Monmouth terrorisiert hatte, wie er ganze Häuser angezündet, ihre Bewohner gelyncht und ihr Vieh davongejagt hatte. Warum? Niemand wußte es genau. Aus einer Rache heraus, oder auch nur, weil der Besitzer dieses Anwesens nicht den vom Klan geforderten Tribut hatte zahlen wollen.
Schon in frühester Kindheit hatte Wyatt Earp viele derartige Dinge, die an Scheußlichkeit kaum zu übertreffen waren, erleben müssen. Seit dem Krieg hatte eigentlich niemand mehr vom Ku-Klux-Klan gesprochen. Man glaubte allgemein, daß die Organisation durch die Wirren des Krieges so zerstört und zerrissen worden wäre, daß sie mit dem Ende des Krieges in der Vergangenheit versunken war.
Und dann war er vor Wochen auf den Bund der Galgenmänner gestoßen, auf jene Bande, die seltsame Gebräuche hatte, Gewohnheiten, die niemals eine Verbrecherbande in diesem Land gezeigt hatte. Schon gleich zu Beginn seines Zusammenstoßes mit den Graugesichtern war ihm das sonderbare Reglement dieser Organisation aufgefallen. Ihre straffe Führung, ihr stummes Vorgehen und ihre unkrauthafte, offenbar unausrottbare Verbreitung.
Der Klu-Klux-Klan – war er nicht wie eine Krankheit gewesen, die im ganzen Land gleich einer Seuche grassierte!
Die Galgenmänner? Was unterschied sie eigentlich vom Ku-Klux-Klan!
Wyatt hätte laut aufbrüllen mögen vor Ärger, daß er nicht früher auf den Gedanken gekommen war.
Plötzlich erinnerte er sich daran, daß Doc Holliday in jener Nacht, als er in Tombstone auf offener Straße niedergeschossen worden war und am Boden gelegen hatte, beleuchtet von dem schwachen Schimmer, der aus einem Saloonfenster fiel, damals schon lächelnd gemeint hatte: »Damned, wie beim Ku-Klux-Klan.«
Aber diese Worte des Spielers waren in der Gefahr jener Minute untergegangen.
Und jetzt, in diesem brennenden Augenblick, erinnerte sich der Marshal ihrer.
Prophetisch hatte es der Mann aus Georgia ausgesprochen, was sich jetzt als Tatsache zu erweisen schien.
Der Ku-Klux-Klan! Da stand er um ihn herum. Wenigstens zwanzig, dreißig Mann stark, und vielleicht standen Hunderte draußen unter den Bäumen am Ostufer des Sees.
Wyatt hatte die Augen wieder geöffnet.
Was war mit Cochise? Wenn es sich wirklich um den Ku-Klux-Klan handelte, hätte er es dann nicht wissen müssen?
Aber was wußten die Indianer wirklich von diesem Geheimbund? Vermochten sie überhaupt den Klan von der Gang der Graugesichter zu unterscheiden?
Und worin bestand eigentlich der Unterschied?
Der Klan war im Grunde nichts weiter als eine Verbrecherbande gewesen, wenn er auch immer wieder von Freiheit und Person und der Auflehnung gegen die steuerlichen Bedrückungen gesprochen hatte! Er war eine Verbrecherbande gewesen. Nichts weiter. Und die edlen Parabeln, die er in die Welt geschleudert hatte, waren nichts weiter als lose Phrasen gewesen, unter deren Deckmantel die Banditen versucht hatten, an die Güter anderer Menschen zu kommen.
Genau das gleiche taten die Männer, deren Zeichen der Triangel war.
Diese Erkenntnis hatte den Mut des Mannes aus Missouri minutenlang paralysiert, gelähmt. Wenn er es also tatsächlich hier mit dem alten Ku-Klux-Klan zu tun hatte, dann war sein Kampf hoffnungslos! Erst diese Erkenntnis machte ihm die Gefahr seiner Lage völlig klar. Der Ku-Klux-Klan, war er es wirklich, kannte keine Gnade, war derart stark und weit verzweigt, daß der Kampf eines einzelnen gegen ihn tatsächlich weniger als der Tropfen auf einen glühenden Stein war.
Und oben auf dem Saumpfad stand Doc Holliday mit den beiden Pferden und ahnte nichts von alledem.
Wie blind war er in die Falle der Kapuzenmänner gegangen.
Sollte also alles, was er in den letzten Wochen getan hatte, vergeblich gewesen sein: die furchtbaren Strapazen, die er und Doc Holliday und auch Luke Short auf sich genommen hatten, um die Graugesichter niederzuringen, um die starke Kette, die sie geschlossen hatten, zu zerschlagen? Sollten sie nicht einmal eine Bresche in die Mauer gewuchtet haben, mit der die Graugesichter sich zusammengeschlossen hatten?
Der Mann in der Tür hatte sich nicht bewegt. Wie eine Holzfigur stand er da und erinnerte den Gefangenen an einen Boß des Klans in Illinois, der auch unendlich viel Zeit hatte. Wyatt hatte ihn damals als Junge beobachtet, als er das Haus des Nachbarn niedergebrannt hatte und vor seinen Leuten auf offener Straße stand und in das Feuer starrte. Die weiße spitze Kapuze über den Kopf gestülpt – so hatte er dagestanden, minutenlang. Er hatte Zeit gehabt, der Ku-Klux-Klan-Chief.
Und auch dieser Mann, der jetzt hier an der Blockhüttentür stand, schien unendlich viel Zeit zu haben.
Dann hob er die Hand, und einer der Männer zündete eine Lampe an.
Wyatt sah zu seiner Verwunderung, daß alle, die um ihn herum standen, Kapuzen trugen. Aber, sie waren nicht weiß wie die des Ku-Klux-Klan – sondern grau. Perlgrau wie die Gesichtstücher der Galgenmänner.
Und sie schienen auch nicht so lang zu sein, wie die Zipfelmützen, die er vom Ku-Klux-Klan her kannte. Sie waren kurz. Und wenn man ihre Form betrachtete, erinnerte sie auf eine eigenartige Weise an ein Dreieck.
Einbildung? Sicher nicht.
Die Kapuze des Mannes, der in der Tür gestanden hatte, schien jedoch keine Spitze zu haben. Sie schien oben an ihrem letzten Drittel abgestumpft zu sein.
Als der Mann jetzt in den Raum hineinkam, sah Wyatt, daß er doch die gleiche Kapuze trug wie die anderen, nur die Spitze seiner Kopfbedeckung war schwarz. Das Erkennungszeichen des Chiefs? War der Mann, der jetzt da nur etwa vier Schritte von ihm entfernt stand, der heiß und verzweifelt gesuchte Big Boß der Graugesichter? War er gleichzeitig der Führer des wieder aufgelebten Ku-Klux-Klan? Hatte dieser Mann etwa die vielen, vielen Verbrecher unter sich, die damals zum Geheimbund gehört hatten und die ganz sicher noch nicht alle tot waren?
Der Gedanke war einfach lähmend.
Wyatt wurde von drei Männern gepackt. Zwei faßten je einen Arm von ihm und einer nahm seine Beine – dann trugen sie ihn hinaus.
Er sah jetzt, daß draußen auf der breiten Lichtung zum See hin ein Feuer angezündet worden war.
Im weiten Kreis umstanden ihn die Kapuzenmänner. Der Anführer blieb unweit vor ihm stehen.
Immer noch sprach keiner ein Wort.
Der Boß stand jetzt nur noch wenige Schritte von ihm entfernt, und Wyatt konnte ihn durch den Lichtschein des starken Feuers gut sehen.
Ein neuer Gedanke war in ihm aufgetaucht: War dieser Mann Ike Clanton?
Der Gestalt nach ja, der Haltung nach konnte er es tatsächlich sein. Und je länger Wyatt darüber nachdachte, es war sogar sehr wahrscheinlich, denn wer hätte eine größere Eignung für diesen »Job« gehabt als gerade der Tombstoner Rancher!
Hatte er doch damals schon, als er seine Gang anführte, als erstes Anzeichen erkennen lassen, die auf die heutigen Graugesichter und vielleicht auch auf den Ku-Klux-Klan hindeuteten. Es war doch nicht ausgeschlossen, daß Isaac Joseph Clanton Verbindung mit dem früheren Geheimbund aufgenommen und ihn dann hatte wieder aufleben lassen. Das wäre eine Tat gewesen, die Wyatt Earp wirklich nur diesem Mann zugetraut hätte.
Jetzt hob der Anführer die linke Hand ruckhaft, kurz, mit einer hölzernen Bewegung, die etwas Roboterhaftes an sich hatte, und deutete auf einen der grauen Kapuzenmänner im Kreis.
Der trat hervor und kam bis auf drei Schritte an den Gefangenen heran, senkte den Kopf und fragte:
»Hast du noch irgend etwas zu sagen?«
Wyatt lauschte dem Klang dieser Stimme nach. Sie war ihm unbekannt.
Wie geschickt, daß der Anführer nicht selbst sprach. Auch jetzt noch, in einem Augenblick, in dem er doch von dem Gefangenen nicht mehr das geringste zu befürchten hatte, ließ er äußerste Vorsicht walten und verriet sich nicht durch seine Stimme.
Ike Clanton! Diese Vermutung wuchs in dem Missourier allmählich zur Gewißheit an.
Wieder hob der Anführer auf diese seltsame ruckhafte Weise den linken Arm.
Darauf wiederholte der Kapuzenmann seine Frage.
Wyatt nickte. »Ja, ich möchte gern mit eurem Boß sprechen.«
Der schüttelte nur den Kopf.
»Weshalb bin ich festgenommen worden?«
Der Kapuzenmann neben ihm antwortete: »Weil du sterben mußt.«
»Weshalb muß ich sterben?«
Der Kapuzenmann hob den Kopf und blickte den Anführer an.
Der machte eine Bewegung, die der Marshal nicht zu deuten vermochte.
Darauf erklärte der Kapuzenmann: »Jeder Feind muß sterben.«
»Wer sagt euch, daß ich euer Feind bin?«
Da wurde die Stille im Kreis durch das Lachen eines einzelnen Mannes unterbrochen.
Sofort flog der Kopf des Anführers herum.
Er deutete mit der Rechten auf den Mann, und der mußte vortreten.
Der Kapuzenmann links neben Wyatt fragte den Mann:
»Weshalb hast du gelacht?«
Wyatt beobachtete diesen Mann genau. Er trug eine kurze Kapuze wie die anderen, die spitz und dreieckig bis zu den Schultern führte. Darunter trug der Mann die gewöhnliche Kleidung, die ein Mann in diesem Land zu tragen pflegte. Es war die Tracht, die auch die Cowboys auf den Weiden bevorzugten. Ein farbiges Hemd, eine kurze boleroartige Weste und eine enganliegende Hose, um die man den Waffengurt schnallte, der einen oder bei manchen Leuten auch zwei Revolver hielt.
Dieser Mann trug, wie auch die anderen alle, jetzt in der kühlen Jahreszeit eine Jacke.
Es war nichts an ihm, das ihn dem Missourier irgendwie bekannt hätte vorkommen müssen.
Wieder hob der Anführer die Hand. Und dann erklärte der Mann:
»Ich habe gelacht, weil dieser Mann nicht weiß, weshalb er eigentlich sterben muß.«
Der Anführer nickte. Daraufhin erklärte der Sprecher, der neben Wyatt stand: »Jeder, der in unsere Kreise dringt, muß sterben.«
Ein seltsamer Gedanke tauchte plötzlich in dem Missourier auf. Ganz hinten in der letzten Windung seines Gehirns war er entstanden und bohrte sich allmählich nach vorn: sollten die Männer etwa nicht wissen, mit wem sie es hier zu tun hatten?
Wußten sie nicht, wer er war? Kannte niemand von ihnen sein Gesicht? Seine Stimme?
Dann konnte der Anführer ja nicht Ike Clanton sein. Denn soweit würde er nicht gehen, seinen ärgsten Feind zu verleugnen, nur, um seine Identität zu decken.
Nein, dieser Mann mit dem schwarzen Kapuzenzipfel war nicht Isaak Joseph Clanton. Und keiner im weiten Kreis der Kapuzenmänner kannte den Gefangenen.
Dieser Gedanke ließ neue Hoffnung in dem Missourier auftauchen.
Und dann gesellte sich diesem Gedanken sofort ein neuer Hoffnungsstrahl zu: der Ring, der Ring muß mich retten! Wyatt tastete mit dem Daumen der Linken nach dem untersten Glied des Fingers, an dem er ihn trug – und zuckte zusammen!
Der Ring war fort!
Entweder hatten sie ihn ihm abgenommen, oder er hatte ihn verloren bei dem Kampf vor der Hütte!
Da beugten sich zwei Männer über ihn und schoben ihm einen Knebel zwischen die Zähne, worauf ihm ein Tuch um den Mund gebunden wurde.
Damned, jetzt konnte er nicht einmal mehr sprechen, nichts mehr zu seiner Verteidigung sagen.
Der Sprecher der Bande stand noch neben ihm und schickte die anderen Männer zurück.
»Du wirst sterben, Fremder. Du bist in unseren Kreis eingedrungen. Hier findet eine große Beratung statt, bei der niemand zugelassen ist. Du bist hierher gekommen, um uns zu beobachten. Deine Neugier wird mit dem Tod bestraft. Und der Tod ist bei uns das Gesetz des Galgens. Wir sind das Gesetz. Der Galgen wird dich richten, wie er jeden Mann richtet, der gegen das Gesetz verstößt.«
Wyatt wurde von zwei Männern herumgedreht und sah jetzt zu seiner Verblüffung hinter dem Feuer einen Galgen, der dort in aller Lautlosigkeit inzwischen aufgerichtet worden war.
Also doch die Galgenmänner!
Aber diese Erkenntnis war jetzt unwichtig. Im Angesicht des Todes, den man ihm hier am Galgen bringen wollte, spielte es keine Rolle mehr für ihn, ob er nun den Galgenmännern oder dem Ku-Klux-Klan in die Hände gefallen war.
Der Ring war verschwunden, und er konnte weder sprechen noch mit seinen starken Fesseln irgendeine Bewegung machen.
Der Freund, dessen Begleitung er abgelehnt hatte, stand weit oben auf dem Saumpfad und vermochte vielleicht nur den Feuerschein auf dem See zu erkennen.
Die stumme Lautlosigkeit, in der hier alles vor sich ging, war eigentlich das Schlimmste an der ganzen Situation.
Unaufhaltsam schien alles vor sich zu gehen.
Er wurde jetzt aufgerichtet und am Feuer vorbei unter den Galgen getragen.
Von links schleppten zwei Männer einen Holzbock heran, auf den er jetzt gehoben wurde.
Der Boß stand jetzt dicht am Feuer und blickte zu ihm hinauf.
Wyatt konnte durch die beiden Augenlöcher, die einzigen Öffnungen der Kapuze, die Lichter des Chiefs schimmern sehen.
Es waren helle Augen, von unbestimmbarer Farbe.
Neben dem Todgeweihten stand ein Kapuzenmann, der ihm jetzt die Schlinge eines starken Doppellassos um den Hals legte.
Aber die Galgenmänner hatten Zeit. Unendlich viel Zeit. Und sie schienen überhaupt nur eins zu fürchten: den Lärm, denn sonst hätten sie dem Gefangenen sicher nicht den Knebel in den Mund gestoßen und ihn so an jedem Laut gehindert. Der Lärm konnte hier in diesem Seetalkessel weithin in die Berge hallen, sich in den Schründen und Schluchten meilenweit fortsetzen.
Daß das Licht auf den See hinausdrang, schien sie gar nicht zu bekümmern. Daraus konnte Wyatt entnehmen, daß die Bande den Zufahrtsweg hierher offenbar dicht abgeriegelt hatten, so daß sie es für ausgeschlossen hielten, hier beobachtet zu werden.
Wyatt überlegte, warum es die Männer in keiner Weise zu interessieren schien, wie er hierhergekommen war. Denn wenn er nicht auf dem Weg, den sie bewachten, hier ans Ufer gelangt war – dann waren sie ja auch nicht sicher.
In diesem Augenblick hob der Anführer den linken Arm in der schon bekannten Bewegung und deutete auf einen der Männer.
Der trat vor und sagte halblaut: »Es ist nirgends ein Kanu zu finden.«
Der Boß hatte also das Seeufer nach einem Kanu absuchen lassen.
Sie waren sich also nicht darüber im klaren, wie er hierhergekommen war. Und das bedeutete doch auch, daß Doc Holliday noch nicht entdeckt worden war.
Der Boß gab jetzt dem Mann, der vorhin mit Wyatt gesprochen hatte, einen Wink. Der erklärte:
»Du wirst sterben, Fremder, weil du hierhergekommen bist. Es wird ein stummer Tod sein, der kurz ist wie der Jüngste Tag.«
Wyatt hörte, wie einige Männer sich auf einen Wink des Anführers hin entfernt hatten und offenbar weiter nach dem Boot suchten, mit dem dieser Mann doch hierhergekommen sein mußte. Denn, daß er oben über den Fels gestiegen und dann auf einen Baumwipfel gesprungen war – auf diesen Gedanken kam hier niemand.
Plötzlich bückte sich der Anführer und nahm einen Ast aus dem Feuer, schlug auf ein Zweigstück, das herausragte, daß die Funken hochstoben.
Dann warf er den brennenden Ast wieder ins Feuer.
Der Mann neben dem Galgen schob Wyatt ein Stück vor bis an den Rand des Blocks, der von zwei anderen Männern mit Seilen jetzt unter ihm weggezogen werden sollte.
Es war eine fürchterliche Minute.
Der Missourier war überwältigt worden und stand auf dem Podest des Todes.
Die gespenstische Schar der Galgenmänner stand stumm um das Feuer herum und starrte durch die Gucklöcher ihrer grauen Kapuzen zu ihm hinauf.
Selten in seinem gefahrerfüllten Leben war der Marshal Earp in eine solche Situation geraten.
Wie sollte er sich aus dieser Lage noch befreien? Es war aussichtslos.
Mit Blitzesschnelle eilten die Gedanken durch sein Hirn.
War er vielleicht zu übereilt vorgegangen? Zu hastig? Hatte er sich nicht zu sehr in die Idee verrannt, den Ring der Galgenmänner zerschlagen zu müssen? Ihren Boß zu stellen?
Sonst war er doch immer mit äußerster Vorsicht und größtem Geschick zu Werke gegangen, wenn es galt eine Verbrecherbande zu überlisten.
Aber es konnte keinen Zweifel daran geben, daß die Graugesichter die raffinierteste Organisation war, mit der er je zu tun hatte.
Sollte er hier an diesem einsamen, entlegenen Bergsee in dieser kühlen Novembernacht sein Leben aushauchen müssen? Ein Leben, das dem Kampf für das Gesetz gegolten hatte?
Der Missourier hatte sich keineswegs aufgegeben – aber seine Lage war mehr als höllisch. Diese perfekte Gang da hatte ihn überwältigt und sofort seinen Tod beschlossen. Jetzt stand er da auf dem kleinen primitiven Podest unter dem Galgen und blickte in die funkelnden Augen, die durch die Gucklöcher der Kapuzen blitzten. Der Anführer hatte den Kopf etwas gesenkt und starrte in das immer noch hoch auflodernde Feuer…
*
Doc Holliday hatte eine Zeitlang auf dem Saumpfad bei den Pferden gestanden, als ihm plötzlich links im Gestein eine Nische auffiel, in die er vielleicht die Pferde führen könnte. Er nahm die beiden Hengste und zog sie hinter sich her.
Die Nische erwies sich als eine Kluft zwischen den Felsen, die schräg verlief, aber einen Mann oder auch ein Pferd gut durchließ. Wenige Schritte hinter dem Eingang verbreiterte sie sich sogar.
Der Spieler brachte die beiden Pferde hinein und kam dann auf den Weg zurück.
Er wußte, daß er sich auf die Hengste verlassen konnte; wenn sie nicht auf offenem Weg standen, würden sie sicher warten, bis sie von einem ihrer Besitzer abgeholt würden.
Der Georgier war schon vorn auf dem Saumpfad, als er noch einmal stehen blieb, sich umwandte und zurückging, um aus dem Scabbard des Missouriers die Winchester zu holen. Er selbst beschwerte sich selten mit einem Gewehr und hatte es auch auf diesem Ritt nicht mitgenommen.
Er wußte selbst nicht genau, weshalb er die Waffe mitnahm – aber ähnlich wie den Marshal, erfaßte auch ihn zuweilen ein Vorgefühl der Gefahr. Und jetzt wurde er das Gefühl nicht los, daß er die Winchester brauchen würde.
Er entfernte sich in Richtung auf die Felsnase zu, in der er den Gefährten hatte verschwinden sehen.
Aber kaum hatte er die Felsnase erreicht, als er schon den Lichtschein hinter den vorspringenden Gesteinsbrocken aufleuchten sah.
Kein Zweifel: am Ufer war ein Feuer entzündet worden.
Holliday bewegte sich tief an den Boden geduckt vorwärts. Sein Marsch wurde natürlich durch das Mitschleppen des Gewehrs ganz erheblich erschwert.
Nach etwa fünf Minuten hatte er einen weit wie eine Bastei über den See vorspringenden Hang erreicht, auf dem er sich jetzt platt niederlegte.
Drüben am Ufer brannte das Feuer, und darum herum sah er einen Kreis von Männern.
Ein Glück, daß er das Nelsonglas des Missouriers mitgenommen hatte. Er zog es aus der Tasche und hielt es vors Auge.
Verblüfft blickte er auf das Bild, das die Röhre ihm da vorzugaukeln schien.
Holliday nahm das Fernglas zur Seite und wischte sich über die Augen.
»Damned«, flüsterte er leise vor sich hin, »das muß doch ein Spuk sein.«
Aber es war kein Spuk. Es war harte, brutale Wirklichkeit.
In einem Kreis von mehr als abenteuerlich wirkenden Gestalten, die ihre Köpfe mit seltsamen Kapuzen verdeckt hatten, lag der Marshal gefesselt am Boden vor einem großen Feuer.
Holliday nahm das Glas wieder ab und wischte sich mit dem weißen Taschentuch über die Stirn: »Zounds!«
Dann sah er, wie die Kapuzenmänner den Missourier vom Boden aufhoben und auf das Podest schleppten.
Und jetzt erkannte er auch, was ihm das Dunkel der Tannenäste verborgen hatte: den Galgen!
Sie wollten den Marshal also hängen.
Was war jetzt zu tun? Hinunter konnte er nicht mehr. Das war zu spät und viel zu weit. Und außerdem brachte er sich dann selbst nur in Gefahr und hatte damit die wenigsten Aussichten, Hilfe zu bringen.
Es gab nur eines: er mußte versuchen, mit dem Gewehr Verwirrung unter den Banditen anzurichten.
In diesem Augenblick sah er, wie einige der Kapuzenmänner den Kreis verließen und im Wald verschwanden. Bald darauf tauchten sie am Ufer auf und liefen unruhig hin und her.
Sie schienen etwas zu suchen.
Ah, sie vermuten, daß er mit einem Boot gekommen ist.
Wie sollten sie auch auf den Gedanken kommen, daß er hier heruntergeklettert ist, schoß es Holliday durch den Kopf. Dann fragte er sich selbst, wie ist er bloß hier hinuntergekommen?
Da hob einer der Männer – er stand direkt vor dem Feuer und schien der Anführer zu sein – seine linke Hand, und gleich darauf entfernten sich fast die Hälfte der Kapuzenmänner im Wald, und mehrere kamen auch zum Ufer herunter. Sie suchten also weiter.
Und da es kein Boot zu finden gab, konnte die Suche noch eine ganze Weile dauern, denn die Kapuzenmänner waren ja offensichtlich davon überzeugt, daß der Mann sein Boot irgendwo versteckt haben mußte!
Holliday überlegte, wieviel Zeit er brauchte, um um den See herumzukommen.
Wenn ich mich sehr beeile, könnte ich es vielleicht schneller schaffen, als ich es angenommen habe.
Vorausgesetzt, daß der Weg tatsächlich in der bewußten Schneckenlinie um das Gewässer herumführte.
Holliday hatte mit einem raschen Blick das Rund des Bergsees erfaßt und kam zu der Überzeugung, daß der Weg doch viel kürzer sein müßte, als sie beide zusammen vorhin angenommen hatten.
Kurz entschlossen machte er kehrt und eilte, als er den Saumpfad erreicht hatte, rasch vorwärts.
Der Weg war jetzt wenig steinig, und er kam wirklich schnell vom Fleck.
Aber der Saumpfad wollte und wollte kein Ende nehmen.
Er wand sich, wie die beiden Dodger vermutet hatten, tatsächlich im Schneckengang von Süden nach Norden. Aber er schien nicht enden zu wollen.
Schon begann der Spieler zu fürchten, daß die Berechnung doch falsch sein könnte: vielleicht führte der Weg gar nicht hinunter an das jenseitige Ufer, also an die nordöstliche Ecke des Waldstückes!
Und er verlor hier kostbare Zeit, während der Freund in äußerster Gefahr steckte.
Schneller hastete der Mann vorwärts.
Plötzlich stolperte er über ein Gesteinstück, das er auf dem dunklen Bodengrund nicht hatte erkennen können. Aber geschickt fing er sich mit der Linken auf, konnte das Gewehr vorm Aufprall retten und lief weiter.
Es schien ihm, als ob er schon eine Stunde unterwegs sein müßte – und hatte doch knapp sieben oder acht Minuten Weg hinter sich.
Er war glühend erhitzt von dem raschen Lauf, als er wieder über einen Stein, der mitten im Weg lag, stolperte. Zwar gelang es ihm auch diesmal, das Gewehr nicht auf den Boden prallen zu lassen, aber dafür schlug er selbst hart mit dem linken Ellbogen und dem rechten Knie auf.
Keuchend erhob er sich und setzte seinen Lauf humpelnd fort.
Ein stechender Schmerz war in seinem linken Arm und machte ihm höllisch zu schaffen.
Aber mit unverminderter Schnelligkeit lief er vorwärts.
Die Passage war jetzt enger geworden, und die Felsen stiegen steil zu beiden Seiten des Weges in die Höhe.
Es war dunkler und dunkler geworden, und schließlich mußte Holliday sein Tempo so sehr mindern, daß er nur noch im schnellen Schritt vorwärts kam, wobei er sich mit der vorgestreckten Linken an der Wand entlangtasten mußte.
Es war mehr die Verzweiflung und die Angst um den Gefährten als die Anstrengung des Laufes, die dem Gambler den Schweiß aus allen Poren trieb.
Wenn ich nun doch auf dem falschen Weg bin!
Wenn sie ihn jetzt in diesem Augenblick töten!
Er lief schneller vorwärts, stieß mit dem Kopf gegen ein tückisch vorspringendes Felsstück und taumelte benommen zurück.
Sekundenlang kniete er am Boden und rang nach Atem.
Er mußte das Gewehr auf die Schulter nehmen, um mit beiden ausgestreckten Händen weiterzugehen, denn der Fels hatte jetzt zu beiden Seiten so weit vorspringende Gesteinsfinger, daß er ständig Gefahr lief, sich zu verletzen.
Aber in der Mitte des Weges mußte eine freie Passage sein, denn sonst war es ausgeschlossen, daß hier ein Reiter zum See hinuntergelangen konnte.
Zum See? War es der Weg zum See?
Mit dieser bangen Frage zermarterte der Mann sein Hirn, während er weiter und weiter talwärts stürmte.
Es schien eine ganze Ewigkeit vergangen zu sein, als er plötzlich vor sich einen Lichtschimmer in dem fast stockdunkel gewordenen Felskamin auftauchen sah.
Er hastete ihm entgegen, sprang jetzt mit weiten Sätzen vorwärts – und sah zur Rechten hinter dem zurückfallenden Fels, fast auf seiner Höhe, den Spiegel des Sees im Sternenlicht blinken. Wie ein rubinroter Finger zog sich der Schein des Feuers drüben aus der Ufernische in das Wasser.
Holliday war unwillkürlich stehengeblieben. Er mußte jetzt größere Vorsicht walten lassen, denn da sich die Vermutung nur bestätigt hatte, daß dieser Weg zum See führte, war auch mit Sicherheit anzunehmen, daß die Galgenmänner ihn bewachen ließen.
Nichts einfacher als das: sie brauchten bloß hier einen einzigen Posten mit einem Gewehr aufzustellen, der jeden, der den Felskamin verließ, niederschoß.
Holliday stand noch am Ausgang im Dunkel und starrte auf das Wasser hinüber.
Zwanzig Yard weiter vorn kam noch ein einzelner Felsbrocken, der zum Wasser abfiel und tiefe Dunkelheit auf den Weg zu den Bäumen warf.
Wenn es hier einen Posten gab, dann saß er da!
Wie sollte der Georgier über diese freie lichte Stelle hier kommen?
Wenn er sich jetzt vorwärtsbewegte, mußte er damit rechnen, daß der Mann ihn sofort sah und augenblicklich schoß.
Aber er hatte keine Zeit zu verlieren. Er mußte vorwärts!
Drüben am Ufer sah er jetzt zwei, drei Männer herumlaufen, die immer noch nach dem Boot zu suchen schienen.
War es schon geschehen? Hatten sie ihn schon getötet? Diese Frage würgte dem Mann in der Kehle und ließ ihm einen eisigen Schauer über den Rücken rinnen.
Ich kann nicht warten!
Mit weiten Sätzen schnellte er plötzlich vorwärts.
Und da sah er einen Schatten aus dem Dunkel auf sich zuschnellen.
Doc Holliday warf sich zur Seite und riß das schwere Gewehr mit dem Kolben herum und traf den Mann am Schädel.
Blitzschnell beugte er sich über den Niedergesunkenen und tastete ihn ab.
Eine Kapuze!
Er nahm sie sofort an sich und stülpte sie sich über den Kopf.
Es zeigte sich, daß sich durch die beiden Augenlöcher sehr gut sehen ließ.
Rasch ging er weiter.
Jetzt hatte er die ersten Bäume erreicht und atmete auf, als er in ihrem Dunkel untergetaucht war.
Diese leichtsinnigen Halunken hatten tatsächlich nur einen einzigen Wächter aufgestellt.
Holliday ging schneller vorwärts, da die Geräusche, die die Männer noch im Wald mit ihrem Suchen verursachten, seine eigenen Schritte übertönten.
Als er bis auf etwa siebzig Yard an die Schneise herangekommen war, sah er, daß Wyatt Earp noch oben auf dem Podium stand.
Er lebte!
Was jetzt? Holliday hatte sich bis zu diesem Augenblick noch keinen Gedanken über das gemacht, was nun folgen sollte.
Er mußte jetzt handeln. Rasch und entschlossen.
Er hatte die Kapuzenmänner nicht gezählt; aber es waren ihrer wenigstens fünfundzwanzig.
Aber weder der Mann aus Georgia noch der Missourier hatten je ihre Feinde gezählt.
Doc Holliday ging langsam vorwärts…
*
Die Kapuzenmänner suchten das Boot.
Es war ihnen unbegreiflich, daß es so schwer zu finden sein sollte. Der Mann konnte es doch nicht in Luft aufgelöst haben. Und mit einem Boot mußte er gekommen sein – eine andere Möglichkeit gab es doch gar nicht. Die Felsen fielen derart steil ab an den Seiten des Waldstückes und drüben an dem See erst recht, daß es ganz ausgeschlossen schien, über diese Steilwände hinweg hier herunterzukommen.
Nein, nein, der Mann mußte mit einem Boot gekommen sein.
Denn über den Saumpfad konnte er ja nicht an den Wald gelangt sein, da saß ja der Posten.
Der Posten! Der Mann mit dem schwarzen Punkt auf der grauen Kapuze hatte plötzlich einen sonderbaren Gedanken. Wie nun, wenn der Posten nicht mehr vorn in der Enge saß, wenn dieser Mann hier ihn überwältigt hatte?
Er selbst, der Anführer, wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu dem Platz, an dem er den Posten wußte.
Doc Holliday, der sein Augenmerk besonders auf diesen Mann, der in der Mitte des Kreises vor dem Feuer gestanden hatte, richtete, sah ihn sofort, wandte sich um und eilte zurück.
Auch jetzt wurden seine hastenden Schritte von den Geräuschen, die die Kapuzenmänner mit ihrem Suchen verursachten, übertönt.
Der Gambler fand den Posten noch schwer betäubt in der Mitte des Weges liegen, zerrte ihn zurück an den Stein und trat dann in die Mitte des Pfades.
Da sah er vorn an den letzten Bäumen die Gestalt des Anführers auftauchen.
Der hob die Hand.
Da nahm auch Holliday die linke Hand hoch und winkte.
Der Anführer blieb stehen.
Er hat Verdacht geschöpft, blitzte es durch das Hirn des Spielers. Seine Rechte tastete sich zum Revolver. In der Linken hatte er das Gewehr. Unmerklich nahm er den vernickelten Frontier-Revolver aus dem Halfter und hielt ihn schußbereit an der Hüfte.
Aber da drehte sich der Kapuzenmann langsam um und ging unter den Bäumen her zu der Schneise zurück.
Holliday folgte ihm in einem Abstand von etwa sechzig Yard.
Noch einmal würde ihm dieser Trick sicher nicht gelingen. Aber was sollte er jetzt tun?
Der Ring! Konnte ihnen der Ring keine Hilfe bringen?
Aber der Marshal hatte doch auch einen Ring und stand dennoch unter dem Galgen.
»Ich muß es trotzdem versuchen«, flüsterte der Spieler tonlos vor sich hin und ging langsam vorwärts, unter den Bäumen dahin, auf die Schneise zu.
In diesem Augenblick stieß an der Hütte einer der Banditen einen erstickten Schrei aus.
Sofort liefen mehrere seiner Kumpane zu ihm hin und standen um ihn herum.
Dann eilten sie auf den Lagerplatz zu, auf dem nur noch sechs Männer mit dem Anführer um das Feuer herum standen.
Der Mann, der vorhin den Schrei ausgestoßen hatte, kam auf den Boß zu und hielt ihm die ausgestreckte Hand hin, auf der ein kleiner Gegenstand funkelte.
Ein goldener Ring.
Der Boß der Kapuzenmänner starrte unverwandt auf das Metall, das vorn auf seiner abgeplatteten Siegelfläche ein großes eingraviertes Dreieck trug.
Da flog der Kopf hoch, und seine kalten hellen Augen fixierten den Mann oben auf dem Galgenplatz.
Langsam ging er vorwärts, vorbei am Feuer vor das Podest. Da blieb er stehen.
Doc Holliday, der noch unter den Bäumen stand, jetzt aber von den Banditen mühelos hätte gesehen werden können, was er bereits nicht mehr scheute, hatte den Revolver immer noch in der Hand.
Reglos stand der Anführer vor dem Podest und starrte aus einer Entfernung von sechs Yard zu dem Gefangenen hinauf. Dann hob er die linke Hand.
Verdutzt blickte der Bandit, der neben Wyatt stand, nahm dem Gefangenen den Strick vom Hals und trat zurück.
Da gab der Anführer wieder einen Wink, und der Desperado befreite den Missourier von dem Knebel.
Auf einem weiteren Wink hin wurde Wyatt von dem neben ihm stehenden Outlaw gefragt:
»Wer bist du?«
Wyatt, der die Situation sofort erkannt hatte, blickte hinunter auf seine gefesselten Beine.
»Es ist ja nicht üblich bei uns, darüber zu sprechen…«
Da nickte der Anführer.
»Well«, entgegnete Wyatt. »Mein Name ist Callaghan.«
»Callaghan!« entfuhr es jetzt selbst auch dem Anführer.
Wyatt hatte versucht, den Ton dieser Stimme zu erkennen, aber es gelang ihm nicht, da noch eine Reihe der anderen verblüfft den Namen ausgerufen hatten.
Der Anführer erteilte dem Kapuzenmann neben dem Marshal einen eindeutigen Wink, woraufhin Wyatt sofort von seinen Fesseln befreit wurde.
Der Mann, der neben ihm stand, fragte:
»Wo hast du deine Kapuze?«
»Ich habe sie auf dem Ritt verloren.«
»Das sollte nicht passieren«, entgegnete der Mann.
»Ich weiß, aber es ist passiert. Wichtig erschien mir, daß ich hier bin.«
Doc Holliday hatte sich unbemerkt neben die anderen gestellt, ja, er stand jetzt in ihrem Halbkreis am Feuer.
Es herrschte eine unheimliche Disziplin unter den Verbrechern.
Eine Disziplin, die nur in der Organisation des Ku-Klux-Klan zu finden gewesen war.
Niemand tat irgend etwas, was der Boß nicht angeordnet hatte.
Der Anführer trat einige Schritte vor und legte den Ring auf das Podest.
Jetzt sah Wyatt, daß die Rechte, mit der er das tat, mit einem gelben Wapitilederhandschuh überzogen war. Auch die Linke war mit einem solchen Handschuh bedeckt. Wyatt war es bis jetzt nicht aufgefallen.
Mit welcher Vorsicht gingen diese Menschen zu Werke.
Da trat einer der Kapuzenmänner vor und legte eine graue Kappe vor den Marshal hin.
Wyatt, der jetzt seiner Fesseln ledig war, stülpte sich die Kapuze über. Er hatte Doc Holliday schon beim erstenmal bemerkt, als er da hinten durch die Bäume herangekommen war.
Hoffentlich fiel es niemandem auf, daß der Georgier ein Gewehr bei sich hatte.
Genau in dem Augenblick, in dem der Marshal dies befürchtet hatte, fiel es einem Mann auf:
Dem Anführer. Unverwandt starrte er den Georgier an, dann gab er dem anderen, der hier als Sprecher zu fungieren schien, ein ungeduldiges Zeichen.
Der fragte den Spieler: »Was willst du mit dem Gewehr?«
»Ich habe immer ein Gewehr bei mir«, entgegnete Holliday kühl und hob die Linke, in der er die Waffe hatte, nach vorn, und der silberne Ring blitzte im Schein des Feuers auf.
Es gab sicher niemanden in der Runde, der den Ring jetzt nicht bemerkt hätte.
Der Anführer nickte. Dann deutete er auf das Feuer.
Mehrere Männer löschten es.
Jetzt standen die Graugesichter im Dunkel und blickten in das verglimmende Campfeuer.
Nach und nach war es mit Erde völlig zugeworfen.
Es war jetzt so dunkel auf der Waldlichtung, daß die beiden Dodger nicht mehr zu befürchten hatten, von irgend jemandem entdeckt zu werden.
Was bisher der große Vorteil der Galgenmänner war, nämlich das Geheimnisvolle, das Schweigsame, das Vermeiden der Namensnennungen, all dies kam jetzt den beiden Dodgern zugute. Niemand schien Callaghan zu kennen, jedenfalls nicht persönlich. Denn hätte ihn auch nur einer von diesen Männern gekannt, so wäre es um den Missourier geschehen gewesen. Aber er schien diesem Kreis von Angesicht unbekannt zu sein.
Die Vermutung, die der Marshal schon eine ganze Weile hegte, bestätigte sich mehr und mehr: es handelte sich hier nicht um eine blind zusammengewürfelte Schar von Männern, sondern um eine Einberufung ihrer Anführer.
Aber da sie alle Handschuhe trugen, wie der Marshal nun bemerkte, war es nicht möglich, festzustellen, ob sie auch alle Ringe trugen – und vor allem: welchen Ring trug der Anführer?
Trugen sie überhaupt Ringe?
Fragen über Fragen.
Die Bedeutung der Ringe war also immer noch ein Geheimnis.
Jedenfalls war der Marshal aus einer mörderischen Situation gerettet worden. Er war davon überzeugt, daß Doc Holliday Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, um ihn herauszuhauen. Die beiden tauschten rasch einen Blick miteinander und waren sich darüber einig, daß nun alles auf eine Karte zu setzen war.
Die Galgenmänner betrachteten sie als ihresgleichen. Und daraus mußte ein Nutzen gezogen werden können.
Es war ganz klar, daß sie hier gegen diese vierundzwanzig Männer, Wyatt hatte sie inzwischen gezählt – wenig ausrichten konnten. Diese Crew etwa zerschlagen zu wollen, wäre Wahnsinn gewesen. Die Männer waren alle, jeder für sich allein, gefährlich und schwer bewaffnet. Sie hatten weder Strapazen hinter sich, noch waren es Feiglinge. Der Missourier war sogar überzeugt, daß er es hier mit einer ausgesuchten Mannschaft zu tun hatte, die ganz sicher zu kämpfen verstand.
Es wäre auch dumm gewesen, hier einen Kampf entfachen zu wollen, nicht nur, weil er mit dem sicheren Untergang der beiden Freunde geendet hätte, sondern weil jetzt mit List und Schläue bedeutend mehr erreicht werden konnte.
Ja, es war sogar eine ganz einmalige Gelegenheit, mehr über die Galgenmänner zu erfahren, tiefer in das Geheimnis ihres Bundes einzudringen.
Jedenfalls hoffte der Marshal das.
Stumm standen sie im Kreis und blickten auf den Anführer, der jetzt aus dem Kreis herausschritt und auf das Ufer zuhielt.
Ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben, formierten sich die Kapuzenmänner zu einem Halbkreis und blickten auf den See hinaus.
Der Anführer stand vor ihnen und kehrte ihnen den Rücken zu.
Was hätte der Marshal darum gegeben, wenn er sein Gesicht hätte sehen können!
Jetzt verwünschte er sich, daß es ihm vorhin nicht gelungen war, die Stimme dieses Mannes besser herauszuhören.
Wenn er ihn jetzt so ansah, wie er da vor ihnen stand, groß, breitschultrig, sehr aufrecht, selbstbewußt wirkend, so drängte sich ihm wieder der Gedanke an jenen Mann auf, den er von der ersten Stunde an für den Anführer der Galgenmänner gehalten hatte: Isaak Joseph Clanton.
Aber er konnte es ja nicht sein. Ike Clanton hätte ihn erkannt und doch wohl längst in die Hölle geschickt. Er hätte sich ein Vergnügen daraus gemacht, seinen Erzfeind endlich auszulöschen. Und niemand hätte jemals behaupten können, daß es Ike Clanton gewesen war, der den Marshal Earp hatte töten lassen. Diese Gelegenheit hätte sich der Tombstoner Bandenführer sicher nicht entgehen lassen.
So ganz war Wyatt Earp allerdings nicht von dieser Überlegung überzeugt. Fest stand doch nur, daß Ike Clanton den Marshal erkannt hätte. Aber vielleicht gab es für ihn einen Grund, das nicht zu zeigen? Oder sollte er wirklich glauben, daß er, der Marshal, sich zu den Galgenmännern geschlagen habe? Daß er zu ihnen hinübergetreten und jetzt ein prominentes Mitglied geworden war? Nein, das war ausgeschlossen, denn der Mann, dem der Ring gehörte, den Wyatt jetzt trug, hieß Callaghan. Und er hatte den Namen Callaghan genannt. Diese Komödie hätte Ike Clanton ja niemals mitgemacht.
Der Anführer der Kapuzenmänner, der jetzt sechs Schritte vor der Mitte des Halbkreises stand und auf den See hinausstarrte, konnte nicht Ike Clanton sein.
Es war still geworden am Roten See.
Die sechsundzwanzig Männer – ihre Zahl hatte sich ja jetzt um zwei vermehrt – standen da und blickten auf das Wasser hinaus, in dem sich das schwache Sternenlicht und ferner fahler Mondschein spiegelten.
Der Marshal hatte ein seltsames Gefühl in seiner Brust, als er jetzt hier in dieser geheimnisvollen, düsteren Runde stand.
Wieder mußte er an die Männer mit den weißen Kapuzen denken, die damals in seiner Heimat so fürchterlich gehaust hatten. An den Ku-Klux-Klan. Und nicht nur in Illinois und in Missouri hatten sie gehaust – sie waren in Kansas gewesen, in Texas, in New Mexico und Colorado und weiter noch im Westen drüben. Und in den Gazetten hatte man lesen können, daß sie sogar in den Osten vorgedrungen waren. Nach Tennessee, nach Kentucky, nach Indiana und Ohio. Ja, es hieß sogar, daß sie in Virginia aufgetaucht wären. Der Krieg schien den Ku-Klux-Klan aufgelöst zu haben. Man hatte bis heute auch so gut wie nichts mehr von diesem fürchterlichen, grausamen Geheimbund gehört.
Und was war das, was jetzt um den Marshal herum stand? Waren das nicht die Männer vom Ku-Klux-Klan?
Weshalb geschah denn nichts? Brennend vor Ungeduld stand der Marshal mitten unter ihnen und blickte auf den Anführer.
Was würde nun geschehen?
Weshalb waren sie hier zusammengekommen?
So geschickt sie auch vorgegangen waren, den Augen der indianischen Späher war ihre Anwesenheit hier am Roten See nicht entgangen.
Wahrscheinlich war es einigen von ihnen nicht möglich gewesen, zeitig hier am Treffpunkt aufzutauchen und deshalb hatten sie sich auf mehrere Tage festlegen müssen. Nur diesem Umstand hatte der Marshal es zu verdanken, daß er hier unter ihnen stehen konnte.
Und es war ein wahres Glück, daß ihn niemand von den Anführern der Gang von Angesicht kannte.
Hoffentlich kannte auch niemand den Georgier.
Aber sein Gesicht war ja unter einer Kapuze verdeckt. Und seine Stimme hatten sie offenbar nicht erkannt.
Stumm standen die beiden im Halbkreis der Galgenmänner am Roten See in den Silver Mountains. Der vierte von links war der Marshal Wyatt Earp, und der vorletzte auf der rechten Seite war der gefürchtete Doc Holliday. Und die Verbrecher ahnten nicht, daß der schlimmste Feind, den sie besaßen, mitten unter ihnen weilte.
Es mochten etwa fünf Minuten vergangen sein, als sich der Anführer plötzlich umwandte.
Er hob wieder seine behandschuhte Linke, und der voriger Sprecher trat einen Schritt vor und wandte sich an die Männer.
»Es muß vieles besprochen werden. Der Boß hat beschlossen, daß neue Wege beschritten werden müssen. Wenn wir unsere Idee zum Ziel bringen wollen, müssen wir mehr geben, viel mehr. Murrt nicht!«
Es murrte niemand.
Dennoch wiederholte der Sprecher diese Aufforderung.
»Murrt nicht! Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir kämpfen. Noch mehr kämpfen! Vor allem muß energischer gegen unsere Widersacher vorgegangen werden. Bevor ich auf einzelne Punkte zu sprechen komme, will ich noch einmal das wiederholen, was ich schon gestern und vorgestern gesagt habe: Unser größter Feind muß vernichtet werden! Dieser einzelne Mann hat uns bereits mehr Schaden zugefügt, als sonst irgend etwas seit dem Bestehen unseres Bundes. Er muß vernichtet werden. Vier Gruppen sind auf ihn angesetzt. Er lebt immer noch, wie wir erfuhren. Der Boß gibt euch hier noch einen Monat Zeit. Wenn der Mann dann noch nicht ausgelöscht ist, werdet ihr bestraft, denn ihr seid die Verantwortlichen und somit die Schuldigen.«
Nach diesen Worten ließ der Sprecher der Galgenmänner eine Pause eintreten.
Wyatt hätte laut herausbrüllen mögen vor Lachen über diese geisterhafte Komödie – wenn sie nicht einen so düsteren, traurigen, ja, tragischen Hintergrund gehabt hätte. Diese vierundzwanzig Männer, die hier um ihn herum standen, führten die größte und gefährlichste Verbrecherbande an, die es jemals in diesem Land gegeben hatte. Selbst die Crew des Ike Clanton war ein Nichts dagegen gewesen. Und deshalb gab es wirklich nichts zu lachen hier. Was hier geschah, war blutiger, mörderischer Ernst. Diese Menschen waren zu allem entschlossen, um einer irrsinnigen Idee zum Sieg zu verhelfen. Höchstwahrscheinlich verschanzten sie sich hinter dieser sogenannten Idee, um persönlich zu Reichtum und Wohlstand zu kommen. Wie es nicht anders beim Ku-Klux-Klan gewesen war.
Der Sprecher hob wieder die Hand und fuhr fort:
»Es ist ein Wahnsinn, daß dieser einzelne Mann noch immer gegen uns arbeiten kann. Ich werde hier noch einmal seinen Namen nennen, damit ihr nicht behaupten könnt, ihr hättet ihn nicht gewußt. Es ist Wyatt Earp, der Marshal aus Dodge City. Ein einzelner Mann – well, Doc Holliday ist bei ihm. Es sind also zwei, wenn wir es genau nehmen wollen. Aber was sind zwei Männer gegen den Bund?!«
Wieder ließ er eine kurze Pause eintreten, um dann fortzufahren:
»Und doch haben sie ein gewaltiges Loch in unsere Kette gerissen. Wenn unsere Brüder drüben in Martini nicht rechtzeitig aufgepaßt hätten, wäre größeres Unheil nicht verhindert worden.«
Es war wieder einen Augenblick still, und der Marshal hatte Gelegenheit, über diese Worte des Galgenmannes nachzudenken.
Was war in Martini verhindert worden? War er doch näher am Ziel gewesen, als er geahnt hatte? Lag der Grund des Geheimnisses, das große Camp doch drüben hinter der Grenze Mexikos? Hatte er jetzt das wichtigste Geheimnis seit seinem verhängnisvollen Ritt nach Kom Vo erfahren? Viele Wochen schon war er hinter den Galgenmännern her; sollte es ihm nun gelungen sein, wirklich etwas Entscheidendes zu erfahren? Sie gingen unendlich vorsichtig vor – und ahnten doch nicht, wieviel jetzt schon an ihren gefährlichsten Feind verraten worden war.
Sie kannten den Wolf so genau, der da an ihrer Höhle saß. Wenn sie auch nicht wußten, wie er aussah. Aber es gab genug Mitglieder ihrer Gang, die den Marshal kannten.
Wyatt überlegte, daß er, wenn er den Roten See verlassen hatte, auf schnellstem Wege die Hilfe des Militärs in Anspruch nehmen mußte, um drüben hinter der mexikanischen Grenze in Martini das Camp der Galgenmänner aufzuspüren und auszuheben. Allein konnte er mit Doc Holliday gegen eine so übergroße Zahl von Banditen kaum Nennenswertes ausrichten.
Wyatt hatte keine Gelegenheit mehr, länger über diese Dinge nachzudenken, denn der Sprecher hatte die Hand wieder gehoben und fuhr fort:
»Ich komme gleich auf die wichtigsten Dinge zu sprechen, muß aber noch erwähnen, daß so ungünstige Ergebnisse, wie sie in Cazador und auch in
Pearce in Doc Cabeza und Turkey Flat erzielt worden sind, mehr Nachteil als Vorteil gebracht haben. Es sind keine Leute mehr anzusetzen, die für solche Aufgaben nicht geeignet sind. Wenn die Organisation groß und stark werden soll, dann müssen nur die besten Männer eingesetzt werden. Ihr alle wißt, daß in Safford ein guter Tag für uns gewesen ist. Aber davon können wir nicht ewig leben. Drei Gruppen unter euch müssen in Casa Grande mit größtem Einsatz zu Werke gehen. Der Boß verlangt alles!«
Also der große Bankeinbruch von Safford ging auf das Konto der Galgenmänner. Wyatt Earp hatte vor anderthalb Monaten von dem Überfall auf die Bank von Safford gehört, bei dem Überfall waren der Bande über zwanzigtausend Dollar in die Hände gefallen; Wyatt vermutete, daß die Summe weit höher gewesen war, daß aber der Bankier, der bei dem Überfall verletzt worden war, nicht mit der Höhe herausrücken wollte, da er offensichtlich die Rache der Galgenmänner fürchtete.
Daß es die Galgenmänner gewesen waren, war nicht erwähnt worden. Aber Wyatt war jetzt klar, daß der Bankier es sicher wußte.
Der Sprecher erklärte weiter: »Am Tag von Casa Grande wird gekämpft. Ihr wißt, daß die Stanfield-Cowboys aus der Nähe fast ständig in der Stadt herumlungern. Es sind zwanzig Männer, mit denen gerechnet werden muß. Außerdem muß damit gerechnet werden, daß Boys von der Atkin Ranch
in der Stadt sind. Wir haben also Gegner dort. Und das wichtigste: Wyatt Earp darf an diesem Tag nicht mehr leben.«
So sehr also fürchteten sie den einzelnen Mann. Er hätte ja Lunte riechen können, er hätte ja etwas von dem Überfall in Erfahrung bringen können.
Was würden die Galgenmänner für Gesichter gemacht haben, wenn sie jetzt gewußt hätten, daß er da mitten unter ihnen stand und alles mit anhörte, was besprochen wurde.
Aber Wyatts Hoffnung, daß weitere wichtige Dinge zur Sprache kamen, erfüllte sich nicht. Der Sprecher erwähnte noch einige Orte, die dem Marshal unbekannt waren und hielt sich im übrigen an der Phrase fest, daß alles für den Bund zu geschehen habe! Wenn die Organisation groß und mächtig werden wolle, was ja ihr Ziel sei, müßte sie mit eiserner Energie vorgehen.
Ku-Klux-Klan-Manier! Da geschah etwas Merkwürdiges. Der Hund, den der Missourier vorhin niedergeworfen hatte, war im Haus eingesperrt worden und mußte sich jetzt irgendwie befreit haben. Er schoß plötzlich über die Lichtung auf die Männer zu, warf sich gegen den Missourier und hätte ihn niedergerissen, wenn Wyatt das Tier nicht mit einem Gegenprall aufgefangen hätte.
Mehrere Galgenmänner kamen dem Marshal zu Hilfe, aber Wyatt hatte den Hund so fest an sich gepreßt, daß ihm abermals der Atem ausging.
Wie leblos lag er jetzt am Boden.
Zwei Männer brachten ihn weg und sperrten ihn wieder im Haus ein.
Niemand schien etwas bei dem Vorfall zu finden.
Es war wieder still. Und dann wandte sich der Sprecher plötzlich zum Schrecken der beiden Dodger zur Seite, ging auf Doc Holliday zu und ergriff ihn am Ärmel, um ihn in die Mitte des Halbkreises zu ziehen.
Dabei löste sich der nur provisorisch angeheftete Rockärmel, der in der Schenke von Mesha ausgerissen worden war. Und der weiße Hemdsärmel des Spielers leuchtete auf.
»He, was hast du denn für Lumpen am Leib«, knurrte der Sprecher; ganz seine bisherige Würde vergessend.
»Wenn du Büffel mir mein Zeug vom Leibe zerrst, sollten es wohl Lumpen sein«, entgegnete der Spieler schlagfertig.
Der Anführer hob die Hand.
Der Sprecher nickte. »Ja, schon gut, Boß. Also, jetzt kommt deine Aufgabe. Im Gebiet von Chiricahua ist das Depot der Wells Fargo errichtet worden. Du weißt es und du hast deshalb auch den Platz bekommen, weil du aus dieser Gegend stammst. Das Depot wird unauffällig bewacht. Und es geschieht nichts Verdächtiges. An dem Tag, an dem der Boß es befiehlt, wird es von vier Gruppen oder vielleicht von fünf überfallen. Es muß eine ganz sichere Sache werden…«
Wyatt glaubte nicht richtig gehört zu haben. Nicht einmal er hatte erfahren, daß die Wells Fargo Company im Gebiet von Chiricahua ein Fort aufgebaut hatte, in dem sie höchstwahrscheinlich ihr Stammkapital untergebracht hatte. Daß die Wells Fargo keine Banken dazu benutzte, wußte er allerdings.
Das waren die Dinge, die die Galgenmänner ausbaldowert hatten. Sie wollten diesen Staat ruinieren und dieses Land aushöhlen. Ihr wahres Ziel blieb im Dunkel. Der Sprecher der Kapuzenmänner redete noch ein paar Minuten und brach dann plötzlich auf einen Wink des Anführers ab.
Der stumme Boß des Geheimbundes hielt es nun für richtig, die Besprechung abzubrechen. Wyatt hatte den Verdacht, daß er es ganz bewußt getan hatte, denn der Sprecher war wieder auf das Thema Martini gekommen. Also auf Mexiko.
Offenbar wollte der Anführer nicht, daß zu viel darüber geredet wurde, denn, wie es bei den Galgenmännern bisher üblich war, so sollten höchstwahrscheinlich auch die Anführer nicht zuviel wissen.
Stumm starrten die Kapuzenmänner wieder auf den Boß, der ihnen den Rücken zugekehrt hatte, auf den See hinausblickte, sich dann abwandte und im Dunkel der Bäume verschwand.
Aber plötzlich blieb er stehen und kam zurück.
Die anderen Männer standen noch im Halbkreis da, wie er sie verlassen hatte.
Er gab dem Sprecher einen Wink.
Der wandte sich wieder an die Männer:
»Einen Tag nach Casa Grande starten wir unseren großen Coup. Die Menschen dürfen gar nicht zu Atem kommen. Wir müssen zuschlagen wie der Blitz, schnell und gründlich. An diesem Tag wird übrigens der Boß selbst dabei sein. Ihr wißt Bescheid und ihr wißt, wo wir uns treffen. Nur die Leute aus New Mexico sind nicht dabei. Und vergeßt nicht. Es ist unser Coup. Wir allein werden ihn starten. Ohne unsere Helfer.«
Wo sollte dieser Coup gestartet werden? Wo war der Boß dabei? Das war ja eine teuflische Geschichte. Wyatt Earp nahm sich vor, um jeden Preis herauszubringen, wo die Galgenmänner einen Tag nach dem Überfall auf die Bank in Casa Grande zuschlagen wollten. Gerissener konnten sie es gar nicht anstellen, als einen Tag nach dem großen Überfall einen weiteren noch größeren Schlag zu starten. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Bevölkerung noch in Aufruhr, und man würde in Casa Grande und der Umgegend der Stadt nach den Tätern suchen, während die bereits anderwärts zum härteren Schlag ausholten.
Wo sollte dieser Schlag ausgeführt werden? Das war die große Frage. Und da bei dieser Gelegenheit der Big Boß dabei sein würde, es also eine Gelegenheit war, ihn vielleicht zu stellen, mußte der Marshal um jeden Preis herausbringen, wo die Galgenmänner ihren großen Coup landen wollten. Höchstwahrscheinlich würde der Ort nicht allzu weit von Casa Grande entfernt liegen. Aber auch wiederum nicht zu nahe bei dieser Stadt, um nicht Gefahr zu laufen, den Reitern in die Finger zu laufen, die vielleicht in großer Posse die Nachforschungen in der Umgegend durchführten.
Die Galgenmänner blieben im Halbkreis stehen und blickten auf den See hinaus.
Was sollte jetzt noch geschehen? Wyatt wäre dem Anführer gern gefolgt, aber das konnte er unter gar keinen Umständen riskieren. Es war einfach ausgeschlossen, jetzt die Reihe der anderen zu verlassen. Er sah, daß auch Holliday dem Chief einen Blick nachgeschickt hatte, aber doch ruhig in der Reihe stehen blieb.
Es dauerte eine Weile, da sprang in der Ferne Hufschlag auf.
Die Galgenmänner hatten also ihre Pferde irgendwo im Wald versteckt.
Der große Boß verließ als erster und völlig allein den geheimen Treffpunkt. So ging er sicher, daß er unerkannt blieb.
Eine volle Stunde blieben die Galgenmänner am Wasser stehen und rührten sich nicht.
Das war also die Zeit, die ihr Boß ihnen zum Warten vorgeschrieben hatte. Als sie verstrichen war, trat der Sprecher vor und hob die Hand, ohne etwas zu sagen.
Vier Männer aus dem Halbkreis wandten sich um und verließen die Lichtung.
Wenige Minuten später war auch ihr Hufschlag zu hören.
Da fiel dem Georgier plötzlich der Wächter ein. Die sich überstürzenden Ereignisse hatten ihn den Mann fast vergessen lassen.
Wenn er nun plötzlich zu sich kam und Alarm schlug, war alles verraten. Der Spieler mußte es riskieren, allein davonzugehen.
Er hob die Hand.
Der Sprecher sah ihn an.
»Was ist mit dir?«
»Ich habe den Geheimbefehl, allein zu reiten.«
Der Sprecher nickte und hob wieder die Hand.
Holliday atmete auf und wandte sich um. Aber er hatte kaum drei Schritte getan, da nagelte ihn der Sprecher mit dem Ruf fest:
»Warte noch!«
Holliday blieb stehen und wandte sich langsam um.
»Du reitest nach Chiricahua?«
»Ja.«
»Gut. Ich komme auch dorthin.«
Holliday ging weiter. Teufel, Teufel, wenn ich bloß aus dieser Klemme heraus wäre. Noch saß der Marshal mittendrin, und in jedem Augenblick konnte irgendein Umstand eintreten, der auch ihn verriet.
Es wurden mehrere Männer entlassen. Und am Schluß standen noch sieben aus dem Halbkreis da.
Vor ihnen der Sprecher; er stand reglos da, wo vorhin der Boß gestanden hatte.
Wyatt Earp wußte genau, weshalb der Boß diese Maßnahme getroffen hatte. Die Männer sollten sich selbst untereinander auch nicht kennen. Zumindest nicht von Angesicht zu Angesicht. Das hatte den enormen Vorteil, daß niemals einer den anderen verraten konnte. Und auch er hätte den Namen Callaghan nicht nennen müssen, wenn er sich nicht in so verzwickter Lage befunden hätte. Außerdem war der Name Callaghan so häufig, daß damit wirklich noch nicht viel verraten war. Schwerwiegender war die Tatsache, daß jetzt vierundzwanzig Galgenmänner vermeintlich das Gesicht des Bandenmitgliedes Callaghan gesehen hatten!
Wyatt ahnte nicht, daß der Anführer beschlossen hatte, diesen Fehler auf eine ebenso grausame wie rücksichtslose Weise auszugleichen.
Dann hob der Sprecher wieder die Hand, und die sechs Männer, die um Wyatt herumstanden, machten alle auf einmal kehrt, um zu ihren Pferden zu gehen.
Wyatt allein blieb stehen.
Der Sprecher blickte zu ihm herüber.
»Was ist mit dir?«
»Ich muß ein Stück zu Fuß gehen, ich habe meinen Gaul oben auf dem Saumpfad lassen müssen.«
»Warum?«
»Weil ich Eile hatte und zu Fuß schneller das letzte Stück vorwärtsgekommen bin.«
Das schien dem Desperado einzuleuchten. Er winkte mit der Hand. Und Wyatt ging allein durch die Bäume, in der Richtung davon, in der auch Doc Holliday verschwunden war.
Als er die Enge passierte, an der der Gambler den Posten niedergeschlagen hatte, hörte er links von dem einzeln stehenden Felsstein her ein winziges Geräusch.
Er fuhr sofort herum und hatte seine Revolver in den Fäusten.
Es war Doc Holliday, der auf ihn zukam.
»Kommen Sie, hier liegt unser Freund. Was fangen wir mit ihm an?«
»Wir müssen warten, bis die anderen vorbei sind.«
»Und dann?«
»Dann nehmen wir ihn mit, wohl oder übel.«
»Um Himmels willen, sein Pferd!« entfuhr es Wyatt. »Es steht jetzt hinten bei den anderen Tieren.«
»Nichts da«, entgegnete der Spieler. »Wo denken Sie hin. Sie werden doch nicht glauben, daß ich schon an Altersschwäche leide. Es fiel mir allerdings auch ziemlich spät ein. Ich habe es geholt. Drüben steht es.«
»In Ordnung. Wenn die anderen vorbei sind, binden wir ihn darauf und nehmen ihn mit.«
Sie warteten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Männer kamen.
Wyatt zählte sie.
Es fehlte keiner.
Dann packten sie den Gefangenen, der von Holliday glücklicherweise noch rechtzeitig genug gefesselt und geknebelt worden war, ehe er aus seiner schwachen Ohnmacht erwachte, und banden ihn auf seinem Pferd fest.
Der Marshal führte das Tier, und Doc Holliday, der den Weg schon einmal zurückgelegt hatte, ging voran.
»Zounds!« flüsterte der Marshal, als er die schwierige Passage bemerkte. »Wie haben Sie das bloß in der Dunkelheit geschafft?«
»Fragen Sie nicht«, entgegnete der Spieler.
Sie setzten ihren Marsch durch den dunklen Weg, der von hohen himmelragenden Felsen gesäumt wurde, fort.
Sie hatten nicht zu befürchten, hier irgendwo überrascht oder gar angefallen zu werden, da die Galgenmänner ja nun keinen Grund hatten, Argwohn zu schöpfen.
Als sie endlich die Stelle erreichten, auf der sie sich getrennt hatten, verschwand Doc Holliday, um die Pferde zu holen.
Der Marshal nickte zustimmend.
»Das ist ein ausgezeichnetes Versteck, das Sie ausgesucht haben, Doc.«
»Ach, es war purer Zufall. Ich dachte, daß ich ein bißchen nachsehen müßte, und kroch da vorn auf das Plateau…«
»Was, Sie haben sich auf die Bastei gewagt?«
»Na, wenn schon. War ein luftiger Platz, und man hatte eine fabelhafte Aussicht. Ich hatte Ihr Rohr in der Tasche und konnte Sie wunderbar hinter dem Feuer sehen.«
»Ja, ich hatte Pech. Der Hund wurde mir zum Verhängnis. Übrigens macht er mir auch jetzt noch Sorgen. Er ist scharf auf mich, und obgleich die Männer ihn natürlich mitgenommen haben, ist es nicht ausgeschlossen, daß er mich irgendwann verrät.«
Der Gefangene saß stumm auf seinem Pferd und starrte auf die beiden hinunter.
Da sie Kapuzen trugen, war es ihm ein Rätsel, was die beiden Kumpane – denn er hielt sie ja für solche – mit ihm vorhatten. Aber er war ein Galgenmann und konnte eigentlich von nichts überrascht werden.
Wyatt nahm ihn vom Pferd und führte ihn in die Felsenkluft, in der Holliday das Versteck für die Pferde gefunden hatte.
Da nahm er ihm den Knebel aus dem Mund und drückte ihm den Revolver auf die Rippen.
»Du weißt, daß du jetzt sterben mußt?«
Der Mann gab einen stöhnenden Laut von sich, und plötzlich krächzte er: »Weshalb? Was habe ich falsch gemacht, Boß?«
»Ich bin nicht dein Boß.«
»Doch, ich weiß es. Ich habe Sie sofort erkannt.«
»Du irrst, der Boß ist längst weggeritten.«
»Wozu wollen Sie mich auch täuschen, Boß? Sagen Sie mir, was ich falsch gemacht habe und warum ich sterben muß.«
»Ich will es dir sagen. Du mußt sterben, weil du ein Galgenmann bist.«
Der Bandit warf den Kopf hoch. »Was ist das?«
Wyatt wiederholte seine Worte.
Da stöhnte der Galgenmann verzweifelt auf:
»Ich verstehe nichts, Boß, gar nichts, Boß.«
»Ich bin nicht dein Boß, Brother. Mein Name ist Earp, Wyatt Earp.«
Der Bandit prallte zurück gegen den Felsen.
»Nein«, keuchte er, »nein! Das ist nicht wahr!«
»Es ist wahr!«
»Wyatt Earp? Der Marshal Earp? Unser größter F…«
»Euer größter Feind. Du kannst es ruhig aussprechen, Bandit.«
»Und Sie waren hier? Am Roten See! Bei unserem Treffen?«
Das war dem Desperado so unfaßlich, daß er die Augen so weit aufriß, daß die Iris im Weißen schwamm. »Aber, wenn Sie Wyatt Earp sind…, dann können Sie mich doch nicht hier niederknallen«, schnarrte der Bandit und schöpfte neue Hoffnung.
»Niederknallen?« bluffte Wyatt. »Ich rotte euch Hunde nur aus. Einen nach dem anderen. Eine andere Möglichkeit scheint es ja nicht zu geben. Und du stirbst gleich hier, denn du bist wirklich ein ganz besonders gefährliches Graugesicht!«
Der Mann begann zu zittern. »Nein…, ich… Marshal, das können Sie nicht tun!«
»Du mußt mir schon überlassen, was ich tun kann. – Wo kommst du her?«
»Ich darf es nicht sagen.«
»Du wirst es mir sagen.«
»Das wäre mein Tod.«
»Dein Tod ist das Schweigen.«
Der Mann senkte den Kopf. »Ich weiß, daß der Boß mich bestrafen wird. Aber ich habe ja keine Wahl. Ich bin aus Flagstaff.«
»Und wie heißt du?«
»Billy.«
»Einen Nachnamen hast du wohl nicht mitbekommen?«
»Black.«
»Billy Black, Smith heißt du nicht zufällig?«
»Nein.«
»Wenn du dir nicht sofort deinen richtigen Namen einfallen läßt, Junge, dann geht es dir schlecht, ehe du zur Hölle fährst!«
Der Bandit schwieg.
Da spannte der Marshal den Hahn und drückte den Revolverlauf fester auf die Rippen des Banditen.
Der Mann wagte es nicht, sich zu bewegen und keuchte:
»Bludschun, Jimmy Bludschun. Ich bin aus Farcas.«
»Farcas, aus diesem Drecknest also. Ich habe schon einmal einen Banditen aus Farcas zur Strecke gebracht.«
Der Galgenmann nickte. »Ich weiß, Ole Larson, das Glaskinn.«
»Richtig. Ich sehe, du bist im Bilde, Bludschun. Well.« Wyatt entspannte den Revolver und schob ihn ins Halfter zurück. »Es ist dein Glück übrigens, daß du aus Farcas bist, denn dann kennst du den Weg hier über die Berge genau.«
»Ganz genau.«
»Gut, dann wirst du voranreiten. Aber wehe dir, wenn du es wagst, auch nur den geringsten Versuch zu machen, auszubrechen, oder einen Schrei von dir zu geben. Du bist im nächsten Augenblick ein toter Mann.«
Der Galgenmann dachte gar nicht an etwas Derartiges.
Er wurde wieder hinausgebracht und auf sein Pferd gesetzt. Seine Hände blieben zusammengebunden und auch die Stiefel wurden unter dem Leib des Pferdes zusammengebunden.
»Du reitest voran, Bludschun.«
Wyatt Earp folgte ihm im Abstand von wenigen Yards. Und Doc Holliday machte den Schluß.
Bludschun setzte sein Pferd in Bewegung.
Die beiden hatten sich in die Sättel gezogen und folgten ihm.
So ging es vorwärts.
Nach verhältnismäßig kurzer Zeit kam die steile Passage, die hinauf zum Grat führte.
Bludschun ritt jetzt mehrere Yards vor dem Marshal her und hatte eben die Felsenge verlassen, als es geschah:
Rechts auf dem freien Plateau hatten zwei Reiter gestanden, die etwas Dunkles auf den Mann warfen, der aus der Felsenge kam und nicht ausweichen konnte.
Bludschun stieß einen bestialischen Schrei aus und preßte die gefesselten Hände vors Gesicht.
Die beiden Reiter stoben über das Plateau des Grates davon.
Wyatt Earp wurde durch Bludschuns Pferd an der Verfolgung der beiden gehindert.
Holliday war abgestiegen und drängte sich zwischen den Pferden vorwärts, bis er Bludschun erreicht hatte. Er zerrte ihn vom Pferd. Wyatt schnitt ihm die Fußfesselung durch, und dann legten sie ihn vorn neben dem Felskamin an die Erde.
»Mensch, nimm doch die Hände vom Gesicht«, mahnte der Spieler den Gefangenen.
Aber der war nicht dazu zu bewegen. Sein Schreien war in ein erschütterndes Wimmern übergegangen.
»Was hat er denn?« forschte der Marshal.
»Ich weiß es nicht. Sie haben ihm irgend etwas ins Gesicht geschüttet, vermute ich.«
Wenige Minuten später wußte es der Georgier. Sie hatten den Gefangenen in den Felskamin bis hinter die nächste Windung zurückgetragen, wo sie sicher sein konnten, nicht gesehen zu werden.
Da hatte Holliday ein Zündholz angerissen, und Wyatt Earp mußte dem immer noch furchtbar wimmernden Mann die Hände vom Gesicht weghalten.
Entgeistert starrte der einstige Bostoner Arzt in das Gesicht des Galgenmannes.
»Azaloe!« entfuhr es ihm. »Das ist ja unfaßlich.«
Es war eine volle Minute still.
Dann fragte der Marshal leise: »Was ist das?«
»Ein teuflisches Gift, das die Haut zerfrißt. Es zerstört die Gesichtszüge völlig.«
Also eine Art Salzsäure.
»Sind Sie sicher?« wollte der Marshal wissen.
»Ganz sicher. Der Geruch ist unverkennbar.«
»Und Sie können ihm nicht helfen?«
»Nein. Ihm kann niemand helfen.«
Holliday hatte sich erhoben und ging zu seinem Pferd, um aus seiner schwarzen krokodilledernen Tasche ein schmerzlinderndes Mittel zu holen, das er dem Verletzten eingab.
Sie hatten sich ein Stück von dem Galgenmann entfernt, und der Marshal fragte: »Ist es tödlich?«
»Keineswegs, aber er hat furchtbare Schmerzen. Die Säure zerfrißt seine Haut. Er ist völlig entstellt.«
Wyatt nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Rechten durchs Haar. »Doc«, preßte er heiser durch die Zähne, während er auf das Plateau des Felsgrates hinausblickte, »jetzt habe ich verstanden. Wissen Sie, wem das gegolten hat?«
»Ja, ich habe es sofort gewußt«, entgegnete der Georgier leise. Er hatte sich gegen den Felsstein gelehnt und eine Zigarette angezündet.
»Das war für mich gedacht. Der arme Teufel hat die Säure an meiner Stelle aufgefangen. Der Bandenführer muß einem seiner Leute den Befehl gegeben haben, mich mit diesem Zeug zu bespritzen, um mein Gesicht unkenntlich zu machen. Er muß mich ja für den Mann mit dem goldenen Ring halten, der sich Callaghan nennt. Die anderen alle haben das Gesicht dieses Callaghan gesehen. Und das ist etwas, was gegen die obersten Grundsätze der führenden Galgenmänner verstößt. Also mußte ich unkenntlich gemacht werden.«
Der Georgier lehnte am Felsen und war nur durch den Glutpunkt seiner Zigarette zu erkennen.
»Ich frage mich nur, was das hätte helfen sollen, denn wenn Callaghans Gesicht erst von Azaloe entstellt ist, wird man ihn erst recht erkennen.«
»Ja«, entgegnete der Marshal, »das ist schon richtig. Ich befürchte nur, daß es eine ganze Reihe derart entstellter Männer gibt, die mit dem Anführer der Graugesichter zu tun hatten.«
Das starke betäubende Mittel, das der Georgier dem unglücklichen Banditen gegeben hatte, verfehlte seine Wirkung nicht.
Jimmy Bludschun verspürte nach einer Viertelstunde kaum noch Schmerzen.
Als Wyatt zusammen mit Doc Holliday ihn auf sein Pferd zog, keuchte er: »Ich schwöre Ihnen, Marshal, daß ich nichts mehr mit diesen Menschen… zu tun habe…«
Der Missourier glaubte es ihm gern. Es widerstrebte ihm, den Mann nun noch zu fesseln. Er war ja waffenlos und nicht in der Lage, irgend etwas gegen sie zu unternehmen.
»Können Sie voranreiten?«
Bludschun nickte. »Ja. Das werde ich sicher können.«
Der Ritt ging weiter über den Berggrat nach Norden.
Wyatt Earp und Doc Holliday konnten hier nebeneinander reiten.
»Ja«, fand der Georgier, »ich habe darüber nachgedacht: es ist gut möglich, daß der Chief dieser Halunken eine ganze Reihe von Bandenmitgliedern auf diese Art entstellt hat, so daß tatsächlich diesen Callaghan, den die Männer da unten am See im hellen Feuerschein gesehen haben, später kaum jemand wiedererkennen würde. Eine teuflische Methode, sich abzusichern.«
»Ja, er spielt mit allen Karten, der Big Boß.«
Plötzlich lachte der Georgier leise in sich hinein. »Ich habe ja schon eine ganze Menge erlebt, aber die letzten Stunden übersteigen doch alles Bisherige. Es erscheint mir jetzt schon nach kaum einer Stunde, als wäre es ein Spuk gewesen.«
Es war tatsächlich so, denn das gespenstische Erlebnis unten am Roten See schien wirklich aus einem Alptraum zu stammen.
Und dennoch war es harte Wirklichkeit gewesen.
»Was sagen Sie zu den Dingen?« erkundigte sich der Spieler.
Der Missourier blickte über die schwarzen zackigen Berggipfel, die sich gegen den hellen Streif des Horizonts in den samtblauen Nachthimmel schoben. »Ich hatte zunächst vor, wieder hinüber nach Martini zu reiten. Aber damit muß ich noch eine Weile warten. Es gibt Wichtigeres zu tun.«
»Casa Grande.«
Der Marshal nickte.
»Wird ein schöner munterer Ritt werden. Die Schurken sorgen schon dafür, daß wir immer in Bewegung bleiben. Fett setzen wir auf diese Weise nie an. Casa Grande, das ist doch über hundert Meilen von Tucson entfernt.«
»Ja, und nicht ganz dreißig mehr bis hinauf nach Phoenix.«
»Haben Sie eine Ahnung, was sie am darauffolgenden Tag vorhaben?«
Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Phoenix käme in Frage, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie da suchen. Wir werden das noch genau prüfen müssen. Sie haben ja eine Karte. Und wenn wir doch hinauf nach Casa Grande reiten müssen, kommen wir in Tombstone vorbei, wo ich noch die große Karte von Virgil im Office bei Luke Short habe.«
»Ja, wir werden einen Kreis um Casa Grande ziehen müssen und jeden Punkt, der innerhalb der Dreißig Meilen-Zone liegt, genau prüfen.«
Wyatt hatte sein Pferd angehalten und rief Bludschun zu, zu warten.
Der blickte sich um.
Die beiden Dodger waren aus den Sätteln gestiegen und kamen zu ihm heran.
Holliday warf einen forschenden Blick auf sein Gesicht.
Es hatte von der linken Wange quer über die Nase zum rechten Unterkiefer hin schwere dunkle Flecken. Auch auf der Stirn und der Nasenspitze brannte ein solcher Fleck.
Der Mann war tatsächlich völlig entstellt.
Es war ein wahres Wunder, daß seine Augen unverletzt geblieben waren.
»Wissen Sie keinen anderen Weg, Bludschun?« fragte der Marshal.
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, keinen anderen. Es gibt nur diesen.«
»Dann haben wir also mit weiteren Überraschungen zu rechnen?«
»Nein, Marshal, ganz sicher nicht. Der Boß hat die Sache ja gründlich genug machen lassen.«
Die beiden stiegen wieder in die Sättel, und Bludschun ritt weiter voran.
»Ich wundere mich nur«, fand der Gambler, »daß die beiden Halunken, die ihm da vor dem Felskamin auflauerten, uns beide nicht bemerkt hatten.«
»Das wundert mich eigentlich nicht sehr. Denn das Hufgeräusch, das ein einzelnes Pferd in der engen, steil ansteigenden Schlucht verursacht, ist ebenso laut und ohrenbetäubend wie das von drei Tieren. Und sehen konnten sie uns in dem Dunkel des Felskamins ja noch nicht.«
Sie hatten ihre Kapuzen abgenommen und folgten dem voranreitenden Galgenmann. Als sie die schmale Brücke über der breiten Schlucht hinter sich hatten, ging es verhältnismäßig rasch vorwärts. Dann lagen die Silvermounts hinter ihnen, und in schneller Gangart ging es westwärts auf die Savanne hinaus.
Im Morgengrauen sahen sie Mesha vor sich liegen.
»Wollen wir durch die Stadt reiten?« forschte der Georgier.
Der Marshal hatte seinen Falbhengst angehalten. »Ich habe es gerade überlegt. Es ist zwar noch früh. Aber es wäre besser, wenn wir die Stadt umgehen könnten.«
Bludschun hatte bis jetzt geschwiegen. Aber nun erklärte er:
»Das ist sehr, sehr schwierig. Und außerdem auch gefährlich.«
»Wieso?«
»Weil es nicht ausgeschlossen ist, daß einige unserer Leut…« Er unterbrach sich rasch, um dann fortzufahren.
»Es ist nicht unmöglich, daß einige Mitglieder der Bande in der Stadt warten.«
»Warten, auf wen?«
»Auf mich.«
»Weshalb?«
Da preßte der Gezeichnete rauh durch die Kehle:
»Um sich von der Wirkung der Säure zu überzeugen!«
Da hatte der Marshal einen Gedanken. Er trat dicht an das Pferd des Banditen heran. »Hören Sie zu, Bludschun. Sie sollen eine Chance haben.«
»Eine Chance?« Die Augen des Gezeichneten weiteten sich unnatürlich.
»Ja, ich gebe Ihnen eine echte Chance, Bludschun. Sie werden jetzt hier eine halbe Stunde warten, dann reiten Sie in die Stadt.«
»Ich? Und…?«
»Wir beide reiten voran und werden von Südwesten her nach Mesha kommen. Sie bleiben hier auf dem Weg und reiten von Osten her in die Mainstreet ein.«
»Und, was haben Sie vor, Marshal?«
»Können Sie sich das nicht denken? Ich will versuchen, die beiden Halunken zu stellen, die Sie verunstaltet haben.«
»Vielleicht sind die es gar nicht. Vielleicht wartet der Boß selbst oder unser Sprecher oder irgendein anderer von den Chiefs.«
»Es sind also tatsächlich alles Chiefs gewesen?«
»Ja.«
»Und Sie?«
Der Bandit stieß eine heisere Lache aus und schob den Unterkiefer nach vorn. »Ich bin ein armes dreckiges Schwein, damit Sie es nur wissen. Ich stamme aus Mesha und wurde von einem Mann, den ich nicht kenne, hierhergeschickt, und dann befahl mir der Boß, auf dem Wachtposten zu bleiben. Vermutlich brauchten sie mich, weil sie in Erfahrung gebracht hatten, daß ich die Berge, vor allem den Roten See genau kenne.«
»Also, Bludschun«, gebot der Marshal. »Sie wissen Bescheid. Wir reiten jetzt voran, und Sie kommen in die Stadt. Und wenn Sie nicht kommen«, fuhr er leiser fort, »ich finde Sie, verlassen Sie sich darauf.«
»Marshal!« Der Mann stieg vom Pferd. Er war einen Kopf kleiner als der Missourier, und Wyatt suchte sein Gesicht in dem Grauen des Morgens zu durchforschen. »Ich habe schon gesprochen, Mister Earp. Und ich werde jetzt noch etwas sagen. Ich bin zu der Crew gekommen, weil sie etwas von mir wußten…«
Erpressung also! Wie bei so vielen Banditen war es diesem Mann ergangen.
»Eigentlich war es nicht einmal eine schlimme Sache. Sie werden vielleicht lachen. Es ging um eine Katze.«
»Um eine Katze?« entfuhr es den beiden Dodgern verblüfft.
»Ja, sie gehörte dem Mayor. Ich weiß nicht, ich mag Katzen nicht leiden. Vielleicht ist es dumm von mir.«
»Ganz sicher«, entgegnete der Marshal.
»Jedenfalls habe ich sie aus dem Wege geräumt, weil sie immer durch meinen Garten lief.«
»Das war nicht nur dumm von Ihnen, das war eine Schufterei. Aber natürlich kein Grund, Sie zu den Galgenmännern zu pressen.«
»Aber ich hatte Angst vor ihnen. Vor allem vor dem Mayor von Mesha. Und dann kam Sunriser, der…«
»Sunriser?«
»Ja, kennen Sie ihn?«
»Flüchtig«, entgegnete der Marshal rasch.
»Ja, er kam dazu, und er machte die Sache doppelt schlimm, denn er drohte mir mit einer Anzeige beim Bürgermeister. Er hatte mich nämlich dabei überrascht, als ich die Katze im Sack in den Fluß warf. Ich hatte zwei Steine in den Sack getan und…?Jedenfalls war er plötzlich neben mir und drohte mir mit der Anzeige. Und der Mayor ist ein mächtiger Mann und hätte mich sicher in der Stadt unmöglich gemacht.«
»Vielleicht wäre das besser gewesen, als zu den Galgenmännern überzulaufen.«
Bludschun nickte. »Ja, ganz sicher. Aber das weiß ich erst heute…«
Weil er also kein Katzenfreund war, hatte er sich von den Graugesichtern erpressen lassen. Es hörte sich unglaubhaft an – und war doch Tatsache!
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten sich von ihm getrennt und ritten auf die Stadt zu.
»Glauben Sie, daß er Wort hält?« fragte der Spieler unterwegs.
»Ja, ich glaube es. Er hat eigentlich keine Wahl, Doc. Wenn er uns verrät, ist er den Galgenmännern ausgeliefert. Und wie die ihn behandeln, hat er ja erlebt.«
Mesha.
Es lag im Grauen des Novembermorgens da, eingehüllt in Nebeldunst. Die Schwaden standen bis in die Mainstreet hinein und zogen wattige Schleier vor die Häuser.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten ihre Pferde in einer Seitengasse zurückgelassen und waren vorsichtig bis zur Mainstreet hinaufgegangen.
Oben an der Gassenmündung blieben sie stehen.
Und was von dieser Minute an geschah, spielte sich alles derart schnell ab, daß die Dynamik dieses Geschehens nur schwer in Worte zu fassen
ist.
Die beiden sahen sofort dort drüben auf dem Vorbau des schmalbrüstigen Saloons den Mörder Sunriser stehen.
Er wartete. An einen Vorbaupfeiler gelehnt, blickte er die Mainstreet hinauf nach Osten.
Er wartete also auf den entstellten Galgenmann.
Also hatte er Anweisung bekommen, auf ihn zu warten.
Und dann war auch schon der Hufschlag Bludschuns zu hören.
Er trabte die Straße hinunter, wurde dann langsamer, und plötzlich sah er den Mann vom Vorbau herunterkommen.
Bludschun hielt sein Pferd an.
Sunriser stand zehn Yard oder neun Yard vor ihm auf der Straßenmitte.
»He, Tiermörder! Weißt du nicht, daß du unerwünscht bist!« rief der wirkliche Mörder dem Mann zu, den er zu den Graugesichtern gepreßt hatte.
Bludschun antwortete nicht.
Da flog Sunrisers Hand zum Revolver.
Wyatt Earp und Doc Holliday hatten gleichzeitig gezogen und den Hahn gespannt.
Aber in diesem Augenblick krachte drüben vom halboffenen Tor der Schmiede her ein Schuß.
Sunriser sackte zusammen.
Drüben trat der bullige Schmied aus der Werkstatt. Er hatte das rauchende Gewehr noch in der Hand.
Verblüfft blickte er auf die beiden Dodger, die schräg gegenüber in der Gassenmündung standen. Inzwischen hatte er erfahren, daß der vermeintliche Galgenmann niemand anders als Wyatt Earp war.
»Marshal«, keuchte der Hüne und ließ das Gewehr fallen. »Es war Notwehr! Ich wollte Bludschun retten. Der Hund hätte ihn doch erschossen. Ich konnte doch nicht ahnen, daß Sie und der Doc…«
Wyatt Earp und Doc Holliday wandten sich um und gingen zu ihren Pferden.
Sie verließen die Stadt. Aber sie würden wiederkehren.
Jetzt jedoch gab es Wichtigeres zu tun. Es galt, den Kapuzenmännern oben in Casa Grande zuvorzukommen.