Читать книгу Wyatt Earp Paket 3 – Western - William Mark D. - Страница 30

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Casa Grande. Eine Stadt mit tausend Einwohnern. Die Mainstreet verlief gerade von Westen nach Osten. Genau in ihrer Mitte lag die Arizona-Bank. Ein zweigeschossiges Gebäude aus rotem Stein.

Seit siebenundzwanzig Jahren gehörte es James Cornfelder. Der Bankier war der Sohn deutscher Einwanderer, die vor einem Vierteljahrhundert im Kampf gegen die Apachen umgekommen waren.

Cornfelder, ein Mann in der Mitte der Fünfziger, hatte sich von der Pike auf hochgearbeitet. Er war ein rechtschaffener Mann, der Geld an die Rancher verlieh und sich damit ein Vermögen gemacht hatte. Die Arizona-Bank von Casa Grande besaß einen so guten Ruf wie kaum eine andere Bank in ganz Arizona. Wer Geld brauchte und Land besaß, der war bei Cornfelder immer richtig.

Und der Bankier war kein Halsabschneider. Es gab im Territorium gewiß mehr als zwei Dutzend Menschen, die ihre Schulden bei dem Bankhaus Cornfelder niemals hatten begleichen können. Ganz zu schweigen von denen, die mit ihrer Schuld ins Grab gesunken waren. Dennoch war James Cornfelder ein lebensfroher Mensch geblieben, der seine Großzügigkeit niemals verloren hatte. Vielleicht war es das, was seinem Namen einen so dauerhaften Klang verliehen hatte. Denn es kamen nicht nur – wie anfangs – die kleinen Rancher zu ihm, sondern mehr und mehr fanden sich auch die großen ein, um ihre Gelder bei ihm zu deponieren, und das brachte natürlich den großen Erfolg.

An dem Tag, an dem unsere Geschichte beginnt, war Cornfelder gerade vierundfünfzig Jahre alt geworden.

Seine Frau stand morgens, als er gefrühstückt hatte, vor ihm im Korridor, bürstete seinen Samtkragen und den Rücken seines schwarzen Gehrockes sauber und blickte ihn wohlgefällig an.

»Mach es dir heute nicht so schwer, James. Sieh zu, daß du mittags wieder nach Hause kommen kannst. Wir wollen ein wenig feiern. Die Kinder sind alle im Haus, und Emy und Joseph kommen auch.«

Der Mann nickte versonnen. Ja, er würde mittags zu Hause sein, denn er freute sich, daß seine Tochter Emy und sein Schwiegersohn Joseph, die beide unten in Tombstone einen großen Mietstall führten, zu Besuch kommen würden. Er setzte seinen steifen schmalen Californiahut auf, nickte seiner Frau zu, nahm seinen Stock und verließ das Haus, das am westlichen Stadtrand lag und von einem schmucken Vorgarten umgeben wurde.

Trotz des vorletzten Novembertages war der Himmel von einer strahlenden tiefen Bläue überzogen. Die Sonne schien warm von Osten her in die Mainstreet. Rotgoldene Strahlenbündel brachen sich an den Vorbaubalken und warfen lange, schwere Schatten.

Cornfelder ahnte nicht, als er in das gleißende Licht der Sonne sah, was für ein grausamer Tag damit anbrach.

Und dabei war alles so wie sonst.

Jimmy Garfield, der eine Lebensmittelhandlung hatte, stand in der Tür und grüßte ihn, wie jeden Morgen. Auch die alte Mrs. Baxter, die um diese Zeit schon ihre Brötchen verkauft hatte, nickte ihm freundlich zu. Ebenso der Blacksmith, der alte bucklige Sattler, der kleine Fleischer und die Frau, die im Post Office saubermachte.

Auch Jonny Marlove, der grauhaarige Sheriff, der um diese Zeit sein Office zu verlassen pflegte, um seinen ersten Stadtrundgang zu machen, nickte ihm freundlich zu, während er sein Bureau abschloß.

Hier hinterm Office überquerte Cornfelder die Straße und hielt auf das Bankhaus zu.

Der alte kahlköpfige Brinkmann öffnete ihm wie jeden Morgen die Tür, nahm Cornfelders Hut und seinen Stock.

»Guten Morgen, Sir.«

»Guten Morgen, Mr. Brinkman.«

Der kleine Billy Ovarim, der seit einem halben Jahr in der Bank arbeitete, machte einen Diener, und Cornfelder fuhr dem Stift durch den Wuschelkopf.

»Wie wär’s denn mal mit Kämmen, Billy?«

»Jawohl, Sir«, antwortete der Bursche und beeilte sich, daß er mit seinem Papierkorb in den Hof kam.

Cornfelder blickte zu den drei Schaltern hinüber und hob grüßend die Hand zu den drei Männern, die da arbeiteten. Dann ging er auf die Tür seines Privatbüros zu.

Was er jetzt wohl gesagt hätte, der Bankier James Cornfelder, wenn ihm irgend jemand erklärt hätte: die Galgenmänner sind da! Sie sitzen da hinter der Tür deines Bureaus und warten seit Stunden auf dich! Sie sind in der Nacht gekommen. Sie wollen dein Geld. Nicht nur deine Dollars, sondern alle Dollars, die sich in deinen Tresoren befinden. Sie sind fest entschlossen, ihren Vorsatz durchzuführen. Um jeden Preis. Auch um den Preis deines Lebens.

Die Tresore sind alle so stark und widerstandsfähig, daß man sie niemals sprengen könnte, ohne großen Lärm zu verursachen. Du allein trägst die Schlüssel zu diesen Tresoren. Deshalb warten sie auf dich.

Ganz sicher hätte der Bankier verwundert aufgeblickt und dann lächelnd den Kopf geschüttelt. Nein, so etwas gibt es nicht, hätte er dann wohl geantwortet. Nicht bei uns in Casa Grande. Und schon gar nicht am hellichten Tag in meinem Bankhaus.

Und doch war es so.

Drinnen im Office warteten drei Männer auf ihn. Sie trugen graue Gesichtstücher.

Der erste war der achtunddreißigjährige Joe Hacatt, ein ehemaliger Hilfssheriff aus Brandy Town, der wegen Untreue aus dem Amt verjagt worden war.

Neben ihm saß der einunddreißigjährige Ben Ferguson aus Oklahoma City, ein Gescheiterter, der aus einer guten Familie stammte und eine Zeitlang drüben in New York und Chicago Medizin studiert hatte.

Als er vor drei Jahren einmal wieder seine Heimatstadt Oklahoma City besuchte und im Hause seiner Eltern wohnte, wurde am Stadtrand ein Mädchen gefunden, das auf bestialische Weise ermordet worden war. Zunächst wäre niemand darauf gekommen, daß Benny Ferguson der Mörder gewesen sein könnte. Aber dann hatte Ferguson sich selbst verraten.

Es war an einem Apriltag gewesen, als der bekannte Texaner Luke Short nach Oklahoma City kam. Er traf in Hymans Saloon auf Ferguson, und der war etwas angetrunken. Als er den Texaner erkannte, floh er zum Ausgang, wandte sich da um und schoß. Nur seinem brillanten Reaktionsvermögen hatte es der hünenhafte Texaner zu verdanken, daß er unverwundet blieb: Er schoß dem Medizinstudenten den Revolver aus der Hand.

Ferguson hatte die Stadt sofort verlassen. Und damit hatte er das Mißtrauen des texanischen Abenteurers nur noch vergrößert. Luke Short, der ebenso wie Wyatt Earp und Doc Holliday oft erlebt hatte, daß bei seinem Auftauchen ein Bandit in Panikstimmung geriet, ging zum Sheriff und hörte dort von dem Mord an der siebzehnjährigen Jenny Lonegan.

Der Texaner ging ins Totenhaus und ließ sich die Leiche des Mädchens zeigen. Dabei machte er eine seltsame Entdeckung: Die Tote war nicht etwa willkürlich verstümmelt worden, sondern die Leichenteile verrieten die »kundige« Hand eines Chirurgen.

Luke Short wußte aus der Kneipe, daß der Mann, der auf ihn geschossen hatte, in Chicago Chirurgie studiert, aber sein Studium nicht beendet hatte. Sehr rasch hatte der Tex festgestellt, daß Ferguson Jenny Lonegan gekannt hatte und auch jetzt während seines Aufenthaltes in der Stadt abends mit ihr gesehen worden war. Auch am Abend vor der Tat.

Es bestand nun kein Zweifel mehr für den Texaner, daß Ferguson der Mörder der jungen Jenny Lonegan war.

Ferguson verschwand spurlos, und der Steckbrief, den der Distriktmarshal gegen ihn ausgab, lief heute noch in sechs Staaten.

Das war der zweite Mann, der in Cornfelders Bureau wartete.

Der dritte war mittelgroß, hager und höchstens dreiundzwanzig Jahre alt. Es war der einstige Cowboy Frederic Capite. Jeder, der Arizona kannte, mußte bei diesem Namen aufhorchen, denn Frederic Capite gehörte zu der berühmten Familie der Capites, die in Arizona gewaltige Ranches hatten und heute noch haben… Heute noch, im Jahre 1964, ist der Makel, den dieser Mann über die sonst so angesehene Familie gebracht hatte, nicht getilgt.

Fred Capite durfte für sich in Anspruch nehmen, gleich hinter den berühmt-berüchtigten großen Tombstoner Desperados zu rangieren. Noch heute ist in seiner Heimat Flaggstaff ein Lokal nach ihm benannt, und voller Grusel betrachten die Gäste die Erinnerungsstücke an diesen Mann: einen zerschossenen Hut, einen Waffengurt, zwei schwere Smith & Wessons Revolver, ein altes, texanisch abgestepptes Stiefelpaar und einen Sattel. Man weiß sonst nicht genau, ob alle Souvenirs wirklich von den Menschen stammen sollten, aber hier weiß man es ganz bestimmt, denn der Wirt ist sein Neffe Joe, der die »Hinterlassenschaft« von Fred Capite aufbewahrt hat und sogar stolz darauf ist. So etwas ist eigentlich nur in Amerika möglich, und mancher, der vor diesen Dingen steht, wird sich seine eigenen Gedanken darüber machen…

Joe Hacatt, Ben Ferguson und Frederic Capite standen am 29. November 1883 im Privatkontor des Bankiers James Cornfelder in Casa Grande. Drei Verbrecher, drei Männer, die sich den »Graugesichtern« angeschlossen hatten. Desperados, die zu einem großen Schlag ausholen wollten und deshalb zu allem tödlich entschlossen waren.

Sie hatten ihren Schlag gründlich vorbereitet, die Galgenmänner. Und Wyatt Earp, dem es zusammen mit Doc Holliday gelungen war, der Versammlung der gefährlichen Verbrecherorganisation am Roten See unerkannt beizuwohnen, hatte keineswegs alles erfahren, was geplant war. Der Schlag im Casa Grande, dem ein noch größerer in unmittelbarer Nähe folgen sollte, war längst bis aufs kleinste vorbereitet. Und sowohl in Casa Grande als auch bei dem Coup, der am darauffolgenden Tag erfolgen sollte, waren nur Anführer der Graugesichter beteiligt. Die drei Männer im Bureau des Bankiers waren keineswegs bedeutungslose kleine Tramps, die nur irgendeine Funktion bei einem großen Coup zu erfüllen hatten.

Und sie waren nicht allein in Casa Grande. Schräg gegenüber im Digger Saloon saßen zwei Männer am Fenster und blickten wie in Gedanken auf die Straße. Es waren Harry Averhof und Jubal Cadd. Sie beobachteten die Straße und hatten dafür zu sorgen, daß draußen alles in Ordnung war.

Links neben dem Bankhaus in der schlauchengen Schenke. »Zur ewigen Lampe« hockte vorn an einem einzelnen Tisch der texanische Revolverschwinger Robert Gibson. Es war ein langer, schlaksiger Mensch im schwarzen Habit des Spielers, mit gipsigem, kalkigem Gesicht und stechenden Augen. Auch er war ein Führer der Galgenmänner. Aber er trug keine Maske, ebenso wenig wie Cadd und Averhof.

Genau gegenüber dem Sheriffs Office lag Jimmy Cromwells Hardware Shop. Vor dem Vorbau stand ein kleiner zweispiegeliger Planwagen, dessen Pferde an einer Krippe fraßen. Unter der Plane hockten der neunundzwanzigjährige Bandit Egon Jackfink. Er war vor Jahren aus dem fernen Deutschland ausgewandert, wo er sich mehrerer Verbrechen schuldig gemacht und eine Frau und vier Kinder zurückgelassen hatte. Auch er war ein Anführer der Galgenmänner aus dem Distrikt von Yuma.

Sieben Galgenmänner sicherten den großen Schlag von Casa Grande in unmittelbarer Nähe ab.

An beiden Eingängen der Stadt, also dort, wo im Osten und im Westen die Mainstreet in den Sand der Savanne hinausführte, warteten noch je zwei Männer. Im Osten standen die beiden O’Keefes, und am Westausgang der Stadt warteten der lange Tony Marten und der kleine krummbeinige Willie Brand.

Es waren also insgesamt elf Männer, die den großen Coup von Casa Grande durchzuführen hatten.

Die Aktion der Galgenmänner wurde geleitet von dem texanischen Schießer Rob Gibson, dem Mann, der mit steinernem Gesicht an dem kleinen Ecktisch am Fenster der »Ewigen Lampe« saß. Er starrte auf seine knotigen Hände. Viele tausend Dollars hatte er mit diesen Händen gemacht. Teils mit dem Colt, teils mit gezinkten Karten.

Gibson war ein Schießer, der in mehreren Distrikten von Texas und New Mexico gefürchtet war. Er war der erste, der hier nach Casa Grande gekommen war, um den Coup vorzubereiten. Es mußte alles klappen.

Und wenn Cornfelder nicht kommen sollte, dann wäre es seine Aufgabe gewesen, ihn zu holen. Jedenfalls die Schlüssel zu den Stahltresoren, in denen das Geld aufbewahrt wurde. Aber James Cornfelder war ja gekommen. Gibson, der ihn vom Ansehen kannte, hatte ihn das Bankhaus betreten sehen.

Auch Cadd und Averhof hatten ihn gesehen; ebenso Egon Jackfink, von seinem Planwagen aus; und Tony Marten und Willie Brand von ihren Posten vom Stadteingang aus.

Der Coup rollte.

Die Tür des Bureaus war zum Schalterraum hin verschlossen, so daß die drei Verbrecher keine Gefahr liefen, vorzeitig entdeckt zu werden.

Sie waren in der letzten Nachtstunde durch den Nebenraum eingedrungen und hielten sich seitdem hier auf.

Hacatt saß auf Cornfelders Platz hinterm Schreibtisch in dem großen Ledersessel und hatte seine behaarten Fäuste auf der Schreibtischplatte liegen. Ferguson stand links neben der Tür, und Capite hatte sich auf der rechten Seite postiert. Zum Greifen nahe hätten die beiden Banditen gestanden – wenn Cornfelder oder der kahlköpfige Brinkman durch die Wände hätten fassen können.

Cornfelder griff mit der Linken in die untere Westentasche, zog den Schlüssel zu seinem Bureau hervor und schob ihn ins Schloß. Langsam und ohne Hast öffnete er die Tür auf – und sah sich einem Mann mit einem grauen Gesichtstuch gegenüber, der ihm einen Revolver entgegenhielt.

»Vorwärts, kommen Sie rein, und schließen Sie die Tür hinter sich.«

Cornfelder stand zunächst wie vom Blitz gerührt da. Dann tastete seine Linke nach dem Herzen.

»Nehmen Sie die Hand runter und kommen Sie herein«, forderte ihn Capite flüsternd auf.

Cornfelder nickte. Dann machte er zwei Schritte vorwärts, und die Tür wurde hinter ihm geschlossen.

Das hatte Ferguson besorgt.

Brinkman war schon mehrere Schritte von der Tür entfernt, auf dem Weg zu der Klappe, die hinter die Schalterwand führte.

Aber vorn durch die Tür des Schalterraums war eben der kleine Billy Ovarim gekommen. Der dreizehnjährige Bursche war der Sohn einer weißen Frau, die als Wäscherin am Ostrand der Stadt in einer winzigen Hütte ihr Leben fristete; man erzählte sich in der Stadt, daß Billys Vater ein Indianer gewesen sei, ein Apache. Vielleicht war das nur Gerede, aber das dunkle Gesicht, die wohlgeformten schwarzen Kohlenaugen und vor allem das blauschwarze, kräftige Haar des Jungen deuteten darauf hin. Auch die große Wachsamkeit und die Ausdauer des Kleinen schienen diese Vermutung zu bestätigen.

Bill hatte beobachtet, wie der Chef in sein Zimmer getreten war, dabei aber nicht wie sonst mit der Linken nach der Tür gegriffen hatte, um sie zuzuziehen; und dennoch war die Tür geschlossen worden.

Bill schüttelte den Kopf. Den leeren Papierkorb noch in der Hand, ging er auf die Klappe der Schalter zu und kroch darunter hinweg. Das trug ihm von dem schnauzbärtigen und mürrischen Kassiere Hastings den Tadel ein:

»Du sollst die Klappe hochheben und wie jeder gesittete Mensch hier hereinkommen.«

Hastings konnte es nicht leiden, wenn einer unter der Klappe hindurchkroch. »Vor sechs Jahren kroch Phin Clanton hier durch die Klappe…« Nun wollte der Kassierer wieder die alte Story erzählen vom Banküberfall, bei dem angeblich Phineas Clanton den Angriff geführt hatte, der hier unter dem Schalterbrett hindurchgekrochen war.

Aber von anderen Bankangestellten, die ebenfalls damals schon hier arbeiteten, hatte Bill erfahren, daß Phineas Clanton bei dem Überfall überhaupt nicht dabeigewesen war, ja, daß es sehr zweifelhaft war, ob der Überfall überhaupt von den Clantons ausgeführt worden war. Aber damals mußte ja alles, was geschah, auf das Konto der Clantons kommen. Es war am praktischsten. Vor allem für die Sheriffs, die sich dann leicht hinter der Behauptung verschanzen konnten: »Was sollen wir machen; es waren die Clantons! Und gegen die kommen wir nicht auf!«

Hastings Story war uralt und längst abgeleiert, sie interessierte den kleinen Billy Ovarim überhaupt nicht.

»Ich muß Ihnen etwas sagen, Mr. Hastings«, unterbrach er den Kassierer.

»Du setzt dich hinten in die Ecke und spitzt Bleistifte an, wie ich es dir befohlen habe.«

»Ich habe die Bleistifte schon angespitzt, Mr. Hastings. Und außerdem muß ich Ihnen etwas sagen. Als der Boß eben in sein Zimmer ging…«

»Ich habe dir gesagt, du sollst deinen Rand halten. Vorwärts, verschwinde!«

Der Junge wandte sich um und ging knurrend weiter.

Als er an dem hinten offenen Schalter des zweiten Kassierers vorbei kam, flüsterte er: »Mr. Horbace, ich habe etwas beobachtet.«

Der junge Kassierer wandte sich um. »Na, was hast du denn beobachtet?«

»Also, es ist so gewesen: als der Chef in sein Zimmer ging…«

Vorn trat ein Kunde an den Schalter von Horbace. Der mußte sich nun der Arbeit zuwenden.

Bill drehte sich um.

Den dritten Kassierer brauchte er gar nicht anzusprechen. Der alte Watkins hatte sowieso kein Herz und niemals ein Ohr für den Jungen gehabt.

Hinten links an einem Tisch saß der sechsundzwanzigjährige Clerk Matisen. Aber auch der war, seit er vor einem Jahr geheiratet hatte, unansprechbar geworden. Komisch, dachte der kleine Bill, wie eigenartig die Menschen doch werden, wenn sie verheiratet sind – und wenn sie alt werden.

»Ich will niemals heiraten«, flüsterte er, »und auch niemals alt werden.« Nach diesem unerfüllbaren Gelübde ging er am Tisch des Bureauvorstehers Brinkman vorbei.

Der Alte hatte den Klemmer tief auf der Nasenspitze sitzen und blickte über die dickrandigen Gläser auf den Jungen.

»Na, Billy Boy, nichts zu tun?«

»Doch, doch«, meinte der Stift rasch. »Ich muß noch Bleistifte anspitzen.«

Der Bureauvorsteher zwinkerte mit dem linken Auge.

»Aha, ich habe eben auf deinem Platz nachgesehen. Du hast ja schon einen ganzen Berg gespitzt. Das ist ja ein Vorrat, der bis über Weihnachten ins nächste Jahr hinein reicht.«

Da wurde der Kleine dunkelrot und faßte sich ein Herz.

»Mr. Brinkman, ich muß Ihnen etwas erzählen.«

»Aha, dann schieß los, aber mach schnell, ich habe viel Arbeit, Bursche.«

»Nein, nein, es geht doch noch weiter. Also, als der Chef die Tür aufgeschlossen hatte – ich muß natürlich noch sagen, daß er erst den Schlüssel aus seiner Tasche nahm und ihn dann ins Schloß steckte, um…«

Da griff Brinkman zu und packte mit dem Daumen und dem Zeigefinger der Linken das Ohr des Jungen und zupfte es unter dem blauschwarzen strähnigen Haar hervor.

»Hör zu, Bengel, wenn du mich hier auf den Arm nehmen willst, dann setzt es was!«

»Aber ich will sie doch gar nicht auf den Arm nehmen«, empörte sich Bill. »Es ist doch tatsächlich so, als der Chef ins Zimmer ging, hatte er die Tür nicht selbst zugemacht!« Die letzten Worte hatte er schnell ausgestoßen.

Aber Mr. Brinkman schien sich nicht dafür zu interessieren. Er hatte etwas dagegen, von irgend jemandem auf den Arm genommen zu werden. Und jetzt fühlte er sich auf den Arm genommen.

»Los, an die Arbeit.«

»Ja, ich gehe ja schon!« Und leiser fügte Bill hinzu: »Ich werde euch Bleistifte bis Ostern spitzen!«

Dann ging er an den Schrank und nahm den Karton mit den Bleistiften heraus.

Als er am Tisch saß und das Messer an einen schönen roten Bleistift setzte, murmelte er: »Und doch ist es komisch – er hat die Tür nicht selbst zugemacht.« Er hob den Kopf und suchte einen Blick durch den engen Schalter des alten Watkins hinüber in den Besucherraum zu werfen. Aber die dicken Gitterstäbe standen so eng beieinander, daß er nur wenig von dem Raum sehen konnte.

»Ich wette, da steckt irgend etwas dahinter«, murmelte der Kleine. »Vielleicht sollte ich mal ums Haus herumlaufen und nachsehen.«

Wenn man um das Haus herum ging, konnte man hinten von dem Baum, auf dem Bill früher, als sie hier noch nicht so streng mit ihm waren, oft herumgeklettert war, einen Blick in das Zimmer des Chefs werfen. Ob er das riskieren konnte? Aber was würde der Chef sagen, wenn er ihn plötzlich da auf dem Baum sah?

Bill verließ seinen Platz und mußte an Brinkman und Matisen vorbeigehen. Die beiden beachteten ihn nicht.

Wohl aber der Kassierer Hastings, der auch hinten Augen zu haben schien. Er wandte sich um und knurrte, als der Lehrling an seinem Schalter vorbeiging:

»Wo willst du denn schon wieder hin? Gehst du wohl auf deinen Platz! Ich werde Mr. Brinkman Bescheid sagen…«

»Aber Mr. Hastings, ich muß mal hinaus.«

»Hinaus? Du bist ja eben draußen gewesen.«

»Aber ich muß…, ich muß…«

»Dazu hattest du vorhin Zeit. Los, an die Arbeit.«

»Nein, ich muß hinaus!« rief Bill, verschwand vorn unter der Klappe und war gleich darauf im Schalterraum und an der Tür.

Mr. Hastings konnte ihm nichts mehr nachrufen, da in diesem Augenblick zwei Männer den Schalterraum betraten.

Bill war kaum im Hof, als er schon um das Haus herumlief und den Nußbaum fixierte.

Ich käme schnell hinauf, dachte er. Aber ob ich es wagen kann?

Er war eben erst dreizehn geworden und befand sich noch in dem Alter, in dem man nicht allzu lange überlegt. Mit einem raschen Sprung hatte er einen vorstehenden Ast erreicht, machte einen Klimmzug, schwang sich hinauf und kletterte vorsichtig weiter.

Scheußlich, daß der Baum schon fast keine Blätter mehr hatte! Da konnte man ihn vom Zimmer aus sehen.

Er hatte den nächsten Ast erklommen, spannte Hände und Füße wie ein Affe um den Stamm und zog sich weiter hoch. Jetzt konnte er über die nur halbhohen Gardinen einen Blick in das Zimmer Cornfelders werfen.

Der kleine William C. Ovarim glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Ein halblauter Ausruf der Überraschung entfuhr ihm. Dann glitt er lautlos und blitzschnell vom Baum herunter, stand einen Augenblick wie betäubt da und lief dann unter einer Wagenklappe hindurch auf die Straße hinaus.

Zitternd stand er da, preßte die rechte Faust zwischen die Zähne und überlegte: Ich muß zum Sheriff! Ja, zum Sheriff!

Er rannte über die Straße auf das Office zu, blieb dann aber stehen und dachte wieder nach. Nein, ich kann nicht zu Mr. Marlove gehen. Er lacht mich nur aus.

Wie beim letztenmal, als ich ihm sagte, daß hinten in der Kornmühle zwei Männer Mehl aufgeladen hätten. Männer, die nicht zur Mühe gehörten! Bill hatte es genau gesehen, aber der Sheriff hatte ihm nicht geglaubt.

Dann war er eines Nachmittags noch einmal gekommen, weil er beobachtet hatte, daß ein glattrasierter Mann im Bankhaus gewesen war, der tags darauf mit einem starken Schnurrbart wieder in der Bank erschien war. Bill war der Ansicht, daß man einen Schnurrbart tragen und am nächsten Tag glattrasiert erscheinen könnte, aber umgekehrt, nein, das hielt er für ausgeschlossen. Wieder hatte der Sheriff nichts darauf gegeben.

Was soll ich denn tun? fragte sich Bill.

In diesem Augenblick machte er die zweite seltsame Feststellung an diesem Morgen. Er hatte die Straßenmitte verlassen und stand jetzt etwas seitlich hinter einem kleinen zweispriegeligen Planwagen, dessen hintere Plane vom Morgenwind etwas aufgeweht worden war.

Bill sah einen Mann an der inneren Bordwand des Wagens kauern und durch ein Loch in der Plane hinausblicken. Merkwürdig daran war, daß der Mann nicht etwa nur einen Augenblick hinaussah, sondern unverwandt. Er beobachtete die gegenüberliegende Straßenseite.

Auch Bill blickte jetzt auf die gegenüberliegende Straßenseite.

Drüben lag das Sheriffs Office!

Im Hirn des kleinen Mestizen klingelte es Alarm. Der Mann steht Schmiere!

Averhof und Cadd hockten an ihrem Fenstertisch und beobachteten nach wie vor die Straße.

Averhof blickte die Mainstreet nach Osten hinauf, und Cadd beobachtete ihre Westseite.

Da sah Cadd den Jungen; er hatte bemerkt, daß der Boy aus der Wagenklappe des Bankhofes kam und hastig die Straße überqueren wollte, dann stehenblieb und endlich hinter den Wagen trat.

Die Augen des Desperados wurden schmal. »He, was soll das denn?«

Averhof blickte den Kumpanen an. »Was gibt’s?«

»Der Bursche da drüben.«

Averhof wandte den Kopf. »Was ist mit ihm?«

»Er kam aus dem Bankhof.«

»Aus dem Bankhof? Das träumst du, die Tür ist doch zu.«

»Ja. Jetzt ist sie zu. Der Kleine hat sie zugeworfen.«

»Was geht uns das an? Was haben wir mit dem Kind zu tun?«

»Mit dem Kind? Sieh dir an, wo der Bursche steht.«

»Neben dem Wagen.«

»Und? Fällt dir nichts dabei auf? Es ist doch unser Wagen.«

Da stieß Averhof, der etwas schwer im Denken war, einen leisen Pfiff durch eine Zahnlücke.

»He, das gefällt mir allerdings auch nicht.«

»Ich werde hinausgehen und mir den Burschen kaufen.«

»Nein, das ist zu auffällig!« Immerhin war Averhof klug genug zu dieser Einsicht.

»Aber wenn der Bursche nun etwas gemerkt hat?«

»Warte, ich gehe hinüber zu Gibson«, entschied sich Averhof. Er zog sich sein Halstuch enger zurecht und stand auf.

Der Salooner, der schläfrig auf der Theke gelehnt und in eine vergilbte Gazette gestarrt hatte, hob träge den Kopf.

»Sie gehen schon?«

Die Teilnahme des Wirtes galt nur der noch nicht gezahlten Zeche.

»Ich komme gleich zurück.«

»All right.«

Gibson saß immer noch an einem Fensterplatz und blickte scheinbar auf seine Hände, aber das schien eben nur so; unter halbgesenkten Lidern beobachtete der Verbrecher die Straße.

Rob Gibson war ein besonders gefährlicher Bursche. Nicht umsonst hatte ihn der Große Boß zum Chief bei diesem Coup bestimmt.

Averhof betrat den Schankraum und wandte sich sofort zur Seite.

Gibson blickte nicht auf.

»Was willst du?« stieß er lautlos durch die kaum geöffneten Lippen.

Averhoff sah sich unbehaglich um. Er hatte nicht gern mit diesem Texaner zu tun. Wie überhaupt niemand gern mit dem Kalkgesicht, wie Gibson genannt wurde, zu schaffen hatte. Eine unglaubliche Kälte strahlte dieser kontaktarme Mann aus.

Sie waren alle Unterführer, die elf Desperados, die hier den Coup durchführten. Aber ein wirklicher Führer war nur Gibson. Der war auch für den morgen geplanten Coup vom Boß bestimmt worden. Und die großen Führer kannte man nicht vom Ansehen. Hier aber kannte man sich; die kleinen Unterführer, die für diesen Schlag ausgesucht worden waren, konnten sich ruhig kennen, da sie im Grunde nur unbedeutende Figuren waren – bis auf Gibson und Capite. Der Stern, oder besser gesagt, der Unstern des großen Desperados Frederic Capite war an diesem Tag allerdings noch nicht aufgegangen. So gehörte auch er noch nicht zu den großen Bossen.

Gibson aber ärgerte sich, daß er diesen Job aufgezwungen bekommen hatte. Bis heute hatte niemand gewußt, daß er zu den Graugesichtern gehörte. Nun aber kannten zehn Männer sein Gesicht. Gibson, der zu der ganz internen Crew der Großen Graugesichter gehörte, war über die Erniedrigung, die ihm der Boß da beigebracht hatte, zutiefst gekränkt und schwor insgeheim Rache.

Der Schießer hatte in Erfahrung gebracht, daß ein ähnlicher Fall bereits einmal vorgekommen war, und dann hatte der Boß den Anführer dieser Gruppe völlig fallenlassen, der Mann, ein gewisser Larrington, war eines Tages tot vor seiner Stadt aufgefunden worden. Also schien der Big Boß mit ihm ein ähnliches Spiel vorzuhaben. Denn daß der ihn nur wegen seiner bedeutenden Fähigkeiten und seiner großen Gewissenheit für diesen Job ausgewählt hatte, konnte sich Gibson nicht denken. Wie dem auch sei, die Tatsache, daß der Chief ihn hier ohne Maske hinbefohlen hatte, war für ihn ein klarer Beweis dafür, daß er oben schon abgeschrieben war.

Aber sie sollten sich in ihm geirrt haben. Rob Gibson war kein gewöhnlicher Bursche. Er würde es ihnen zeigen. Er hatte mehrere Richter, Sheriffs und sogar einen Staatenreiter jahrelang an der Nase herumgeführt. Er würde auch mit dem Big Boß der Galgenmänner fertig werden. Wenn er auch im Augenblick noch nicht wußte, wer der Boß war.

Allerdings hatte Gibson es nicht gewagt, sich dem Befehl zu widersetzen. Das hatten zwei Männer aus dem Großen Ring vom Roten See einmal gewagt – sie waren beide keine vierundzwanzig Stunden älter geworden. Ihre Leichen fand man tags darauf in ihren Höfen neben hohen Galgen liegen.

So gerissen der kalkgesichtige Revolverschwinger Robert Gibson auch war – er war nicht der Mann, es mit dem großen Boß der Kapuzenmänner aufzunehmen!

Über das Auftauchen Averhofs war er mehr als ungehalten. »Los, was willst du, Mensch«, zischte er ärgerlich.

»Ich muß Ihnen etwas melden, Boß.«

»Was denn?«

»Vorhin kam ein Junge aus dem Hof der Bank…«

Als das Wort Bank gefallen war, zuckte der Coltman zusammen.

»Bist du wahnsinnig geworden?« Er hätte diesen Idioten am liebsten geprügelt. »Verschwinde, ich komme hinaus.«

»Aber Sie müssen doch hierbleiben.«

»Du sollst das Maul halten.«

Averhof nickte und ging hinaus.

Zwei Minuten später folgte ihm der Schießer.

»Also los, was ist passiert?«

Averhof berichtete.

Da trat Gibson an das Vorbaugeländer heran, beugte sich darüber und blickte die Straße hinunter.

Dann wandte er sich wieder um. »Ich sehe nichts. Ich glaube, du siehst Gespenster.«

Averhof beugte sich hastig übers Geländer – und sah, daß der Junge nicht mehr hinter dem Wagen stand.

»Damned, weshalb haben Sie auch so lange gezögert, Boß…«

Erschrocken brach der Bandit ab.

Gibson schickte ihm einen verächtlichen Blick zu.

»Verschwinde, geh an deinen Posten hinüber. Du hast Gespenster gesehen!«

Mit verstörtem Blick verließ Harry Averhof den Vorbau und stampfte über die Straße. Dabei schaufelten seine gewaltigen Stiefel den Sand und ließen jedesmal eine kleine Staubwolke aufstieben.

Gibson war an seinen Platz zurückgekehrt.

Cornfelder stand einen halben Schritt vor der Tür, die Ferguson hinter ihm ins Schloß geschoben hatte.

Das Herz schlug ihm bis in die Kehle hinauf. Das Herz, das ihm seit einiger Zeit zu schaffen machte, schien plötzlich seine zu eng gewordene Kammer sprengen zu wollen.

Cornfelder hatte mit einem Blick die ganze Situation erfaßt. Er sah drüben den Banditen mit dem grauen Gesichtstuch hinter seinem Schreibtisch sitzen und mit dem Revolver herumhantieren, spürte den Mann hinter sich, der die Tür zugeschoben hatte, und rechts neben ihm stand noch der Bandit, der ihn direkt mit dem Revolver bedrohte.

Plötzlich setzte das Herz des Bankiers aus – und schien seinen Schlag nicht mehr aufnehmen zu wollen. Langsam begann sich das Zimmer vor Cornfelders Augen zu drehen. Er machte einen unsicheren Schritt vorwärts und schob dann die Hände nach vorn.

»He, was soll der Trick?« krächzte Capite hinter ihm her.

Cornfelder wankte auf den mit grünem Leder bezogenen Sessel zu, der vor seinem Schreibtisch für Besucher aufgestellt war. Als er auf die Sitzfläche des Möbels niedersinken wollte, war Ferguson hinter ihm und schob ihm den Revolver in die Nierengegend.

»Hier wird sich nicht gesetzt! Sie haben zuzuhören!«

Die gespenstisch rauhe Stimme des einstigen Chirurgen drang dem Bedrohten bis ins Mark.

Er griff nach der Sessellehne und klammerte seine gepflegten Hände darum. Ganz weiß traten die Fingerknöchel unter der Haut hervor.

In Cornfelders Gesicht war eine große Änderung vor sich gegangen. Die bis dahin etwas bläulich-rote Haut hatte die Farbe der gekalkten Wand hinter ihm angenommen.

Hart und scharf stach die kurze Nase hervor. Die Falten um den Mund und um die Augen schienen sich dreifach vertieft und verstärkt zu haben. In tiefen dunkelgrauen Höhlen lagen die Augen.

Cornfelder rang verzweifelt nach Atem. Er hing jetzt mit dem Oberkörper hinten über die Stuhllehne und stöhnte röchelnd.

Die Desperados warfen einander fragende Blicke zu.

Es war Capite, der vor den Bankier trat.

»Los, setzen Sie sich.«

Aber Cornfelder war nicht mehr in der Lage, dieser Aufforderung nachzukommen. Er rutschte langsam in sich zusammen.

Blitzschnell fing der junge Bandit ihn auf und drückte ihn in den Stuhl.

Er hatte es nicht eben sanft getan, sondern rauh und rücksichtslos hatte er den weißhaarigen Mann in den Sessel gestoßen. Aber es war eben diese ruckhafte Behandlung, die Cornfelder das Herz wieder schlagen ließ.

Er mußte sich auf beide Ellbogen aufstützen, um aufrecht sitzenbleiben zu können.

»Was hat er?« krächzte Hacatt.

Ferguson knurrte: »Was soll er schon haben? Der Schreck ist ihm in die Glieder gefahren. Und wahrscheinlich hat er jetzt die Hosen voll.«

Capite kam zur Sache. »Geben Sie die Schlüssel heraus.«

Und als Cornfelder sich immer noch nicht rührte, stieß Capite die Rechte mit dem Revolver vor und setzte dem Bankier die Mündung hart auf die Herzspitze.

»Hören Sie schlecht?«

Und als Cornfelder sich noch nicht rührte, stieß der Galgenmann die Waffe noch einmal hart auf die Brust des Bedrohten.

Dieser Ruck brachte das wieder erlahmte Herz des Unglücklichen neuerlich zum Schlagen.

»Was wollen Sie?« keuchte Cornfelder tonlos.

»Die Schlüssel.«

»Welche… Schlüssel?« stammelte der Bankier.

»Natürlich nicht die vom Boudoir Ihrer Geliebten!«

Cornfelder keuchte, hob den Kopf an und starrte in die kalten Augen des Verbrechers.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen. Weshalb sitzen Sie hier?« Seine Worte kamen abgehackt und wurden immer wieder von kurzen Atemzügen unterbrochen.

Capite blickte ihn gnadenlos an. Er sah nicht, daß der Mann einen schweren Anfall erlitten hatte.

»Los!« fuhr er Cornfelder an. »Rücken Sie schon die Schlüssel raus, Mensch!«

Er stieß den weit im Sessel vorgelehnten Mann derb zurück.

»Den Schlüssel…«, ächzte Cornfelder, »den Schlüssel?«

»Den Schlüssel vom Tresor wollen wir haben!« zischte ihn der Verbrecher an.

Da weiteten sich die Augen des Bankiers vor Entsetzen.

»Zum Tresor?« stotterte er fassungslos. »Aber ich habe ihn nicht bei mir…«

Da flog die linke knochige Hand des Verbrechers hart in das Gesicht des Bankiers.

Auf der getroffenen Gesichtshälfte verschwand die bleierne Blässe und wich einem dunklen, krankhaften Rot. Der Kopf des Bankiers sank auf die Brust herunter.

»Ich habe den Schlüssel nicht bei mir«, stöhnte er. »Er ist daheim…«

Die drei Banditen waren wie vor den Kopf geschlagen. Hacatt war aufgesprungen und kam um den Tisch herum. Fassungslos standen sie da und starrten den Mann im Sessel an.

War das ein Trick von ihm?

Oder sprach er die Wahrheit? In diesem Fall sah es übel aus, denn sie hatten fest damit gerechnet, daß er den Schlüssel bei sich haben müßte.

»Los, wir suchen ihn durch«, knurrte Hacatt.

Zusammen mit Ferguson tastete er den Bankier ab.

Sie fanden zwar zwei Schlüssel, aber die waren viel zu groß für die kleinen Schlösser der Tresore.

Hacatt starrte auf die drei großen Geldschränke, die behäbig im Hintergrund des Raumes an der Wand standen. Wie sollten sie sie sprengen? Das war so gut wie ausgeschlossen!

Daß der Bankier die Schlüssel nicht bei sich haben könnte, diese Möglichkeit hatte der Boß, der immer alles einkalkulierte, offenbar außer acht gelassen.

Noch einmal klatschte Capites Linke in das Gesicht Cornfelders.

»Rede, Mensch, sonst ist es aus!«

Da erhob sich der Bankier und machte zwei Schritte auf die Tür zu.

Die drei Banditen standen jetzt hinter ihm und starrten ihm entgeistert nach.

Das war der Augenblick, in dem der kleine William Ovarim draußen von seinem Platz auf dem Nußbaum über die Gardinen in das Zimmer blicken konnte.

Er hatte die drei Männer gesehen, die alle Revolver in den Händen und graue Tücher um die Gesichter hatten. Und er hatte auch den gebeugten Rücken seines Chefs gesehen.

»Sie bleiben hier!« befahl Capite.

Cornfelder blieb stehen. Vornüber gebeugt suchte er Halt an der Schreibtischkante.

Es war eine volle Minute still in dem großen, durch seine grünen, schweren Tapeten dunklen Raum.

Es war wieder der junge Frederic Capite, der die Initiative ergriff, indem er den Bankier am Arm packte und ihm wieder seinen Revolver auf die Brust setzte.

»Hör zu, Geldsack. Du machst mich nicht dumm. Wo sind die Schlüssel?«

»Ich habe es Ihnen gesagt«, keuchte der Bedrängte. »Die Schlüssel sind daheim in meinem Haus. Sie können sie ja da holen.« Seine Stimme war immer lauter geworden.

Da preßte Capite ihm seine Hand auf den Mund.

»Du sollst nicht so laut reden!« fauchte er den Bankier von der Seite an.

Wieder tauschten die drei Verbrecher einen kurzen Blick miteinander. aber keiner von ihnen wußte Rat.

Wenn sie jetzt hinausgingen – ohne das Geld, dann hatten sie sich verraten. Denn denen im Schalterraum würde es bestimmt auffallen, wenn Leute aus dem Zimmer Cornfelders kamen, die sie nicht hatten hineingehen sehen. Und durch das Fenster konnten sie auch nicht hinaussteigen, da sich im Hof Leute aufhalten konnten.

Ihr Plan sah so aus, daß sie Cornfelders Zimmer mit dem Geld verlassen würden. Dann sollten alle Leute, die sich im Schalterraum befanden, gefesselt und geknebelt werden. Wer sich zur Wehr setzte, der sollte nach dem Befehl des Big Boß niedergeschossen werden.

All das war jetzt durcheinandergekommen! Verzweifelt suchten die drei Verbrecher nach einem Ausweg.

Da glaubte Ferguson den rettenden Einfall zu haben. »Los, er wird nach Hause gehen. Und wir warten hier auf ihn. Und damit du im Bilde bist, Geldsack: Draußen warten unsere Leute. Die sind in der ganzen Stadt. Sie werden dich beobachten, wenn du nach Hause gehst und zurückkommst. Und wehe, wenn du nicht zurückkommst!«

Capite schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht.«

»Es muß gehen«, beharrte der einstige Chirurg.

Aber Hacatt stimmte Capite zu. »Nein, Fred hat recht. Das geht nicht.«

»Und wie wollt ihr dann an das Geld kommen?« krächzte Ferguson.

In diesem Augenblick wurde draußen an die Tür geklopft.

Wie erstarrt standen die Banditen da.

Cornfelder hob den Kopf und blickte in Capites Augen. Unwillkürlich spürte er, daß er hier dem gefährlichsten der drei Männer gegenüber stand, also dem, an den er sich zu wenden hatte.

»Ich muß zur Tür gehen!«

»Ja, gehen Sie zur Tür, und öffnen Sie sie einen Spalt. Aber wenn Sie ein falsches Wort sagen, haben Sie drei Kugeln im Rücken.«

Cornfelder richtete sich mühsam auf, ließ die Tischkante los und ging mit schleppendem Schritt über den schweren grünen Teppich zur Tür, um sie einen Spalt zu öffnen.

Brinkman stand draußen. Er wollte sofort hereinkommen, aber als er das abweisende, bleiche Gesicht seines Chefs sah, blieb er stehen. »Es handelt sich um Jeffersons Konto, Mr. Cornfelder. Sie wissen doch, Mike Jefferson. Er will fünftausend Dollar abheben. Aber er hat nur viertausenddreihundert auf seinem Konto stehen. Was soll ich tun?«

Cornfelder senkte den Kopf und warf einen Blick zur Seite in Capites Gesicht.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein«, gab Cornfelder tonlos zurück. »Er bekommt das Geld nicht. Sagen Sie ihm, er solle morgen wiederkommen.«

»Aber sein Geld muß ich ihm doch auszahlen. Seine viertausenddrei…«

Cornfelder schüttelte den Kopf. »Nein, sagen Sie ihm, ich wäre nicht da.«

»Aber Sir…«

»Tun Sie, was ich gesagt habe!« kam es seltsam schwach von den Lippen des Bankiers. Dann stieß er die Tür zu.

Aber bei diesem Stoßen hatte Capite nachgeholfen.

Verstört wandte sich der Bankvorsteher um und ging zum Schalter zurück, wo der bärbeißige Rancher ungeduldig auf ihn wartete.

»Nun, was ist los?«

»Es tut mir leid, Mr. Jefferson, aber ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Es ist leider im Augenblick unmöglich…«

»Unmöglich…? Nicht einmal die siebenhundert Bucks könnt ihr einem alten Kunden dazugeben? Ich weiß nicht, was die Leute haben mit Cornfelders Arizona-Bank? Ich finde, es ist eine armselige Bruchbude. Siebenhundert lächerliche Dollar! Well, ich brauche sie nicht, ich werde sie anderwärts bekommen. Geben Sie mir meine paar Kröten raus. Und dann hat sich’s!«

»Ja, ja, das schon, Mr. Jefferson!« suchte sich der Bankvorsteher zu retten. »Ich werde noch einmal versuchen, Mr. Cornfelder zu erreichen.«

»Ja, ist er denn nicht da?«

»Nein, er ist nicht da.«

»Haben Sie denn nicht eben mit ihm gesprochen?«

»Nein, da drinnen ist nur – eine Frau, die saubermacht.«

»Was? Jetzt, um diese Zeit?« knurrte der Rancher. »Mann, das glauben Sie doch selbst nicht. Sie wollen mich zum Narren halten. Ich weiß genau, daß Sie mir das Geld nicht geben wollen! Weil Sie von den Putkins bestochen worden sind. Von meinem prächtigen Nachbarn. Aber lassen Sie nur! Ich habe es nicht nötig, euer dreckiges Geld. Los, gebt meine Bucks heraus, und dann ist das erledigt!«

»Ja, ja, leider geht das nicht so einfach«, stotterte der Bankvorsteher.

»Was?« zischte der Rancher. »Das geht nicht? Wollen Sie damit etwa behaupten, daß Sie mir mein Geld nicht geben wollen?«

Brinkman druckste verzweifelt herum.

»Wollen…, davon kann keine Rede sein, Mr. Jefferson. Es ist nur so, daß wir es im Augenblick nicht können…«

Der bullige Rancher wich einen Schritt zurück und ließ seine schwere behaarte Pranke auf die Schalterbank fallen, so daß ein gläserner Aschenbecher heruntersprang und auf den Steinfliesen zerbarst.

»Was faseln Sie da? Sie können mir mein Geld nicht geben? Ja, was soll denn das bedeuten? Seid ihr Burschen etwa blank? Seid ihr etwa bankrott? – Leute!« rief er den beiden Männern zu, die an den anderen Schaltern standen. »Habt ihr das gehört, die können nicht einmal meine lumpigen viertausend Bucks auszahlen. Spekuliert hat er, der saubere Cornfelder. Na, das ist mir ja eine schöne Schweinerei! Aber ich lasse mir das nicht gefallen. Mein Geld will ich haben! Und zwar sofort!«

Die laute Stimme des bärbeißigen Ranchers war bis in das Bureau Cornfelders gedrungen.

Die drei Galgenmänner starrten auf den gebeugten Rücken des Bankiers.

Ganz langsam wandte sich Cornfelder um und blickte Capite an.

»Und jetzt? Was soll jetzt geschehen?« kam es heiser und gebrochen aus der Kehle des Bankmanns.

Die drei Verbrecher hatten die Lippen fest aufeinander gepreßt.

Capite faßte sich zuerst.

»Ist das Geld auch hier in dem Tresor?«

Der Bankier schüttelte den Kopf. »Nein, das ist drüben in dem kleinen Tresor hinter den Schaltern.«

»Er hätte es auszahlen lassen sollen, Fred«, krächzte Hacatt.

»Kommt nicht in Frage«, gab Capite knurrend zurück.

»Aber deswegen fallen wir jetzt alle auf den Bauch, du Idiot!«

»Schweig!« herrschte ihn der ehemalige Cowboy an.

»Wir haben Befehl, sämtliches Geld zu nehmen. Dazu gehören auch die viertausend Dollar. Oder bildest du dir etwa ein, daß diese Summe nichts ausmacht? Träumst du etwa davon, daß es hier hunderttausend Dollar mitzunehmen gibt?«

Da brach eine rostige Lache über die Lippen des Bankiers.

»Hunderttausend Dollar! Ich habe nicht einmal ein Drittel davon in meinem Hause.«

Da stieß Capite ihn so derb an, daß er bis an die Tür prallte.

»Was sagst du da? Nicht einmal ein Drittel? Glaubst du, du kannst mich zum Narren halten, Geldsack? Wir wissen genau, daß auf deiner Bank im Augenblick weit über achtzigtausend Bucks liegen. Und die wirst du uns mitgeben.«

Cornfelder schüttelte den Kopf. »Sie irren sich, Fred…«

»Rede mich nicht mit Fred an, Mensch«, knurrte Capite ihn wütend an. Dann warf er den Kopf hoch und blitzte Hacatt an. »Daß du Idiot mich auch beim Namen nennen mußtest. Fehlt nur noch, daß du meinen Nachnamen genannt hättest.«

»Das ist nicht notwendig«, gab Cornfelder zurück. »Ich kenne Sie auch so.«

»Was, du kennst mich?« fauchte der Verbrecher. Dann spannte er ganz langsam den Hahn des Revolvers. »Das ist dein Tod, Geldsack!«

Obwohl Cornfelders Gesicht jetzt schweißbedeckt war, stand ein schwaches müdes Lächeln in seinen Augen.

»Schießen Sie mich nur nieder, Fred. Damit haben Sie den Befehl Ihres Bosses doch noch nicht durchgeführt.«

Capite schluckte.

»Du irrst, Geldsack. Ich habe sehr wohl den Befehl, jeden niederzuknallen, der sich uns in den Weg stellt.«

»Erst müßt ihr das Geld haben…«

Da trat Ferguson vor und spannte seine knallige Hand würgend um den Hals des Bankiers.

»Du wirst uns jetzt sofort sagen, wo du die Schlüssel hast, Alter, sonst lernst du mich kennen.«

Als er die Hand etwas löste, dauerte es eine Weile, ehe Cornfelder wieder atmen konnte.

»Ich habe euch bereits gesagt, daß die Schlüssel bei mir daheim sind. Vorn im Tresor sind nur fünftausend Dollar, die für die täglichen kleineren Auszahlungen gedacht sind. Wenn größere Gelder benötigt werden, müssen sie hier aus den Tresoren genommen werden.

»Willst du mir etwa erzählen«, unterbrach ihn Capite drohend, »daß du dann jedesmal nach Hause laufen mußt, um den Schlüssel zu holen?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Und…? Wie geht das dann vor sich?« Pfeilschnell schossen die Fragen Capites Cornfelder entgegen.

James Cornfelder hatte in diesen mörderischen fünf Minuten, die bereits eine Ewigkeit zu währen schienen, zwei schwerwiegende Dinge erlebt:

Zu Beginn dieser kurzen Zeitspanne hatte er einen schweren Schock erlitten, der aber fast schon überstanden hatte. Und aus diesem Schock heraus hatte den mutigen Mann der Wille gerissen, den Verbrechern Widerstand zu bieten.

Er hatte ihnen eine Lüge vorgetragen. Denn die Schlüssel zu seinen Tresoren waren keineswegs bei ihm daheim. Er bewahrte sie in seiner Tasche auf. In seiner Zigarrentasche.

Und diese Zigarrentasche lag jetzt auf dem Tisch. Capite hatte sie ihm aus der Jacke gezogen, geöffnet und wütend wieder zugeklappt.

Rechts im ledernen Etui steckten vier gepuderte braune holländische Ritmeersters-Zigarren, und links im Fach steckte nur eine Zigarre. Und daneben in einem kleinen, von außen nicht sichtbaren Extrafach, steckten die drei kleinen Tresorschlüssel.

Eigentlich kein sonderlich raffiniert ausgedachtes Versteck – aber Cornfelder hatte es seit Jahren so gehalten, und bisher wußte niemand, wo er die Schlüssel verbarg.

Fieberhaft suchte er jetzt nach einem Ausweg. Er mußte bei seiner großen Lüge bleiben und sie weiter ausbauen.

»Wenn draußen an den Schaltern mehr Geld benötigt wird, als im Schaltertresor ist, wird der Stift zu mir nach Hause geschickt, um die Schlüssel zu holen.«

»Der Stift?« krächzte Ferguson. »Ist das etwa der kleine Bursche, den ich vorhin durch das Schlüsselloch habe kommen sehen?«

»Ja, es ist Bill, ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren.«

»Well, das ist ausgezeichnet.« Ein zynisches Grinsen lief über den sichtbaren Gesichtsteil des Verbrechers Capite. »Rufen Sie den Jungen her.«

Cornfelder wollte sich wieder zur Tür wenden, da aber schnappte Fergusons Rechte um sein linkes Handgelenk.

»Augenblick!« Ferguson blickte seine beiden Kumpane an. »Habt ihr auch bedacht, daß er uns mit einem raffinierten Schlüsselwort verraten kann?«

Brinkman hatte die ganze Zeit über an seinem Tisch gesessen. Jetzt zog er sich seine schwarze, mit weißen Tupfen besetzte Krawatte zurecht, stand auf und blickte in den kleinen Spiegel, der neben dem Fenster hing.

Die Unruhe, die Jeffersons Proteste erregt hatten, war vorüber. Die Bank war im Augenblick ohne Kunden.

Brinkman ging auf Matthisen zu, der am nächsten Tisch saß und tief über seine Arbeit gebeugt war, tippte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm zu: »Es geht los.«

Matthisen nickte, erhob sich sofort und straffte seine Gestalt, zog sein Jackett zurecht und folgte dem Bankvorsteher.

Der tippte Horbace an.

Der Kassierer wandte sich um. »Ja, was gibt’s?«

»Es geht los«, flüsterte ihm der Bankvorsteher zu.

Auch der Kassierer erhob sich. Als er den mürrischen Watkins anstieß, wandte der den Kopf und knurrte:

»Was ist denn?«

»Es geht los.«

»Was geht los? Was haben Sie denn, Mr. Brinkman. Was ist denn passiert?«

»Stehen Sie auf, kommen Sie. Es ist soweit!«

»Soweit?«

»Ja, haben Sie denn vergessen, daß der Chef heute Geburtstag hat?«

»Ach so…, nein, natürlich nicht.«

»Wo sind die Blumen? Billy, he, Billy, wo ist überhaupt Billy?«

Der Bürovorsteher wandte sich um und stellte erst jetzt fest, daß der Lehrling nirgends zu sehen war.

Alle starrten sie auf Bills leeren Platz.

»He, was ist mit Ihm?«

Plötzlich erinnerte sich Hastings. »Ach, der Bengel war eben hier. Er ist auf den Hof gegangen. Mr. Matthisen, würden Sie ihn bitte suchen?«

Der Clerk ging hinaus, kam aber nach einigen Minuten zurück und berichtete, daß der kleine Billy Ovarim auch draußen nicht zu finden war.

»Well«, meinte Brinkman, nahm die Blumen aus der großen Vase, band sie mit einer Schnur zusammen und nickte den anderen zu. »Dann gehen wir eben allein.«

Sie verließen den Raum hinter den Schaltern und traten vorn in den großen Kundenraum.

Brinkman ging voran. Ehe er an Cornfelders Tür klopfte, machte er eine tiefe Verneigung. Niemand von den anderen kam auf den Gedanken zu lachen. Es war ihnen gar nicht aufgefallen. Auch sie hatten allesamt im Geiste die leichte Verbeugung mitgemacht. So groß war ihr Respekt vor dem Bankier.

Zweimal klopfte Brinkman leise an.

In Cornfelders Bureau herrschte eisiges Schweigen.

Die drei Banditen tauschten kurze Blicke miteinander.

Dann stieß Capite den Bankier an. »Los, sehen Sie nach, wer da ist. Aber ich warne Sie!«

Wieder setzte er dem Mann den Revolver in den Rücken.

Cornfelder öffnete die Tür einen Spalt und sah draußen seine Leute stehen.

Brinkman wandte sich um und hob die Hand. Und dann stimmten sie in einem sehr unmelodiösen Chor den alten amerikanischen Geburtstagssong an: »Happy birthday to you, happy birthday to you…«

Die drei Galgenmänner zuckten zusammen.

»Was hat das zu bedeuten?« zischte Ferguson vor sich hin.

Hacatts Gesicht war leichenblaß geworden, jedenfalls der Teil davon, den man sehen konnte.

Nur Capite war völlig ruhig geblieben. Er wandte keinen Blick von der Gestalt des Bankiers.

»Wenn das ein Trick ist, Bursche«, flüsterte er, »dann bist du schneller tot, als dir lieb ist!«

Aber niemand war verdutzter als Cornfelder selbst. Er hatte seinen Geburtstag längst vergessen. Aus großen ungläubigen Augen blickte er Brinkman und die anderen an.

»Vielen Dank, vielen Dank«, sagte er, ohne die Tür weiter zu öffnen. »Ist…, es ist sehr nett… Aber im Augenblick bin ich sehr beschäftigt… Sie müssen verstehen, Brinkman. Ich…, wir sprechen später darüber… Das heißt, vielen Dank.«

Capite stieß die Tür zu. Das Holz der geriffelten Füllung traf die linke Wangenseite des alten Bankvorstehers Brinkman und stieß ihm den Klemmer von der Nase.

»Oh«, entfuhr es dem alten Mann.

Drinnen im Raum herrschte tödliche Stille. Da sagte der Bankier leise zu Capite. »Das hätten Sie nicht tun sollen.«

»Halt’s Maul!« zischte der Bandit. »Los, setz dich in deinen Stuhl. Was soll das ganze Theater? Willst du uns vielleicht erzählen, daß du Geburtstag hast?«

Cornfelder schüttelte müde den Kopf.

»Nein, das will ich Ihnen nicht erzählen. Aber es ist die Wahrheit. Ich habe heute wirklich Geburtstag. Ich hatte es nur schon selbst vergessen.«

»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, schnarrte Ferguson. »Sieh zu, daß die Schlüssel herkommen. Los, ruf den Jungen.«

Cornfelder nickte und erhob sich wieder. Es schien dem mißtrauischen Frederic Capite, daß der Bankier etwas zu hastig auf die Tür zuging. Sofort schnappte seine Hand wieder um den Unterarm des Gefangenen.

»Du hast es merkwürdig eilig, Freund. Ich warne dich! Wenn du irgendeine Schweinerei planst, durchsiebe ich dich mit Kugeln, verlaß dich darauf. Ich habe meine Worte immer noch wahr gemacht!«

Cornfelder war stehengeblieben und senkte seinen Blick in die kalten gelben Augen des Verbrechers.

»Ich plane keine Schweinerei. Ich rufe den Jungen und werde ihn zu mir nach Hause schicken.«

Fieberhaft überlegte der Bankier seit Minuten, wie er die drei Banditen aufs Glatteis locken konnte. Aber das war fast aussichtslos. Die drei waren mißtrauischer als Präriewölfe, und besonders dieser junge Bursche, der ihm ständig folgte, war argwöhnisch wie ein Apache.«

Was konnte er sagen, um Brinkman zu warnen? Eigentlich hätte der alte Bureauvorsteher schon gewarnt sein müssen. Aber Cornfelder wußte, daß der greise Buchhalter in solchen Dingen nicht schalten würde. Und Watkins? Nein, der mürrische Kassierer kam erst recht nicht in Frage, er war die Steifheit in Person. Hobace? Nein, auch er würde es nicht verstehen. Und Hastings ganz sicher nicht. Matthisen? Den konnte er auch abschreiben. Cornfelder war die Reihe seiner Leute durchgegangen und kam zu dem trüben Entschluß, daß keiner von ihnen wach genug war, um die Gefahr zu begreifen, die er ihnen durch seinen Blick hatte andeuten wollen.

Und dann fiel ihm plötzlich der Junge ein. Der kleine William Ovarium war zweifellos der wachsamste im ganzen Bankhaus. Und ausgerechnet ihn sollte er ja rufen. Das mußte die Rettung sein.

Er öffnete die Tür einen Spalt und rief:

»Bill!«

Es blieb einen Augenblick still, dann erhob sich Brinkman von seinem Platz. Auch Hastings war aufgestanden. Sie kamen beide vorn in den Kundenraum und riefen dem Boß von weitem zu: »Bill ist in den Hof gegangen. Aber… wir wissen nicht, wo er ist, Mr. Cornfelder.«

»Aber was soll denn das heißen? Sie müssen doch wissen, wo der Junge steckt!« Die Stimme des Bankiers zitterte deutlich.

Aber die beiden Männer bemerkten es nicht.

Das heißt, dem von Natur aus mißtrauischen Kassierer Hastings war das sonderbare Gebaren seines Herrn schon vorhin an der Tür aufgefallen, aber zu deuten wußte er es auch nicht.

»Vorwärts, Matthisen soll ihn suchen!« befahl der Bankier.

Die beiden knickten wie Taschenmesser in devoten Verbeugungen zusammen und wandten sich um.

Cornfelder ließ die Tür eine Handbreit offen.

Aber Ferguson, der jetzt im Türwinkel stand, schob sie zu.

Capite fauchte ihn an: »Was fällt dir ein! Wie kommst du dazu, die Tür zuzuschieben? Das kannst du ruhig mir überlassen.«

»Du hast die Tür ja selbst zweimal zugeschoben.«

»Egal, aber jetzt stand er da, und die Leute haben ihn angesehen.«

»Das war vorhin auch nicht anders«, verteidigte sich Ferguson, ließ sich in den Sessel nieder und legte die staubigen Stiefel auf den Schreibtisch.

Ratlosigkeit stand in den Gesichtern der Galgenmänner.

»Los, mach die Tür wieder auf«, forderte Capite den Bankier auf.

Cornfelder öffnete wieder und blickte in den Kundenraum.

Brinkman kam ihm entgegen.

Cornfelder winkte mit der Linken ab und deutete ihm mit dieser Geste an, daß er stehenbleiben solle.

Wie angenagelt blieb der Bureauvorsteher mitten im Raum stehen.

»Er ist nirgends zu finden, Mr. Cornfelder«, entschuldigte er sich. »Es tut mir leid. Aber mag der Teufel wissen… Pardon… Pardon… Ich weiß wirklich nicht, wo er hingelaufen ist! Er ist ein schrecklicher Bengel. Ich werde ihn bestrafen, wenn er zurückkommt.«

Cornfelder winkte ab. »Nein, nein, lassen Sie nur.« Langsam schloß er die Tür.

Als er in die Augen der Verbrecher sah, stieß er auf diamantharte, drohende Blicke.

»Du willst uns reinlegen, Bursche!« knurrte Capite.

In diesem Augenblick krachte draußen auf der Straße ein Schuß.

Die drei Graugesichter zuckten zusammen und griffen augenblicklich nach ihren Revolvern.

»Was hat das zu bedeuten?« zischte Hacatt.

Ferguson zog die Schultern hoch.

Capite trat ans Fenster und suchte einen Blick in den Hof zu werfen.

»Es muß auf der Straße gewesen sein. Aber ich kann von hier aus nicht hinaussehen.«

Er wandte sich um und blickte in Fergusons Augen.

Der zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.

Capite zischte: »Die Sache kommt mir nicht geheuer vor. Los, wir verschwinden.«

»Ohne das Geld?« krächzte Hacatt.

»Es wird uns kaum etwas anderes übrigbleiben.«

Hacatt straffte seine lange, hagere Gestalt und bohrte seinen Blick in die Augen des Bankiers.

»Hör zu, Brother, ich weiß, daß du Frau und Kinder hast«, begann er, wobei er die Daumen hinter den Waffengurt hakte und auf den Zehenspitzen wippte.

»Wie meinen Sie das?« stotterte der Bankier.

»Wenn dir was am Leben deiner Frau und deiner Brut liegt, dann wirst du jetzt auf dem schnellsten Weg den Schlüssel herbeischaffen.«

»Was soll diese Drohung, was haben Sie vor?«

»Das wirst du schon noch erfahren. Deine lieben Kinderchen werden nicht viel Spaß am Leben haben. Dafür sorgen wir schon. Oben in Grenoble gab es einen Rancher, der nicht mit unseren Gewohnheiten einverstanden war. Er hat heute einen hübschen, kräftigen Sohn, der wirklich ein hoffnungsvoller Sproß war – bis er eben mit dem Brandreisen Bekanntschaft machte.«

»Mit dem… Brandeisen?« stammelte der Bankier.

»Ja, wir haben ihm ein eigenes Brandzeichen aufgebrannt, aber nicht irgendwo auf dem Rücken, sondern im Gesicht. Genauer gesagt auf beiden Augen. Mit dem Sehen ist es zwar jetzt vorbei, aber dafür hat er zwei schöne gestirnte Brandmale im Gesicht.«

»Scheusale!« entfuhr es dem Bankier.

Da hieb Ferguson, der hinter ihm stand, zu.

Der Handkantenschlag entriß dem Getroffenen einen erstickten Schmerzensschrei. Wie gelähmt war die rechte Seite Cornfelders. Er vermochte die Hand nicht einmal mehr zur Faust zusammenzuballen.

»Macht, was ihr wollt, ich verschwinde!« krächzte der einstige Chirurg aus Chicago und ging zum Fenster.

Hacatt schüttelte den Kopf. »Nein, wir müssen das Geld haben!«

Unschlüssig stand Capite vor den beiden und blickte in das bebende Gesicht des Bankiers.

»Hör zu, Freund, du wirst uns jetzt auf dem schnellsten Wege die Schlüssel herbeischaffen!«

Cornfelder vermochte den Kopf nicht mehr zu heben. Er konnte ganz einfach nicht mehr in die kalten Augen des Verbrechers sehen, konnte ihm keine Lügen mehr ins Gesicht sagen.

Da packte Capite die lederne Zigarettentasche. Er hatte gar nichts Besonderes damit vor. Es war nur Nervosität, daß er nach diesem Gegenstand griff.

James Cornfelder hatte den Kopf hochgeworfen und starrte fassungslos auf die Hand des Verbrechers, die das lederne Etui zerknautschte.

Der Desperado fing diesen Blick auf – und deutete ihn in seinem Argwohn nicht falsch. Er zuckte regelrecht zusammen, riß plötzlich mit beiden Händen das Etui auf und kippte es um.

Erst beim zweiten Aufstoßen auf den Tisch fielen die drei kleinen Schlüssel auf die Platte.

Entgeistert stierten die drei Galgenmänner auf die Schlüssel und dann in das wachsbleiche, jetzt totenähnliche Gesicht des Bankiers.

Klatschend fiel Capites Hand in das Gesicht des Mannes, der sie so geblufft hatte.

»Damned! Das hast du nicht schlecht gemacht, Halunke! Fast wäre es dir geglückt. Dafür wirst du sterben!«

Capite warf Ferguson die Schlüssel zu und öffnete das Fenster. Er dachte nicht mehr an den Schuß, der vor wenigen Sekunden gefallen war. Es war eben noch nicht die große Zeit des später so gefürchteten Desperados Frederic Capite.

Er hatte das Fenster aufgerissen und sprang hinaus in den Hof. Vorsichtig ging er bis zur Wagenklappe und öffnete sie um Handbreite.

Wie von einem Peitschenschlag getroffen, zuckte er zurück.

Der kleine Billy hatte hinter dem Wagen gestanden. Sein Mißtrauen war von Sekunde zu Sekunde gewachsen. Unter halbgesenkten, langen, seidigen Kinderwimpern hatte er unauffällig die andere Straßenseite beobachtet und die Gesichter der beiden Männer am Fenster gesehen.

Dann war einer dieser Männer auf dem Vorbau erschienen, hatte ihn wie mit einem unbeabsichtigten Blick gestreift und war dann in der Bar neben der Bank verschwunden.

Der kleine Mischling hatte ein derart unbehagliches Gefühl, daß er seinen Platz neben dem Wagen augenblicklich verließ und in der Mündung einer Quergasse verschwand.

So schnell ihn seine Füße tragen wollten, rannte er davon, sprang über kleine Mauerstücke, zog sich an einer Fenz hoch, schwang sich hinüber, jumpte über umgekippte Wagenböden und hastete hinter den Höfen entlang, bis er bei den letzten Häusern am Ortsende der Stadt angekommen war.

Aber wie angewurzelt blieb er hinter einem Wagenschuppen stehen und starrte auf die Straße, die hinüber nach Osten führte. Unweit vom letzten Haus, das direkt vorn an der Mainstreet stand, hatten sich zwei Männer aufgebaut. Mittelgroße, hagere Burschen, die ihre Pferde neben sich stehen hatten. Vielleicht wäre der kleine Bill gar nicht auf sie aufmerksam geworden, wenn er nicht gesehen hätte, wie der eine von ihnen in der linken Hand ein graues Tuch bereithielt und die Rechte auf dem Revolverkolben liegen hatte.

Galgenmänner! blitzte es im Hirn des Jungen auf.

Er preßte seine kleine Faust zwischen die Zähne und überlegte verzweifelt.

Da vorn in dem Haus wohnte der Reverend. Ihn hatte er aufsuchen wollen. Mr. Conally war ein freundlicher, verständnisinniger Mensch – und leider der einzige Mann in der ganzen Stadt, zu dem der kleine Billy Ovarim wirkliches Vertrauen besaß.

Und der Weg ausgerechnet zu diesem Mann wurde ihm von den beiden Graugesichtern versperrt.

Während sein Boß, der Bankier James Cornfelder, unten im Bankhaus in seinem Office in höchster Gefahr schwebte – eine Gefahr, die der kleine Halbindianer sozusagen mit angesehen hatte – stand er hier und konnte nichts tun.

In diesem Augenblick sah er unten im Westen aus der Talmulde, aus der die Overlandstraße aufstieg, eine Staubwolke hochziehen.

Wenige Sekunden später sah er zwei grauschwarze Punkte in der Ferne auftauchen.

Zwei Reiter!

Sie kamen so schnell näher, daß er ihre Pferde schon bald unterscheiden konnte.

Der Mann, der auf der nächsten Seite ritt, saß auf einem falbfarbenen Tier, und der andere ritt einen Rappen.

Sie kamen rasch näher, so rasch, daß der kleine Pferdefreund Bill die Augen und den Mund weit aufgerissen hatte. Was waren das für Pferde! Niemals zuvor hatte der Junge zwei Tiere in so ungeheurer Geschwindigkeit dahergaloppieren sehen.

Je näher die beiden Reiter dem Stadteingang kamen, desto unruhiger wurden die beiden Graugesichter, die sich neben dem letzten Haus postiert hatten.

Plötzlich schien ein Zucken durch den Körper jenes Mannes zu gehen, der das graue Gesichtstuch in der linken Hand hielt. Er duckte sich tief an den Boden nieder und stieß dann den anderen an, wobei er auf die beiden Reiter deutete.

Blitzschnell wandten sie sich um und krochen hinter die Mauerecke, um sich da tief niederzuducken.

Der kleine Bill hatte noch niemals in seinem Leben so sehr gewünscht, ein großer Mann zu sein, wie in diesem Augenblick. »Wenn ich jetzt einen Revolver hätte«, flüsterte er tonlos vor sich hin.

Er hatte den Blick wieder zur Straße gewandt und sah jetzt deutlich die beiden Reiter.

War vorhin nur Bewunderung in seinen Augen gewesen, so wich die plötzlich einer Verblüffung. Der Reiter auf dem Falbpferd hatte sich um zwei Pferdelängen von seinem Begleiter gelöst und kam allein auf den Eingang der Stadt zugesprengt.

Es war ein großer, breitschultriger Mann im schwarzen Lederanzug und mit einem wehenden leuchtendroten Halstuch.

Es war fast zwei Jahre her, daß der kleine Mischling diesen Mann hier in der Stadt gesehen hatte. Aber nie würde er ihn vergessen können!

Seine zusammengepreßten Lippen sprangen auf und formten nur die zwei Worte:

»Wyatt Earp!«

Und dann stieß er sich von der Ecke des Schuppens ab und sprintete querfeldein los, der Straße entgegen.

Mit hochgerissenen Armen stieß er schrille Schreie aus und machte dadurch den Reiter auf sich aufmerksam.

Ja, der kleine William Ovarim hatte sich nicht getäuscht.

Der Reiter auf dem schnellen Falbhengst war niemand anders als der Missourier Wyatt Earp, der berühmte Marshal aus Dodge City. Und sein Begleiter, der Reiter des schwarzen Hengstes, war der große Gunfighter Doc Holliday!

Wyatt Earp hatte sein Pferd angehalten und wartete, bis der Junge herangekommen war.

Der Kleine hatte sich trotz seiner Jugend so sehr in der Gewalt, daß er sich nicht nach der Mauerecke, hinter der er die beiden Banditen wußte, umdrehte.

Er lief die Straße hinauf und blieb vor dem Hengst des Marshals stehen.

Keuchend stieß er hervor: »Mr. Earp!« Er rang nach Atem. »Mr. Earp! Sie sind da…, welch ein Glück!«

»Was gibt’s denn, Kleiner?«

»Die Galgenmänner.«

Wyatt glitt sofort aus dem Sattel und streichelte dem Burschen über seinen schwarzblauen Haarschopf.

»Was sagst du da?«

»Die Galgenmänner, Marshal! Sie sind in der Stadt. Zwei stehen hier vorn hinter dem Haus. Ich kann es nicht beschwören, aber…«

Doc Holliday war nun auch heran, hatte in einer wahren Fontäne von Staub seinen Rappen zum Stehen gebracht und war abgestiegen. Er hatte die letzten Worte des Jungen noch gehört.

»Nun beruhige dich mal, Boy. Und sprich schön langsam«, forderte der Missourier den Kleinen auf.

»In der Bank unten, Mr. Earp, in der Bank da sind sie, drei Männer! Ich habe sie vom Nußbaum aus beobachtet. Sie sind bei Mr. Cornfelder im Office und haben ihre Revolver in der Hand.«

»Wie kommst du darauf, daß es Galgenmänner sind?« forschte da der Georgier, während er einen unauffälligen Blick über die Straße schickte.

»Sie tragen graue Gesichtstücher.«

Die beiden Dodger wechselten abermals einen kurzen Blick miteinander.

Dann reichte der Marshal dem Jungen die Hand und streichelte ihm übers Haar.

»So, wir müssen jetzt so tun, als wenn wir alte Freunde wären, Boy. Hast du verstanden?«

Der Kleine nickte.

»Ja, das ist schön. Dann gehst du jetzt langsam hinter uns her und verschwindest am besten in eurem Haus.«

»Wir wohnen am anderen Ende der Stadt.«

»Kennst du denn niemanden?«

»Doch, den Reverend. Er wohnt hier gleich im ersten Haus links.«

»Dann gehst du zu ihm. Und während wir jetzt auf das Haus zugehen, berichtest du mir, was du weißt.«

In fliegenden Worten erzählte der kleine Billy Ovarim, was er in der letzten halben Stunde erlebt hatte.

Dann verschwand er im Haus des Pfarrers.

Wyatt Earp und Doc Holliday zogen sich wieder in die Sättel und trabten die Straße hinunter.

Hundert Yards vor dem Bankhaus stiegen sie ab, warfen ihre Zügelleinen um einen Querholm und betraten den Vorbau von Judy Harrisons Clothing Store.

Während Doc Holliday neben der Tür stehenblieb, betrat der Marshal den Shop.

Die junge blondhaarige Frau, die gerade in einem der Wäschefächer hantierte, hatte ihm den Rücken zugekehrt.

Als der Mann sich räusperte, fuhr sie herum – und in ihre großen Augen trat zu dem kleinen Schrecken eine grenzenlose Verblüffung.

»Marshal Earp!« entfuhr es ihr.

»Ja, Miß Harrison.« Der Marshal nahm seinen Hut ab und ging auf die junge Frau zu.

Judy Harrison hatte ein hübsch geschnittenes, etwas helles Gesicht, das von weichen goldblonden Locken umrahmt und von einem wasserhellen, allerliebsten Augenpaar beherrscht wurde. Sie war gut gewachsen und konnte für sich in Anspruch nehmen, das schönste Mädchen der ganzen Stadt zu sein. Seit dem Tode ihrer Eltern – sie waren vor zwei Jahren bei einem Bandenüberfall hier draußen vor dem Store beide niedergeschossen worden – führte sie den Laden des Vaters weiter, so gut sie es vermochte.

Es war Marshal Wyatt Earp gewesen, der damals den Mörder ihrer Eltern hier draußen auf der Mainstreet zur Strecke gebracht hatte. Ebenso wie der kleine William Ovarim konnte sie den Marshal nie vergessen. Eine flammende Röte übergoß ihr hübsches Gesicht vom Haaransatz bis zum Kinn. Und ihre kleine weiße Hand, die in der großen braunen Rechten des Marshals lag, war urplötzlich eiskalt geworden.

»Sie sind wieder in der Stadt, Mr. Earp?« fragte sie stotternd.

»Ja, Miß Harrison, und ich habe auch gleich eine Bitte.«

»Ja…«

»Die Galgenmänner sind in der Stadt. Und…«

»Die Galgenmänner«, entfuhr es ihr entgeistert. Und die Röte wich sofort aus ihren Wangen.

»Ja, sie sind schon in der Bank. Ich wußte von dem geplanten Überfall, aber offenbar haben sie früher zugeschlagen, als ich vermutete. Ich möchte Sie bitten, durch Ihren Hof gehen zu dürfen.«

»Aber selbstverständlich. Wollen Sie in den Hof des Bankhauses?«

»Ja, ich will es versuchen.«

»Das ist gar nicht schwer. Hier nebenan ist der Butchersshop, dessen Mauer ist niedrig. Der wiederum hat eine Tür zum Garten von Mrs. Flambush, und ihr kleiner Garten schließt an den Hof der Schenke an. Von dort aus könnten Sie hinüber in den Hof der Bank steigen.«

Wyatt hatte die letzten Worte der Frau kaum vernommen, als er schon draußen im Hof war und den nicht allzu schwierigen Weg einschlug.

Inzwischen hatte sich in der Bar eine kurze Szene zwischen Gibson und Averhof abgespielt.

Gibson war noch einen Augenblick auf dem Vorbau stehengeblieben und dann in die Schenke zurückgekehrt.

Aber das Mißtrauen hatte sich in der Brust des texanischen Schießers festgefressen. Er blieb nicht wie vorhin ruhig auf seinem Platz sitzen, sondern stand nach einer Weile wieder auf und erschien vorn im Eingang.

Er hatte noch nicht zwei Schritte auf den Vorbau hinaus gemacht, als der Georgier Holliday ihn plötzlich entdeckte.

Auch Gibson hatte ihn gesehen. Wie angenagelt war er stehengeblieben und starrte den Spieler an.

Kaum achtzig Yards trennten die beiden voneinander.

Der sonst so kaltblütige Revolvermann verlor die Nerven. Er sprang auf die Straße und warf den Arm hoch.

Das war das Zeichen für den Posten in dem Planwagen.

Der schlitzäugige, fahlgesichtige Bandit Egon Jackfink hatte den leisen Pfiff gehört, den Gibson ausgestoßen hatte, und sah den Texaner jetzt mit erhobenem Arm auf der Straße stehen.

Sofort riß Jackfink das Sharpsgewehr vom Wagenboden hoch und stieß es vorn durch die Öffnung der Plane.

Er erblickte den Mann, auf den ihn Gibson hinweisen wollte.

Jackfink kannte den Mann nicht, aber er wußte, daß es ein Feind sein mußte, der ausgeschaltet werden sollte. Sorgfältig zielte er, und dann zog er den Stecher durch.

Der Schuß röhrte über die Straße.

Aber der Mann aus Georgia, der seit mehr als dreizehn Jahren mit dem Tod durch eine Kugel rechnen mußte, ja, der diesem Tod durch dieses rauhe, wilde Land zu folgen schien, wurde nicht getroffen.

Um einen halben Yard fehlte ihn die Kugel und schlug klatschend in das Holz eines Vorbaupfostens.

Doc Holliday war sofort in der Türnische verschwunden.

Hinter ihm wurde die Tür geöffnet. Judy Harrison trat in den Eingang und stand schweratmend neben ihm.

»Doc Holliday! Sie sind hier? Das wußte ich nicht. Wer hat geschossen?«

»Das sind eine ganze Menge Fragen auf einmal, Miß«, entgegnete der Spieler, ohne sich nach der Frau umzusehen. Er stand genau in der Türecke und fixierte den Texaner.

»Damned, wenn das nicht der fahle Gibson ist…«

Holliday wußte von dem Bericht des Jungen, daß noch mehrere Männer hier in der Straße postiert sein mußten. Da er ihre Standorte nicht kannte, wäre es mehr als gefährlich gewesen, wenn er sich jetzt mit Gibson angelegt hätte.

Aber er mußte auf jeden Fall die Aufmerksamkeit der Graugesichter auf sich lenken. Denn Wyatt Earp war jetzt höchstwahrscheinlich schon im Hof der Arizona-Bank.

Holliday überquerte rasch die Straße und kauerte sich drüben hinter einer großen Regentonne nieder.

Gibson warf wieder den Arm hoch, und der Scharfschütze Jackfink gab seinen zweiten Schuß ab, der diesmal dem Ziel näher kam.

Die Kugel riß ein Loch in die Regentonne, schlug drüben auf der anderen Seite des Fasses gegen das Holz der Kufen und fiel zurück.

»Da kannst du noch ein paar Kugeln opfern«, flüsterte der Gambler vor sich hin und nahm seine beiden Revolver in die Fäuste.

Das Auftauchen des Georgiers hatte bei dem texanischen Schießer Robert Gibson eine wahre Panik ausgelöst.

Der Big Boß der Galgengesichter hatte schon gewußt, warum er diesen Mann auf die »Abschußliste« gesetzt hatte. Denn Robert Gibson war kein Mann von großen Qualitäten, besaß nicht die Fähigkeiten, die zur Leitung einer solchen Crew nötig waren.

Dennoch war er persönlich ein gefährlicher Mann; nicht zuletzt deswegen, weil er ein ausgezeichneter und kaltblütiger Schütze war.

Nichts auf der Welt hätte ihn mehr aus dem Gleichgewicht stoßen können als der Anblick gerade jenes Mannes, der als der schnellste Revolverschütze des Westens galt: des Doc John Henry Holliday!

Vor mehreren Jahren war er mit dem Spieler unten in Dallas, in seiner Heimatstadt, um ein Haar zusammengeraten. Er hatte falsch gespielt, wie so oft und Doc Holliday saß mit am Tisch.

Aber Gibson hatte ihn nicht erkannt.

Plötzlich war der Georgier aufgestanden und hatte ihn aufgefordert, sein Geld zurückzugeben, da er falsch gespielt hätte.

Gibson dachte nicht daran, das Geld zurückzugeben, und hätte es auch ganz sicher nicht getan und es auf einen Kampf ankommen lassen, wenn in diesem Augenblick nicht der Sheriff den Saloon betreten und gerufen hätte:

»Doc, ich hoffe nicht, daß Sie hier eine Schießerei anfangen wollen?«

Doc? Glücklicherweise hatte Rob Gibson in dieser brennenden Sekunde rasend schnell geschaltet. Schon die ganze Zeit über hatte er das brillante Spiel des Fremden bewundert und überlegt, wer dieser Mann wohl sein könnte.

Als der Sheriff ihn mit Doc anrief, fiel bei Gibson plötzlich der Nickel. Doc Holliday! Rasch hatte er das Geld aus den Taschen zurückgeholt und dem Georgier wieder zugeschoben.

»Es sollte nur ein Scherz sein, Mr. Holliday«, hatte er damals gesagt und war rasch aus dem Saloon verschwunden. Nicht nur aus dem Saloon, sondern aus der ganzen Stadt. Er war erst wieder zurückgekommen, als er hörte, daß der Georgier weitergeritten war.

Inzwischen waren Jahre vergangen, und Gibson hatte vielerlei von dem Spieler gehört. Vor allem, daß er seit Jahren mit dem berühmten Marshal Earp ritt.

Immer hatte er die Zeitungsberichte von den Kämpfen des Marshals und Doc Hollidays gegen Banditen eifrig studiert. Nicht zuletzt über das mörderische Gefecht unten im Tombstoner O.K. Corral.

Und nun stand dieser Doc Holliday hier in der Mainstreet, schien urplötzlich aus dem Boden gewachsen zu sein.

Aber ganz sicher nicht zufällig…

Das Hirn des Schießers arbeitete blitzartig.

Er wußte, daß Wyatt Earp in Kom Vo, in Costa Rica und Martini gegen die Graugesichter gekämpft hatte. Und zu Wyatt Earp gehörte – Doc Holliday! Daran konnte nicht der mindeste Zweifel bestehen.

Wo war der Marshal?

Vielleicht ist er hinter mir! überlegte der Bandit. Aber er wagte es nicht, sich umzudrehen.

Und dann tat er es doch.

Aber hinter ihm stand niemand.

Er sah nur das Rattengesicht Egon Jackfinks in der Öffnung der Wagenplane erscheinen.

Das gab ihm Sicherheit. Jedenfalls sein Rücken war frei.

Ganz sicher war der Marshal in der Stadt!

Aber falls Doc Holliday ausgeschaltet werden konnte, wäre der Marshal nur noch halb so gefährlich.

Langsam ging der Bandit vorwärts.

Doc Holliday sah ihn kommen und rührte sich nicht vom Fleck.

Als Gibson bis auf fünfzehn Schritt herangekommen war, blieb er breitbeinig in der Straßenmitte stehen und stemmte die Arme in die Hüften. So, daß er die Hände blitzschnell zu den Revolverhalftern bringen konnte.

Ich darf ihn nicht mit dem Namen anrufen, weil ich sonst die anderen kopfscheu mache, dachte er. Wenn sie seinen Namen hören, werden sie das gleiche denken wie ich, nämlich Wyatt Earp ist hier! Und das kann ich nicht riskieren. Aber auf jeden Fall muß ich die anderen warnen. Ich werde es so einrichten, daß sie gewarnt sind, ohne gleich zu wissen, wer der Mann da ist.

»Komm raus!« belferte er.

Holliday blieb hinter seiner Regentonne und rief zurück:

»Hallo, Gibson, seit wann bist du heiser? Du solltest mal was dagegen tun. Das kann gefährlich werden!«

Der Schießer biß die Zähne aufeinander.

Wie er diese Stimme fürchtete! Nie hatte er sie vergessen seit jenem unseligen Tag damals unten in Dallas. Oft hörte er sie mitten in der Nacht. Sie riß ihn aus dem Schlaf und ließ ihn aufrecht im Bett sitzen. Dann dachte er an die Augen des Georgiers, deren eisigen Blick er nie hatte vergessen können.

»Puste dich nicht auf, Brother«, geiferte Gibson. »Du bist umstellt. Wir sind zu zehnt. Ja, mit mir sind es sogar elf Mann. Du hast keine Chance.«

Da richtete sich der Spieler hinter der Tonne auf, blieb aber auf dem Vorbau stehen. Er verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich gegen die hölzerne Wand des Butcher Shops.

»Weißt du, Gibson, wenn ich die Leute, denen irgend etwas an mir nicht gefällt, zusammenzählen würde, käme ich sicher auf eine halbe Armee. Deshalb habe ich mir das Zählen abgewöhnt.«

Gibson schluckte schwer, als er jetzt die Augen des Georgiers auf sich gerichtet fühlte.

Ich muß sofort handeln! zuckte es durch sein Hirn. Lange kann ich diesem Blick nicht standhalten.

»Kommen Sie runter auf die Straße«, preßte er heiser durch die Kehle.

Was will ich denn, suchte er einen klaren Gedanken zu fassen. Doch nicht einen Gunfight mit Doc Holliday? Dann bin ich verloren. Immerhin überschätzte der Schießer sich nicht. Gegen den Doc hatte er keine Chance, das wußte er genau.

Also durfte er sich nicht auf einen Revolverkampf mit ihm einlassen.

Aber konnte er auf Averhof und Cadd bauen? Das war eine große Frage. Eine gefährliche Frage.

Doc Holliday blieb oben auf dem Vorbau und fixierte ihn scharf.

»Was wünschen Sie denn, Gibson? Wollen Sie sich mit mir schießen?« fragte er plötzlich.

Gibson zuckte zusammen wie unter einem elektrischen Schlag.

Nein, auf keinen Fall wollte er das.

Und jetzt machte er einen Fehler, einen großen Fehler. Er drehte sich um und suchte mit den Augen die Fenster des Saloons, hinter denen er Cadd und Averhof wußte.

Die beiden waren nicht zu sehen.

Bedeutete das, daß sie auf ihrem Posten waren, daß sie ihm den Rücken deckten? Daß sie also schon da waren?

Es war nur ein kurzer Augenblick, in dem er den Kopf gewandt hatte, aber als er ihn wieder nach vorn nahm, sah er, daß Doc Holliday seinen Platz an der Hauswand verlassen hatte. Er lehnte jetzt vorn an einem der Vorbaupfeiler.

Gibson schluckte wieder. Er lehnt an einem Vorbaupfeiler! Habe ich das nicht schon gelesen? Schon hundertmal gelesen in gelben Gazetten des Westens: »Der Marshal stand im Gunfight mitten auf der Straße, und oben auf dem Vorbau lehnte Doc Holliday an einem Vorbaupfeiler…

Ja, er wußte genau, daß er es schon oft so gelesen hatte. Gelesen und gehört!

Der Marshal! Wo war er? Steckte er etwa irgendwo in seinem Rücken, oder drüben auf der anderen Vorbauseite? Gehetzt sah sich der texanische Schießer nach allen Seiten um.

Da brach oben vom Vorbau die klirrende Lache des Georgiers an sein Ohr. Es klang wie splitterndes Glas.

»Sie sind nicht nur heiser, Gibson, sie sind auch verdammt nervös.«

Der Gambler stieß sich von dem Pfeiler ab und stieg die Treppe langsam herunter auf die Straße. Mit weiten federnden Schritten, die so typisch für ihn waren, überquerte er die Straße, und zwar ging er so dicht an Gibson vorbei, daß der Bandit unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

Als Gibson wieder einigermaßen zu sich kam, hatte Doc Holliday schon drüben den Vorbau erreicht und verschwand eben im Eingang der Schenke, in der Gibson bis jetzt gesessen hatte.

»Hell and devils!« entfuhr es dem Coltman. Es war ihm, als habe ihn eben ein eisiger Schicksalswind gestreift.

Und dabei war doch nur ein Fremder vorübergegangen.

Ein Fremder? Nein! Nicht irgendeiner. Der König der Gunfighter John Henry Holliday!

Der Mann, der jeder Revolverschütze des Westens zu fürchten hatte wie den Teufel.

Gibsons Nervenkraft war völlig erschöpft.

Er ging mit schleppendem Schritt auf die andere Straßenseite hinüber und verschwand in der Schenke, in der Cadd und Averhof postiert waren.

Die beiden standen unweit vom Fenster, aber doch so, daß man sie von außen nicht sehen konnte.

Als jetzt die Tür in ihren Angeln quietschte, fuhren sie herum und griffen nach ihren Revolvern.

Die schlechte Nervenverfassung der beiden gab Gibson wieder Aufwind.

»He, was ist denn mit euch los? Was steht ihr da herum! Habt ihr den Burschen eben gesehen?«

»Ja«, stotterte Cadd. »Es ist Doc Holliday.«

Sie kennen ihn also, überlegte Gibson, vielleicht ist es möglich, einen jetzt nach vorn zu schicken.

»He, Cadd, du hast doch so ein großes Maul und bist so ein schneller Mann. Du wirst jetzt hinübergehen und ihn auf die Straße rufen.«

»Ich?« Cadds Unterkiefer begann zu zittern. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Mr. Gibson!« In dem kalkigen Gesicht des Revolverschwingers brannten hektische Flecken.

»Doch, Cadd, das ist mein Ernst. Los, du gehst auf die Straße und lotst ihn heraus.«

»Wie soll ich das anstellen?«

Mit dem Kinn deutete der Schießer auf Averhof.

»Er wird dir dabei helfen.«

»Ich?« entfuhr es Averhof entgeistert. »Wie komme ich denn dazu? Was habe ich mit dem Kerl zu tun?«

»Was du mit ihm zu tun hast, das werde ich dir jetzt gleich erklären. Er ist Doc Holliday! Verstehst du? Und wo er ist, da ist auch der große Wyatt Earp. Ich nehme doch an, daß du nicht so blöd bist, das nicht zu begreifen. Wyatt Earp ist der Feind Nummer eins unserer Crew. Er befindet sich in der Stadt!«

Gibson hatte immer schneller und erregter gesprochen und die beiden damit unwillkürlich in den Strudel seiner großen Unruhe gezerrt.

»Jawohl, Wyatt Earp ist in der Stadt. Ich denke, daß ich dazu nichts mehr zu sagen brauche. Es hat jeder sein Äußerstes zu geben. Jeder ist in größter Gefahr, und damit die Crew! Ihr habt die Pflicht, sofort zu handeln. Und zwar genau zu tun, was ich euch sage.«

Die beiden Graugesichter standen wie begossene Hunde da. Cadd griff in die Tasche und nahm das graue Gesichtstuch hervor.

»Was willst du damit?« herrschte ihn der Schießer an.

»Damit…?« stotterte Cadd. »Ich weiß es nicht, ich…«

»Mann, behalt deine Nerven! Du wirst sie in dieser Stunde mehr denn je gebrauchen. Da drüben in der Schenke ist Doc Holliday. Ihr werdet ihn hinaus auf die Straße lotsen. Und dann erledigen wir ihn. Wenn er erledigt ist, zählt der Marshal nur noch halb so viel!«

Eine seltsame Veränderung war mit Averhof vor sich gegangen. Sein Gesicht hatte jetzt tatsächlich eine graugrüne Farbe angenommen. Mit seinen Blicken sah er auf den schmutzigen Fußboden, der mit Zigarettenresten und Papierschnitzeln bedeckt war und ganz sicher seit Wochen nicht mehr gereinigt worden war.

»Wyatt Earp… Nein, nein…, nicht gegen Wyatt Earp!« stotterte er fast tonlos.

Gibsons Hände begannen leise zu zittern.

Dann schrie er plötzlich los: »Du feiger Hund! Du elender Kojote! Ich werde es dir geben!« Er stürzte ihm entgegen und riß den Revolver aus dem Halfter.

»Los, du hast die Wahl, Averhof. Entweder du gehst hinaus oder ich knalle dich nieder. Du weißt, daß der Boß keinen Feigling in unseren Reihen duldet!«

Der kleine kahlköpfige Mann hinter dem Schanktisch, der ohnehin nur seine einsfünfundfünfzig maß, war mit jedem Wort, das in diesen Minuten hier im Schankraum gesprochen worden war, kleiner geworden. Zusammengekauert wie ein Gnom hing er jetzt hinter der Theke und starrte auf Gibsons schmalen Rücken.

Als Averhof und Cadd vorhin seine Schenke betreten hatten, waren sie ihm schon reichlich unheimlich vorgekommen. Aber nun waren alle Zweifel behoben: Es waren Verbrecher. Die Tatsache, daß sie gegen Wyatt Earp kämpfen wollten, verriet eindeutig die Banditen. Vielleicht sogar die Galgenmänner!

Aber der kleine Wirt war nicht in der Lage, irgend etwas zu tun. Dabei hätte er es nötig gehabt, etwas Gutes zu tun. Seit er vor einem Dreivierteljahr versucht hatte, den Sheriff Marove im Pokerspiel um eine große Summe zu betrügen, stand es nicht allzu gut um ihn in der Stadt. Wie, wenn er jetzt die Kraft aufbrächte, Wyatt Earp zu warnen?

Aber wo war der Marshal? Wo konnte er ihn finden? Earp konnte hier in jedem Haus sein!

Der gnomenhafte Jerry Coleman zuckte plötzlich hinter der Theke zurück und kroch auf Händen und Füßen zur offenstehenden Tür hinter der Theke, die in den Flur hinausführte.

Es gelang ihm, unbemerkt den Schankraum zu verlassen.

Er richtete sich auf, lauschte einen Augenblick und hastete dann der Hoftür entgegen.

In dem Augenblick, als er sie aufstieß, brüllte in dem Flur ein Schuß hinter ihm her, traf ihn oben rechts in der Schulter und stieß ihn über die Hoftreppe hinaus ins Freie.

Mit wutverzerrtem Gesicht stand in der Flurtür hinter der Theke der Revolvermann Rob Gibson.

Im allerletzten Augenblick hatte er das plötzliche Verschwinden des Salooners bemerkt, war über die Theke gejumpt und in dem Moment an der Flurtür erschienen, als Coleman in den Hof laufen wollte.

Gibson wandte sich um. Die beiden anderen standen wie angewachsen da.

»Was ist los mit euch? Wollt ihr euch bewegen oder nicht?« Er hatte den rauchenden Colt noch in der Hand.

Cadd, der wegen Postraubes dreieinhalb Jahre in Kansas City im Zuchthaus gesessen hatte, sog die Luft geräuschvoll durch die Nase ein.

»Du bist wahnsinnig, Gibson. Weshalb hast du auf den Mann geschossen?«

Gibsons Augen wurden spalteng. Langsam wie ein Tier kam er, nur auf den Außenkanten seiner Sohlen gehend, auf Cadd zu. Er öffnete kaum die Lippen, als er zischte: »Du armseliges Dreckstück! Hast du noch nicht bemerkt, was sich hier tut? Du feige Hyäne, du bist untauglich für unsere Crew!«

Er zog den Stecher durch – aber der Schuß, der jetzt fiel, kam nicht aus seinem Revolver.

Er peitschte von links vom Eingang her quer durch den Schankraum und stieß dem Texaner die Waffe aus der Hand.

Neben der Portiere, vor der noch nicht geschlossenen Tür, stand hochaufgerichtet der Spieler.

Schwarz war sein Hut, schwarz sein eleganter Anzug, blütenweiß sein Hemd und schwarz die sauber gebundene Halsschleife. Er hatte in jeder seiner vorgestreckten Fäuste einen seiner vernickelten Frontier-Revolver.

Aus dem Revolverlauf in seiner Rechten züngelte ein kräuselnder Rauchfaden hoch.

Gibson starrte auf den Blutstreifen auf seiner Hand.

Da flog sein Kopf herum. »Holliday! Was fällt Ihnen ein! Das werden Sie mir büßen? Was habe ich Ihnen getan? Wie kommen Sie dazu, hier einzugreifen? Ich habe mit diesen Männern eine Unterhaltung…«

»Ja, ich habe deine Unterhaltung gehört, Gibson. Draußen im Flur mit dem Salooner und die jetzt hier. Ich habe hinter der Portiere gestanden. Du hast nämlich vergessen, die Tür zu schließen. Los, nimm die Hände hoch.«

Er hatte es ohne jede Lautstärke gesagt. Aber der drohende Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar.

Robert Gibson nahm langsam die Hände bis in Schulterhöhe hoch. Und für Averhof und Cadd bedurfte es keiner besonderen Aufforderung.

Gibsons Hand war von dem Geschoß nur gestreift worden. Dennoch verzog der Schießer das Gesicht, als habe er eine schwere Verletzung erlitten.

»Was bilden Sie sich ein, Holliday? Glauben Sie etwa, daß Sie hier irgend etwas ausrichten können? Die Stadt ist von uns besetzt. Wenn ich will…«

»Es interessiert mich nicht, was du willst«, entgegnete der Spieler kalt. »Laß deine Hände oben, Mensch.«

Holliday trat an ihn heran und zog ihm den anderen Revolver aus dem Halfter. Mit der gleichen Geschwindigkeit entwaffnete er auch die beiden anderen.

»Los, geht da hinten in die Ecke.«

Die drei Graugesichter trotteten in die hintere Ecke des Saloons.

»Umdrehen, die Gesichter zur Wand!«

Jetzt war auch Gibsons Widerstand gebrochen. Er wagte es nicht, dem Befehl des Georgiers zuwider zu handeln.

Vier Schüsse waren im Casa Grande gefallen. Die ersten beiden hatte der Bandit Egon Jackfink abgegeben. Mit dem dritten hatte der Revolverschwinger Rob Gibson den Salooner niedergeschossen. Der vierte war aus einem der Revolver Doc Hollidays gekommen und hatte Gibson die Waffe aus der Hand gestoßen. Alles hatte sich rasend schnell abgespielt, vom ersten bis zum vierten Schuß waren nur wenige Minuten vergangen.

Frederic Capite war eben aus dem Fenster gestiegen und hatte versucht, durch die Wagenklappe auf die Straße zu blicken. Aber blitzartig hatte er den Kopf wieder zurückgezogen, da er Gibson auf der Straße hatte stehen sehen.

Nicht, daß er allzu großen Respekt vor diesem Mann gehabt hätte, aber er hatte sich an die Anweisungen zu halten. Und die Anweisung für ihn hieß: Das Geld aus der Bank zu holen. Das hatte er noch nicht erreicht.

Geduckt blieb er vor der Wagenklappe hocken und lauschte auf die Straße hinaus.

Wyatt Earp war bereits im Hof und stand an der Hausecke. Sofort hatte er den am Boden knienden Mann vor der Wagenklappe entdeckt.

Wyatt hatte den schweren sechskantigen Buntline Special in der Linken. Er wollte gerade den Hahn spannen, als er bemerkte, daß eines der Fenster im Untergeschoß der Bank offen stand.

Aus diesem Fenster drangen die Stimmen mehrerer Männer. Und dann kam ein Wortfetzen, der Earp innehalten ließ:

»… sonst knalle ich dich nieder!«

Es stand für den Marshal nun fest, daß die Banditen tatsächlich bereits im Bankhaus waren.

Tief duckte er sich nieder und kroch unter dem Fenster vorwärts.

Draußen auf der Straße war jetzt die krächzende, nicht deutlich verständliche Stimme des Revolverschwingers zu hören.

Wyatt war bis auf anderthalb Schritt an Capite herangekommen, der doch etwas gehört hatte.

Er wirbelte herum.

Aber in diesem Augenblick traf ihn schon die rechte Faust des Marshals und warf ihn betäubt zurück.

Wyatt schob ihm sein eigenes Halstuch zwischen die Zähne und fesselte ihn blitzschnell an Händen und Füßen, zog ihn hinter den Wagen und ließ ihn da liegen.

Dann kroch er zum Fenster zurück und lauschte.

Mit einem wilden, gierigen Blick hatte sich der Verbrecher Ben Ferguson auf die Tresorschlüssel gestürzt und lief auf die schweren eisernen Geldschränke zu.

Der erste Schlüssel paßte nicht. Aber der zweite. Die Schranktür sprang auf.

Der Bandit stieß einen heiseren Jubelschrei aus.

»He, Hacatt, was sagst du jetzt, das ganze Ding ist voll.«

Er schob den anderen Schlüssel in den zweiten Schrank. Auch der war fast bis zur Hälfte mit Geldscheinen gefüllt.

Todesbleich stand der Bankier da und starrte verbittert vor sich hin.

Joe Hacatt zog zwei Ledersäcke unter seiner Jacke hervor und begann mit dem Einsammeln.

Ferguson nahm den zweiten Sack und ging an den anderen Schrank.

In ihrer Hast und Gier bemerkten die beiden Banditen nicht, daß sich vorn am Fenster ein Schatten hochzog.

Entgeistert starrte Cornfelder auf den Mann, der jetzt auf die Fensterbank kroch. Er sah, daß der Fremde den Zeigefinger der Rechten auf den Mund legte.

Das Herz des Bankiers schlug zum Zerspringen.

Wer war dieser Mann? Wie kam er hierher? Wenn er nicht zu den Banditen gehörte, wieso kam er dann durchs Fenster?

Wyatt Earp war mit einem federnden Sprung in den Raum gekommen.

Wie auf ein stummes Kommando wirbelten die beiden Banditen herum. Aber zu spät griffen sie nach ihren Waffen.

Der Missourier hielt ihnen schon den großen Revolver entgegen.

»Hände hoch, Boys!«

Ferguson schob den Unterkiefer vor.

»Wer ist das?« krächzte er. »Ich habe das Gesicht schon gesehen!« Er legte den Kopf auf die Seite und fixierte den Missourier forschend. Plötzlich stieß er heiser hervor: »Wyatt Earp! Goddam bloody!«

Das Gesicht des Marshals blieb unbewegt.

»Laß die Hände trotzdem oben, Bandit!«

Jetzt hatten die beiden die Hände erhoben. Die halbgefüllten Stücke mit den Dollarbündeln lagen vor ihren Füßen.

Einer vor dem rechten Fuß Fergusons. Unendlich vorsichtig schob der Verbrecher seine rechte Stiefelspitze unter den Sack – um das Bein plötzlich hochzureißen und dem Marshal den halbgefüllten Geldsack entgegenzuschleudern.

Aber er hatte sich in dem Reaktionsvermögen des Missouriers verschätzt.

Gedankenschnell hatte sich Wyatt bei einer Körpertäuschung zur Seite bewegt und war zwischen den beiden Banditen.

Hacatt fing einen Faustschlag ein und Ferguson einen Hieb mit dem Revolverlauf.

Beide taumelten zur Seite. Aber während Hacatt am Boden kniete wie ein ausgewählter Boxer, kam Ferguson rasch wieder auf die Beine und warf sich mit vorgestrecktem Kopf dem Missourier in die Flanke.

Auch diesmal hatte der Desperado kein Glück.

Wyatt ließ einen knackenden Handkantenschlag auf ihn niedersausen, der Fergusons rechte Schulter und seinen rechten Arm völlig lähmte.

Ferguson torkelte zur Seite und stieß einen Fluch aus.

Der Marshal hatte sie beide entwaffnet und dirigierte sie in die andere Ecke des Zimmers.

»Wenn ich nicht irre«, sprach er den Bankier an, ohne die Augen von den Banditen zu lassen, »sind Sie Mr. Cornfelder?«

Der Bankier nickte. Er hatte seine Überraschung über das Auftauchen des Marshals noch nicht ganz überwunden. »Ja, Marshal, ich bin James Cornfelder…«

»All right, Mr. Cornfelder. Dann öffnen Sie jetzt bitte vorsichtig die Tür und sehen Sie nach, wie es im Schalterraum aussieht. Aber nehmen Sie vorsichtshalber einen dieser Revolver mit.«

Der Bankier handelte wie in Trance. Er packte einen der Revolver Fergusons, ließ die Trommel rotieren, setzte den rechten Daumen auf den Hahn. Dann ging er zur Tür und öffnete sie.

Vorn im Schalterraum standen seine Leute: Brinkman, Witkins, Matthisen, Horbace und Hastings.

Die fünf Männer starrten ihn an wie ein Gespenst. Und als sie den Revolver in seiner Hand sahen, fielen ihre Unterkiefer herunter.

Hastings wurde aschfahl. »Aber Mr. Cornfelder«, stotterte er. »Was hat das zu bedeuten, Mr. Cornfelder? Wir verstehen nichts.«

Der Bankier fühlte plötzlich eine Schwäche in seinen Beinen und mußte sich mit der Linken am Türrahmen stützen.

»Ein Überfall«, stotterte er nach Atem ringend. Dann überzog plötzlich eine fahlgrüne Blässe sein Gesicht. Der Revolver glitt aus seiner Hand und fiel polternd auf den Boden.

Cornfelder schwankte einen Schritt nach vorn und knickte dann ins linke Knie ein. Er versuchte, den Kopf noch einmal zu heben. Aber es gelang ihm nicht mehr. Er fiel wie ein gefällter Baum nach vorn in die Schalterhalle, nur wenige Schritte vor die Füße des alten Bureauvorstehers Brinkmann.

Entsetzt starrten die fünf Männer auf ihren Boß.

Es war Matthisen, der sich ein Herz faßte und vorlief. Er kniete neben Cornfelder nieder und wollte ihn auf den Rücken drehen.

»Um Himmels willen…, was ist… mit ihm?« stotterte er.

Er richtete sich wieder auf und sah durch die halboffene Tür in den Bureauraum.

»Banditen!« entfuhr es ihm. »Banditen! Hilfe…«

Er lief einige Schritte vorwärts.

»Kommen Sie her!« rief ihm der Marshal zu.

Matthisen gehorchte. Irgend etwas zwang ihn dazu.

»Mein Name ist Earp. Ich bin erst vor drei Minuten hier ins Fenster gestiegen. Drei Männer habe ich dingfest gemacht. Kommen Sie, Sie können mir helfen, sie irgendwo einzusperren. Haben Sie hier einen sicheren Raum?«

Matthisen schien alles andere vergessen zu haben. Er nickte. »Ja, hinten im Hof. Es ist ein fest verschlossener Raum, in dem häufig während der Abwesenheit des Sheriffs, das Geld eingeschlossen wird. Es ist unmöglich, von dort zu entkommen.«

Die Aktion schien dringend genug, als daß sich Matthisen nicht um seinen Chef kümmerte.

Um Cornfelder waren ja die anderen Angestellten bemüht. Auch dem Marshal schien die Ansammlung nicht weiter wichtig zu sein.

Die drei Verbrecher wurden in diesen Raum eingesperrt.

Für Hacatt, Ferguson und Ferderic Capite war der große Coup von Casa Grande zunächst beendet.

Als Wyatt mit Matthisen wieder zurück in den Schalterraum kam, standen die vier anderen Männer noch immer um den Bankier herum.

»Um Gottes willen, was ist mit dem Boß«, rief Brinkman den beiden entgegen.

Wyatt Earp warf einen kurzen Blick in das fahle Gesicht des Bankiers.

»Er ist tot«, sagte er leise.

Brinkman stand fassungslos da. Dann brach er in die Knie und ergriff die reglosen Hände seines Herrn.

»Tot«, keuchte er. »Heute an seinem Geburtstag! Nein, das kann nicht sein… Wer soll es seiner Frau sagen?« Der Alte sah sich um und blickte die anderen an. »Watkins, was sagen Sie? Sagen Sie doch etwas. Hastings…«

Auch die anderen Mitarbeiter der Arizona-Bank waren so erschüttert, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochten.

Da fiel wieder ein Schuß.

Und gleich darauf noch einer.

Die letzte Waffe erkannte der Marshal sofort am Klang. Es war einer der Sixguns des Georgiers.

Die beiden O’Keefes, die am Ortseingang auf ihren Posten gestanden hatten, waren durch den Anblick der beiden Dodger so verstört, daß sie im Augenblick nicht wußten, was sie tun sollten.

Dann meinte Frank, der ältere, flüsternd zu seinem Bruder:

»Wir müssen Gibson warnen!«

»Du hast gut reden! Glaubst du, ich bin lebensmüde? Wenn wir Gibson warnen wollen, müßten wir durch die Mainstreet zur Schenke laufen, in der er hockt. Nein, nein, das kannst du alleine machen.«

Frank kaute eine Weile auf seiner Unterlippe herum. Dann stieß er knirschend hervor: »Wir müssen es tun, verdammt noch mal! Sie bringen uns sonst um. Du kennst sie doch! Du weißt doch, wie der Boß jemanden bestraft, der nicht getan hat, was befohlen worden ist.«

Jesse wußte es und überlegte von neuem.

Schließlich kam er zu dem Schluß: »All right, das ist wirklich auch lebensgefährlich. Also müssen wir versuchen, die Schenke von der anderen Seite zu erreichen.«

Aber die beiden ließen sich noch eine ganze Weile Zeit, ehe sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzten. Getreu dem Motto: nur nichts übereilen!

Dann schlichen sie geduckt hinter Gartenzäunen und niedrigem Mauerwerk entlang, bis sie glaubten, den Hof der Schenke erreicht zu haben.

Frank schwang sich über eine Mauer und lief nur eine halbe Minute später über den gleichen Hof, den der Marshal gerade von der anderen Seite her passiert hatte.

Frank O’Keefe blickte zur Hoftür hinauf und sah, daß sie nicht geschlossen war.

Rasch war er im Flur. Der Geruch, der ihm entgegenschlug, sagte ihm, daß er sich nicht getäuscht hatte. Er befand sich in der Bar, in der Gibson Posten bezogen hatte.

Die Tür zum Schankraum stand einen Spaltbreit offen. Der Bandit blickte hindurch und sah, daß Gibson nicht im Raum war.

Rasch kehrte er ungesehen zu seinem Bruder zurück.

»Was jetzt?« fragte er.

Jesse hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen und gab sich Mühe mit dem Nachdenken. Aber er kam zu keinem Ergebnis.

Frank hatte das erwartet. »Dir fällt auch niemals etwas ein«, krächzte er.

Jesse senkte den Kopf und tat, als sinne er weiter nach.

Da erspähte Frank über einen Gartenzaun an der Hoftür eines anderen Hauses eine hübsche junge Frau. Es war Judy Harrison.

Der Bandit stieß einen leisen Pfiff durch eine Zahnlücke.

»He, Jesse, sieh dir das an!«

Die beiden stierten zu der Frau hinüber.

Jesse krächzte: »Mensch, das wäre ein Braten…«

»Was heißt, das wäre?« versetzte Frank. »Es ist! Komm!«

Diese billigen Banditen schienen beim Anblick einer ungeschützten hübschen Frau ihren Auftrag und ihre gefährliche Situation vergessen zu haben. Geduckt krochen sie zu dem Zaun. Als die Frau sich umwandte und ins Haus zurückging, schwangen sich die beiden Banditen hinüber, liefen durch den Hof und betraten das Haus durch die Hintertür, die sie allerdings nicht hinter sich schlossen.

Judy Harrison stand vorn im Wohnzimmer, das gleich neben dem Laden zur Straße hinaus lag. Sie hatte die Tür offen stehen und stand am Fenster, von wo aus sie die Vorgänge auf der Straße beobachten konnte.

Plötzlich vernahm sie ein leises Geräusch hinter sich an der Tür, fuhr herum und blickte entgeistert auf die beiden bärtigen Gestalten, die sie brutal anstierten.

Sie war unfähig, sich zu bewegen.

Die beiden hatten ihre Revolver in den Fäusten.

»Keinen Laut gibst du von dir«, preßte Frank O’Keefe heiser durch die Zähne.

Jude Harrison wäre dazu auch gar nicht in der Lage gewesen. Eisiger Schrecken hatte ihr Herz wie mit Stahlklammern umspannt.

Die beiden Verbrecher traten auf sie zu. Während Jesse ihr den Mund zuhielt, riß Frank eine Gardinenschnur herunter und band der Überfallenen damit die Hände.

Judy Harrison war einer Ohnmacht nahe.

Dicht vor ihr stand der siebenundvierzigjährige Bandit Jesse Daniel O’Keefe und blickte sie schmierig-lächelnd an.

Sein Bruder Frank war ans Fenster getreten und blickte vorsichtig durch die Gardinen hinaus.

»Damned, Doc Holliday, da drüben ist er in die Scheune getreten.«

Gleich darauf fiel ein Revolverschuß.

Die beiden O’Keefes zuckten zusammen.

Jesse aber blieb bei der Frau stehen und hatte seine schmutzige, haarige linke Hand um ihren Oberarm gespannt.

»Was wird mit ihr?«

»Ich weiß es nicht. Wir müssen verschwinden. Hier wird’s gefährlich.«

»Aber, was wird mit ihr?«

»Was soll mit ihr werden? Ich weiß es nicht.«

Frank wandte sich um, ging hinüber in den Laden und räumte die Kasse aus. Als er zurückkam, stand sein Bruder Jesse immer noch neben der Frau.

»Was wird nun mit ihr?« wiederholte er mit flackernden Augen.

Frank fuhr sich mit dem kleinen Finger der linken Hand über die Unterlippe und grinste böse. »Warte, ich werde noch einmal die Lage sondieren.«

Er trat ans Fenster und blickte noch einmal auf die Straße.

»He, Wyatt Earp. Er geht auf den Wagen zu, in dem Jackfink steckt.«

Jesse O’Keefe hatte keine Ohren für die Worte seines Bruders. Ganz nahe stand er vor der Frau, und sein vom Whisky und Kautabak vergifteter Atem schlug der Unglücklichen wie eine Flamme entgegen…

Der kleine Billy Ovarim hatte es nicht lange in dem Haus des Reverenden ausgehalten, in das ihn der Marshal geschickt hatte. Er war durch den Garten davongelaufen, um zur Bank zurückzukehren. Als er am Garten Judy Harrisons vorbeikam, blieb er stehen.

Er kannte die junge Frau gut, weil sie mit seiner Mutter befreundet war.

Vielleicht kann ich bei ihr einmal einen Blick auf die Straße tun, überlegte er, jumpte über den Zaun in den Garten, und als er auf der Steintreppe stand, sah er durch die Hoftür die Wohnzimmertür offen stehen.

Und durch die Tür sah er die beiden Banditen!

Der Junge grub vor Verzweiflung die Schneidezähne in die Unterlippe.

Dann zuckte seine Hand in die Jacke, riß die Schleuder heraus und nahm einen der Steine, von denen er stets mehrere bei sich hatte, aus der Tasche, setzte ihn auf das Leder und spannte die starken Gummizüge an.

Das Geschoß zirrte durch den Gang und traf Frank O’Keefe am Hinterkopf.

Der Bandit zuckte zusammen, taumelte vorwärts und schwankte halb betäubt gegen die Gardine, dann prallte er mit dem Schädel gegen das Fenster.

Berstend zersprang das Glas, und die Trümmer zerstoben draußen auf dem Vorbau klirrend in winzige Scherben.

Der kleine Billy Ovarim war so erschrocken über die Wirkung seines Davidgeschosses, daß er vor Schrecken gar nicht dazu kam, auf Jesse O’Keefe zu achten.

Der hatte die Frau losgelassen und stieß die Hand zum Revolver.

Judy Harrison hatte ihren kleinen Retter gesehen – und sah jetzt auch, daß er in allerhöchster Gefahr schwebte.

Mutig riß sie das rechte Bein hoch und stieß es dem Verbrecher mit der Kraft der Verzweiflung ins Kreuz.

O’Keefe stolperte nach vorn und stürzte über einen Schemel zu Boden.

Dies nutzte Billy sofort aus, indem er vorwärts rannte und durch die Tür auf die Straße rannte.

»Marshal!« schrie er.

Aber Wyatt Earp, der eben Jackfink aus dem Planwagen geholt hatte, war durch das Bersten der Fensterscheibe bereits auf die Banditen aufmerksam geworden und stand schon neben der Tür.

Als Jesse O’Keefe aufsprang, war es schon zu spät.

Wyatt Earp stand schon im Korridor.

»Heb die Hände hoch, Bandit!«

Der Galgenmann nahm seine Arme in Schulterhöhe.

Wyatt nahm ihm den Revolver ab und zerrte seinen Bruder, der noch in der Scheibe hing, zurück in den Raum. Dann schob er die beiden durch die Hintertür hinaus auf die Quergasse.

Wenige Minuten später saßen sie bei Hacatt, Ferguson und Capite in dem Sicherheitsraum der Bank.

Doc Holliday hatte Gibson, Averhof und Cadd vor sich stehen, als die Frau des Wirtes den Saloon betrat.

»Um Himmels willen, was ist geschehen!«

Holliday deutete mit dem Kopf auf eine Bodenklappe vor dem Orchestrion.

»Kommen Sie, Madam, Sie müssen mir helfen. Heben Sie die Klappe da an.«

Zitternd gehorchte die Frau, packte den Bodenring und zog die schwere Falltür vor dem Orchestrion hoch.

Wie viele Schenken des Westens, so hatte auch dieser Saloon im Keller einen Kühlraum, in dem an heißen Sommertagen die Getränke aufbewahrt wurden. Es war zwar sehr klein und nur etwa zwei Meter tief, aber er genügte, um die drei Banditen eine Zeitlang sicherzustellen.

»Los, da runter!« befahl der Georgier.

Averhof und Cadd gehorchten sofort, aber Gibson blieb stehen.

»Sie bringen mich nicht in dieses Kellerloch, Holliday!« schnarrte er.

»Ich warte genau fünf Sekunden, Gibson«, entgegnete der Spieler schroff. »Wenn du dann nicht unten bei deinen Freunden bist, fliegst du hinunter. Das wird wesentlich unangenehmer.«

Die Eiseskälte in den Augen des Georgiers veranlaßte den Schießer nun doch, dem Befehl Folge zu leisten. Er kletterte mit verzerrtem Gesicht in die Grube.

Holliday warf die schwere Klappe zu und schob mit Hilfe der Saloonerin das Orchestrion darüber, so daß es den drei Galgenmännern unmöglich war, auszubrechen.

Holliday lief sofort in den Hof und beugte sich über den niedergeschossenen Wirt.

Der hatte sich auf die Knie erhoben.

»Ich bin verloren«, keuchte er, »verloren! Er hat mich erschossen, erschossen…«

»Reden Sie doch keinen Unsinn! Sie sind verwundet. Das ist alles. Ein Steckschuß rechts oben in der Schulter. Wenn’s weiter nichts ist, können Sie zufrieden sein.«

»Was? Zufrieden sein? Sie haben gut reden! Ich wollte den Marshal warnen.«

»Das war anständig von Ihnen. Die Banditen werden den Schuß bezahlen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Aber… die Kugel«, stammelte der Wirt, »ich werde daran sterben!«

»Nein, nein, ganz bestimmt nicht. Vorher hole ich sie Ihnen heraus.«

»Vorher…?« Der Salooner zog die Brauen zusammen. »Herausholen? Wie? Können Sie denn so etwas?«

»Ich hoffe ja.«

Holliday machte nicht viel Worte, sondern schleppte den Salooner in einen Nebenraum der Schenke, während seine Frau heißes Wasser bereitete.

Als drüben in Judy Harrisons Haus die Scheibe zertrümmerte, hatte Holliday sofort seine Revolver in den Fäusten und erschien vorn in der Tür.

Da kam der kleine Billy Overim auf ihn zugelaufen.

»Es ist alles in Ordnung, Mr. Holliday. Der Marshal hat die beiden Burschen schon überwältigt. Nur Miß Harrison…«

»Was ist mit ihr?«

»Sie ist gefesselt und geknebelt.«

»Na und, weshalb befreist du sie nicht?«

»Ich…, vielleicht lacht sie mich aus, weil… Ich habe ihr einmal gesagt, daß ich sie liebe.«

Der Junge wurde puterrot und senkte den Kopf. Aber dann mußte er plötzlich lachen. »Aber das ist schon lange her, damals war ich noch zwölf!«

Holliday fuhr ihm durch den Wuschelkopf und schickte ihn los.

»Vorwärts, sei ein Gentleman und befreie sie. Sie wird dir bestimmt dankbar sein.«

»Glauben Sie?«

Der Spieler nickte. »Ganz bestimmt. Und jetzt beeil dich.«

Der Boy wetzte über die Straße. Als er in das Wohnzimmer trat, stand Judy Harrison immer noch an dem zertrümmerten Fenster.

Betreten blieb Bill an der Tür stehen.

»Miß Judy…«, stammelte er. »Es ist so… Der Marshal ist ja noch nicht dazu gekommen, Sie loszuschneiden… Wenn… Also, ich habe hier ein Messer; wenn Sie erlauben…«

Die Frau schickte einen flehentlichen Blick zum Himmel.

Da trat der Kleine rasch auf sie zu und zog ihr das schmutzige Halstuch aus dem Mund, das ihr der Bandit zwischen die Zähne gestopft hatte.

»Wollten Sie etwas sagen…, Miß Judith?« stotterte er.

»Ja, Billy, und zwar, daß ich dir von ganzem Herzen danken möchte für das, was du für mich getan hast.«

»Ich?« Die Augen des Jungen wurden groß und rund wie mexikanische Ohrringe.

»So, Bill, und jetzt wäre ich froh, wenn du dein Messer herausnimmst und die Stricke zerschneiden würdest, denn ich möchte mich gern bei dir bedanken.«

»Ja, möchten Sie das wirklich?«

»Ja, natürlich«, nickte sie, und die Tränen von dem überwundenen Schrecken standen ihr noch in den Augen.

Bill schnitt sie los, und gleich darauf beugte sich die hübsche Frau zu ihm nieder und küßte ihn auf beide Wangen.

Ganz taumelig war dem kleinen Burschen vor Freude. Dann wandte er sich um und lief mit puterrotem Kopf hinaus.

Doc Holliday hatte inzwischen von seinem Pferd die schwarze krokodillederne Instrumententasche geholt, die er seit Jahren auf all seinen Ritten mit sich führte.

Es war wieder einmal ein Kugelzug notwendig.

Die Operation war nicht allzu schwierig und auch nicht allzu gefährlich, da die Kugel oben rechts in der Schulter glücklicherweise nicht sehr tief saß.

Dennoch veranstaltete der Wirt ein Gezeter, als sollte der Arm amputiert werden.

Es ging alles sehr schnell.

Das Lederstück, das ihm der Gambler zwischen die Zähne geschoben hatte, damit er darauf beißen konnte, wollte der Wirt gar nicht wieder zurückgeben.

»Es gibt nichts mehr zu beißen, Salooner, es ist vorbei. Hier.« Holliday hielt ihm ein verformtes Bleistück vor die Nase. »Das war’s.«

Der Wirt schielte auf die Kugel.

»Geben Sie her. Ich muß sie aufheben. Ich werde sie unter ein Glas stellen und ein Schild davor machen: Diese Kugel war in meinem Rücken – Doc Holliday hat sie mir herausoperiert!«

»Das steigert todsicher Ihren Umsatz«, meinte der Gambler spöttisch.

Völlig ernsthaft entgegnete der Wirt: »Sie werden lachen, es steigert ihn sogar enorm. Es wird sich herumsprechen. Und die Leute werden von weither kommen, um das Geschoß zu besichtigen.« Spontan streckte er jetzt dem Georgier die Hand entgegen. »Doc Holliday, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Und jetzt die Rechnung. Was kostet die Behandlung?«

»Haben Sie einen anständigen Brandy im Haus?«

Der Wirt strahlte. »Und ob, Sie können sich darauf verlassen. Ich habe den besten Brandy weit und breit.«

Er rutschte von dem Tisch, wollte weitergehen, aber plötzlich wurde er blaß und knickte in die Knie ein.

Doc Holliday und die Saloonerin fingen ihn gemeinsam auf und setzten ihn in einen Stuhl.

Todesschrecken hatte die Frau erfaßt.

»Er wird sterben!« jammerte sie.

Der Georgier schob sich eine seiner langen russischen Zigaretten zwischen die Lippen und schüttelte gelassen den Kopf.

»Absicht nicht, Madam, er ist nur ein bißchen schwindelig geworden. Schließlich war es ja kein Zahnziehen. Er muß sich hinlegen. Den Brandy können auch Sie mir einschenken.«

Von den elf Galgenmännern, die die Bank von Casa Grande ausnehmen wollte, waren neun bereits dingfest gemacht.

Tony Marten und Willie Brand allein befanden sich noch auf freiem Fuß – und ahnten nichts von dem, was sich in der Stadt ereignet hatte.

Die beiden Verbrecher hockten draußen vor dem letzten Haus auf einer Vorbautreppe und vertrieben sich die Zeit mit dem Doublepoker.

Während der kleine Willie Brand den langen einfältigen Tony Marten über den Löffel halbierte, fielen in der Stadt die Schüsse.

»Was mag das sein?« meinte Marten.

»Was weiß denn ich. Wird schon nicht so schlimm sein.«

»Na hör mal«, gab der Lange zu bedenken, »schließlich stecken unsere Leute doch in der Stadt.«

»Na, glaubst du denn, das geht alles so reibungslos ab? Zwei, drei Leute werden dabei ausgelöscht.«

Der lange Marten befand sich noch nicht lange in der großen Crew der Graugesichter. Er war erst vor zwei Monaten von seinem Freund Willi Brand, mit dem zusammen er wegen schweren Diebstahls und Raubes zwei Jahre in Forth Worth gesessen hatte, für die Bande angeworben worden.

Auch solche Leute konnte der Big Boß gebrauchen, natürlich nur für ganz untergeordnete Aufgaben.

Der lange Marten hatte noch keinen Überfall mitmachen müssen. Die Gibson Crew war erst seit kurzer Zeit zusammengestellt und jetzt zu diesem Coup bestimmt worden.

Das, was er da hörte, gefiel ihm absolut nicht. Well, er war ein Bandit und sogar ein Räuber. Aber ein Mörder wollte er nicht sein. Und mit Mördern wollte er auch nichts zu tun haben.

Er hatte das Gesetz der Galgenmänner nicht begriffen.

Verblüfft starrte er jetzt seinen Partner an. »Sag mal, ist das denn notwendig?« krächzte er.

»Natürlich ist das notwendig. Glaubst du, die machen sich einen Kummer daraus, ein paar Leute niederzuschießen?«

»Aber, wenn wir geschnappt werden, kommen wir doch alle an den Galgen.«

»Rede keinen Blödsinn«, versuchte der Bandit ihn zu beschwichtigen.

»Blödsinn? Mensch, das ist doch kein Blödsinn«, meinte der Lange empört. So einfältig er auch war, an den Galgen wollte er nicht. »Denk doch bloß an die Sache in Tulsa. Wie war es da? Sieben Banditen haben eine Bank überfallen. Fünf davon standen Schmiere, zwei waren in der Bank. Einer von diesen schoß einen Kassierer nieder. Und was passierte? Alle sieben kamen an den Strick.«

»Ich weiß, ich weiß, so was soll’s geben.«

»Soll’s geben! Das ist doch überall das gleiche. Wenn sie hier einen von uns erwischen, dann sind wir alle dran.«

»Mensch, was willst du denn, wir sind zu elf Leuten hier. Bildest du dir ein, daß es in diesem Kaff Leute genug gibt, die gegen elf Reiter antreten wollen?«

Der Lange seufzte tief. Großes Unbehagen hatte ihn erfaßt. Nein, das hatte er sich nicht so vorgestellt. Und in seiner Einfalt ging er nun soweit, daß er erklärte:

»Ich werde nachsehen, was los ist.«

»Du wirst hierbleiben.« Der Kleine sprang auf und legte die Hand auf den Revolverkolben.

Da hob der Lange plötzlich den Arm und stieß ihn wie mit einem Rammpfahl zurück.

Brand stolperte über die Treppe, stürzte hin, und der Revolver fiel ihm aus dem Halfter.

Blitzschnell trat Marten nach der Waffe und beförderte sie weit unter den Vorbau.

»Hör zu, Kleiner, das Kommandieren ist vorbei. Wenn du dich jetzt nicht anständig benimmst, schlage ich dir die Nase ein, verstehst du?«

Brand starrte den Partner entgeistert an.

»Sag mal, bist du wahnsinnig? Weißt du, was du da tust? Wir sind Mitglieder der Galgenmänner, verstehst du?«

»Na und, das ist ein ganz lustiger Name. Ich will Geld verdienen, verstehst du, und das hast du mir versprochen. Aber ich will kein Mörder sein, und ich will vor allen Dingen nicht an den Strick. Los, komm mit, wir sehen nach, was los ist.«

Brand sprang auf, stand mit geballten Fäusten und gespreizten Beinen da, preßte die Zähne aufeinander und stieß rostig hervor:

»Mensch, Gibson knallt uns beide über den Haufen, du Idiot!«

»Er hat keinen Grund, auf uns zu schießen.«

»Du gibst ihm doch einen Grund, du hirnverbrannter Trottel.«

Ganz nahe trat der lange Marten an den kurzgeratenen Partner heran.

»Hör zu, Willie, wenn du jetzt noch ein einziges Wort sagst, das mir nicht gefällt, drücke ich dir die Nase in den Kopf hinein, verstehst du?«

In diesem Augenblick war wieder ein Schuß zu hören.

Marten warf den Kopf hoch.

»Mensch, haben sie da etwa wieder einen umgebracht?«

»Was weiß denn ich«, krächzte Brand. »Hätte ich dich Idiot bloß nicht zu der Crew geholt.«

»Ja, das hättest du vielleicht besser bleiben lassen. Du hast mir jedenfalls nicht erzählt, daß hier auch gemordet wird.«

»Gemordet, was sind das für hochtrabende Worte, Mensch! Wer fragt denn hier danach? Wir brauchen Geld. Oder willst du vielleicht verrecken?«

»Verrecken«, versetzte der Lange und lachte dümmlich. »Wieso, ich bin vorher auch nicht verreckt.«

»Nein, nein, aber erwischt worden bist du und nach Fort Worth gekommen.«

»Wie du.« Wieder lachte Marten einfältig.

Da stieß der kleine Willie Brand seine Hand blitzschnell vor und zog dem Partner den Revolver aus dem Halfter, spannte ihn sofort und richtete ihn auf Martens Brust.

»He«, entfuhr es dem, »was ist denn mit dir los?«

»Hör zu, Freund. Du setzt dich jetzt schön da auf die Treppe und rührst dich nicht. Das hier ist unser Posten, und da werden wir ausharren.«

»Ich denke nicht daran.«

In diesem Augenblick kam schräg gegenüber aus einer Quergasse ein Mann mit einem Stern. Er blickte zu den beiden hinüber und kam dann auf sie zu.

Es war Jonny Marlove, der Sheriff. Er war auf einer Farm am Stadtrand gewesen, als er die Schüsse gehört hatte.

»Was ist hier los? Habt ihr geschossen?«

Der kleine gerissene Willie Brand schüttelte den Kopf.

»Wir, geschossen? Wie kommen wir denn dazu, Sheriff?«

Marlove blickte die beiden Tramps mißtrauisch an.

»Los, kommt mit.«

»Mit?« fragte Brand. »Wohin denn?«

»Ins Office.«

»Was sollen wir denn da?«

»Ich muß feststellen, wer da geschossen hat. Ihr seid fremd hier – und verdächtig.«

»Verdächtig?«

Da hatte der kleine Galgenmann plötzlich den Revolver, den er Marten abgenommen und schon in das Halfter gesteckt hatte, wieder in der Hand.

Der Sheriff starrte fassungslos auf die Waffe.

»Mensch, was soll das bedeuten? Sie bedrohen mich mit einem Revolver? Sind Sie wahnsinnig?«

»Nein, Sheriff, ich bin absolut nicht wahnsinnig. Aber Sie haben Pech gehabt. Wer sich gegen die Graugesichter stellt, geht unter.«

Marlove wich einen Schritt zurück. Eine graugelbe Farbe hatte sein Gesicht überzogen.

»Grau… ge… gesichter«, stammelte er. »Was… soll… das heißen?«

Willie Brand spannte den Hahn. Eisige Härte stand in seinen Zügen. Dieser Mann war zum Mord entschlossen.

»Sie stören uns, Sheriff. Tut mir leid.«

Er stieß den Revolver vor.

Da aber versetzte ihm der lange Marten einen Stoß.

Brand stolperte. Der Schuß löste sich – und streifte nur den Jackenärmel des Sheriffs.

Der Revolver lag am Boden.

Marlove war wieder in Form. Er hatte sich sofort darauf geworfen und riß die Waffe an sich.

Aber Brand war schon wieder auf den Beinen und hechtete ihm nach.

Da aber hatte der lange Marten ihn gepackt, riß ihn mit der Linken zurück und versetzte ihm mit der Rechten eine so klatschende Ohrfeige, daß Willie zurück gegen die Treppe prallte.

Völlig entgeistert hockte der kleine Bandit am Boden und stierte seinen Partner fassungslos an. Jahrelang hatte er diesen langen, etwas muffigen Burschen für einen einfältigen Kerl gehalten. Und nun entpuppte der sich so! Aber warte, er würde es ihm heimzahlen.

»All right, Sheriff, ich habe Pech gehabt, weil mein Partner mir ins Kreuz gefallen ist. Aber es soll ihm nichts nützen, denn Sie müssen wissen, auch er ist ein Galgenmann!«

Marlove hatte den Revolver in der Hand. Die Augen des Sheriffs glitten forschend über die Bohnenstangengestalt des Antony Marten.

»Ist das wahr, was er da sagt?«

»Ja, Sheriff, leider ist das wahr. Aber ich wußte nicht, auf was ich mich da eingelassen habe. Ich gebe zu, daß ich kein unbeschriebenes Blatt bin. Ich habe hier und da ein paar Rinder verkauft, die nicht mir gehörten, habe da einen Getreidehändler übers Ohr gehauen oder ein paar Stoffballen vom Depot abgeladen, die mir nicht gehörten. Aber dafür habe ich zwei Jahre in Fort Worth abgesessen. Ich denke, das ist vorbei. Der Bursche wollte mich zu eine Crew holen, bei der ein paar Dollars gemacht werden könnten, wie er sagte. Aber jetzt sehe ich, wie sich die Sache entwickelt. Hier werden Leute umgebracht. Das ist nichts für Tony Marten. Wir waren gerade dabei, uns über die Sache auseinanderzusetzen, als Sie kamen. Sie sehen, ich hatte ihm schon eines versetzt. Sein Revolver liegt nämlich unter dem Vorbau. Den Sie da in der Hand haben, den hat er mir abgenommen.«

Wieder fiel unten in der Stadt ein Schuß.

Der Sheriff wandte keinen Blick von den beiden Banditen.

»Was passiert da unten?«

Die beiden schwiegen.

»Ein Glück, daß du jetzt dein Maul gehalten hast«, zischte Brand dem langen Marten von der Seite an.

»Was heißt, mein Maul gehalten haben? Was soll ich denn sagen? Er weiß doch, was los ist. Die Bank wird überfallen«, brach es jetzt aus Marten hervor. »Ich will nichts damit zu tun haben. Auf jeden Fall nicht mit den Toten, die da liegen.«

Der Sheriff überlegte fieberhaft, was er machen sollte.

Es war vielleicht Irrsinn, wenn er jetzt die Mainstreet mit den beiden Verbrechern hinunterging. Wenn es sich wirklich um die Galgenmänner handelte, war höchste Vorsicht geboten. Denn die Galgenmänner kamen immer in großer Zahl. Und sie pflegten sich doppelt gegen alles Unvorhergesehene abzusichern.

Aber Marlove hatte keine Wahl. Er mußte hinunter in die Stadt. Wenn die Bank überfallen wurde, war es seine Pflicht einzugreifen.

Jonny Marlove war neunundvierzig Jahre alt. Er hatte keinen Deputy und war bei Banditenüberfällen auf die Stadt viermal schwer verwundet worden.

Das hatte seinen einstigen Löwenmut gebrochen. Dennoch besaß er Ehre genug, den Kampf um das Gesetz nicht aufzugeben.

»Vorwärts, geht vor mir her. Drüben links auf dem Vorbau. Und ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich sofort schieße, wenn ihr einen Ausfall riskiert.«

Langsam gingen die drei Männer über die Vorbauten die Straße hinunter.

Etwa hundertfünfzig Meter vor der Bank ließ der Sheriff anhalten.

Da sah er plötzlich vorn aus der Bank einen Mann kommen. Verblüfft blickte er ihm entgegen.

Dieser Mann war groß, breitschultrig und hatte ein von Wind und Wetter tief gebräuntes Gesicht, das von einem tiefblauen Augenpaar beherrscht wurde. Er trug einen schwarzen breitrandigen Hut, eine enganliegende schwarze Lederhose und eine Lederjacke. Um die Hüften trug er einen breiten patronengespickten Waffengurt aus schwarzem Büffelleder, der an beiden Hüftseiten je einen schweren Revolver hielt.

Jonny Marlove hätte vor Überraschung fast einen Ruf ausgestoßen. Er kannte diesen Mann genau. Hatte der ihm doch vor zwei Jahren hier auf der Mainstreet von Casa Grande bei einem Banditenüberfall das Leben gerettet.

Wyatt Earp war in der Stadt! Der Lebensmut des Sheriffs, der seit Minuten bis fast an den Nullpunkt gesunken war, flammte wieder auf.

»Wyatt Earp«, rief er. »Welch eine Überraschung!«

Die beiden Banditen vor ihm zuckten zusammen wie unter Peitschenschlägen.

»Na, ihr Halunken, wie stehen die Chancen nun?« höhnte Marlove.

Der Missourier hatte die Straße überquert und begrüßte den Sheriff. »Da haben Sie ja den Rest des Vereins einkassiert.«

Wußte der Marshal etwa nicht, mit wem er es hier zu tun hatte? »Es sind Galgenmänner, Mr. Earp«, meinte der Sheriff erklären zu müssen.

Der Marshal nickte gelassen. »Ja, ja. Ich glaube, ich rieche es schon, wenn einer zu der Bande gehört.«

Sie hatten keinen Menschen niedergeschossen, die Galgenmänner – und doch hatte ihr Überfall auf die Arizona-Bank von Casa Grande einen Toten gefordert. Den Banker James Cornfelder. In der Morgenstunde des vierundfünfzigsten Geburtstages hatte er einen gewaltigen Schock erlitten, den er nicht zu überstehen vermocht hatte.

*

Die elf Galgenmänner saßen im Jail von Casa Grande.

Sheriff Marlove war stolz darauf, auch zwei von ihnen gestellt zu haben.

»Ich möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn Sie nicht in die Stadt gekommen wären, Mr. Earp«, meinte er.

Der Marshal stand an der Tür und blickte auf die Straße hinaus.

»Sie müssen sich eigentlich bei jemand anders bedanken«, sagte er.

Der Sheriff zog die Brauen hoch. »Bei Doc Holliday? Ich weiß, und ich habe es schon getan. Er ist drüben im Saloon und sieht noch einmal nach dem Wirt. Übrigens hat der sich auch großartig gehalten. Das wird ihm in der Stadt wieder zu neuem Ansehen verhelfen.«

»Nein, nein, ich meine nicht Doc Holliday«, entgegnete der Marshal und wies hinaus auf die Straße. »Ich meine den da.«

Der Sheriff blickte ihn verblüfft an.

Wyatt winkte ihm.

Marlove kam heran und sah über die Schulter des Marshals hinweg.

Drüben auf dem Vorbau der Bank saß ein Junge. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und weinte.

Es war der kleine Billy Ovarim. Der Tod des Bankiers hatte ihn tief ergriffen.

»Das ist doch Billy Ovarim«, meinte der Sheriff.

»Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich weiß nur, daß er uns vorne am Eingang der Stadt abgefangen und auf die Desperados aufmerksam gemacht hat. Er hat gemerkt, daß irgend etwas nicht stimmt und ist aus der Bank weggelaufen, draußen auf einen Baum gestiegen und hat in das Zimmer von Cornfelder gesehen. Da hatte er die drei Burschen entdeckt und wollte Alarm schlagen. Aber zu Ihnen traute er sich nicht. Vielleicht wußte er auch, daß Sie nicht da waren. Deshalb ging er zurück und lief hinten durch die Quergasse zum Stadteingang. Da standen allerdings auch zwei Männer. Er hat sie übrigens später zu Fall gebracht. Als er uns entdeckte, gab es für ihn kein Halten mehr. Obgleich sie da standen, rannte er querfeldein auf uns zu. Und Judy Harrison verdankt ihm auch eine ganze Menge. Er war im Hof, als die beiden O’Keefes sie belästigten, und hat Frank O’Keefe mit der Steinschleuder getroffen, so daß der durchs Feuer gefallen ist. Ich war gerade auf der Straße und wurde dadurch auf die beiden Banditen aufmerksam.«

Der Sheriff rieb sich das Kinn.

»Hm, der kleine Billy Ovarim… Ich weiß nicht, der Bursche ist so gewitzt. Und es heißt ja, daß er der Sohn eines Indianers ist. Deshalb ist es besser, wir lassen die Sache auf sich beruhen.«

Da nahm Wyatt Earp den Kopf herum und senkte seinen Blick in die Augen des Sheriffs.

»Jonny Marlove, es wäre gut, wenn ich das, was Sie da eben gesagt haben, bald vergessen könnte.«

»Wieso«, dehnte der Sheriff, »ich verstehe nicht…«

»Um so besser habe ich verstanden. Der Junge hat sich großartig benommen. Besser als alle anderen in der Bank beispielsweise. Ohne ihn wäre das Geld jetzt vielleicht weg. Und außer Cornfelder wären noch andere tot. Er hat sich bravourös für die Bank und für die Frau eingesetzt. Für die Stadt! Nur weil er der Sohn eines Indianers sein kann, soll seine Tat verschwiegen werden? Nein, Jonny Marlove, das gefällt mir nicht. Außerdem kann ich Ihre Ansicht über Indianer nicht teilen. Für mich sind die roten Menschen wie alle anderen auch. Es ist mir völlig einerlei, was für eine Hautfarbe ein Mensch hat. Ob gelb, schwarz, rot oder weiß, wichtig allein ist der Charakter.«

Wyatt deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Jungen. »Und dieser kleine Bursche da ist ein großartiger Kerl. Ich wollte, es gäbe mehr Leute wie ihn.« Nach diesen Worten verließ er grußlos das Office des Sheriffs.

Marlove war tief betroffen. Im Grunde seines Wesens war er kein schlechter Kerl, und den Haß auf den Indianer teilte er schließlich mit Millionen seiner Landsleute.

Die Mahnung des Marshals war ihm sehr nahe gegangen. Er wußte genau, daß Wyatt Earp recht hatte. Und nun abseits zu stehen – nein, das war nicht sein Fall. Rasch trat er hinaus auf den Vorbau.

»Marshal! Warten Sie bitte.« Er lief ihm nach und sagte dann mit gesenktem Kopf: »Es tut mir leid, Wyatt. Ich weiß ja, daß der Bursche großartig gehandelt hat. Und es gibt wirklich keinen Grund, das zu verschweigen. Vielen Dank für den Hinweis. Es tut mir wirklich leid.«

Er wandte sich ab und ging auf Billy Ovarim zu.

Der Junge stand erschrocken auf, als er plötzlich den Sheriff vor sich stehen sah.

Marlove streichelte ihm über den Kopf, griff dann in die Tasche und schob ihm ein goldenes Zwanzigdollarstück in die kleine braune Kinderhand. »Hör zu, Billy. Der Sheriff ist ein dummer Bursche, verstehst du? Er hat selbst keine Kinder und weiß darum auch nicht, wie man mit Kindern umgehen soll. Aber was du heute getan hast, wird er niemals vergessen. Und morgen wird in unserer Zeitung stehen: Der große Wyatt und sein Begleiter, der berühmte Doc Holliday – und der kleine William Ovarim aus Casa Grande haben den Überfall auf die Arizona-Bank vereitelt und elf Banditen gefangengenommen. Ja, Bill, so ähnlich wird es morgen in der Zeitung stehen.« Er reichte dem Kleinen seine Hand hin.

Der Junge nahm das Geldstück schnell in die linke Hand und drückte die Rechte des Sheriffs.

Dabei lief eine Träne aus seinem linken Auge über die Wange bis hinunter zum Kinn.

»Aber Mr. Cornfelder ist tot…«, murmelte er.

Als der Sheriff sich umwandte, sah er in die Augen des Marshals. Wyatt Earp nickte ihm nur zu, dann ging er in die Schenke, in der Doc Holliday noch einmal nach dem Wirt gesehen hatte.

Zusammen gingen sie dann hinüber zu Judy Harrison.

Am Nachmittag suchte der Marshal wieder das Sheriffs Office auf, um im Gefängnistrakt die elf Galgenmänner noch einmal zu verhören. Aber es war nicht anders als am Vormittag: Die

Desperados schwiegen beharrlich. Mehr als ihre Namen gaben sie nicht an.

Doc Holliday, der mitgekommen war, deutete auf Gibson.

»Ich wette, daß er der Anführer ist.«

»Ja, daran besteht kein Zweifel«, entgegnete der Sheriff.

»Sie wissen, daß Sie sterben werden, Gibson?«

Da fuhr der Schießer auf. »Sterben? Wieso? Ich habe niemanden umgebracht.«

»Der Überfall auf die Arizona-Bank hat einen Toten gefordert.«

»Aber das ist doch Wahnsinn, Earp! Sie wollen mich nur hereinlegen. Was kann ich dafür, daß der Mann gestorben ist? Er wäre ohnehin gestorben, auch ohne uns!«

Da trat Doc Holliday dicht an die Zelle heran, so dicht, daß Gibson vor Schreck einen Schritt zurückwich.

»Hör zu, Gibson, der Bankier ist an einem Herzschlag gestorben. Verursacht durch einen plötzlichen Schock. Und an diesem Schock hat euer Überfall schuld. Daran gibt es nichts zu deuteln.«

Der Verbrecher wandte sich um und trottete zu seiner Pritsche zurück.

Wyatt ließ sich nun alle einzeln vorn ins Office bringen und versuchte, sie auszuquetschen.

Aber sie schwiegen beharrlich.

Als Willie Brand, der letzte von ihnen, in seine Zelle zurückgebracht worden war, lehnte sich der Sheriff gegen den Gewehrständer und schlug die Füße übereinander.

»Jetzt sagen Sie mir um Himmels willen, weshalb Sie sich soviel Mühe mit diesen Banditen gegeben haben. Was wollen Sie denn von ihnen erfahren? Es reicht doch, was wir wissen.«

»Eben nicht«, entgegnete der Marshal. Und dann berichtete er von seinem Erlebnis am Roten See.

Jonny Marlove blickte die beiden Dodger verblüfft an.

»Was denn, Sie haben es gewagt, sich da hineinzuschleichen? In eine Versammlung der Graugesichter! Das war doch mörderisch gefährlich.«

»Wer nichts wagt, der nichts gewinnt«, entgegnete der Marshal. »Wir haben jedenfalls dort eine Menge erfahren, wenn auch immer noch nicht genug. Ohne den Besuch am Roten See hätten wir nichts von dem Coup hier in Casa Grande gewußt. Jetzt aber tappen wir im dunkeln. Morgen wollen die Galgenmänner wieder zuschlagen. Wo? Das ist die Frage.«

Marlove kratzte sich den Kopf.

»Damned, das ist ja eine höllische Geschichte. Die Kerle wollen also einen zweiten Coup landen, einen noch größeren. Wenn ich es mir recht überlege, kann es gar nicht allzu weit von hier sein. Denn so weit können sie doch gar nicht reiten in dieser kurzen Zeit.«

»Das habe ich anfangs auch angenommen. Aber höchstwahrscheinlich sind die Männer, die hier den Überfall durchgeführt haben, morgen nicht dabei. Oder allenfalls nur der eine oder andere von ihnen. Und ein Reiter kann an einem Tag und in einer Nacht schon eine große Strecke hinter sich bringen.«

»Aber glauben Sie, daß der Anführer der Graugesichter Wert darauf legt, ausgepumpte Leute um sich zu haben, wenn er einen so großen Coup landen will?« meinte der Sheriff.

»Eben nicht«, entgegnete der Marshal. »Deshalb wird es schon stimmen, daß dieser Schlag hier irgendwo in der Nähe ausgeführt werden soll.«

»Aber wo?« Der Sheriff rieb sich nervös das Kinn. »Die werden doch nicht etwa vorhaben, die Armeekasse in Phoenix zu rauben?«

Der Marshal schüttelte den Kopf.

»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das wäre zu schwierig. Die Soldaten haben mehr Wachen ausgestellt als ein Indianerstamm, der Kriegsrat abhält. Und außerdem bin ich gar nicht davon überzeugt, daß die Armeekasse so sehr verlockend für die Bande sein wird. Denn reich ist die Armee ja schon lange nicht mehr.«

»Oder ob sie vielleicht die Bank in Chandler überfallen wollen?«

»Ja, oder in Telleson oder Godyaer, Hassayampa, Wintersburg, Arlington, Rainbow Valley, Stanfield, in Coolidge, Florene, Superior, Miami, Tortilla Flat, Fort McDowell oder in El Mirage in Morris Town oder drüben in Golden Hope! Wir haben an alles gedacht, Sheriff Marlove, wie Sie sehen.«

Der Sheriff warf die Hände hoch. »Um Himmels willen. Da haben Sie einen gewaltigen Kreis hier um die Gegend von Phönix gezogen.«

Ja, und wahrscheinlich nur die Hälfte der Städte genannt, die in Frage kommen. Ich wollte Ihnen damit nur sagen, wie schwer es ist herauszufinden, wo die Galgenmänner zuschlagen wollen.«

»Ja, Sie haben recht. Es ist ganz sicher nicht leicht. Und was gedenken Sie zu tun?«

»Jeder Sheriff in all diesen Städten, die ich eben genannt habe, und auch in denen, die ich nicht genannt habe, weiß Bescheid.«

Der Georgier lehnte, wie er es gern zu tun pflegte, zwischen Tür und Fenster an der Wand und hatte einen Fuß angezogen, den rechten Ellbogen auf die Faust gestützt und hielt seine Zigarette in der Hand.

Jetzt warf er ein:

»Und ganz sicher hat der Marshal mit der Warndrahtnachricht auch den Sheriff erreicht, in dessen Stadt es geschehen soll. Fragt sich bloß, ob dieser Mann nicht zufällig ein Freund der Galgenmänner, vielleicht sogar selbst ein Graugesicht ist.«

Marlove sank auf seinen Stuhl nieder.

»Ja, ausgeschlossen ist das leider nicht. Aber Sie haben wirklich getan, was zu tun war.«

Wyatt Earp schüttelte den Kopf. »Nein, es ist nicht genug getan. Ich kann die Hände nicht in den Schoß legen. Im Gegenteil. Wenn hier alles erledigt ist, muß ich weiter.«

»Weiter?« Marlove sprang sofort wieder auf. »Sie wollen nicht hierbleiben, um die Verhandlung abzuwarten?«

»Nein, dazu habe ich keine Zeit. Das werden Sie ebensogut, wenn nicht besser, erledigen. Sie kennen die Verhältnisse hier viel besser als wir. Wir reiten gleich weiter.«

»Aber – sind Sie nicht mit Miß Harrison befreundet…?«

»Doch, aber sie wird Verständnis dafür haben, daß wir gleich weiter müssen.«

»Ja, ja, aber wo wollen Sie denn hin? Haben Sie denn ein Ziel, einen bestimmten Verdacht?«

Wyatt zog die Schultern hoch. »Es gibt da natürlich ein paar Punkte, die besonders in Frage kämen. Aber sie liegen leider so weit auseinander, daß es ausgeschlossen für uns beide ist, sie alle abzureiten.«

Die beiden verabschiedeten sich von Jonny Marlove und gingen dann noch hinüber zu Judy Harrison, wo sie auch den kleinen Billy Ovarim fanden.

Die junge Frau und der Boy verabschiedeten sich herzlich von den beiden Dodgern und geleiteten sie hinaus vor die Tür.

In gestrecktem Galopp verließen die beiden Reiter in östlicher Richtung die Stadt…

*

Tombstone.

Schwefelgelber Himmel lag über der berüchtigten Westernstadt vor den Blauen Bergen.

In dem schon berühmten Marshals Office amtierte seit einiger Zeit auf besonderen Wunsch Wyatt Earps und Mayor Clums und des redlichen Teils der Bevölkerung der Stadt der hünenhafte Texaner Luke Short als Sheriff.

Ganz sicher war er der erste Sheriff von Tombstone, der großen Respekt genoß. Der Goliath war nicht nur ein schlagstarker, sondern auch ein schußschneller Mann, den die Banditen nicht weniger fürchteten als den Marshal Earp selbst.

So war auch während der Zeit, seit der der Texaner das Amt des Sheriffs hier übernommen hatte, so gut wie nichts passiert. Natürlich lebte die Verbrecherwelt Tombstones weiter und braute ihre finsteren Pläne in den düsteren Winkeln der Stadt nach wie vor zusammen. Aber sie wagte es noch nicht, sich so offen damit zu zeigen oder gar zu brüsten, wie es vorher unter Jonny Behan der Fall gewesen war.

Aber dieses Tombstone war ein Vulkan. Immer wieder gärte und brodelte es, und man hatte das Gefühl, daß es jeden Augenblick irgendwo mit explosiver Gewalt losbrechen könnte.

Sicher wäre das auch längst geschehen, wenn der herkulisch gebaute Texaner nicht immer wieder wie zufällig an den Orten aufgetaucht wäre, an denen die Eruption losbrechen wollte.

Wyatt Earp und Doc Holliday waren nach ihrem Aufbruch vom Roten See über Tombstone geritten. Es war Nacht, als sie in die Stadt geritten waren. Luke Short hatte sich riesig gefreut, die beiden Freunde wiederzusehen. Er glaubte, daß er nun sein nicht sehr angenehmes Amt als Sheriff – das er nicht zuletzt aus Freundschaft für Wyatt Earp angenommen hatte – niederlegen könnte.

Aber der Marshal mußte ihn bitten, noch auf dem Posten auszuharren. Nur John Clum und zwei Männer vom Stadtrat wurden zu der Unterhaltung hinzugezogen, die an diesem Abend geführt wurde.

Wyatt Earp teilte den Männern mit, was sie am Roten See erfahren hatten.

»Damned, dann wollen Sie jetzt schon wieder aufbrechen?« forschte der Texaner, der sofort begriff, was auf dem Spiel stand.

»Ja, es bleibt mir nichts anderes übrig.«

»Hölle und Teufel könnte nicht mal der Doc den Stern nehmen?« meinte der Texaner.

Der elegante Spieler lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob die Hand. »Gott bewahre, genausogut könnten Sie mich bitten, Prediger oder Antialkoholiker zu werden. Ich bin nun einmal eine verdorbene Seele und werde es bleiben.«

Wyatt wandte kurz den Kopf. »Machen Sie sich nicht schlechter, als Sie sind, Doc.«

Der Marshal war froh, einen wirklich hervorragenden, ja, unersetzlichen Gefährten wie den Georgier zu haben. Seit Jahren ritten sie zusammen und waren so aufeinander eingespielt, daß sie sich mit der kleinsten Handbewegung und oft auch nur mit einem Blick verständigen konnten.

Es war die seltsame Harmonie einer vollendeten Freundschaft.

Natürlich hätte Wyatt Earp gern auch den Texaner noch mitgenommen, denn zu dritt stellten sie ein kaum zu überwindendes Bollwerk dar.

Der tollkühne, bärenstarke Abenteurer aus Texas war wirklich ein Kampfgefährte, wie man sich ihn besser nicht wünschen konnte. Aber der Marshal mußte auf ihn verzichten, denn hier auf dem Sheriffsposten in Tombstone mußte ein hundertprozentiger Mann sitzen. Und nur Luke Short war ein hundertprozentiger Mann für dieses Amt. Der Marshal fühlte, daß hier in Tombstone nach wie vor ein gefährlicher Brandherd war – wenn nicht der gefährlichste überhaupt. Zwar schien es im Augenblick so, als ob Tombstone nur eine untergeordnete Rolle für die Graugesichter spielte, aber der alte Argwohn und das Mißtrauen, das der Marshal dieser Stadt gegenüber empfand, war nicht zum Verstummen zu bringen.

Nachdem der Freund und die wenigen Getreuen in Tombstone über das weitere Vorhaben des Marshals informiert waren, setzten die beiden Dodger ihren Ritt in Richtung Nordwesten fort.

An dem Tag, an dem der Überfall in Casa Grande stattfinden sollte, von dem der Texaner ja wußte, war in Tombstone alles ruhig.

Der schwefelgelbe Himmel warf ein fahles Licht in die Allenstreet und verstärkte noch das Gefühl, das auch der Texaner niemals los wurde: Man saß hier wie auf einem Pulverfaß!

Es war erst zehn Uhr am Vormittag.

Der Texaner verließ sein Office und trat auf den Vorbau. Er zog eine seiner langen Strohhalmzigarren aus der Westentasche, steckte sie sich zwischen seine großen, ebenmäßig gewachsenen weißen Zähne und riß an den Dachsparren des Vorbaues ein Zündholz an. Während er das tat, dachte er daran, wie große Freude es Doc Holliday immer bereitete, wenn er das beobachtete. Es sah auch zu ulkig aus, wenn der riesige Mann den Arm hochstreckte und das Zündholz über seinem Kopf an der Decke anriß.

Langsam schlenderte er den Vorbau hinunter, verließ ihn an der Ecke und betrat ihn drüben beim Crystal Palace wieder.

Der große Ecksalon – er war eine der größten und bekanntesten Schenken des weiten Westens – war um diese Morgenstunde meistens noch ziemlich leer.

Trotz der späten Jahreszeit hingen hier, wie überall in den Tombstoner Kneipen, noch die Pendeltüren in den Angeln. Und niemand dachte daran, schon die Glastüren für den Winter einzusetzen. Der Winter in diesen Breiten war nur sehr kurz und fing sehr spät an.

Luke Short blickte über die Schwingarme in den großen Schankraum hinein, der durch das fahle Licht des Himmels noch dämmriger wirkte als sonst. Wie immer brannten über der Theke an zwei weiten Messingarmen grünbeschirmte große Kerosinlampen.

Zwar war außer dem jungen Keeper, der seit einigen Tagen hier arbeitete, niemand vorn im weiten Schankraum zu sehen. Soweit der Tex den Raum überblicken konnte. Dennoch blieb Luke Short stehen. Denn er hatte gesehen, daß Keeper Jim eben die kurze vierkantige dickglasige Flasche mit dem rubinroten Fire Point voll goß, das er auf ein silbernes Tablett stellte.

Damned, für wen war denn das bestimmt?

Der Texaner schob die Schwingarme der Tür auseinander und betrat den Schankraum.

Er war noch nicht weit gekommen, als er links an einem der grünbezogenen kleinen Fenstertische in einer der sauber verkleideten Nischen eine Frau sitzen sah.

Sie hatte rotes Haar, das sehr elegant frisiert war und ihr blasses, sehr hübsches Gesicht dekorativ umrahmte. Besonders auffallend an ihr waren ihre wundervollen smaragdfarbenen Augen. Sie war hochelegant gekleidet, und an ihren Fingern blitzten kostbare Ringe.

Der Texaner winkte dem Keeper zu und wollte rasch wieder hinausgehen.

Da hob die Frau den Kopf.

»Hallo, Sheriff!« rief sie.

Luke tippte an seinen großen weißen Stetson. »Morning, Miß Higgins«, entgegnete er.

Ja, es war die berühmte Spielerin Laura Higgins, die Frau, die seit Jahren dem Georgier Holliday von Stadt zu Stadt folgte.

Sie hatte ihm schon viel Unheil gebracht, anfangs mit ihrem Haß und später sogar mit ihrer Liebe.

»Wollen Sie mir nicht auf einen Drink Gesellschaft leisten, Sheriff«, rief sie Luke zu.

Der Texaner hatte wenig Lust, dieser Aufforderung Folge zu leisten, aber er fand im Augenblick keinen rechten Grund, den Drink auszuschlagen.

»Yeah, weshalb nicht«, erwiderte er nicht eben freundlich.

»Donnerwetter, klang das begeistert«, entgegnete die Frau.

Luke Short trat an ihren Tisch und blickte auf sie hinunter.

Laura Higgins überlegte, ob er überhaupt auf dem kleinen Stuhl, der ihr gegenüber stand, Platz haben würde.

Er ließ sich nieder, nahm den Hut ab und legte ihn neben sich auf die mit rotem Samt überzogene Fensterbank.

Auch seine Augen waren grün, von langen Wimpern umrandet und hohen kraftvollen Brauenbögen überzogen. Forschend blickten diese Augen in die der Frau.

»Na, Miß Higgins, was gibt es denn Neues?«

»Ich weiß nicht, ob es Sie interessieren wird, aber ich habe gestern abend hier gespielt, und da habe ich so allerlei gehört.«

»Aha, dann schießen Sie mal los«, entgegnete der Texaner, ohne allzuviel Interesse zu zeigen.

Aber das sollte sich bald ändern. Laura Higgins zündete sich eine ihrer russischen Zigaretten an – sie rauchte sie, seit sie Doc Holliday kannte – und blies den Rauch dem Texaner respektlos ins Gesicht, wobei sie ihn entwaffnend anlächelte.

Der Texaner hatte die Strohhalmzigarre gelöscht, als er an ihren Tisch getreten war. Jetzt nahm er sie aus dem Aschbecher und riß zu ihrer Verblüffung unter seinem linken Unterarm an der Lederjoppe ein Zündholz an, um sich die Virginia wieder anzuzünden.

»Well«, begann die Frau, »vielleicht könnten wir ein Geschäft machen.«

»Ein Geschäft? Ich mache keine Geschäfte mit Frauen.«

»Ich meine auch kein gewöhnliches Geschäft, es ist mehr ein Tausch.«

»Und was wollen wir dann miteinander tauschen, Madam?«

»Nun, jeder verrät ein Geheimnis.«

»Au! Au!« Der Texaner lehnte sich in die Stuhllehne zurück, daß sie in ihren Fugen ächzte. »Geheimnisse vor Frauen! Der große Manitu bewahre mich davor.«

Das siegessichere Lächeln wich aus dem blassen Gesicht der Frau, und in den Tiefen ihrer grünen Augen blitzte es auf.

»Ich werde Ihnen etwas sagen, das für Sie vielleicht von Wichtigkeit sein wird. Und Sie werden mir dafür ebenfalls etwas sagen.«

»Well, schießen Sie los, ich werde mir dann überlegen, ob es wertvoll genug ist, daß auch ich Ihnen etwas zu sagen habe.«

»Fragt sich nur, wer anfängt.«

»Hm, Madam, ich lasse Damen immer den Vortritt.«

»An Raffinesse fehlt es Ihnen wirklich nicht, Sheriff«, entgegnete Laura spöttisch. »Ich habe eine andere Idee. Wir schreiben es beide auf ein Stück Papier und tauschen die Zettel aus. Dann läuft keiner Gefahr, daß der andere mit seinem Geheimnis zurückhält.«

Der Texaner winkte ab. »Nichts da, Madam. Ich habe drüben im Office gerade genug Schreiberei. Ich habe in meinem ganzen Leben zusammen nicht soviel geschrieben, wie in diesen Tagen hier. Für jeden Dreck muß man einen Bericht aufsetzen. Der Teufel soll’s holen! Wenn ich es nicht Wyatt Earp zuliebe täte, dann…«

Ein Schatten flog über das Gesicht der Frau, als sie den Namen des Marshals hörte. »Wyatt Earp?« unterbrach sie ihn. »Natürlich, auch Sie, ich wußte es ja. Wie ein Dämon hat er alle in seinen Bann gezogen. Ich möchte bloß wissen, was an ihm ist. Können Sie mir das vielleicht sagen?«

Der Texaner verstand sie plötzlich überhaupt nicht mehr. Er nahm seinen Hut. Aber als sie bemerkte, daß er aufstehen wollte, legte sie sofort ihre feine weiße Hand auf seinen kräftigen Unterarm.

»Warten Sie, Sheriff. Ich werde Ihnen zuerst mein Geheimnis sagen. Sie können sich dann ja überlegen, ob Sie mir eine Antwort darauf geben wollen.«

»Well.« Er legte seinen Hut zurück. »Ich muß zugeben, das ist fair. Also, fangen wir an.«

Laura Higgins drückte ihre nur angerauchte Zigarette im gläsernen Aschenbecher aus.

»Ich möchte Ihnen zuvor sagen, was ich von Ihnen gern wüßte. Sie brauchen es jetzt nicht zu beantworten, sondern wie vereinbart erst, nachdem ich Ihnen das gesagt habe, was ich weiß. Ich wüßte gern, wo Doc Holliday hingeritten ist. Nein, sagen Sie nichts, Sheriff. Ich weiß, daß er hier war. Er ist mit dem Marshal vorgestern nacht durch die Stadt gekommen. Ich habe den Hufschlag seines Pferdes gehört. Sie werden es nicht glauben, aber es ist so…«

Sie sprach eigentlich gar nicht mehr zu Luke Short. Sie hatte den Kopf etwas angehoben, und ihre Augen gingen an dem Mann vorbei. »Ich lag auf meinem Bett. Es war spät in der Nacht, da hörte ich den Hufschlag zweier Pferde. Es ist sicher keine Seltenheit, daß zwei Reiter nachts in eine Stadt kommen. Aber den Hufschlag dieser beiden Tiere habe ich erkannt. Es waren die Hengste von Wyatt Earp und Doc Holliday. Ich stand sofort auf und lief ans Fenster. Aber ich habe sie nicht mehr gesehen. Sie müssen hier irgendwo in der Nähe in einem Hof verschwunden sein. In Ihrem Hof, Sheriff.«

Das Gesicht des Texaners war ausdruckslos wie ein Comanchenantlitz.

»Gut«, meinte die Frau, »ich sehe, Sie verstehen, sich zu beherrschen. Well, Sie brauchen mir jetzt ja noch nichts zu sagen. Aber wenn Ihnen das, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, doch etwas wert ist, dann möchte ich Sie sehr bitten, mir zu sagen, wohin Doc Holliday geritten ist.«

Sie beugte sich weit über den Tisch vor und sprach ganz leise. »Sie saßen am Nebentisch. Ich konnte sie nicht genau beobachten, da ich dem Spiel an meinem Tisch auch Aufmerksamkeit widmen mußte. Glücklicherweise war es bei uns nicht sehr laut, da es sehr spannend zuging. Ich habe übrigens seit langem zum erstenmal eine Pechsträhne gehabt. Vielleicht, weil ich zu sehr auf den Nebentisch geachtet habe. Da unterhielten sich zwei Männer über den großen Tag, wie sie es nannten. Anfangs interessierte es mich überhaupt nicht, was sie sagten. Aber plötzlich hörte ich den Namen – den Namen…«

Sie machte eine Pause und holte Luft, da es ihr offensichtlich schwerfiel, diesen Namen zu nennen:?»… den Namen Wyatt Earp. Ich wurde jetzt natürlich hellwach, denn was mit Wyatt Earp zu tun hat, hat ja leider auch mit Doc Holliday zu tun.«

Der Texaner, der bis hierher aufmerksam zugehört hatte, unterbrach sie jetzt zum erstenmal: »Wieso leider, Miß?«

Die Frau preßte die Zähne aufeinander. »Wieso leider? Weil ich…, weil ich ihn liebe, Sheriff. Weil ich immer noch glaube, daß er einmal mein Mann wird, daß er mit mir wegziehen wird aus dieser fürchterlichen Gegend in eine Stadt, wohin wir beide gehören. Er und ich. Er ist ein Doktor, verstehen Sie, ein gebildeter Mensch. Und ich möchte mit ihm leben in einem guten, anständigen Haus, wo er für uns arbeitet, wo er Menschen gesund macht, was seine Aufgabe ist, eine Aufgabe, die er einmal sehr geliebt hat und großartig erfüllte.«

Der Texaner nickte. »Ja, daran gibt es kein Zweifel, der Doc ist ein guter Arzt. Das haben schon ganz andere Leute gesagt. Wenn ich nur schon daran denke, wie er es versteht, anderen Leuten Kugeln aus dem Leib zu holen…«

Laura Higgins zuckte zurück. »Kugeln aus dem Leib holen, ja, das ist es, was ihr bewundert. Aber ich bewundere es nicht. Ich verabscheue es!«

»Wollten Sie mir nicht irgendwas erzählen«, unterbrach sie der Texaner, während er schon wieder nach seinem Hut griff.

»Doch, ja.« Sie lehnte sich sofort wieder vor. »Also, die beiden Männer sprachen von Wyatt Earp. Und zwar sagte der eine, es gefalle ihm nicht, daß der Marshal so lange Zeit verschwunden sei. Dann wurde von Chiricahua gesprochen und davon, daß er auf der McLowery Ranch aufgetaucht sei. Dann soll er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen sein. Jedenfalls machten sich die beiden Männer Gedanken darüber, daß der Marshal sich so lange Zeit nicht in der Stadt hatte sehen lassen. Ich sagte ja schon, daß ich nur wenig verstanden habe. Ich wurde ja nur durch den Namen des Marshals aufmerksam. Ja, und dann hörte ich noch den Namen Marana. Und es fiel mir auf, daß sie von dem großen Tag sprachen, der übermorgen sein solle.«

»Übermorgen?« entfuhr es dem Texaner. »Das wäre also morgen?«

Die Frau nickte. »Ja, morgen.«

»Marana.«

Die Lippen des Sheriffs hatten sich kaum bewegt. »Damned, das ist eine Stadt zwischen Tucson und Casa Grande. Ein ziemlich unbedeutendes Nest, kaum zwanzig Häuser.«

Plötzlich stieß er einen schrillen Pfiff durch die Zähne, packte seinen Hut und stülpte ihn sich auf. »Hell und devils, das kann doch nicht möglich sein!«

Er wollte davonstürmen, aber die Frau hielt ihn zurück.

»Sheriff, wir haben einen Vertrag miteinander gemacht!«

»Richtig.« Luke ließ sich ungeduldig wieder nieder. »Sie wollen also wissen, wo Doc Holliday ist?«

»Sehr ermutigend klingt Ihre Art nicht, Sheriff.«

»Soll sie auch gar nicht sein«, erwiderte er grob, »aber ich muß zugeben, daß das, was Sie mir da gesagt haben, vielleicht wirklich eine Antwort wert ist. Also…«

»Wo ist Doc Holliday hingeritten?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Erstens weiß ich es selbst nicht genau. Aber vielleicht genügt es Ihnen, wenn ich sage, daß er in den nächsten Tagen zurückkommen wird.«

Die Frau schluckte. »Mr. Short, ich möchte Ihnen gern glauben.« Sie legte ihre kleine, feingliedrige, kühle Hand wieder auf die braune Pranke des Mannes. »Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit. Sie brauchen mich nicht zu belügen, bloß weil Sie Mitleid mit mir haben.«

»Ich habe Sie nicht belogen. Ich habe auch kein Mitleid mit Ihnen.« Luke erhob sich und ging hinaus.

»Marana«, flüsterte er vor sich hin. »Hölle, das kann doch nicht wahr sein! Sollten diese Hunde vielleicht so irrsinnig sein und das Eisenbahndepot ausheben wollen?«

Es war gar nicht einmal allzu bekannt, daß die Railway-Gesellschaften in der kleinen Stadt Marana ihr gemeinsames Depot hatten. Auf einer kleinen Bank, die aber aus Stein gefügt und innen sehr solide gebaut und stark abgesichert war, wurden die Gelder für den Bahnbau aufbewahrt. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um Summen, die derartig groß waren, daß ein normaler Mensch kaum auf den Gedanken kommen konnte, sie rauben zu wollen.

Allerdings wußte niemand genau, wieviel Geld die Railway Companies besaßen. Aber es ließ sich unschwer ausrechnen, daß gewaltige Summen gebraucht wurden, wenn man in diesem sandigen, unwegsamen Land Schienenstränge legen wollte und Verbindungen zwischen den Städten schaffen, die nicht selten durch versteppte Gebiete und richtige Wüsten getrennt waren. Ganz zu schweigen von jener Gegend oben im Norden, deren Mittelpunkt der gefürchtete Grand Canyon war. Auch dort hinauf sollte eine Bahnlinie gebaut werden. Bahnlinien von Phoenix aus in alle Himmelsrichtungen, das war das Ziel der Arizona Railway Company und ihrer drei Schwester-Gesellschaften. Seit einem Jahr war der Sitz der Arizona Railway Company in Marana. Niemand wußte genau, weshalb sich die Company ausgerechnet diese kleine, bis dahin völlig bedeutungslose Stadt für ihre Zentrale gewählt hatte. Aber das Interesse der Öffentlichkeit an dem Bahnbau war nicht derart groß, daß die Tatsache allgemein beachtet worden wäre.

Luke Short war mittlerweile in seinem Office angekommen und stand vorm Schreibtisch.

»Marana«, flüsterte er. »Hölle und Teufel, diese Schweinepriester! Sie werden sich doch nicht einfallen lassen, dieses Fort ausheben zu wollen? Das ist doch nur mit ganzen Wagenladungen von Dynamit zu machen. Die Railway Company hat die Bank doch mit Stahl und Eisen und Felsklötzen wie ein Indianerfort gesichert.«

Aber das war des Rätsels Lösung. Verzweifelt hatte Wyatt Earp eine Stadt nach der anderen in der Nähe von Casa Grande unter die Lupe genommen und mit den Männern in jener Nacht darüber gesprochen. Es gab gewiß mehrere Städte, die in Frage kommen konnten. Aber auf Marana war niemand gekommen. Außerdem lag es sehr viel weiter von Casa Grande entfernt, als all die anderen Orte, die der Marshal in den Kreis einbezogen hatte. Also würden die Graugesichter doch eine ganze Strecke von Casa Grande entfernt zu ihrem zweiten Schlag ausholen.

Und das sollte schon morgen sein!

Wo mochte Wyatt Earp jetzt stecken?

Luke verließ das Office wieder, rannte die Straße hinunter und stieß die Tür des Post Bureaus auf.

Der alte Postmaster fuhr erschrocken hoch.

»Was ist denn los, was fällt Ihnen ein, Mensch, wer… Ach, Sie sind’s, Sheriff.« Er hob den Kopf, nahm den Marienglasschirm von der Stirn und musterte den Sheriff neugierig. »Was gibt’s denn, Sheriff? Ist etwas passiert?« Neugier und Angst zugleich schwangen in der Stimme des Postmasters.

»Ich möchte eine Depesche aufgeben.«

»Eine Depesche? Ja, selbstverständlich. Wohin soll sie gehen?«

»Nach…« Jäh brach der Riese ab. Nein, er konnte keine Depesche aufgeben. Was hätte er darin denn dem Marshal mitteilen wollen? Sie müssen nach Marana reiten? Das wäre viel zu gewagt. So eine Warnung konnte kaum geheim bleiben und würde womöglich den Banditen nutzen.

»Nach Dallas zu meiner Tante Mia. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Dein treuer Luke…«, improvisierte der Sheriff. »Warten Sie, damned, ich habe mich ja vertan. Sie hat ja erst nächsten Monat Geburtstag! Ja, man wird eben alt.« Er wandte sich um und verließ das Post Office.

Als er draußen stand, überlegte er fieberhaft, was zu tun war.

Nach Marana selbst konnte er ebenfalls nicht telegraphieren. Denn dort würden sie höchstwahrscheinlich schon in allen wichtigen Punkten einen Spitzel sitzen haben. Wie der Marshal die Führer der Bande beschrieben hatte, würden sie bei einem so großen Coup ganz sicher alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Der Big Boß war ein so gerissener Mann, daß er eine derartig wichtige Station wie das Post Office ganz sicher nicht unbewacht lassen würde.

Der Texaner stand mitten auf der Allenstreet und starrte vor sich hin.

*

Nacht lag über der Grenzstadt im Pima County.

Oben auf dem Hügel über der Stadt hielten zwei Reiter, die in die Talmude hinunterblickten.

Achtundvierzig Meilen lagen seit Casa Grande hinter ihnen.

Wyatt Earp und Doc Holliday hatten, nachdem sie den Überfall auf die Bank von Casa Grande vereitelt hatten, den Weg nach Südwesten genommen.

»Das ist also Marana«, meinte der Spieler, nachdem sie während des ganzen Rittes kein Wort miteinander gewechselt hatten. »Es würde mich nur interessieren, wie Sie ausgerechnet auf dieses Nest kommen.«

Wyatt Earp stützte sich mit beiden Händen auf den vorstehenden Sattelknauf und blickte auf die dunkle Stadt hinunter.

»Das will ich Ihnen sagen, Doc. In Marana ist seit einiger Zeit die Kasse der Arizona Railway Company untergebracht.

»He, das wußte ich ja noch gar nicht.«

»Nein, das ist an und für sich auch nicht besonders interessant, und ich bin nicht einmal davon überzeugt, daß da sehr viel Geld stecken wird, aber vielleicht sind die Galgenmänner anderer Ansicht.«

»Oder vielleicht sind sie auch besser informiert«, gab der Spieler zu bedenken.

»Eben«, antwortete der Marshal. »Es ist ziemlich zwecklos, eine der Städte aufzusuchen, die ich telegraphisch gewarnt habe. Denn da kommen wenigstens sieben in Frage, und auf gut Glück in eine dieser Städte zu reiten, hat keinen Zweck. Deshalb habe ich ganz einfach den Kreis, den wir mit unseren Benachrichtigungen um Casa Grande gezogen haben, verlassen und weiter gesucht. Gila-Bend kommt nicht in Frage. Da ist selbst der Bankier arm wie eine Kirchenmaus. Und plötzlich las ich auf der Karte den Namen Marana. Blitzartig fiel mir die Sache mit der Arizona Railway ein.«

Der Georgier nickte. »Sicher, das wäre eine Möglichkeit. Aber auch nur eine Möglichkeit. Sie unterscheidet sich in nichts von den sieben anderen Städten, die informiert worden sind.«

»Leider ist das richtig.«

Die beiden schwiegen und blickten unverwandt in die Talmulde, in der die schlafende Stadt Marana lag.

Was der Sheriff Luke Short im fernen Tombstone schon wußte, hatte der Marshal nur erahnt. Er war wieder einmal dem Gefühl gefolgt, das in seiner Brust saß und ihn schon so oft den richtigen Weg geleitet hatte.

Jetzt war es natürlich sehr schwierig für die beiden. Sie konnten nicht einfach hinunter in die Stadt reiten und dem Sheriff Bescheid sagen. Damit könnten sie vielleicht den Überfall zunächst vereiteln, aber das, was Wyatt Earp erreichen wollte, wäre dann zerstört: Er wollte den Big Boß der Galgenmänner stellen.

Fern in den Silver Mounts, drüben in New Mexico, hatten die beiden am Roten See bei der Versammlung der Graugesichter erfahren, daß einen Tag nach dem Überfall auf die Bank von Casa Grande der große Schlag in der Nähe erfolgen sollte, aber nur von den Anführern der Bande ausgeführt werden sollte. Und was die Sache für den Marshal besonders interessant machte, war die Tatsache, daß der Big Boß, also der oberste Chief der Galgenmänner, diesen Coup selbst leiten würde.

Nur wußten die beiden aber nicht, wo der Coup gestartet werden sollte. Hier in Marana…?

Und wenn er hier geplant war, und der Big Boß der Graugesichter ihn selbst leitete, dann war äußerste Vorsicht geboten.

Ein Mann wie der Chief der Galgenmänner, dessen Umsicht Wyatt Earp mehrmals hatte bewundern müssen, würde sich mit allen Sicherheitsvorkehrungen gegen jede Überraschung absichern. Hatte er schon oben in Casa Grande elf Männer für den Überfall auf die Bank befohlen, so würde er hier, wenn er selbst mitritt, sicher die doppelte Anzahl in die Sättel bringen.

Daß der Coup so kurz nach dem Schlag in Casa Grande ausgeführt werden sollte, brachte mehrere Vorteile für die Banditen mit sich. Erstens würde niemand vermuten, daß nach einem so großen Banküberfall gleich am nächsten Tag in der Nähe wieder ein großer Überfall vonstatten gehen würde. Und zudem konnten die Tramps damit rechnen, daß die Posse, die nach den Räubern von Casa Grande suchte, alle verfügbaren Leute der Gegend zusammenziehen würde. Da war anzunehmen, daß man in der Gegend außerhalb der Fünfzigmeilenzone nicht eben allzu wachsam sein würde. Auf diesen Gedanken konnte allerdings nur ein Mensch wie der Chief der Galgenmänner kommen.

»Wenn ich mir vorstelle«, meinte der Georgier in die Stille hinein, »daß die Halunken jetzt vielleicht oben in Phoenix vor dem Armee-Depot hängen, und wir stecken hier weit im Südosten, dann könnte ich lachen.«

Leider ist es nicht ausgeschlossen, daß sie in Phoenix sind, oder in Chandler oder sonstwo. Ich bin hierhergeritten, weil sie auch in Marana sein könnten. Und Marana ist nicht von mir gewarnt worden.«

Es stand für die beiden Reiter fest, daß sie vor keiner leichten Aufgabe standen. Bei allem, was sie von nun an taten, gingen sie von der Annahme aus, daß der Coup hier in Marana gelandet werden könnte. Sie mußten also alle Vorsicht walten lassen. An jeder Ecke und hinter jedem Baum konnte ein Galgenmann stehen, den der Big Boß dort postiert hatte. Wenn auch der Boß der Bande nicht mit dem Besuch des Marshals Earp in Marana rechnete, so genügte doch ein einziger seiner Leute, um die beiden Dodger aus irgendeinem Hinterhalt heraus mit dem Revolver aufzuhalten und niederzustrecken.

Die Freunde ritten zusammen nach Südosten davon, um die Talmulde herum einer kleinen Waldung entgegen, die am Ostrand der Stadt lag und die ihren größtmöglichsten Schutz bis in die nächste Nähe der Stadt bot.

Die kleine Waldung ging bis auf etwa hundert Yards an den Stadtrand heraus.

Wyatt Earp und Doc Holliday brauchten anderthalb Stunden, bis sie wußten, daß die Waldung unbesetzt war.

Das sprach nicht unbedingt dafür, daß es keine Galgenmänner in Marana gab.

Sie hätten es nicht nötig gehabt, noch Posten in den Wald zu stellen, da es völlig genügte, einen Mann so zu postieren, daß er den Waldsaum beobachten und jeden, der ihn verließ, mit dem Gewehr aufhalten konnte.

Die beiden waren von ihren Pferden gestiegen und standen etwa dreißig Yards vom Waldsaum entfernt.

Es war eine sternklare Nacht. Sie sahen die ersten Häuser der Stadt drüben deutlich vor sich.

»Hätten wir uns nicht am besten getrennt?« meinte der Georgier. »Ich hätte es ja von der anderen Seite versuchen können.«

»Nein, von der anderen Seite ist es zu gefährlich. Da können sie den Weg auf die Stadt zu eine Meile lang einsehen. Wir kämen niemals heran. Hier allein haben wir eine kleine Chance.«

»Aber doch nicht mit dem Pferd.«

»Nein, natürlich nicht. Die Tiere müssen wir hierlassen.«

»Und wie wollen Sie hinüber zu den Häusern kommen?«

Der Marshal deutete auf einen Creek, dessen silbernes Band durch die Bäume schimmerte.

»Da unten ist unser Weg. Wir werden am Bachufer entlang auf die Stadt zukriechen. Da der Bach so klein ist, daß er nicht einmal mit einem Boot befahren werden kann, haben die Banditen keinen Grund, ihn zu bewachen. Sie werden kaum annehmen, daß jetzt jemand darin herumkraucht.«

Sie brachten die beiden Hengste in einem Gebüsch unter und näherten sich geduckt dem Ufer des Creeks, das dicht hinter dem Waldsaum lag.

Als sie die letzten Bäume verließen, hatten sie sich so tief zu Boden geduckt, daß sie nicht so leicht gesehen werden konnten.

Wyatt Earp war zuerst über die Uferböschung verschwunden. Der Spieler folgte ihm sofort.

Dann blieben sie lauschend stehen.

Als alles still blieb, gingen sie geduckt weiter.

Der Creek, der sich hier glücklicherweise ein Bett von anderthalb Yards Tiefe in den Boden gefressen hatte, war wie ein Graben, durch den sie sich den Häusern nähern konnten. Sie kamen rasch vorwärts. Als sie aber bis auf dreißig Yard an den ersten Stallbau herangekommen waren, mußten sie feststellen, daß der Bach nach Nordosten abbog.

Wyatt Earp lugte über die Uferböschung und wartete. Als nirgends ein verräterisches Geräusch zu hören und auch kein Mensch zu sehen war, zog er sich vorsichtig über den Uferrand und schlich tief am Boden hin auf die Scheune zu, an deren Rückwand er stehen blieb.

Mit stiller Bewunderung sah er den Georgier näherkommen, der sich ebenso lautlos auf die Scheune zubewegte.

Da standen sie dicht nebeneinander an die Holzwand gepreßt und lauschten in die Nacht von Marana.

Vielleicht war alles umsonst, was sie hier taten. Vielleicht waren die Graugesichter ja fünfzig oder mehr Meilen von hier entfernt längst am Werk.

Aber das konnte die beiden Männer nicht hindern, weiterhin mit größter Vorsicht in die Stadt einzudringen.

Geduckt schlichen sie um die Scheune herum. Wyatt, der voranging, blickte über eine mannshohe Mauer in einen Hof.

Da drüben schien alles still zu sein.

Er jumpte hinüber und blieb sofort stehen, den Revolver in der Hand.

Nichts rührte sich. Da folgte ihm der Spieler.

Sie überquerten den Hof und verließen ihn drüben durch eine halboffen stehende Pforte, die nur noch in einer Angel hing.

Es dauerte fast eine Dreiviertelstunde, bis sie unter einem Vorbau kriechend die Mainstreet erreicht hatten.

Hier unten waren sie so leicht nicht zu entdecken. Holliday hatte keine Rücksicht auf seinen eleganten Anzug genommen bei diesem Weg.

Lauschend lagen die beiden Männer nebeneinander und beobachteten die Mainstreet.

Auch dort blieb jedoch alles still.

Wyatt Earp brachte seinen Mund dicht an das Ohr des Georgiers und flüsterte: »Wir müssen schon eine Weile hier warten. Wenn wirklich Posten hier stehen, dann werden wir schon etwas von ihnen bemerken.«

Der Gambler nickte.

Sie ließen eine gewisse Zeit verstreichen. Dann gab der Marshal das Zeichen zum Aufbruch. Sie krochen zurück und verließen ihren unbequemen Schacht in einer Seitengasse neben einer Treppe.

Auch hier blieben sie zunächst lauschend stehen, ehe sie sich weiterbewegten.

Eine Viertelstunde später hatten sie durch eine Quergasse und mehrere Höfe eine andere Stelle der Mainstreet erreicht, und zwar auf die gleiche Weise wie vorhin; nämlich unter einem, hier allerdings ziemlich niedrigen Vorbau kriechend.

Aber auch hier schien alles ruhig zu sein.

Vielleicht hatten die Banditen ja gar nicht die Absicht, den Überfall in der Nacht zu starten. Wie sie ja auch in Casa Grande den wirklichen Überfall am Tage ausgeführt hatten, wenn sie auch schon im Morgengrauen in die Bank eingestiegen waren.

Hier gab es nicht nur einen Tresor zu knacken, sondern ein Haus zu sprengen, das von der Railway Company gesichert war wie das Gebäude, das den Staatsschatz der Staaten in Washington beherbergte. (Heute ist der Staatsschatz in dem berühmten Fort Knox untergebracht, das von mehreren Sicherheitsgürteln und Wäldern umgeben ist. Und bis heute wurde es noch von keiner Bande angegriffen. Es gilt als todsicher.)

Wyatt Earp deutete über die Straße und wies auf einen zweigeschossigen wuchtigen Steinbau.

»Ich bin nicht sicher, ob das das Depot der Company ist, aber es sieht ganz so aus. Es ist ein ziemlich neuer Bau, und er ist aus Steinen errichtet. Und da die anderen Häuser hier alle aus Holz sind, müßte dies das Depot sein.«

Wartend kauerten die beiden Männer unter dem Vorbau und fixierten das Haus.

Vielleicht kamen die Galgenmänner wirklich am Tage, wenn sie überhaupt kamen.

Es war natürlich ausgeschlossen, die ganze Nacht über hier unter dem Vorbau der feuchten Erde liegen zu bleiben. Obgleich es ein ausgezeichneter Beobachtungsplatz war, vor allem, da der Vorbau zur Straße hin eine Decke von senkrecht angenagelten Brettern hatte, die nur hin und wieder eine Lücke aufwiesen.

Sie hatten schon eine ganze Weile unter dem Vorbau zugebracht, und der Marshal war bereits entschlossen, den Posten zu verlassen, als sie durch ein Geräusch aufgeschreckt wurden.

Es kam jemand oben über den Vorbau. Und zwar nicht mit normalem Schritt, den jeder hätte hören können, sondern leise, vorsichtig, sehr langsam.

Immer näher kamen die Schritte.

Und dann knirschten schon die Bohlen über den Köpfen der beiden Lauscher.

Wyatt Earp hatte seinen großen Buntline Special Revolver in der Faust und blickte durch die Bodenritzen nach oben.

Aber es war zu dunkel auf dem Vorbau, als daß er hätte irgend etwas erkennen können.

Auch mußte sich der Mann oben an die Hauswand gelehnt haben oder in einer Türnische stehen, so daß sie ihn von hier unten durch die Ritzen nicht sehen konnten.

War es ein harmloser Mann, der vielleicht auf ein Mädchen wartete, oder ein Betrunkener?

Nein, nein, ein Betrunkener konnte es nicht sein, der würde nicht so vorsichtig und sicher aufgetreten sein. Ein Liebhaber machte sich doch nach einer gewissen Zeit dem Mädchen seiner Wahl bemerkbar.

Und dieser Mann da oben rührte sich nicht.

Schon stieg in dem Marshal das Gefühl auf, daß sein Weg nach Marana nicht vergebens gewesen war.

Oben stand der erste Posten der Bande, der die Bank aus einer dunklen Türnische heraus beobachtete.

Was die Sache fatal machte, war die Tatsache, daß sie sich hier unten auch nicht bewegen konnten, wenn sie von dem Mann nicht gehört werden wollten. Aber sie konnten unmöglich noch lange hier reglos verharren.

Wyatt versuchte es zuerst mit dem leisen Fiepen einer Ratte, das er geschickt nachzuahmen versuchte. Dann nagte er mit der Fingerspitze an einem Bohlenbrett.

Der Mann oben stieß mit dem Fuß auf und wollte so den unangenehmen Nager verscheuchen.

Das half also nichts!

Dann verlegte sich der Missourier auf einen anderen Vierbeiner. Täuschend ähnlich ahmte er den knurrenden Ton eines Pumas nach.

Da drang ein unterdrückter Schreckenslaut von oben an ihre Ohren. Gleich darauf lief der Mann mit polternden Schritten über den Vorbau und sprang entsetzt auf die Straße hinaus.

Er zog beide Revolver und wandte sich um. Aber er schoß nicht.

Die beiden Männer unter dem Vorbau sahen, daß er ein Tuch vor dem Gesicht hatte. Ein Galgenmann!

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sich er Bandit umgedreht, dann rannte er mit weiten Sätzen davon und verschwand drüben in einer Quergasse.

»Das hat gewirkt«, meinte der Georgier. »Also doch!«

Der Marshal kroch unter dem Vorbau heraus und richtete sich auf.

Holliday folgte ihm.

»Sie sind also hier, Marshal, ihr Gefühl war wieder einmal richtig.«

Der Vorbau, unter dem sie sich verborgen hatten, gehörte zu einer Schenke. Sie war natürlich längst geschlossen.

Wyatt tippte den Spieler an. »Warten Sie hier. Ich gehe um das Haus herum und versuche den Wirt zu wecken. Dann lasse ich vorn die Tür offen.«

Gleich darauf war er im Dunkel verschwunden.

Er fand den Hof verschlossen und mußte sich mit einem Klimmzug an der Mauer hinaufziehen. Von dort blickte er in den Hof.

Der Boden unter ihm war dunkel. Wyatt ließ sich hinunter – und kam mit dem rechten Fuß auf einen Stein oder ein Holzstück so unglücklich auf, daß ein stechender Schmerz durch sein Bein zog.

Humpelnd bewegte er sich vorwärts auf die Rückseite der Schenke zu. Zu seiner Freude war die Tür nicht verschlossen.

Gleich darauf stand er in dem Korridor und tastete sich vorwärts.

Die Türen zu den Räumen standen offen.

Der Marshal blickte in den Küchenraum, aus dem ihm penetrante Kochdünste entgegenschlugen, sah auch in den Schrankraum und in das Zimmer auf der linken Seite des Flurs. Alles war leer.

Er hatte auch nicht erwartet, hier unten einen Menschen anzutreffen. Ohne irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen humpelte er die Treppe hinauf und klopfte oben an das erstbeste Zimmer.

»Ja«, hörte er eine Frauenstimme, »was gibt’s?«

»Bitte, Madam, kann ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«

»Wer ist denn da? Warten Sie, ich komme sofort.«

Gleich darauf sah er unter der Türritze einen Lichtschimmer in den Korridor fallen.

Dann nahten sich der Tür tapsende Schritte. Es wurde geöffnet.

Der Marshal sah vor sich eine junge Frau im fußlangen Nachthemd. Sie hielt in der Linken eine Lampe. Entgeistert blickte sie auf den großen Fremden.

»Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe, Madam. Mein Name ist Earp.«

Die Frau zog die Brauen zusammen. »Earp?« preßte sie heiser hervor.

»Ja, Wyatt Earp.«

Sie wich einen halben Schritt zurück und musterte mit hochgehobener Lampe den Mann genau.

»Sie sind… Wyatt Earp… aus Dodge City?« stammelte sie.

»Ja, Madam.« Und dann erklärte er ihr mit kurzen Worten, was zu erklären war.

Die Frau bebte am ganzen Leib. »Ein Überfall auf das Railway Depot?« stotterte sie.

»Ja, und ich wollte den Salooner bitten, ob ich mit meinem Begleiter in der Schankstube hinter den Fenstern das Depot beobachten kann.«

»Natürlich. Selbstverständlich! Der Saloon gehört mir. Das heißt, meinem Vater, aber der schläft. Sie können hinuntergehen. – Wie sind Sie denn ins Haus gekommen?«

»Die Hoftür war offen, Madam.«

»Gut, warten Sie. Ich komme mit hinunter.«

»Nein, es wäre mir lieber, Sie würden hierbleiben. Der Lichtschein aus dem Haus fällt sonst auf die Straße. Von hier hat es noch niemand bemerken können.«

»Gut, wie Sie meinen.« Sie gab sich nicht mehr argwöhnisch. Anscheinend vertraute sie dem Marshal. Aber der Schrecken über das, was sie von ihm erfahren hatte, schien sich groß und bang in ihren Augen zu spiegeln.

»Beruhigen Sie sich bitte, Madam. Vielleicht irre ich mich ja auch. Aber ich muß auf jeden Fall bereit sein.«

»Haben Sie denn viele Leute bei sich?« forschte die Frau.

»Nein, nur einen Mann.«

Da schlug sie die Hand vor den Mund. »Um Himmels willen! Einen einzigen Mann. Und so wollen Sie gegen die Galgenmänner ziehen?«

»Es bleibt mir leider nichts anderes übrig, Madam.«

»Aber, Sie könnten doch den Sheriff wecken und den Sohn des Schmiedes, vielleicht noch den Sattler.«

»Das kann ich leider nicht, da die Banditen wahrscheinlich schon in der Stadt sind. Ich könnte so vielleicht den Überfall vereiteln, aber ich würde dann nicht einen der Banditen festnehmen können.«

Wenige Minuten später öffnete der Missourier dem Gefährten unten die Tür und ließ ihn ins Haus.

Die beiden postierten sich in den Fensternischen des Saloons und beobachteten von dort aus das Depot.

»Damned, ich will frikassiert werden, wenn die Halunken nicht schon drüben sind«, meinte der Georgier.

»Ja, das befürchte ich auch. Wir sind vielleicht schon zu spät gekommen. Aber das will nichts besagen. Wichtig ist, daß wir keinen entkommen lassen. Vor allem nicht ihn.«

Ihn – das war der Big Boß der Bande. Wyatt Earp hoffte, in dieser Nacht den langgesuchten Bandenführer der Graugesichter stellen zu können.

Aber Stunde um Stunde verging. Und es geschah nichts.

Im Morgengrauen hörten sie Schritte im Hausgang.

Die Tür des Flurs wurde geöffnet. Zwei Männer standen in ihren Rahmen.

Wyatt Earp und Doc Holliday sahen sie.

»Ich bin der Wirt«, meinte der ältere, »das ist mein Bruder. Wir haben gehört, daß Sie in der Stadt sind, Marshal. Und was hier los sein soll.«

Die beiden kamen ans Fenster.

Wie geschehen konnte, was dann geschah, war dem Marshal später selbst unklar.

Es waren nicht nur zwei Männer, die den Schankraum betraten, sondern vier. Wyatt Earp und Doc Holliday konnten sie im Dunkel kaum sehen und hatten den Blick auch wieder hinaus auf die Straße gerichtet, um das Depot nicht aus den Augen zu lassen.

Plötzlich wurden sie jeder von zwei Männern gepackt, am Hals gewürgt und zurückgerissen.

Es gelang dem Marshal zwar noch, den einen mit einem gewaltigen Ellbogenstoß zurückzustoßen und den anderen nach vorn zu werfen, aber schon erhielt er von einem weiteren Gegner einen fürchterlichen Schlag über den Kopf, der ihn zurückschwanken und niederstürzen ließ.

Doc Holliday war wie ein Wiesel herumgefahren. Er hatte beide Revolver in den Händen. Mit dem Lauf der rechten Waffe traf er den Hals eines seiner Gegner. Aber es war schon zu spät. Sie waren von allen Seiten umringt und wurden niedergerissen.

Der Marshal war nicht lange, aber doch lange genug bewußtlos geblieben. Als er die Augen wieder aufschlug, sah er um sich herum nur Männer mit Gesichtstüchern stehen. Inzwischen hatte man ihn und Doc Holliday gefesselt.

Noch erlaubte das Frühlicht des neuen Tages kein deutliches Erkennen dessen, was noch von den Gesichtern freigeblieben war.

»Wyatt Earp und Doc Holliday«, sagte einer der Männer, »das ist ausgezeichnet. Auf euch beide haben wir gerade gewartet. Ihr hängt ja schon lange hinter uns, aber das ist nun endgültig vorbei. Hell and devils, wird das eine Freude geben! Eine Freude, die von Texas bis hinauf nach Montana reichen wird. Überall, wo Männer wohnen, die sich dem Stern nicht beugen wollen, wird Jubel herrschen. Wyatt Earp ist zur Strecke gebracht worden! Ja, Junge, das hast du dir sicher nicht träumen lassen, daß hier in dem kleinen Kaff einmal dein Leben zu Ende sein würde.«

»Es ist völlig einerlei, Bandit, wo mein Leben zu Ende geht. Irgendwo muß es ja einmal aus sein«, entgegnete der Marshal scheinbar ungerührt.

Da waren sie also im letzten Augenblick um den Erfolg ihres Kampfes gebracht worden.

War der Mann, der eben gesprochen hatte, der große Boß der Galgenmänner, dessen gebieterisches Gehabe die beiden Dodger am Roten See hatten beobachten können? Er schien dem Marshal plötzlich wenig von dem Stolz und der Zurückhaltung an sich zu haben, die ihn noch in den Silver Mountains ausgezeichnet hatten.

Auch die Gestalten, die um ihn herumstanden, hatten nichts mehr von der stummen Ergebenheit und doch so stolzen Selbstsicherheit der Unterführer, die am Roten See um den Großen Boß herumgestanden hatten.

»Es ist aus, Wyatt Earp. Du wirst hier sterben, hier in dieser Bude! Und dieser Kerl da verendet mit dir. Das ist nun einmal der Lauf der Welt. Ich muß zugeben, daß ich schon eine Menge von euch gehört habe. Aber, daß ihr hierherfinden könntet – das habe ich mir nicht träumen lassen. Ganz bestimmt nicht. Und bestimmt auch nicht, daß ich es sein würde, der euch auslöscht.«

Er gab sich gar keine Mühe, leise zu sprechen…, also war man im Haus über alles informiert. Die Frau hatte Theater gespielt. Sie hielt es mit den Banditen und hatte sie verständigt. So war ihnen die Überrumpelung verhältnismäßig leicht gefallen.

Und alles, alles war umsonst gewesen.

Umsonst der Ritt nach Kom Vo. Umsonst die furchtbare Nacht von Costa Rica. Umsonst der Weg nach Martini, nach Chiricahua, nach Tombstone. All die Wege zu den Clantons. Hinüber in die Blauen Berge und bis an die Grenze nach Nogales. Umsonst auch der Aufstieg in die Silver Mountains zum Roten See. Umsonst, alles umsonst. Die Graugesichter würden weiter ihr Unwesen treiben und dem Land schweren Schaden zufügen. Sie würden weiter rauben, plündern und morden!

Eine ohnmächtige Wut hatte sich des Missouriers bemächtigt.

Da nahm der Anführer der Bande seinen Revolver aus dem Halfter und ließ die Trommel rotieren.

»Los, schafft sie da hinten in die Ecke.«

Die beiden Gefangenen wurden von den Banditen gepackt und in die finstere Ecke des Schankraumes geschleppt.

Gegen eines der beiden Fenster nach der Straße sah der Marshal die Silhouette des Bandenführers. Es war ein verhältnismäßig großer, aber wie ihm schien, schwerer und plumper Mann.

Zum erstenmal in seinem Leben war der Marshal von einer Höllenwut erfüllt, von einem Zorn auf sich selber.

Nicht so sein Gefährte aus Georgia. Der kühle Doc Holliday hatte doch auch noch gefesselt die Nerven, den Anführer zu fragen:

»Ich hätte noch eine Bitte, Bandit. Ehe ich sterbe, wüßte ich gern, wer der große Mann ist, der mir in die Ewigen Jagdgründe verhilft.«

»Das sollst du wissen, Doc. Mein Name ist Pete Grambola. Grambola, mit der Betonung auf dem ersten A. Daran wirst du, der du ja ein gebildeter Mann bist, meine Verwandtschaft mit dem großen Freiheitskämpfer aus Virginia erkennen.«

Doc Holliday lachte leise in sich hinein.

»Nein, Grambola, ich erkenne gut nichts daran. Ich kann mich nur an einen Verbrecher erinnern, an einen Brandstifter und Frauenmörder, der jahrelang Westvirginia unsicher gemacht hat. Dieser Schurke allerdings hieß Grambola. Asse Grambola, wenn ich nicht irre. Oder doch Pete…?«

Der Bandenführer versetzte dem Spieler fauchend vor Wut einen Tritt.

»All right. Du hast also eine Antwort auf deine Frage. Jawohl, ich bin Pete Grambola. Und ihr Hunde werdet jetzt sterben.«

Der Marshal hatte sich inzwischen gefangen. Auch in dieser aussichtslosen Situation faßte er wieder sein altes Ziel ins Auge. Er mußte versuchen, den Überfall zu verhindern.

»Du wirst kein Glück haben, Grambola.«

Rasend vor Zorn spannte der Bandit den Revolverhahn und stieß die Waffe nach vorn.

»Kein Glück? Das wirst du gleich erleben.«

»Ich meine nicht den Mord an uns beiden – ich meine deinen geplanten Überfall.«

Der Verbrecher entspannte die Waffe und brach in eine dröhnende, blecherne Lache aus.

»Du kannst dich beruhigen, Earp. Ich habe Glück. Ich habe meine Leute bereits seit dem Anbruch der Nacht auf ihren Posten. Wir werden den Laden da drüben knacken, verlaß dich darauf. Wenn wir wegreiten, hat jeder auf seinem Gaul einen großen Sack mit Dollarbündeln! Und es wird keinen Wolf mehr geben, der den Namen Wyatt Earp führt. Ausgelöscht wird der Name sein. Ausgelöscht wie der vergangene Tag! Von mir, von dem großen Pete Grambola!«

Wie anders hatte sich der Marshal doch den Chief der Graugesichter vorgestellt!

Noch schien dieser Mann nichts davon zu ahnen, daß Wyatt Earp und Doc Holliday unter seinen Leuten am Roten See gestanden hatten.

Wyatt wartete auf die Stimme des Mannes, der oben am See den Sprecher gemacht hatte. Aber die anderen Männer schwiegen.

Grambola schob sich mit dem Lauf seines Revolvers den Hut aus der Stirn und spie auf den Boden aus, dicht neben das Bein des Missouriers. »Das ist mein großer Tag, Earp. Ich habe jahrelang auf ihn gewartet. Jetzt ist er also da. Sieh hinaus, so bricht er an. Für dich wird es ihn allerdings nicht mehr geben. Du siehst die Sonne nicht mehr aufgehen.

Aber es wird nicht einfach, diesen Tag herbeizuführen. Im Gegenteil, es war schwer, und Hunde wie du warfen mir immer wieder Steine in den Weg. Allerdings mit einem solchen Brocken wie mit dir hätte ich nicht gerechnet an diesem Tag. Aber nun bist du auch aus dem Weg geräumt. Ich werde das Depot knacken, und dann werde ich im Geld wühlen. Wühlen!« Das letzte Wort hatte er laut und geifernd aus seiner rostigen Kehle herausgebrüllt.

Verblüfft blickte der Marshal ihn an und suchte den Teil des Gesichtes, den die graue Maske frei ließ, zu erkennen. Aber das Licht des Morgens war immer noch zu schwach dazu. Es warf nur einen düsteren Schimmer in die Schenke.

Der Marshal dachte daran, welch eine brillante Schauspielerin die Frau oben doch war. Wie hatte sie ihn getäuscht! Längst waren die Banditen hier im Haus. Und sie machte mit ihnen gemeinsame Sache.

Er hatte gründliche Arbeit getan, der Big Boß.

Wyatts Blick tastete an Grambolas Gestalt hinunter. Er suchte an seinen Händen nach dem großen Ring. Aber der Anführer der Bande trug keinen Ring.

Aber all dies waren nur Gedanken, die rein mechanisch durch sein Hirn flogen. Auf den Hauptleitbahnen wurden andere Gedanken mit Blitzesschnelle hin und her gejagt: Wie kann ich ihn aufhalten?

Lange konnten die Galgenmänner hier nicht bleiben. Wenn sie das Depot knacken wollten, dann wurde es Zeit.

Wieder einmal bewährte sich die geschliffene Wortgewandtheit des Doktors aus Virginia. Er wußte, womit er den Mann noch eine Weile aufhalten konnte. Er packte ihn bei der Prahlsucht, die Grambola eben offenbart hatte.

»Da du mir schon gesagt hast, wer du bist, Grambola, möchte ich dir noch etwas sagen. Es fällt mir jetzt noch etwas ein, was ich von dir gehört habe. Du mußt der Mann sein, dem es gelungen ist, den Überfall auf Fort Wettrich durchzuführen. Stimmt’s?«

»Richtig!« brüstete sich der Verbrecher. »Das war ich.«

Holliday hütete sich, zu lachen. Er hätte allen Grund dazu gehabt, denn nicht nur den Überfall, sondern auch das Fort Wettric hatte er vor kaum einer halben Minute erfunden.

»Ja, ich hörte von dem Überfall. Er wurde großartig gestartet. Mit nur sechs Männern hast du das ganze Fort genommen. Wes Hardin erzählte mir davon. Oder war es Billy the Kid? Ich weiß es nicht mehr so genau.«

»Ja, es könnte Wes Hardin gewesen sein«, prahlte der Bandenführer. »Seht ihr, Boys, ich bin ein bekannter Mann. Daß ich Fähigkeiten habe, läßt sich nicht von der Hand weisen.«

Das war derart primitiv, daß der Marshal aufhorchte. Aber ehe er etwas sagen konnte, setzte Holliday sein Spiel fort. Er spielte auch jetzt noch, in dieser gefährlichen Stunde.

»Wo du mich jetzt doch auslöschen wirst, Grambola, könntest du mir eigentlich auch sagen, wie damals dein großes Duell mit Mike Donegan, dem gefährlichen Schießer, drüben in Dallas ausgegangen ist.«

»Mein Duell mit…, ach, mit Mike Donegan. Ja, wie soll es ausgegangen sein? Die Frage ist überflüssig, Doc. Du siehst mich hier stehen. Der armselige Donegan liegt auf dem Boot Hill von Dallas. Und nicht nur er!«

»So wurde mir doch recht berichtet«, fuhr Holliday fort. »Dann kannst auch du es nur gewesen sein, der Billy Henderson, den schnellen Bill, aus den Stiefeln geschossen hat, drüben in Martini.«

»Martini?« fragte der Bandit.

Wyatts Gesicht entspannte sich plötzlich.

»Ja, drüben in Martini. Oder solltest du es etwa gar nicht gewesen sein, der den schnellen Bill erledigt hat?«

»Natürlich war ich es!« brüllte Grambola. »Wer sonst! Ich, der große Pete Grambola!« Er warf den Kopf ins Genick und blickte sich im Kreis um. »Na, was sagt ihr dazu, Boys? Ihr wißt, daß das zwei große…, ich meine, daß das zwei bekannte Männer sind, die weit im Westen herumkamen. Jeder kennt die Namen Wyatt Earp und Doc Holliday. Und sie kennen mich! He, Earp!« Er stieß den Marshal mit dem Stiefel an. »Du wirst mich doch wohl auch kennen?«

»Natürlich kenne ich dich, Grambola. Du hast Jerry Putkin in Colorado Springs erschossen, nicht wahr? Und wenn du etwas mehr Glück gehabt hättest, dann wäre es dir auch gelungen, José Flanagan in Wichita zu erledigen, der dich mit der Kugel zurückstieß. Ja, er ist eben der schnellste Mann gewesen. Und du kannst von Glück sagen, daß du mit dem Leben davongekommen bist. Er hat dich ganz schön auflaufen lassen, der große Flanagan.«

Es hatte nie einen José Flanagan gegeben. Aber der billige Prahler fiel auch auf diesen Bluff herein.

»Was denn«, knurrte er. »Flanagan soll mich niedergeschossen haben? Das ist doch…, das ist doch Unsinn! Wer hat denn das erzählt? Das ist doch eine bodenlose Lüge! Ich war es, der ihn niedergeschossen hat. Ich habe ihn besiegt. Mit der ersten Kugel habe ich ihn tödlich getroffen. Noch heute sehe ich ihn zusammenbrechen wie einen nassen Sack. Er lag auf der Mainstreet von Wichita vor mir. Auf neun Yards Distanz habe ich ihn ausgepustet. Ja, Boys, das war eine Stunde!«

Als niemand von seinen Leuten Anstalten machte, dem »großen Boß« zu diesen Phantasietaten zu gratulieren, senkte er den Kopf nach vorn wie ein Raubvogel und knurrte: »So, und nun wollen wir das hier erledigen.«

»Schade, daß du von dieser Tat nichts berichten kannst, Grambola«, meinte Holliday.

»Wieso nicht?«

»Na, weil es ein ganz armseliger, schäbiger Meuchelmord ist.«

»Bildest du dir etwa ein, daß ich mich mit dir schießen soll?«

»Ich bilde mir gar nichts ein, Grambola, ich meinte ja nur, daß du damit nicht prahlen kannst.«

»Prahlen! Dreckskerl!«

Wyatts Plan stand fest.

Er hatte die Beine vorsichtig angezogen und sich hinten auf die Hände gestützt. Es wäre nicht das erstemal gewesen, daß er sich so vom Boden hochgeschnellt hätte, um einen Mann niederzureißen. Es mußte ihm gelingen, Grambola niederzureißen. Was dann weiter geschehen würde, mußte sich zeigen.

Er hatte aus Leibeskräften an den Stricken gezerrt und die Fesseln so weit gelockert, daß er, wenn er erst nicht mehr auf dem Rücken lag, eine Hand bestimmt frei bekam.

Und dann wollte er schon einen Revolver an sich bringen. Grambola hatte schließlich einen Revolver in der Hand und einen zweiten im Gurt und auch ein Messer neben dem Revolver stecken.

In diesem Augenblick geschah etwas Unerhörtes.

Vorn auf dem Vorbau tauchte plötzlich ein Schatten auf, den die Galgenmänner nicht sahen, da sie den Fenstern den Rücken zukehrten.

Der Schatten war riesengroß und schwarz wie die Nacht.

Im nächsten Augenblick wurden die Fensterscheiben von zwei Revolvern zertrümmert. Zwei Hähne wurden knackend gespannt.

Die Banditen wirbelten herum.

»Hände hoch!« brüllte ihnen vom Fenster eine dröhende Stimme entgegen.

Die Banditen nahmen die Hände langsam in Schulterhöhe.

»Wer ist denn das?« krächzte Grambola.

»Ja, überleg mal, Brother. Du wirst es nicht raten. Ich will dich aber nicht lange auf die Folter spannen, denn ich bin ja ein gutmütiger Mensch. Mein Name ist Short, Reisender in Sachen Blei und gebrochenen Knochen. – Laß die Pfoten oben, Bursche! Wie ist es, erinnerst du dich nicht an mich? Wir trafen uns doch drüben in Dallas, als du falsch gespielt hast und von zwei Kerlen verprügelt wurdest. Dann fingst du mit mir ein Spiel an, und ich habe dich aus dem Fenster geworfen. Darauf kamst du ins Jail. Daß du das vergessen konntest, Grambola! – Du sollst deine Pfoten oben lassen. Und auch der kleine dicke Bursche da in der Ecke. Laß deine Hände oben, Junge, sonst gibt’s Zunder. – Wie sieht’s aus, Marshal?«

Wyatt hatte seine Hand bereits aus der Schlinge gezogen, kniete nieder und zerrte Grambola das Messer aus dem Gurt.

In der nächsten Minute war er frei. Dann schnitt er Doc Holliday los.

Die beiden entwaffneten die Banditen und steckten sich ihre eigenen Revolver wieder in die Halfter.

Der Texaner hing immer noch grinsend in der zerborstenen Scheibe, vom ersten rotgoldenen Licht der aufgehenden Sonne magisch beleuchtet. Ein wildes Lächeln stand auf seinem markigen Gesicht.

»Hallo, Mr. Earp, lange nicht gesehen«, grinste er und bleckte seine weißen Zähne.

Der Marshal blickte ihn lange an.

»Jetzt habe ich nur eine Frage, Luke. Wo kommen Sie bloß her?«

»Aus der Hölle, direkt aus der Hölle, oder besser gesagt aus einem Kaff, das den traurigen Namen Grabstein führt und in das mich mein treuloser Freund Wyatt Earp als Sheriff gesetzt hat. Da hat mir gestern eine süße Taube namens Laura etwas von Marana geflötet. Und ich dachte, daß Sie nicht herkämen. Und da wollte ich mal nach dem Rechten sehen. Ich bin erst vor wenigen Minuten gekommen. Da hörte ich diesen krächzenden Vogel hier singen… Ist es nicht schön, daß du eine so laute Stimme hast, Grambola!«

Da schrie der Verbrecher plötzlich:

»Los, Männer, wehrt euch! Es ist nur ein einzelner! Tod dem Tex!«

Mit dem Ruf »Tod dem Tex!« stürmten die Banditen nach vorn.

Aber sie kamen nicht weit. Schüsse blitzten ihnen entgegen. Und zwei von ihnen wurden von Wyatt Earp aufgehalten, der sich ihnen in die Füße warf.

Wenige Minuten später waren die fünf Verbrecher im Jail von Marana eingesperrt.

Grambola war nicht der große Boß der Galgenmänner. Er hatte nur einen kleinen Trupp von Verbrechern geführt, die größtenteils aus der Tombstoner Gegend stammten.

Die Galgenmänner hatten in dieser Nacht nicht zugeschlagen. Höchstwahrscheinlich hatte der große Boß die Hiobsbotschaft von Casa Grande vom vergangenen Tag schon erhalten und sich gehütet, zum großen Coup auszuholen.

Dieser mit allen Wassern gewaschene Mann hütete sich, nun zum zweiten Schlag auszuholen.

Er mußte ja damit rechnen, daß auch Wyatt Earp von diesem Ort Kenntnis erhalten hatte.

So war der große Fisch dem Netz des Marshals wieder einmal entgangen.

Wyatt Earp Paket 3 – Western

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